Der akademische Nationsozialismus. Grundlegendes über den Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht (Kapitel 1 bis 10)
von Miriam Wildenauer
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Teil I. / Kapitel 1.
- 1. Erste Informationen über die Akademie für Deutsches Recht (AfDR)
- 1.1. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie in den monographischen Darstellungen über Hans Frank
- 1.2. Wissensstand über Alfred Rosenberg und den Ausschuss für Rechtsphilosophie?
- 1.3. Der Forschungsstand über die AfDR als solcher
- 1.4. Die rechtliche Verfasstheit der AfDR von 1933 bis zum Juni 1943
- 1.5. Ergebnissicherung
- 1. Erste Informationen über die Akademie für Deutsches Recht (AfDR)
Teil I. / Kapitel 2.
- 2. Der dürftige Forschungsstand zum Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR
- 2.1. Pichinot (1981) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.2. Anderson 1982/87 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.3. Viktor Farías 1987/89 Forschungsergebnisse über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.4. Stefan K. Pinter (1994) über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie anhand der Akte Emges (GSA 72/1588)
- 2.5. Günzel (2000) über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie anhand der Akte Emges (GSA 72/1588)
- 2.6. Tilitzki (2003) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.7. Emanuel Faye 2005/09 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.8. Adlberger (2007) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.9. Alfred Denker und Holger Zaborowski (Hg.): Heidegger und der Nationalsozialismus. Teil 1: Dokumente, Teil 2: Interpretationen (2009)
- 2.10. Die Forschung zu Carl Schmitt weiß nichts über Carl Schmitts Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.11. Ergebnis: Forschungsstand über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Teil I. / Kapitel 3.
- 3. Die Gründungsphase des Ausschusses für Rechtsphilosophie von März bis Mitte Juni 1934 gemäß einer Akte Emges (GSA 72/1588)
- 3.1. Basisinformationen über die Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 3.2. Informationen zur Eröffnungssitzung am 3. Mai 1934
- 3.3. Informationen zur zweiten Sitzung des Ausschusses am 26. Mai 1934 auf der Arbeitstagung der AfDR in Berlin (Blätter 79-86)
- 3.4. Informationen zur geplanten dritten Sitzung des Ausschusses auf der ersten Jahrestagung der AfDR am 25. und 26. Juni 1934
- 3.5. Schreiben von Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie
- 3.6. Emge umwirbt Goebbels am 24. April 1934
- 3.7. Wilhelm Arendts an Hans Frank am 2. Mai 1934
- 3.8. Tabellarischer Überblick über weitere Blätter der Akte GSA 72/1588
- 3.9. Ergebnissicherung
Teil I. / Kapitel 4.
- 4. Die Berichterstattung in Zeitungen und Fachzeitschriften über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934
- 4.1. Die Berichte der „Frankfurter Zeitung“ vom 4. und 5. Mai 1934 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 4.2. „Berliner Tageblatt und Handelszeitung“ vom 4. Mai 1934
- 4.3. Der „Völkischer Beobachter“ am 4. und 5. Mai 1934 über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie
- 4.4. „Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland“ vom 3. und 4. Mai 1934
- 4.5. Weimarische Zeitung vom 4. Mai 1934: „Deutsche Rechtsmoral aus Blut und Boden“
- 4.6. Überblick über Emges Unterausschüsse des Ausschusses für Rechtsphilosophie
- 4.7. Die Berichte der Fachzeitschriften über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie
- 4.8. Ergebnissicherung
- 4.9. Exkurs: Siegfried Blaas „Der Rassengedanke“ von 1940
Teil I. / Kapitel 5.
- 5. Nationalsozialistisches Handbuch-Wissen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie: Juni 1934
- 5.1. Dr. Hans Franks »Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung«
- 5.2. C. A. Emges Kurzbericht über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 5.3. Karl Laschs stellte die AFDR und den Ausschuss für Rechtsphilosophie im »braunen Rechts-Handbuch (1934)« vor
- 5.4. Exkurs: Hans Franks Rede vom 25. Juni 1934 auf der ersten Jahrestagung der AfDR vor ausländischen Gästen
- 5.5. Exkurs: Viktor Bruns Ausschuss für Völkerrecht
- 5.6. Ergebnissicherung
Teil I. / Kapitel 6.
Teil I. / Kapitel 7.
- 7. Die AfDR und der Ausschuss für Rechtsphilosophie im ersten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht
- 7.1. Hindenburgs Grußwort an die AfDR – angeblich vom 26. Juni 1934
- 7.2. Hans Franks Vorwort: Der BNSDJ und die AfDR vor dem sog. »Röhm-Putsch«
- 7.3. Bericht über die Gründung der Akademie am 26. Juni 1934
- 7.4. Hans Franks „Proklamation“ der AfDR (2.10.1933): Die AfDR sei auch eine Wahrerin der »deutschen Rassenseele«, die ein „ewiger Gott“ erschaffen habe
- 7.5. Die erste Vollsitzung der AfDR mit anschließender Arbeitstagung vom 5. November 1933
- 7.6. Sitzung der Ausschussvorsitzenden am 6. Dezember 1933: Die AfDR nach innen und außen
- 7.7. Wilhelm Kisch kündigte am Abend des 29. Januars 1934 an, dass ein Ausschuss für Rechtsphilosophie unter dem Vorsitz Hans Franks in der AfDR gebildet werde
- 7.8. Kischs Bericht über „Die bisherige Arbeit der Akademie für Deutsches Recht“ (S. 164-172) auf der Arbeitstagung, welche die Vollsitzung der Akademie vom 17. März 1934 im Rathaus zu Berlin begleitete
- 7.9. Luetgebrunes Redebeitrag auf dem Presseempfang der AfDR am 5. Mai 1934
- 7.10. Arbeitstagung am 26. Mai 1934 im großen Sitzungssaal des Preußen-Hauses in Berlin
- 7.11. Ergebnissicherung
Teil I. / Kapitel 8.
Teil I. / Kapitel 9.
- 9. Die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie nach dem 17. Juli 1941
- 9.1. R 61/30: Geschäftsführungsakte der AfDR des Zeitraums „1941-1943“
- 9.2. R 61/31: Änderungsaufträge für Listen von Ausschüssen und Mitgliederlisten von Ausschüssen aus dem Jahr 1938
- 9.3. Professor Wilhelm Kisch war noch im Herbst 1942 und Professor C. A. Emge noch im Winter 1943/44 Mitglied des Präsidiums der AfDR
- 9.4. Ergebnissicherung aus den Akten R 61/29, R 61/30 und R 61/31
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„Am 3. Mai 1934 konstituierte Dr. jur. Hans Frank (1900-1946) im Nietzsche-Archiv in Weimar den Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht (AfDR). Hans Frank war zu diesem Zeitpunkt Präsident der AfDR. Die Akademie hatte er 1933 zusammen mit Prof. Dr. Wilhelm Kisch (1874-1952) gegründet. Der Name der Akademie nennt ihren Zweck: „für Deutsches Recht“. Dieser Zweck ist eine Generalisierung des 19. Punktes des 25-Punkte-Programms der NSDAP vom 24. Februar 1920:
19. Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemein-Recht.[1]
In der ersten Satzung der AfDR vom 22. September 1933 wurde ihre Aufgabe folgendermaßen bestimmt:
§ 2 Aufgabe der Akademie für Deutsches Recht ist, die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechtes und der Wirtschaft zu verwirklichen.
(Erstes Gesetz und erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933, 1934), S. 249
Zur Erfüllung der Aufgabe wurden zahlreiche Ausschüsse in der AfDR gegründet, die sich mit Teilgebieten der NS-Gesetzgebung befassten. So gab es zum Beispiel Ausschüsse für Strafrecht (Dr. jur. Roland Freisler) für Bürgerliche Rechtspflege (Prof. Dr. jur. Wilhelm Kisch), für Bürgerliches Recht (Prof. Dr. jur. Justus W. Hedemann), für Staats- und Verwaltungsrecht (Prof. Dr. Carl Schmitt) und für Völkerrecht (Prof. Dr. Viktor Bruns). Jeder Ausschuss hatte einen Vorsitzenden, der weitreichende Rechte innehatte. Es galt das Führerprinzip.
Der promovierte Jurist Hans Frank war und blieb Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Sein Stellvertreter in diesem Ausschuss war und blieb Prof. Dr. jur. Dr. phil. Carl August Emge (1886-1970). Der Ausschuss für Rechtsphilosophie war der einzige Ausschuss der AfDR, dessen Vorsitz Hans Frank persönlich innehatte. Nachdem Hans Frank im Dezember 1934 durch Hitler zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich ernannt worden war, war ein Mitglied einer der wichtigsten Stellen für die Gesetzgebung des Dritten Reichs zugleich Präsident der AfDR und Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Kein anderer Reichsminister war zu irgendeinem Zeitpunkt Vorsitzender eines Ausschusses des AfDR. Formalrechtlich und personalpolitisch hatte der Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR damit eine herausragende Stellung in der Verwirklichung des nationalsozialistischen Programms im Dritten Reich.
Wie ich in diesem ersten von vier Teilen meiner Publikation zum Akademischen Nationalsozialismus zeigen werde, existierte dieser Ausschuss für Rechtsphilosophie gemäß einer Geschäftsführungsakte der AfDR noch bis mindestens in den Januar 1943 hinein. Diese Akte ist identifizierbar durch die Signatur „R61/30“ des Bundesarchivs (BArch). Die Akte enthält Schriftstücke der Laufzeit 1941 bis 1943. Sie ist seit Jahrzehnten für Wissenschaftler zugänglich. Nur ein einziger Wissenschaftler, Dennis LeRoy Anderson, hat bislang öffentlich mitgeteilt, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie erst im Januar 1943 aufgelöst worden ist.[2] Diese wichtige Information aus Anderson (1982/87) ist von den Experten der Fachwissenschaften aber nicht rezipiert worden.
In derselben Akte R 61/30, in der sich Listen von Ausschüssen mit Auflösungszeitpunkten des Jahres 1943 befinden, befinden sich auch viele Mitgliederlisten dieser Ausschüsse der AfDR. Auch für den Ausschuss für Rechtsphilosophie ist eine Mitgliederliste vorhanden. Wegen ihres Aktenkontextes können die auf ihr präsentierten Informationen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dem Zeitraum 1941 bis 1943 zugeordnet werden. Zur Gewissheit wird diese zeitliche Zuordnung durch eine Information der Mitgliederliste selbst: Auf der Mitgliederliste des „Ausschusses für Rechtsphilosophie“ wird „Rosenberg“ nämlich als „Reichsminister“ aufgeführt. Alfred Rosenberg ist aber erstmalig am 17. Juli 1941 Reichsminister geworden. Genauer: Er ist „Reichsminister für die besetzten Ostgebiete“ geworden.[3] Deswegen kann die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie nicht vor dem 17. Juli 1941 getippt worden sein.
Hier kommt eine von mir erstellte Abbildung[4] der semiotischen Informationen der Mitgliederliste, die auf Blatt 171 der Akte R 61/30 Akte vorhanden sind.[5]
Abbildung 1: Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie (1941-1943) – von Miriam Wildenauer erstellte Projektion aller semiotischen Informationen des Blattes 171 der Geschäftsführungsakte der AfDR mit der BArch-Signatur R 61/30
Da heute acht der zwölf Mitglieder[6] des Ausschusses für Rechtsphilosophie der breiten Öffentlichkeit nicht mehr bekannt sind, stelle ich die Unbekannteren kurz vor. Ich beginne meine Vorstellung mit der größten Teilgruppe, der Gruppe der Jura-Professoren:
Erich Jung (1866-1950), Ernst Heymann (1870-1946), Wilhelm Kisch (1874-1952), Viktor Bruns (1884-1943), Carl August Emge (1886-1970) und Carl Schmitt (1888-1985) waren Professoren in Juristischen Seminaren deutscher Universitäten.
Das älteste Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie Erich Jung war ordentlicher Professor vor allem in Straßburg (bis 1918) und in Marburg (ab 1921). In Marburg war er „Professor für Rechtsphilosophie, deutsches bürgerliches und römische Recht“ gemäß seiner Selbstauskunft in Degeners „Wer ist’s?“ von 1935.[7] Erich Jung ist heute nahezu unbekannt. Mit ihm werde ich mich ausführlich in Teil II meiner Publikation befassen. In Teil II stelle ich die Ursprünge des akademischen Nationalsozialismus vor.
Ein Straßburger Kollege Erich Jungs war Wilhelm Kisch. Kisch war in Straßburg seit 1902 Professor für Bürgerliches Recht und Bürgerliches Prozessrecht. 1916 wechselte Kisch nach München. Er war in der AfDR bis in den Oktober 1937 hinein stellvertretender Präsident der AfDR. Sein Nachfolger in diesem Amt wurde C. A. Emge. Hans Frank bezeichnete Wilhelm Kisch als seinen akademischen Lehrer.[8]
Vier von zwölf Mitgliedern des Ausschuss für Rechtsphilosophie waren Fakultätskollegen in Berlin: Ernst Heymann und Viktor Bruns waren bereits vor, Carl Schmitt und Carl August Emge – sowie Wenzeslaus von Gleispach (1876-1944) – wurden nach der Machtergreifung 1933 Ordinarien in der renommiertesten Juristischen Fakultät des damaligen Deutschlands: Carl Schmitt am 7. Juli 1933[9] und Emge am 28. November 1934[10]. Die Nähe zur Reichsregierung sorgte für das herausgehobene Prestige dieser Fakultät.
Ernst Heymann stellt sich selbst im »Deutsche Führerlexikon 1934/35« als Schüler von Felix Dahn, Otto Fischer, M. Wlasak, Heinrich Brunner und Otto von Gierke vor. Er war von 1904 bis 1914 Professor an der Universität Marburg. 1914 folgte er einem Ruf an die Berliner Universität.[11] 1921 gründete er das „Institut für Ausländisches und Wirtschaftsrecht“ in Berlin.[12] 1937 wurde Heymann Direktor des „Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht“ der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin. Zu seinem 70. Geburtstag erschien 1940 eine Festschrift in zwei Bänden. Der erste Band endet mit einem Beitrag von Reinhard Höhn (1904-2000). Reinhard Höhn gilt manchen als die Person, die Carl Schmitt und Hans Freyer vor 1939 entmachtet habe. Ernst Heymann war der akademische Lehrer C. A. Emges in ihrer gemeinsamen Zeit in Marburg.[13] Emge trug ebenfalls zur Festschrift für Heymann des Jahres 1940 bei.
Viktor Bruns war seit 1920 ordentlicher Professor der Juristischen Fakultät der Berliner Universität. Mit Wirkung zum 1. April 1923 wurde ihm ein neu geschaffenes „Ordinariat für öffentliches Recht“ verliehen. 1924 wurde Bruns Gründungsdirektor des „Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“ der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin.[14]
Carl August Emge war promovierter Jurist und promovierter Philosoph, ein „Schüler Heymanns“ und nach eigenen Angaben der erste Lehrstuhlinhaber einer Professur für Rechtsphilosophie in einer deutschen Universität, und zwar ab 1933 in Jena und ab November 1934 in Berlin. Seit 1930 war er mit der wissenschaftlichen Leitung des Nietzsches-Archivs betraut.[15] 1931 wurde Emge Mitglied der NSDAP (Nr. 847.792).[16] Im Artikel über Emge in »Das Deutsche Führerlexikon 1934/35«[17] wird mitgeteilt, dass er seit 1916 die „marxistische Rechtsphilosophie“ bekämpft habe, dass er seit Beginn 1931 mit Aufrufen im „Völkischen Beobachter“ Alfred Rosenbergs und in Schriften („Geistiger Mensch und Nationalsozialismus“[18]) „für die Bewegung tätig“ gewesen sei und 1932/33 als „Universitätskurator für die politische Umstellung in Jena“ verantwortlich gewesen sei. Über Emge als Universitätskurator berichtet Stefan K. Pinter anhand einer Personalakte Emges folgendes:
5. Emge als nationalsozialistischer Universitätskurator
Statt dessen wurde Emge ab 1.10.1932 als erster überhaupt in eine neu geschaffene Funktion berufen, die des Kurators der Thüringischen Landesuniversität in Jena.2
Die Tätigkeit des Kurators wurde vom Ministerium so festgelegt:
1. Grundsätzliche Organisationsfragen des Hochschulwesens, der Studentenschaft, der studentischen Wirtschaftseinrichtungen;
2. politische Angelegenheiten;
3. berichtliche Weitergabe aller Schriftstücke vom Rektor und von den Fakultäten sowie an diese bei Berufungen, Lehraufträgen, Lehrberechtigungen und Ernennungen der Hochschullehrer.3
Weitere Angelegenheiten, besonders die eigentlich dem Kurator nach der Hauptsatzung obliegende Vermögensverwaltung der Universität, sollten jedoch weiter vom Ministerium direkt durch einen Ministerialreferenten an der Universität erledigt werden.4 Sowohl die Aufgabenbeschreibung wie auch der Verbleib des Verwaltungsbeamten an der Universität zeigen, was Emge als Kurator bewerkstelligen sollte: den unmittelbaren Einfluß und die Kontrolle durch die Partei bei der geplanten totalen Veränderung der Hochschulen und frühzeitig auch bei der (Neu-)Zusammensetzung des Lehrkörpers ermöglichen.
2 Universitätsarchiv Humboldt-Universität Berlin, Akte B 56 Jenaer Teil, ohne Blattangabe
3 ebd., ohne Blattangabe
4 ebd., ohne Blattangabe
(Pinter 1994), S. 9
Ich stelle nun kurz die Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie vor, die Professoren, aber keine Juristen waren.
Hans Freyer (1887-1969) war in der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig promoviert und habilitiert worden. Er hatte ab 1925 die erste deutsche Professur für Soziologie inne. Sie war an der Universität Leipzig eingerichtet worden. Sein Biograph Jerry Z. Muller beschreibt Freyer als konservativen Revolutionär, der 1933/34 in einflussreiche Positionen aufstieg, aber bereits 1938 desillusioniert gewesen sei, deswegen seinen Lebensmittelpunkt nach Ungarn verlegt habe und dort vom NS-Staat benutzt worden sei.
During the process of Gleichschaltung (government “coordination”) in 1933 and 1934, as we will see in chapter 7, Freyer and like-minded intellectuals rose to important posts in the academy, in cultural institutions, and in government. Their dual roles as respected academics and as known ideological sympathizers of the regime served to propel them into positions of prestige. This pattern is demonstrated by Freyer’s experience at the University of Leipzig, where he became head of a renowned institute of historical research, and within the German Sociological Association, whose rump membership elected him as its president. […]
Freyer’s disillusionment with totalitarian solutions to the problems of modernity is examined in chapter 8. A careful reconstruction of his relations with the cultural institutions and organs of ideological control in the years from 1934 to 1938 illuminates the sources of his disillusionment. His dual roles as academic social scientist and as ideologist now worked against him. In a regime that placed a premium on ideological orthodoxy, the charge of insufficient ideological commitment was used against him by professional rivals and party zealots. Surveillance of mail, the pervasive threat of denunciation, and the political persecution of Freyer’s valued colleagues all contributed to the souring of his hopes. […] │ S. 7 […] Yet, like many conservative Germans disabused of their hopes for the Third Reich — including those of Freyer’s friends who participated in the assassination attempt on Hitler — Freyer continued to serve the regime. From 1938 through 1945 he lived in Budapest as visiting professor of German studies and as director of a German scientific institute; both positions were creations of the German foreign office, intended to boost the prestige of the regime abroad. Freyer’s roles in Budapest illustrate the utilization of prestigious intellectuals by the Nazi regime.
(Muller, 1987), S. 6 f.
Ein wichtiger Akteur in der Desillusionierung Freyers sei Reinhard Höhn gewesen.[19] Derselbe Höhn, der angeblich auch hinter der Entmachtung Carl Schmitts durch die SS gestanden habe. Muller teilt nicht mit, dass Hans Freyer Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Nicht einmal, dass er Gründungsmitglied des Ausschusses gewesen ist.
Erich Rothacker (1888-1965) war ein akademischer Schüler des Philosophieprofessors Heinrich Maier (1867-1933). Aufgrund von Gutachten Maiers ist er 1911 an der Universität Tübingen promoviert und 1920 an der Universität Heidelberg habilitiert worden. 1928 wechselte Rothacker von Heidelberg nach Bonn. Er wurde dort Nachfolger des Philosophen und Psychologen Gustav Wilhelm Störring (1860-1946). Spätestens 1940 wurde Rothacker Direktor des Psychologischen Instituts der Universität Bonn.[20] Bereits am 12. November 1932 ist Rothacker in den „Nationalsozialistischen Lehrerbund“ (NS-LB) eingetreten.[21] Durch ihn sollten Lehrer zu Nationalsozialisten geschult werden, die aus Kindern Nationalsozialisten machen sollten.[22]
Martin Heidegger (1889-1976) war von 1923 bis 1928 Professor für Philosophie in Marburg und damit ein Kollege Erich Jungs und Rudolf Bultmanns[23]. 1928 wechselte Heidegger nach Freiburg. In den Marburger Jahren entwarfen Rudolf Bultmann und er ein Gemeinschaftsprojekt, das Heidegger aus der Perspektive der Philosophie und Bultmann aus der Perspektive der evangelischen Theologie bearbeiten wollten. In einem Brief vom Dezember 1932 vermutet Bultmann, dass ein Nietzsche-Erlebnis Heideggers des Jahres 1932 beider Wege weiter auseinander geführt habe, als beide das in den gemeinsamen Marburger Jahren erwartet hatten.[24]
Max Mikorey (1899-1977) war Psychiater und Oberarzt. Abgesehen von Alfred Rosenberg ist Max Mikorey die einzige Person der zwölf Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie des Jahres 1941, über die bereits gewusst wird, dass sie nach 1939 dienstlich Kontakt mit dem Generalgouverneur Hans Frank hatte. Und zwar zumindest am 15. September 1944.[25]
Auch Hans Frank (1900-1946) war Akademiker im Kreis der Habilitierten und der Professoren des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Nachdem er von 1919 bis 1923 Rechts- und Wirtschaftswissenschaft in München und Kiel studiert hatte, wurde er 1924 an der Universität Kiel zum Doktor der Rechte mit der Schrift „Die öffentlichrechtliche juristische Person. Ein Beitrag zur Lehre des Merkmals der öffentlichen Rechtspersönlichkeit“ aufgrund eines Gutachtens von Walter Jellinek promoviert. 1926 absolvierte Frank das Juristische Staatsexamen. 1927 erhielt er laut Gerhard Schulz‘ Artikel von 1961 in der „Neuen Deutschen Biographie“ eine „Assistentenstelle am juristischen Seminar der Technischen Hochschule München“.[26] In einer Tagebuchnotiz hat Carl Schmitt behauptet, Hans Frank sei „Assistent“ Fritz van Calkers gewesen.[27] Fritz van Calker gilt als Förderer Carl Schmitts.
Auch Alfred Rosenberg (1892-1946) war Akademiker, er war diplomierter Architekt. Er hatte sein Studium der Architektur 1910 in Riga begonnen. Aufgrund des Weltkrieges war das Polytechnikum der Universität Riga mit sämtlichen Professoren im Sommer 1915 nach Moskau evakuiert worden. Ab dem Wintersemester 1915/16 studierte Rosenberg deswegen in Moskau. Insgesamt vier Semester lang. Im Sommersemester 1917 schloss er sein Studium ab. Vom Oktober 1917 bis Januar 1918 schrieb er seine Diplomarbeit. Anfang 1918 reiste er nach Moskau zur Abschlussprüfung, die er mit gutem Erfolg bestand.[28] Danach wechselte er nach Deutschland und wurde in München einer der ersten Mitglieder der NSDAP.
In folgender Liste stelle ich die Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gemäß dem Senioritätsprinzip noch einmal kurz vor:
- Erich Jung (1866–1950), Dr. jur. und Dr. phil., Professor für Rechtsphilosophie, deutsches bürgerliches und römisches Recht in Straßburg und Marburg,
- Ernst Heymann (1870–1946), Geheimrat und Professor mit dem Schwerpunkten Deutsches Privatrecht, Handels- und Gewerberecht, Deutsche Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung in Königsberg, Marburg und Berlin,
- Wilhelm Kisch (1874–1952), Professor für Zivilrecht in Straßburg und München,
- Viktor Bruns (1884–1943), Professor für Staats- und Völkerrecht in Berlin,
- Carl August Emge (1886–1970), Dr. jur. und Dr. phil., Professor für Rechtsphilosophie in Jena, Wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs in Weimar, Gleichschalter der Universitäten in Thüringen vor 1933,
- Hans Freyer (1887–1969), Professuren für Soziologie und Politikwissenschaft, Direktor des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte in Leipzig,
- Carl Schmitt (1888–1985), Preußischer Staatsrat, Professuren in Greifswald, Bonn, Köln und Berlin, Schwerpunkte: Verfassungs-, Staat- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht,
- Erich Rothacker (1888–1965), Professor für Philosophie in Bonn, vor 1933 Mitglied im Nationalsozialistischen Lehrerbund,
- Martin Heidegger (1889–1976), Professor für Philosophie in Marburg und Freiburg,
- Alfred Rosenberg (1892–1946), „Parteiphilosoph“ der NSDAP, Reichsminister für die besetzten Ostgebiete seit dem 17. Juli 1941, in Nürnberg zum Tode verurteilter Hauptkriegsverbrecher,
- Max Mikorey (1899–1977), Dr. med., Oberarzt in der Psychiatrie, Kontakte zu Hans Frank als dieser Generalgouverneur war
- Hans Frank (1900–1946), promovierter Jurist, in Nürnberg zum Tode verurteilter Hauptkriegsverbrecher.
Dieser Personenkreis war noch nach dem 17. Juli 1941 im Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR miteinander verbunden. Als der Ausschuss im Januar 1943 (vorübergehend) aufgelöst wurde, hatten Hans Frank und Alfred Rosenberg bereits zahlreiche derjenigen Verbrechen begangen, für die sie im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt worden sind.
Ähnlich bekannt wie Hans Frank und Alfred Rosenberg sind Martin Heidegger und Carl Schmitt. Heidegger und Schmitt gelten einigen Akademikern weltweit als führende Denker des 20. Jahrhunderts.
Dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie war, ist von der Forschung zu Carl Schmitt bisher noch nicht berücksichtigt worden. Die Tatsache ist nur selten und dann in Forschungen zu anderen Personen (Emge) und Themen (AfDR) lediglich beiläufig erwähnt worden. Keiner dieser beiläufigen Mitteilungen informierte die Leser darüber, dass Carl Schmitt noch nach dem Sommer 1941 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Dass Martin Heidegger zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Mai 1934 gehört hat, ist seit Viktor Farías bedeutendem Buch „Heidegger und der Nationalsozialismus“ (Original: 1987, deutsche Übersetzung: 1989) einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Farías hatte in einer Personalakte des nationalsozialistischen Erziehungswissenschaftlers Ernst Krieck (1882-1947) Zeitungsausschnitte vom Mai 1934 entdeckt, in denen über die Gründung des Ausschusses berichtet worden war. Farías gibt aus dem Bericht der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 u.a. folgende Informationen an seine Leser weiter:
An der konstituierenden Sitzung dieses Ausschusses, die im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand, nahmen (als Gründer und Vorsitzender) der Reichsjustizkommissar Dr. Hans Frank sowie Vertreter der Verwaltung und der nationalsozialistischen Intelligenz teil. Geschäftsführender Vorsitzender war Prof. Emge (Jena). Anwesend waren außerdem Geheimrat Kisch (München), Reichsleiter Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai und Staatsrat Schmidt. Dem Ausschuß gehörten ferner an die Professoren Heidegger (Freiburg), Rothacker und Naumann (Bonn), Freyer (Leipzig), Baron von Uexküll (Hamburg), Geheimrat Stammler (Berlin), Binder (Göttingen), Geheimrat Heymann (Berlin), Jung (Marburg), Bruns (Berlin) sowie Dr. Mikorey (München).
(Farías 1989), S. 277
Die Schreibweise „Staatsrat Schmidt“ ist nicht Folge eines Tippfehlers in Farías Buch. Diese Schreibweise findet sich so bereits im Artikel der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934. Es ist deswegen möglich, dass nicht Carl Schmitt, sondern eine andere Person Gründungsmitglied des Ausschusses für Recchtsphilosophie gewesen ist. Andere veröffentlichte Texte des Jahres 1934 und 1935 zeigen aber, dass Carl Schmitt bereits 1934 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Eine bislang unveröffentlichte Quelle zeigt darüber hinaus, dass Carl Schmitt Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist (siehe Abschnitt 3).
Eine Zusammenarbeit von Professoren im Mai 1934 insbesondere mit Alfred Rosenberg war für die Professoren kompromittierend. Das bekundete jedenfalls Professor Emge, der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Rechtsphilosophie, 1960 in seinem Text mit dem barocken Titel „Erinnerungen eines Rechtsphilosophen an die Umwege, die sich schließlich doch als Zugänge nach Berlin erwiesen, an die dortige rechtsphilosophische Situation und Ausblicke auf Utopia“. Adressaten des Textes waren westdeutsche Akademiker, die der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin gedachten, die durch die Teilung Deutschlands »an den Osten verloren« war.
Emges Bezugnahme auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie ist sehr beiläufig. Sie folgt dem Matruschka-Prinzip: die kleinste Puppe ist der Ausschuss für Rechtsphilosophie, die nächste die AfDR, die nächste das Nietzsche-Archiv, die nächste seine Jenaer Professur für Rechtsphilosophie. Über die kleinste Puppe behauptet Emge lügenhaft, dass Alfred Rosenberg ihr noch am Abend des 3. Mai 1934 den „Todesstoß“ versetzt habe.
[…] So hat es also einmal ein Jenaer Universitätsseminar im Weimarer Nietzschehaus gegeben, das jetzt [in der DDR; mw] wohl nur noch als bloße Hülle fortexistiert. Noch ein anderes muß von der Rechtsphilosophie her erwähnt werden. Wie man uns vertraulich erzählte, hatte der erste Auszug aus dem allmählich anwachsenden sog. Aphorismenbuch [1935/36[29]; mw] als »Opposition« offizielles Mißfallen einer sehr hohen Persönlichkeit erregt, jedoch die seltsame Folge gehabt, daß Geheimrat Kisch, der wissenschaftliche Leiter der Akademie für deutsches Recht mich offenbar auf Anregung jener bat, seine Nachfolge zu übernehmen.[30] Wie heute feststeht, war dies eine Stätte, wo, unabhängig von Partei und sonstigen Einflüssen, in enger Beziehung mit der ausländischen Wissenschaft in Ausschüssen das für spätere Legislatur heranreifende Material bearbeitet wurde und wissenschaftliche Werke, wie z. B. das grundlegende Koschackers über die Bedeutung des römischen Rechts oder Editionen, z. B. der Germanenrechte, entstanden. Es bedarf hier keiner Nennung der Persönlichkeiten, deren Bedeutung auch nach 1945 wieder anerkannt wurde. Ein schon längst reifer Ausschuß für Nationalitätenprobleme gab wichtige Anregungen zur Erkenntnis ja zur Nomenklatur jener so kompliziert gelagerten Verhältnisse. Hier machten sich jedoch später politische Wünsche bemerkbar, die uns zum Niederlegen des Vorsitzes nötigten und schließlich die ganze Ausschußtätigkeit stillegten [im Original; mw]. Das war auch das Schicksal einer Arbeitsgruppe für Rechtsphilosophie. Zusammengesetzt nicht in erster Linie von sozusagen approbierten Rechtsphilosophen, sondern als eine Diskussionsgruppe für übersehene rechtsphilosophische Probleme gemeint, hatte sie als Mitglieder unter anderen zwei heute noch sehr wirksame Philosophen, die Rechtsphilosophen Stammler und Binder, wohl auch Werner Sombart, den Biologen Baron Jacob Uexküll. Als wir uns an die Arbeit begaben, erschien Alfred Rosenberg und trug │ S. 75 sein bekannt unreifes Zeug vor. Die Folge davon war, daß ihn nach der Sitzung Uexküll im Hotel aufsuchte, um auf die Unmöglichkeit seiner Auffassungen aufmerksam zu machen. Eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem berühmten Gelehrten aus alter Kulturschicht von hohem wissenschaftlichen [im Original; mw] Rang mit dem homo novus und Dilettanten! Damit war jener Arbeitsgruppe der Todesstoß versetzt. Sie konnte nie mehr zusammen kommen. Dafür ließ sich allerdings später die Widerstandsgruppe der Akademie dadurch verstärken, daß wir auf Wunsch der infolge der Juliereignisse [des Jahres 1944; mw] hingerichteten Jens Jessen und Popitz eine bisher nicht vorgesehene Klasse »Wirtschaftswissenschaften« durchsetzen konnten, deren Leitung der unglückliche Jessen bekam. So war man im Falle des Gelingens gewisser Pläne der Möglichkeit näher gerückt, sofort zur Wiederherstellung eines echten Rechtszustands und zur Wiedergutmachung mit einem großen Kreis von Fachleuten bereit zu stehen. Wir waren schon lange abgesetzt, lebten im Odenwald, als uns — auf einer offenen Karte! — Jessen von dem nun kurz bevorstehenden Widerstandsakt, jedem Spitzel verständlich, Mitteilung machte. —
Doch um zu jenen Jenaer-Weimarer Tagen zurückzukehren, […]
(C. A. Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 75
Ich werde in Teil I anhand mehrerer Quellen nachweisen, dass Emges Behauptung, der Ausschuss sei nach dem 3. Mai 1934 „nie mehr zusammen gekommen“, falsch ist. Da Emge das auch wusste, und er die Behauptung in der Absicht äußerte, die Leser zu täuschen und Schaden von sich abzuwenden, handelt es sich eindeutig um eine Lüge.
Auffällig ist bereits hier, dass Emge seine Leser 1960 nur unvollständig über die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie informiert. Emge erwähnt Heidegger nicht. Im Bericht der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie war Heidegger erwähnt worden. Einige Leser, die Emges »Erinnerungen« in den 1960-er Jahren gelesen haben, werden noch aus eigener Lektüre der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 gewusst haben, dass unter anderem auch Martin Heidegger Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind.
Die Personen, die Emge 1960 als Mitglieder vorstellt – Rudolf Stammler, Julius Binder, Werner Sombart[31] und Baron Jacob von Uexküll – konnten seiner Darstellung nicht mehr widersprechen. Sie waren bereits alle tot.
Dasselbe gilt für die hingerichteten Kriegsverbrecher Hans Frank und Alfred Rosenberg. Und für die vier kaiserliche Professoren Erich Jung, Ernst Heymann, Wilhelm Kisch und Viktor Bruns, die noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind. Helmut Nicolai (1895-1955) und Hans Naumann (1886-1951) waren ebenfalls bereits tot.
Carl Schmitt, Martin Heidegger, Hans Freyer, Erich Rothacker und Max Mikorey hätten Emge 1960 noch widersprechen können. Aus naheliegenden Gründen werden sie erfreut gewesen sein, dass Emge nicht mitteilte, dass auch sie am 3. Mai 1934 zusammen mit dem „homo novus und Dilettanten“ Alfred Rosenberg Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gewesen sind. Noch erfreuter werden sie über Emges Lüge gewesen sein, dass der Ausschuss danach nie wieder zusammenkam. Wäre 1960 gar bekannt geworden, dass die Herren Heidegger, Schmitt, Freyer, Rothacker und Mikorey zusammen mit den Reichsministern Alfred Rosenberg und Hans Frank Mitglieder im Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR noch nach dem 17. Juli 1941 gewesen sind, hätte vielleicht der Generalstaatsanwalt des Landes Hessen, Fritz Bauer (1903-1968), mit Vorermittlungen begonnen.
1960 mussten prominente Mitglieder des akademischen Nationalsozialismus wie Professor Emge ihre Worte übrigens nicht nur mit Blick auf deutsche Staatsanwälte sorgfältig wählen. 1960 lebten auch noch Angehörige und Freunde der Opfer der beiden größeren »Säuberungswellen«, die im Umkreis des akademischen Nationalsozialismus im Juli 1934 und im Juli 1944 wüteten. Was sie gedacht und vielleicht getan hätten, hätten sie 1960 erfahren, dass die Herren Emge, Heidegger, Schmitt, Mikorey, Freyer und Rothacker noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gewesen sind, wüsste ich gerne. Vielleicht lebt ja noch jemand, der oder die bereit ist, dazu Auskunft zu geben.
Ich vermute, die Bereitschaft dazu erhöht sich weiter, wenn öffentlich bekannt wird, dass Roland Freisler und Carl August Emge bis mindestens zum Ende des Jahres 1943 Mitglieder des Präsidiums der AfDR gewesen sind. Und auch Wilhelm Kisch war noch nach dem August 1942 Präsidiumsmitglied der AfDR. Am 20. August 1942 ist Roland Freisler bekanntlich Präsident des Volksgerichtshofs geworden. Dem Präsidium der AfDR gehörten ferner von Amtswegen der Reichsjustizminister und der Reichsinnenminister an. Ende 1943, als Emge noch Mitglied des Präsidiums der AfDR war, war Otto Thierack Reichsjustizminister und Heinrich Himmler Reichsinnenminister (vgl. meinen Abschnitt 9.3.).
1. Erste Informationen über die Akademie für Deutsches Recht (AfDR)
Die Akademie für Deutsches Recht (AfDR) ist 1933 von Dr. jur. Hans Frank unter Beratung seines akademischen Lehrers, des Professors Wilhelm Kisch, gegründet worden. In der posthum erschienen Schrift Im Angesicht des Galgens (1953), die angeblich Hans Frank verfasst habe, wird die Gründung der AfDR so dargestellt:
Etwa Anfang Juni 1933 saß ich wie immer an meinem Schreibtisch im Justizpalast
– Hans Frank war zu diesem Zeitpunkt Justizminister Bayerns –
und besprach mit meinem lieben Staatsrat Spangenberger [Heinrich; 1870-1940; mw][32], der selbstverständlich genau so wie, nach meiner Erfahrung, die meisten Münchener höheren Ministerialbeamten ein nicht altbayerischer Bayer, sondern ein Oberfranke war, Fragen der Gesetzgebung im Hinblick auf den Wegfall aller Parlamente für diese legislative Arbeit. Er war auch meiner Meinung, daß damit nicht etwa das Führerprinzip gefördert würde, sondern höchstens die Gesetzbürokratie der großen Bürokratenkasernen, die man Reichsministerien nannte. Diese nämlich wurde nun völlig autark und hatte damit einen Sieg der Ressortkaste erlebt, der Schlimmstes befürchten ließ. Aber was dagegen tun? Da blitzte mir der Gedanke durch den Kopf: das Parlament war | S. 176[33] zwar denkbar unsachlich in öffentlicher Sitzung, wo es vor Publikum und Presse galt, der Wählerschaft zu imponieren, aber doch sehr praktisch in seinen kleinen intimen Beratungsausschüssen; diese letzteren müßten also irgendwie bewahrt bleiben. Das geht nicht via Reichstag, aber es müßte sozusagen „freiorganisiert“ gehen und allmählich entwickelt werden. Aber wie das alles? Da sagte ich mir: Platon hat die Philosophen als die berufenen Staatsführer bezeichnet — und in seiner Akademie? — Eine Akademie will ich gründen, eine Gesetzes-, eine Rechtsakademie, die die Arbeit dieser Vorberatung übernehmen könnte. Und so entwickelte sich der Plan.
Ich schrieb meinem verehrten Lehrer, Geheimrat Kisch, entwickelte ihm meine Idee, und in einer ersten gemeinsamen Besprechung legten wir die Satzungen einer solchen Akademie fest. Ich fand in einem jungen Dr. Lasch [Karl; 1904-1942], der mir von Dr. Heuber [Wilhelm; 1898-1957] empfohlen worden war, einen tüchtigen, fähigen Mitarbeiter und „Adlatus für alles“, und sorgte dadurch für die gesetzliche Fundierung des Ganzen, daß meine beiden ehrwürdigen Freunde Reichsstatthalter Ritter von Epp und Ministerpräsident Dr. Siebert meinen Antrag in der bayerischen Regierung unterstützten. So erging bald darauf das bayerische Landesgesetz über die am 26. Juni 1933 errichtete „Akademie für deutsches Recht“ als öffentlich-rechtliche Körperschaft mit dem Sitz in München. Ich war seither Präsident dieser Akademie, einige Jahre hindurch stand Geheimrat Kisch, diese Leuchte geradezu klassisch erhabener Rechtsforschungsleistungen und Rechtslehrerbewährung, mir als mein Stellvertreter treu zur Seite. Als Schatzmeister betätigte sich der hervorragend bewährte Generaldirektor Arendts [Wilhelm; geboren am 6. Februar 1883; mw].[34] Dr. Lasch wurde Direktor, und eine Reihe von Dauermitarbeitern wurde sogleich eingestellt. Die Finanzierung hielt ich völlig unabhängig von Reich, Staat und Partei, da der von mir dem Institut gegebene Charakter eine tatsächliche Überparteilichkeit in jeder Form voraussetzte. Und mit glücklichem Segen begann und entwickelte sich mein organisatorisches Kind. Ich gab ihm aber auch den ganzen Gehalt meiner tiefsten Gläubigkeit mit auf den Weg. Irgendwie spürte ich in ihm meine innerste Verbindung mit der Wissenschaft und der Wahrheitssuche. Mit geweihtem Feuer bester deutscher Geisteskultur wollte ich sie dem ewigen Herrgott anheimgeben, auf daß doch noch auch für unser leidendes und gequältes und doch so grundgutes, edles, braves und ehrlich tüchtiges Volk der Weg des Richtigen, Wahren und Menschlichen gewahrt werden möge. Alles, was da aus mir an Sehnsucht nach einem im Recht befriedeten und zukunftsgesicherten Reiche glühte, gab ich ihm mit auf seinen Werdegang.
(H. Frank, Im Angesicht des Galgens 1953), S. 175 f.
Da der Text Im Angesicht des Galgens erstmalig 1953 veröffentlicht wurde, kann man nicht ausschließen, dass der Text, den Hans Frank im Gefängnis verfasst hat, nach seinem Tod verändert worden ist. Wer immer Autor des soeben Zitierten gewesen sein mag, der rhetorischen Zweck ist jedenfalls klar: Die AfDR war – insbesondere in ihren Ausschüsse – das Ersatz-»Parlament«, das unter den Bedingungen des NS-Staates möglich war. Böse waren die Reichsministerien. Die Professoren, die als Mitglieder der AfDR wirkten, waren als Ersatz-»Parlamentarier« jedenfalls nicht böse. Hans Frank spricht nicht von Ersatz-»Parlamentariern«. Er verwendet stattdessen die tradierte Rangbezeichnung der deutschen Feudalmonarchie vor der Weimarer Republik und vor dem »Dritten Reich«: Wilhelm Kisch war nach 1933 (wieder) »Geheimrat«.
Wer von dieser Darstellungsstrategie 1953 grundsätzlich profitierte, bedarf keiner Erklärung: Die Mitglieder der Akademie für Deutsches Recht, die noch lebten, profitierten von ihr. Wer mag, findet die Mitgliederliste, die im ersten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht im Sommer 1934 veröffentlicht worden ist, im Quellenbereich meiner Internetseite: Quellenverzeichnis / Quelle 1[35]. Zusätzlich kann man sich in der deutschen Wikipedia die Kategorie „Mitglied der Akademie für Deutsches Recht“[36] ansehen. Durch Nutzung der Wikipedia-Kategorie findet man schneller ergänzende Informationen zu den Personen. Zumindest die Geburtsdaten und ‑orte und die Angaben zu Texten, die diese Personen veröffentlicht haben, sind in den allermeisten Fällen zuverlässig.
Obwohl das, was ich vorhin zitiert habe, Teil der systematischen und umfassenden Geschichtsverfälschung nach 1945 ist, habe ich mit ihm begonnen, weil es bereits zwei von nur zwölf Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie ins Spiel bringt: Hans Frank und Wilhelm Kisch als Gründer der AfDR.
Den Ausschuss für Rechtsphilosophie wird im gesamten Text Im Angesicht des Galgens übrigens nicht einmal erwähnt. Ebenso wenig wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie in Hans Franks Diensttagebuch als Generalgouverneur (1939-1945) erwähnt, das 1975 vollständig veröffentlicht worden ist.[37] Bereits 1963 hat Stanisław Piotrowski[38], der ständige Vertreter Polens im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher[39], Auszüge aus dem Diensttagebuch veröffentlich: (S. Piotrowski 1963). Dasselbe gilt auch für die Tagebücher Alfred Rosenbergs, die vollständig erstmalig 2015 veröffentlicht worden sind.[40]
1.1. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie in den monographischen Darstellungen über Hans Frank
1.1.1. Martyn Housden: „Hans Frank. Lebensraum and the Holocaust“ (2002)
2003 erschien eine Monographie von Martyn Housden mit dem Titel Hans Frank. Lebensraum and the Holocaust. In ihr wird drei Mal ohne Angabe eines Belegs erwähnt, dass Hans Frank Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.[41] Die dritte Erwähnung erläutert die bloße Mitteilung der Tatsache ein wenig. Ich zitiere zunächst Housdens Charakterisierung von Hans Franks »Weltanschauung«. Das, was ich durch Fettdruck hervorhebe, kann ich als sachlich richtig bestätigen:
How should we interpret Hans Frank’s ideology? It is easy to be dismissive. Given his lack of direct impact on the actual formulation of policy between │ S. 65 1933 and 1939, Joachim Fest says the content of his speeches was less important than their style. They were characterised by ‚a bombastic vocabulary‘ and an ‚intoxicated grandiloquence‘. His function was as ‚an ideological weapon for facilitating the breakthrough of totalitarian concepts into wide areas of the legal profession.‘83 When Frank’s ideas are located in the context of a modern industrial society, they become more bizarre than ever.84 It is tempting to see him as a lightweight propagandist for semi-educated chattering classes: people who flattered themselves with the syntax of education but who evaded critical thinking. Hans Frank’s politics was neither good nor right. It was not even original. He was only one among many who reacted against Roman Law and Germany’s legal positivism after 1900.85 The nearest he came to novelty was in the application of racism to legal problems. By and large, his pronouncements were ‚vague‘, ‚flamboyant‘ and ‚more befitting the prophet or the stump orator than the legislator or the lawyer‘.86 Factually what he said was questionable. Even if we leave to one side his racial conception of Mankind, it was actually very hard to identify those elements of the German system which were Roman and those which were Germanic.87
83. Fest, The Face of the Third Reich, pp. 321-3.
84. Anderbrügge, Völkisches Rechtsdenken, p. 175.
85. K. Löwenstein, ‚Law in the Third Reich‘, Yale Law Review 45 (1936), p. 783.
86. ibid., pp. 784-5.
87. ibid., pp. 781-2.
(Housden 2003), S. 64 f.
Nun zitiere ich dritte Stelle, an der Housden den Ausschuss für Rechtsphilosophie erwähnt:
When all is said and done, in his heart, Frank considered himself an intellectual. He had achieved a doctorate, had been proud of his link to Munich’s Technical High School, set up the Academy for German Law and chose to head its committee on legal philosophy[42]. He took intellectual affairs in deadly earnest. Under the circumstances, it cannot be maintained that he tried to pedal a batch of ideas which he considered simply meaningless slogans. Such an undertaking would have clashed too starkly with his pretentious self-image. If his material was poorly formulated, it was because he was unable to do any better.
(Housden 2003), S. 66
Das, was folgt, ist politisch naiv, glaube ich:
This deficiency has to be understood in the context of systemic flaws in the legal education of the time. Then, legal tuition focused disproportionately on practical matters: the validity of │ S. 67 statutes and proper legal methods.92 Relatively little space was allotted to the philosophy of law and the possibility of a rational ethics. If Frank’s ideas spoke of precious little sophistication, it was because he had not been trained to do better. Presumably those very many lawyers who fell in behind Frank’s leadership of the legal estate were ill-prepared to do better themselves. There is little sign that Frank’s audiences found his words as absurd as they seem to educated readers today.
92 H. Weinkauf [gemeint: Hermann Weinkauff; mw], Die deutsche Justiz und Nationalsozialismus. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1968, p. 20
(Housden 2003), S. 66 f.
Folgender Behauptung von Housden, mit der er sein Buch beginnt, kann ich wieder zustimmen:
Preface
The whole point of Hitler’s politics was to occupy Lebensraum in Eastern Europe and get rid of the continent’s Jewry. […]
(Housden 2003), Vorwort, S. viii
Es wird sich zeigen, dass viele akademische Nationalsozialisten genau dasselbe wie Hitler wollten.
1.1.2. Dieter Schenk: „Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur“ (2006)
2006 erschien eine weitere Monographie über Hans Frank. Ihr Titel lautet Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur. Dieter Schenk hat sie verfasst.[43] Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird nicht ein einziges Mal erwähnt. Von den Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Jahre 1941 bis 1943 werden Carl Schmitt und Alfred Rosenberg mehrfach erwähnt, aber nicht in ihrer Eigenschaft als Mitglieder dieses Ausschusses. Darüber hinaus wird ein Verwandter von Max Mikorey kurz erwähnt. Diese Erwähnung zitiere ich:
Frank war ein Mensch, dessen übersteigertes Selbstwertgefühl mit Hang zur Arroganz von einem zum anderen Tag in das Gegenteil umschlagen konnte. Die Ämterhäufung stellte eine Krücke dar, die er zum aufrechten Gang brauchte. Hinzu kam, dass alle NS-Protagonisten von der Gunst Hitlers abhängig waren, um die sie buhlten. Auf diesem Hintergrund entwickelte Frank immer wieder Ideen, um seine Bedeutung zu unterstreichen. Dazu passt eine Bronzebüste, die er eigens herstellen und im »Haus der deutschen Juristen« in Berlin aufstellten ließ. Die Zeitung »Münchener Neueste Nachrichten« lobte den Bildhauer Franz Mikorey für die Abbildung der »charakteristischen physiognomischen Züge und den Charakter des Kopfes«. Der schräg abgeschnittene Hals sieht wie guillotiniert aus, aber darauf ist wohl Ende 1933 niemand gekommen.
(Schenk 2006), S. 102
Der Bildhauer Franz Mikorey (1907-1986) war der jüngere Bruder des Psychiaters Max Mikorey[44], der noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Dass weder der Ausschuss für Rechtsphilosophie noch seine Mitglieder in Dieter Schenks gelungenem Buch über den Generalgouverneur Hans Frank eine Rolle spielten, hängt vermutlich daran, dass Schenk glaubt, dass Hans Frank tatsächlich in den Jahren vor seiner Tätigkeit als Generalgouverneur bereits weitgehend entmachtet worden ist. Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass der Anschein einer Entmachtung Hans Franks zu Gunsten der Reichsministerien und der Parteikanzlei frühzeitig von den Beteiligten selbst erweckt wurde, um bestimmte strategische Ziele des akademischen Nationalsozialismus besser erreichen zu können: »Getrennt marschieren, gemeinsam zuschlagen!« ist ja weder eine unbekannte noch eine selten praktizierte Strategie.
Unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob Hans Frank tatsächlich lange vor 1942 oder überhaupt jemals entmachtet worden ist oder nicht, bietet Dieter Schenks Darstellung der AfDR bis zum Wechsel in deren Präsidentschaft im August 1942 von Hans Frank zu Otto Thierack (1889-1946) einen gelungenen Einstieg.
Ich zitiere auszugsweise und kommentiere:
Ursprünglich hatte Frank die »Akademie für Deutsches Recht« auf dem Leipziger Juristentag 1933 als Körperschaft des öffentlichen Rechts aus der Taufe gehoben und so organisiert, dass er alleinverantwortlicher Präsident war, sekundiert durch einen hochkarätig besetzten »Führerrat« (später Präsidium genannt). Träger der Akademiearbeit waren Abteilungen, denen 24 Fachausschüsse unterstanden. Vorsitzender des »Führerrats« wurde Hanns Kerrl, sein Vertreter Roland Freisler. Dem »Führerrat« gehörten ferner u. a. an: Franz Gürtner (Reichsjustizminister), Otto Thierack (sächsischer Justizminister), Franz Schlegelberger (Staatssekretär im RJM), der Staats- und Völkerrechtler Carl Schmitt und der Geschäftsführer des BNSDJ Wilhelm Heuber. Geschäftsführer der Akademie wurde Karl Lasch, enger Freund des Ehepaares Frank. Roland Freisler erhielt als Abteilungsleiter und Ausschussvorsitzender die Zuständigkeit für den Bereich Strafrecht, Carl Schmitt für Staats- und Verwaltungsrecht. Ministerialrat Dr. Werner Best, der 1939 die mörderischen Einsatzgruppen des Reichssicherheitshauptamtes organisieren wird, wurde Vorsitzender des Ausschusses für Polizeirecht. Sinnigerweise hatte Frank als Aufsichtsorgan das bayerische Justizministerium bestimmt, so dass er sich selbst beaufsichtigte. Politprominenz wurde zu Mitgliedern der Akademie ernannt, von Hermann │ S. 119 Göring und Joseph Goebbels über Wilhelm Frick (Reichsinnenminister), Walter Darré (Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft) und Robert Ley (Leiter Deutsche Arbeitsfront) bis zu Rudolf Heß und Alfred Rosenberg (Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP).
(Schenk 2006), S. 118-119
Da der Ausschuss für Polizeirecht erst 1936 gegründet worden ist, wie Schenk weiß, ist es ungünstig ihn bereits im Zusammenhang der Prominenz des Jahres 1933 zu nennen. Dass Alfred Rosenberg auch Mitglied eines Ausschusses der AfDR, nämlich des Ausschusses für Rechtsphilosophie bis in den Zeitraum 1941 bis 1943 gewesen ist, weiß Schenk nicht.
Pervertierung des Rechts und Franks Größenwahn
Franks wichtigste Bühne bildete die von ihm gegründete »Akademie für Deutsches Recht«. Es ist müßig, die Kompetenzen und ihre Überschneidungen von »Akademie«, »Reichsrechtsamt der NSDAP« und dem »Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund« näher zu untersuchen, wie sie ein gemeinsames Rundschreiben dieser Organisationen abgegrenzt oder in zeitgenössischer Literatur beschrieben wird. Die Größe des gesamten aufgeblähten Apparats stand im Widerspruch zu seiner Effizienz, diente Franks Selbstbestätigung und seinem fast suchtartigen Drang, sich an die Spitze von Institutionen zu setzen.
(Schenk 2006), S. 117
Da es dem „gesamten aufgeblähten Apparat“ akademischer Nationalsozialisten gelang, bis Ende des Jahres 1938 das Gesetzgebungswerk abzuschließen, durch das »die deutsche Wirtschaft« »entjudet« wurde (Abschnitt 10.1.), schätze ich die Effizienz ganz anders ein als Schenk.
Hätte Schenk gewusst und berücksichtigt, dass Hans Frank Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist und dass dieser Ausschuss seit Mai 1934 auch die Strategie-Abteilung der Gleichschaltung aller juristischen Vereinigungen gewesen ist (Unterabschnitt 7.9.2.), hätte er vermutlich erwogen, dass die Ämterhäufung primär nicht Ausdruck einer Charakterschwäche eines einzelnen, prominenten Nationalsozialisten gewesen ist, sondern ein taugliches Mittel zum Erreichen des strategischen Ziels der Gleichschaltung aller rechtswissenschaftlichen Organisationen.
Über die Tonlage eines Teils von Texten, die unter Hans Franks Namen veröffentlicht wurden, bietet folgender Absatz einen gelungen ersten Eindruck:
Seine Prestigeverluste versuchte Frank dadurch wettzumachen, dass er sich in seinen Medien Gehör verschuf. Er dominierte und präjudizierte die juristische Fachliteratur. Kein Anlass im Staat – vom »Führer-Geburtstag« über »Reichsrechtstag« bis zum Jahreswechsel – ohne sein Grußwort. Die Texte wirken immer aufdringlich, pompös, schwülstig und enden mit einer Huldigung Hitlers als »des deutschen Volkes erster Rechtswahrer«. Von »Schicksalswucht«, »Thing des Rechts«, dem »tiefsten Born eines Volksschicksals«, dem »Erz des eisernen Herzens« und der »ewigen Idee der germanischen Rechtsgesinnung« ist die Rede, gigantisch, welthistorisch und gewaltig sind die »Elemente«, die Frank bewegen. Seine Übertreibungen erzeugen Widerwillen und emotionale Ablehnung – wahrscheinlich sogar bei seinen Zeitgenossen.
(Schenk 2006), S. 124
Es gibt aber auch andere Texte, die unter Hans Franks Namen veröffentlicht worden sind, die eine juristische und rechtsphilosophische Expertise zum Ausdruck bringen, die seine Standesgenossen wahrscheinlich beeindruckt haben.
Der folgende Absatz bietet einen gelungenen ersten Überblick über die Autoren in zwei Zeitschriften, die unter Hans Franks Namen herausgegeben wurden:
Im »Deutschen Recht« [„Zentralorgan des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ); mw] und der »Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht« bot er schlimmsten Mordgesellen des Regimes ein Forum. Hier verbreiteten sich Reinhard Heydrich über »Die Bekämpfung des Staatsfeindes«, Kurt Daluege (Führer der Ordnungspolizei) über »Der nationalsozialistische Kampf gegen das Verbrechertum« oder Werner Best über »Die Geheime Staatspolizei«. Roland Freisler kam │ S. 125 ebenso zu Wort wie auch Carl Schmitt und natürlich Franks engste Mitarbeiter Dr. Lasch, Dr. Fischer, Dr. Heuber. Namhafte Autoren, die das Nazi-Unrecht in allen Facetten beleuchteten, lesen sich wie ein Who’s who berühmter Juristen der deutschen Nachkriegszeit«, in der diese Professoren erneut eine Meinungsführerschaft übernahmen, so zum Beispiel: Edmund Mezger (Juristische Kurzlehrbücher), Otto Palandt (Kommentar des Bürgerlichen Gesetzbuches), Theodor Maunz (Grundgesetz-Kommentar Maunz-Dürig-Herzog) und Georg Stadtmüller (Direktor Osteuropa-Institut München).
(Schenk 2006), S. 124 f.
Einen ersten, gelungenen Eindruck von den engen Kontakten der AfDR zur deutschen Wirtschaft, die noch im Zweiten Weltkrieg bestanden, gibt folgender Druckabsatz Dieter Schenks:
Ein Beispiel für die enge Verzahnung der Wirtschaft mit dem Nationalsozialismus ist Franks »Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht«, in der folgende Firmen Werbeanzeigen schalteten (7. Jahrgang 1940, in der Reihenfolge der erschienenen Hefte): Reemtsma-Zigaretten, Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke, Siemens, Hoesch AG, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Knorr-Bremsen-AG, Commerz-Bank, Dresdner Bank, Mauser-Waffen, Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt, Krupp AG, Hanomag Fahrzeuge, Nürnberger Lebensversicherung, Beck’sche Verlagsbuchhandlung, Verlag Julius Springer, Hannoversche Lebensversicherung, Mannesmann Röhren-Werke, Mercedes Benz, Autounion AG, Victoria Versicherung, Bayerische Vereinsbank, Deutsche Bank, Allianz- u. Stuttgarter Versicherung, Bayerische Hypotheken- u. Wechselbank, Fichtel u. Sachs AG, Münchner Rückversicherung, Robert Bosch GmbH, Klöckner-Humboldt-Deutz, Verlag Walter de Gruyter, Adler-Werke, Schering Berlin, I. G.-Farben, BMW, Agrippina-Versicherung, Württembergische Feuerversicherung, Volksfürsorge Versicherung, Wintershall AG, Iduna Versicherung, AEG, Stollwerk Schokolade.
(Schenk 2006), S. 126
Im zweiten Teil seines Buches, das sich mit dem Generalgouverneur Hans Frank befasst, bezieht sich Dieter Schenk nur noch einmal auf die AfDR. Im August 1942 wurde Otto Thierack Nachfolger von Hans Frank in dessen Eigenschaf als Präsident der AfDR. Schenk erläutert den Vorgang so, wie er üblicherweise erläutert wird:
Wie dem auch sei, es handelte sich um eine unrealistische Lagebeurteilung, denn schwere Wolken zogen sich über Frank zusammen. Bereits die erste Rede [Hans Franks an einer westdeutschen Universität über den »Rechtsstaat«; mw] alarmierte Heinrich Himmler, der darüber am 27. Juni mit Bormann telefonierte. Dass dieser wiederum Lammers konsultierte, ist nicht belegt, aber liegt nahe. Zur »Kamarilla« gesellte sich dann auch noch der Propagandaminister. Goebbels notierte am 31. Juli 1942:
»Generalgouverneur Frank hat in Heidelberg eine Rede über Justizpflege gehalten. Sie enthält ungefähr den entgegengesetzten Standpunkt von dem, was ich vor den Mitgliedern des Volksgerichtshofs ausgeführt habe. Er fordert die Unabhängigkeit der Richter, er nimmt die Justizpflege gegen jeden Angriff in Schutz, er sieht im Rechtsschutz überhaupt die letzte Hilfe für das Volk, das sonst schutzlos, wie hier durch die Blume gesagt wird, der Partei preisgegeben sei, und ähnliches. Diese Rede ist alles andere als erfreulich. Ich werde sie im Wortlaut dem Führer vorlegen, damit er geeignete Maßnahmen dagegen ergreifen kann.«
Hitler reagierte prompt und hart. Er ließ Frank durch Lammers auffordern, seine Parteiämter niederzulegen: als Führer des NS-Rechtswahrerbundes, als Präsident der Akademie für Deutsches Recht und als Leiter des Rechtsamtes der NSDAP. Zugleich verhängte Hitler über Frank ein absolutes Redeverbot im Reich. Reden im Generalgouvernement waren auf das Aufgabengebiet des Generalgouverneurs zu beschränken. Er blieb jedoch Generalgouverneur und auch Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Frank befolgte Hitlers Weisung am 2. August 1942 und notierte aufmüpfig in seinen Kalender: »Es lebe das Recht.«
Niklas Frank erfuhr aus den Aufzeichnungen der Mutter, dass sein Vater glückstrahlend mit seinem Mercedes am Schoberhof vorfuhr und ihr wie ein Junge entgegenlief: »Brigitte, Hitler hat mir das Generalgouvernement gelassen!«
[…] │ S. 272 […]
Hitler nahm Franks Degradierung zum Anlass für ein Revirement im Bereich der Justiz. Er versetzte Staatssekretär Schlegelberger mit einer Dotation in Höhe von 100.000 RM in den Ruhestand, ernannte am 20. August [1942; mw] den von Frank verachteten Otto Thierack zum Reichsjustizminister, Reichsführer des Rechtswahrerbundes und Präsidenten der Akademie für Deutsches Recht. Roland Freisler, den Hitler eher kritisch sah, wurde am 23. August [1942; mw] als Nachfolger Thieracks Präsident des Volksgerichtshofes. Das Reichsrechtsamt der Partei wurde aufgelöst. Frank nahm Thierack besonders übel, dass er Vertreter der Polizei in Strafverfahren als Anklagevertreter zugelassen hatte. Frank notierte: »Thierack: Rechts-Ende.«
Angeblich war die Berufung von Thierack für Frank der Anlass, am 24. August 1942 Hitler seinen Rücktritt anzubieten, was Hitler – wiederum durch eine Nachricht Lammers’ – am 31. August ablehnte. Ein achtzehnseitiger Rechenschaftsbericht – Franks »Kampf ums Recht« – wurde als Anlage dem Diensttagebuch beigefügt. Ob es dabei blieb oder der Bericht an Hitler adressiert worden ist, ist unklar. Es handelte sich um eine wortreiche Mischung aus Kühnheit, Selbstkasteiung, Sentimentalität und konfusem Idealismus, ein außerordentlich bezeichnendes Porträt seines Charakters (Joachim C. Fest).
(Schenk 2006), S. 271 f.
Mich überzeugt die Darstellung nicht, dass Hans Frank im August 1942 degradiert worden sei. Wer degradiert wird, ist nach der Degradierung weniger mächtig als vor der Degradierung. Ich sehe nicht, dass das der Fall gewesen ist. Hans Frank wäre degradiert worden, hätte Hitler ihm das Amt des Generalgouverneurs oder das Amt des Reichsministers entzogen. Beides hat er nicht getan. Und da Hans Frank bereits am 1. Oktober 1939 als frisch gebackener Autokrat des Generalgouvernements sein Amt als Präsident der AfDR durch öffentliche Bekanntmachung an Carl August Emge, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschuss für Rechtsphilosophie, übertragen hatte (siehe meinen Unterabschnitt 8.3.2.), bewirkte der Wechsel von Frank zu Thierack im Amt des Präsidenten der AfDR im August 1942 keinen realen Macht-, sondern höchstens einen Prestigeverlust. Auch das Redeverbot im Reich war kein relevanter Machtverlust. Die Macht, die Hans Frank auch nach dem August 1942 für die fortdauernde Vernichtung von Menschen brauchte, erforderte keine Redeerlaubnis an irgendwelchen Reichsuniversitäten. Vielmehr gilt umgekehrt: Die Veränderungen im August 1942 bewirkten eine Chancenerhöhung auf Machterhalt für die Zeit nach Erreichen der Endziele des Vernichtens des akademischen Nationalsozialismus: Was hätten »die Deutschen« nach »dem Endsieg« schon über die Massenmorde im Osten, aber auch im Westen erfahren? War nicht Hans Frank der Jurist, der zu Gunsten liberaler Abwehrrechte für Deutsche gegen das Willkürrichterrecht am Volksgerichtshof eingetreten ist? Und ist er nicht deswegen von Hitler angegriffen worden?
Ein letztes Mal bezieht sich Dieter Schenk auf die AfDR im Zuge der Wiedergabe der Anklageschrift gegen Hans Frank im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher:
Am 18. Oktober 1945, also nur rund fünf Monate nach Kriegsende, wurde den Angeklagten die Anklageschrift überreicht. Es gab vier Hauptpunkte: │ S. 381
- Gemeinsamer Plan oder Verschwörung,
- Verbrechen gegen den Frieden,
- Kriegsverbrechen,
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Die Anklageschrift war allgemein gehalten und lautete gegen Frank wie folgt:
»Der Angeklagte Frank war in der Zeit von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, General der SS, Reichminister ohne Geschäftsbereich, Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz, Präsident der Internationalen Rechtskammer und der Akademie für Deutsches Recht, Chef der Zivilverwaltung von Lodz, Oberster Verwaltungschef der Militärbezirke von Westpreußen, Posen, Lodz und Krakau und Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete. Der Angeklagte Frank benutzte die vorerwähnten Stellungen, seinen persönlichen Einfluss und seine enge Beziehung zum Führer dazu: Die Machtergreifung der Nazi-Verschwörer und die Befestigung ihrer Kontrolle über Deutschland zu fördern, angeführt in Anklagepunkt Eins; er genehmigte und leitete die in Anklagepunkt Drei genannten Kriegsverbrechen und die in Anklagepunkt Vier erwähnten Verbrechen gegen die Humanität bei der Verwaltung besetzter Gebiete und nahm an ihnen teil.«
Falsch war die Feststellung, Frank wäre General der SS gewesen, vielmehr war er SA-Obergruppenführer, ein Rang, der dem eines Generals entspricht.
(Schenk 2006), S. 380 f.
Der Gerichtshof erkannte Hans Frank bezüglich des Anklagepunkts Eins für „nicht schuldig“:
Am 1. Oktober 1946 wurde in der Vormittagssitzung der Urteilstenor, aber nicht das Strafmaß, verlesen. Die Gründe, Hans Frank schuldig zu sprechen, trug US-Richter Francis Biddle vor, der Kernsatz lautete:
»Aber es ist ebenso wahr, dass Frank ein williger und wissender Mitwirkender sowohl bei der Anwendung von Terror in Polen war, wie bei der wirtschaftlichen Ausbeutung Polens auf eine Art und Weise, die zum Hungertod einer großen Anzahl Menschen führte; ferner bei der Deportation von mehr als einer Million Polen als Sklavenarbeiter nach Deutschland und in Ausführung │ S. 398 eines Programms, das den Mord von mindestens drei Millionen Juden zur Folge hatte. Schlussfolgerung: Der Gerichtshof erkennt, dass Frank nach Punkt 1 der Anklageschrift nicht schuldig, dagegen nach Punkt 3 und 4 schuldig ist.«
Mit Sicherheit hätte man Franks Tatbeteiligung in diesen essenziellen Punkten auch ohne seinen im Diensttagebuch dokumentierten verbalen Radikalismus nachweisen können. Insoweit war das Tagebuch zwar prozessökonomisch von Bedeutung, hätte aber nicht ausschlaggebend für die Bestrafung sein müssen.
(Schenk 2006), S. 397 f.
1.1.3. Niklas Frank: „Der Vater. Eine Abrechnung“ (1987)
In dieser emotionalen Abrechnung des Sohnes von Hans Frank, Niklas Frank, der erst 1939 geboren worden ist, wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht erwähnt. Die Akademie für Deutsches Recht wird mehrfach erwähnt. Ich zitiere diejenigen Erwähnungen, die Informationen aus der Familienperspektive zugänglich machen:
Deine geliebten Richter und Staatsanwälte zum Beispiel, die haben sich nach dem Krieg umgehend ihren Persilschein ausgestellt, haben in Deinem Geiste nur mit dem Vor-Satz »demokratisch« weitergerichtet. So gesehen kannst Du zufrieden sein: Dein Rechtswahrerbund, Dein Bund nationalsozialistischer Juristen, Deine Akademie für Deutsches Recht haben Dich überlebt, die Blutordensträger des deutschen Rechts trugen Deine Gedanken hinein in den Nachfolgerstaat, bei manchem Urteil blitzen sie auf, dann weiß ich, daß Du wieder unter ihnen weilst, Du Supertyp aus der Nullserie des pompgeilen Mitläufers. Ich treffe Dich immer häufiger.
Mutter saß nach dem Krieg gerne mit dem Mitgliederverzeichnis Deiner Akademie für Deutsches Recht [siehe Quellenverzeichnis / Quelle 1; mw] auf dem Schoß und machte sich ein hämisches Vergnügen, Namen, auf die sie durch mächtige Todesanzeigen in Tageszeitungen oder durch Meldungen von Berufungen in hohe und höchste Richter- und Staatsämter stieß, anzukreuzen. In Mutters Verzeichnissen las sich so ein vaterländischer Lebenslauf ganz anders als jetzt in Zeiten der Bundesrepublik, auch kannte sie manchen persönlich: »Der konnte gar nicht tief genug seine Verbeugung machen!«
(N. Frank 1987), S. 17
Dass Niklas Frank trotz dieser von ihm erkannten Wirkmacht der Mitglieder der Akademie für Deutsches Recht in der BRD, die AfDR an einer anderen Textstelle als „völlig unbedeutende Spielerei“ abtut, kann ich nicht nachvollziehen.
Du, stolz wie ein Gockel, paradierst nochmal auf und ab vor Dir in jener Nacht dieses Tagebuch-Tages: »Seit 1919 bin ich in der Bewegung und schälte mich immer mehr. Vom Studenten zum SA-Mann, dann Referendar, Rechtsanwalt, Assistent am juristischen Seminar der Technischen Hochschule München, 1930: Reichsleiter, 1933 März Bayerischer Justizminister. Juni 1933 Präsident der Akademie für Deutsches Recht, die ich da gegründet hatte. 1933 Reichsjustizkommissar. 1927 Reichsführer der Juristen. 1934 Dezember Reichsminister … So lebe und wirke ich …«
Merkst Du wenigstens jetzt, wie aufgeblasen das klingt? Warum schreibst Du nicht, es ist Dein privates Tagebuch, daß Du Bayerischer Justizminister nur bis zum Ende der Gleichschaltung der Justiz im Reich bliebst, also bis 31. Dezember 1934, und daß man Dir, zum Dank für Deine Anwaltstätigkeit in Eurer »Kampfzeit« als Pfründe den Reichsministerjob gab, vergiß nicht: ohne Portefeuille. Auch Reichsjustizkommissar warst Du ja nur so lange, bis │ S. 39 die Länderjustiz aufgehört hatte zu existieren, und eine völlig unbedeutende Spielerei war diese unsinnige Akademie für Deutsches Recht. So lebtest Du zwar, aber zu wirken hattest Du nichts.
(N. Frank 1987), S. 38 f.
Auch übersieht Niklas Frank, dass die AfDR das fehlende „Portefeuille“ des Reichsministers Hans Franks mehr als kompensiert hat. Genauso falsch liegt Niklas Frank mit seinem Spott, dass Hans Frank nur bis zur erfolgreichen Gleichschaltung der Länder Bayerischer Justizminister gewesen sei. Diese Gleichschaltung war die Aufgabe Hans Franks. Er hat sie erfolgreich erledigt. Danach stieg er auf. Zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Als Reichsminister war er an der Rechtssetzung des Dritten Reiches unmittelbar beteiligt. Das Hauptmedium der Verwirklichung des nationalsozialistischen Programms war und blieb das Rechtsmedium. Als Präsident der AfDR hatte er Zugang zu zahlreichen Experten fürs Rechtsmedium.
Niklas Frank stellt die Vorgänge vom Sommer 1942 folgendermaßen dar:
Die in Berlin haben Deine Rechts-Reden wohl zu ernst genommen, hatten Dich falsch verstanden, hätten sie Deine Lemberger │ S. 175 Rede gehört, wäre es natürlich nicht zu dem gekommen, was Du jetzt plötzlich lesen mußtest. Schreibt der Hitler doch glatt, die falsche Sau: »Reichsminister Dr. Frank hat, um sich intensivst seinen Aufgaben als Generalgouverneur widmen zu können, mich gebeten, seine Parteiämter niederlegen zu dürfen. Ich habe diesem Wunsche entsprochen. Zum Leiter des NS-Rechtswahrerbundes ernenne ich Dr. Georg Thierack.«
Fuchsteufelswild muß Dich das gemacht haben. Und die Akademie für Deutsches Recht hat er auch dem Thierack gegeben. Wie solltest Du denn jetzt von Dir in Deinen Reden sprechen, das war doch vordem so schön zu sagen: »Ich, als Reichsminister, Generalgouverneur, Führer der Nationalsozialistischen Rechtswahrer, Präsident der Akademie für Deutsches Recht…« Jetzt hat Dir der Hitler glatt die Redezeit verkürzt.
Ängstlich mußt Du gewartet haben, aber von der Wegnahme des GG [Generalgouvernements; mw], des Salonwagens, kam vorerst nichts mehr über den Ticker, auch waren Hitler momentan Deine Weibergeschichten offensichtlich gänzlich schnuppe. Dennoch hat es Dich gewurmt, also schriebst Du Bormann, daß Du nie um die Rücknahme der Parteiämter gebeten hättest, und dann schriebst Du noch etwas: Dein Rücktrittsgesuch. Wenn nur noch die halbe Menge Titel, dann lieber gar keinen mehr. Das muß auch dem Hitler Kummer gemacht haben, denn er hat Dir gleich ein Redeverbot fürs Reich aufgebrummt, nur noch als GG im GG durftest Du quakeln. Jedenfalls machtest Du den theatralischen Maxe, setztest Dich in Kressendorf hin und formuliertest auf Deine schwammige Weise ein Schreiben für die Nachwelt, handschriftlich signiert: Dein politisches Testament, das mit dem schon mal gleich alles entwertenden Satz anfängt: »Ich habe im Zusammenhang mit der Entwicklung der letzten Wochen dem Führer durch ein Schreiben an Reichsminister Lammers meinen Rücktritt als Generalgouverneur erklärt, da sein Vertrauen und seine Zustimmung zu meinem Werke mir entzogen sind.« Nach diesem Vorspann sonderst Du in teilweise weitschweifiger Unverständlichkeit überraschende Wahrheiten ab (für damalige Verhältnisse): »Die Ausweitung des willkürlichster (Vater, laß die Superlative) Anwendung ausgelieferten Vollmachtsbereiches der polizeilichen Exekutivorgane hat zur Zeit ein solches Maß erreicht, daß man von einer völligen Rechtlosmachung des einzelnen Volksgenossen sprechen kann. Wenn es so wie heute möglich │ S. 176 ist, daß jeder Volksgenosse ohne jede Verteidigungsmöglichkeit auf jede Zeitdauer in ein Konzentrationslager gebracht werden kann, wenn es so ist, daß jede Sicherstellung von Leben, Freiheit, Ehre, anständig erworbenem Vermögen usw. entfällt, dann entfällt damit nach meiner festen Überzeugung auch die ethische Beziehung zwischen Staatsführung und Volksgenossen völlig.«
Es folgen ein paar Binsenweisheiten über den Rechtsstaat, Du hast Dich groß rausgestrichen mit Deiner Arbeit als GG, und, wieder in Verbindung mit Deinen unseligen Superlativen: »Das Generalgouvernement ist heute das klarstgeführte und sicherst verwaltete Gebiet, aus dem Deutschen Reich in seinen schweren Kriegsaufgaben eine unabsehbare Hilfe erwuchs und erwächst.«
(N. Frank 1987), S. 174-176
Der Kontrast zwischen den Reden Hans Franks zu Gunsten von liberalen Rechtsstaatsprinzipien und seiner Lemberger Rede ist für einen Rassisten problemlos vereinbar. Hans Frank war ein Rassist. Ein Rassist kann für die Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze im Fall der von ihm bevorzugten »Rasse« sein und zugleich für die rechtsstaatsfreie Vernichtung einer »Gegenrasse«. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie sollte jedenfalls eine nationalsozialistische Rechtsphilosophie um den primären »Substanzwert« der »deutsche Rasse« entwickeln (siehe meinen Abschnitt 4).
Soweit Niklas Franks Informationen zur AfDR. Von den Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Jahre 1941 bis 1943 erwähnt Niklas Frank nur Carl Schmitt. Er erwähnt ihn mehrfach, da Niklas Frank glaubte, dass neben Hans Frank auch Karl Lasch, der u.a. Direktor der AfDR war, oder Carl Schmitt sein Vater hätte gewesen sein können.
Zunächst Niklas Franks Erwägung zu Karl Lasch:
Vielleicht war ich wirklich »Fremdi«. Zehn Jahre alt hatte ich Verstand genug, um das Geraune Verwandter zu hören. Ich konnte wählen zwischen drei Vätern. Der eine warst Du, der zweite Karl Lasch, Dein Freund, Du nanntest ihn, den doppelten Dr., gern »mein blonder Strolch«, was nicht verwundert, wenn man gemeinsam den einen Doktortitel durch Fälschung erreichte. Du, der Präsident der Akademie für Deutsches Recht, er, Dein Direktor dortselbst, später holtest Du ihn nach Krakau, machtest ihn zum Gouverneur. Er, der schöne Lasch, der Traum von hohen Frauen, liebte auch sie, Deine Frau, meine Mutter.
Bin ich ein heimlich Kind der Laschenliebe?
[…] │ S. 14 […]
Lasch, das war Dein erster Mord, ich meine: unter Freunden. Schweigstille saßest Du auf Deiner Burg, als man Dir Deinen Gouverneur wegfing. Die, die ihn kannten, aber das kennt man ja von den Franks auch, wollten nicht gern mit befleckter Ehre leben, also ist bei denen die Mär zu Haus, daß mein Zweitvater sterben mußte, weil er in Polen so vielen Juden zum Leben verholfen habe, daß bei den Auschwitzer Gasöfenbetreibern offenbar Kurzarbeit angesagt war. Auf Himmlers Befehle sei er deshalb so überraschend ins Jenseits gekommen wie Du zu manch kostbarer Truhe. Himmler habe ihm eine Pistole in die Zelle legen lassen, und natürlich habe er, der Ehrenmann, sich selbst erschossen, vorn in die Stirn, die Stelle der Tapferen, wie sie von schwülstigen Schreibern genannt wird. War aber nicht so: Zweitvater hatte wohl keine Lust, sich selbst zu entleiben, also besorgten das zwei SS-ler, vermutlich in einem Gefängnis bei Breslau.
(N. Frank 1987), S. 13 f.
Nun die Bezugnahmen von Niklas Frank auf Carl Schmitt:
Ich hab ihn ebensowenig zu Machtzeiten kennengelernt wie Drittvater Carl Schmitt. Wußtest Du eigentlich von Mutters Verhältnis mit ihm? Ihr Chauffeur war stinksauer, weil er damals in Berlin stundenlang vor einem verschwiegenen Lokal warten mußte, woselbst im schönen Separee Mutter zugange war, mit ihm, dem großen Staatsrechtler, wie man sowas nennt hierzulande, obwohl er doch Hitlers Morde an Röhm und der SA 1934 rechtsphilosophisch absicherte.
Beim Lesen dieser Stelle hatte ich den Eindruck, dass Niklas Frank Kenntnis vom Ausschuss für Rechtsphilosophie und sogar von Carl Schmitts Mitgliedschaft in ihm hatte.
Er [Carl Schmitt; mw] lebte noch, als ich ihn tot wähnte, ich las es 1985 in der Zeitung, daß er erst jetzt gestorben sei, biblisch alt. Ich wollte die letzte Ehre geben meinem dritten Vater, fuhr hin nach Plettenberg, nachmittags sollte er unter die Erde, er wenigstens hatte nach dem Krieg nicht mehr lehren dürfen, doch war sichergestellt, daß seine Schüler in seinem Geiste den Geist ihrer Studenten dunkelten, ich ging morgens zum Friedhof, war allein, […].
(N. Frank 1987), S. 15
Also, jetzt fühle ich mich an meiner Kindesehre angegriffen. Hast Du mich nun gezeugt? Oder der Lasch, der Gauner? Oder der Schmitt, dieser gottgefällige Staatsrechtler? All Ihr Männer des Rechts habt mich wohl in einer gewaltigen Quadriole gezeugt. Was für ein Bild: Ihr drei mit Mutter im Ruheraum der Akademie für Deutsches Recht.
(N. Frank 1987), S. 188
Da Niklas Frank am 9. März 1939 geboren worden ist, hätte sich Carl Schmitt noch im Juni 1938 im engsten Umkreis der Familie Hans Franks befinden müssen, um Vater von Niklas Frank werden zu können. Da Carl Schmitt angeblich im Dezember 1936 durch die SS entmachtet worden ist, ist die Erwägung von Niklas Frank, ob Carl Schmitt sein Vater gewesen ist, nicht uninteressant. Da aber in der Forschung zu Carl Schmitt nicht bezweifelt wird, dass Carl Schmitt trotz seiner angeblichen Entmachtung durch die SS im Dezember 1936 weiter Kontakt zu Hans Frank und zur AfDR hatte, ist die Erwägung von Niklas Frank kein ausreichender Grund für eine Skepsis gegen die Meinung des Forschungsstandes, Carl Schmitt sei Ende 1936 entmachtet worden.
1.2. Wissensstand über Alfred Rosenberg und den Ausschuss für Rechtsphilosophie?
Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher gab es fünf Angeklagte in der Untergruppe „Verbrechen in den (ehemals) besetzten Gebieten (und insbesondere in Konzentrationslagern)“. Zwei der fünf so Angeklagten waren von 1934 bis mindestens 1943 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR: Hans Frank und Alfred Rosenberg. Während diese beiden Männer die Verbrechen begangen, für die sie zum Tod verurteilt wurden, waren neun Professoren und ein Oberarzt zusammen mit ihnen Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR.
Wer wurde zusammen mit Hans Frank und Alfred Rosenberg angeklagt? Hatten auch diese drei Personen mit der AfDR zu tun?
Wilhelm Frick war als »Reichsprotektor für Böhmen und Mähren“ (1943-1945) ebenfalls Mitglied dieser Gruppe von Angeklagten. Frick war Reichsinnenminister vom 30. Januar 1933 bis zum 20. August 1943. In dieser Eigenschaft führte er ab Juli 1934 zusammen mit dem Reichsminister der Justiz die Aufsicht über die AfDR (siehe meinen Unterabschnitt 1.4.2.). Ferner gehörte Frick zu den ersten Mitgliedern der AfDR (Nr. 7) (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 1).
Auch Konstantin von Neurath, der wegen seiner Eigenschaft als »Reichsprotektor für Böhmen und Mähren“ (bis 1943) ebenfalls zu dieser Gruppe von Angeklagten gehörte, gehörte zu den Gründungsmitgliedern der AfDR, wenn auch nicht zu den ersten 95 (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 1).
Nur der fünfte der fünf Angeklagten dieser Gruppe, der Österreicher Arthur von Seyß-Inquart, der vor allem in seiner Eigenschaft als »Reichkommissar in den Niederlanden« als Hauptkriegsverbrecher angeklagt wurde, gehörte nicht zu den Gründungsmitgliedern der AfDR. Laut Anderson (1982/87) war er seit 1938 Mitglied der AfDR (S. 566). Spätestens nach dem Wechsel in der Präsidentschaft der AfDR zu Otto Thierack im August 1942 war er Mitglied des Ehrensenats der AfDR. Das belegen zwei Blätter derselben Geschäftsführungsakte mit der Signatur R 61/29, in der ich auch die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie gefunden habe. Diese Mitgliederliste des Ehrensenats der AfDR sieht unter Wahrung der semiotischen Informationen so aus:
Abbildung 2: Ehrensenat der AfDR (1941-1943), BArch R61/29, Blatt 2 und 3 – von Miriam Wildenauer erstellte Projektion der semiotischen Informationen
Dass Heinrich Himmlers Name und Charakterisierung durchgestrichen sind, verdankt sich seinem Aufstieg ins Präsidium der AfDR, der auf Blatt 1 der Akte R 61/29 handschriftlich ergänzt worden ist. Dieses erste Blatt der Akte R 61/29 stelle ich ausführlich in Unterabschnitt 9.3.2 vor. Ansonsten möchte ich nur darauf aufmerksam machen, dass von den 5 Angeklagten der Gruppe „Verbrechen in den (ehemals) besetzten Gebieten (und insbesondere in Konzentrationslagern)“ nicht nur Artur Seyss-Inquart, sondern auch Alfred Rosenberg nach dem Wechsel zu Thierack Mitglied des Ehrensenats der AfDR gewesen sind.
1.2.1. Matthäus und Bajohr (Hg.): „Alfred Rosenberg. Die Tagebücher von 1934 bis 1944“ (2015)
2015 wurden die lange verschollenen Tagebücher Alfred Rosenbergs der Jahre von 1934 bis 1944 veröffentlicht. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird in ihnen nicht ein einziges Mal erwähnt. Nicht einmal die AfDR wird erwähnt. Die Herausgeber, Jürgen Matthäus und Frank Bajohr, beziehen sich gelegentlich in ihren Fußnoten auf die AfDR. Das geschieht immer dann, wenn sie in einer Fußnote biographische Informationen über Personen nachliefern, die Alfred Rosenberg in seinem Tagebuch erwähnt. Rosenberg bezieht sich zwar auf Hans Frank, aber nicht auf ihn als Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie oder als Präsidenten der AfDR. Seine Bezugnahmen sind so beiläufig[45], dass ich sie nicht zitiere. Kein einziges Mal erwähnt Alfred Rosenberg irgendein anderes Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
Im Personenverzeichnis gibt es zwei Einträge, die vermeintlich auf Bezugnahmen Rosenbergs auf Edgar Jung (1894-1934) verweisen. Einer der beiden Verweise ist falsch: Aus S. 345 bezieht sich Rosenberg nicht auf Edgar Jung. Die Bezugnahme ist aber auch keine auf Erich Jung (1866-1950). Ich zitiere die Bezugnahme auf einen Jung trotzdem mit ein wenig Kontext. Das verschafft einem einen Eindruck von den Tagebüchern Alfred Rosenbergs. Der Eintrag ist auf den 12. September 1940 datiert. Nachdem Rosenberg sich mit Planungen zur Besetzung Portugals und der Azoren befasst hat, empfängt er einen „Dr. Jung“ aus Bonn mit einem Koffer voller Forschungsmaterial über die Entwicklung des germanischen Hallenbaus. Ich habe bisher nicht geprüft, ob es sich um einen Verwandten von Prof. Erich Jung (1866-1950) handelt. Der „Dr. Jung“, den Rosenberg 1940 empfing, hatte jedenfalls zwei Kinder, war in Bonn tätig, vielleicht bei Hans Naumann, einem der 18 Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie (siehe meinen Abschnitt 3) und hatte eine Auseinandersetzung mit Hans Reinerth (1900-1990), der ab 1940 Leiter eines „Sonderstabs Vorgeschichte“ beim Einsatzstab des Reichsleiters Alfred Rosenberg gewesen ist.[46]
Am Nachmittag kommt Dr. Ziegler[47]: frisch aus Biarritz. Alles bereit: möglicherweise Einmarsch nach Portugal, Azoren. Vorbeugung gegen mögliche amerikanisch-britische Dummheiten. Ist gesund u. lebendig. Teile ihm näheres über Institutsarbeit mit, Rücksprache m. Himmler usw.
Dr. Jung hat einen Koffer m Forschungen über Entwicklung d. germ. Hallenbaues. Eine sehr eingehende Arbeit. Wusste gar nicht, dass J.[ung] schon so lange in m Sinn i Bonn [ohne Abkürzungen: so lange in meinem Sinn in Bonn; mw] tätig ist. Ich beruhige ihn: Haake komme bald zu mir, um die Auseinandersetzungen m. Reinerth zu liquidieren. – Stelle J. u. s. 2 Kindern ein besseren [sic] Gehalt in Aussicht. Es ist gut, sich die Mühe zu geben, alle Mitarbeiter persönlich zu sprechen.
(Rosenberg, Die Tagebücher von 1934 bis 1944, 2015), S. 345
Die letzte Bemerkung Rosenbergs ist vermutlich so zu verstehen, dass auch „Dr. Jung“ Mitarbeiter des „Sonderstabs Vorgeschichte“ gewesen ist.
1.2.2. Ernst Piper: „Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe“ (2015)
Ernst Piper erwähnt in seiner Monographie über Alfred Rosenberg weder den Ausschuss für Rechtsphilosophie noch die AfDR. Von den Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Jahre 1941 bis 1943 erwähnt Piper drei Mitglieder: Erich Rothacker, Martin Heidegger und Hans Frank.
Ernst Piper zitiert indirekt aus einem Text Erich Rothackers mit dem Titel „Geschichtsphilosophie“ im Kontext seiner Darstellung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (14. Juli 1933) und der Nürnberger Rassengesetze (15. September 1935):
Um das deutsche Volk rassisch wieder zur alten Höhe zurückzuführen, halfen, so der völkische Reformator Ernst Bergmann, »Abriegelung, Ausmerze und Auslese«, nicht gerade von der Idee der Nächstenliebe geprägte Begriffe. Tatsächlich war bei dem sozialdarwinistischen Rassismus nationalsozialistischer Prägung sowohl in der theoretischen Zielsetzung wie in der mörderischen Praxis der Übergang von der Exklusion zur Extermination fließend. Bald nach der »Machtergreifung« verabschiedeten die Nazis ein Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. »Erbkranke« konnten durch einen chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht werden. Zu den so genannten Erbkrankheiten zählten angeborener Schwachsinn, Schizophrenie und manisch-depressives Irresein, aber auch Taubheit, Blindheit, schwere körperliche Missbildungen und starker Alkoholismus oder Arbeitsscheu konnten dazugehören. Dieses Gesetz war ein erster praktischer Niederschlag zeitgenössischer Züchtungsutopien, wie sie die Bewegung der Rassenhygiene und Eugenik nicht nur in Deutschland hervorbrachte. Etwa 250.000 bis 300.000 Menschen wurden Opfer dieses Purifizierungswahns. Das Gesetz über den erbkranken Nachwuchs und die Nürnberger Gesetze, die die Eheschließung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen untersagten, waren zwei Maßnahmen, die einander ergänzen sollten. Sie entsprangen der Überzeugung, dass die Rassenfrage die »Kernfrage unseres Daseins« war. In einer Beilage zum Völkischen Beobachter vom 1. Mai 1930 wurden die beiden gesetzgeberischen │ S. 192 Maßnahmen, die zur »Aufartung« führen sollten, bereits angekündigt. Da war es zum einen notwendig, »den als ausgesprochene Schädlinge erkannten sozialen Elementen die Fähigkeit zur Fortpflanzung … zu nehmen«, zum anderen wurde eine gründliche Auslese vor der Eheschließung gefordert:
»Nur eine kerngesunde Frau von guten Rasseanlagen möge dem wertvollen deutschen Manne Mutter seiner Kinder sein.«
Besonderes Augenmerk war auf die junge Generation zu richten. Der Philosoph Erich Rothacker formulierte 1934:
»Ein rassisch befriedigender Bevölkerungsdurchschnitt ist in dem Rassengemisch einzelner deutscher Stämme erreichbar nur durch die energischste Unterstützung aller eugenischen Maßnahmen durch Formung und Zucht des im äußern und innern noch knetbaren jugendlichen Menschenmaterials im Geiste der rassisch besten Bestandteile einer Erbmasse.«214
214 Rothacker, Erich, Geschichtsphilosophie, München 1934, zit. Wulf, 1983 a, S. 294.[48]
Schon 1927 taten sich der Eugeniker Eugen Fischer und der Rasseforscher Günther zusammen und veranstalteten einen Wettbewerb, bei dem die 50 schönsten Köpfe preisgekrönt wurden. Sozialdarwinismus, Eugenik, Bevölkerungswissenschaft, Pangermanismus, Ariomanie, völkische Ideologie und ein rassistisch aufgeladenes teutonisches Sendungsbewusstsein verbanden sich im Nationalsozialismus zu einer Weltanschauung, die stetig an Dynamik und Radikalität gewann. Erbpflege, Rassenpflege, ein rassistisch legitimierter Imperialismus und schließlich der finale Kampf gegen das Judentum, die »Gegenrasse« schlechthin, markieren die wesentlichen Stationen dieser ideologischen Radikalisierung. »Juda ist die Weltpest«, hatte Hitler einst ausgerufen, »schärfste (n) Kampfmittel« waren gerechtfertigt, um die Reinigung des deutschen Volkskörpers zu ermöglichen.
(Piper 2015), S. 191-192
Der Text „Geschichtsphilosophie“ von Rothacker aus dem Jahr 1934, aus dem Ernst Piper indirekt zitiert, ist ein 150 Seiten langer Beitrag in einem „Handbuch der Philosophie“. Ich zitiere die Stelle, die Piper zitiert, nach dem Original unter Hinzunahme von etwas Kontext, da ich auf diese Weise durch vergleichsweise wenig Text wichtige Lehrmeinungen, die im Ausschusses für Rechtsphilosophie vertreten worden sind, durch eine Primärquelle öffentlich machen kann:
Neben Staatsgedanke, Deutschtumsgedanke, Volksgedanke steht als wesentlicher Bestandteil aller zugleich der Rassegedanke. Freilich ist gerade er, rein für sich betrachtet, nicht ohne innere Spannungen │ S. 147 zu den übrigen Leitideen. […]
Zunächst fällt die Spannung der Rasseidee zur Idee des Staates ins Auge, dessen Rahmen durch eine Normierung des Handelns an einem Gemeinschaftsbewußtsein, das noch über die Volks-, Sprach-, Sitte‑ und Geschichtsgemeinschaft hinausreicht, vollends gesprengt zu werden droht. Das eigentliche Gewicht der übrigen politischen Konsequenzen des Rassegedankens liegt aber vor allem in seinem unzerstörbar aristokratischen Charakter.
(Rothacker 1934), S. 146 f.
Diese Sorte von Rassismus nenne ich »Adelsrassismus«. Ich zitiere ohne Auslassung weiter:
Daß dieser Zug zunächst mit dem Führergedanken in besonders glücklichem Einklang steht, bedarf kaum näherer Begründung. Und ebenso zu dem von A. Rosenberg besonders verdienstlich betonten und mit dem Rassebewußtsein verknüpften Prinzip der Ehre. In tiefgreifenden Spannungen aber befinden sich beide im Rassegedanken vereinten Ideen reinrassiger Abstammung (Gobineau) wie „guter Rasse“ im Sinne der hochqualifizierten Zuchtrasse (H. St. Chamberlain) mit allen Verkleidungsformen der Demokratie und Massenherrschaft[49] , als unvermeidlicher Begünstigungen eines rassischen Erbgutes, dessen Durchschnittsniveau mit der Zunahme der Zahl stetig sinken muß. Nach den streng biologischen Kriterien der Rassenlehre selbst ist eben im Mittel das nordisch-fälische Blut einerseits, das ostische andererseits sozial ebenso ungleich verteilt wie die Ergebnisse sozial wertvoller Züchtungen erblicher Begabungen.
Die Etiketten „nordisch-fälisch“ und „ostisch“ stammen von Rasse-Günther[50], der laut einer Quelle Gast bei der Konstituierung des Ausschuss für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 in Weimar gewesen ist (siehe Abschnitt 4.8.). Ich zitiere ohne Auslassung weiter.[51]
In diesem Sinne beseitigt die von Adolf Hitler in Nürnberg stark unterstrichene Verlegung des Edelrassigen aus dem ausschließlich somatischen in die dem nordischen Erbanteil entsprechende „heroische Gesinnung“ und Weltanschauung1) ebenso eine gewisse politische Verlegenheit, wie das baltische Pathos des „Charakters“ und der „Persönlichkeit“ in A. Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“.
Auch diese Charakterisierungen fallen gemäß meiner Bedeutungsfestelung unter den Begriffsnamen »Adelsrassismus«:
Hier wären zugleich Beispiele dafür zu finden, wie divergierende Ideen als solche in praktisch ergriffenen neuen Idealbildern einen fruchtbaren Ausgleich zu finden vermögen. Wobei allerdings vor allem der ganze Inbegriff aller Maßnahmen und Ideen zur „Nationalpolitischen Erziehung“ mit Bewußtsein in das denkbar engste Ergänzungsverhältnis zur Rasseidee gebracht werden müssen. Ein rassisch befriedigender Bevölkerungsdurchschnitt ist in dem Rassegemisch einzelner deutscher Stämme erreichbar nur durch die energischste Unterstützung aller eugenischen │ S. 148 Maßnahmen durch Formung und Zucht des im äußeren und inneren noch knetbaren jugendlichen Menschenmaterials im Geiste der rassisch besten Bestandteile seiner Erbmassen.
(Rothacker 1934), S. 147 f.
Den fettgedruckten Text hatte Ernst Piper (2015) wiedergegeben. Der Originaltext geht so weiter:
Man kann den ererbten Prozentsatz nordischen und fälischen Blutes durch bewußte erzieherische Zucht im nordisch-fälischen Geiste in seiner phänotypischen Auswirkung ganz offensichtlich fördern. Zumal in der Haltung des Soldaten, die aller Erfahrung entsprechend, ganz vornehmlich ein rassisch sehr verschieden stark fundiertes Erziehungsprodukt ist, besitzen wir vielleicht das großartigste Beispiel einer Synthese zugleich aristokratischer und zugleich volkstümlicher Haltungen.
Und hier wird ansatzweise deutlich, dass es einen rassistischen Kontrast zwischen »Aristokratie« und »Volk« gibt. Das, was hier nur andeutungsweise erkennbar wird, ist tatsächliche ein Dogma des akademischen Nationalsozialismus.
Soweit solche Ziele auf lange Sicht erstrebt werden, wird neben dem ganzen Komplex des Rassehygienischen und Eugenischen kaum irgendeine Maßnahme eine tiefere Wirkung erzielen können als die Verwirklichung der hohen Ideale Walter Darrés, in dessen Idealbild eines „Neuadels aus Blut und Boden“ wir einer dritten Synthese zugleich volkstümlicher und rassisch-aristokratischer Lebensformen begegnen.
1) Völkischer Beobachter Nr. 245, Samstag 2. September 1933
(Rothacker 1934), S. 148
Professor Erich Rothacker hat sich in seinem Beitrag „Geschichtsphilosophie“ für ein „Handbuch Philosophie“ offensichtlich richtig ins Zeug gelegt. Auf wenigen Seiten lobpreist er Alfred Rosenberg, Adolf Hitler und Walter Darré als Rassisten! Mehr ging 1934 kaum.
Zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 hielten Hans Frank, Alfred Rosenberg und C. A. Emge jeweils eine Rede, über die ausführlich in der zeitgenössischen Presse berichtet worden ist. Viele der Thesen Rothackers werden auch in diesen Reden vertreten (vgl. Abschnitt 4). Rothackers Thesen sind Dogmen des akademischen Nationalsozialismus.
Auf Martin Heidegger kommt Ernst Piper im Zuge seiner Darstellung einer Tagung einer Arbeitsgemeinschaft zu sprechen, die im März 1933 stattgefunden habe. Heidegger war zu diesem Zeitpunkt Rektor der Universität Freiburg.
Am 3. März 1933 wurde die »Kulturpolitische Arbeitsgemeinschaft Deutscher Hochschullehrer« gegründet, deren Spiritus Rector Ernst Krieck war. Ihre erste Fachtagung fand denn auch in Frankfurt statt. Es kamen 122 Hochschullehrer, unter ihnen als Vertrauensmann für die Universität Freiburg Martin Heidegger, der vergeblich dafür plädiert hatte, auch Baeumler einzuladen.201 Dies war der Versuch, eine Seilschaft innerhalb der Geisteswissenschaften zu bilden, die natürlich mit dem hehren Anspruch auftrat, dem Nationalsozialismus an den Hochschulen zu der ihm gebührenden Bedeutung zu verhelfen. Krieck und Heidegger zeichneten sich beide durch ein gespannt-distanziertes Verhältnis zu Rosenberg aus, als dessen ausgesprochener Parteigänger Baeumler galt, doch gab es auch zwischen den beiden erhebliche Differenzen, zumal Krieck Heidegger stets verdächtigte, sich von der Tradition des Idealismus nicht wirklich freigemacht zu haben.202 Die »Kulturpolitische Arbeitsgemeinschaft« war denn auch nur von kurzer Dauer, zumal der neue Staat bald alle Lehrenden im Nationalsozialistischen Lehrerbund zusammenfasste.
Ein Philosoph, der sich im Dritten Reich großer Beliebtheit erfreute, war Friedrich Nietzsche, der Verkünder des Willens zur Macht. […]
Nietzsche wirkte auch jenseits der unmittelbaren Rezeption seines Werkes. So unterschiedliche Autoren wie Oswald Spengler, Martin Heidegger und Karl Jaspers, Thomas Mann und Ernst Jünger waren von ihm beeinflusst.
201: Farias, 1989, S. 214f.
202: Vgl. Rabinbach, 1994, S. 17 f. Sluga irrt, wenn er Krieck, Baeumler und Heidegger in diesem Kontext in einem Atemzug nennt; Sluga, 1993, S. 151.
(Piper 2015), S. 325, Fußnote: S. 603
Richtig ist, dass Nietzsche ein wichtiger Philosoph des akademischen Nationalsozialismus war. Die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 fand im Nietzsche-Archiv in Weimar statt. C. A. Emge, sein stellvertretende Vorsitzender von 1934 bis mindestens in den Januar 1943, war im fraglichen Zeitraum der wissenschaftliche Leiter des Nietzsche-Archivs in Weimar. Heidegger war von 1935 bis Ende 1942 Mitglied des Nietzsche-Archivs.[52]
Neben Rothacker und Heidegger erwähnt Ernst Piper im Haupttext seiner Monographie über Alfred Rosenberg beiläufig auch Hans Frank aus dem Kreis der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Die Stelle findet sich schlecht, da Hans Frank nicht im Personenverzeichnis der Monographie vorkommt. Hans Frank wird aber im Haupttext von Pipers Buch über Rosenberg mehrfach erwähnt.
So weist Piper an der ersten Stelle darauf hin, dass Alfred Rosenberg und Hans Frank sich aus der Thule-Gesellschaft in München seit 1919 kannten:
Unstreitig ist, dass Alfred Rosenberg und Dietrich Eckart Gäste der Thule-Gesellschaft waren. Die alldeutsch und antisemitisch orientierte »Thule-Gesellschaft, Orden für Deutsche Art« war am 17./18. August 1918 unter der Leitung von Rudolf von Sebottendorff gegründet worden. Sebottendorff hieß ursprünglich Rudolf Glauer, war der Sohn eines schlesischen Lokomotivführers, wurde 1911 türkischer Staatsbürger und war in der Türkei von einem österreichischen Baron adoptiert worden. Die Thule-Gesellschaft war ein Ableger des 1912 entstandenen Germanenordens, der »bewußt als Geheimbund dem jüdischen Geheimbunde entgegentreten sollte«. Der Germanenorden verlangte von seinen Mitgliedern einen »Ariernachweis« über drei Generationen hinweg, legte besonderen Wert auf Rassenkunde, berief sich auf die Prinzipien der Alldeutschen und wollte gegen Undeutsches, Internationalismus und Judentum kämpfen. Die Thule-Gesellschaft tagte im vornehmen Hotel Vier Jahreszeiten, dessen Inhaber, die Familie Walterspiel, zu ihren wichtigsten Gönnern gehörten. Zeichen der Gesellschaft war das blanke Schwert, um dessen Knauf sich ein rundes Hakenkreuz, das »siegende Sonnenrad« drehte. Die Mitglieder der Gesellschaft erhielten zwei Periodika, die „Runen. Zeitschrift für germanische Geistesoffenbarungen und Wissenschaften“ und den „Münchener Beobachter und Sportblatt“, den 1920 dann die NSDAP übernahm und in Völkischer Beobachter umbenannte. Die Thule-Gesellschaft hatte in ihrer besten Zeit über 200 Mitglieder. Sie versammelte vor allem das arrivierte Bürgertum, wollte aber auch die Arbeiterschaft erreichen und in ihrem Sinne beeinflussen. Harrer und Drexler riefen deshalb kurz nach der Gründung der DAP in den Räumen der Thule-Gesellschaft den »Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterverein« ins Leben, der aber keine große Wirkung erzielte. Tatsächlich hatte die Thule-Gesellschaft ihren Zenit bald │ S. 43 überschritten. In der gegenrevolutionären Bewegung hatte sie eine gewisse Rolle gespielt. Das Tagebuch von Johannes Hering, einem späteren Vorsitzenden, vermerkt unter dem 24. Oktober 1918: »Gemeinsamer Abend mit den Alldeutschen, Verlagsbuchhändler Lehmann fordert Staatsstreich …« Es wurde ein »Kampfbund Thule« gegründet und mit Waffen aus Heeresbeständen ausgestattet, die man im Verlagsgebäude deponierte. Doch der Staatsstreich blieb aus, und die Münchner hatten von der Thule-Gesellschaft vor allem deshalb gehört, weil acht ihrer Mitglieder von den Räterepublikanern als »Geiseln« erschossen wurden. Nach der Niederschlagung der Räterepublik verlor die Thule-Gesellschaft rasch an Bedeutung.
Man hatte sich die Erforschung alles Germanischen zum Ziel gesetzt, wobei vor allem Sebottendorff gerne ins Okkulte abglitt, und bald reduzierte sich die Gesellschaft auf einen Traditionsverein von schließlich weniger als 20 Mitgliedern, der noch jährlich zu Gedenksitzungen zusammentraf. Zu den frühen Thule-Anhängern zählten einige später prominente Nationalsozialisten, wie zum Beispiel Rudolf Heß und Hans Frank, der hier seinen okkulten Neigungen frönen konnte. Insgesamt aber darf man ihre Bedeutung für die Entwicklung der NSDAP nicht zu hoch ansetzen.
(Piper 2015), S. 42-43
Der zweite Fall einer Erwähnung Hans Franks durch Ernst Piper fasst prägnant viele Tatsache über Hans Frank als Generalgouverneur zusammen. Deswegen zitiere ich auch diese Erwähnung:
In seiner schon einmal zitierten Rede vor dem Deutschen Reichstag vom 6. Oktober 1939 hatte Adolf Hitler eine ethnographische Neuordnung eingefordert. Der ganze Osten und Südosten Europas sei »mit nicht haltbaren Splittern des deutschen Volkstums gefüllt«. Aufgabe einer weitschauenden Ordnung sei es, »hier Umsiedlungen vorzunehmen, um auf diese Weise wenigstens einen Teil der europäischen Konfliktstoffe zu beseitigen«. Die Methoden von Versailles hätten restlos versagt, deshalb müssten nun »Deutschland und Sowjetrußland diese Sanierungsarbeit übernehmen«. Dieses vor dem Hintergrund des Hitler-Stalin-Pakts entwickelte Programm zeitigte sehr rasch konkrete Ergebnisse. Bereits am nächsten Tag wurde Heinrich Himmler zum Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums ernannt. Am 8. Oktober wurden durch Erlass die Gebiete Westpolens als Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Posen (später Wartheland) dem Deutschen Reich angegliedert. Der Regierungsbezirk Kattowitz wurde Schlesien, der Regierungsbezirk Ciechanow Ostpreußen zugeschlagen. Am 12. Oktober wurde durch einen weiteren Erlass Hitlers das Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete unter dem Gouverneur Hans Frank geschaffen. Der Jurist Frank, bis dahin Reichsminister ohne Geschäftsbereich, residierte nun mit großem Pomp in der Krakauer Burg und erwarb sich rasch den Ruf eines gnadenlosen »Polenschlächters«. In seine Verantwortung fielen die Liquidierung der Führungsschicht des Landes, die Ausplünderung der wirtschaftlichen Ressourcen und die Deportation von rund einer Million Zwangsarbeitern in die deutschen Rüstungsfabriken. Zugleich begann mit dem 12. Oktober 1939 die Deportation von Juden aus Österreich, dem »Protektorat Böhmen und Mähren« und den annektierten Teilen Polens in das Generalgouvernement, wobei allein die letzte Gruppe etwa 550.000 Menschen ausmachte.
(Piper 2015), S. 385
Ein drittes Mal erwähnt Ernst Piper Hans Frank im Zusammenhang mit den Kunstdiebstählen. Diese seien zunächst u.a. unter Hans Frank unorganisiert geschehen. Später seien sie unter Alfred Rosenbergs Führung systematisch begangen worden. Ich vermute, dass man noch heute einiges über die akademischen Nationalsozialisten ermitteln könnte, würde man den Verbleib des Diebesgutes systematisch verfolgen.
Am 13. August 1940 schrieb der Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers an die Herren Reichsminister:
»Aus verschiedenen Gründen ist es erforderlich, alle Kunstwerke und geschichtlich bedeutsamen Gegenstände, die im Laufe der Zeiten ohne unseren Willen aus unserem Besitz in den Besitz unserer heutigen Kriegsgegner gelangt sind und sich zur Zeit in den besetzten Gebieten oder anderswo befinden, zu erfassen.«
Mit der zentralen Leitung dieser Erfassung habe, so Lammers weiter, Hitler Joseph Goebbels beauftragt. Alle Dienststellen sollten seinen Weisungen Folge leisten. Hatten in Polen unter der Aufsicht von Göring, Himmler und Generalgouverneur Frank die Plünderer eine erste Generalprobe geliefert, so sollte nun alles mit gewohnter deutscher Gründlichkeit vonstatten gehen. Die eroberten Territorien waren für die europäische Kunstgeschichte von allererster Bedeutung, und die Hinterlassenschaften der Ära Napoleons, der bei seinen Eroberungsfeldzügen immer ein Heer von Kulturexperten im Gefolge gehabt hatte, taten ein Übriges. Erschwerend kam hinzu, dass die in den im Westen │ S. 413 eroberten Gebieten vorhandenen Kunstwerke in besonderem Maße geeignet waren, den nationalsozialistischen Ideen einer grundsätzlichen Überlegenheit der »germanischen Kunst« dienlich zu sein. Deshalb wurde auch, um das schon vorwegzunehmen, nirgendwo so viel Kunst geplündert wie gerade hier.
(Piper 2015), S. 413-414
Ein viertes Mal erwähnt Ernst Piper Hans Frank im Kontext der Kooperation Hans Franks und Alfred Rosenbergs in der ersten Mordwelle nach 1939 in Polen. Dass Hans Frank und Alfred Rosenberg im gleichen Zeitraum Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie zusammen mit Carl Schmitt und Martin Heidegger gewesen sind, wusste Ernst Piper 2015 noch nicht:
Nach der ersten Mordwelle begann man, die vor allem in den Städten noch lebenden Juden in Ghettos zu konzentrieren. Das betraf zum Beispiel Riga, wo die vielen Auslandskorrespondenten, die in die Hauptstadt des »Ostlandes« gekommen waren, um über den Wandel nach dem Ende der sowjetischen Okkupation zu berichten, eine »ernsthafte Behinderung« für wilde Exekutionen darstellten. Im September wurde ein großes Ghetto in Riga eingerichtet. Der Gebietskommissar verwies darauf, dass sich damit auch wieder die Frage der Mischehen stellte, von denen es in Riga verhältnismäßig viele gab. Die Errichtung der Ghettos zog die Zwangsumsiedlung aller Juden dorthin nach sich. Insofern war die Frage entscheidend, wer zu diesem Personenkreis gehörte. Dabei ging es zum einen darum, wie mit Ehepaaren zu verfahren war, bei denen nur ein Teil jüdisch war, zum anderen um die so │ S. 502 genannten Mischlinge, für die die Nürnberger Gesetze genaue, aber komplizierte Regelungen vorsahen. Im Herbst 1941 gab es intensive Diskussionen im Ostministerium [dessen Minister Rosenberg am 17. Juli 1941 geworden war; mw] über die Frage der Mischehen und damit verbunden den Judenbegriff, die am 7. Oktober zu einer Ergänzung der »Vorläufigen Richtlinien« führten.
[…]
Am 13. Oktober traf Rosenberg mit dem Generalgouverneur Hans Frank zusammen, der den schönen Spitznamen »Polenschlächter« hatte. Frank wollte die jüdische Bevölkerung des Generalgouvernements in die besetzten Ostgebiete abschieben. Doch Rosenberg beschied ihn, dass dafür noch keine Möglichkeit bestehe.445
Gleichzeitig erreichte die Diskussion über effektive Vernichtungsmethoden den SS- und Polizeiapparat. Die Einsatzgruppen hatten inzwischen etliche Hunderttausend Menschen erschossen, aber schon im ersten Tätigkeitsbericht war über »seelische Höchstanstrengungen« geklagt worden. […]
445 Hilberg, Bd. 2, 1990, S. 505; Browning, 2003, S. 517
(Piper 2015), S. 501-502
Ein fünftes Mal erwähnt Ernst Piper Hans Frank und Alfred Rosenberg gemeinsam im Zusammenhang der Entscheidung zur »Endlösung der Judenfrage« am 14. Dezember 1941. In dieser Zeit waren Frank und Rosenberg zusammen Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie:
Seit dem Sommer 1941 gab es eine informelle Allianz zwischen der Sowjetunion, Großbritannien, Hitlers Kriegsgegnern, und den Vereinigten Staaten, der Großmacht im Hintergrund. Bereits am 12. Juli hatten London und Moskau einen Beistandspakt unterzeichnet, im September gab es eine Drei-Mächte-Konferenz in Moskau zur Stabilisierung der sowjetischen Front. Noch waren die USA offiziell neutral, doch das änderte sich schlagartig, als am Morgen des 7. Dezember von sechs japanischen Flugzeugträgern aus ein Luftangriff auf den amerikanischen Flottenstützpunkt Pearl Harbor gestartet wurde. Am 8. Dezember erklärten die Vereinigten Staaten Japan den Krieg, woraufhin Deutschland und Italien drei Tage später Amerika den Krieg erklärten. Genau in jenen Tagen wurden erstmals in einem Konzentrationslager, in Chelmno im »Warthegau«, Massentötungen mit Gaswagen durchgeführt. Auch wenn die These von Christian Gerlach, Hitler habe am 12. Dezember auf einer Reichs- und Gauleitertagung die Entscheidung zur »Endlösung« bekannt gegeben, sich nicht durchgesetzt hat, so ist andererseits nicht zu bezweifeln, dass der Dezember ein Kulminationspunkt auf dem Weg zur totalen Vernichtung der europäischen Juden war. Am 14. Dezember war Rosenberg, der auch am Vortag schon da gewesen war, bei Hitler zum Mittagessen, gemeinsam mit Himmler und Bouhler.476 Damit waren die wichtigsten Beteiligten, neben Hitler der Führer der SS und der Polizei, der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete und der für die T4-Aktion Verantwortliche versammelt. Bouhler stellte auf Bitten Himmlers Personal aus der »Euthanasie«-Aktion zur Verfügung. Rosenberg hatte am 14. Dezember auch eine Einzelbesprechung mit Hitler. Anlass war die für den 18. Dezember geplante Rede Rosenbergs im Sportpalast, die er vor dem Kriegseintritt Amerikas konzipiert hatte und die letztlich ungehalten blieb. Uns interessiert hier in Rosenbergs Vermerk über seine Besprechung mit Hitler diese Passage:
»Ich stände auf dem Standpunkt, von der Ausrottung des Judentums nicht zu sprechen. Der Führer bejahte diese Haltung und sagte, sie hätten uns den Krieg aufgebürdet und sie hätten die Zerstörung gebracht, es sei kein Wunder, wenn die Folgen sie zuerst träfen.«479
Rosenberg und Hitler waren sich einig: Die Juden sollten ausgerottet werden, das im Berliner Sportpalast bekannt zu geben, schien derzeit aber nicht zweckmäßig. Auch Hans Frank hatte an den Besprechungen bei Hitler teilgenommen.480 Nach seiner Rückkehr ins Generalgouvernement hielt er vor seinen Bediensteten eine Rede, die ein unmittelbarer Reflex der vorausgegangenen Gespräche war und an Deutlichkeit nichts zu wünschen ließ:
»Mit den Juden – das will ich ganz offen sagen – muß so oder so Schluß gemacht wer │ S. 507 den. … Aber was soll mit den Juden geschehen? Glauben Sie, man wird sie im Ostland in Siedlungsdörfern unterbringen? Man hat uns in Berlin gesagt: Weshalb macht man diese Scherereien? Wir können im >Ostland< oder im >Reichskommissariat< auch nichts mit ihnen anfangen, liquidiert sie selber!«481
Rosenberg hatte im Oktober Frank bereits dargelegt, dass er die große Masse der Juden aus dem Generalgouvernement, Frank schätzte sie auf 3,5 Millionen, in den besetzten Ostgebieten nicht aufnehmen könne, daran hatte sich nichts geändert. Es fehlte an entsprechenden Kapazitäten. Kein Einziges der großen Vernichtungslager stand auf dem dem Ostminister unterstellten Territorium. Lediglich das Lager Maly Trostinez[53], südwestlich von Minsk, das seit November 1941 im Bau war, erreichte gewisse Vernichtungskapazitäten. Ab Sommer 1942 gab es einen Bahnanschluss. Ende Juli wurden hier die Juden aus dem Ghetto von Minsk ermordet, später auch Deportierte aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, Österreich, Deutschland, den Niederlanden und Polen. Die letzten Erschießungen fanden Ende Juni 1944 statt. Als sowjetische Soldaten das Lager am 3. Juli erreichten, brannten noch die Leichenberge.
Heinrich Himmler hatte am 14. Dezember 1941 betont, dass man bei der Umsetzung der Endlösung schon aus Gründen der Tarnung so schnell wie möglich arbeiten müsse. Hatte es im Ostministerium Vorbehalte gegen diesen radikalen Ansatz gegeben, so gab es sie jetzt jedenfalls nicht mehr.
476 Hitler, 1980 b, S. 150 u. S. 152 [Hitler, Adolf, Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, Hg. Werner Jochmann, Hamburg 1980 (= 1980 b)
[…]
479 Rosenberg, Vermerk über eine Unterredung beim Führer am 14.12.1941 vom 16.12.1941; IM G, Bd. XXVII, S. 270 (= Dok. 1517-PS).
480 Gerlach, 1998 b, S. 284. [Gerlach, Christian, Krieg, Ernährung, Völkermord. Forschungen zur deutschen Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1998 (= 1998 b); mw]
481 Zit. Browning, 2003, S. 583 f [Browning, Christopher, Die Entfesselung der »Endlösung«. Nationalsozialistische Judenpolitik 1939-1942, Mit einem Beitrag von Jürgen Matthäus, München 2003; mw]
(Piper 2015), S. 507-508
Ein sechstes und letztes Mal erwähnt Ernst Piper Hans Frank und Alfred Rosenberg im Zusammenhang seiner Darstellung des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg 1945:
Am 12. August 1945 wurden die Angeklagten von Mondorf nach Nürnberg geflogen und im Stadtgefängnis von Nürnberg in Einzelzellen untergebracht. In den folgenden Monaten wurden sie in Vorbereitung des Prozesses immer wieder verhört. Aus den Aufzeichnungen, die Rosenberg für die ihn Vernehmenden angefertigt hat, ist schon mehrfach zitiert worden. Die Angeklagten waren in dieser Zeit streng voneinander getrennt und trugen schwarz gefärbte Armeekleidung. Einige Tage vor Prozessbeginn erhielten sie ihre Zivilkleidung zurück. Nach einer formellen Eröffnungssitzung am 18. Oktober in Berlin, gab es am 19. November eine Sitzprobe im Nürnberger Schwurgerichtssaal; am 20. November begann der Prozess. Alfred Rosenberg wurde mit den anderen Hauptangeklagten in der ersten Reihe platziert; er saß zwischen Ernst Kaltenbrunner und Hans Frank. Das Mittagessen nahmen die Angeklagten in fünf verschiedenen Zimmern des Justizgebäudes ein. Rosenbergs Tischgenossen waren Jodl, Frick und Kaltenbrunner.
(Piper 2015), S. 518
Wie gesagt, Piper (2015) wusste nicht, dass Hans Frank und Alfred Rosenberg nach der Ernennung Rosenbergs zum Reichsminister im Sommer 1941 gemeinsam Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind – zusammen mit Carl Schmitt und Martin Heidegger und anderen Professoren.
1.3. Der Forschungsstand über die AfDR als solcher
Bislang gibt es nur zwei Monographien über die AfDR. Beides sind Dissertationen aus den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts.
1. 1981 wurde Hans-Rainer Pichinots Schrift [54] Die Akademie für deutsches Recht – Aufbau und Entwicklung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft des Dritten Reichs von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts Universität in Kiel als Dissertation angenommen. Der Betreuer war Prof. Dr. Hans Hattenhauer (1931-2015). Sie wurde durch keinen Verlag veröffentlicht.
2. 1982 wurde Dennis LeRoy Anderson mit der Schrift The Academy of German Law (1933-1944) von der University of Michigan promoviert. Mitglieder des Promotionsausschusses waren: Professor Stephen J. Tonsor, Chairman, Associate Professor Geoff Eley, Professor George Kish und Associate Professor James A. Vann. 1987 erschien die Dissertation in der Reihe Modern European History. A Garland Series of Outstanding Dissertations, deren Hauptherausgeber William H. McNeill (1917 – 2016) war.
Da in diesen beiden Dissertationen tatsächlich einiges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie mitgeteilt wird, befasse ich mich mit ihnen ausführlicher erst im nächsten Abschnitt. In ihm stelle ich den Forschungsstand über den Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR vor.
Neben diesen beiden Monographien gibt es nur zwei kurze Artikel, die als ihren Hauptgegenstand die AfDR haben. Da in diesen beiden Artikeln nichts über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet wird, stelle ich diese beiden Artikel bereits hier vor.
1.3.1. Ein paar Basisinformationen über die AfDR aus Andersons Dissertation
Folgende Informationen aus der Dissertation von Dennis LeRoy Anderson über die AfDR vermitteln einen Eindruck von der Größe der AfDR:
1.) In Andersons Appendix A sind 466 reguläre Mitglieder der AfDR für den Zeitraum 1933 bis 1944 aufgelistet. Mitglieder von Ausschüssen der AfDR, die keine regulären Mitglieder der AfDR waren, sind in dieser Liste nicht enthalten. Ich sehe davon ab, hier oder später über weitere prominente Nazis, die Mitglied der AfDR waren, anlasslos zu informieren.
2.) Es gab gemäß Andersons Appendix B von 1933 bis 1945 insgesamt 62 Ausschüsse in der AfDR, die teilweise noch einen oder gar mehrere Unterausschüsse hatten.
3.) Die letzten Gründungen neuer Ausschüsse fanden noch im Jahr 1944 statt.
4.) Die Hauptsitze der AfDR waren München und Berlin. Anfänglich war die AfDR eine Körperschaft öffentlichen Rechts Bayerns. Deswegen hatte sie ihren ersten Dienstort in Bayern, genauer auf der Ludwigstr. 12 in München. Von 1936 bis 1939 wurde auf einem Grundstück der Ludwigstr. ein eigener Prachtbau neu für sie errichtet. Er hieß „Haus des deutschen Rechts“. In Berlin hatte die AfDR eine Zweigstelle im Mosse-Palais auf dem Leipzigerplatz 15.
Die Symbolwirkung der gewählten Städte ist so zu verstehen, dass die AfDR durch die Wahl Münchens primär eine Akademie der „Hauptstadt der Bewegung“, also der NS-Partei war und blieb. Durch die Zweigstelle in Berlin wurde aber die Absicht deutlich gemacht, auf die Rechtssetzungen des Reiches Einfluss zu nehmen. Berlin war die „Hauptstadt des Reiches“.
5.) Die Tagungsorte der Ausschüsse wurden laut Satzung durch ihren jeweiligen Vorsitzenden bestimmt. Der Dauervorsitzende des Ausschuss für Rechtsphilosophie war Hans Frank. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er zumindest gelegentlich ab Herbst 1939 Krakau als Tagungsort des Ausschusses bestimmte. Da Prof. C. A. Emge dauerhaft stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie war und Emge dauerhaft wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs in Weimar war, vermute ich, dass auch das Nietzsche-Archiv Tagungsort des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Da Hans Frank in den Kriegsjahren häufig genug in Berlin und München gewesen sein wird, kommen auch Berlin und München als Tagungsorte in Frage.
1.3.2. Hans Hattenhauer: „Die Akademie für Deutsches Recht (1933-1944)“ (1986)
Der Betreuer der Dissertation Pichinots, Prof. Dr. Hans Hattenhauer (1931-2015), veröffentlichte 1986 – auch unter Nennung der Dissertation (1982) von Anderson – einen kurzen Artikel mit dem Titel Die Akademie für Deutsches Recht (1933-1944). Weshalb es dem Autor angebracht erschien, eine gesamte NS-Institution über ihre gesamte Dauer hinweg in nur wenigen Seiten darzustellen, macht er gleich eingangs deutlich:
[1] […] Die neue Institution sollte ihren Sitz in München haben und der Zusammenfassung und Führung aller rechts- und staatswissenschaftlichen Lehrkräfte dienen. Daß man sich nicht im Zentrum der politischen Macht, in Berlin, traf, hatte symbolische Bedeutung und offenbarte, wie weit entfernt das Unternehmen von den Ideen Hitlers war.
[2] […] Hitlers Haß gegen die Juristen und den Zwang des Rechts hatte ihn auch veranlaßt, Franks Bedeutung nach der Machtübernahme gering zu halten. […] Für Frank blieb neben seinen Parteifunktionen nur das Amt des Bayerischen Justizministers übrig. Es wurde ihm erst im März 1933 übertragen als eine in Hinblick auf die geplante „Gleichschaltung der Justiz“ auslaufende Funktion. Auch das neugeschaffene Amt des Reichskommissars, der die ideologische Unterwerfung der Rechtspflege vorantreiben sollte, konnte keine dauernde politische Zukunft versprechen.
(Hattenhauer 1986), S. 680
Hattenhauer erwähnt nicht einmal, dass Hans Frank im Anschluss an seine erfolgreiche Gleichschaltungstätigkeit als Justizminister von Bayern (März 1933 bis Dezember 1934) von Hitler im Dezember 1934 zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich ernannt wurde und das auch bis zum Ende des Dritten Reichs blieb. Einen Nachfolger Hans Franks als „Staatsminister der Justiz“ in Bayern gab es aufgrund des Arbeitserfolgs von Hans Frank als „Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz in den Ländern und für die Erneuerung der Rechtsordnung“ (11. April 1934 bis 19. Dezember 1934) nicht. Als Reichsminister war Hans Frank Mitglied der Reichsregierung bis zum Ende des NS-Staates. Die Reichsregierung war zumindest bis zu Beginn des Krieges das Hauptorgan der NS-Gesetz- und Verordnungsgebung.[55] Als Reichsminister ohne Geschäftsbereich hatte Frank aber kein Ministerium, das ihm zuarbeitete. Zumindest einen Teil der nötigen Zuarbeit leistete die AfDR.
Hattenhauer unterlässt es zusätzlich zu erwähnen, dass Hans Frank Reichsminister blieb, nachdem im August 1942 die Präsidentschaft der AfDR von ihm zu Otto Thierack wechselte und Otto Thierack Reichsjustizminister geworden war.
Vor allem aber behauptet Hattenhauer Falsches über die Aufgabe der AfDR. Sie diente nicht „der Zusammenfassung und Führung aller rechts- und staatswissenschaftlichen Lehrkräfte“. Es war und blieb ihre satzungsgemäß Aufgabe, in enger Zusammenarbeit mit den Stellen für die Gesetzgebung das nationalsozialistische Programm im Gebiet des Rechts – und der Wirtschaft (1933) – zu verwirklichen (Vgl. dazu den nächsten Unterabschnitt 1.4.).
Hattenhauers Verniedlichung der AfDR war auch bezüglich des Kenntnisstandes der 80-er Jahre des letzten Jahrhunderts unangemessen. In seinen Absätzen 3 und 4 wird der Anlass seiner absichtlichen Verharmlosung erkennbar:
[3] […] Frank erkannte, daß er im Bündnis mit den Professoren weiter kommen werde als durch Befehdung der Fakultäten. Er durfte sich unter den Juristen nicht noch Feinde suchen. Hitlers Juristenhaß hatte deren Stellung ohnehin sehr geschwächt. So erwies es sich auch im eigenen Interesse als vernünftiger, wenn Frank das verlorene Häuflein der Juristen, insbesondere der Professoren, hinter sich zu scharen suchte. Seine Akademie konnte aus dem hohen Sozialprestige der Professoren ebenso Gewinn ziehen wie aus ihrer erklärten Bereitschaft zu einer der Praxis dienenden wissenschaftlichen Arbeit.
[4] So wurde die Akademie wesentlich eine Vereinigung von Professoren. Auf ihrer Mitgliederliste9 prangten neben den Namen von Politikern, Ministerialbeamten und Industriellen vor allem die von Rechtsgelehrten, darunter Leuchten des Faches. Mancher von ihnen war bereits vor der „Machtergreifung“ beruflich zu höchstem Ruhm gekommen, etwa Heinrich Lehmann, Carl Schmitt und Eduard Kohlrausch. Andere fanden sich als begabte Nachwuchswissenschaftler ein, unter ihnen Georg Dahm, Wolfgang Siebert und Karl August Eckhardt, […].
9) Pichinot (o. Fußn. 1), S. 156; angesichts der unvollkommenen Verwaltungsführung der Akademie kann die Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
(Hattenhauer 1986), S. 681
In Professor Hattenhauers Darstellung von 1986 war demnach die AfDR, die sowieso nur der Zusammenfassung und Führung von Lehrkräften diente, ein „verlorenes Häuflein der Juristen, insbesondere der Professoren“, das vor dem Juristenhass Hitlers Schutz suchte. Der gefundene Schutz hinter Hans Frank sei aber prekär gewesen, da Hitler die Bedeutung Hans Franks nach der »Machtergreifung« „gering gehalten“ habe.
1.3.3. Martin Rath: „Akademie für Deutsches Recht: Die juristische Travestie des Dr. Frank“ (2012)
Im Unterschied zu Prof. Hattenhauer lässt Martin Rath 2012 die Tatsache nicht unerwähnt, dass Hitler Hans Frank im Dezember 1934 zum Reichsminister erhob:
Die Akademie für Deutsches Recht, 1933 beim „inoffiziellen“ Deutschen Juristentag in Leipzig mit Pomp verkündet, wurde 1934 durch Reichsgesetz zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts „erhoben“. Frank, der sich zu Höherem berufen fühlte, wurde nach der „Gleichschaltung“ der Länder mit dem Reich als Akademiepräsident mit der Position eines Reichsministers ohne Geschäftsbereich abgespeist.
(Rath 2012)
Ohne Angabe von Gründen suggeriert aber auch Rath, dass die Positionen eines „Reichsministers ohne Geschäftsbereich“ und eines Akademiepräsidenten einflussarm gewesen wären. Wäre Hans Frank nur jeweils das eine oder das gewesen, hätte es ihm wahrscheinlich – im Vergleich zu anderen NS-Größen – tatsächlich an Einfluss gefehlt. Er war aber beides. Und noch einiges mehr.
Rath distanziert sich zwar im Weiteren etwas von Hattenhauers Darstellung eines angeblich normalen Akademiebetriebs. Er schließt sich dann aber doch der Hauptthese Hattenhauers und Pichinots an. Ich zitiere zunächst die Distanzierung:
Zum zahlreich eingeladenen internationalen Publikum passend wurden bei Akademietreffen durchaus seriöse rechtswissenschaftliche Diskussionen geführt. Ernst Heymann (1870-1946), Dekan der Berliner Juristenfakultät, referierte beispielsweise 1935 sachlich über die „Bedeutung der Rechtsvergleichung“. In den zahllosen Arbeitsgruppen der Akademie wurde zwischen den propagandistisch genutzten Vollsitzungen juristische Grundlagenforschung betrieben. In einem Artikel für die „Juristische Schulung“ betonte Hans Hattenhauer denn auch die Normalität des Akademiebetriebs, der weitgehend dem Betrieb heutiger Einrichtungen dieses Typs entsprochen habe (JuS 1986, S. 680-684).
Diese Einschätzung in der juristischen Ausbildungszeitschrift wird nicht allein durch die propagandistischen Tagungen der Akademie konterkariert: Vor Heymann sprach etwa der „Reichsbauernführer“ Walter Darré (1895-1953) über „Blut und Boden im Recht“ und darüber, dass das – auch dogmatisch leicht irrsinnige – Reichserbhofgesetz von einigen Landwirten wegen „sorgsam verheimlichte(r) Webfehler in ihrer Ahnentafel infolge jüdischen Blutes“ nicht gut aufgenommen worden sei.
Die vom Akademiemitglied Carl Schmitt (1888-1985) propagierte Ausmerzung jüdischer Autoren aus dem juristischen Schrifttum wurde in der Akademiebibliothek selbstverständlich umgesetzt, eine entsprechende Kartei angelegt. Während die Gerichte über die Verwendung der Generalklauseln zum Beispiel Mietverträge jüdischer Mieter contra legem für nichtig erklärten, kam die Arbeit der Akademie nicht recht voran, die „Werte“ des neuen Staates in einem „Volksgesetzbuch“ niederzuschreiben, mit dem das „liberalistische“ Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) abgelöst werden sollte.
(Rath 2012)
Weshalb war der „Akademiebetrieb“ der AfDR laut Martin Rath nicht normal? Weil in ihr nach einem angesehenen Professor der Juristischen Fakultät Berlins der Nicht-Akademiker Walter Darré sprach und noch dazu über ein „leicht irrsinniges“ NS-Gesetz. Inwiefern es „leicht irrsinnig“ gewesen ist, wird nicht mitgeteilt. Weil in der Akademiebibliothek eine Kartei angelegt worden sei, durch die jüdische Autoren aus dem juristischem Schrifttum ausgemerzt werden sollte. Im Vergleich zu dem, was die AfDR tatsächlich tat, sind diese beiden Punkte, die Rath für die Abnormität des Akademiebetriebes anführt, bestenfalls nebensächlich.
Auch Martin Raths Darstellung verdankt sich einer unbegründeten und unbelegten Voreingenommenheit zu Gunsten von Professoren und ihren Institutionen. Deswegen überrascht es mich nicht, dass er sich im Ergebnis den Hauptthesen Pichinots und Professor Hattenhauers anschließt, dass die AfDR keinen rechtspolitischen Einfluss (von Gewicht) ausübte:
Rechtspolitischen Einfluss konnte die Akademie indes nicht ausüben. Frank hatte sich versprochen, sie könnte die Funktion des parlamentarischen Beratungsprozesses übernehmen. Hitler kam seinem Wunsch aber nicht nach, die Referentenentwürfe der nach wie vor arbeitenden Ministerialbürokratie der Akademie zur Prüfung vorlegen zu lassen.
(Rath 2012)
Rath bezieht sich zur Begründung dieser weitgehenden These auf die Darstellung Pichinots von einem Vorstoß, den Karl Lasch, Direktor der AfDR und ein Intimus von Hans Frank, am 1. September 1936 bei der Reichskanzlei unternahm.[56] Dieser Vorstoß war nur teilweise erfolgreich. Er ging über den Schreibtisch von Hans Heinrich Lammers (1879-1962). Der Führer sollte anordnen, so der Entwurf von Karl Lasch,
daß alle Gesetzesvorlagen von grundsätzlicher Bedeutung vor ihrer Einbringung in das Kabinett der Akademie für Deutsches Recht zur Kenntnis gebracht werden und daß ihr Gelegenheit zur gutachtlichen Stellungnahme gegeben wird.“2)
2) Bundesarchiv a.a.O. [= R43 Il/1510a ; mw], Bl.16
zitiert nach: (Pichinot 1981), S. 77
Hätte der Führer diesen Entwurf übernommen, wäre die AfDR zu einem Organ der Gesetzgebung des NS-Staates geworden. § 2 der Satzung der AfDR ging von einer anderen Rechtsauffassung aus: Die AfDR war selbst keine für die „Gesetzgebung zuständige Stelle“, sollte aber in „enger dauernder Verbindung“ zu diesen „Stellen“ ihre Aufgabe erfüllen, das nationalsozialistische Programm zu verwirklichen.
Der sachliche Punkt hinter diesem Vorstoß von Lasch ist offensichtlich und langweilig: Im Herbst 1936 existierte anscheinend die Rechtspraxis, das Gesetzesvorlagen ins Kabinett eingebracht wurden. Als Reichsminister war Hans Frank Mitglied des Kabinetts. Als Reichsminister ohne Geschäftsbereich hatte er aber kein Ministerium, das die Gesetzesvorlagen vor den Kabinettssitzungen erhalten, gar prüfen konnte. Hans Franks Ersatz-Ministerium war die AfDR. Karl Lasch Vorstoß diente dem Zweck, dem Kabinettsmitglied Hans Frank das Know How der AfDR in allen Fällen von „grundsätzlicher Bedeutung“ rechtsbindend zur Verfügung zu stellen. Damit wäre Hans Frank zum Super-Minister unter den Reichsministern geworden.
Mich würde es nicht wundern, wenn das „Häuflein Juristen, insbesondere der Professoren“ einen Weg gefunden haben sollte, den vollumfänglichen Erfolg dieses Vorstoß von Karl Lasch selbst zu hintertreiben. Zu offensichtlich wäre im vollumfänglichen Erfolgsfall das „Häuflein Professoren“ zum NS-Mit-Gesetzgeber geworden. Gewohnt waren Professoren eine dezentere Rolle: Geheimräte waren nach außen hin, d.h. zu den Gesetzesunterworfenen, selbst nicht Gesetzgeber. Und wer selbst nicht Gesetzgeber ist, trägt weder eine moralische noch gar eine justiziable Verantwortung für die Gesetzgebung. Oder?
Was geschah mit dem Vorstoß? Er wurde laut Pichinot am 13. Oktober als Anordnung mit folgendem Wortlaut an die Reichsministerien weitergeleitet:
„Der Führer und Reichskanzler hat deshalb den Wunsch, daß bei der Vorbereitung von Gesetzen, die für die künftige Entwicklung des Rechts in nationalsozialistischem Sinne | S. 78 von grundsätzlicher Bedeutung sind, der federführende Herr Reichsminister in den ihm geeignet erscheinenden Fällen die Akademie für Deutsches Recht so rechtzeitig verständigt, daß sie Gelegenheit hat, zu den Problemen Stellung zu nehmen. Diese Anordnung gilt nicht für die Vorbereitung von Gesetzen, die einer besonderen Geheimhaltung bedürfen oder eilbedürftig sind. Eine Verzögerung der Gesetzgebungsarbeit darf durch die Heranziehung der Akademie für Deutsches Recht keinesfalls entstehen. Hierfür trägt der federführende Herr Reichsminister die Verantwortung.“
zitiert nach: (Pichinot 1981), S. 77 f.
Soweit Pichinots Darstellung des Vorstoßes von Karl Lasch vom 1. September 1936. Aus dieser Darstellung folgerte Rath 2012, dass die AfDR keinen „rechtspolitischen Einfluss“ von Gewicht ausgeübt habe. Aus „Nicht alle Klausurschreiber haben bestanden“ folgt trivialerweise nicht „Kein Klausurschreiber hat bestanden“.
Darüber hinaus ist auch Raths weitere Darstellung, dass 1942 die AfDR „ihren Präsidenten“ verlor und „in die Obhut des Reichsjustizministeriums überführt“ wurde, falsch: 1. Die AfDR behielt ihren Präsidenten. Im Sommer 1942 gab es nur einen Personalwechsel von Hans Frank zu Otto Thierack 2. Bereits seit dem Sommer 1934 übten die Reichsministerien der Justiz und des Inneren die Aufsicht über die AfDR aus. Das war im „Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht. Vom 11. Juli 1934.“ geregelt worden. Daran änderte sich bis zum Ende der AfDR nichts. Ob und wenn ja, wann die AfDR aufhörte zu existieren, weiß ich nicht. Ich kann nicht einmal ausschließen, dass sie noch 2019 existiert.
1.3.4. Die Informationen des Bundesarchivs über die AfDR (2015)
Ausführlich, quellenbasiert und wertungsfrei kann man sich über die AfDR seit 2015 mittels eines Berichts des Bundesarchivs über die AfDR informieren, der hier online zugänglich ist: https://portal.ehri-project.eu/units/de-002429-r_61
1.4. Die rechtliche Verfasstheit der AfDR von 1933 bis zum Juni 1943
Die AfDR ist im Juni 1933 durch ein bayerisches Gesetz als Körperschaft öffentlichen Rechts des Freistaats Bayern gegründet worden. Im Juli 1934 ist sie durch ein Reichsgesetz zu einer Körperschaft öffentlichen Rechts des Reiches gemacht worden. Das war ein erheblicher Machtzuwachs. Ein weiteres Gesetz, das die AfDR zum Gegenstand hatte, gab es nicht.
Den beiden Gesetzen waren Satzungen beigegeben. Es gab drei Satzungsänderungen: 1934, 1935 und 1943. 1937 ist erstmalig eine Verwaltungsordnung der AfDR in Kraft gesetzt worden. 1943 ist sie einmal geändert worden.
1.4.1. Die erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933 und das erste Gesetz vom 22. September 1933 über die AfDR
Am 22. September 1933 erging ein bayerisches Gesetz, das nur aus einem einziger Artikel bestand.[57] Dieser Artikel verlieh der AfDR den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts des Staates Bayern. Dem Gesetz war als Anlage die Satzung der AfDR beigefügt.
Zum Abschluss des ersten Jahrbuchs der Akademie für Deutsches Recht (JAfDR) ist dieses Gesetz und die erste Satzung der AfDR (S. 249 ff.) sowie ein Verzeichnis der Gründungsmitglieder AfDR (S. 252 ff.) abgedruckt worden.
Ich zitiere nach dieser Veröffentlichung Gesetz und Satzung vollständig. Auf das Verhältnis zwischen antragstellendem Reichsleiter der Rechtsabteilung der NSDAP, Hans Frank, und der Bayerischen Staatsregierung, der Hans Franks als Justizminister zum fraglichen Zeitpunkt angehörte, mache ich hiermit vorweg aufmerksam. In der folgenden Endnote präsentiere ich erste Informationen zur „Einheit von Partei und Staat“ – vor und nach der »Niederschlagung« des angeblichen »Röhm-Putsches« durch Hitler.[58]
Auf Antrag des Reichsleiters der Rechtsabteilung der NSDAP. Dr. Frank erläßt die Bayerische Staatsregierung zur Förderung der Neugestaltung des deutschen Rechtslebens in Anwendung folgendes
Gesetz:
Einziger Artikel.
Auf Antrag des Reichsleiters der Rechtsabteilung der NSDAP. Dr. Frank werden der von ihm am 26. Juni 1933 gegründeten Akademie für Deutsches Recht die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes verliehen. Ihre Rechtsverhältnisse bestimmen sich nach der diesem Gesetz als Anlage beigegebenen Satzung.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934)
Und nun der Anfang der Satzung:
Satzung
Die Satzung der Akademie für Deutsches Recht wird nachstehend bekannt gegeben.§ 1 Die „Akademie für Deutsches Recht“ ist eine Körperschaft des Öffentlichen Rechtes. Sie hat die Rechte einer juristischen Person und ihren vorläufigen Sitz in München.
§ 2 Aufgabe der Akademie für Deutsches Recht ist, die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechtes und der Wirtschaft zu verwirklichen.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934)
Ich lasse § 1 unkommentiert, da das, was vor 1933 und nach 1949 in Deutschlands unter dem Begriff der Körperschaft öffentlichen Rechts verstanden wurde, deutlich von dem abweicht, was die akademischen Nationalsozialisten mit ihm begriffen. Im Unterabschnitt 7.10.1. zitiere ich eine Behauptung Carl Schmitts, die diesen Unterschied ausdrücklich zum Thema hat.
An § 2 der Satzung ist folgendes besonders bemerkenswert. Es gibt zwei Aufgaben der Akademie:
1. Förderung der Neugestaltung des deutschen Rechtsleben und
2. das nationalsozialistische Programm […] zu verwirklichen.
Allein aufgrund dieser zweiten Aufgabe ist jedes Mitglied der AfDR definitionsgemäß ein Nationalsozialist gewesen. Das nationalsozialistische Programm war am 24. Februar 1920 in 25 Punkten festgelegt worden. Noch in Teil I wird ein wenig erkennbar werden, dass und wie die AfDR an der Verwirklichung folgender Punkte von 1920 mitarbeitete:
1. Wir fordern den Zusammenschluß aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu einem Groß-Deutschland.
2. Wir fordern die Gleichberechtigung des deutschen Volkes gegenüber den anderen Nationen, Aufhebung der Friedensverträge von Versailles und St. Germain.
3. Wir fordern Land und Boden (Kolonien) zur Ernährung unseres Volkes und Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschusses.
4. Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.
http://www.documentarchiv.de/wr/1920/nsdap-programm.html
Mit Punkt 4 ist die Frage der »Mischlinge« zu einem wichtigen programmatischen Problem geworden, dass noch auf der
Wannseekonferenz zu Meinungsverschiedenheiten unter den akademischen Nationalsozialisten führte.
5. Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können und muß unter Fremden-Gesetzgebung stehen.
6. Das Recht, über Führung und Gesetze des Staates zu bestimmen, darf nur dem Staatsbürger zustehen. Daher fordern wir, daß jedes öffentliche Amt, gleichgültig welcher Art, gleich ob im Reich, Land oder Gemeinde nur durch Staatsbürger bekleidet werden darf. Wir bekämpfen die korrumpierende Parlamentswirtschaft einer Stellenbesetzung nur nach Parteigesichtspunkten ohne Rücksichtnahme auf Charakter und Fähigkeiten.
7. Wir fordern, daß sich der Staat verpflichtet, in erster Linie für die Erwerbs- und Lebensmöglichkeit der Bürger zu sorgen. Wenn es nicht möglich ist, die Gesamtbevölkerung des Staates zu ernähren, so sind die Angehörigen fremden Nationen (Nicht-Staatsbürger) aus dem Reiche auszuweisen.19. Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemein-Recht.
23. Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen die bewußte politische Lüge und ihre Verbreitung durch die Presse. Um die Schaffung einer deutschen Presse zu ermöglichen, fordern wir, daß
a) sämtliche Schriftleiter und Mitarbeiter von Zeitungen, die in deutscher Sprache erscheinen, Volksgenossen sein müssen.
b) Nichtdeutsche Zeitungen zu ihrem Erscheinen der ausdrücklichen Genehmigung des Staates bedürfen. Sie dürfen nicht in deutscher Sprache gedruckt werden.
c) Jede finanzielle Beteiligung an deutschen Zeitungen oder deren Beeinflussung durch Nicht-Deutsche gesetzlich verboten wird und fordern als Strafe für Übertretungen die Schließung einer solchen Zeitung sowie die sofortige Ausweisung der daran beteiligten Nicht-Deutschen aus dem Reich.
d) Zeitungen, die gegen das Gemeinwohl verstoßen, sind zu verbieten. Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen eine Kunst- und Literaturrichtung, die einen zersetzenden Einfluß auf unser Volksleben ausübt und die Schließung von Veranstaltungen, die gegen vorstehende Forderungen verstoßen
24. Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage:Gemeinnutz vor Eigennutz
25. […]
http://www.documentarchiv.de/wr/1920/nsdap-programm.html
Zurück zu § 2 der ersten Satzung der AfDR vom Sommer 1933. Die beiden näheren Bestimmungen der zweiten Aufgabe der AfDR sind auch interessant:
1.) „in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen“: Aus dieser näheren Bestimmung folgt, dass die Akademie selbst weder eine zuständige Stelle der Gesetzgebung des NS-Staates war noch sein sollte. Die AfDR wird „nur“ auf eine enge, dauernde Verbindung mit den Stellen der Gesetzgebung verpflichtet.
In der Praxis geschah das personell vor allem durch Mitwirkung von Staatssekretären der Ministerien in den Leitungsgremien und Ausschüssen der AfDR, insbesondere von Roland Freisler als Staatssekretär des Reichsjustizministeriums, und – noch wichtiger und deswegen bereits mehrfach erwähnt – und durch Ernennung Hans Franks zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich durch Hitler im Dezember 1934.
2.) Die AfDR sollte anfänglich das nationalsozialistische Programm nicht nur auf dem Gebiet des Rechts, sondern auch auf dem Gebiet der Wirtschaft verwirklichen.
Anhand der Liste der Gründungsmitglieder der AfDR ist ein wenig erkennbar, mit welchen Wirtschaftsvertretern Hans Frank bereits 1933 ausreichend enge Kontakte hatte.[59]
Ich zitiere § 2 ohne Auslassung weiter:
Dieser Zweck soll in Anwendung bewährter wissenschaftlicher Methoden erreicht werden.
Im einzelnen ist der Wirkungskreis der Akademie für Deutsches Recht vor allem
- die Anregung, Begutachtung, Vorbereitung und Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen,
- die Neugestaltung und Vereinheitlichung der rechts- und staatswissenschaftlichen Ausbildung,
- der Herausgabe und Unterstützung wissenschaftlicher Veröffentlichungen, | S. 250
- die finanzielle Förderung von praktischen wissenschaftlichen Arbeiten, die der Erforschung von Sondergebieten des Rechts und der Wirtschaft [2. Satzung: Volkswirtschaft; mw] dienen,
- die Veranstaltung von wissenschaftlichen Tagungen und die Einrichtung von Lehrkursen,
- die Pflege der Beziehungen zu gleichartigen Einrichtungen des Auslandes.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934), S. 249 f.
Dass die AfDR auf das Mittel „bewährter wissenschaftlicher Methoden“ zur Erreichung ihres Zweckes beschränkt wird, liegt im Begriff einer Akademie. Das schließt aber selbstverständlich nicht aus, dass Akademiemitglieder als Mitglieder anderer Organisationen oder als Privatpersonen das nationalsozialistische Programm auch mit anderen Mitteln verwirklichten sollten.
Die Akademie war nicht nur über die materielle Bestimmung einer ihrer zwei Aufgaben (Verwirklichung des nationalsozialistischen Programms) an den Nationalsozialismus und durch die formal-rechtliche Mitwirkung an der Gesetzgebung des NS-Staates wesentlich gebunden. Ihre erste satzungsgemäße Organisationsform machte sie zwar unabhängig vom NS-Staat, aber nicht unabhängig von der NS-Partei, da eine Personalunion zwischen dem „Führer der Akademie“ und einem Leitungsposten der NSDAP bestand. Ich zitiere:
§ 3 Führer der Akademie ist der Leiter der Rechtsabteilung der Reichsleitung der NSDAP.
§ 4 Dem Führer [der Akademie; mw] obliegen:
- die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung,
- die innere Leitung, insbesondere die Festsetzung und Verteilung der einzelnen Aufgaben einschließlich der Vermögensverwaltung,
- die Entscheidung über die Aufnahme und das Ausscheiden der Mitglieder,
- die Bestellung seines Vertreters, des Führerstabs und des Schatzmeisters aus der Zahl der Mitglieder,
- die Bestellung der Abteilungsleiter,
- die Vornahme von Satzungsänderungen,
- Die Entscheidung über die Auflösung der Akademie im Einvernehmen mit dem Führer der NSDAP.
Bei Verhinderung des Führers [der Akademie; mw] werden seine Aufgaben vom Stellvertreter [des Führers der Akademie; mw] übernommen.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934), S. 250
Nach § 3 der Satzung der AfDR liegt eine Personalunion von NSDAP und Akademie vor, wobei das Amt in der NSDAP das dominierende ist, da durch es bestimmt wird, wer Führer der Akademie ist – und nicht umgekehrt. Dass ferner die AfDR nur im Einvernehmen mit dem Führer der NSDAP aufgelöst werden kann (§ 4, Punkt 7), belegt zusätzlich die Unterordnung der Akademie unter die NS-Partei. Vereinfachend kann man sagen, dass die AfDR gemäß ihrer ersten Satzung eine Akademie der NS-Partei gewesen ist.
Die AfDR ist durch ihre Satzung aber nicht nur abhängig von der nationalsozialistischen Partei. Als Körperschaft öffentlichen Rechts des Staats Bayern wird sie durch eine Instanz des Staates Bayerns beaufsichtigt:
§ 8 Die Akademie für Deutsches Recht steht unter der Aufsicht des Staates, der die Aufsicht durch das Staatsministerium der Justiz ausübt.
[…]
München, 26.6.1933
Dr. Hans Frank
Reichsjustizkommissar,
Führer
der Akademie für Deutsches Recht.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934), S. 250
Da Hans Frank am 10. März 1933 „Staatsminister der Justiz“ in Bayern geworden war und das bis zum 31. Dezember 1934 blieb, beaufsichtigte er sich in seiner Rolle als bayerischer Staatsminister in diesem Zeitraum selbst in seiner Rolle als „Führer der Akademie“.
Nach meinem Sprung von § 4 zu § 8 zitiere ich nun ohne Auslassung die §§ 5 bis 7:
§ 5 Die Akademie umfaßt:
- ordentliche,
- außerordentliche,
- fördernde,
- korrespondierende Mitglieder
§ 6 Die Mitglieder werden auf die Dauer von 4 Jahren ernannt.
Die Mitglieder werden Fachabteilungen zugeteilt.
Die Zahl der ordentlichen Mitglieder soll zweihundert nicht übersteigen.
Die Mitglieder sind berufen, an den Veranstaltungen der Akademie teilzunehmen und nach näherer Anordnung des Führers an der Verfolgung der Ziele der Akademie für Deutsches Recht mitzuwirken.
§ 7 Im Falle der Auflösung der Akademie für Deutsches Recht ist ihr Vermögen in einer ihren Zwecken entsprechenden Weise zu verwenden.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934)
Zu den Veranstaltungen der AfDR, an denen nicht nur die ordentlichen, sondern alle Mitglieder teilnehmen sollten, gehörten vor allem die Vollsitzungen. Auf diesen Veranstaltungen können NS-Größen mit außerordentlichen Mitgliedern der AfDR zusammen am selben Tisch gesessen haben, ohne dass dies eine Zusammenarbeit beider Personen belegen würde. Leider hat Viktor Farías diesen Fehlschluss begangen (siehe Unterabschnitt 2.3.).
Wie bereits erwähnt, ist am Ende des ersten Jahrbuchs der Akademie für Deutsches Recht (JAfDR) ein Mitgliederverzeichnis abgedruckt (Quellenverzeichnis / Quelle 1). Zuerst werden die ordentlichen Mitglieder aufgeführt (S. 252-259). Dann die „II. Korporativen Mitglieder“. Solche Mitglieder kennt die erste Satzung nicht. Die Mitglieder, die auf diese Weise als Mitglieder der AfDR öffentlich bekannt gegeben wurden, sind vor allem universitäre Fakultäten, die jeweils durch ihre Dekane vertreten seien:
- Juristische Fakultäten: Berlin, Erlangen Frankfurt am Main, Gießen, Heidelberg, Köln, Leipzig, München
- Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultäten: Bonn, Breslau, Freiburg i. Br., Göttingen, Greifswald, Halle a.d. Saale, Hamburg, Kiel, Königsberg i. Pr., Marburg a. d. Lahn, Münster i. Westf., Würzburg
- Staatswissenschaftliche Fakultäten: Berlin, Leipzig, München
- Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät: Jena, Rostock, Tübingen
- Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät: Frankfurt am Main, Köln am Rhein
Darüber hinaus vertraten folgende Amtspersonen wissenschaftliche Korporationen in der AfDR:
- Der Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Seeverkehr, Kiel
- Die Rektor der Handelshochschule zu Berlin, Königsberg, Leipzig und Nürnberg
- Der Präsident der Hochschule für Politik, Berlin
- Der Präsident des Reichsverbandes der Deutschen Verwaltungsakademie, Berlin.
Falls diese wissenschaftlichen Institutionen tatsächlich und dauerhaft Mitglieder der AfDR waren, dann hatte ihr Präsident durch sie indirekt Einfluss auf einen Großteil der professionellen Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler des »Dritten Reiches« gehabt.
1.4.2. Das zweite Gesetz und die zweite Satzung der AfDR vom 11. Juli 1934
Im Sommer 1934 wurde die AfDR aufgewertet: Sie wurde unter Wahrung ihrer Aufgaben durch Reichsgesetz zu einer Körperschaft öffentlichen Rechts des Reiches gemacht (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 2).
Ich zitiere das Gesetz vollständig. Durch Streichungen und Fettdruck mache ich auf die wichtigsten Unterschiede zur Satzung vom Sommer 1933 aufmerksam.
Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht.
Vom 11. Juli 1934.
Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:
§ 1.
Die Akademie für Deutsches Recht, bisher eine Körperschaft des öffentlichen Rechts in Bayern, wird eine öffentliche Körperschaft des Reichs. Die Akademie hat eigene Rechtspersönlichkeit. Ihr Sitz ist
vorläufigMünchen.§ 2.
Aufgabe der Akademie ist, die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechts
und der Wirtschaftzu verwirklichen.§ 3.
Die Akademie steht unter der Aufsicht der Reichsminister der Justiz und des Innern.
§ 4
Der Präsident der Akademie wird vom Reichskanzler berufen und entlassen. Das Amt des Präsidenten ist ein Ehrenamt. Der Präsident vertritt die Akademie gerichtlich und außergerichtlich.
§ 5.
Die Rechtsverhältnisse der Akademie bestimmen sich, soweit nicht dieses Gesetz Vorschriften darüber enthält, nach der diesem Gesetz als Anlage beigegebenen Satzung.
Berlin, den 11. Juli 1934.
Der Reichskanzler:
Adolf Hitler.
Der Reichsminister der Justiz:
Dr. Gürtner
(Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht; 1934)
Die durch Fettdruck markierten Änderungen sind wichtig: Die AfDR ist nun eine Körperschaft des Reichs, die Personalunion von Beaufsichtigtem und Beaufsichtigenden ist aufgelöst und sie ist nun eine Akademie des NS-Staates und nicht mehr der NS-Partei, da der Präsident der AfDR nun durch den Reichskanzler berufen und entlassen wird. Durch diese Änderungen ist die AfDR mächtiger geworden, da sie durch die Veränderungen in den Stand gesetzt wurde, eine „enge dauernde Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen“ zu gewährleisten. Die für die Gesetzgebung zuständigen Stellen waren inzwischen nämlich keine bayrischen Staatsministerien oder Parteistellen mehr, sondern vor allem die Reichsministerien, die Reichsregierung und der Reichskanzler.[60] Diese Machtsteigerung wird Ängste im Bereich der Wirtschaft geschürt haben, dass nun eine Verstaatlichung der Wirtschaft bevorstünde. Um diese Sorge aus dem Weg zu räumen, so vermute ich, ist das zweite Verwirklichungsgebiet des nationalsozialistischen Programms gestrichen worden.
Dass Hans Frank am 19. Dezember 1934 durch Adolf Hitler zum „Reichsminister ohne Geschäftsbereich“ ernannt wurde[61], bestätigt meine Interpretation, dass die AfDR durch das zweite Gesetz mächtiger geworden ist. Denn nun war Hans Frank selbst Teil der Reichsregierung und damit Teil der formal-rechtlich wichtigsten Stelle für die Gesetzgebung des »Dritten Reichs«.
Soweit das Gesetz vom Sommer 1934. Als Anlage war ihm die zweite Satzung der AfDR beigegeben. Neben dem Wechsel von Bayern zum Reich, der offenkundig einen erheblichen Machtgewinn bedeutete, sind vor allem folgende Satzungsänderungen gemacht worden:
1. Die Mitwirkung der AfDR bei der Ausbildung angehender Rechts- und Staatswissenschaftler wird abgeschwächt. Sie arbeitet nun nur noch mit. Die Formulierung in der ersten Satzung wird ein Formulierungsfehler gewesen sein. An eine Abschaffung der Universitäten und von Staatsprüfungen werden Professor Wilhelm Kisch und Doktor Hans Frank beim Verfassen der ersten Satzung der AfDR kaum gedacht haben.
2. In der ersten Satzung wurde nichts über Ausschüsse der AfDR geregelt. Das wird im neuen § 2 nachgeholt. Ich zitiere ihn vollständig:
§ 2 Die Akademie kann in Durchführung ihrer Aufgabe zur Beratung einzelner Angelegenheiten besondere Ausschüsse einsetzen.
In die Ausschüsse sollen hervorragende Sachverständige aus den Kreisen der Rechtswissenschaft und Praxis sowie der Wirtschaft berufen werden. Den Vorsitz in den Ausschüssen führt in der Regel ein ordentliches Mitglied der Akademie. Die Ausschüsse erstatten über das Ergebnis ihrer Arbeiten dem Präsidenten der Akademie Bericht.
(Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht; 1934)
3. In § 3 wird neben dem Präsidenten als zweites und letztes Organ der AfDR ein „Präsidium“ erwähnt.
4. Der § 4 regelt besondere Aufgaben des Präsidenten. Im Unterschied zur ersten Satzung wird er diversen haushaltsrechtlichen Regeln unterworfen und wird durch weitere Paragraphen einer Dienstaufsicht unterstellt, die durch keine Personalunion mit dem zu Beaufsichtigenden offenkundig ad absurdum geführt wird (§§ 9 bis 12).
Neben dieser Ergänzung bedurfte es einer Ergänzung bezüglich der erstmalig thematisierten Ausschüsse. Ich zitiere diese Regel:
§ 4 Dem Präsidenten liegen außer den ihm durch das Gesetz übertragenen Aufgaben ob:
1. die innere Leitung […], die Einsetzung von Ausschüssen sowie die Berufung der Vorsitzenden und der Mitglieder der Ausschüsse, […]
(Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht; 1934)
5. Die Regelung zur Vertretung des Führers, nun Präsidenten der AfDR, wird präzisiert und bedarf nun der Bestätigung mehrerer Reichsminister.
§ 4 […]
Bei Verhinderung des Präsidenten werden seine Aufgaben von seinem Vertreter wahrgenommen.
Die Vornahme von Satzungsänderungen und die Ernennung des Vertreters des Präsidenten bedarf der Bestätigung der zuständigen Reichsminister.
(Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht; 1934)
Da der § 3 des Reichsgesetzes die AfDR unter die Aufsicht der Reichsministerien des Inneren und der Justiz stellte, wird auch die Bestätigung durch den Reichsinnenminister erforderlich gewesen sein. Vom Januar 1933 bis zum 20. August 1943 waren Wilhelm Frick (1877-1946) Reichsinnenminister. Wie Hans Frank gehörte auch Frick zu den „Alten Kämpfern“ der NSDAP, die im November 1923 in München einen Putsch gegen die Weimarer Republik unternahmen.
Bis in den Oktober 1937 hinein war Wilhelm Kisch Stellvertreter Hans Franks als Führer bzw. Präsident der AfDR. Danach wurde Carl August Emge (1886-1970) stellvertretender Präsident der AfDR.
6. Die Soll-Bestimmung bezüglich der Höchstzahl ordentlicher Mitglieder wurde von 200 auf 300 erhöht.
7. Das neue Präsidium wird in § 5 charakterisiert. Er lautet: „§ 5 Das Präsidium unterstützt und berät den Präsidenten bei seinen Aufgaben. Ihm liegt die Beratung des Haushaltsplans und die Vorprüfung der Haushaltsrechnung ob“.[62]
Mit Gesetz und Satzung vom 11. Juli 1934 war die öffentliche-rechtliche Gestalt der AfDR bis 1945 im Wesentlichen festgelegt. Es gab noch zwei weitere Satzungsänderungen.
1.4.3. Die dritte Satzung der AfDR vom 16. Oktober 1935
Am 16. Oktober 1935 wurde der Vermögensübergang im Fall einer Auflösung der AfDR neu geregelt (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 2). Ich zitiere den gesamten Text auf einmal, da er kurz ist:
Bekanntmachung über Änderung der Satzung der Akademie für Deutsches Recht.
Vom 16. Oktober 1935
Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht hat die im Reichsgesetzblatt 1934 Teil 1 S. 605 veröffentlichte Satzung der Akademie wie folgt geändert:
Hinter § 11 ist ein neuer § 12 mit folgendem Wortlaut eingefügt:
„§ 12 Im Falle einer Auflösung der Akademie für Deutsches Recht fällt das Vermögen der Akademie für Deutsches Recht an das Reich.“
Der bisherige § 12 ist § 13 geworden.
Die zuständigen Reichsminister haben diese Satzungsänderung bestätigt.
Berlin, den 16. Oktober 1935
Der Reichsminister der Justiz,
Dr. Gürtner
Der Reichsminister des Innern
Frick
(Satzungsänderung der AfDR; 1935)
Diese Satzungsänderung verschaffte dem Reich eine Sicherheit als Gegenleistung für die hohe Hypothek, welche die AfDR für den Neubau des „Haus des Rechts“ in München aufgenommen hatte.
1.4.4. Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April 1937
Mit Wirkung zum 1. April 1937 wurde eine erste Verwaltungsordnung für die AfDR in Kraft gesetzt (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 2). Sie ist in Heft 1 des Jahrgangs 1937 der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht veröffentlicht worden, und zwar im Rahmen eines Berichts über eine Präsidialsitzung der AfDR vom 15. Dezember 1936.
Ich zitiere letztlich den gesamten Bericht über die Sitzung des Präsidiums mit dem gesamten Text der Verwaltungsordnung. Ich unterbreche das Zitieren durch Kommentare. Der Bericht beginnt so:
Präsidialsitzung der Akademie für Deutsches Recht am 15. Dezember 1936
[0] Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Reichsminister Dr. Frank, hatte am 15. Dezember 1936 die Mitglieder des Präsidiums zu einer Sitzung nach Berlin zusammengerufen. Im Rahmen der Tagesordnung hielt Reichsminister Dr. Frank einen Vortrag über die Stellung der Akademie im Dritten Reich. Dabei führte er etwa folgendes aus:
Quelle 2: (Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
In 1.3.3. habe ich bereits durch Wiedergabe von Ergebnissen Pichinots skizziert, dass im September 1936 der Direktor der AfDR, Karl Lasch, bei H. H. Lammers in der Parteikanzlei einen Vorstoß unternommen hatte, der im Erfolgsfall bewirkt hätte, dass die AfDR zu einem Organ der Rechtsgebung des NS-Staates geworden wäre. Wie gleich ersichtlich werden wird, reagiert Hans Frank inhaltlich auf diesen Vorstoß. Und zwar so, dass er sich vom vollumfänglichen Erfolg dieses Vorstoßes distanziert. Gemäß des Wortlauts seiner veröffentlichten Rede wollte er nicht, dass die AfDR zu einer „Behörde“ im Dritten Reich gemacht würde. Ich zitiere nun Hans Franks Rede:
[1] „Wir stehen heute am Abschluß des ersten Aufbauabschnittes der Akademie. Die Aufgaben, die uns bei Gründung der Akademie gestellt worden sind, haben wir nach bestem Wissen und Vermögen zu erfüllen versucht. Die Institution der Akademie hat ihre Bewährungsprobe bestanden; sie hat sich im Rahmen der gesetzgebungspolitischen Aufgaben als eine Notwendigkeit erwiesen. Eine Revolution wie die nationalsozialistische kann nur dann am erfolgreichsten verwirklicht werden, wenn sich mit der leidenschaftlichen Erneuerungsidee die Klarheit eines aus der geistigen Tradition schöpfenden wissenschaftlichen Denkens verbindet. Die Akademie für Deutsches Recht stellt heute eine Institution des Ausgleichs von Interessenspannungen dar, die sonst zu einer Gefahr für die politische Einheit des Volkes werden müßten.
[2] Das, was in den verflossenen Jahren aus der Akademie geworden ist, kann nur als Anfang bezeichnet werden. Seinen äußeren Ausdruck fand das Wirken der Akademie bisher in machtvollen Kundgebungen, in Sitzungen und Arbeitstagungen und in den Ergebnissen unserer Ausschüsse. Vieles, was im Dritten Reich Gesetz geworden ist, wurde von unseren Ausschüssen geschaffen. Fast alles, was Gesetz geworden ist, wurde von unseren Ausschüssen mitbeurteilt. Alles aber, was Gesetz geworden ist, ging aus den gleichen Ideen hervor, auf die die Akademie ihr Wirken gründet.
Quelle 2: (Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
Mit diesen ersten beiden Absätzen stellt Hans Frank klar, dass die AfDR ihrer satzungsgemäßen Aufgabe erfolgreich nachgekommen ist. Ich zitiere weiter:
[3] In den kommenden Jahren wird der überwiegende Teil der uns zur Verfügung stehenden Mittel der fachlichen, wissenschaftlichen und gesetzespolitischen Arbeit der Akademie zu dienen haben. Diese Arbeiten sollen auf das stärkste gefördert und intensiviert werden. Zu diesem Zweck werden wir auch die Verbindung mit den Universitäten, den Hochschulen, den Studenten stärker noch als bisher pflegen. Das gleiche gilt von unserer Zusammenarbeit mit allen Stellen der Gesetzgebung. Jede Konkurrenz mit Reichs- oder Parteistellen liegt uns dabei vollkommen fern. Wir wollen uns nicht zu einer Behörde für Gesetzespolitik oder zu einem Institut für Rechts- und Sozialwissenschaft entwickeln, sondern unsere Stimme hören lassen, wenn es darum geht, das große Gut der Ideen des Dritten Reiches sicher durch die Wirrnis der Zuständigkeiten hindurchzusteuern.
Quelle 2: (Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
Durch diesen dritten Absatz stellt Hans Frank klar, dass er auch den satzungsgemäßen Modus der Aufgabenerfüllung billigte, nämlich dass diese Erfüllung in „Zusammenarbeit mit allen Stellen der Gesetzgebung“ zu erbringen sei. Ausdrücklich distanziert er sich ferner von einer Absicht, aus der AfDR eine „Behörde der Gesetzgebungspolitik“ zu machen. Die AfDR wäre eine solche Behörde geworden, wäre der Vorstoß von Karl Lasch vollumfänglich erfolgreich gewesen.
Der letzte Absatz seiner Rede dient nur noch dem Zweck, höflich zu sein. Ich zitiere:
[4] In den kommenden Jahren steht also eine Überfülle größter Aufgaben vor uns, und es ist mir eine besondere Ehre und Freude, Ihnen sagen zu dürfen, daß der Führer und seine Mitarbeiter in Partei und Reich von dem Wirken der Akademie Großes erwarten. Umgekehrt aber schulden wir unseren Dank dem Führer und dem ganzen deutschen Volk für das Verständnis, das sie unserer Arbeit stets entgegengebracht haben, und für die Mitwirkung bei der Lösung der uns gestellten Aufgaben. Mein Dank gilt aber auch allen denen, die unsere Arbeit durch die Kraft ihres Geistes oder durch materielle Mittel gefördert haben.
Quelle 2: (Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
Soweit die Rede von Hans Frank. Im nächsten Absatz wird in angemessener Kürze über die Billigung der Haushaltsführung der AfDR durch ihr Präsidium berichtet:
Im Anschluß an die Worte des Präsidenten der Akademie für Deutsches Recht, Reichsminister Dr. Frank, erstattete der Schatzmeister der Akademie, Generaldirektor Arendts, München, einen eingehenden Bericht über die Finanzlage der Akademie, über den Haushaltsplan 1936/37, die Rechnungsprüfung des Geschäftsjahres 1935/36 durch den Rechnungshof des Deutschen Reiches und über die Errichtung des Hauses des Deutsches Rechts. Die von dem Schatzmeister gestellten Anträge auf Entlastung und Genehmigung des Haushaltsplanes wurden vom Präsidium angenommen.
(Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
Die Verwaltungsordnung der AfDR wurde auf der Präsidiumssitzung vom 15. Dezember 1936 durch Prof. Wilhelm Kisch vorgestellt:
Hierauf sprach der stellvertretende Präsident der Akademie, Geheimrat Professor Dr. Kisch, über den Neuaufbau der wissenschaftlichen Arbeit und verkündete folgende
Anordnung des Präsidenten über den inneren Aufbau der Akademie für Deutsches Recht:
„Von dem Bestreben geleitet, die Durchführung der Aufgaben der Akademie für Deutsches Recht in Rechtsforschung und Rechtsgestaltung zu gewährleisten, einen sinnvollen Einsatz aller geeigneten Kräfte für die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens im Geiste der nationalsozialistischen Weltanschauung zu verwirklichen und der wissenschaftlichen Arbeit am deutschen Recht eine würdige Heimstätte zu errichten, bestimme ich auf Grund von § 4 Abs. 1 Nr. 1 der Akademiesatzung (RGBl. 1934, I, S. 605) folgendes:
I. Stück: Gliederung der Akademie.
§ 1. Die Berufung zum Mitglied geschieht in Anerkennung hervorragender Verdienste um das deutsche Rechtsleben. Sie verpflichtet zu treuer Mitarbeit an seiner Förderung, Gestaltung und Erforschung.
§ 2. Aus der Gesamtheit der ordentlichen Mitglieder der Akademie werden drei Abteilungen gebildet: Ein Ehrensenat, eine Abteilung für Rechtsgestaltung, eine Abteilung für Rechtsforschung.
§ 3. Der Abteilung für Rechtsgestaltung werden die bestehenden und neu zu bildenden Ausschüsse der Akademie zugeteilt.
§ 4. Die Abteilung für Rechtsforschung gliedert sich in Klassen, denen vorwiegend die folgenden Aufgaben zugewiesen sind: Klasse I: Erforschung der Geschichte und der Grundfragen des Rechtes, Klasse II: Erforschung des Rechtes von Reich und Volk, Klasse III: Erforschung des volksgenössischen Rechtslebens. Jede Klasse wird von einem Sekretär betreut.
§ 5. Der Präsident bestimmt die Zugehörigkeit der Mitglieder zu den Abteilungen und Klassen. Er kann auch korrespondierende Mitglieder der Akademie in diese berufen.
§ 6. Die einzelnen Gliederungen der Akademie sollen darauf bedacht sein, im Rahmen ihrer Aufgaben wertvolle weitere Kräfte aus dem Bereiche des Rechtslebens heranzuziehen und damit auch sie in den Dienst der Förderung des deutschen Rechtes zu stellen.
§ 7. Den Gliederungen wird ferner zur Pflicht gemacht, die Aufgaben der Akademie in gegenseitiger Förderung und vertrauensvoller Zusammenarbeit gemeinsam zu erfüllen.
II. Stück. Haus des Deutschen Rechts.
§ 8. In der Hauptstadt der Bewegung [= München; mw] errichtet die Akademie das ‚Haus des Deutschen Rechts‘.
§ 9. Das Haus des Deutschen Rechts soll der Mittelpunkt der der Akademie anvertrauten wissenschaftlichen Arbeit am Recht des nationalsozialistischen Reiches sein.
§ 10. Die Forschungs- und Bildungseinrichtungen der Akademie haben ihren Sitz im Haus des Deutschen Rechts.
§ 11. Nähere Anordnungen über die Durchführung der Aufgaben des Hauses des Deutschen Rechts behalte ich mir vor.
(Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
Nach § 3 dieser Verwaltungsordnung wurde der Ausschuss für Rechtsphilosophie mit Wirkung vom 1. April 1937 der Abteilung für Rechtsgestaltung zugeordnet. Die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie des Zeitraums 1941 bis 1943 ist aber gemäß der Suchmaschine invenio des Bundesarchives in einer Geschäftsführungsakte mit dem Titel „Organisationsplan und Verzeichnis der Abteilung für Rechtsforschung in der ADR“ enthalten (siehe Abschnitt 9). Es ist deswegen zu vermuten, dass irgendwann zwischen dem 1. April 1937 und dem Jahr 1941 eine Neuzuordnung des Ausschusses für Rechtsphilosophie weg von der Abteilung für Rechtsgestaltung in die Abteilung für Rechtsforschung vorgenommen worden ist. Diese Vermutung wird durch einen Quellenfund bestätigt, über den Anderson berichtet:
In spite of the fact that Frank and Rosenberg took an active role in setting the tone and program of this committee [for legal philosophy; mw], it met only infrequently with no tangible results and merged with class one of the division for legal research in 1938.17
17 See Binder’s comments at the Dec. 9, 1938 meeting of class one, protocol of the meeting, ADR files, R 61/77, BK
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 347
Der Ausdruck „Rechtsgestaltung“ ist übrigens ein Neologismus, der ein ähnliches Sachgebiet wie der verpönte »liberalistische« Ausdruck „Rechtssetzung“ (Gesetzgebung, Verordnungsgebung, Maßnahmen, Rechtsprechung) erfassen sollte, ohne über dessen staatsrechtlichen und staatsphilosophischen Konnotationen zu verfügen.
Zurück zum Bericht über die Präsidialsitzung vom 15. Dezember 1936. Er endet so:
Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht sprach nach Erledigung der übrigen Tagesordnungspunkte den Mitgliedern des Präsidiums, insbesondere dem stellvertretenden Präsidenten, Geheimrat Professor Dr. Kisch, dem Schatzmeister, Generaldirektor Arendts und Direktor Dr. Lasch seinen Dank für die im Jahre 1936 geleistete hervorragende Arbeit aus. An der sich im Anschluß an die Tagesordnung entwickelnden Aussprache beteiligten sich vor allem der Preußische Staats- und Finanzminister Professor Dr. Popitz und Geheimrat Kißkalt, München.
(Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
1.4.5. Neufassung der Satzung und Verwaltungsordnung der AfDR vom 9. Juni 1943
Wie bereits mehrfach erwähnt, wurde Otto Thierack im August 1942 neuer Präsident der AfDR. Zugleich ist Thierack neuer Reichsjustizminister geworden. Damit gab es wieder wie im ersten Jahr der AfDR eine Personalunion zwischen aufsichtsführendem Minister und beaufsichtigtem Präsidenten der AfDR.
Fast ein Jahr später ist eine neue Satzung und eine neue Verwaltungsordnung in Kraft gesetzt worden (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 2). Der Gesamttext ist relativ lang. Mir sind keine Änderungen aufgefallen, die etwas an der Substanz der AfDR verändert hätten. Die Veränderungen betreffen nur die Binnenorganisation. Sie ist zentralistischer geworden. Dieser Zentralisierung verdanken wir vielleicht die Tatsache, dass es die Akte mit der Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Jahre 1941 bis 1943 überhaupt gibt.
In der Präambel wird folgendes mitgeteilt:
Neufassung der Satzung und Verwaltungsordnung
der Akademie für Deutsches Recht
Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht hat mit Bestätigung der Aufsichtsbehörden die Satzung die Akademie für Deutsches Recht neu gefaßt und auf Grund dieser Satzung die Verwaltungsordnung der Akademie, soweit erforderlich, umgestaltet. Für die Aufgaben, Gliederung und innere Ordnung der Akademie sind nunmehr neben dem Reichsgesetz über die Akademie für Deutsches Recht vom 11. Juli 1934 (RGBl. I S. 605) die nachstehend abgedruckten Bestimmungen maßgebend.
(Neufassung der Satzung und der Verwaltungsordnung der AfDR; 1943)
Zu Beginn der Satzung werden die Aufgaben der AfDR festgesetzt. Sie sind materiell nicht verändert worden:
Satzung1)
Die Aufgaben der Akademie
§ 1. Die Akademie für Deutsches Recht hat nach dem Reichsgesetz vom 11. Juli 1934 (RGBl. I 605) die Aufgabe, die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiet des Rechts zu verwirklichen. Insbesondere umfaßt der Wirkungskreis der Akademie:
1. die Anregung, Vorbereitung, Ausarbeitung und Begutachtung von Gesetzentwürfen,
2. die Durchführung und Unterstützung von rechts- und staatswissenschaftlichen Forschungen, Untersuchungen und Veröffentlichungen,
3. die Pflege der Beziehungen zum Rechtsleben des Auslandes,
4. die Veranstaltung von Tagungen im Rahmen ihrer Aufgaben.
1) Verkündet als Anlage zum Ges. vom 11.7.1934 (RGBl. 1934 I, 605), geändert durch Bek. vom 16.10.1935 (RGBl. 1935 I, 1250) u. neu gefaßt in der Bek. vom 9.6.1943 (Dt. Reichsanz. 1943 Nr. 132)
(Neufassung der Satzung und der Verwaltungsordnung der AfDR; 1943)
Mit Blick aufs Weitere zitiere ich noch aus der Verwaltungsordnung den Passus über das Präsidium der AfDR und über die Ausschussvorsitzenden.
II. Das Präsidium
§ 3. Das Präsidium steht unter der Leitung des Präsidenten. Kraft Amtes gehören ihm an: der Reichsminister der Justiz, der Reichsminister des Innern, der stellvertretende Präsident [der AfDR; mw] und der Leiter der rechtspolitischen und wissenschaftlichen Arbeiten [der AfDR; mw]. Die übrigen Präsidialmitglieder beruft der Präsident aus dem Kreis der ordentlichen Mitglieder. Die Geschäftsführung des Präsidiums obliegt dem Direktor.
Das Präsidium tritt alljährlich einmal zusammen. Der Präsident kann darüber hinaus das Präsidium in außerordentlichen Fällen einberufen.
(Neufassung der Satzung und der Verwaltungsordnung der AfDR; 1943)
Die ausführlicheren Bestimmungen des dritten Stücks der Verwaltungsordnung sind interessant, weil sie den Status der Geschäftsführungsakte mit der Signatur R 6/30 erklären, in der ich die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie des Zeitraums 1941 bis 1943 gefunden habe. Ich zitiere deshalb das dritte Stück vollständig. Durch Fettdruck hebe ich die Bestimmung hervor, die dafür sorgten, dass es zentrale Geschäftsführungsakten über viele Ausschüsse der AfDR gab:
3. Stück. Die Ausschuß-Vorsitzenden und Klassen-Sekretäre
§ 7. Der Ausschuß-Vorsitzende hat die Zusammensetzung seines Ausschusses im Einvernehmen mit dem Leiter der rechtspolitischen und wissenschaftlichen Arbeiten vorzubereiten. Die Ausschuß-Mitglieder sollen sich aus Wissenschaft und Praxis sowie den beteiligten Partei- und Reichsdienststellen zusammensetzen. Neben den ständigen Ausschuß-Mitgliedern kann der Vorsitzende zu den Beratungen Sachkenner als Mitarbeiter und Gäste heranziehen.
Die Berufung der Ausschuß-Mitglieder erfolgt durch Berufungsschreiben des Präsidenten; er kann die Berufung dem Leiter der rechtspolitischen und wissenschaftlichen Arbeiten übertragen.
Der Vorsitzende hat den Ausschuß im Einvernehmen mit der Leitung der Akademie (§ 6 Ziff. b der Verwaltungsordnung) zu Sitzungen einzuberufen.
Die Geschäftsführung der Ausschüsse liegt bei den zuständigen Referenten der Akademie.
Der Ausschuß-Vorsitzende kann im Bedarfsfall im Einvernehmen mit dem Leiter der rechtspolitischen und wissenschaftlichen Arbeiten zur Bearbeitung von Sonderfragen │ S. 138 und Teilproblemen Unterausschüsse und Arbeitsgemeinschaften einsetzen.
Ebenfalls können im Einvernehmen mit dem Leiter der rechtspolitischen und wissenschaftlichen Arbeiten die Vorsitzenden mehrerer Ausschüsse zur Behandlung bestimmter Fragen gemeinsame Sitzungen abhalten und zu diesem Zweck Sonderausschüsse bilden.
Die für die Ausschüsse geltenden Bestimmungen finden auf die Arbeitsgemeinschaften entsprechende Anwendung.
Der Ausschuß-Vorsitzende hat für eine sachgemäße Zusammenarbeit seines Ausschusses mit der jeweils zuständigen Klasse der Rechtsforschungsabteilung Sorge zu tragen.
Das Ergebnis der Arbeiten hat der Vorsitzende dem Präsidenten vorzulegen. Über die Frage der Veröffentlichung entscheidet der Präsident.
(Neufassung der Satzung und der Verwaltungsordnung der AfDR; 1943)
Neben der professionelleren Organisationsstruktur der AfDR gibt es keine Änderungen, die mir besonders aufgefallen sind.
1.5. Ergebnissicherung
Ich habe diesen ersten Abschnitt von Teil I mit einem Überblick über Primär- und Sekundärtexte begonnen, in deren Zentrum entweder Hans Frank oder Alfred Rosenberg stehen. Mit Blick auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie ist das Ergebnis sehr dürftig gewesen. Bestenfalls wird mitgeteilt, dass Hans Frank Vorsitzender dieses Ausschusses gewesen ist. Dass Hans Frank und Alfred Rosenberg nach 1939 im Osten kooperierten, ist bekannt. Dass Hans Frank und Alfred Rosenberg während des Zweiten Weltkrieges zusammen Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gewesen sind, ist meines Wissens von der Forschung bislang nicht zur Kenntnis genommen worden.
Nebenbei habe ich die Erinnerungen meiner Leser aufgefrischt, was Hans Frank und Alfred Rosenberg nach 1939 getan haben, so dass sie zu Recht als Hauptkriegsverbrecher angeklagt und verurteilt worden sind. Das ist fürs Gesamtverständnis des akademischen Nationalsozialismus hilfreich.
Hin und wieder gab es in den gesichteten Forschungstexten interessante Erwähnungen anderer Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Dass Carl Schmitt mehrfach erwähnt wird, ist nicht überraschend. Dass die Kontakte zwischen Carl Schmitt und Hans Frank so eng waren, dass Niklas Frank erwägen musste, dass Carl Schmitt sein Vater gewesen ist, ist beachtenswert. Mehr aber auch nicht. Dass Heidegger in den Anfangsjahren des Dritten Reichs im Umkreis der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik erwähnt wird, ist ebenfalls Teil des etablierten Forschungsstands. Interessanter ist, dass Ernst Piper (2015) Erich Rothacker im Kontext seiner Darstellung einer nationalsozialistischen Erziehung der nächsten Generation mit einer Behauptung zitiert, dass ein „rassisch befriedigender Bevölkerungsdurchschnitt […] in dem Rassengemisch einzelner deutscher Stämme“ nur noch dann erreichbar sei, wenn das »jugendliche Menschenmaterial im Geiste der rassisch besten Bestandteile« des deutschen Volkes »geknetet« würde. Durch ausführlicheres Zitieren aus Rothackers Primärtext konnte ich belegen, dass die von Piper zitierte Behauptung Rothackers im Kontext einer emphatische Aufnahme und Ausgestaltung Rothackers von Gedanken Hitlers, Rosenbergs und Darrés steht. Da der Ausschuss für Rechtsphilosophie im Mai 1934 konstituiert wurde und der Text Geschichtsphilosophie Rothackers 1934 in einem Handbuch für Philosophie veröffentlicht wurde, gibt es tatsächlich einen ersten, abgesicherten Einblick in die Philosophie, die von Hans Frank für würdig erachtet wurde, im Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR vertreten zu sein.
Durch Auswertung der Gesetze, Satzungen und Verwaltungsordnungen der AfDR konnte ich zusätzlich folgendes etablieren:
Die AfDR war seit dem Sommer 1934 eine Körperschaft öffentlichen Rechts des Reichs, deren gesetzliche Aufgabe es unverändert und ununterbrochen war, „die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechts zu verwirklichen.“
Die „enge dauernde Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen“ war spätestens ab dem Dezember 1934 dadurch gewährleistet, dass die beiden Präsidenten, die die AfDR hatte, in Personalunion Reichsminister waren: Ihr erster Präsident, Hans Frank, war im Dezember 1934 durch Hitler zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich ernannt worden. Otto Thierack, der im August 1942 Präsident der AfDR wurde, ist gleichzeitig Reichsjustizminister geworden.
2. Der dürftige Forschungsstand zum Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht
Ich stelle den Forschungsstand zum Ausschuss für Rechtsphilosophie chronologisch nach dem Veröffentlichungszeitpunkt des Textes dar.
2.1. Pichinot (1981) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
In der Kieler Dissertation von Hans-Rainer Pichinot aus dem Jahr 1981, die nicht verlegt, aber mit Genehmigung der Rechtswissenschaftliche Fakultät „gedruckt“ worden ist, wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie auf insgesamt 181 Seiten nur dreimal erwähnt. Pichinot hat dasselbe unveröffentlichte Schriftgut der AfDR (R 61/29-31) gesichtet wie ich. Das geht aus seinem Quellenverzeichnis hervor. Ich habe nur diese drei Akten der AfDR kursorisch durchgesehen. Pichinot hat weit mehr Akten der AfDR nach eigenen Angaben berücksichtigt. Erstgutachter der Dissertation ist Prof. Dr. Hans Hattenhauer (1931-2015) gewesen (siehe Unterabschnitt 1.3.2.).
Ich zitiere nun die drei Bezugnahmen Pichinots auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Die ersten beiden finden sich im Kontext von Pichinots Darstellung des Jahres 1937. Wie ich in 1.4.4. dargestellt habe, trat zum 1. April 1937 erstmalig eine Verwaltungsordnung für die AfDR in Kraft. Durch diese Verwaltungsordnung ist u.a. die Binnenorganisation der AfDR geändert worden. Als neue Gliederungsebene sind zwei Abteilungen gebildet worden. Eine Abteilung für Rechtsgestaltung und eine Abteilung für Rechtsforschung. Ich zitiere erneut die beiden entsprechenden Paragraphen aus dieser Verwaltungsordnung der AfDR:
§ 3. Der Abteilung für Rechtsgestaltung werden die bestehenden und neu zu bildenden Ausschüsse der Akademie zugeteilt.
§ 4. Die Abteilung für Rechtsforschung gliedert sich in Klassen, denen vorwiegend die folgenden Aufgaben zugewiesen sind: Klasse I: Erforschung der Geschichte und der Grundfragen des Rechtes, Klasse II: Erforschung des Rechtes von Reich und Volk, Klasse III: Erforschung des volksgenössischen Rechtslebens.
Quelle 2: (Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
Aufgrund von § 3 ist zu erwarten, dass der im Mai 1934 gegründete Ausschuss für Rechtsphilosophie der 1937 neu geschaffenen Abteilung für Rechtsgestaltung zugeteilt werden würde. Pichinot behauptet, dass dies tatsächlich geschehen ist:
3. KAPITEL: DIE ABTEILUNG FÜR RECHTSGESTALTUNG
Für die Abteilung für Rechtsgestaltung hatte die Verwaltungsordnung keine wesentlichen Veränderungen gebracht. Die Beaufsichtigung durch Abteilungsleiter war entfallen, und die Stellung der Ausschußvorsitzenden war dadurch weiter gestärkt worden. Bis 1937 waren für nahezu alle Bereiche des Rechtslebens Ausschüsse der Akademie eingesetzt worden. Es gab nun auch solche für Bibliotheksrecht, Bodenkulturrecht, Bodenrecht, Enteignungsrecht, Erbrecht, Fahrnisrecht, Filmrecht, GmbH-Recht, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Genossenschaftsrecht, Geistiges Schaffen, Handelspersonalgesellschaften, Handelsstand und Handelsgeschäfte, Jugendrecht, Kolonialrecht, Koloniales Staats- und Verwaltungsrecht, Fragen der deutschen Konnationale, Nationalitätenrecht, Konkursrecht, Kraftfahrzeugrecht, Luftrecht sowie Patent- und Gebrauchsmusterrecht.3) Ferner be– │ S. 105 standen Unterausschüsse für die Ordnung der Kreisverwaltung und für terminologische Angelegenheiten und Ausschüsse für Rechtsfragen der Bevölkerungspolitik, Rechtsfragen des Wirtschaftsaufbaus, Rechtsphilosophie, Seeversicherungsrecht, Strafvollzug, Vereinsrecht, Verkehrsrecht, Versicherungs-, Agenten- und Maklerrecht, Kriegsstrafrecht, Wehrstrafrecht sowie für Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht.1) Zusammen mit den Ende 1933 gegründeten Ausschüssen verfügte die Abteilung für Rechtsgestaltung damit über 59 Ausschüsse. […]
3) Bundesarchiv R 61/106, Bl. 2 ff.
1) Bundesarchiv a.a.O.
(Pichinot 1981), S. 104-105
Ich kenne die Akte R 61/106 nicht. Da die belegte Behauptung Pichinots über den Ausschuss für Rechtsphilosophie bestätigt, was aufgrund der neu erlassenen Verwaltungsordnung zu erwarten war, vermute ich, dass Pichinots Behauptung korrekt ist. Anderson (1982/87) hat evidenzbasiert behaupten, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie 1938 mit der Abteilung für Rechtsforschung vereinigt worden sei. Auch diesen Beleg kenne ich nicht. Für meine Aufklärung über den akademischen Nationalsozialismus sind diese verwaltungsorganisatorischen Zuteilungen unwichtig. Wichtig ist, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie nachweislich noch 1937 und 1938 existierte.
Ich zitiere nun die zweite Bezugnahme Pichinots auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie:
Frank entschied sich [1937; mw] für Emge. Und unter Emges Leitung, der auch Franks Stellvertreter im Vorsitz des Ausschusses für Rechtsphilosophie war5), endete der wissenschaftliche Teil der Jahrestagung [der AfDR 1937; mw] mit einer gemeinsamen Sitzung der Abteilungen für Rechtsgestaltung und Rechtsforschung.
5) ZAkDR a.a.O. [1937; mw]; DJ a.a.O., S. 1754
(Pichinot 1981), S. 111
Ich habe die Belege, die Pichinot für seine Behauptung, dass Emge stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie war, geprüft. Die beiden in der Fußnote 5 angegebenen Belege weisen das nicht nach. In den beiden Artikeln der beiden Zeitschriften wird nichts über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet. In beiden Berichten geht es nur um den Personalwechsel auf der Stelle des stellvertretenden Präsidenten der AfDR. 1937 findet ein Wechsel von Wilhelm Kisch zu C. A. Emge auf dieser Position statt. Es ist aber richtig, dass Emge stellvertretender Vorsitzender des Ausschuss für Rechtsphilosophie war. Es findet sich auch mindestens ein Beleg für diese Tatsache in den Akten der AfDR, die Pichinot nach eigener Angaben berücksichtigt hat, nämlich das Blatt 171 der Akte mit der Signatur R 61/30. Dieses Blatt erwähnt Pichinot aber nicht. Falls er es nicht kannte, ist fraglich, woher er wusste, dass Emge stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie war.
Die dritte Bezugnahme Pichinots auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie findet sich im vierten Anhang, der ein „Verzeichnis der Ausschüsse“ der AfDR „und ihrer Vorsitzenden“ bietet (S. 170 ff.). Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird auf S. 172 aufgeführt. Sein Vorsitzender, Hans Frank, wird als „Reichsminister Dr.“ charakterisiert. Interessant ist die Fußnote, in der Pichinot mitteilt, aufgrund welcher Akten er sein Verzeichnis erstellt hat. Dabei erwähnt Pichinot auch ausdrücklich die Akte R 61/30. Auf Blatt 171 dieser Akte befindet sich die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie , die nicht vor dem 17. Juli 1941 erstellt worden sein kann. Auf diesem Blatt ist auch die Information zu finden, dass Emge stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
ANHANG IV: VERZEICHNIS DER AUSSCHÜSSE UND IHRER VORSITZENDEN1)
[…] │ S. 172 […]
Rechtsphilosophie Reichsminister Dr. Frank […]
1) zusammengestellt nach Bundesarchiv R61/3; R61/5; R61/30; R61/78; R61/106; R22/4330[63]; DJ [Zeitschrift „Deutsche Justiz“; mw] 1933, S. 787; DJZ [„Deutsche Juristen-Zeitung; mw] 1933, Sp. 1533; DR [Zeitschrift „Deutsches Recht“; mw] 1933, S. 205 f.; DRiZ [„Deutsche Richterzeitung“; mw] 1933, S. 321
(Pichinot 1981), S. 170-172
Nach eigenen Angaben hat Pichinot die Akte R 61/30 zur Kenntnis genommen. Trotzdem erfährt man durchs Lesen seiner Dissertation über die AfDR nur, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie 1937 bereits bestand und der Abteilung für Rechtsgestaltung zugeteilt wurde und dass sein Vorsitzender Hans Frank und sein stellvertretender Vorsitzender C. A. Emge gewesen ist.
2.2. Anderson 1982/87 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Ein Jahr nach Pichinot wurde Dennis LeRoy Anderson 1982 mit der Schrift The Academy of German Law (1933-1944) von der University of Michigan promoviert.[64] 1987 erschien die Dissertationsschrift in der Reihe „Modern European History. A Garland Series of Outstanding Dissertations“, deren Hauptherausgeber zum relevanten Zeitpunkt William H. McNeill (1917 – 2016) war. Die Monographie ist 655 Seiten lang.
2.2.1. Carl Schmitt war angeblich seit Mitte der 1930-er Jahre Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Im Haupttext seiner Dissertationsschrift berichtet Anderson über den Ausschuss für Rechtsphilosophie nur folgendes:
In order not to neglect theoretical work within the committee structure, Frank formed a committee on legal philosophy, which he personally chaired. The committee consisted of a number of ADR and Nazi luminaries, including legal historian Julius Binder, international law expert Viktor Bruns, philosopher Martin Heidigger [so im Original; mw], Carl Schmitt and Alfred Rosenberg. It held its inaugural meeting on May 3, 1934, appropriately enough in the Nietzsche archives in Weimar, with Frank delivering an address, which stressed the element of race more pointedly than was the case in many ADR committees.16 In spite of the fact that Frank and Rosenberg took an active role in setting the tone and program of this committee, it met only infrequently with no tangible results and merged with class one of the division for legal research in 1938.17
16 On the opening session of the committee for legal philosophy, see “Lebensrecht, nicht Formalrecht,” Deutsches Recht, IV (1934), 231-234. For a membership list of the committee in the mid-1930’s. see NA, T-82, roll 23, ADR 5.[65]
17 See Binder’s comments at the Dec. 9, 1938 meeting of class one, protocol of the meeting, ADR files, R 61/77, BK
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 347
Dass Hans Frank den Rassebegriff ins Zentrum der zu leistenden Arbeit des Ausschuss für Rechtsphilosophie stellte, ist auch in Farías Darstellung erkennbar. In meinen Abschnitt 4 werde ich ausführlich auf die Rede von Hans Frank am 3. Mai 1934 zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie eingehen.
Wichtig sind folgende Behauptungen Andersons: Neben Martin Heidegger war auch Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Aus dem Bericht vom 4. Mai 1934 der Frankfurter Zeitung über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie kann das nicht mit Sicherheit gefolgert werden, da dort ein „Staatsrat Schmidt“ erwähnt wird und „Schmidt“, „Schmitt“, „Schmied“ mit die häufigsten Nachnamen in deutscher Sprache sind. Ich gehe davon aus, dass der zweite Satz der Fußnote 16 den Beleg für Andersons Behauptung über die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie angibt. Ich kenne diese unveröffentlichte Quelle nicht. Ich vermute, dass Anderson sie korrekt ausgewertet hat. Anderson (1982/87) hätte demnach nachgewiesen, dass Mitte der 1930-er Jahre Carl Schmitt und Martin Heidegger gemeinsam Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind. Die Schmitt-Forschung hat diesen Hinweis von Anderson bisher nicht berücksichtigt hat (siehe Abschnitt 2.10.).
2.2.2. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie existierte von 1934 bis 1943
Ich kenne Binders Kommentare vom 9. Dezember 1938 bei einem Treffen der Klasse I („Erforschung der Geschichte und der Grundfragen des Rechts“[66]) der Abteilung für Rechtsforschung nicht, da die Quelle nicht veröffentlicht ist. Die angeblichen Charakterisierungen Binders „unregelmäßig“ und „ohne greifbares Resultat“ scheinen mir zu vage zu sein, als dass ich irgendeine Behauptung auf sie stützen wollen würde: Auch wer sich drei Mal die Woche aber zu verschiedenen Tageszeiten und an verschiedenen Wochentagen trifft, trifft sich unregelmäßig. Dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie kein „greifbares Resultat“ erarbeitet hat, bedeutet wörtlich genommen nur, dass es kein raum-zeitliches Objekt gibt, das er zurechenbar erzeugt hat. Und tatsächlich gibt es zum Beispiel keinen Text, der damals unter Nennung des Ausschuss für Rechtsphilosophie als Verfasser veröffentlicht worden ist. Jedenfalls habe ich bis bisher einen solchen Text nicht finden können.
Dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie nach dem 1. April 1937 der Klasse I der Abteilung für Rechtsforschung zugeordnet werden musste, hatte ich bereits in meinem Unterabschnitt 1.4.4. prognostiziert. Diese Zuordnung war durch die erste Verwaltungsordnung der AfDR erforderlich geworden, die zum 1. April 1937 in Kraft trat. Durch diese Zuordnung, die anscheinend tatsächlich vor dem 9. Dezember 1938 vorgenommen worden ist, ist der Ausschuss für Rechtsphilosophie aber nicht aufgelöst worden, wie ich im Weiteren anhand mehrerer Quellen nachweisen werde.
Dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie bis in den Januar 1943 existierte, erwähnt auch Anderson in seiner Dissertation. Das ist ein sehr wichtiges Ergebnis seiner Dissertation gewesen. Leider hat Anderson es nur in einer Liste im Anhang seines Buches präsentiert und nicht eigens auf es aufmerksam gemacht. Brisant wäre die Information geworden, hätte Anderson die Information zum Auflösungszeitpunkt des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Januar 1943 verbinden können mit der Mitgliederliste dieses Ausschusses, die nicht vor dem 17. Juli 1941 erstellt worden sein kann.
Die Information zur Existenzdauer des Ausschusses für Rechtsphilosophie in Andersons Dissertation findet sich in seinem „Appendix B. Committees of the Academy for German Law“, der die Seiten 573 bis 581 einnimmt. Andersons Liste der Ausschüsse der AfDR umfasst drei Spalten. In der ersten Spalte ist der Name des Ausschusses und ggf. die Namen seiner Unterausschüsse angegeben. In der zweiten Spalte ist der Name des Vorsitzenden angegeben. Wenn es einen Personalwechsel gab, sind in dieser zweiten Spalte mehrere Namen angegeben unter Angabe, ab wann die jeweilige Person Vorsitzender war. Die dritte Spalte informiert über die Existenzphasen der Ausschüsse. Ich zitiere die zwei Auszüge aus dem Appendix B, die den Ausschuss für Rechtsphilosophie betreffen:
Appendix B.
Committees of the Academy for German Law
[…] Dates indicate the formal beginning and closing dates of the committee’s existences bracketed dates indicate the de facto cessation of committee activity when known. The letter (d) designates that the committee was dissolved in the year noted; the letter (s) means that it was only suspended and not officially abolished.
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 573
Soweit Andersons Erläuterung seines sehr hilfreichen Anhanges zu den Ausschüssen der AfDR. Nun der Ausschnitt seiner Tabelle, der den Ausschuss für Rechtsphilosophie betrifft:
Committee Chairman Dates […] Rechtsphilosophie Hans Frank 1934-[1938] 1943 [d]
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 578
Andersons Angabe zur Existenzdauer des Ausschusses für Rechtsphilosophie bedeutet, dass der Ausschuss 1934 gegründet und dass er erst 1943 aufgelöst wurde. Der Einschub „-[1938]“ bedeutet, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie bereits 1938 erstmalig irgendwie aufgelöst, suspendiert oder ähnliches worden ist. Gemäß seiner Auskunft auf Seite 347 über Julius Binders Bericht über ein Treffen der Klasse 1 der AfDR müssen die Leser von Andersons Dissertationsschrift davon ausgehen, dass die Angabe „[1938]“ jene Verschmelzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie mit der Klasse 1 bezeichnet, da der Gesamttext keine weitere Information über den Ausschuss für Rechtsphilosophie im Jahr 1938 enthält.
Den Existenzrhythmus 1934-1938-1943 weist übrigens nicht nur der Ausschuss für Rechtsphilosophie auf. In folgender Tabelle habe ich alle Ausschüsse aus Andersons Tabelle zusammengestellt, für die der Rhythmus 1934-[1938] 1943 gilt:
Committee Chairman Dates Aktienrecht Wilhelm Kisskalt 1934-[1938] 1943(d) Beamtenrecht Hermann Neef 1934-[1938] 1943(s) Filmrecht Oswald Lehnich 1934-[1938] 1943(s) Finanz- und Steuerrecht Fritz Reinhardt 1934-[1938] 1943(d) Personen-, Vereins- und Schuldrecht Justus Wilhelm Hedemann 1934-[1939] 1943(d) Rechtsphilosophie Hans Frank 1934-[1938] 1943(d) Verkehrsrecht Wilhelm Koenigs 1934-[1939] 1943(d) Verwaltungsrecht (Staats- und
Verwaltungsrecht)
Carl Schmitt; Wilhelm Stuckart
(1935)
1934-[1939] 1943(s)
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 573-581
Das sind 8 von insgesamt 62 Ausschüsse (ohne Unterausschüsse), die Anderson in seinem Appendix B aufgeführt hat. Ich kann keine interessante Gemeinsamkeit erkennen. Wichtig ist nur die Tatsache, dass der Existenzrhythmus des Ausschusses für Rechtsphilosophie akademie-intern unauffällig ist.
Besonders bemerkenswert ist für sich genommen der Ausschuss für Verwaltungsrecht, weil Carl Schmitt bis 1935 und ab 1935 Wilhelm Stuckart sein Vorsitzender gewesen ist. Wilhelm Stuckart (1902-1953) wird bekanntlich als Staatssekretär des Reichsinnenministeriums an der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 teilnehmen.
Appendix A von Andersons hilfreichem Buch ist eine sehr lange Liste von Mitgliedern der AfDR, die Anderson aus verschiedenen Quellen der Jahren 1933 bis 1943 zusammengestellt hat. Da Mitglieder von Ausschüssen der AfDR nicht auch Mitglieder der AfDR waren, ist es weiter nicht überraschend, dass die Namen Heidegger und Freyer im Appendix A nicht auftauchen.
Übrigens: In Andersons Dissertation aus dem Jahr 1982, die unverändert 1987 verlegt worden ist, wird die unverlegte Dissertation Pichinots aus dem Jahr 1981 nicht erwähnt. Anderson wird Pichinot (1981) nicht gekannt haben.
2.3. Viktor Farías 1987/89 Forschungsergebnisse über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
1989 erschien in deutscher Sprache das für meine Generation von Philosophiestudierenden – ich bin 1970 geboren – sehr wichtige Buch „Heidegger und der Nationalsozialismus“ von Victor Farías. Ich habe es 1990 gelesen. Nach der Lektüre hielt ich Heidegger für einen Nationalsozialisten. Ohne Farías Buch hätte mir vermutlich niemand davon berichtet, dass Heidegger zumindest in den ersten Jahren nach der »Machtergreifung« ein Nazi gewesen ist.
Farías gab als einen von vielen Belegen für Heideggers Nähe zum Nationalsozialismus den Bericht der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 wieder. Im Zeitungsbericht war zu lesen, dass auch Martin Heidegger anwesend war, als Hans Frank seine Eröffnungsrede zur Konstitution des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gehalten hat.
Farías hatte den Zeitungsbericht in der Personalakte des nationalsozialistischen Philosophieprofessors Ernst Krieck (1882-1947) gefunden. Das Finden und die Wiedergabe des Inhalts dieses Zeitungsberichts ist der wichtigste Forschungsbeitrag, den Farías zum Ausschuss für Rechtsphilosophie geleistet hat. Ohne Farías Mitteilung über den Ausschuss für Rechtsphilosophie wäre dieser Ausschuss für die Generationen, die erst nach 1934 selbst regelmäßig Zeitung lasen, unbekannt geblieben. Wer liest schon unverlegte Dissertationsschriften über eine Akademie für Deutsches Recht, die noch dazu unbedeutend, nur ein Spielplatz für die Eitelkeit von Hans Frank gewesen ist? Wer beginnt mit einer eigenen Forschungsarbeit, wenn ein Professor sich in Kenntnis der Dissertationen von Pichinot und Anderson kurz und knapp 1986 in einer renommierten Zeitschrift für die Fachdidaktik der Rechtswissenschaften darüber auslässt, dass die AfDR nur ein Häuflein von Professoren gescharrt hinter einem früh entmachteten Hans Frank gewesen sei? Wenn Farías nicht 1987/1989 sein Buch über Heidegger und den Nationalsozialismus veröffentlicht hätte, wäre der Ausschuss für Rechtsphilosophie und die AfDR 2016 längst in Vergessenheit geraten. Ob ich dann 2016 mir einige Akten der Akademie für Deutsches Recht im Zuge meiner Recherchen über Gadamer (1900-2002) angesehen hätte, bezweifle ich.
2.3.1. Farías Quellen
Für seine zwei-seitige Darstellung des Ausschusses für Rechtsphilosophie und der AfDR zog Farías folgende Primärquellen heran:
- einen weiteren Bericht aus der Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934, in dem die Leser über die Rede Hans Franks über Nietzsche anlässlich der Konstituierung informiert wurden,
- einen Bericht vom 4. Mai 1934 der Zeitung Berliner Tageblatt über die Konstituierung des Ausschusses mit dem Titel Rechtsphilosophie als Waffe,
- einen Bericht der Zeitung der NSDAP Völkischen Beobachter vom 28. Juni 1934 über einen späteren Vortrag Hans Franks in der Aula der Universität München, in dem Hans Frank noch einmal die „Prinzipien und politische Bedeutung der Akademie“ klargestellt habe und
- einen Bericht über den „Presseempfang der Akademie für Deutsches Recht am 5. Mai 1934 im Festsaal des Preußenhauses (anwesend 200 Pressevertreter, darunter 40 Vertreter der ausländischen Presse“, der unter diesem langen Titel im ersten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht (JAfDR) auf den Seiten 173 bis 185 veröffentlicht wurde.[67]
Über die Quellenlage bezüglich der AfDR und des Ausschusses für Rechtsphilosophie behauptet Farías folgendes – ohne anzugeben, wer oder was Quelle seiner Information war. Ich vermute, dass er sich auf die Auskunft eines oder mehrerer Archivleiter verlassen hat.
Da die Akten der Akademie für Deutsches Recht im Hauptstaatsarchiv von München zum überwiegenden Teil zerstört worden sind, ließen sich weitere Einzelheiten über die Mitarbeit von Heidegger im Ausschuß für Rechtsphilosophie nicht ermitteln. (Eine Akte über die konstituierende Sitzung des Ausschusses befindet sich im Goethe- und Schillerarchiv Weimar; in ihr ist ohne weitere Bemerkungen die Teilnahme von Heidegger erwähnt.)[68]
(Farías 1989), S. 279
Richtig ist, dass sich das „Hauptstaatsarchiv München“ alias das „Bayerische Hauptstaatsarchiv“ bis zu seiner Zerstörung 1944 zusammen mit der Bayerischen Staatsbibliothek in dem 1843 fertiggestellten Monumentalbau Ludwigstraße 16 befand.[69]
Die AfDR war aber zu keinem Zeitpunkt im Gebäude mit der Adresse „Ludwigstraße 16“ untergebracht. Das von Oswald Bieber (1874-1955) von 1936 bis 1939 erbaute „Haus des Deutschen Rechts“ der AfDR, das damals direkt gegenüber dem Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität München lag, hatte die Postadresse Ludwigstraße 28.[70] Vor Umzug in diesen Bau ist ein Teil des Gebäudes mit der Postadresse Ludwigstraße 12 von der AfDR genutzt worden. Jedenfalls ist diese Adresse im Briefkopf von Schriftsätzen der AfDR vor Fertigstellung des „Haus des Deutschen Rechts“ benutzt worden (siehe die Geschäftsführungsakte der AfDR R 61/31, die ich in Abschnitt 9.2. vorstellen werde). Die Tatsache, dass das „Hauptstaatsarchiv München“ 1944 größtenteils zerstört worden ist, sagt deswegen nichts über den Erhalt oder die Zerstörung des Schriftguts der AfDR aus.
Folgendes spricht zusätzlich gegen Farías Tatsachenbehauptung: Es gab eine große Zweigstelle der AfDR in Berlin mit der Postadresse „Berlin W 9, Leipziger Platz 15“. Das Gebäude mit dieser Adresse war das „Mosse-Palais“. Das Palais war die Stadtresidenz der deutsch-jüdischen Verlegers und „Zeitungskönigs“ Rudolf Mosse (1843-1920). Es ist 1945 bei einem Luftangriff zerstört worden. „Ab 1934 befand sich im Mosse-Palais die Berliner Nebenstelle der Akademie für Deutsches Recht. Am 2. und 3. Mai 1941 fand hier die Sitzung des Völkerrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht und der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht und Weltpolitik statt.“[71]
Abbildung 3: Mosse-Palais, Berlin, Leipziger Platz 15
Wie im Unterabschnitt 9.2. nebenbei ersichtlich werden wird, sind 1938 Durchschläge von Geschäftsführungsschreiben der AfDR von Berlin nach München geschickt worden. Weitere Durchschläge von Akteninhalten der AfDR könnten im Privatbesitz der Ausschussmitglieder oder im Besitz von Institutionen gekommen sein, denen Ausschussmitglieder angehörten. Also zum Beispiel in den Besitz von Wissenschaftliche Einrichtungen der Universitäten, denen die Professoren angehörten. Oder in den Besitz von außer-universitäre Forschungseinrichtungen wie etwa den Kaiser-Wilhelm Instituten (KWIs). Zwei Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren ja Direktoren zweier KWIs: Viktor Bruns war ab 1924 Gründungsdirektor des KWI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Ernst Heymann wurde 1937 Direktor des KWI für ausländisches und internationales Privatrecht. Schriftsätze der AfDR können auch in den Besitz des Nietzsche-Archivs in Weimar gekommen sein, dessen Leiter Prof. C. A. Emge und dessen Mitglied Prof. Martin Heidegger gewesen sind und das Tagungsort der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Oder in den Besitz des „Amts Rosenberg“, dessen Leiter Alfred Rosenberg gewesen ist. Oder in den Besitz des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete, das 1941 neu gegründet wurde und dessen erster und einziger Minister Alfred Rosenberg ab dem 17. Juli 1941 gewesen ist. Oder in den Besitz besetzter Gebäude im Osten, insbesondere im Generalgouvernement, dessen Autokrat Hans Frank mit Residenz „Burg Wawel“ (Krakau) war.
Erst nachdem all diese und viele andere Orte systematisch nach Schriftgut der AfDR durchsucht worden sein werden, darf wissenschaftlich begründet behauptet werden, das Schriftgut der AfDR oder des Ausschusses für Rechtsphilosophie sei – wann auch immer – größtenteils zerstört worden.[72]
2.3.2. Farías Bericht über die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Farías gibt aus dem Bericht der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 vor allem folgende Informationen an seine Leser weiter:
An der konstituierenden Sitzung dieses Ausschusses, die im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand, nahmen (als Gründer und Vorsitzender) der Reichsjustizkommissar Dr. Hans Frank sowie Vertreter der Verwaltung und der nationalsozialistischen Intelligenz teil. Geschäftsführender Vorsitzender war Prof. Emge (Jena). Anwesend waren außerdem Geheimrat Kisch (München), Reichsleiter Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai und Staatsrat Schmidt.[73] Dem Ausschuß gehörten ferner an die Professoren Heidegger (Freiburg), Rothacker und Naumann (Bonn), Freyer (Leipzig), Baron von Uexküll (Hamburg), Geheimrat Stammler (Berlin), Binder (Göttingen), Geheimrat Heymann (Berlin), Jung (Marburg), Bruns (Berlin) sowie Dr. Mikorey (München).
(Farías 1989), S. 277
Dieser Druckabsatz von Farías ist der Absatz mit der größten Informationsdichte über den Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR, der in einer Monographie vor 2019 gedruckt worden ist. In Abschnitt 4 werde ich die Zeitungsberichterstattung vom Mai 1934 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie vollständig zitieren und auswerten. Hier zitiere ich nur den Anfang des ersten Absatzes aus dem Zeitungsbericht, den Farías mit wenigen Auslassungen wiedergegeben hat:
Voraussetzungen deutscher Rechtsphilosophie.
Ein Vortrag Alfred Rosenbergs.
(Privattelegramm der „Frankfurter Zeitung“)
[1] Weimar, 3. Mai. Dem Ausschuß für Rechtsphilosophie der Akademie für deutsches Recht, der heute Nachmittag im Nietzsche-Archiv in Weimar zu seiner ersten großen Tagung zusammengetreten ist, gehören an als Vorsitzender der Reichsjustizkommissar Dr. Frank, als dessen geschäftsführender Vertreter Prof. Dr. Emge (Jena), ferner Geheimrat Kisch (München), Reichsleiter Alfred Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai [sic!], Staatsrat Schmidt [sic!], Prof. Heidegger (Freiburg), Prof. Erich Rothacker und Prof. Hans Naumann (beide Bonn), Prof. Hans Freyer (Leipzig), Prof. Baron v. Uexküll (Hamburg), Geheimrat Stammler (Berlin), Prof. Binder (Göttingen), Geheimrat Heymann (Berlin), Prof. Erich Jung (Marburg), Prof. Dr. Bruns (Berlin) und Dr. Mikorey (München).
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
2.3.3. Farías Fehldeutung des Berichts Löwiths über Heidegger und Julius Streicher
Über die Dauer der Arbeit Heideggers für die AfDR oder den Ausschuss für Rechtsphilosophie behauptet Farías folgendes:
An der Akademie für Deutsches Recht arbeitete Heidegger zumindest bis 1936 mit. Vor diesem Zeitpunkt wurde in das Gremium auch Julius Streicher aufgenommen.24 Heidegger distanzierte sich gegenüber Löwith von Streichers Anwesenheit in der Akademie für Deutsches Recht und nannte seinen Rassismus »Pornographie«.25
24 Vgl. K. Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933. Ein Bericht, Stuttgart 1986, S. 57.
25 Vgl. Anm. 24
(Farías 1989), S. 279
Wörtlich genommen behauptet Farías nicht, dass Heidegger bis mindestens 1936 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sei. Farías spricht ja über die AfDR. Farías spricht aber auch mit bestimmtem Artikel von einem Gremium. Mit „Gremium“ wurde vermutlich der Ausdruck „comité“ ins Deutsche übersetzt. Das legt nahe, dass Farías zwar im Zitierten über die AfDR sprach, aber den Ausschuss für Rechtsphilosophie meinte. Man kommt hier bestenfalls nur dann weiter, wenn man die Belegstellen auswertet, die Farías für seine Behauptungen angibt.
Dass Heidegger bis mindestens 1936 Mitglied der AfDR oder/und des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, hat Farías aus einem Bericht Löwiths erschlossen. Löwith berichtet über sein Treffen mit Heidegger 1936 in Rom. Der Bericht Löwiths bestätigt Farías Behauptung aber nicht:
Mein [Löwiths; mw] letztes Wiedersehen mit Husserl in Freiburg 1933 und mit Heidegger in Rom 1936
[…]
Als ich 1936 in Rom war, hielt Heidegger dort im italienisch-deutschen Kulturinstitut einen Vortrag über den Hölderlin. Er ging nachher | S. 58 mit mir in unsere Wohnung und war dort sichtlich betroffen von der Dürftigkeit unserer Einrichtung. Vor allem vermisste er meine Bibliothek, die noch in Deutschland war. Am Abend begleitete ich ihn zu seinem Absteigequartier in der Hertziana, wo mich seine Frau mit steif-freundlicher Zurückhaltung begrüsste. Es war ihr wohl peinlich sich zu erinnern, wie oft ich früher in ihrem Hause zu Gast gewesen [Abb. 54-56] war. Zum Abendessen hatte uns der Direktor des Instituts ins »Osso buco« eingeladen und man vermied politische Themen. Tags darauf unternahmen meine Frau und ich mit H., seiner Frau und seinen zwei Söhnen, die ich als Kinder oft behütet hatte, einen Ausflug nach Frascati und Tusculum. Der Tag war strahlend und ich freute mich über dieses letzte Zusammensein trotz unvermeidlicher Hemmungen. H. hatte selbst bei dieser Gelegenheit das Parteiabzeichen nicht von seinem Rock entfernt. Er trug es während seines ganzen römischen Aufenthalts und es war ihm offenbar nicht in den Sinn gekommen, dass das Hakenkreuz nicht am Platz war, wenn er mit mir einen Tag verbrachte. Wir unterhielten uns über Italien, Freiburg und Marburg und auch über philosophische Dinge. Er war freundlich und aufmerksam, vermied aber gleich seiner Frau jede Anspielung auf die deutschen Verhältnisse und seine Stellung zu ihnen. Auf dem Rückweg wollte ich ihn zu einer freien Äusserung darüber veranlassen. Ich brachte das Gespräch auf die Kontroverse in der Zürcher Zeitung (siehe Seite 49 {hier Seite S. 42}) und erklärte ihm, dass ich sowohl mit Barths politischem Angriff wie mit Staigers Verteidigung nicht übereinstimmte, weil ich der Meinung sei, dass seine [Heideggers; mw] Parteinahme für den N.S. im Wesen seiner Philosophie läge. H. stimmte mir ohne Vorbehalt bei und führte mir aus, dass sein Begriff von der »Geschichtlichkeit« die Grundlage für seinen politischen »Einsatz« sei. Er liess auch keinen Zweifelüber seinen Glauben an Hitler; nur zwei Dinge habe er unterschätzt: die Lebenskraft der christlichen Kirchen und die Hindernisse für den Anschluss von Österreich [, der erst 2 Jahre später erfolgte; mw]. Er war nachwievor überzeugt, dass der N.S. der für Deutschland vorgezeichnete Weg sei; man müsse nur lange genug »durchhalten«. Bedenklich schien ihm bloss das masslose Organisieren auf Kosten der lebendigen Kräfte. Der destruktive Radikalismus der ganzen Bewegung und der spiessbürgerliche Charakter all ihrer »Kraft durch Freude«-Einrichtungen fiel ihm nicht auf, weil er selbst ein radikaler Kleinbürger war. – Auf meine Bemerkung, dass ich [Löwith; mw] zwar Vieles an seiner [Heideggers; mw] Haltung verstünde, aber eines nicht, nämlich, dass er sich an ein und denselben Tisch (in der »Akademie für deutsches Recht«) | S. 59 setzen könne mit einem Individuum wie J. Streicher, schwieg er zunächst. Schliesslich erfolgte widerwillig jene bekannte Rechtfertigung (K. Barth hat sie in seiner »Theologischen Existenz heute« vortrefflich zusammengestellt), die darauf hinauslief, dass alles »noch viel schlimmer« geworden wäre, wenn sich nicht wenigstens Einige von den Wissenden dafür eingesetzt hätten. Und mit bitterem Ressentiment gegen die »Gebildeten« beschloss er seine Erklärung: »Wenn sich diese Herren nicht zu fein vorgekommen wären um sich einzusetzen, dann wäre es anders gekommen, aber ich stand ja ganz allein«. Auf meine Erwiderung, dass man nicht gerade »fein« sein müsse, um eine Zusammenarbeit mit Streicher abzulehnen, antwortete er: über Streicher brauche man kein Wort zu verlieren, »der Stürmer« sei doch nichts anderes als Pornographie. Warum sich Hitler nicht von diesem Kerl befreie, das verstünde er nicht, er habe wohl Angst vor ihm. […] In Wirklichkeit aber war das Programm jener »Pornographie« im November 1938 restlos erfüllt und eine deutsche Realität und niemand kann leugnen, dass Streicher und Hitler gerade in diesem Punkt eins sind.
(Löwith 1986), S. 57 ff.
Dieser Bericht Löwiths belegt offensichtlich nicht, dass Julius Streicher Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Löwith spricht allgemeiner über die Akademie für deutsches Recht. Aus dem Bericht Löwiths kann auch nichts bezüglich der Dauer einer Mitgliedschaft Heideggers im Ausschuss für Rechtsphilosophie gefolgert werden.
Erst unter Hinzunahme der – nicht behaupteten, nicht einmal erwogenen – Zusatzprämisse, dass Heidegger nur an Sitzungen des Ausschusses für Rechtsphilosophie teilgenommen hat, aber zum Beispiel an keiner Vollsitzung der AfDR bis 1936 teilgenommen hat, würde folgen, was Farías aus diesem Bericht Löwiths gefolgert hat. Denn ohne diese Zusatzprämisse hätten Heidegger und Julius Streicher zum Beispiel auch an „ein und denselben Tisch“ im Rahmen einer der drei Vollsitzung der AfDR sitzen können, die vor dem Treffen Heideggers und Löwith in Rom 1936 bereits stattgefunden haben und über die in der Presse auch berichtet worden ist. Aus diesen Presseberichten über die Vollsitzungen der AfDR kann Löwith auch sein Wissen gewonnen haben, dass Julius Streicher an einer Sitzung der AfDR teilgenommen hat.
Anderson behauptet im Anhang seiner Dissertationsschrift, dass Julius Streicher von 1936 bis 1942 ordentliches Mitglied der AfDR gewesen sei.[74] Wenn ich nichts übersehen habe, teilt Anderson leider nicht mit, aus welcher Quelle er die Information bezogen hat, dass Julius Streicher seit 1936 Mitglied der AfDR gewesen ist.
Da ich selbst keinen Beleg dafür gefunden habe, dass Julius Streicher (1885-1946) Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, und auch Löwith nicht von einer Tischgemeinschaft Heideggers und Streiches im Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet, sollte künftig nicht mehr mit Verweis auf diesen Bericht Löwiths behauptet werden, Streicher sei Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen. Auch folgt weder aus Löwiths Bericht noch aus Farías Darstellung, dass Heidegger bis 1936 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
2.3.4. Farias Wiedergabe aus der konstituierenden Rede von Hans Frank
Abgesehen von diesem Folgerungsfehler von Farías auf eine Eigenschaft von Julius Streicher im Jahr 1936 gibt Farías Informationen aus dem Zeitungsbericht der Frankfurter Zeitung vom Folgetag über die Rede von Hans Frank korrekt wieder:
Die Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934 informierte ihre Leser über die Eröffnungsansprache von H. Frank: »Bei der Gründung des Ausschusses für deutsche Rechtsphilosophie bei der Akademie für Deutsches Recht knüpfte Reichsjustizkommissar Dr. Frank in einer großen Rede an Nietzsche an, den Künder jenes autoritären Empfindens, das unserem Volk durch den Weltkrieg hindurch bewahrt geblieben sei, und das damit diesem Volke gleichzeitig eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt unter Adolf Hitler übertragen habe. »Wir in unserem engen Kreis […] wollen die Sammlung der volksbetonten allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln. […] Der Durchbruch der Rechtsphilosophie heißt daher: Feierlich Abschied nehmen von der Entwicklung einer Knechtsphilosophie im Dienste undeutscher Dogmen. Lebensrecht und nicht Formalrecht soll unser Ziel sein. Des weiteren soll unsere Rechtsphilosophie Volksprimat sein, ein Recht, aufgebaut auf Anschauungen des Volkes und nicht Recht eines vom Volk abgesplitterten Sonderstandes. […] Deutsches Recht und nicht fremdes Recht […]. Unser Recht soll der Allgemeinheit dienen […], es soll aber ein Herrenrecht und nicht Sklavenrecht sein. Der Staatsbegriff des Nationalsozialismus wird von uns neugebaut auf Einheit und Reinheit des deutschen Menschentums, formuliert und verwirklicht im Recht und im Führerprinzip. […] Wir machen deshalb Schluß mit dem Begriff des Gelehrtentypus, dessen Wert darin lag, daß er weltfremd war. […] In │ S. 279 diesem Sinne bitte ich, daß der Ausschuß sich als ein Kampfausschuß des Nationalsozialismus konstituierte«.
(Farías 1989), S. 278 f.
Im Artikel der Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934 sind nur wenige Auszüge aus Hans Franks Rede zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie veröffentlicht worden. In anderen Zeitungen sind längere Fassungen veröffentlicht worden. Auch war Hans Frank nicht der einzige Redner. Alfred Rosenberg und Prof. C. A. Emge hielten ebenfalls Reden, über die ausführlich in Zeitungen im Mai 1934 berichtet worden ist. In meinem Abschnitt 4 werde ich die gesamte Berichterstattung vollständig wiedergeben und kommentieren.
Die beiden zentralen Forschungsergebnisse von Farías über die Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie und über seinen Status als eines »Kampfausschusses des Nationalsozialismus« hätten zu weiteren Forschungen, insbesondere deutschsprachiger Wissenschaftler führen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Das spricht deutlich gegen die Qualität deutschsprachiger Wissenschaft bis in die Gegenwart hinein.
In Farías Buch werden die beiden Dissertationen von Pichinot (1981) und Anderson (1982/87) zur Akademie für Deutsches Recht nicht erwähnt. Pichinots Dissertation ist nicht verlegt worden. Anderson Dissertation erst 1987 durch einen Verlag veröffentlicht worden. 1987 erschien bereits die Originalversion des Buches von Farías. Dass Farías die beiden Dissertationen nicht kannte, ist deswegen nicht Ausdruck einer fehlerhaften Recherche.
2.4. Stefan K. Pinter (1994) über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie anhand der Akte Emges (GSA 72/1588)
Stefan K. Pinters nicht verlegte Berliner Dissertation des Jahres 1994 mit dem Titel Zwischen Anhängerschaft und Kritik. Der Rechtsphilosoph C. A. Emge im Nationalsozialismus ist bemerkenswert, da Pinter die Akte Emges ausgewertet, die dieser über den Ausschuss für Rechtsphilosophie angelegt hat.
Beiläufig teilt Pinter mit, dass Carl Schmitts Name auf „einer Mitgliederliste“ des Ausschusses für Rechtsphilosophie festgehalten sei. Pinter selbst misst dieser Information keine weitere Bedeutung zu. Pinter erwähnt mehrfach die Dissertation von Pichinot (1981). Anderson (1982/1987) und Farías (1987/89) erwähnt er nicht. In seinem Abschnitt über den Ausschuss für Rechtsphilosophie bezieht sich Pinter ferner auch auf Zeitungsberichte über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
Soweit ich weiß, ist Pinter der erste Wissenschaftler, der über diese Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet hat. Ich vermute, dass durch das Buch von Farías über Heidegger Professoren Doktoranden »angeregt« haben, in Archiven nach Primärquellen zum Ausschuss für Rechtsphilosophie zu suchen und diese auszuwerten, vielleicht unter ihrer »engmaschigen Betreuung«. Da die Eröffnungssitzung im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand und Professor Emge zu diesem Zeitpunkt wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs gewesen ist, war es naheliegend, dass sich das Nietzsche-Archiv im Besitz von Akten befand, die Dokumente über diesen Ausschuss der AfDR beinhalteten. Ähnlich naheliegend war es, dass die Universität in Berlin, in deren Juristischen Fakultät Emge nach 1933 Professor war, im Besitz einer Personalakte über Emge war, in der vielleicht weitere Informationen zu Emges Tätigkeiten zu Gunsten des Ausschusses für Rechtsphilosophie enthalten waren. Und nach 1990 sind bekanntlich alle Zugangshürden für westdeutsche Professoren und ihre Doktoranden zu den Archivbeständen von wissenschaftlichen Institutionen der »ehemaligen DDR« weggefallen.
Tatsächlich basiert die Dissertationsschrift Pinters neben privaten Unterlagen, die der Sohn von Carl August Emge, Martinus Emge, Pinter zur Verfügung gestellt hatte, im Wesentlichen auf Archivmaterial der ehemaligen Friedrich-Wilhelms-Universität (heute: Humboldt-Universität) und einer Akte Emges, auf die Pinter folgendermaßen Bezug nimmt: „Nietzsche-Archiv Weimar, Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie“.
2.4.1. Der Name Carl Schmitts ist auf einer Mitgliederliste der Akte Emges festgehalten worden.
Ich zitiere nun den Anfang des Abschnitts aus der Dissertationsschrift Pinter über den Ausschuss für Rechtsphilosophie:
1. Der Ausschuß für Rechtsphilosophie
Am 3.5.1934 fand die konstituierende Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie statt. Den Vorsitz nahm Frank selbst ein, zum stellvertretenden Vorsitzenden berief er Emge. Die Eröffnungssitzung fand │ S. 59 weder in München noch in Berlin, sondern im Nietzsche-Archiv Weimar statt. Den einfachen Grund hierzu beschreibt Emge selbst: „Da es nun mein Bestreben ist, die Bedeutsamkeit der Stelle, an der ich mich befinde, nach Möglichkeit zu steigern, war es für mich, als dem wissenschaftlichen Leiter des Nietzsche-Archivs, eine Selbstverständlichkeit, den Sitz dieses ja öffentlich-rechtlichen Ausschusses, dessen Wahl mir freilag, für unser Archiv in Anspruch zu nehmen.“
1 Nietzsche-Archiv Weimar, Akte 72/1588, Brief Emge an den Bankdirektor Pilder, Berlin, vom 4.6.1934
In einer Mitgliederliste des Ausschusses sind folgende Namen festgehalten. Reichsleiter Alfred Rosenberg (Berlin), „Völkischer Beobachter“, die Professoren Kisch, stellvertretender Vorsitzender der Akademie für Deutsches Recht (München), Heidegger (Freiburg), Rothacker (Bonn), Stammler (Wernigerode), Binder (Göttingen), Carl Schmitt (Berlin), Heymann (Berlin), Jung (Marburg), Bruns (Berlin) Freyer (Leipzig), von Uexküll (Hamburg), Naumann (Bonn) sowie Ministerialdirektor Nicolai (Berlin, Reichsinnenministerium), Mikorey (München) und Justizrat und SS-Gruppenführer Luetgebrune (Berlin).2
2 Nietzsche-Archiv Weimar, Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie
(Pinter 1994), S. 58 f.
Pinter geht nicht so weit zu behaupten, dass gemäß der Akte 72/1588 Carl Schmitt Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Er behauptet nur, dass der Name Carl Schmitts auf einer Mitgliederliste dieser Akte der Name Carl Schmitts – und anderer Personen[75] – festgehalten sei. Da er diese Mitgliederliste nicht weiter charakterisiert, hätte sie auch einen Zustand des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu einem späteren Zeitpunkt dokumentieren können.
Ob es auch andere Mitgliederlisten des Ausschusses für Rechtsphilosophie in dieser Akte gibt, teilt Pinter nicht mit. Als Leser Pinters vermutet man das und wundert sich, dass einem keine weiteren Informationen mitgeteilt werden. Ich habe mir deswegen im Januar 2019 die gestattete Maximalanzahl von Kopien aus dieser Akte vom Goethe- und Schiller-Archiv, das in Besitz dieser Akte ist, zuschicken lassen. Das sind immerhin 50 von 160 Seiten. In meinem Abschnitt 3 werde ich meine Ergebnisse aus der Sichtung dieser 50 Seiten mitteilen.
Zurück zu meinem Bericht über den dürftigen Forschungsstand über den Ausschuss für Rechtsphilosophie: Da Pinter an seine Leser keine weiteren Informationen aus der Akte Emges über Mitgliederlisten des Ausschusses für Rechtsphilosophie weitergegeben hat, durften seine Leser nicht folgern, dass Carl Schmitt Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Leser, die Farías Buch über Heidegger kannten, hatten nach der Lektüre von Pinters Dissertation aber einen Grund, an der korrekten Schreibweise der Zeichenkette „Staatsrat Schmidt“ in Farías Darstellung zu zweifeln. Und Leser, die Andersons Dissertation kannten, hatten nach der Lektüre von Pinters Dissertation nun Kenntnis von der Existenz eines zweiten Belegs für eine Mitgliedschaft Carl Schmitt im Ausschuss für Rechtsphilosophie.
Zwei Leser der Dissertation von Pinter sind namentlich bekannt. Der Erstgutachter war Professor Dr. Hubert Rottleuthner, der von 1975 bis 2012 eine Professur für Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin innehatte.[76] Der Zweitgutachter war Professor Dr. Uwe Wesel.[77] Beide Professoren verfügten gewiss über die nötige Expertise, um einschätzen zu können, dass eine Beantwortung der Frage, ob Carl Schmitt gleichzeitig mit Martin Heidegger, Alfred Rosenberg und Hans Frank Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, erhebliches Interesse auf sich gezogen hätte. Mir ist nicht bekannt, dass die Professoren Rottleuthner oder Wesel weitere Forschungen zur Akte veranlasst haben.
Genau genommen war die Mitteilung Pinters aufgrund ihrer Unbestimmtheit – eine Mitgliederliste ohne Zeitangabe in einer Akte ohne Zeitangabe – noch interessanter: Dokumentierte die Mitgliederliste, auf die Pinter Bezug genommen hatte, eine Mitgliedschaft Carl Schmitts und Martin Heideggers nach 1936? Die Darstellung Pinters ist so unterbestimmt, dass durch sie Leser nicht ausschließen konnten, dass die Liste einen Zustand des Ausschusses für Rechtsphilosophie des Zeitraums 1941-1943 dokumentiert. Da aus der Akte Emges aber hervorgeht, dass alle in ihr enthaltenen Mitgliederlisten im Jahr 1934 erstell worden sind, sträube ich mich zu behaupten, dass Pinter nachgewiesen hat, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Es ist aber richtig, dass Pinter als erster quellenbasiert und korrekt behauptet, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Im Jahr 2000 erschien vielleicht wegen der Unterbestimmtheiten in Pinters Dissertation ein Artikel Stefan Günzels über den Aufsatz Emges Philosophie des Führens. Auch Günzel wertete die Akte Emges mit der Signatur GSA 72/1588 aus. Er behauptete nun unter Hinweis auf diese Akte, dass Carl Schmitt zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie berufen worden sei (siehe Abschnitt 2.5.).
2.4.2. Emges Werbebriefe für den Ausschuss für Rechtsphilosophie vom April bis Juni 1934
In seinem Abschnitt über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet Stefan K. Pinter ferner über einige Briefe von und an Emge aus dem Jahr 1934. Pinter beginnt seinen Bericht über diesen Teil der Akte Emges mit Briefen, die vor der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 verfasst worden sind.
Ich bin seit Januar 2019 im Besitz von Kopien der ersten 39 Blätter der Akte Emges. Diese Briefe aus der Zeit vor der Konstituierung des Ausschusses am 3. Mai 1934 sind auf den ersten 39 Blättern der Akte dokumentiert. Deswegen konnte ich die Wiedergaben Pinters überprüfen und habe das auch getan. Sie sind korrekt. In eckigen Klammern ergänze ich die Blattnummern, die erst nach Pinters Sichtung durch das Archiv nachgetragen worden seien. Ich zitiere nun Pinter:
Emge, der schon vor der Eröffnungssitzung von Frank mit der Geschäftsführung des Ausschusses beauftragt worden war,4 bemühte sich vor und auch nach der Konstituierung, möglichst alle Partei- und Staatsgrößen für den Ausschuß zu interessieren, lud sie ein, der Eröffnungssitzung beizuwohnen, persönlich in den Ausschuß einzutreten oder wenigstens einen Vertreter zu entsenden. So wandte sich Emge an Hess, Gürtner,5 Rust [Blatt 25; mw], Thierack,6 Frick7, │ S. 61 Röhm1 und auch Goebbels2.
4 Nietzsche-Archiv Weimar, Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie, Brief Emge an Goebbels vom 24.4.1934 [Blatt 13; mw]
5 ebd., Brief Gürtner an Emge vom 30.4.1934 [Blatt 24; mw]
6 ebd., Dankesbrief Thierack an Emge vom 30.4.1934 [Blatt 26; mw]
7 ebd., Dankesbrief Frick an Emge vom 30.4.1934 [Blatt 28; mw]
1 ebd., Dankesbrief Röhm an Emge vom 2.5.1934 [Blatt 31; mw]
2 ebd., Brief Emge an Goebbels vom 24.4.1934Hess wollte Emge wie folgt interessieren: „Bei dem Charakter des Nationalsozialismus als einer politischen Bewegung ist es klar, daß in dem Ausschuß dauernd wichtige weltanschauliche Fragen zur Erörterung kommen müssen. Es ist mir daher sehr wichtig, unmittelbaren Konnex bei den Fragen mit der Reichsleitung zu besitzen, und ich bitte Sie daher um Entsendung eines Vertreters zu den Ausschußsitzungen.“3
3 ebd., Brief Emge an Hess vom 24.4.1934 [Blatt 15; mw]
(Pinter 1994), S. 60 f.
Im Anschluss präsentiert Pinter Briefe Emges, die nach der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie geschrieben worden sind. Nur in einem Fall habe ich eine Kopie des Briefes, auf den sich Pinter bezieht. Die Wiedergabe Pinters dieses Briefes von Emge an Hans Frank vom 13. Juni 1934 ist erneut fehlerfrei. Den Brief von Emge an Rust kenne ich noch nicht. Ich zitiere Pinter:
Den Reichsminister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Rust, versuchte Emge so zu gewinnen: „Der Ausschuß soll nach dem Willen des Präsidenten der Akademie, Herrn Reichsjustizkommissar Dr. Frank, die geistige Spitze der Akademie darstellen. Dies ergibt sich auch daraus, daß Herr Reichsleiter Rosenberg in ihm aktiv mitwirkt. Ich berichte ihm auch laufend über die einzelnen Schritte. Es zeigt sich schon jetzt, daß in ihm folgende Angelegenheiten zur Behandlung kommen werden: Die Deutung der ganzen Bewegung nach der juristischen und soziologischen Seite, die Spannung zwischen reinen Bewegungsmomenten und juristischen Gebilden, die Rasse als Rechtsbegriff, die Deutschheit als Grundbegriff für die Wiederaufnahme deutscher Rechtsideen, die Probleme der Volksgemeinschaft und des Führertums, die philosophischen Grundlagen des neu zu schaffenden Völkerrechts, neue Grundlagen des konfessionellen Rechts, die Erarbeitung einer neuen juristischen Grunddisziplin anstelle des früheren Pandektenrechts usw. Ich bin der Ansicht, daß ohne Ihre Mitwirkung der Ausschuß nur ein Torso sein würde und möchte Sie daher auch bitten, im Verhinderungsfalle bei den einzelnen Sitzungen einen Vertrauensmann als Vertreter zu beauftragen. Wie aus anliegender Liste der Mitglieder hervorgeht, soll der Ausschuß nicht ein Ausschuß von Rechtsphilosophen, sondern ein solcher für die erst gemeinsam zu schaffende Rechtsphilosophie sein. Er enthält daher außer den bekannten alten und neuen Rechtsphilosophen auch den Existentialphilosophen, den Philosophen der Geisteswissenschaften, Literarhistoriker, Soziologen, Biologen etc. Die aufgezählten Personen werden natürlich nur als Urzellen besonderer Untergruppen, die sie bilden, wirksam │ S. 62 werden können.”1
1 ebd., Brief Emge an Rust vom 31.5.1934
Bevor Emge sich an den Reichswehrminister [Werner von Blomberg (1878-1946); mw] wandte, rückversicherte er sich Franks Zustimmung und teilte Frank in einem Brief folgende Überlegungen mit: „… bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß es für die jetzige Situation wünschenswert wäre, wenn wir auch einen Vertreter des Reichswehrministeriums in unseren Ausschuß bekämen. Da der Nationalsozialismus im Sinne Nietzsches den militärischen Geist pflegt ergeben sich dadurch wertvolle Möglichkeiten zu einer Zusammenarbeit.“2
2 ebd., Brief Emge an Frank vom 13.6.1934 [Blatt 131; mw]
(Pinter 1994), S. 62
Direkt im Anschluss ans Zitierte behauptet Emge, dass er Beziehungen zum Reichswehrministerium besitze: „Sollte ich nichts gegenteiliges [so im Original; mw] hören, so werde ich mir erlauben, an das Reichswehrministerium, zu dem ich Beziehungen besitze, in Bälde heranzutreten.“[78]
Es folgt – ohne weitere Vermittlung – eine Behauptung Pinters über die Bedeutungslosigkeit der Rechtsphilosophie für die Nationalsozialisten, die ich erst im nächsten Unterabschnitt zitieren werde. Ich neige dazu, diese eingeschobene Äußerung Pinters als Ausdruck seines Abscheus auszulegen.
Pinter setzt seinen Bericht über die Briefe nach der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie so fort:
Besonders augenscheinlich wird Emges Zielrichtung in seinem Brief an den Bankdirektor [der Dresdner Bank; mw] Pilder[79] in Berlin: „Es kam … nunmehr auch zur Gründung dieses Ausschusses in der Akademie, der nicht nur das Caput der Ausschüsse, sondern bei dem Charakter des Nationalsozialismus als einer politischen Bewegung, bei geschickter Zusammensetzung auch zu einer wichtigen Instanz, fide vel moribus, der ganzen Bewegung werden muß. Die Zusammensetzung, die mir vollkommen überlassen war geschah nicht konventionell als solche von Rechtsphilosophen, sondern als solche für die erst neu zu erarbeitende rechtsphilosophische Grundlage: Deutung der Bewegung als solcher, Beziehung von Soziologischem zu Juristischem, Erneuerung von allem, Gestaltung von wesensmäßig Deutschem, Volksgemeinschaft und Führertum, Rasse in ihrer mannigfachen Bedeutung, philosophische Neubegründung des Völker- und des konventionellen Rechts sind nur die wichtigsten Punkte. Wie sie aus anlie- │ S. 63 gender Liste einsehen, nehmen die eigentlichen Juristen in dem Ausschuß nur einen ganz kleinen Bruchteil in Anspruch. Er ist im echten Sinne kulturphilosophisch.”1
1 ebd., Brief Emge an Pilder vom 4.6.1934
Oswald Spenglers Vorbehalte gegen den Ausschuß konnte Emge nicht verstehen. Spengler war offensichtlich nicht bereit, dem Ausschuß beizutreten seine Mitarbeit wäre aber auch, wie Emge wußte, auf Mißfallen gestoßen, weswegen Emge sich vorsichtshalber brieflich an Frank wandte: „Ich habe mir die Frage der Zuziehung Dr. Spenglers zu dem Ausschuß für Rechtsphilosophie noch einmal überlegt. An sich ist der Plan großartig. Man bringt Spengler aus einem Ressentiment heraus und führt ihn dessen große frühere Verdienste ja unbestreitbar sind, zu positiver Mitarbeit. Die Widerstände, die Spengler zur Zeit aus den Kreisen des ‚Völkischen Beobachters‘ erfährt, sind aber noch unvermindert stark. Ich möchte daher vorschlagen, daß nicht ich, sondern Sie, Herr Minister, persönlich gelegentlich einmal mit Reichsleiter Rosenberg über die Bereinigung der Frage Spengler sprechen, so daß wir ihn dann als Sachverständigen zuziehen können.”2
2 ebd., Brief Emge an Frank vom 1.6.1934
(Pinter 1994), S. 62 f.
Zum Abschluss seiner Wiedergabe von Informationen aus der Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie präsentiert Pinter Informationen über eine erste Arbeitstätigkeit des Ausschusses für Rechtsphilosophie:
Sofort Anfang Mai 1934 versuchte Emge, die Ausschußarbeit in Gang zu bringen. Er versandte an die Ausschußmitglieder3 gleichlautende Briefe, in denen er um Beantwortung dreier Fragen bat.
3 vgl. die Mitgliederliste S. 59
Die erste Aufgabenstellung stammte von ihm und lautete in Anknüpfung an die Eröffnungsreden Franks und Rosenbergs: „Welche Mittel sind am geeignetsten, um den programmatischen Erklärungen von Herrn Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank und Herrn Reichsleiter Rosenberg unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeiten des Ausschusses zu verschaffen?”
Zum zweiten: „Der Begriff des Rechts“ (von Frank gestellt), erfragt wurden verschiedene Bedeutungen, keine Definitionen, sondern klare Unterscheidungen;
drittens sollten die Mitglieder sich Gedanken über das von Frank gewählte Thema „Der Begriff des Deutschen und das Recht“ machen.4 │ S. 64
4 Nietzsche-Archiv Weimar, Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie, Brief Emge an Frank vom 5.5.1934
Die gestellten Fragen wurden von Binder, Uexküll, Rothacker, Jung, Stammler und Lasch brieflich zwischen dem 9.5.1934 und dem 1.6.1934 prompt beantwortet.1
1 Nietzsche-Archiv Weimar Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie
(Pinter 1994), S. 63 f.
Nach der freundlichen und hilfreichen Auskunft von Frau Herrgott vom Goethe- und Schiller Archiv ist nur die Antwort von Karl Lasch in der Akte Emges nicht oder nicht mehr vorhanden.[80] Sollte ich mal wieder Zeit haben, werde ich mir in Weimar die Originalakte vollständig angucken. Der Text von Erich Jung interessiert mich.
2.4.3. Pinters Behauptungen über die Bedeutungslosigkeit des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Mehr Informationen über die Akte Emges, die immerhin 160 Blätter umfasst, bietet Pinter nicht. Trotzdem tätigt er sehr starke Behauptungen in diesem Abschnitt seiner Dissertation.
Ich zitiere nun den Absatz Pinters, der seine Berichterstattung über den Briefwechsel unterbricht. Direkt zuvor hatte Pinter über eine brieflich an Hans Frank projektierte Bemühung Emges berichtet, einen Vertreter des Reichswehrministeriums für den Ausschuss für Rechtsphilosophie zu gewinnen. „Da der Nationalsozialismus im Sinne Nietzsches den militärischen Geist pflegt“, würden sich „wertvolle Möglichkeiten zu einer Zusammenarbeit ergeben“. Darauf Pinter:
Diese Bemühungen Emges erscheinen angesichts der Bedeutungslosigkeit der Rechtsphilosophie für die Nationalsozialisten rückblickend betrachtet absurd, waren allerdings nach der seinerzeitigen Vorstellung Emges sinnvoll. Denn es ist, was die Auszüge der Briefe Emges ebenso wie der zitierte Redebeitrag Franks zeigen, zu berücksichtigen, daß Emge in Übereinstimmung mit Frank keineswegs die Rechtsphilosophie lediglich im Sinne des Nationalsozialismus prägen und interpretieren wollte, sondern umgekehrt die Rechtsphilosophie als geistigen Überbau der gesamten „Bewegung“ errichten und diese so formen, im Ergebnis also eine nationalsozialistische Rechtsphilosophie schaffen wollte Dabei hatte Emge sich selbst eine entscheidende Rolle zugedacht.
(Pinter 1994), S. 62
Die Behauptung Pinters, dass „die“ Rechtsphilosophie für die Nationalsozialisten bedeutungslos gewesen ist, ist nicht durch seine Berichterstattung über die Akte Emges mit der Signatur GSA 72/1588 gestützt. Vermutlich schließt er sich einfach der Meinung seines Erstgutachters an, ohne das an dieser Stelle seinen Lesern mitzuteilen.[81]
Pinter endet seinen Abschnitt über den Ausschuss für Rechtsphilosophie mit einer weiteren starken Behauptung:
Trotz schwungvollen Beginns erreichte der neugeschaffene Ausschuß die ihm ursprünglich zugemessene Bedeutung nicht. Er wurde nicht, wie von Emge angestrebt, das „Caput der Ausschüsse”, sondern einer unter vielen in der Akademie für Deutsches Recht und versank letztlich in Bedeutungslosigkeit.
(Pinter 1994), S. 64
Eine Akte über einen Ausschuss, die zum Zeitpunkt t endet, kann in der Regel nicht dokumentieren, dass ein Ausschuss nach t in Bedeutungslosigkeit versank. Nach Auskunft von Frau Herrgott vom Goethe- und Schiller- Archiv endet die Akte Emges am 30. Juli 1934. Gut drei Monate nach Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Sollte eine Ausnahme von der genannten Regel vorliegen, hätte Pinter sie anhand der Akte belegen müssen. Das hat er aber nicht getan.
Pinter hat auch nicht mitgeteilt, auf welchen Zeitpunkt er sich mit „letztlich“ beziehen wollte. Sollte er beabsichtigt haben, sich auf einen Zeitpunkt zwischen 1934 und 1945 zu beziehen, dann kann seine Behauptung mit den profanen Mitteln empirischer Wissenschaft widerlegt werden. Ich werde das tun.
2.5. Günzel (2000) über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie anhand der Akte Emges (GSA 72/1588)
Im Jahr 2000 erschien ein Aufsatz von Stephan Günzel[82] über Emges Aufsatz Philosophie des Führens. Emges Aufsatz ist erstmalig 1935 in der Zeitschrift Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie abgedruckt worden.[83] Zu diesem Zeitpunkt war Emge bereits Herausgeber dieser Zeitschrift.
Im fünften Abschnitt seines Aufsatzes befasst sich Günzel mit dem Ausschuss für Rechtsphilosophie. Ich stelle hier nur diesen fünften Abschnitt vor.
Wie bereits Pinter (1994) vor ihm, behauptet auch Günzel, die Akte Emges enthalte die Information, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sei. Aber auch Günzel belegt diese Behauptung nicht so gut wie er das anhand er Originalakte hätte tun können und tun sollen. Ich markiere die Behauptung über Carl Schmitt durch Fettdruck. Durch Unterstreichung markiere ich Fehler, die Günzel im ersten Absatz gemacht hat.
5. Der Weg nach Berlin: Die Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses und das Ende der Archivtätigkeit
[1] Emge entwickelte – für seine Laufbahn entscheidend – neben diesen mikrologischen Aktivitäten auch solche auf höchster akademischer Ebene: Am 3. Mai 1934, ab vier Uhr nachmittags,138 fand die Gründungsveranstaltung des Rechtsphilosophischen Ausschusses der in Berlin ansässigen Akademie für Deutsches Recht [84] unter Emges Federführung im Nietzsche-Archiv in Weimar statt, das kurzerhand zur offiziellen „Geschäftsstelle“ des Ausschusses wurde. Als Mitglieder für den Ausschuß berief Emge unter anderem den damaligen Leiter des Instituts für Kulturgeschichte in Leipzig, Hans Freyer – der sich bei Emge mit einer Einladung zur Ratssitzung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie zwei Wochen davor im Weimarer Hotel ‚Elefant‘ bedankte139 –, sowie seinen Duzfreund, den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn, Erich Rothacker, sodann Martin Heidegger, dessen erstmalige Anwesenheit im Archiv hiermit dokumentiert ist, und – den Preußischen Staatsrat Carl Schmitt, der zur Gründungssitzung jedoch nicht erschien.
138 Vgl. bspw. das Ausschuß-Berufungsschreiben von Emge am 26. März 1934 an Dr. med. Mikorney aus München, in: GSA 72/1588 (=Tätigkeit Emges im Ausschuß für Rechtsphilosophie an der Akademie für deutsches Recht 1931-1933 (68)) .
139 Vgl. Brief von Freyer an Emge, in: ebd. [Blatt 3; mw]
(Günzel 2000), S. 176
Ich beginne mit den beiden Fehlern, die korrigiert werden müssen.
Die Akte GSA 72/1588 ist keine Akte des Zeitraums „1931-1933“. Sie beginnt mit einem Dokument vom 26. März 1934 und endet – nach Auskunft von Frau Herrgott – mit einem Dokument, das auf den 30. Juli 1934 datiert ist. Würde es eine Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie des Zeitraums 1931-1933 geben, wäre das sehr interessant. Da Mikorey in seinem Antwortschreiben an Emge auf die Berufungsmitteilung seinem Glücksgefühl Ausdruck verleiht, dass es Emge „nun endlich gelungen sei, den Ausschuss zur Welt zu bringen“, halte ich es zwar für möglich, dass eine solche Akte existiert. Ich glaube aber nicht, dass Günzel Zugang zu einer solchen Akte hatte, da Günzel noch einmal genau dieselbe Belegangabe seinen Lesern für einen anderen Sachverhalt anbietet, der zweifelsfrei nicht dem Zeitraum 1931-1933 zugeordnet ist.[86]
Aus diesem Berufungsschreiben Emges an Mikorey geht unmissverständlich hervor, dass nicht Emge, sondern Hans Frank die Berufungsentscheidung getroffen hat: „Im Namen von Herrn Reichsjustizkommissar Minister Dr. Hans Frank habe ich die Ehre, Sie hiermit zum Mitglied des in der Akademie für deutsches Recht errichteten Ausschuss für Rechtsphilosophie zu berufen“.[87]
Richtig ist aber, dass die Akte Emges tatsächlich belegt, dass Carl Schmitt in den Ausschuss für Rechtsphilosophie berufen worden ist. Dass dies eine besonders interessante Information ist, macht Günzel nur durch die Kunstpause, die durchs Setzen des Gedankenstriches entsteht, deutlich.
Dass die Schmitt-Forschung die Behauptung Günzels, Carl Schmitt sei „von Emge“ – man weiß nicht wann – zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie berufen worden, nicht rezipiert hat, ist wegen dieser Fehlerhäufigkeit Günzels verständlich. Ich verstehe aber nicht, weshalb sich kein Schmitt-Forscher die Mühe gemacht hat, den Hinweisen von Pinter und Günzel auf die Akte Emges nachzugehen. Ich jedenfalls habe mir nach Lektüre von Pinter (1994) und Günzel (2000) Kopien von 50 Blättern aus der Akte Emges im Januar 2019 zuschicken lassen. Zuzüglich von Extragebühren, die fällig wurden, weil ich eine schnelle Bearbeitung wünschte, hat mich das – 48 € gekostet.
Soweit zum ersten Absatz Günzels. In seinem zweiten Absatz behauptet Günzel, ein Brief von Emge an Erich Jung belege, dass Emge Carl Schmitts Denken abgelehnt habe. Das wenige, das Günzel aus diesem Brief zitiert, genügt nicht, eine solche prägnante Ablehnung Emges zu bestätigen. Selbst dann nicht, wenn Günzel das Kürzel „c Schm“ richtig aufgelöst haben sollte. Günzels Hinweis auf Abschnitt 19 von Emges Ideen zu einer Philosophie des Führertums ist jedenfalls nicht gelungen: Emge bezieht sich dort ausdrücklich zustimmend auf Schmitts „Freund-Feind-Kategorie“. Ich zitiere ausführlicher aus Emges „Philosophie des Führertums“ als zum Nachweis der Falschdarstellung Günzels erforderlich, da sich meine Leser so einen ersten authentischen Eindruck von Emge als Rechtsphilosophen machen können:
19. Es geht nun heute zunächst um die politische Tat. Damit stehen wir bei dem dritten Problem. Politisch scheint uns nun eine Handlung, verglichen mit einer anderen, dann zu sein, wenn bei ihrem Erfolg weniger mit „Garanten“ gerechnet wird7). Anstatt zu glauben, daß die anderen unsere Ziele verstehen, billigen und fördern, geht der Politische davon aus, daß diese vermittelnden Umstände selbst herbeizuführen sind. Dies ist u. E. der wahre Sinn der Freund-Feind-Kategorie von Carl Schmitt. Der Politiker bürdet sich also den ganzen Hebelarm der Last bis zu dem beabsichtigten Enderfolg selber auf. Voraussetzung hierfür ist, daß er das besitzt, was wir den politischen Grundinstinkt nennen möchten: den Instinkt für Tragweite. Der Politiker fühlt, daß er die ganze Kette menschlicher Zwischenglieder in die begünstigende und ausreichende Bewegung zum Ziele bringen muß. Er ist von der Leistung aus gesehen, wirklich prima causa, autonom. (Vgl. unseren Aufsatz im „Ring“ vom 22. Dezember 1933.[88])
7) Der Begriff gilt ganz allgemein. Erst von hier aus ist der Begriff des staatlichem Politikers, des Kulturpolitikers, Kirchenpolitikers, des Politikers jeder Gruppe, ja seiner selbst zu- bestimmen.
In Hinsicht auf die Mitmenschen ergibt sich hierdurch folgende Situation. Der Politiker muß die Subjekte, welche er zu seinem │ S. 189 Ziele führen will, unter allen Umständen beeinflussen. Damit werden sie — wenn auch vorübergehend — zu seinem Werkzeug. Gewissen, Gedankenfreiheit, freies Mannestum, Selbstbestimmung des Geistigen usw. behalten hierbei nur insofern einen positiven Akzent, als sie das von dem Politiker Vorgesehene begünstigen. Diese müssen, wenn sie wirklich Männer der Tat sind, Endliches absolut setzen: „Eritis sient deus scientes bonum et malum.“[89] Vielleicht meint dies auch das Goethewort „Der Handelnde ist immer gewissenlos, nur der Betrachtende hat Gewissen.“
Man muß als Freund, als Gesinnungsgenosse von Menschen erscheinen, die man „braucht“, ohne es wirklich zu sein. Hier zeigt sich, um wieder an das Wort vom „freien und guten Willen der Geführten“ anzuknüpfen, daß dieses so lange nicht gelten kann, als es sich noch um reine Politik, d. h. Machterringung handelt. Es ist kein Zufall, daß wir dieses Wort gerade in einem Augenblick vernehmen, wo an Stelle des Kampfes um die Macht das Erringen des Menschen treten soll. Dessen Wille aber ist: nicht ein Wille, der auf etwas „hereinfällt“, sondern der sich „einsichtig und verantwortlich bekennt“. Solches liegt aber da vor, wo der Mensch eben nicht als Werkzeug, sondern mit jenen oben ausführlich beschriebenen Eigentümlichkeiten an Gewissen, Gedankenfreiheit, Mannestum, Selbstbesinnung usw. „angesprochen“ und „gewonnen“ wird.
(C. A. Emge, Ideen zu einer Philosophie des Führertums 1935), S. 188 f.
Im nächsten Absatz stellt Emge einen Zustand in Aussicht, in dem »die Volksgemeinschaft« »hergestellt« worden sei. Dann und erst dann, sei der Zustand der Politisierung in Schein-Freundschaften und echten Feindschaften verlassen.
Jener Zustand vollkommener Politisierung soll also allmählich dem Zustand der Volksgemeinschaft weichen, worin es wieder Garantien, Vertrauen, freiwillige Hingabe gibt, worin nicht mehr von Einigen alles restlos selbst zu bewirken ist8), sondern man sich auf konformes, freies Verhalten wahrer Gesinnungsgenossen verlassen kann. Allerdings solange diese Volksgemeinschaft nicht hergestellt ist, muß die Führung die Momente des „Zwangs“, der „Erfassung“, der — von ihr aus gesehen — „unfreien und schlechten“ Wollungen an sich tragen.
8) „Führertum“ ist zunächst eine rein soziologische Relation. Sie ist für uns heute mit der Vorstellung von der Volksgemeinschaft verbunden, obgleich hier noch viele andere soziologische Relationen möglich sind.
(C. A. Emge, Ideen zu einer Philosophie des Führertums 1935), S. 188 f.
Nach diesen authentischen Einblick in Emges Bestimmung des Begriff des Politischen zurück zu Günzels Berichterstattung über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie anhand der Akte Emges mit der Signatur GSA 72/1588 und seiner Darstellung von Emges Ablehnung von Carl Schmitts Denken. Ich zitiere Günzel:
[2] Letzteres [Schmitts Nichterscheinen am 3. Mai 1934; mw] könnte zum Teil auf die Ablehnung zurückzuführen sein, die Emge Schmitts Denken – besonders dessen Freund-Feind-Schema140 – entgegenbrachte, und welche sich prägnant in einem persönlichen Schreiben an Erich Jung in Marburg ausdrückte,141 der ebenfalls von Emge in den Ausschuß berufen, war. In dem Schreiben bedankte sich Emge für einen im Rahmen des Ausschusses zu erarbeitenden Beitrag Jungs: „Ich freue mich, im Grunde meine [sic!] konservativen Seele, dass die deutsche Rechtsphilosophie von Ihnen behandelt werden wird, im übrigen auch über das ‚feste druf‘ gegen den edlen c[sic!] <arl>- Schm<itt>. gute Ferien und Heil!“142 Emge hatte aber nicht nur Professoren geladen. An alle politischen und administrativen Ebenen ergingen Einladungen: an den Reichsminister der Justiz, an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, an das Sächsische Ministerium der Justiz, an den Reichsminister des Innern, Frick, an die Reichsleitung des Kampfbundes für Deutsche Kultur e.V., Alfred Rosenberg, an den Stabschef der SA, Reichsminister Ernst Röhm, an das Preußische Justizministerium, und an den Reichsstatthalter in Thüringen. – Die meisten sagten allerdings ab, erschienen nicht oder │ S. 177 schickten einen Vertreter. Nur der zum Vorsitzenden ernannte Reichsjustizkommissar und Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Minister Frank, sowie Rosenberg, welche beide in Gegenwart von Elisabeth Förster-Nietzsche eine Ansprache zur Eröffnung hielten,143 waren persönlich gekommen.
140 Vgl. Emge, Ideen zu einer Philosophie des Führertums, a.a.O., Abschn. 19, S. 18.
141 Jung wurde bereits nach seiner Einladung zudem von W. Kisch aus München, der letztlich absagte, als ehemaliger Vorkriegskollege aus Straßburg empfohlen.
142 Emge am 30. Juli 1934 aus Weimar an Jung in Marburg a. d. Lahn, in: GSA 72/1588, Durchschrift[90]
143 Laut dem Bericht im Völkischen Beobachter, dem die Texte der Ansprachen zugestellt wurden, richtete sich Frank mit den folgenden Worten an Elisabeth Förster-Nietzsche: […] Völkischer Beobachter. Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung, Berliner Ausgabe, Freitag, 4. Mai 1934, S. 1 f., hier S. 1, Sp. 1 f., in: ebd.
(Günzel 2000), S. 176 f.
Günzels Darstellung, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie irgendwie ein Ausschuss Emges gewesen sei, für den Hans Frank nur irgendwie pro forma den Vorsitz übernommen hat, ist falsch. – In der Fußnote 141 ist die Behauptung Günzels richtig, dass Kisch in einem Schreiben an Emge Erich Jung als zu berufendes Mitglied des Ausschusses empfohlen hat. Irreführend ist die Auskunft Günzels, Kisch habe „letztlich abgesagt“. Die Berufung in den Ausschuss für Rechtsphilosophie hat Wilhelm Kisch angenommen. Kisch war nur nicht auf der ersten Sitzung am 3. Mai 1934 anwesend. – Den Brief von Emge an Erich Jung vom 30. Juli 1934 kenne ich noch nicht. Er ist vermutlich eines der letzten Blätter der Akte. – In meinem Abschnitt 7 werde ich den vollständigen Text des Berichts des Völkischen Beobachters über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie zitieren und kommentieren.
Zurück zu Günzels Berichterstattung:
[3] Auch an den Reichsminister Goebbels, den Emge wohl zwei Jahre zuvor zusammen mit Hitler bei dessen Besuch im Nietzsche Archiv nach der Uraufführung von Mussolinis Drama, „Hundert Tage [Campo di Maggio]“,144 in Weimar kennengelernt hatte, schreibt Emge am 24. April eine Einladung, in der er Goebbels zu dessen Erscheinen mit der Begründung zu bewegen sucht:
144 Vgl. Simon-Ritz/Ulbricht, „Heimatstätte des Zarathustrawerkes“, a.a.O., „Wie man wird, was man ist“, S. 167.
„Persönlichkeiten wie Heidegger, Rothacker, Stammler, Binder, Karl [sic!] Schmitt, Hans Freyer, Hans Naumann, Erich Jung, Bruns werden anwesend sein.[91] Eine der wichtigsten Angelegenheiten des Ausschusses wird es sein, […] den geistigen Gehalt der Bewegung nach Seiten der Jurisprudenz zu interpretieren. Es scheint mir unumgänglich, daß ich dabei in enger Fühlung mit der maßgeblichen Persönlichkeit stehe, die sich über die Problematik dieser Angelegenheit gewiß am klarsten ist. Ich darf nur an die große Bedeutung der Angelegenheiten mit Rücksicht auf einen möglichen Kulturkampf erinnern. / […] Wenn sich das [Goebbels Erscheinen; S.G.] nicht machen läßt, so darf ich Sie bitten, mir einen Termin anzugeben an dem ich (vielleicht in Ihrer außerdienstlichen Zeit) Ihnen einmal ausführlich über diese Dinge berichten kann. Ich möchte hinzufügen, daß ich bei solcher Gelegenheit auch als wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs gern einige Wünsche hören würde.“145
145 Brief von Emge am 24. April 1934 aus Weimar an Goebbels, in: GSA 72/1588 [Blatt 13; mw], Durchschrift.
(Günzel 2000), S. 176 f.
An der ersten Stelle, die Günzel aus dem Brief Emges an Goebbels nicht zitiert, ist folgendes zu lesen: „sozusagen fide vel moribus“. Das ist eine Anspielung auf eine kirchenrechtliche Auslegungstradition. Das von Günzel Ausgelassene passt durchaus zu den religionsphilosophischen Motiven, die in den Reden von Hans Frank, Alfred Rosenberg und C. A. Emge zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie eingeflochten waren. Ich komme darauf in meinem Abschnitt 4 zurück.
Günzel hat die abschließende Grußformel nicht zitiert. Sie passt inhaltlich zu der zweiten Stelle, die Günzel aus Emges Brief an Goebbels nicht zitiert hat.
Ich wäre daher glücklich, wenn Sie in Erneuerung der alten Beziehungen uns die Freude machen würden zur Eröffnungssitzung zu erscheinen. […] Mit dem Ausdruck alter Verehrung und Heil Hitler! Ihr ergebenster
GSA 72/1588, Blatt 13
Ich wüsste gerne, seit wann Emge und Goebbels einander kannten. Günzel hat seinen Lesern diese interessante Spur auf einen Ursprung des akademischen Nationalsozialismus nicht mitgeteilt.
Zurück zu Günzels Berichterstattung:
[4] Goebbels fuhr nicht nach Weimar. Doch auch ohne ihn wurde die Veranstaltung in den Dienst der „Bewegung“ gestellt. Nach erfolgreichem Abschluß der Ausschußgründung bedankte sich Emge bei Rosenberg mit den Worten: „Es war ein großer Tag für das Archiv. Die Geschichte der Philosophie und Wissenschaft wird einstmals die Bedeutung dieser Veranstaltung feststellen.“146 Emge stellt auch sogleich die zukünftigen Arbeitsaufgaben des Ausschusses vor: Die Mitglieder sollen schriftlich zu Rosenbergs und Franks Rede Stellung nehmen. – Dieser hatte als Aufgabenstellung bereits ausgegeben:
146 Brief von Emge am 5. Mai 1934 an Rosenberg, in: ebd., Durchschrift.
│ S. 178
Wir im engeren Kreise unseres Ausschusses für Rechtsphilosophie wollen die Sammlung der allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus alle die Bausteine des nationalsozialistischen Werdens nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer den Deutschen recht [sic!] als Unterlage vermitteln wollen. […] Der Typ, den wir aufstellen, heißt Lebensrecht, und nicht Formalrecht soll das Ziel sein.147
147 Frank zit. nach „Das Recht im Dienste des nationalsozialistischen Lebens“, a.a.O., S. 1, Sp.2.
(Günzel 2000), S. 177 f.
Den Brief vom Emge an Rosenberg vom 5. Mai 1934 kenne ich noch nicht. Er könnte interessanter sein als Günzel mitteilt. Auch kenne ich die ersten Arbeitsergebnisse des Ausschusses noch nicht, von denen nach Pinter auch Günzel berichtet. Günzel erwähnt allerdings die „Hausarbeit“ von Lasch nicht, die Pinter noch erwähnte. Die restlichen Informationen, die Günzel in Absatz 4 und den folgenden Absätzen präsentiert, stammen aus veröffentlichen Texten des Jahres 1934. Ich präsentiere diese Texte selbst in meinem Abschnitt 4. Interessante Verfälschungen bei der Wiedergabe der Zeitungsberichterstattung durch Günzel sind mir nicht aufgefallen.
[5] Zur Form der Ausführung setzt Emge später in seinem Anschreiben an die Mitglieder nur noch im philosophischen Duktus hinzu: „Es kommt nicht auf Definitionen, sondern auf erste, klare Unterscheidungen an.“148 – Rothacker, der ebenfalls geladene Uexküll aus Hamburg, Stammler, Jung und Binder schickten ihre bis zu 13 Seiten umfassenden Aufsätze an das Archiv.
148 Ebd.
[6] Am Eröffnungstag hatte Emge selbst die Zusammenarbeit von Politik und Wissenschaft bereits wie folgt bestimmt: „Zwei Momente charakterisieren die Aufgabe: Das erste, Rationales und Irrationales zur Verbindung zu bringen, ist typisch deutsch; das zweite, Objektives und Subjektives zur Synthese zu bringen, ebenso typisch nationalsozialistisch.“149 Insgesamt schlug Emge spezielle Themen für neun Unterausschüsse vor, deren Zielsetzung es beispielsweise sei, die ermittelten „Wesenheiten [der Bewegung] möglichst rein zu halten“.150 Wohl wegen der geringen Mitgliederzahl wurde dieser Plan zugunsten der weiteren Fragestellung aufgegeben.151
149 Emge zit. nach „Die Ehre der Nation bestimmt das Recht“, ‚Thüringische Staatszeitung‘, Freitag, den 4. Mai 1934, Nr. 105, Sp. 4, in: ebd.
150 Ebd.
151 Vgl. die zusätzliche Zeitungsmeldung vom selben Tag, „Akademie für deutsches Recht. Aus der Abschlußberatung des rechtsphilosophischen Ausschusses in Weimar“, in: ebd.[92]
(Günzel 2000), S. 178
Mit der interessanten Auskunft über Emges Planung zu neun Unterausschüssen des Ausschusses für Rechtsphilosophie beendet Günzel seinen Bericht über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Hätte Günzel ordentlich gearbeitet, wäre er es gewesen, der als erster in der deutschsprachigen Forschung nachgewiesen hätte, dass Carl Schmitt Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Auch Tilitzki (2003) versäumt es, seine Leser über einen wichtigen Fund, den er bezüglich der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gemacht hat, angemessen zu informieren.
2.6. Tilitzki (2003) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Der Titel dieses Aufsatzes von Tilitzki lautet: Der Rechtsphilosoph Carl August Emge. Vom Schüler Hermann Cohens zum Stellvertreter Hans Franks. Er erschien in der Zeitschrift Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie im Jahr 2003. Emge ist 1934/35 zum Herausgeber dieser Zeitschrift geworden. Tilitzki erhebt Emge und die Zeitschrift fürs Jahrs 1942 zum „Forum der Regime-Kritik“. Den Ausschuss für Rechtsphilosophie erwähnt Tilitzki nur beiläufig.
Tilitzki (2003) kennt Farías (1987/89) und Pinter (1994). Günzel (2000) wird nicht erwähnt. Obwohl Tilitzki Pinter (1994) erwähnt, teilt er seinen Lesern nicht mit, dass Pinter eine Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie ausgewertet hat. Durch Tilitzkis Charakterisierung von Pinter (1994) versetzt Tilitzki seine Leser stattdessen in den Glauben, dass Pinter über Farías keine neuen Informationen zum Ausschuss für Rechtsphilosophie geboten hat.
Trotz der Beiläufigkeit seiner Behandlung des Ausschusses für Rechtsphilosophie bietet Tilitzki in seiner Fußnote 90 eine neue Quelle, die über die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie informiert. Es handelt sich um einen Text von Emge, der im »Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung« Hans Franks 1935 veröffentlicht worden ist. Gemäß dieser Quelle war Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Damit gebührt Tilitzki das Verdient, als erster nachgewiesen zu haben, dass Carl Schmitt vor 1935 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Er stellt das Licht seines Erfolges aber unter den Scheffel.
Falls die fachlichen Mängel von Günzel (2000) und Tilitzki (2003) absichtlich gemacht worden wären, könnte das so erklärt werden: Auf diesen Weisen könnten Mitglieder verschiedene Seilschaften, die von den Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie etabliert worden sind, einander mitteilen, dass ihre Waffenlager gut gefüllt sind, würde irgendein Mitglied einer anderen Seilschaft seilschafts-interne Wissen über den eignen Seilschafts-Stammvater aus dem Ausschuss für Rechtsphilosophie so öffentlich machen, dass ein breites Publikum über ihn angemessen informiert würde. So könnte z.B. Tilitzkis Aufsatz über Emge dem Zweck dienen, den Schmittianern mitzuteilen, sie sollten Emge – und Heidegger – zumindest zufriedenlassen, vielleicht sogar als Widerstandskämpfer loben.
Ich zitiere nun Tilitzki:
Und das ARSP [Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie; mw] diente Emge schließlich selbst als Forum der Regime-Kritik, die, 1942 ausgestreut in gut dreitausend Aphorismen auf fast vierhundert Seiten, in dieser Schärfe von keinem seiner Kollegen öffentlich geäußert worden war und deren oppositionelle Essenz den │ S. 483 Vergleich nicht zu scheuen braucht mit den Denkschriften etwa aus dem Kreisauer, dem Goerdeler-Kreis oder anderen Widerstandszirkeln, zu denen Emge wohl persönlichen Kontakt hatte.86 Teils unverhüllt, teils in historisierender, die zaristische │ S. 484 Autokratie zitierender Camouflage trug Emge darin vor: a) eine am Maßstab des liberalen Rechtsstaats und des „Persönlichkeits“-Ideals orientierte Herrschaftskritik, b) eine kultur- und zeitkritische Moderne- und Fortschrittskritik, die in ähnlicher Weise wie Heidegger in seinen Vorlesungen ab 1935 den Nationalsozialismus als Beschleuniger, nicht mehr als Aufhalter der „Weltvernutzung“ qualifizierte und ausdrücklich auf eine Stufe mit dem Bolschewismus stellte, und c) eine Kritik des Rechtspositivismus, die die „Wüste des Positivismus“ wiederum wie „Diktatur“ und „hemmungslos zunehmende Technisierung“ als Erscheinung der „nachchristlichen Zivilisation“ begriff, der alle „religiösen Zusammenhänge“ abhanden gekommen seien.87
Erste Auszüge aus diesen Aphorismen, die das kritische Potential des erwähnten kantianischen „Dualismus“ freisetzten und Distanz zum NS-System erkennen ließen, veröffentlichte Emge 1935/36,88 so daß man Mühe hat, eine solche proteische Existenz zu fassen. Denn zu diesem Zeitpunkt agierte Emge im Schlepptau von Hans Frank nominell auf der rechtspolitischen Führungsebene des Systems. Nur sind wir über seine Aktivitäten dort, vor allem über seine Rolle in der 1934 ins Leben gerufenen Akademie für Deutsches Recht (AkDR) unter der Präsidentschaft Franks, dessen Stellvertreter Emge zwischen 1937 und 1942 war,89 schlecht unterrichtet. Fast nichts ist bekannt über Emges Funktion als zweiter Mann hinter Frank im Ausschuß für Rechtsphilosophie, dessen konstituierende Sitzung Anfang Mai 1934 im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand,90 und über sein Wirken als Vorsitzender des wichtigen Ausschusses für Nationalitätenrecht in der Akademie.
88 Unter gleichlautendem Titel, Aus einem rechtsphilosophischen Journal, aber inhaltlich nicht identisch, in: Blätter für Deutsche Philosophie 9,1935/36, 250-259; Zs. für öffentliches Recht, 1936, 305-312 und in: Festschrift Ernst Heymann … zum 70. Geburtstag am 6. April 1940 überreicht von Freunden, Schülern und Fachgenossen, Weimar 1940, Bd. 2, 47-64.
[…]
90 Vgl. Emge, Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie, in: Hans Frank (Hg.), Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, Berlin 1935, 29-32 (dort 32), wo Alfred Rosenberg, der Reichskriegsminister von Blomberg, der Verfechter des „Rasserechts“, Helmut Nicolai, und aus der Professorenschaft C. Schmitt, R. Stammler, Heymann, „Bruno [sc. Julius] Binder“, Erich Jung (alldeutscher Rechtsphilosoph, der nach dem Verlust seines Straßburger Lehrstuhls seit 1919 in Marburg wirkte), Heidegger, Emges enger Freund Rothacker, Hans Freyer und der Bonner Germanist Hans Naumann als Mitglieder, Emge selbst als „geschäftsführender Vertreter“ des Vorsitzenden Frank genannt werden.[93] Vgl. das leider sehr unergiebige, mit zahlreichen Fehlern („Staatsrat Schmidt“!) durchsetzte Kapitel „Heidegger und die Akademie für Deutsches Recht“, in: Victor Farias, Heidegger und der Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1989, 277-280. Nicht viel aufschlußreicher: Pinter 1996[94] (FN 7), 58-64
(Tilitzki 2003), S. 482- 484
Direkt im Anschluss präsentiert Tilitzki Informationen über den Ausschuss für Völkerrecht und für Nationalitätenrecht, mit denen ich mich erst in meinem Teil III befassen werde. Ich zitiere die Information unkommentiert in folgender Endnote.[95]
Ich habe nicht alle Fußnoten Tilitzkis zum von mir zitierten Haupttext Tilitzkis zitiert, da die Fußnoten Tilitzkis sehr lang sind. Ersatzweise gebe ich hier zunächst einen kurzen Überblick, über die Fußnote, die ich nicht zitiert habe:
Die Belege aus der Fußnote 86 stammen alle aus der Zeit nach dem gescheiterten Stauffenberg-Attentat. Bis auf einen sogar aus der Zeit nach 1945.
Die Belege aus Fußnote 87 sind vieldeutig. Das ist selbstverständlich. Es sind ja Aphorismen. Tilitzki zitiert zum Beispiel als Beleg für seine Behauptung, dass Emge 1942 ein scharfer Kritiker des NS-Regimes war, folgenden Aphorismus Emges:
Der Utilitarismus steht am fernsten von der Urne alles Heiligen.
(Tilitzki 2003), S. 483, Fußnote 87
Mehr zitiert Tilitzki aus dem direkten Kontext nicht. Ich kann nicht nachvollziehen, weshalb Tilitzki diesen Aphorismus als Beleg für seine Behauptung anführt. Wer 1942 etwas Abfälliges gegen den Utilitarismus veröffentlicht, muss ja nicht als Kritiker des Nationalsozialismus verstanden werden. Er könnte auch als Kritiker der Kriegsgegner Großbritannien und USA verstanden werden. Für sich betrachtet ist der Aphorismus, den Tilitzki zitiert, kein Beleg für seine These, Emge sei 1942 als scharfer Kritik des Regimes an die Öffentlichkeit getreten. Dieser Befund ändert sich auch nicht, wenn man den Kontext des Aphorismus im näheren Umfeld von Emges Gesamttext berücksichtigt. Ich zitiere den näheren Kontext vollständig:
Sokratischer Rat
Gefühl der Freiheit oder Unfreiheit ist der blanke Spiegel, worin sich ein herrschendes Recht nicht oft genug beschauen kann.
Kummer des Rechts: daß die Macht nicht Spiegelgefährte der Idee sein kann.
Wohin soll der Mensch schauen, um zu erfahren, wer der „Gerechteste im ganzen Lande“ ist?
Immer ist es die Geschichte, welche vergehenden Zeiten den Spiegel vor den Mund hält, um noch einen Hauch ihres Lebens zu empfangen. │ S. 256
In Zeiten brutaler Gewalt pflegt der Geist seinen Spiegel zu verhängen.
Die Idee ist auf Erlösung durch den Sohn: Inkarnation und Kreuzigung angewiesen; nur in Machtformen kann sie durch Gestaltung Erlösung finden.
Es genügt nicht, daß die Vorstellung beweglich sei; auch die Objekte, zum Beispiel Volk, Recht, sind als beweglich zu verstehen.
Der Utilitarismus steht am fernsten von der Urne alles Heiligen.
Stein der Weisen für Rechtsphilosophen
Der Probierstein, der anzeigt, ob Gewalt dazu dienen soll, Recht zu setzen oder Unrecht zu verbergen und zu sichern.
Es sind ironische Zeiten, in denen derjenige als verkrampft gilt, welcher ihre Prinzipien ernst nimmt.
(C. A. Emge, Diesseits und jenseits des Unrechts 1942)
Wie man ohne Aufwand erkennt, ist der von Tilitzki zitierte Aphorismus über den Utilitarismus auch in seinem Kontext kein eindeutiger Beleg für Tilitzkis These, Emge habe 1942 das NS-Regime scharf kritisiert.
Zurück zu den Fußnoten Tilitzkis, die ich nicht zitiert habe:
In Fußnote 89 verweist Tilitzki auf die Darstellung Pichinots (1981), die ich bereits vorgestellt habe.
In Fußnote 94 liefert Tilitzki neben den bibliographischen Angaben zum Text Emges einen Hinweis auf Reinhard Höhns Vortrag auf demselben Haager Kongress und einen Hinweis auf Archivmaterial zum Haager Kongress des Jahres 1937. Mit diesem Kongress werde ich mich in meinem Teil III befassen.
Nun zum von mir Zitierten:
In der Fußnote 88 hätte Tilitzki erwähnen können, dass in der Festschrift für Ernst Heymann aus dem Jahr 1940 auch Reinhard Höhn beigetragen hat. Das wäre erwähnenswert gewesen, da in der Forschung Höhn mittlerweile einer der wenigen Dauer-Buhmänner ist. Wer nur die Sekundärliteratur gelesen hat, wird vermutlich folgende Meinung haben: Wenn es einen akademischen Nationalsozialisten gegeben hat, dann Reinhard Höhn.
In der Fußnote 90 hat Tilitzki vergessen, Mikorey zu erwähnen. Das hatte ich bereits erwähnt. – Tilitzki gibt keine Begründung für seine Korrektur von „Bruno Binder“ zu „Julius Binder“. – Tilitzki liefert keinen Beleg dafür, dass Erich Jung bereits seit 1919 in Marburg „wirkte“. Erich Jung hat erst zum Wintersemester 1921/22 eine Professur in Marburg erhalten. Trotzdem mag es irgendwie richtig sein, dass Erich Jung ab 1919 in Marburg „wirkte“. Nach Verlust seiner Straßburger Professur im Zuge der Waffenstillstandsvereinbarungen „wirkte“ Prof. Erich Jung nach eigener Auskunft vertretungsweise an den Universitäten in Tübingen und München, bevor er in Marburg erneut eine Professur erhielt (vgl. Unterabschnitt 6.2.1.). – Der einzige Beleg („Staatsrat Schmidt“), den Tilitzki für seinen Vorwurf gegen Farías vorbringt, ist untauglich, da Farías seine Quelle korrekt wiedergegeben hat.
Der Angriff Tilitzkis auf Farías ist in seiner Schärfe auffällig. Da der angegebene Sachgrund falsch ist, Farías hat ja seine Quelle korrekt wieder gegeben, darf man vermuten, dass Tilitzki persönlich ärgerlich auf Farías gewesen ist: Ohne Farías Archivarbeit zu Ernst Krieck, durch die er die zeitgenössische Zeitungsberichterstattung über die Gründung des Ausschuss für Rechtsphilosophie gefunden hat, hätte vielleicht nicht einmal das deutsche Fachpublikum, dem »die Gnade der späten Geburt« zu Teil geworden war, von der Existenz des Ausschusses für Rechtsphilosophie erfahren. Vor Farías hatten ja nur Pichinot (1981) und Anderson (1982/87) in ihren Dissertationen beiläufig über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet. Und hätte ich 1990 nicht Farías Buch gelesen, hätte ich mir sehr wahrscheinlich im Februar 2016 die drei Geschäftsführungsakten der AfDR in meiner Recherchearbeit zu Hans Georg Gadamer im Bundearchiv Berlin-Lichterfelde nicht angesehen. Mein herzlicher Dank gilt demnach ganz eindeutig Victor Farías. Danke!
Durch die korrekte Angabe der Quelle aus dem Jahr 1935, in der Emge Carl Schmitts Namen als Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie erwähnt, wird es Tilitzki Ruhm bleiben, als erster nachgewiesen zu haben, dass Carl Schmitt vor Veröffentlichung des Nationalsozialistischen Handbuches für Recht und Gesetzgebung (1935) Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
2.7. Emanuel Faye 2005/09 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Erst 2009, zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von Farías Buch, informierte eine Monographie in deutscher Sprache eine größere Leserschaft wieder über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Der Verfasser war wieder kein Deutscher. Nach dem Chilenen Farías sorgte nun ein Franzose dafür, dass Leser deutschsprachiger Bücher zur Philosophie des 20. Jahrhunderts von der Existenz des Ausschusses für Rechtsphilosophie erfuhren. 2009, vier Jahre nach der Originalfassung, erschien die deutsche Übersetzung von Heidegger, l’introduction du nazisme dans la philosophie (2005): Emmanuel Faye: Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie. Im Umkreis der unveröffentlichten Seminare zwischen 1933 und 1935. (Berlin 2009).
2.7.1. Es gab seit den 1920-er Jahren ideologische Nähen zwischen Heidegger, Carl Schmitt und Erich Rothacker
Anlass für Fayes Monographie über die Einführung des Nazismus in die Philosophie durch Heidegger waren zwei studentische Mitschriften eines Seminars Heideggers, die Faye im Literaturarchiv Marbach entdeckt hatte und die 2011 von Peter Trawney im Band 86 der »Gesamtausgabe« neben anderen Texten veröffentlicht worden sind. Es handelt sich um Mitschriften zu Heideggers Seminar über Hegels Rechtsphilosophie, das er im Wintersemester 1934/35 an der Universität Freiburg teilweise zusammen mit Professor Erik Wolf (1902-1977) unterrichtet hat. In den Mitschriften war erkennbar, dass sich Heidegger intensiv mit Carl Schmitt beschäftigt hatte. Dankenswerterweise nahm das Faye zum Anlass, ideologische Nähen Heideggers zu Carl Schmitt und auch zu Erich Rothacker zu entdecken und darzustellen.
Erneut verdankt die Öffentlichkeit es der Arbeit eines nicht-deutschen Wissenschaftlers in deutschen Archiven, das wichtige Primärdaten aus der Zeit des »Dritten Reichs« gefunden und ausgewertet wurden. Nebenbei sei erwähnt, dass Faye (2005/09) das Manuskript Heideggers zu seinem Seminar über Hegels Rechtsphilosophie nicht ausgewertet hat, da er es nicht kannte. Es ist zusammen mit den beiden studentischen Mitschriften in Band 86 erst im Jahr 2011 veröffentlicht worden. Wie zuverlässig Veröffentlichungen in dieser Ausgabe sind, kann ich nicht beurteilen. Das angebliche Manuskript Heideggers ist, soweit ich sehe, bislang nicht wirklich zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung gemacht worden. Da die ersten Schwarzen Hefte Heideggers erst 2014 veröffentlicht worden sind, ist das durch sie erzeugte Aufsehen kein ausreichender Erklärungsgrund für die fehlende Auseinandersetzung mit dem angeblichen Manuskript Heideggers zum Seminar über Rechtsphilosophie des Wintersemesters 1934/35.
Mit Blick auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie bietet die Monographie Fayes keinen Erkenntniszuwachs über Farías (1987/89) hinaus, da Faye sich mit Blick auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie ausschließlich auf den Quellenbericht von Farías stützt. Leider gibt Faye sogar zwei Punkte falsch wieder, die Farías korrekt dargestellt hatte, und wiederholt den Fehler von Farías bezüglich einer Mitgliedschaft von Julius Streicher im Ausschuss für Rechtsphilosophie. Ich zitiere zunächst und mache dann auf die Fehler aufmerksam:
Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird offiziell während einer Veranstaltung vom 3. bis zum 5. Mai 1934 im Nietzsche-Archiv in Weimar gegründet. Er wurde von Hans Frank zusammengesetzt. Mitglieder sind »Philosophen« wie Martin Heidegger, Erich Rothacker und Hans Freyer | S. 277 ein Jurist, der in der Akademie für Deutsches Recht hinter Frank der zweite Mann am Ruder ist, Carl Schmitt, außerdem Parteigrößen wie Alfred Rosenberg oder der Agitator Julius Streicher, Chefredakteur des Stürmer.
(Faye 2009), S. 276 f.
Faye verwechselt Hans Freyer, der kein Jurist gewesen ist, mit Carl August Emge oder mit Wilhelm Kisch, die er beide unerwähnt lässt, obwohl sie Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind. Emge und Kisch waren darüber hinaus zu verschiedenen Zeitpunkten stellvertretende Präsidenten der AfDR. Emge war nachweislich zumindest anfänglich und im Zeitraum von 1941 bis 1943 stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
Da Faye (2009) weder die Dissertationen von Anderson (1982/87) und Pinter (1994) noch die Aufsätze von Günzel (2000) oder Tilitzki (2003) erwähnt, glaube ich nicht, dass er nur vergessen hat, einen Beleg für seine Behauptung, dass Carl Schmitt Mitglied dieses Ausschusses gewesen ist, anzugeben. Ich glaube, dass Faye die Schreibweise „Staatsrat Schmidt“ für einen simplen Schreibfehler hielt, den er stillschweigend korrigiert hat.
Da Faye anhand der von ihm entdeckten Mitschriften der Studenten wusste, dass Heidegger sich spätestens während des Wintersemesters 1934/35 mit Schriften Carl Schmitts beschäftigt hat, war die Vermutung, dass tatsächlich Carl Schmitt – und nicht ein „Staatsrat Schmidt“ – Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gut begründet. Tatsächlich zeigt die Akte Emges, dass Carl Schmitt einer von 18 Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist (siehe Abschnitt 3).
Die wichtige Entdeckung der studentischen Mitschriften nahm Faye wissenschaftlich wohlbegründet zum Anlass, sich kritisch mit Heidegger, Carl Schmitt und Erich Rothacker seit den zwanziger Jahren zu befassen. Ich zitiere Faye:
Unsere Analysen beziehen sich nicht nur auf Heideggers Schriften, sondern auch auf die Schriften einiger anderer im Nationalsozialismus höchst engagierter intellektueller Persönlichkeiten, mit denen Heidegger im Briefverkehr stand oder denen er besonders nah war. So sind wir zu einer ganz neuen Einschätzung der intellektuellen Beziehungen zwischen Martin Heidegger und Carl Schmitt und ihres wechselseitigen Einflusses aufeinander gelangt, und zwar auf der Grundlage expliziter Verweise auf Schmitt, die wir in den unveröffentlichten Seminaren Heideggers gefunden haben. Wir haben uns dabei auch auf ihre jeweiligen Konzeptionen des polemos und des Kampfes gestützt, denen man diejenige Alfred Baeumlers zur Seite stellen muss – im Zusammenhang mit der Interpretation von Heraklits Fragment 53. Zudem haben wir die Schriften von Gelehrten wie Erich Rothacker, Rudolf Stadelmann, Erik Wolf oder Oskar Becker studiert, die bisher im Dunkeln belassen worden sind. Durch die mitunter sehr engen Beziehungen, die diese Autoren zu Heidegger gepflegt haben, klären ihre Texte entscheidend über die rassische Dimension auf, die im Fundament der Konzeptionen Heideggers zu finden ist. Denn wenn man beobachtet, was Autoren wie Heidegger, Rothacker, Becker und Clauß seit den zwanziger Jahren – und vor dem Hintergrund der zu jener Zeit im Umkreis des Begriffes der Umwelt sich artikulierenden Rassenlehre — miteinander verbindet, dann begreift man, dass Heideggers Werk keinesfalls einer »Philosophie« entspricht, die sich bereits ausgebildet hätte, be- │ S. 19 vor sie auf ihrem Weg dem Nationalsozialismus begegnete, sondern ganz im Gegenteil einer Lehre, die seit den zwanziger Jahren auf einer Konzeption der »geschichtlichen Existenz« und der »Umwelt« fußt, die mit der Rassenlehre des Nationalsozialismus übereinstimmt, wie sie damals unter zum Teil transponierten und maskierten Formen im intellektuellen Leben Gestalt annahm.
(Faye 2009), S. 18
Meine Recherchen in Teil II werden nachweisen, dass zumindest wichtige Teilgruppen der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie einander schon (lange) vor 1933 kannten. Anders als Faye konzentriere ich mich auf Erich Jung, dem ältesten Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Insgesamt betrachtet werde ich zu einem deutlich schärferen Ergebnis als Faye kommen: Heidegger und andere Professoren haben nicht nur „den Nazismus“ in die Philosophie (und andere Wissenschaften) eingeführt. Diverse Akademiker haben zunächst die »Weltanschauung des Nationalsozialismus« hergestellt und dann geholfen, die NSDAP an die Regierungsmacht zu bringen.
2.7.2. Fayes Wiedergabe von Inhalten aus der konstituierenden Rede Hans Franks
Dem Ausschuss für Rechtsphilosophie selbst widmet Faye nur wenige Seiten (275-278), da er im Wesentlichen nur Farías Darstellung wiedergibt. Nachdem er aus Farías Namensliste der Gäste und Ausschussmitglieder einige Namen weggelassen hat, beschränkt Faye seine Auskunft über die Gründungsfeierlichkeiten auf folgendes. In seinen Fußnoten verweist er auf Farías (1987/89) und nur auf Farías (1987/89).
In seiner Eröffnungsrede formuliert Frank den Anspruch, welchem der Ausschuss gerecht zu werden hat, nämlich dass er »sich als ein Kampfausschuß des Nationalsozialismus« versteht. Es handelt sich darum, Begriffe wie »Rasse«, »Staat«, »Führer«, »Blut« miteinander zu verbinden. Tatsächlich sagt er:
»Der Durchbruch der Rechtsphilosophie heißt daher: Feierlich Abschied nehmen von der Entwicklung einer Knechtsphilosophie im Dienste undeutscher Dogmen: Lebensrecht und nicht Formalrecht soll unser Ziel sein. (…) Es soll aber ein Herrenrecht und nicht ein Sklavenrecht sein. Der Staatsbegriff des Nationalsozialismus wird von uns neugebaut auf Einheit und Reinheit des deutschen Menschentums, formuliert und verwirklicht im Recht und im Führerprinzip.«
Zum Fundament des nationalsozialistischen Rechts macht Frank eine Unterscheidung Nietzsches aus der Genealogie der Moral, die er grob entstellend übernimmt und auf das Recht überträgt, was ihn nicht daran hindert, sich dennoch ausdrücklich auf Nietzsche zu berufen. Wenn Frank auf diese Weise zwischen Herrenrecht und Sklavenrecht unterscheidet, dann läuft dies darauf hinaus, eine der Hauptaufgaben des Ausschusses für Rechtsphilosophie in aller Deutlichkeit den Ausschussmitgliedern in Erinnerung zu rufen: an der weiteren Ausbildung des nationalsozialistischen Staates zu arbeiten, und zwar auf der Grundlage des nationalsozialistischen Rechts und des Führerprinzips. Genau dieser Aufgabe widmet sich Heidegger ganz ausdrücklich in seinen beiden unveröffentlichten Seminaren.[96]
Allerdings bleibt der politische Auftrag des Ausschusses seinem rassischen Zweck untergeordnet. Hans Frank hat keinerlei Grund, dies den über zweihundert Journalisten – darunter vierzig Vertreter der Auslandspresse – auf der Pressekonferenz am 5. Mai anlässlich der Einrichtung des Ausschusses zu verheimlichen. Er verkündet im Gegenteil, dass »das Fundament unserer Gesetzgebung die Erhaltung der rassischen Wertsubstanz unseres Volkes ist«.[97]
(Faye 2009), S. 277
Die unterstrichene Information ist nicht ganz korrekt. Die Pressekonferenz am 5. Mai 1934 war ein „Presseempfang“ der gesamten AfDR in Berlin, bei dem u.a. Hans Frank das Wort ergriff und beiläufig erwähnte, dass er
vorgestern […] den Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie, dessen Vorsitz ich persönlich übernehmen, in Weimar zum ersten Zusammentreten gebracht habe.
Hans Franks Presseansprache am 5. Mai 1934, S. 175
Ich habe übrigens auch keine Information gefunden, dass die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie zwei Tage andauerte. Alle Datumsangaben nennen den 3. Mai 1934. Richtig ist, dass die Zeitungsberichterstattung häufig auf zwei Daten verteilt wurde. Das sagt ja aber nichts über die Dauer der Veranstaltung, über die berichtet wurde.
Faye schließt seine knappe Darstellung des Ausschusses für Rechtsphilosophie folgendermaßen ab:
So ist es also um den Ausschuss bestellt, in dem Heidegger mehrere Jahre lang mitgewirkt hat. Bis heute ist nicht bekannt, worum es bei den Arbeitssitzungen ging, an denen Heidegger teilgenommen hat. Und auch | S. 278 nicht, was er dort geäußert haben mag.
(Faye 2009), S. 277 f.
Auch ich weiß nicht, was Heidegger auf den Sitzungen des Ausschusses für Rechtsphilosophie bis in den Januar 1943 geäußert hat, da ich kein Sitzungsprotokoll dieses Ausschusses kenne. Sitzungsprotokolle von Ausschüssen der AfDR waren durchaus üblich. Viele Protokolle haben sich erhalten. Viele sind in 22 dicken Bänden seit 1986 von Werner Schubert als Herausgeber im Peter Lang Verlag veröffentlicht worden. Die Reihe ist abgeschlossen. Kein Band enthält Protokolle jenseits des Jahres 1942. Protokolle des Ausschusses für Rechtsphilosophie sind nicht veröffentlicht worden: https://www.peterlang.com/view/serial/ADR.
Da Faye (2009) die Dissertation von Anderson (1982/87) nicht kennt, wusste er nicht, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie bis 1943 existierte. Hätte Faye das gewusst, hätte er dem Ausschuss für Rechtsphilosophie vermutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Dass Faye in Unkenntnis dieser Tatsache enge, ideologische Verbindungen Heideggers nicht nur zu Carl Schmitt, sondern auch zu Erich Rothacker vor 1934 entdeckt hat, macht seine Ergebnisse wichtiger, da sie methodisch unabhängig von meinem Vorgehen in Teil II gewonnen wurden.
2.8. Adlberger (2007) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Susanne Adlbergers Monographie Wilhelm Kisch – Leben und Wirken (1874-1952). Von der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg bis zur nationalsozialistischen Akademie für Deutsches Recht ist 2007 in der „Rechtshistorischen Reihe“ als Band 354 im Peter Lang Verlag Frankfurt am Main erschienen. Es handelt sich zugleich um ihre Dissertationsschrift, die im selben Jahr von der Juristischen Fakultät der LMU angenommen wurde. Erstgutachter war Prof. Dr. Hermann Nehlsen.
Über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet Adlberger nur folgendes:
2.3. Vizepräsident und „Graue Eminenz“ der Akademie
Kischs Stellung als eine Art organisatorisch-wissenschaftlicher Berater bzw. Verantwortlicher manifestierte sich auch in den folgenden Monaten des Aufbaus. […] Mit der von Frank angestrebten nationalen Etablierung der Akademie durch die Erhebung zur Reichskörperschaft, verbunden allerdings mit der Unterstellung unter die Aufsicht des Reichsjustiz- und des Reichsinnenministeriums, mit Gesetz nebst neuer Satzung vom 11. Juli 1934 wurde Kisch dann Vizepräsident.254 In dieser Eigenschaft wurde er zu den Sitzungen des Führerrates eingeladen255 bzw. war automatisch Mitglied von dessen Nachfolgeorgan Präsidium, das den Präsidenten bei seinen Aufgaben unterstützen und beraten sollte.256 Darüber hinaus übernahm Kisch auch den Vorsitz im Ausschuss für Bürgerliche Rechtspflege257 und im Unterausschuss Vergleichsrecht258 und wurde Mitglied des Versicherungsrechtsausschusses.259 Seine Teilnahme im von Frank gegründeten, stark rassenideologisch geprägten Ausschusses für Rechtsphilosophie, der allerdings nur unregelmäßig zusammentrat und nach einigen Jahren wieder eingestellt wurde260, ist ungeklärt.261
254 RGBl. 1, 1934, 605f.
255 Einladung KERRL an KISCH vom 19.12.1933 für Führerratssitzung am 21.12.1933, BAB AkDR R 61, DZA Bestand Potsdam 30.13, 15.
256 KISCH, Verteidigungsschrift S. 6, SpKA KISCH, StAM SpK K 880’Verwaltungsanordnung vom 1.4.1937; in: ZAkDR, 4. Jg. (1937) S. 405f
257 Gliederung der Akademie für Deutsches Recht, in: Deutsches Recht, 3. Jg. (1933) 205f.
258 Die erste Jahrestagung der Akademie für Deutsches Recht, in: ZAkDR, 1. Jg. (1934) S. 119 ff. [122].
259 SCHUBERT, WERNER (Hrsg.), Akademie für deutsches Recht 1933 – 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. XIII, Ausschüsse für Versicherungswesen- und für Versicherungsagenten- und Versicherungsmaklerrecht 1934 – 1943, Frankfurt am Main 2002.
260 ANDERSON, DENNIS LEROY, The Academy for German Law, 1933 – 1944, New York 1987, S. 347. Eingestellt wurde der Ausschuss 1938, vgl. BAB AkDR R 61, 29.
261 KISCHS Name findet sich im Ausschussverzeichnis Rechtsphilosophie, BAB [Bundesarchiv Berlin; mw] AkDR R 61, 106. Allerdings wird er von CARL EMGE in dessen Beitrag „Das Problem einer deutschen Rechtsphilosophie“, in: FRANK, HANS, (Hrsg.), Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung, München 1935, S. 29-32, der über den Ausschuss berichtet und die Mitglieder aufführt, nicht mitaufgezählt. Von einer Tätigkeit KISCHS in diesem Ausschuss ist nichts bekannt, so dass allenfalls von einer als Vizepräsident vielleicht rein nominellen oder nur sehr kurzen Mitgliedschaft in diesem FRANK so wichtigen Ausschuss auszugehen ist.
(Adlberger 2007), S. 178
Adlberger behauptet im Haupttext, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie nach „einigen Jahren“ „eingestellt“ wurde. In der Fußnote 260 wird sie genauer: Der Ausschuss sei 1938 „eingestellt“ worden. Sie führt zwei Belege für ihre Behauptung an: 1. die Akte Nummer 29 der AfDR („R 61“) enthalte einen entsprechenden Beleg; 2. Anderson habe das auf S. 347 seiner Dissertationsschrift nachgewiesen.
Ad 1.) Ich habe im Bundesarchiv-Lichterfelde die komplette Akte Nr. 29 der AfDR an einem Lesegerät für Mikrofiche durchgesehen und mir Notizen gemacht. Ich suchte nach einer Erwähnung Gadamers. Von vielen, aber nicht von allen Blättern dieser Akte habe ich mir Kopien gemacht. In der AfDR-Akte mit der Nummer 29 ist mir kein Blatt aufgefallen, das eine „Einstellung“ oder ähnliches des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Jahr 1938 dokumentieren würde. Mindestens ein anderes Blatt aus der AfDR-Akte mit der BArch-Signatur R 61/29 dokumentiert stattdessen, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie bis in den Januar 1943 existierte (siehe Abschnitt 9.1.2.).
Ad 2.) Es ist nicht richtig, dass Anderson auf S. 347 seiner Dissertation behauptet, der Ausschuss für Rechtsphilosophie sei 1938 eingestellt worden. Anderson behauptet auf S. 347, dass der Ausschuss mit der „class one of the division of legal research“ „merged“. „x merged with y“ darf nicht mit „x ist eingestellt worden“ übersetzt werden. Seine Behauptung belegt Anderson mit einem protokollierten Kommentar, den Julius Binder am 9. Dezember 1938 auf einem Treffen der Klasse I gemacht habe. Das Protokoll des Treffens sei im Schriftgut mit der BArch-Signatur R 61/77 vorhanden. Adlberger verweist nicht auf diese Akte. Sie einzusehen war für mich nicht nötig, da Anderson in seinem Appendix B mitgeteilt hat, dass gemäß der Aktenlage der AfDR der Ausschuss für Rechtsphilosophie erst 1943 aufgelöst wurde. Den Appendix B von Anderson hat Adlberger nicht berücksichtigt.
In der Fußnote 261 verweist Adlberger auf eine Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie, mittels einer veralteten Signatur: „AkDR R 61, 106“.
(Werhan und Fensch 1976), S. 12
Ich kenne diese Mitgliederliste nicht. Ich vermute, es ist dieselbe Mitgliederliste, auf die sich Anderson in seiner Fußnote 16 bezogen hat.
In order not to neglect theoretical work within the committee structure, Frank formed a committee on legal philosophy, which he personally chaired. The committee consisted of a number of ADR and Nazi luminaries, including legal historian Julius Binder, international law expert Viktor Bruns, philosopher Martin Heidigger [so im Original; mw], Carl Schmitt and Alfred Rosenberg. It held its inaugural meeting on May 3, 1934, appropriately enough in the Nietzsche archives in Weimar, with Frank delivering an address, which stressed the element of race more pointedly than was the case in many ADR committees.16 In spite of the fact that Frank and Rosenberg took an active role in setting the tone and program of this committee, it met only infrequently with no tangible results and merged with class one of the division for legal research in 1938.17
16 On the opening session of the committee for legal philosophy, see “Lebensrecht, nicht Formalrecht,” Deutsches Recht, IV (1934), 231-234. For a membership list of the committee in the mid-1930’s. see NA, T-82, roll 23, ADR 5.
17 See Binder’s comments at the Dec. 9, 1938 meeting of class one, protocol of the meeting, ADR files, R 61/77, BK
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 347
In der Fußnote 261 verweist Adlberger zusätzlich auf den 1935 veröffentlichten Text Emges, auf den bereits Tilitzki (2003) in seiner Fußnote 90 hingewiesen hat (siehe Abschnitt 2.6.). Es ist richtig, dass Emge weder Wilhelm Kisch noch Viktor Bruns in diesem Text erwähnt. Da Adlberger selbst aber auf eine Akte verweist, die den Zeitraum 1937-1939 dokumentiert, ist ihre Vermutung, dass Wilhelm Kisch nur anfänglich Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sei, bezogen auf die von ihr selbst angegeben Quellen nicht haltbar.
Und da durch meinen Fund der Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Jahre 1941 bis 1943 nun nachgewiesen ist, dass Kisch sogar noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, wäre nun für drei Zeiten nachgewiesen, dass Kisch Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist: Er war 1934, zwischen 1937 und 1939 sowie nach dem 17. Juli 1941 Mitglied dieses Ausschusses. Ob die AfDR-Akte mit der veralteten Signatur R 61/106 tatsächlich eine Mitgliederliste des Ausschusses für den Zeitraum 1937-1939 enthält, weiß ich nicht. Aufgrund der mir derzeit zugänglichen Informationen kann ich gesichert nur behauptet, dass Wilhelm Kisch 1934 und zwischen 1941 und 1943 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
2.9. Alfred Denker und Holger Zaborowski (Hg.): Heidegger und der Nationalsozialismus. Teil 1: Dokumente, Teil 2: Interpretationen (2009)
Bei dieser zwei-bändigen Publikation handelt es sich um eine Reaktion auf Fayes Buch von 2005. Ich habe den Text von Alfred Denker und Holger Zaborowski nur daraufhin geprüft, ob und wenn ja, wie in ihm auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR Bezug genommen wird.
2.9.1. Alexander Hollerbach (2009) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Teil 1 enthält Dokumente zum Thema „Heidegger und der Nationalsozialismus“. Auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie wird hier nur einmal Bezug genommen, und zwar in einem Abschnitt mit folgender Überschrift:
VIII. Zum Verhältnis von Erik Wolf und Martin Heidegger. Ein nicht abgeschickter Brief Erik Wolfs an Karl Barth (herausgegeben und kommentiert von Alexander Hollerbach)
(Denker und Zaborowski, Heidegger und der Nationalsozialismus. Teil 1; 2009), S. 284-347
Erik Wolf (1902-1977) war ein Professorenkollege Heideggers in Freiburg, der an einigen Sitzungen von Heideggers Seminar über Hegels Rechtsphilosophie im WiSe 34/35 leitend teilgenommen hat. Faye hat zwei Mitschriften von Studenten gefunden, die Teilnehmer dieses Seminar waren. Diese Mitschriften und dieses Seminar waren der Ausgangspunkt für Fayes Recherchen, die ihn zu dem Ergebnis brachten, Heidegger habe den „Nazismus“ in die Philosophie eingeführt.
Ich zitiere nun die einzige Bezugnahme auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie in Band I von Denker und Zaborowski vollständig:
Im folgenden kann es nun nicht darum gehen, anhand der verfügbaren Mitschrift-Texte [zweier Studenten des Seminars über Hegels Rechtsphilosophie, die Faye entdeckt hatte; mw] über Verlauf und Inhalt des Seminars insgesamt zu berichten. Vielmehr ist es – auch aus Raumgründen [Band 1: 362 + Band 2: 476 Seiten; mw] – geboten, sich im wesentlichen darauf zu beschränken, über den Anteil Erik Wolfs an dieser Lehrveranstaltung zu informieren. Es ist indes unerläßlich, vorweg zu drei Punkten der Darstellung von Faye Stellung zu nehmen:
1. Wie schon Victor Farias mißt Emmanuel Faye Heideggers Mitgliedschaft in der Akademie für Deutsches Recht, speziell in deren „Ausschuß für | S. 333 Rechtsphilosophie“, erhebliches Gewicht bei und meint, Heidegger habe dort mindestens bis 1936 mitgearbeitet. Nun ist zwar richtig, daß Heidegger an der konstituierenden Sitzung des genannten Ausschusses, die vom 3.-5. Mai 1934 im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand, teilgenommen hat. Durchmustert man aber die offiziellen Berichte und Verlautbarungen der Akademie, so gewinnt man den Eindruck, daß der betreffende Ausschuß keine weitere Aktivität entfaltet hat. „It met only infrequently with no tangible result“, weiß Dennis L. Anderson zu berichten199. Offenbar verschwand der Ausschuß für Rechtsphilosophie stillschweigend von der Bildfläche. 1937 kam es statt dessen zur Gründung einer „Abteilung für Rechtsforschung“, bei deren Aktivitäten aber die Rechtsphilosophie keine Rolle spielte. Insgesamt bleibt zu betonen, daß der Name Heidegger in den offiziellen Listen der Mitglieder der Akademie nicht erscheint200. Letzteres gilt übrigens auch für Erik Wolf.
199 Dennis LeRoy Anderson, The Academy for German Law, 1933-1944, New York/London 1987, 347.
200 Siehe Jahrbuch Akademie für Deutsches Recht, 1. J. 1933/34, 252-258, und zum Ganzen – mit für den vorliegenden Zusammenhang negativem Ergebnis – Hans-Rainer Pichinot, Die Akademie für deutsches Recht. Aufbau und Entwicklung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft des Dritten Reiches, Diss. iur. Kiel 1981. Zur weiteren Klärung der Zusammenhänge, in denen Carl August Emge eine bedeutsame Rolle spielte, siehe auch Christian Tilitzki, „Der Rechtsphilosoph Carl August Emge. Vom Schüler Hermann Cohens zum Stellvertreter Hans Franks“, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 89 (2003), 459-496, hier einschlägig 484 f.
(Denker und Zaborowski, Heidegger und der Nationalsozialismus. Teil 1; 2009), S. 332 f.
Ich kommentiere der Reihe nach die Darstellung von Alexander Hollerbach, einem Schüler von Erik Wolf, in Denker&Zaborowski (2009):
- Die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie hat an nur an einem Tag, nämlich am 3. Mai 1934 in Weimar stattgefunden. Am 5. Mai 1934 fand ein Presseempfang der AfDR in Berlin statt.
- Mir ist nicht klar, ob Hollerbach behaupten möchte, dass er selbst „die offiziellen Berichte und Verlautbarungen der Akademie“ „durchmustert“ hat. Wenn er das getan haben sollte, hätten er vermutlich in einer Fußnote seine Leser darüber informiert, welche Veröffentlichungen der AfDR er eingesehen hat. Ich selbst habe die Veröffentlichungen der AfDR und anderer NS-Institutionen durchgesehen. Über meine Ergebnisse berichte ich in den Abschnitten 7 und 8.
- Es ist nicht richtig, dass Anderson berichtet, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie sich nur unregelmäßig und ohne greifbare Ergebnisse traf. Anderson gibt nur eine Behauptung von Julius Binder wieder.
- Die Wahl des Adjektivs „offenbar“ ist unangebracht, wenn eine Nicht-Berichterstattung fürs angeblich Offenbarte verantwortlich gemacht wird.
- Es ist nicht richtig, dass 1937 die Abteilung für Rechtsforschung an Stelle des Ausschusses für Rechtsphilosophie gegründet worden ist. Anderson hat das auch nicht behauptet. Anderson sprach von „merged into“.
- Die Behauptung von Hollerbach, dass bei den Aktivitäten der Abteilung für Rechtsforschung „die Rechtsphilosophie keine Rolle spielte“ ist unbelegt und höchstwahrscheinlich unbelegbar, da nicht alle Aktivitäten der Abteilung für Rechtsforschung dokumentiert worden sind.
- Obwohl Hollerbach sich auf Anderson bezieht, teilt er nicht mit, dass Anderson (1982/87) auf Seite 347 behauptet, einen Beleg dafür gefunden zu haben, dass „Heidigger“ und Carl Schmitt Mitte der 30-er Jahre Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen seien.
- Stattdessen teilt er nur mit, dass Heidegger kein Mitglied der AfDR gewesen ist. Er macht seine Leser aber nicht darauf aufmerksam, dass bei weitem nicht jedes Mitglied eines Ausschusses auch ordentliches Mitglied der AfDR gewesen ist.
- Vor allem aber teilt er seinen Lesern nicht mit, dass Anderson (1982/87) in seinem Appendix behauptet hat, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie bis 1943 existierte. Hätten er das seinen Lesern mitgeteilt, wäre seine Behauptung offenkundig unplausibel geworden, der Ausschuss für Rechtsphilosophie sei 1937 „stillschweigend von der Bildfläche verschwunden“.
Der erste Band von Denker und Zaborowski (2009) bietet demnach keine neuen Informationen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Wie Adlberger (2007) gibt Hollerbach (2009) an seine Leser die Information von Anderson (1982/87) nicht weiter, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie erst im Januar 1943 aufgelöst worden ist.
2.9.2. Virgilio Cesarone: Hans Frank und Heidegger trugen Anfang April 1936 in Rom vor
Bei der dürftigen Bezugnahme auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie in Band I hat es mich nicht überrascht, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie im gesamten Zweiten Band „Interpretation“ nicht ein einziges Mal erwähnt wird, obwohl in diesem Band insgesamt 26 Beiträge verschiedener Autoren versammelt sind. Nur ein Autor erwähnt beiläufig Hans Frank. Ich zitiere diese Bezugnahme:
Nun ist zu untersuchen, auf welche Resonanz Heideggers römischer Vortrag von Anfang April 1936 stieß. Wäre die Einladung an den ehemaligen Freiburger Rektor nicht nur ein übliches akademisches, sondern ein „politisches“ Ereignis gewesen, dann könnte man erwarten, dass die wichtigsten damaligen Zeitungen, der Mailänder Corriere della Sera und das römische II Giornale d ’Italia, darüber berichtet hätten. Beide Zeitungen informieren jedoch mit detaillierten Artikeln über einen anderen Vortrag in Rom, der von dem Justizminister und Vorsitzenden der „Akademie für Deutsches Recht“, Hans Frank, gehalten wurde.28 Informationen über Heidegger [so im Original; mw] Romaufenthalt kann man nur den Erinnerungen seines ehemaligen Schülers Karl Löwith entnehmen,29 der von einem „normalen“, d. h. überhaupt nicht institutionellen Aufenthalt erzählt. Nach dem ersten Vortrag entsprach Heidegger dem Wunsch, einige Tage später vor einem kleineren Kreis in der Bibliotheca Hertziana einen weiteren Vortrag zu halten. Am 8. April 1936 sprach er in Anwesenheit des deutschen Botschafters über Europa und die deutsche Philosophie.30 Bei diesem Vortrag durfte Löwith als Jude nicht anwesend sein.
28 Hans Frank legte am 3. April vor den wichtigsten Exponenten der faschistischen Partei „Die neue Richtung des deutschen Rechts“ dar. Gentile nahm an dieser Veranstaltung teil und hielt eine Einführungsrede. Die beiden Zeitungen berichteten in den folgenden Tagen darüber, dass der deutsche Justizminister Capri, Genua und Mailand besucht hatte. Sogar das Telegramm, mit dem Hans Frank sich nach der Heimkehr bedankte, fand Erwähnung. „II Giornale d’Italia“ kündigt am 1.4. einen Vortrag des Religionshistorikers Karl Kerenyi an der Universität Rom an; am 2.4. erscheint die gründliche Rezension eines Buches von Goebbels, aber von Heideggers Vortrag ist nicht die Rede.
29 Vgl. Karl Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 1933, Stuttgart 1986, 56-58.
30 Vgl. Martin Heidegger, „Europa und die deutsche Philosophie“, in: Hans-Helmuth Gander (Hrsg.), „Europa und die Philosophie“, Frankfurt am Main 1993, 31-41 . Manfred Riedel interpretiert diesen Vortrag Heideggers als Antwort auf Croces Kritik an der Rektoratsrede und als Zeichen einer neuen, auf Europa gerichteten, Aufmerksamkeit (vgl. Manfred Riedel, „Heideggers europäische Wendung“, in: Hans-Helmuth Gander [Hrsg.], „Europa und die Philosophie“, 43-66).
(Cesarone 2009), S. 278
Dass nicht nur Heidegger Anfang April 1936, sondern auch Hans Frank einen Vortrag in Rom hielt, ist ein bemerkenswertes Rechercheergebnis, dem weiter nachgegangen werden sollte. Ich selbst bin dieser Spur aus Zeitmangel noch nicht gefolgt. Mir ist aber aufgefallen, dass Andreas Koenen in seinem umfangreichen Buch über Carl Schmitt von 1995 nebenbei mitteilt, dass auch Carl Schmitt im April 1936 in Rom vortrug.[98] Vielleicht waren sogar weitere Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie im April 1936 in Rom. Eine Prüfung, ob das der Fall gewesen, könnte unser Wissen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie und seine Tätigkeiten erweitern.
Cesarone charakterisiert Hans Frank zweimal als „Justizminister“. Das ist 1936 nicht mehr richtig. Hans Frank war Reichsminister ohne Geschäftsbereich.
Da Hans Frank Reichsminister und Präsident der AfDR gewesen ist, war sein Besuch „politisch“ und „akademisch“. Cesarones Entgegensetzung von „akademisch“ zu „politisch“ passt nicht zu den Rängen Hans Franks, die er selbst angibt.
Dass man Informationen über Heideggers Romaufenthalt nur dem Bericht Löwith entnehmen könne, widerlegt Cesarone – erfreulicherweise – selbst, da Löwith das Datum des Vortrags Heideggers nicht mitteilt. Umgekehrt ist es nicht richtig, dass Löwith Heideggers Aufenthalt als „normal“ bezeichnet hat. Und selbst dann, wenn Löwith das getan hätte, folgt aus einer „Normalität“ ja nicht, dass der Aufenthalt „nicht institutionell gewesen“ ist. Löwith teilt mit, Heidegger habe seinen Vortrag über Hölderlin „im italienisch-deutschen Kulturinstitut“ gehalten. Ein „Kulturinstitut“ ist zumindest dem Anschein nach eine „Institution“.
2.10. Die Forschung zu Carl Schmitt weiß nichts über Carl Schmitts Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie
Anderson (1982/87) hat behauptet, dass gemäß einer Mitgliederliste, die sich in einer archivierten Akte der AfDR befindet, Carl Schmitt und Martin Heidegger gemeinsam Mitte der 30-er Jahre Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind.Pinter (1994) hat behauptet, dass der Name Carl Schmitts auf „einer“ Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie festgehalten sei, die sich in einer Akte befinde, die Emge über den Ausschuss für Rechtsphilosophie geführt habe. Günzel (2000) hat aufgrund derselben Akte ebenfalls behauptet, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sei. Tilitzki (2003) hat anhand eines Textes Emges, der im Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung 1935 erschienen ist, ebenfalls behauptet, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Nicht eine einzige Sekundärliteratur zu Carl Schmitt, die ich überprüft habe, informiert ihre Leser darüber, dass Carl Schmitt zu irgendeinem Zeitpunkt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gewesen ist.
2.10.1. Joseph W. Bendersky (1983) erwähnt den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht
Bendersky teilt 1983 in Carl Schmitt. Theorist of the Reich korrekt mit, dass Carl Schmitt Mitglied verschiedener Ausschüsse der AfDR gewesen ist.[99] Er erweckt dabei den Eindruck, dass er dieses Wissen durch eigene Sichtung der Akten der AfDR gewonnen hat:
With the office of Prussian state councillor and his association with Göring, who enjoyed playing patron to artists and intellectuals, Schmitt soon moved into other areas of Third Reich law. Nazi legal theoreticians had so far paid him little attention. Although he had received perhaps more publicity in legal journals than any other constitutionalist throughout the Weimar Republic, particularly during the crisis of 1932, the Nazi [journal; mw] Deutsches Recht had never mentioned his name.35 Now Schmitt seemed to attain some distinction in Nazi legal institutions, accepting membership in the recently organized Academy of German Law, serving on many │ S. 206 of its committees, and delivering lectures at its major conferences.36
35 Deutsches Recht, Monatsschrift des Bundes N-S Deutscher Juristen, ed. Hans Frank, Jg. 1-2 (1931-1932)
36 Akademie für Deutsches Recht, Records of Nazi Cultural and Research Institutes, U.S. National Archives, No. T-82, Roll 23, Serial 23, Reel 806.[100] See also Hermann Weinkauff, Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus: Ein Überblick, Teil 1 (Stuttgart, 1968), pp. 80-81.
(Bendersky 1983), S. 205
Trotz seines Wissens um Carl Schmitts Mitgliedschaft in der AfDR und ihren Ausschüssen zieht Bendersky folgende Bilanz über Carl Schmitts angeblich Einflusslosigkeit im »Dritten Reich«:
Publicity and titles notwithstanding, Schmitt had acquired neither great influence nor popularity within the party. Apart from his association with Göring and Hans Frank, the Nazi upper echelons were closed to him, a fact born out by the SS and Academy of German Law files.3 He had no contact with Goebbels, Hess, Himmler, or Alfred Rosenberg; and because Hitler despised intellectuals, Frank had warned Schmitt to avoid any possible contact with the Führer.4 „Besides, what would I say to him?“ Schmitt later said in jest. “I would have to sit him in a chair and deliver a lecture.“ Göring patronized Schmitt as a prominent jurist and member of the Prussian State Council, in the same way that he patronized certain artists. But though this relationship was crucial for Schmitt’s survival in the Third Reich, it never provided him with the opportunity to exert │ S. 221 influence.
3 Akademie für Deutsches Recht, Reichskanzlei (1933-1945), R-43-II, 1509; Schmitt File, Sicherheitsdienst des RFSS SD Hauptamt (1936), PA 651C, Wiener Library, London, copies in Institut für Zeitgeschichte, Munich, AKZ 4062/68, Fa 503, Nos. 1-2.
4 Carl Schmitt, Beantwortung der Frage: Wieweit haben Sie die theoretische Untermauerung der Hitlerschen Grossraumpolitik gefördert? Nuremberg, April 18, 1947, p. 2, Schmitt, Personal Papers.
(Bendersky 1983), S. 220
Dass Carl Schmitt u.a. zusammen mit Alfred Rosenberg Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, teilt Bendersky nicht mit. Da ich die Akte „No. T-82, Roll 23“ als solche nicht kenne, weiß ich nicht, ob Bendersky ein Wissen, über das er verfügte, seinen Lesern vorenthalten hat.
Benderskys Schlussfolgerung, dass Carl Schmitts Beziehungen zu Hans Frank und Göring zu keinem Zeitpunkt eine Gelegenheit für Schmitt bot, Einfluss auszuüben, ist jedenfalls nicht gerechtfertigt. Wer engen Kontakt zu Hans Frank und Hermann Göring hatte, hatte selbstverständlich Gelegenheit, Einfluss auszuüben.
Neben Hans Frank und Alfred Rosenberg erwähnt Bendersky von den Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Jahre 1941 bis 1943 noch Martin Heidegger und Viktor Bruns, aber in anderen Zusammenhängen.[101]
2.10.2. Bernd Rüthers (1989, 1990) erwähnt den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht
Das Buch von Bernd Rüthers über Carl Schmitt mit dem Titel Carl Schmitt im Dritten Reich. Wissenschaft als Zeitgeist-Verstärkung erschien in zwei Auflagen 1989 und 1990. In beiden Auflagen erwähnt Rüthers den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht ein einziges Mal. Er erwähnt nur die Mitgliedschaft Carl Schmitts in der AfDR. Dieser Mitgliedschaft schreibt Rüthers aber keine Bedeutung zu, da er die AfDR als „mehr dekorativ als mächtig“ charakterisiert. Diese Behauptung begründet und belegt Rüthers nicht.
Ich zitiere nun die drei Bezugnahmen Rüthers auf die AfDR. In den runden Klammern habe ich die Seitenangaben der Erstauflage angegeben.
Es geht daher im Folgenden auch um eine notwendige Vorklärung für eine realistische Sicht dieses umstrittenen │ S. 46 Autors in seiner Rolle als einer der führenden Staatsrechtler zu Beginn des Dritten Reiches. Die NS-Zeit gehört zum Zenith seiner akademischen Karriere und seiner rechtspolitischen Aktivitäten zwischen seinem 45. und 57. Lebensjahr. Er war Professor in Berlin, Preußischer Staatsrat, Herausgeber der Deutschen Juristenzeitung, Reichsgruppenwart der Reichsgruppe Hochschullehrer im NS-Rechtswahrerbund, Mitglied der Akademie für Deutsches Recht, Protegé von Göring und Hans Frank. Es geht also um eine – so oder so – fesselnde und (mindestens zeitweilig) politisch einflußreiche Person und einen wirkungsmächtigen Autor. Aber: Das alles sind Teilaspekte.
(Rüthers 1990), S. 45 f. (= S. 35 f.)
Wer so schrieb, hatte berufliche und politische Karriere-Chancen. Schmitt wurde noch 1933 von Köln an die damals angesehenste deutsche Universität in Berlin berufen. Göring berief ihn zum Preußischen Staatsrat. Er wurde als Vertrauter des Reichsrechtsführers Hans Frank Herausgeber der bedeutenden «Deutschen Juristenzeitung», Mitglied der Akademie für Deutsches Recht und «Reichsgruppenwalter» der «Reichsgruppe Hochschullehrer im NS-Rechtswahrerbund».
(Rüthers 1990), S. 81 (= S. 58)
Nach diesen beiden Erwähnungen der Tatsache, dass Carl Schmitt Mitglied der AfDR gewesen ist, stellt Rüthers die angebliche Entmachtung Carl Schmitts 1936 so dar:
Das gegen Schmitt verwendete Material erweist sich als Mischung aus den Aufsätzen W. Gurians in der Schweiz und aus den Vorwürfen seiner professoralen Karriere-Konkurrenten. Trotz einer Intervention Görings bei der SS, der sich schützend vor «seinen» (Preußischen) Staatsrat stellte,196 hatten die Angriffe in dem SS-Blatt [»Das Schwarze Korps«; mw] für Schmitts weitere Karriere nachhaltige Folgen. Seine Führungsposition als «Reichsgruppenwart» der Reichsgruppe Hochschullehrer im NSRWB mußte er noch im Dezember 1936 «aus gesundheitlichen Gründen» abgeben.197 Im selben Monat legte er – ebenfalls unfreiwillig – sein Amt als Her- │ S. 106 ausgeber der «Deutschen Juristenzeitung» nieder. Die schönfärberischen Presseerklärungen seines zweiten Protektors, des Reichsrechtsführers Hans Frank198 und seiner selbst199 täuschen nicht darüber hinweg, daß die sorgfältig vorbereiteten Angriffe seiner Gegner ihn aus allen politisch einflußreichen Funktionen verdrängt hatten. Er saß von einem Tag auf den anderen zwischen allen Stühlen der rivalisierenden NS-Oligarchie, soweit es um konkrete persönliche Einfluß- und Machtchancen ging. Seine Gönner und Protektoren (Göring und Frank) hatten ihn zwar persönlich vor Verfolgung bewahrt, politisch aber nicht halten können.
Aus einem gefeierten und gefürchteten Spitzenrepräsentanten der NS-Rechtshierarchie war über Nacht ein beinahe Ausgestoßener geworden. Lediglich seine (politisch unbedeutende) Mitgliedschaft und Mitarbeit in der mehr dekorativen als mächtigen «Akademie für Deutsches Recht» und sein Lehrstuhl in Berlin blieben ihm erhalten. Er wandte sich, nach dem Scheitern seines staatsrechtlichen Führungsehrgeizes, neuen Themenfeldern zu.
196 Vgl. J. W. Bendersky, Carl Schmitt, Theorist for the Reich, Princeton University Press 1983, S.241; G. Maschke, Zum «Leviathan» von Carl Schmitt, in: C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes – Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Köln 1982, S. 179 (192).
197 Mitteilungsblatt des NS-Rechtswahrerbundes 1936, 248
198 «Zum Abschluß», DJZ 1936, Sp. 1449.
199 «Schlußwort des Herausgebers», DJZ 1936, Sp. 1453.
(Rüthers 1990), S. 105 f. (= S. 79 f.)
Rüthers (1989, 1990) erwähnt weder Pichinots (1981) noch Andersons (1982/87) noch Hans Hattenhauers (1986) Texte über die AfDR. Er hätte die Texte Pichinots und Hattenhauers als Sekundär-Autoritäten für seine Behauptungen angeben könne, die AfDR sei „mehr dekorativ als mächtig“ gewesen.
Dass Rüthers den Ausschusses für Rechtsphilosophie in seiner Monographie über Carl Schmitt in den Jahren 1989 und 1990 nicht erwähnt, ist durchaus überraschend, da inzwischen Andersons Dissertation über die AfDR 1987 in einem renommierten Reihe herausragender Dissertationen verlegt worden war. Ebenfalls 1987 war Farías Buch über Heidegger im Original und 1989 in deutscher Übersetzung erschienen. Anders als im Fall der Dissertation von Anderson erwähnt Rüthers (1989) mehrfach Farías Buch. Da Farías aber nicht behauptet hat, dass Carl Schmitt, sondern „Staatsrat Schmidt“ Mitglied des Ausschuss für Rechtsphilosophie gewesen ist, musste Rüthers nicht annehmen, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Da mit „Staatsrat Schmidt“ aber auch Carl Schmitt hätte bezeichnet worden sein können, hätte Rüthers aber durch Lektüre von Farías Buch Anlass gehabt, den Sachverhalt zu überprüfen. Falls er das getan hat, hat er seine Leser nicht über seine Prüfung informiert.
2.10.3. Andreas Koenen (1995) erwähnt den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht
Die fast 1.000 Seiten lange Monographie von Andreas Koenen über Carl Schmitt trägt den Titel Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum »Kronjuristen des Dritten Reiches«. Sie ist 1995 veröffentlicht worden. 1994 ist sie von der Philosophischen Fakultät der Universität Münster als Dissertation angenommen worden. Erstgutachter ist Prof. Dr. Gerhard W. Wittkämper gewesen.
Koenen (1995) möchte nachzuweisen, dass Carl Schmitt ein konservativer Verteidiger des christlichen Abendlandes gewesen sei, der vorübergehend im Deckmantel eines Nationalsozialisten aufgetreten sei. Schmitt sei aber im letzten Quartal des Jahres 1936 durch die SS entmachtet worden. Ja, die gesamte Akademie für Deutsches Recht sei zum Ende des Jahres 1936 von der SS übernommen worden. Nachdem die Widersacher Carl Schmitt aus der SS, insbesondere Reinhard Höhn, seinerseits entmachtet worden seien, habe seit Anfang der 1940-er Jahre Alfred Rosenberg durch das Amt Rosenberg Carl Schmitt weiter klein gehalten.
Andreas Koenen erwähnt nicht ein einziges Mal den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Koenen kennt die beiden Texte von Pichinot und Hattenhauer zur AfDR. Er bezieht sich aber nicht auf die Monographie von Anderson über die AfDR, obwohl Hattenhauer sie erwähnt hat. Hätte Koenen die Dissertation von Anderson berücksichtigt, hätte er seinen Lesern mitteilen müssen, dass gemäß einer Primärquelle der AfDR Carl Schmitt und Martin Heidegger Mitte der 1930-er Jahre gemeinsam Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind.
Von den sehr umfangreichen Akten der AfDR, die das Bundesarchiv verwaltet, hat Koenen gemäß seines Quellenverzeichnisses folgende Akten berücksichtigt: R 61 (Akademie für Deutsches Recht), Nr. 3, 5, 64, 78, 80, 84, 88, 104. Die Akte Nr. 30, in der ich die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie des Zeitraums 1941 bis 1943 gefunden habe, erwähnt Koenen nicht.
2.10.3.1. Koenen berichtet über Kontakte Schmitts, Kisch und Bruns vor 1933
Koenen präsentiert interessante Informationen über frühe Kontakte zwischen den Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie Carl Schmitt, Wilhelm Kisch und Viktor Bruns, die ich gleich ausführlicher zitieren werde.
Dass Carl Schmitt auch Erich Jung lange vor und nach 1933 kannte, erwähnt Koenen nicht. Ernst Heymann und Erich Rothacker werden von Koenen jeweils nur zweimal beiläufig erwähnt. Max Mikorey wird nicht erwähnt.
Emge wird von Koenen ebenfalls nur beiläufig erwähnt: In einem Briefwechsel zwischen dem Herausgeber der Zeitschrift Der Ring und Carl Schmitt beziehen sich beide 1934 auf Emge. Ich zitiere das, da die Bezugnahmen auf Emge den Eindruck erwecken, dass Carl Schmitt Emge noch im November 1934 kaum kannte. Dieser Eindruck wird aber von einem Dritten, dem Herausgeber der Zeitschrift „Ring“, Heinrich von Gleichen, zuerst erweckt. Es können sehr viele Gründe ausgedacht werden, weshalb Carl Schmitt den Herausgeber nicht darüber informierte, dass er und Emge sich über die AfDR und den Ausschuss für Rechtsphilosophie näher kannten.[102]
Aber nicht nur Schmitt, sondern auch der „Ring“, der nach der vermeintlich konservativen Revolution nicht weniger vom Geist Carl Schmitts getragen war als zuvor – auch noch im November 1934 bekannte die Zeitschrift sich mit einem Bild Schmitts auf der Titelseite und dem bezeichnenden, mit diesem abgesprochenen Unterschrift „Der neue Staat und sein Recht“86 zu dieser Verbindung – , […]
86 Heft 47/1934 („Der Wirtschafts-Ring“). Nachdem die Einzelheiten zuvor mit „Ring“ Mitarbeitern telefonisch abgesprochen worden waren, hatte sich der Herausgeber der „konservativen Wochenschrift“, HEINRICH VON GLEICHEN, am 20.11.1934 mit der Bitte um die Abdruckgenehmigung für das Foto an SCHMITT gewandt und auf dessen Anfrage nach einem dazugehörigen Untertitel geantwortet: „Ich begrüsse sehr, dass ich Ihr Bild im nächsten Heft bringen darf […] Außer der im Druck vorgesehenen Bezeichnung: Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt wollte ich wie aus der Anlage ersichtlich unterzeichnen: ,Der neue Staat und sein Recht‘. Ich hoffe Sie damit ganz einverstanden. Sehr begrüssen würde ich, wenn wir uns gelegentlich einmal Wiedersehen würden. Mein alter Freund Emge hat mir wiederholt erzählt, dass er sich über das gedeihliche Zusammenarbeiten mit Ihnen freut. Darf ich Gelegenheit nehmen, Ihnen zu Ihrer geschichtlich so bedeutungsvollen Mitarbeit am neuen Staat und seinem Recht meine aufrichtigen Glückwünsche zu sagen. In der Hoffnung auf baldiges Wiedersehen…“. Schmitt antwortete darauf am 24.11.1934, ohne auf den vorgeschlagenen Untertitel einzugehen: „Hoffentlich ist das Bild von mir passabel. Ich habe mich sehr darüber gefreut, daß Sie sich meiner erinnern und würde mich noch mehr freuen, wenn wir uns gelegentlich Wiedersehen würden. Herr Emge war leider immer nur 1 oder 1 1/2 Tage der Woche in Berlin; hoffentlich siedelt er bald über. Es wäre besonders schön, wenn wir uns dann einmal zu Dritt unterhalten könnten.“ Beide Briefe befinden sich in HStA D/RW 265[103]-472; dort ist auch die Antwort V.GLEICHENS vom 11.12.1934 auf Schmitts Brief vom 24.11.1934 vorhanden, in der V.GLEICHEN den Termin für ein Treffen zwischen Emge, v. Gleichen und Schmitt für den 14.01.1935 bestätigte. – In diesem ,,Ring“-Heft befand sich des weiteren auch ein Bericht über SCHMITTS Schrift „Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches“ (1934SZ): Heft 47/1934, S.684f.
(Koenen 1995), S. 616
Koenen berichtet folgendes über die AfDR, Wilhelm Kisch und Carl Schmitt:
Soeben erst zum Staatsrat ernannt, fuhr Schmitt nun zur Klärung der Lage nach München, was er Ahlmann verabredungsgemäß mitteilte7, und erklärte dort dem Dekan der Juristischen Fakultät, Geheimrat Wilhelm Kisch, bei dem er schon in Straßburg studiert hatte8, daß er aufgrund seiner „Dankespflicht“ Preußen gegenüber wenn überhaupt nur dann den Ruf nach München annehmen könne, wenn Göring sich rückhaltlos mit der Erfüllung des Münchener Begehrens einverstanden erkläre. Erwartungsgemäß wandte sich Hans Frank daraufhin an den Preußischen Ministerpräsidenten und bat diesen, den Wechsel Schmitts, der „zur Zeit als eine der ersten staatsrechtlichen Autoritäten des Nationalsozialismus anzusprechen“ sei, zu befürworten und damit München, den vorläufigen Sitz der Akademie für Deutsches Recht, zu stärken.9 │ S. 451
Das Interesse Bayerns setzte Preußen unter Druck. Schmitt jedoch konnte diese Situation nur recht sein, denn vor dem Hintergrund des Machtkampfes zwischen dem Berliner Regierungszentrum und der Münchener Parteizentrale rückte die Verwirklichung seines höchsten beruflichen Zieles – ein Lehrstuhl an der Berliner Universität – immer näher10.
6 Schmitt an Ahlmann vom 25.06.1933 (HStAD/RW 265-398).
7 Vgl. ebd.
8 In einem Brief an Schmitt schrieb Wilhelm Kisch, daß er „stolz“ darauf sei, Schmitt „als Schüler wenigstens in dem Sinne ansehen zu dürfen“, daß SCHMITT bei ihm „die eine oder andere Vorlesung gehört“ habe (KISCH an Schmitt vom 18.12.1934; HStAD/RW 265-93).
9 Hans Frank an Hermann Göring vom 29.08.1933 (GHStA/Rep. 90, Nr. 1767, B1.323f.; der Brief ist teilw. abgedruckt in: Tommissen 1988a, S.87). Hans Frank schickte SCHMITT einen Durchschlag des Briefes an GÖRING und fügte ihm gegenüber hinzu: „Ich hoffe, mit diesem Schreiben in Ihrem Sinne gehandelt zu haben“ (FRANK an SCHMITT vom 29.08.1933 {HStAD/RW 265-398}).
10 SCHMITTS Antwort vom 04.09.1933 an RUSTS Ministerialrat JOHANN DANIEL ACHELIS (1898-1963) auf dessen Schreiben vom 01.09.1933 (beide Briefe in: HStAD/RW 265- 398): „Ich empfinde diese Berufung auf einen Berliner Lehrstuhl als die höchste Auszeichnung, die mir in meinem Beruf zu teil werden kann.
(Koenen 1995), S. 450 f.
Es gibt eine zweite Bezugnahme Koenens auf Wilhelm Kisch und Carl Schmitt. Ich zitiere auch diese:
│ S. 501 […] Wer aber sollte die „Lücke“ füllen und die „Tradition der Staatsrechtslehrervereinigung mit den durch die Zeitverhältnisse bedingten Änderungen“ fortführen: intensiv bemühte sich zum einen der BNSDJ, der als Vorkämpfer der „Bewegung“ alle übrigen juristischen Vereinigungen ersetzen und integrieren wollte, zum anderen die Akademie für deutsches Recht (AfDR)246, die ebenfalls Ansprüche auf eine Übernahme der renommierten Staatsrechtslehrervereinigung erhob. […]
246 Zur Geschichte der AfDR vgl. Pichinot 1981; Hattenhauer 1986
Die von Hans Frank als Präsident geführte Akademie mit Sitz in München, der es in besonderem Maße um Einfluß auf die Gesetzgebung ging, hatte sich nicht nur bereits sehr frühzeitig um die Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer, sondern auch um Carl Schmitt, einen ihrer führenden Exponenten, bemüht. Der stellvertretende Präsident Wilhelm Kisch, Gründungsmitglied und staatsrechtlicher Lehrer sowohl Franks als auch Schmitts, hatte nicht nur – wenn auch vergeblich – versucht, den „Kronjuristen“ an die Münchener Universität zu locken, sondern │ S. 502 auch alles daran gesetzt, Schmitt in der AfDR zu verankern250 – und das mit Erfolg251. Schmitt gehörte neben Reichsjustizminister Franz Gürtner, Popitz und BNSDJ-Geschäftsführer Wilhelm Heuber zum „Führerrat“, dem Präsidium der Akademie, und leitete zudem als Vorsitzender den Ausschuß für Staats- und Verwaltungsrecht.252
250 So bedankte sich WILHELM KISCH am 29.12.1933 mit folgenden Worten bei SCHMITT für die Übersendung von „Staat, Bewegung, Volk“: „Die Lektüre Ihrer bedeutsamen Ausführungen war mir, wie die jeder Ihrer Schriften, ein wahrhaft hoher Genuss. Ihre, dem Inhalte nach zwingend eindrucksvollen, zugleich aber auch in klassische Prägungen gekleideten Darlegungen stellen geradezu eine grundlegende programmatische Kundgebung dar, die in der deutschen Juristenwelt und weit darüber hinaus die Aufmerksamkeit finden wird, wie jeder Aeusserung des führenden Publizisten unseres neuen Staates gebührt. Durch sie wird die Stimme der Wissenschaft zur rechtlichen Formung des neuen Staates in wesentlicher Weise beitragen. Und Etwas von der dankbaren Anerkennung, die Sie finden werden, wird zurückstrahlen auf die Akademie, die stolz ist, Sie zu ihren Mitgliedern zu zählen.“ KISCH beendete den Brief mit dem Ausdruck der „Hoffnung, in dieser Organisation noch recht lange mit Ihnen Seite an Seite wirken und kämpfen zu dürfen“ (HStAD/RW 265- 421; Hervorh. A.K.)
251 Vgl. u.a. den Vortrag Schmitts gleich auf der ersten Arbeitstagung am 05.11.1933 über die „Neugestaltung des öffentlichen Rechts“ (1933/34a). Dazu hieß es in einem ausführlichen „DJZ“-Bericht des Oberlandesgerichtspräsidenten a.D., Staatsrat KARL Meyer (zu ihm vgl. oben S.223, und unten S.566), u.a.: „Er gab die Richtlinien für die Aufgliederung und Bearbeitung dieses umfangreichen und wichtigen Rechtsgebietes innerhalb der Akademie“ (Meyer 1933b, Sp.1532).
252 Schmitts Einfluß zeigte sich auch in der Rezeption seiner Formel vom „totalen Staat“. „Die Aufgaben, die des Juristen im neuen Staate harren, sind ungewöhnlich bedeutsam“, hieß es in einem Typoskript über „Die Aufgaben der Akademie für Deutsches Recht“. „Wie der totale Staat das Ziel hat, in der begeisterten Hingabe jedes Deutschen verwurzelt zu sein, so muss auch die Rechtsordnung dieses Staates den Volksgenossen näher gebracht werden“ (BA/R 61 Nr. 5, Bl. 8 ff. {9}; vgl. auch das Typoskript über die „Dogmatische Behandlung des nationalsozialistischen Staatsrechtes“, in dem der Begriff des „totalen Staates“ auf seine Brauchbarkeit geprüft wurde {BA/R 61 Nr. 104, Bl.5 ff.}. -„Ebenso hohe wie berechtigte Erwartungen“ brachte die Akademie dem von SCHMITT geleiteten Ausschuß für Staats- und Verwaltungsrecht entgegen, der sich als erstes Problem „das Recht der öffentlichen Körperschaften vornehmen [werde], welches wohl für das künftige Schicksal der Selbstverwaltung wie auch für den ständischen Aufbau schwierige und bedeutsame Einzelfragen aufwirft“ (BA/R 61 Nr.5, Bl. 28).
(Koenen 1995), S. 501 f.
Im nächsten Druckabsatz berichtet Koenen dann folgendes über einen Kontakt Carl Schmitts mit Viktor Bruns aus der Zeit vor 1933:
Kaum daß Schmitt in die Reichshauptstadt zurückgekehrt war, setzte die in personeller Hinsicht mit der Berliner Universität und der AfDR eng verbundene Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) alle Hebel in Bewegung, um den nun an der renommierten Friedrich-Wilhelms-Universität lehrenden Schmitt auch für den erlesenen Juristen-Kreis des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zu gewinnen253. Nachdem Schmitt dann am 15. November 1933 auf │ S. 503 Vorschlag des Institutsdirektors Victor Bruns254 auch tatsächlich vom Institutskuratorium mit Wirkung zum 1. Dezember 1933 zum wissenschaftlichen Berater gewählt worden war und niemand anders als der mit Schmitt – ebenso wie Bruns – längst bekannte Kuratoriumsvorsitzende Friedrich Saemisch den Vertrag unterschrieben hatte, konnte Schmitt nun auch im Berliner Schloß, in dem das Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht residierte, an die Stelle rücken, die bis dahin Erich Kaufmann innegehabt hatte.255
253 Zur Geschichte der KWG im „Dritten Reich“ vgl. Henning/Kazemi 1988, S.69 ff., sowie die Beiträge von H. Albrecht und A. Hermann in dem von Vierhaus und Brocke herausgegebenen Sammelband (1990). Im Hinblick auf das „Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“ (KWI), dem Schmitt als wissenschaftlicher Berater angehörte, vgl. die Tätigkeitsberichte der KWG. Darüber hinaus sei auf die Personalakte Schmitts verwiesen, deren Daten ich der freundlichen Mitteilung von DR. MARION KAZEMI vom Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft (Schreiben vom 13.12.1989 und vom 19.01.1990 an den Verf.) entnehme. – Zur Funktion des KWI: „Die Arbeitsmöglichkeiten des Institutes haben neben der Förderung zahlreicher wissenschaftlicher Aufgaben in immer wachsendem Maße dazu geführt“, so heißt es in einer Gedenkschrift aus dem Jahre 1936, „daß es zur Erstattung von Denkschriften und Gutachten und zur Ausarbeitung von Materialzusammenstellungen von zahlreichen Reichs- und Länderministerien, Parteidienststellen, Behörden und Gerichten ersucht wurde. Dazu hat sich in den letzten Jahren seine Mitarbeit im Völkerrechtsausschuß der Akademie für Deutsches Recht gesellt,“ (M. Planck 1936, S. 139). – Der Institutsdirektor Viktor Bruns wurde zum Mitglied der Akademie für Deutsches Recht und zum Vorsitzenden des Ausschusses für Völkerrecht ernannt.
254 Zur Beziehung zwischen Victor BRUNS und Schmitt in der Weimarer Republik vgl. oben S.97.[104]
255 Am 21.06.1937 wurde die Institution des „wissenschaftlichen Beraters“ per Senatsbeschluß in die des „Wissenschaftlichen Mitgliedes“ umgewandelt (so auch bei SCHMITT). Zu den „Wissenschaftlichen Beratern“ gehörten auch Rudolf Smend (später als auswärtiges „Wiss. Mitglied“) und Heinrich Triepel. Eine Neuberufung Schmitts in die 1948 gegründete Max-Planck-Gesellschaft erfolgte nicht.
(Koenen 1995), S. 502 f.
Da Koenen nichts über den Ausschuss für Rechtsphilosophie mitteilt, zieht Koenen auch keinen Schlüsse aus den von ihm präsentierten Informationen über Kontakte Carl Schmitts mit Wilhelm Kisch und Viktor Bruns.
Ich zitiere im Weiteren einige Passagen aus Koenens Buch, aus denen das Darstellungsziel Koenens erkennbar wird. Koenens Darstellungsziel wird durch meine Archivfunde unerreichbar: da Carl Schmitt noch nach dem 17. Juli 1941 bis in den Januar 1943 unter Hans Frank zusammen mit Alfred Rosenberg Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie unter der Präsidentschaft Otto Thieracks gewesen ist, ist es nicht richtig, dass Carl Schmitt im letzten Quartal 1936 seinen politischen Einfluss im Dritten Reich andauernd verloren hat.
Dass Koenens Kontrast zwischen Christentum und Rassismus keine relevante Teilmengenbildung erlaubt, belegt übrigens bereits das 25-Punkte Programm der NSDAP vom Februar 1920. In Punkt 24 verpflichtet sich die NSDAP ausdrücklich „den Standpunkt des positiven Christentums“ zu vertreten.
2.10.3.2. Die SS übernahm 1936 die AfDR und entmachtete Carl Schmitt
Ich beginne mit Zitaten aus Koenen (1995):
Letztlich waren die Artikel im „Schwarzen Korps“ aber nicht nur gegen Carl Schmitt, sondern auch an die Adresse zweier führender Nationalsozialisten gerichtet, die noch immer an dem „Kronjuristen“ festhielten, jedoch alleinig die Macht hatten, den konservativen Revolutionär im Gewande des Nationalsozialisten seiner Ämter zu entheben: Reichs- │ S. 737 rechtsführer Hans Frank und der Preußische Ministerpräsident Hermann Göring.
Bei ersterem war den Plänen der SS entgegengekommen, daß dieser mit seiner „Akademie für Deutsches Recht“ auf neue Bündnispartner angewiesen war, nachdem alle bisherigen Versuche, an der Ausarbeitung von Gesetzesvorhaben beteiligt zu werden, gescheitert waren.
In diese Situation hinein hatte der mächtige Heinrich Himmler – Himmler war gerade erst zum Chef der deutschen Polizei ernannt worden – sein Angebot unterbreitet, mit Franks „Dienerin des nationalsozialistischen Rechtswollens“, so der Präsident über das Wesen der von ihm 1933 gegründeten Einrichtung477, zusammenzuarbeiten. Räumlich betrachtet waren die Voraussetzungen mehr als günstig, da Frank erst im Jahr zuvor für die Akademie ein im „überladenen Barockstil“478 der achtziger Jahre gehaltenes Patrizierhaus am Leipziger Platz erstanden, aufwendig renoviert479 und sich damit zwischen die im nördlichen Teil der Wilhelmstraße gelegene Ministerialverwaltung und den in ihrem südlichen Teil sich ausbreitenden „Prinz-Albrecht-Komplex“480 begeben hatte, die Schaltzentrale der SS, die sich mehr und mehr zum heimlichen Regierungszentrum zu entwickeln begonnen hatte.
477 Hans Frank im Eröffnungsheft der „Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht“ vom Juni 1934 (S. 1).
478 Pichinot 1981, S.58.
479 Vgl. a.a.O., S.57ff. Nach „anerkennenswertem Entgegenkommen“ der von der – mittlerweile im Ausland lebenden – Eigentümerin eingesetzten Treuhandgesellschaft hinsichtlich des Kaufpreises hatte die AfDR das Gebäude nach einem Zwangsvollstreckungsurteil des Berliner Amtsgerichts (vom 07.06.1935) für 1,25 Millionen Reichsmark erwerben können (vgl. a.a.O. 1981, S.58).
480 Vgl. hierzu oben S.701.
Auf der konstituierenden Sitzung des Ausschusses für Polizeirecht der „Akademie für Deutsches Recht“ am 11. Oktober 1936481 war das neue Bündnis offensichtlich geworden: Eingerahmt von den schwarzen Uniformen von Reichsführer-SS, SS-Oberführer Werner Best als Ausschußvorsitzendem, SS-Obersturmbannführer Reinhard Höhn als dessen Stellvertreter, SS-Standartenführer Wilhelm Stuckart und SD-Chef Reinhard Heydrich war Frank als Präsident der Akademie nur noch Galionsfigur des unter der „Akademie“-Flagge operierenden SS- „Schlachtschiffes“. […]│ S. 738 […]484
481 Zwischen FRANKS „Haus der Akademie des Deutschen Rechts“ und dem „Prinz-Albrecht-Komplex“ lag lediglich noch der von Göring beherrschte Gebäudekomplex (vgl. unten S.752f.).
[…]
484 Himmler 1936, S. 12. – Daß diese Ausschußsitzung den Auftakt zur Besetzung der AfDR durch die SS darstellte, wird, wohl nicht zuletzt aufgrund fehlender Berücksichtigung der Quellen (vgl. FN 493[105]), bis heute übersehen: zuletzt von Gruchmann 1988 (S.562) und Neliba 1992 (S.263), ganz zu schweigen von der Dissertation Pichinots (ders. 1981) über die Geschichte der AfDR, der HIMMLERS Ansprache überhaupt nicht berücksichtigt, obwohl sie in dem ihm bekannten Werk von Bracher/Schulz/Sauer (Bd. 2.: Schulz 1974, S.371, 550) schon erwähnt worden ist.
(Koenen 1995), S. 736-738
Nach allem, was ich bisher weiß, ist der Kontrast, den Koenen zwischen Himmler und Frank machen möchte, nicht gerechtfertigt. Hans Frank ist im Vergleich zu Heinrich Himmler nicht bemerkenswert harmloser gewesen. Auch nicht 1936.
Wichtiger ist, dass Koenen mit seinen Hinweisen auf den Ausschuss für Polizeirecht die Forschungsmeinung widerlegt, dass die AfDR eine Akademie eines nach 1933 bald entmachteten Hans Frank mit einem Häuflein Professoren gewesen sei. Das war die AfDR sicherlich nicht. Pichinot und Hattenhauer haben absichtlich das Bild der Akademie für Deutsches Recht weich gezeichnet. Ausdrücklich macht Koenen (1995) in der Fußnote 484 seine Leser auf eine Verharmlosung der AfDR durch Pichinot (1981) aufmerksam.
Im weiteren Verlauf argumentiert Koenen dafür, dass bis zum Ende des Jahres 1936 die SS erfolgreich die AfDR übernommen habe und dass die Entmachtung des Konservativen Carl Schmitt, der kein Nationalsozialist gewesen sei, ein letzter Erfolg in dieser Übernahme der AfDR durch die SS gewesen sei.
Mit seinen Ämtern in NSRB und [in der; mw] AfDR verlor Schmitt auch „seine“ „DJZ“, die ihr Erscheinen im Zuge der von Frank als „notwendig erkannten Neuformierung des gesamten juristischen Zeitschriftenwesens“513 mit Heft 24 für immer einstellte. „Ihre Aufgaben werden in Zukunft von der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht mit übernommen“, hieß es abschließend lapidar in einem kurzem „Dankwort“ des Beck-Verlages, der mit keinem Wort erwähnte, daß er den Verlust der „DJZ“ durch die gleichzeitige Übernahme der „Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht“ für sich hatte ausgleichen können514.
513 Frank: „Zum Abschluß“ („DJZ“ 1936, Sp. 1449 ff.)
514 Vgl. „DJZ“ 1936, Sp. 1511 f, und NSRB-Mitteilungsblatt 1937, S.14. Bis dahin war die Akademie-Zeitschrift vom Münchner J. Schweitzer-Verlag verlegt worden.
(Koenen 1995), S. 743
Koenen (1995) hat nicht gewusst, dass Carl Schmitt noch 1941 bis 1943 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Es ist nicht richtig, dass Carl Schmitt 1936 alle seine Ämter in der AfDR verloren hat.
2.10.3.3. Ab 1940 drohte Carl Schmitt von Alfred Rosenberg und dem „Amt Rosenberg“ Gefahr
Im letzten Teil seiner Darstellung betont Koenen, dass Carl Schmitt nach seiner angeblichen Entmachtung durch die SS im letzten Quartal des Jahres 1936 entmachtet blieb. Es habe zwar ab 1937 einige Rezeptionserfolge von neuen völkerrechtlichen Schriften Schmitts durch Nationalsozialisten gegeben. Ab den frühen 1940-er Jahren habe aber Alfred Rosenberg dafür gesorgt, dass Carl Schmitt keinen politischen Einfluss ausüben konnte.
Die Begründung für diese Behauptung ist sehr dünn, ja eigentlich gar nicht vorhanden. Hier war sehr wahrscheinlich ein bloßer Wunsch Vater des Gedankens. Wer, wie Andreas Koenen, einen Dualismus zwischen dem konservativen Christen Carl Schmitt und dem biologischen Rassisten, Neuheiden und Feind des römischen Katholizismus Alfred Rosenberg vertreten möchte und wer nach einem Widersacher für den völkerrechtlichen Großraumlehrer Carl Schmitt nach 1937 sucht, der hofft auf Alfred Rosenbergs Macht.
Da Schmitt und Rosenberg nach Ernennung Rosenbergs zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete am 17. Juli 1941 gemeinsam Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind, ist es aber nicht richtig, dass Alfred Rosenberg ab 1940 die Rolle des mächtigen Widersachers Carl Schmitts ausübte.
Ich zitiere nun Koenen:
Daß es dem 1936 vermeintlich „kaltgestellten“ „Reaktionär“ Carl Schmitt doch tatsächlich wieder gelungen war, erneut von sich reden zu machen – dieses Mal im Hinblick auf die Mitgestaltung der „konkreten Ordnung ,Völkerrechtsgemeinschaft‘“306 –, begegnete man im „Prinz-Albrecht-Komplex“ mit großem Argwohn. Noch immer galt das von Schmitt zugrundegelegte Christentum dort – mehr denn je – als Widersacher des zu schaffenden germanischen Reiches, womit es ganz offenkundig der dort anvisierten völkischen Großraumtheorie entgegenstand, die nicht am Abendland, sondern an der „biologischen Substanz“ der Völker als dem bestimmenden Faktor dieses „Großraumes“ orientiert war307. Schon während der Recherchen zum „Fall Carl Schmitt“ hatte der SD zwar bereits ein mögliches Ausweichmanöver Carl Schmitts vom staatsrechtlichen auf völkerrechtliches Gebiet gefürchtet und dabei mißtrauisch die Vorbereitungen zur Gründung eines deutsch-italienischen Völkerrechtsinstituts registriert308. Da ihm der abendländisch-reichstheologische Schlüssel zu Schmitts Person und │ S. 817 Werk jedoch verborgen geblieben war, hatte man die wahre Bedeutung dieses Positionswechsels verkannt und ihn lediglich als Ausweis des auch in anderer Hinsicht vermeintlich nachweisbaren Opportunismus interpretiert309.
306 1939 GO, S.77.
307 Für HITLER war Europa kein christlich-kulturell bedingter, kein geographischer, sondern ein „blutsmäßig bedingter Begriff“ (so HITLER in seinen „Monologen im Führerhauptquartier“; ders. 1980, S.55 {08.-11.08.1941}; zu HITLERS rassebiologischem Europa-Begriff, der „Biologisierung“ des „Großraum“-Begriffs, der „biologischen Monroe-Doktrin“ sowie dem nationalsozialistischen Eroberungsdrang vgl. Kluke 1955, S.264 f.; 272 ff; Loock 1960; Gruchmann 1962). Zu der damit eng verbundenen Propaganda „Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus“ sowie der manipulativen Absicht, die mit der Propaganda für ein europäisches Zusammenstehen gegen diesen Weltfeind verfolgt wurde, vgl. Boog 1991, S.1081 ff.; zu den Europa-Konzepten von SS und NSDAP vgl. darüber hinaus Gruchmann 1962, S.80 ff, und Ackermann 1970.
308 Vgl. oben FN 92.
309 „Nachdem der Staatsrat Carl Schmitt aus der Akademie für Deutsches Recht und nunmehr auch aus dem Rechtswahrerbund ausgeschaltet ist, glaubt er bereits neue Betätigungsmöglichkeiten erkannt zu haben.“ So hatte es in einem SD-Bericht vom Dezember 1936 geheißen. „Nachdem schon vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass er sich in Zukunft besonders mit völkerrechtlichen Fragen befassen will … wird dies neuerdings bestätigt durch eine Meldung aus seiner nächsten Umgebung. Er plant neuerdings ein Völkerrechtsinstitut zusammen mit dem berühmten italienischen Völkerrechtsprofessor Costa Magna in Rom, der die besondere Gunst Mussolinis geniesst. Schmitt hat ihn bei seiner vor einiger Zeit durchgeführten Reise nach Rom kennen gelernt, und zwar über den Zweigstellenleiter des Deutsch-Akademischen Austauschdienstes in Rom, Blahut. Blahut ist zwar Träger des goldenen Parteiabzeichens, ist aber Katholik und wird als ein Vertreter der katholischen Kirche bezeichnet. Blahut war vorgestern abend zusammen mit dem Zweigstellenleiter des Deutsch-Akademischen Austauschdienstes in Madrid, Adams bei Carl Schmitt zu Gast. Schmitt kennt Adams von einer früheren Reise nach Madrid. Schmitt will seinen Plan auf dem Wege verwirklichen, dass er erneut eine Reise nach Rom macht, wo Blahut ihn über Costa Magna einen erneuten Besuch beim Duce vermitteln soll. Auf diese Weise (vielleicht schon früher) soll dann das geplante Institut Wirklichkeit werden. Dieses Institut soll die Völkerrechtsfragen im italienisch-deutschen Sinne gegen Genf, Locarno, Versailles, die Auffassung der Westmächte in der Abessinienfrage usw. behandeln. Es handelt sich hier wieder um einen ganz raffinierten Plan Carl Schmitts. Nachdem er sieht, dass er innenpolitisch aus der Gestaltung des nationalsozialistischen Rechtslebens in jeder Weise ausgeschaltet ist, sucht er sich jetzt ein neues Betätigungsfeld, durch das er seine völlige Kaltstellung vermeiden möchte und evtl. wieder neuen Auftrieb zu bekommen hofft“ (BA/R 58 Nr. 854, B1.88f.; die Hervorh. der Namen ist nicht berücksichtigt; vgl. auch a.a.O., S.281, sowie oben FN 92).
Um so ärgerlicher war es für die SS-Führer, daß sie nun eingestehen mußten, daß es dem konservativen Rivalen im richtigen Augenblick trotz aller Vorkehrung gelungen war, den von ihm eingeführten Begriff des „Großraums“ – zumindest zeitweilig – zu besetzen310 und darüber hinaus mit dem Hinweis auf die amerikanische „Monroe-Doktrin“ das verbale Instrumentarium der nationalsozialistischen Europapolitik – Hitler und Ribbentrop hatten ausdrücklich von einer „deutschen Monroe-Doktrin“ für Europa gesprochen – zu prägen311.
310 Zur dominierenden Bedeutung SCHMITTS bei der Begriffsbildung des „Großraums“ vgl. Hedemann 1941; Höhn 1941, S.260 f., sowie Gruchmann 1962, S. 11 ff. (jeweils mwN).
311 Daß man lediglich Begriffliches von Schmitts und nicht auch dessen Positionen übernommen hatte, man darüber hinaus mit dem Urheber der Begriffe auch nicht in Zusammenhang gebracht werden wollte, hatte sich bereits am 28. April 1939, kurz nach Schmitts Vortrag in Kiel (vgl. oben S.795) gezeigt, als am Abend dieses Tages, an dem HITLER in seiner an den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt gerichteten Reichstagsrede – bezogen auf die „Monroe-Doktrin“ – „die gleiche Doktrin … für Europa, auf alle Fälle aber für den Bereich und die Belange des Großdeutschen Reiches“ gefordert hatte, Hans Frank bei Schmitt anrief und diesen darauf hinwies, daß „der Führer …. die Originalität seiner eigenen Gedanken und Ausführungen in dieser Rede“ schätze (vgl. Kaiser 1968, S. 543; Bendersky 1983, S.258 f. {jeweils mwN}; zum Einfluß Schmitts auf die Formel von der „deutschen Monroe-Doktrin“ für Europa vgl. bes. Gruchmann 1962, S. 11 ff). Darüber hinaus hatte Schmitt bereits in seiner ersten Ausgabe von 1939 GO ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er „nicht eine .deutsche Monroedoktrin‘ vorschlagen, sondern nur den berechtigten Kerngedanken der ursprünglich Monroe-Botschaft freimachen“ wolle (a.a.O., S.35 f.).
│ S. 818 Zu Beginn der 40er Jahre drohte Schmitt nun jedoch weniger Gefahr von seiten des SD – Höhn war wie Best312 und Eckhardt mittlerweile selbst entmachtet worden313 – , sondern vielmehr von Alfred Rosenberg, der sich seit 1934 bemüht hatte, den Einfluß des „Kronjuristen“ zunichte zu machen314. Rosenberg hatte seine auf einem gut funktionierenden Überwachungsapparat basierende Macht mittlerweile immer weiter ausbauen können. Auch das „Amt Rosenberg“ hatte sich in seinem vertraulichen Informationsdienst – die „Mitteilungen zur weltanschaulichen Lage“315 – mit dem „Fall Carl Schmitt“ befaßt, das jedoch zu einem Zeitpunkt, als der „Fall“ andererorts bereits zu den Akten gelegt worden war.
312 Vgl. FN 186.
313 Vgl. Heiber 1966, S.874 f. 934 ff.
314 Vgl. oben S.517 ff.
315 „Mitteilungen zur weltanschaulichen Lage. Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehung der NSDAP“ vom 08.01.1937 (u.a. in IfZ/MA 603 sowie – mit Einleitung und kommentierenden Anmerkungen – veröffentlicht von G. Maschke 1988c[106]); vgl. auch den Artikel des NSDAP-Reichsamtsleiters, Gustav Berger, in der „Bücherkunde“, dem Organ der „Dienststelle für Schrifttumspflege bei dem Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP und der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums“ (ders. 1939; zur Person BERGERS vgl. Quaritsch 1991, S.15).
(Koenen 1995), S. 816-818
Als Beleg für die Behauptung, dass das Amt Rosenberg noch gegen Carl Schmitt tätig war, nachdem der „Fall Carl Schmitt“ „andererorts“ – bei der SS – zu den Akten gelegt worden war, verweist Koenen in der Fußnote 315 auf eine Mitteilung Rosenbergs vom 8. Januar 1937. Das ist gegebenenfalls richtig, aber irreführend, da die SS ihre Akte über den Fall Schmitt ja nur wenige Tage vorher geschlossen hat. Vor allem belegt die ggf. dokumentierte Zeitfolge um den Jahreswechsel 1937 nicht, dass zu Beginn der 40-er Jahre Carl Schmitt von Alfred Rosenberg und dem Amt Rosenberg Gefahr drohte. Wenn ich nichts überlesen habe, liefert Koenen auch auf den Folgeseiten keinen Beleg für seine Behauptung über die „frühen 40-er Jahre“. Falls Koenen tatsächlich keinen Beleg für die „frühen 40-er Jahre“ hat, dann handelt es sich eindeutig um einen Fall von „Wunschdenken“.
2.10.3.4. Andres Koenen im Nachwort über Heidegger und Schmitt: Der Atheist Heidegger vs. der christliche Reichstheologe Carl Schmitt
Nachdem Koenen eine Feindschaft zwischen Alfred Rosenberg und Carl Schmitt ab 1940 konstatiert hat, benutzt er denselben Kontrast, um zumindest eine Gegnerschaft zwischen Martin Heidegger und Carl Schmitt zu behaupten, die bereits im August 1933 von Seiten Schmitts wirksam gewesen sei. Koenens Beleg für diese Behauptung ist erneut zu schwach:
Koenen führt als Beleg eine Behauptung Carl Schmitts an, dass Heideggers Existentialismus atheistisch sei. Diese Behauptung Schmitts stammt – frühestens– vom 11. Januar 1948. Ob Carl Schmitt im August 1933 dieser Meinung gewesen ist, belegt Koenen nicht. Selbst dann, wenn belegt werden würde, dass Carl Schmitt Heideggers Existentialismus im August 1933 für atheistisch gehalten hat, folgt daraus nicht, dass Carl Schmitt sich deshalb der erbetenen Zusammenarbeit mit dem Rektor Heidegger, Juristische Fakultäten von innen her neu aufzubauen, nicht anschloss. Es folgt nicht einmal, dass Carl Schmitt sich dieser Zusammenarbeit nicht anschloss. Als spätere Mitglieder des Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR haben Heidegger und Schmitt u.a. auch an einer Neuausrichtung der Juristischen Fakultäten mitgewirkt. In Unterabschnitt 7.9.2. belege ich, dass solche „Neuausrichtungen“ Aufgabe des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind.
Vorab möchte noch auf Koenens Hinweise auf Martin Grimm und Karl Vossler hinweisen. Sie sind interessant, auch weil sie seiner eigenen Kontrastierung zwischen Schmitt und Heidegger entgegenstehen. Wie bereits erwähnt, hat Faye (2005/09) nachgewiesen, dass sich Heidegger vor 1934 intensiver ideologisch mit Carl Schmitt befasst hatte.
Ich zitiere nun Koenen:
Nachvollziehbar wird nun [nach Koenens Sichtbarmachung der reichstheologischen Achillesferse Carl Schmitts; mw] auch, warum sich an Martin Heideggers Brief vom 22. August 1933, in dem dieser seinen Kölner Kollegen zur „entscheidenden Mitarbeit“ aufgerufen hatte, wenn es gelte, „die juristische Fakultät im Ganzen nach ihrer wissenschaftlichen und erzieherischen Ausrichtung von Innen her neu aufzubauen“14, nicht die von dem für Schmitt „zutiefst atheistischen“15 Freiburger Philosophen erhoffte Zusammenarbeit anschloß. Denn auch wenn damals die „merkwürdige Verwandtschaft“16 zwischen Schmitt und Heidegger bereits gesehen und vor ihnen als den „beiden geistigen Katastrophen des │ S. 832 neuen Deutschland“ gewarnt worden war17: Heidegger zählte nicht zu den „legitimen Erben“ Moeller van den Brucks, des mehr als nur „eher zufälligen Namensgebers des NS-Staates“18 [Koenen meint, Moeller van den Brucks habe den Namen „Drittes Reich“ geprägt; mw], war niemals „Kronphilosoph“ des „Dritten Reiches“ und wollte es – nach heutigem Forschungsstand – auch niemals werden.
14 Heidegger hatte Schmitt am 22.08.1933 u.a. folgendes geschrieben: „Heute möchte ich Ihnen nur sagen, daß ich sehr auf Ihre entscheidende Mitarbeit hoffe, wenn es gilt, die juristische Fakultät im Ganzen nach ihrer wissenschaftlichen und erzieherischen Ausrichtung von Innen her neu aufzubauen. Hier ist es leider sehr trostlos. Die Sammlung der geistigen Kräfte, die das Kommende heraufführen sollen, wird immer dringender. Für heute schließe ich mit freundlichen Grüßen. Heil Hitler! Ihr Heidegger“ (HStAD/RW 265-400). – Auf dem im NL existierenden Original dieses Briefes befindet sich das Konzept von Schmitts Antwort vom 27.08.1933, die weder bisher voll entziffert werden konnte noch sich als fertiger Brief im NL Heideggers befindet. Der Brief Heideggers an Schmitt ist der vermutlich bekannteste des Nachlasses, der durch einen Lesefehler des Amerikaners J. Bendersky noch „verdoppelt“ wurde: seinen Angaben zufolge soll es neben dem vom 22.08.1933 im NL noch einen weiteren Brief vom 22.04.1933 geben, was aber nicht zutrifft. – Abgedruckt ist der Heidegger-Brief u.a. in „Telos“ Nr. 72 (Summer 1987), S. 132, sowie im ,,FAZ-Magazin“ vom 08.01.1988, S. 15. Erwähnt wird der Brief auch von Bendersky 1979, S. 314; ders. 1983, S. 203; Rüthers 1990, S. 24; v. Waldstein 1989, S.214; Lauermann 1990, S.126, und H . Meier im „Spiegel“ (ders. 1991, S.171).[107]
15 Im „Glossarium“ schrieb Schmitt: ,,L’ existentialisme de Heidegger avec toutes se derivations est profondement atheiste“ (1991G, S. 80). [Der Existenzialismus von Heidegger mit all seinen Ableitungen ist zutiefst atheistisch; mw]
16 Diese hatte Martin Grimm in seinem „Ring“-Beitrag zur „Politischen Theologie“ bereits 1930 entdeckt (ders. 1930, S. 904)[108]
17 So schrieb Karl Vossler am 25.08.1933 aus Spanien an Benedetto Croce: „Heidegger und neben ihm Carl Schmitt, Verfasser öffentlichrechtlicher und staatsrechtlicher Schriften und bis zu einem gewissen Grade Schüler von George Sorel, entpuppen sich als die beiden geistigen Katastrophen des neuen Deutschland, Schmitt scheint mir sogar noch gefährlicher“ (Briefwechsel 1955, S.343).[109]
18 So aber Reichel 1991, S.73.
(Koenen 1995), S. 831-832
Aus der rückblickenden Distanzierung des christlichen Reichstheologen Carl Schmitt vom atheistischen Existentialisten Heidegger des Jahres 1948 folgert Koenen, dass die Gemeinsamkeit zwischen den Fällen Heidegger und Schmitt geringer als angenommen ausfalle. Da beide nachweislich über viele Jahre hinweg Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren, Koenen das aber nicht wusste, ist spätestens jetzt erkennbar, dass seine Datenbasis für seine Behauptungen nicht ausreicht.
Insofern hat sich die Bedeutung der Gemeinsamkeiten zwischen dem „Fall Heidegger“ und dem „Fall Schmitt“ als zwei „exemplarischen Fällen“ von „Schreibtischtätern“ und Intellektuellen im Nationalsozialismus verringert, ebenso wie die paradigmatische Bedeutung des „Falles Carl Schmitt“ im Hinblick auf den „furchtbaren“19 Juristen20 und Staatsrechtler Schmitt. Denn sein „Fall“ ist vor allem der Fall des konservativen Revolutionärs, sein Schicksal unauflösbar mit dem Scheitern der Konservativen Revolution, letztlich mit der verhängnisvollen Entwicklung des „Dritten Reiches“ insgesamt verknüpft.
19 I. Müller 1989.
20 Den „exemplarischen Fall“ des Juristen hat vor allem immer wieder Bernd Rüthers herauszuarbeiten versucht. So spricht er beispielsweise in seiner Schrift „Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich“ von Schmitts „möglicherweise für erhebliche Teile der damaligen Rechtswissenschaft exemplarischen Um- und Irrwegen“ (ders. 1989a, S. 159)
(Koenen 1995), S. 832
Koenens Meinung, nicht der Jurist, sondern der Reichstheologe und konservative Theologe Carl Schmitt sei 1933 in die Irre gegangen, überzeugt mich nicht. Auch weil sie mich zu sehr an die vielen Versuche erinnert, Heideggers Philosophie von Heideggers Engagement für den Nationalsozialismus zu trennen.
2.10.3.5. Die geistige Intimität des konservativen Revolutionärs Hans Freyer mit Carl Schmitt
Schließen möchte ich meine Skizze des Buches von Koenen (1995) mit dessen emphatischer Darstellung des Verhältnisses von Carl Schmitt und Hans Freyer. Hans Freyer habe Carl Schmitt verstanden – so wie Koenen Carl Schmitt verstehe.
[…] Die wohl bedeutendste dieser Besprechungen war die Hans Freyers über Schmitts „Positionen und Begriffe“, einer Aufsatzsammlung, die 1940 bei der HAVA – der Hamburger Verlag hatte sich offenbar an seinen einstigen Bündnispartner erinnert – erschienen war und alle wesentlichen „Reichs“-Artikel enthielt, die Schmitt in den vorangegangenen │ S. 793 mehr als zehn Jahren veröffentlicht hatte: angefangen vom Barcelona-Vortrag über die Kölner Antrittsvorlesung, die Steding-Besprechung bis zu den Arbeiten zum Begriff des „Reiches“, die Schmitt Ende der 30er Jahre verfaßt hatte.
Die besondere Bedeutung dieser Rezension lag darin, daß Freyer – als bewußter konservativer Revolutionär ebenfalls in Rohans „Kulturbund“ engagiert169 und auch nach seinem Wechsel von Leipzig nach Budapest im Jahre 1938 noch immer Kontakt zu Schmitt haltend170 – offenbar um das reichstheologische Fundament Carl Schmitts wußte: Der Begriff „Reich“ sei das „Ziel … , auf das hin sich die einzelnen Stücke des Buches zur Einheit zusammenschließen“171. „Von Jahr zu Jahr … – das tritt durch den verkürzten Maßstab, in dem die Aufsatzsammlung den Zeitraum von 1923 bis 1939 darbietet, anschaulich hervor – wächst das Denken, wachsen die einzelnen Begriffe ins Positive hinein. Bis in den inneren Rhythmus des Carl Schmittschen │ S. 794 Denkens hinein ist die Wandlung zu spüren. Aus dem „dezisionistischen“ Denken, das immer auf die anstehenden Entscheidungen … und auf die realiter entscheidenden Instanzen … hindrängt, hebt sich schrittweise – durch viele Vorausdeutungen vorbereitet – ein ,konkretes Ordnungsdenken‘ heraus. Ein solches wäre unmöglich oder gefährlich gewesen, solange in der politischen Wirklichkeit ,konkrete Unordnung‘ tatsächlich herrschte; es wird möglich in dem Grade, wie eine deutsche Ordnung geschaffen worden ist und eine europäische sich anbahnt; es wird notwendig, wenn … ,die Sonne des Reichsbegriffs aufgeht‘. Mit dem Wirklichwerden des Reichs tritt das Politische in eine neue Phase; es darf und muß nun in neuer Weise gedacht werden. […] Carl Schmitts Werk ist … nicht Krisenliteratur, sondern in allen seinen Stücken das Gegenteil davon, weil es in entschiedener Richtung durch die Krise hindurch- und zu der neuen Ordnung der Zukunft hinüberführt. Ab integro nascitur ordo: Dieses Wort steht zweimal an betonter Stelle, so daß es beinahe wie ein verschwiegenes Motto des Werkes wirkt. Das Integre ist nicht das Primitive, erst recht nicht das Einfältige; es ist (objektiv gesehen) dasjenige, was geschichtliche Substanz in sich hat, und (subjektiv gesehen) dasjenige, was aus natürlichen Quellen die sittliche Kraft aufbringt, diese Substanz in der Wirklichkeit zu bewähren.“172
169 Vgl. oben S.772 (FN 48) sowie den „ER“-Bericht über Freyers Vortrag auf der 9. Jahrestagung des „Kulturbundes“ in Budapest (ders. 1934), gehalten am 04.01.1934: „Karl Anton Rohan, der Gründer und Generalsekretär des Verbandes, begründete … in einer kurzen Ansprache die Wahl des Themas und deutete dessen innere Problematik an, indem er auf die Tatsache hinwies, daß die Überlieferung des 19. Jahrhunderts noch bis vor kurzem Revolution gegen ältere Mächte und Traditionen war, während die Revolution der Gegenwart, wenigstens in ihrer antimaterialistischen Prägung, ihrerseits wieder an älteste europäische Traditionen anknüpfe, weshalb wir mit Recht von einer ,konservativen Revolution‘ zu sprechen pflegten. ,Beide Aspekte weisen auf den Tatbestand hin, der den einzigartigen Charakter dieser Revolution des 20. Jahrhunderts ausmacht, daß sie nämlich, indem sie jung und leidenschaftlich in die Zukunft stürmt, altes und ältestes Erbgut Europas als Element der Neugestaltung wieder lebendig macht.“ Mit diesem Prolog waren dem Thema die weitesten Grenzen gesteckt worden, innerhalb derer nun zunächst der Vortrag Prof. Freyers meisterhaft den deutschen Standort bezeichnete“ („ER“ 1934, S. 100; Hervorh. A.K.). In seinem Vortrag hatte Freyer als „verbindendes Glied“ zwischen dem „echten Revolutionär“ und dem „echten Konservativen“ den „Glauben an die unverbrüchliche Kraft des Anfangs“ vorgebracht, der sie zu „Verbündeten sowohl gegen die liberale Welt wie gegen die Restauration“ mache. „In dem revolutionären Willen, der uns heute beseelt, fühlen wir in neuer Form die Kräfte wirksam werden, aus denen seit Jahrtausenden unsere Geschichte geschehen ist. So neu die Aufgabe sein mag, so lebendig fühlen wir die Kontinuität mit den alten Formen unseres Reiches. Das ist nicht Historismus. Das ist auch nicht bloß historisches Bewußtsein. Sondern das ist lebendige Tradition: existentielle Verankerung des gegenwärtigen Lebens in den Ursprüngen seiner selbst“ (Freyer 1934, S.73f.). Zum Reichs-Ideologen FREYER vgl. auch oben S.179 f.
170 So holte FREYER seinen Kollegen beispielsweise am 05.11.1943 anläßlich einer Vortragsreise nach Ungarn (vom 09.11. bis 11.11.1943) in Budapest ab und verbrachte offenbar mehrere Tage mit ihm vor Beginn der Vortragsreise (vgl. Schmitts Reisebericht in: HUB/Schm 159a II, Bl. 74 ff.[110]).
171 Freyer 1940, S.265.
(Koenen 1995), S. 793 f.
Wie ich in Teil IV zeigen werde, wirkten Hans Freyer und Carl Schmitt 1943 und 1944 in Budapest so zusammen, dass man ihr Tun so beschreiben kann, dass sie den Morgen des neuen Reichs durch eine Vernichtungstat am Abend des NS-Staates erzwingen wollten.
2.10.4. Dirk Blasius (2001) und (2009) erwähnt den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht
2001 erschien eine 250 Seiten lange Monographie von Dirk Blasius über Carl Schmitt mit dem Titel Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich. In ihr wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht erwähnt. Die Akademie für deutsches Recht wird nur beiläufig erwähnt. Blasius folgt der Darstellung von Andres Koenen aus dem Jahr 1995, ohne die Texte von Pichinot, Anderson und Hattenhauer über die AfDR oder Viktor Farías Buch über Heidegger oder die drei Texte von Pinter (1994), Günzel (2000) oder Tilitzki (2003) über Emge auch nur ein einziges Mal zu erwähnen.
Ich zitiere das Wenige, das Blasius über Carl Schmitt und die AfDR zu berichten weiß:
Im Sommer 1933 trat Schmitt dem 1928 gegründeten »Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen« (BNSDJ) bei, der Fachorganisation der NSDAP, die auf dem Juristentag 1936 in den »National-Sozialistischen Rechtswahrer-Bund« (NSRB) umbenannt wurde.3 Hans Frank, der Reichsrechtsführer, berief Schmitt noch 1933 in den »Führerrat« des BNSDJ, ernannte ihn zum Reichsfachgruppenleiter der Fachgruppe Hochschullehrer, übertrug ihm in dieser Funktion ab 1. Januar 1934 die Herausgabe der »Deutschen Juristen-Zeitung« und machte ihn 1935 zum Leiter der »Wissenschaftlichen Abteilung« des nationalsozialistischen Juristenbundes. Der BNSDJ war für Schmitt »eine Art Hausmacht«; keine das Rechtsleben betreffende Entscheidung lief an ihm vorbei; es gab kein Gremium, in dem er nicht vertreten war. So gehörte Schmitt auch dem »Führerrat« der im Juni 1933 von Frank ins Leben gerufenen »Akademie für Deutsches Recht« (AfDR) an und leitete als Vorsitzender den Ausschuß für Staatsund Verwaltungsrecht.4
3 Koenen, S. 499, Anm. 238.
4 Ebd., S. 502; Schmoeckel, Ortung und Ordnung, S. 37
(Blasius 2001), S. 72
Auch die Darstellung der angeblichen Entmachtung Carl Schmitts durch die SS im letzten Quartal des Jahres 1936 übernimmt Blasius von Andreas Koenen:
Frank wollte Schmitt aus persönlichen und politischen Gründen halten. Seine Charakterisierung Schmitts erfaßt präzise die historische Rolle, die dieser in den Anfangsjahren des Nationalsozialismus spielte. Für die SS freilich zählten Argumente, mochten sie auch noch so zutreffend sein, nicht. Sie hatte die Oberhoheit über die Machtstrukturen im »Dritten Reich« und machte Carl Schmitt als Störfaktor aus. Frank wußte, daß er gegen Himmler keine Chance hatte. Er sandte eine Abschrift seines an d’Alquen gerichteten Briefes dem Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei zu und vermerkte in einem handschriftlichen Zusatz: »Ich habe Staatsrat Schmitt ohnedies zum 1. Januar aller Ämter enthoben!«77 Am 5. Januar 1937 bestätigte Himmler Franks Meldung. Er wisse wohl zu würdigen, so schrieb er, daß Frank »einen langjährigen engen Mitarbeiter in der Öffentlichkeit nicht angreifen lassen« wolle, im übrigen aber sei er der Ansicht des »Schwarzen Korps«.78
Carl Schmitt verlor seine Ämter im NS-Rechtswahrerbund und seine Mitgliedschaft im Führerrat der Akademie für Deutsches Recht. Die »Deutsche Juristen-Zeitung«, der Schmitt als Herausgeber seinen Stempel aufgedrückt hatte, wurde eingestellt. Ihre Aufgaben übernahm die Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht. Im NSRB-»Mitteilungsblatt« stand am 15. Dezember 1936 die Notiz, Schmitt habe den Reichsrechtsführer aus »gesundheitlichen Gründen« gebeten, »ihn aus seinen Ämtern im NSRB zu entlassen«.79
77 Bundesarchiv, R 58, Nr. 854, S. 69.
78 Ebd., S. 68.
79 Vgl. Koenen, S. 743.
(Blasius 2001), S. 175
Blasius schließt seine Darstellung des einflussreichen Carl Schmitts so:
Politische Ambitionen, die er gehabt haben mag, hatten die in den Ämtern der SS sitzenden Gegner Schmitts durchkreuzt. Der Titel eines Preußischen Staatsrats freilich sicherte Carl Schmitt die Weiterführung seiner wissenschaftlichen Existenz. Seine engsten Mitarbeiter, zu denen Eberhard von Medern als Referent der NSRB-Reichsfachgruppe Hochschullehrer gehörte, blieben ihm verbunden und hielten für ihn die relevanten juristischen Publikationsorgane, etwa die Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht oder die zur AfDR-Vierteljahresschrift umgestaltete Deutsche Rechtswissenschaft, offen.88 Carl Schmitt hatte die deutschen Juristen an den NS-Staat herangeführt und sie für die Durchführung seiner Weltanschauungspolitik gewinnen können. Das wurde ihm auch weiterhin als Verdienst angerechnet. In einer Gemeinschaftspublikation der Reichsgruppen des NS-Rechtswahrerbundes blickte von Medern 1939 auf fünf erfolgreiche Jahre zurück.89 Noch niemals │ S. 180 habe »der Rechtslehrer eine so weitgehende Möglichkeit der Mitarbeit an der Gestaltung des Rechtslebens des Volkes besessen.« Carl Schmitt nutzte bis 1936 sämtliche Möglichkeiten der Einflußnahme auf das nationalsozialistische Staatsleben. Auch stellte er seine Fähigkeiten als Rechtslehrer bereitwillig zur Verfügung, wenn es um die rassistische Modellierung des »Volkskörpers« ging. Nach dem Verlust seiner Funktionen im NS-Staat freilich griff Schmitt neue Inhalte auf. Er entwickelte in den Jahren 1937 und 1938 Positionen, die nicht unbedingt Spiegelbilder nationalsozialistischer Herrschaftsideologie waren; auch führte er nicht mehr die Sprache, derer sich von Medern noch 1939 bediente. Dieser feierte in seinem Rückblick die Judentagung vom Herbst 1936 als Kampftag gegen das Judentum in der Rechtswissenschaft. »Der Einfluß des Judentums, der jahrzehntelang durch tausend seiner Kanäle in das deutsche Rechts- und Wirtschaftsleben eindringen konnte«, habe aufgedeckt und bekämpft werden müssen, »da man es hier mit einem ungeheuren Netz von Tarnungen zu tun hat, die sich auch noch heute in der gefährlichsten Weise auswirken.«90
88 Vgl. Koenen, S.750f.
89 Eberhard von Medem, Hochschullehrer und Rechtsstand, in: Der Deutsche Rechtsstand. Eine Gemeinschaftsarbeit der Reichsgruppen des NS-Rechtswahrerbundes, hg. v. der Wissenschaftlichen Abteilung des NS-Rechtswahrerbundes, Berlin 1939, S. 316-326; hier zitiert nach Koenen, S. 750 f., Anm. 558
90 Ebd., von Medem, S. 322
(Blasius 2001), S. 179 f.
Der Eberhard von Medem, der noch 1939 seinem Judenhass öffentlich Ausdruck verlieh, ist übrigens dieselbe Person, wie der Eberhard von Medem, der das „Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947 – 1951“ nach Carl Schmitts Tod im Jahre 1991 als Herausgeber veröffentlicht hat. Postume Veröffentlichungen sind grundsätzlich weniger zuverlässig als Veröffentlichungen zu Lebzeiten von Autoren. Bei Autoren, die im Verdacht stehen, an Verbrechen als Autoren beteiligt gewesen zu sein, gilt das verstärkt. Wenn dann noch die Herausgeber körperliche oder geistige Verwandte des verstorbenen Autors sind, ist ein noch größerer Grad an Skepsis bezüglich der Authentizität der veröffentlichten Texte geboten. Wenn noch dazu Jahrzehnte zwischen den etwaigen Taten oder/und dem angeblichen Entstehungszeitpunkten der angeblichen Primärtexte und der postumen Veröffentlichung vergangen sind, ist die Skepsis noch einmal zu erhöhen.
Im folgenden Kapitel über die Großraumlehre Carl Schmitts erwähnt Blasius die AfDR nicht mehr.
Von den Ausschussmitgliedern des Zeitraums 1941 bis 1943 erwähnt Blasius beiläufig einmal Hans Freyer (S. 208) und Alfred Rosenberg. Die Erwähnung von Hans Freyer ist uninteressant: Schmitt habe sich notiert, dass er u.a. mit Hans Freyer über Lorenz von Stein gesprochen habe (Blasius 2001, S. 208). Die Erwähnung Alfred Rosenbergs ist hingegen interessant. Ich zitiere:
Das politische Vorleben des Preußischen Staatsrats Schmitt sowie die aktuellen Vorbehalte, auf die er stieß, boten ein umfangreiches Material, das man im Spiel um Macht und Einfluß einsetzen konnte. 1936 hatte sich zudem der »Weltanschauungskampf« gegen die katholische Kirche verschärft. Sonderkommandos der Geheimen Staatspolizei gingen gegen Priester und katholische Ordensangehörige vor, um, wie es der Parteiideologe Alfred Rosenberg formulierte, eine »Atmosphäre« zu schaffen, in der die Menschen einen Bogen um alles Katholische machen.73 Ohne jegliches stichhaltige Verdachtsmoment wurden katholische Geistliche in rund 250 Sittlichkeitsprozesse verwickelt. Dieser ebenso gewalttätige wie spektakuläre »Propagandafeldzug« gegen die Kirche sollte deren Autorität untergraben und eine »innerkirchliche Loyalitätskrise« hervorrufen.74
73 Vgl. Thamer, S. 442 f. [Thamer, Hans-Ulrich, Verführung und Gewalt. Deutschland 1933- 1945, Berlin 1986; mw]
74 Hockerts, S. 218 f. [Hockerts, Hans Günter, Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester 1936/1937. Eine Studie zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik und zum Kirchenkampf, Mainz 1971; mw]
(Blasius 2001), S. 173
In meinem Bericht über Koenens Schmitt-Buch habe ich deutlich gemacht, dass Koenens Behauptung, ab 1940 habe Carl Schmitt von Seiten Alfred Rosenbergs und seines Amtes Gefahr gedroht, schlecht belegt worden ist. Vielleicht ist das auch Blasius aufgefallen. Ersatzweise behauptet Koenen, dass ab 1936 Alfred Rosenberg den Weltanschauungskampf gegen die katholische Kirche verschärft habe. Das ist richtig. Der Anteil von Katholiken im Ausschuss für Rechtsphilosophie ist aber nicht klein. Auch müssen die „Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester“ in den Jahren 1936/37 nicht per se ungerechtfertigt sein, wie die Skandale der letzten 20 Jahre gezeigt haben.
Dass Dirk Blasius Max Mikorey nicht erwähnt, ist bedauerlich. Mich hat das nicht überrascht, da ich bereits zuvor festgestellt hatte, dass Blasius in seinem Buch von 1994 „»Einfache Seelenstörung«. Geschichte der deutschen Psychiatrie 1800-1945“ Mikorey nicht erwähnt hat.[111]
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Dirk Blasius auch in seinem zweiten Buch über Carl Schmitt aus dem Jahr 2009 den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht ein einziges Mal erwähnt hat.[112]
2.10.5. Reinhard Mehring (2009) erwähnt den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht, obwohl er Pinters Dissertation erwähnt
Auch Reinhard Mehring erwähnt in seiner Biographie Carl Schmitt. Aufstieg und Fall von 2009 den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht ein einziges Mal.
Mit Carl Schmitts Beziehung zu Hans Frank und der AfDR befasst sich Mehring in einem eigenen Unterabschnitt mit dem Titel „Hans Frank (1900-1946) und die «Akademie für Deutsches Recht»“, der drei Seiten lang ist. Der Gesamttext umfasst 578 Seiten.
Ich beginne meinen Bericht über Mehrings Schmitt-Biographie mit seiner Darstellung der angeblichen Distanzierung Schmitts vom Nationalsozialismus, die laut Mehring werkgeschichtlich bereits Ende 1934 erfolgt sei. Mehring schließt sich der Sekundärmeinung an, dass Schmitt Ende 1936 politisch entmachtet worden sei.
2.10.5.1. Mehrings Darstellung der angeblichen Distanzierung Carl Schmitts vom Nationalsozialismus zwischen 1934 und 1936
In seiner Schmitt-Biographie befasst sich Mehring ausführlicher als die anderen Sekundärliteraten, die ich bereits vorgestellt habe, mit rechtsphilosophischen Motiven Carl Schmitts. Darauf werde ich kurz zum Ende meines Berichts über Mehrings Schmitt-Biographie eingehen.
Der vermeintliche Gewinn der Berücksichtigung der gesamten Werkgeschichte Schmitts ist eine Vordatierung des Zeitpunkts, zu dem »das Werk Schmitts« sich angeblich distanziert habe. Mehring kommt zu dem Ergebnis, dass Schmitt bereits Ende 1934 mit seinem rechtstheoretischen Latein am Ende gewesen sei. Ab 1935 gäbe es keine Schrift Schmitts mehr, in der er eine „juristisch-institutionelle Sinngebung“ des „Normalzustandes“ des NS-Staates betrieben habe. Nach dem 30. Juni 1934 habe Schmitt gemeint, sich in einer „apokalyptisch-endgeschichtlichen Lage“ zu befinden. Diese Einschätzung habe ihn dazu bewegt, zu einer antisemitischen Rechtfertigung der Gewalt – vermutlich des deutschen Staates und Reiches gegen Menschen jüdischen Herkommens in Europa – überzugehen. Ich zitiere:
4. Die antisemitische Sinngebung
Rechtstheoretische Neuansätze
Anfang 1934 rekapituliert Schmitt ein Jahr nationalsozialistischer Verfassung noch zuversichtlich. Doch während Huber sich dann auf den Weg der Ausarbeitung einer nationalsozialistischen Verfassungslehre macht – vom «Staatsoberhaupt» und dem «Sinn» der Verfassung bis zum «Grundriss»1 treibt Schmitt die Disjunktion von Gesetzes- und Gerechtigkeitsstaat auf die Spitze des «unmittelbar gerechten Staates». Dieser Staat ist ein totalitärer Leviathan. Der Abbau wird zum Rechtsprinzip.2 Die Krise des Werkes wird meist mit einer Gefährdungslage 1936 verbunden, zeigt sich aber schon früher und ist Ende 1934 bereits mit dem «unmittelbar gerechten Staat» markiert. Die Zeit der Programmschriften ist vorbei. Schmitt publiziert bis 1938 keine Monographie mehr und zieht sich auch aus der Analyse der innenpolitischen «Verfassungslage» zurück. Nach dem 30. Juni 1934 wäre für ihn nun der Zeitpunkt gewesen, seinen Abschied vom Nationalsozialismus zu nehmen. Seine Hoffnungen auf eine größere verfassungspolitische Wirksamkeit als «Staatsrat» waren mit der Institution verklungen. Seine Initiative der Schaffung eines «Führerrats» wurde gar nicht erst diskutiert. Der Nationalsozialismus hatte sich vor aller │ S. 359 Welt als Gewaltherrschaft gezeigt. Der Versuch, ihn in einen Normalzustand zu heben, war gescheitert. Auch Schmitt bezweifelt nun die «Verfassungsfähigkeit» des Nationalsozialismus und zieht sich aus der juristisch-institutionellen Sinngebung zurück. Doch er zieht die falsche Konsequenz. Nachdem sein Einfluss über Göring erlahmt ist, könnte er nun auch seinen Abschied von Hans Frank nehmen und dem bösen Spuk seines nationalsozialistischen Engagements ein Ende bereiten. Seine Kollaboration wäre damit zwar länger und einflussreicher gewesen als etwa Heideggers Belastung als Rektor der Freiburger Universität, aber doch ein erkennbar bereuter Irrtum, dem man einige gute Absichten zubilligen konnte. Zwar lässt sich aus einer Räuberbande nicht beliebig aussteigen: Ein Rückzug auf die Rolle des Gelehrten wäre dennoch damals vermutlich irgendwie möglich gewesen. Fast schwerer noch als die Entscheidung für den Nationalsozialismus nach dem 23. März 1933 wiegt deshalb das fortdauernde Engagement nach dem 30. Juni 1934 trotz Einsicht in den Gewalt- und Ausnahmecharakter des «Systems». Jenseits des Normalzustands sieht Schmitt sich in einer apokalyptisch-endgeschichtlichen Lage und geht von der juristisch-institutionellen Sinngebung zu einer antisemitischen Rechtfertigung der Gewalt über. Seine gegenrevolutionäre «Entscheidungsschlacht» führt er dabei nicht mehr, wie in Weimar, primär mit dem längst zerschlagenen Marxismus und Anarchismus, sondern er interpretiert das Szenario nun offen antisemitisch als «Kampf gegen den jüdischen Geist». Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt ganz auf der organisatorischen Intervention. Bis Ende 1936 wird er zu einem politischen Wanderredner an der Seite Hans Franks. Die biographischen Zeugnisse dieser Jahre sind spärlicher. Schmitts stenographische Terminkalender sind zwar von 1934 bis 1945 (und darüber hinaus bis in die 70er Jahre) fast lückenlos erhalten; die Tagebücher brechen aber ab.3 Die Korrespondenzen mit Huber, Forsthoff und Jünger versickern. Schmitt taucht jenseits der Universität in die Funktionärsclique ab.
1 Ernst Rudolf Huber, Vom Sinn der Verfassung, Hamburg 1935; ders., Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, Hamburg 1935; ders., Verfassung, Hamburg 1937
2 Dazu vgl. Oliver Lepsius, Gibt es ein Staatsrecht im Nationalsozialismus?, in: ZNR 26 (2004), 102-116; zum «Objektverlust» der Staatsrechtslehre vgl. Horst Dreier, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, in: VVDStRL 60 (2001), 10-72
3 Im Rundfunkgespräch mit Dieter Groh und Klaus Figge sagt Schmitt (transkribierte Langfassung, 23), dass er einen «großen Teil» der Tagebücher «nach dem 30. Juni» in den Kamin geworfen habe. Es fehlen aber nur die Tagebücher von 1935 bis etwa 1939. Eine evtl. Gefährdungslage nach dem 30. Juni 1934 war also nicht entscheidend. Wahrscheinlicher ist es, dass Schmitts Damnatio memoriae vor allem die Kollaboration mit Hans Frank betrifft.
(R. Mehring 2009), S. 358 f.
Die Auskunft Mehrings in Fußnote 3, dass nur die Tagebücher 1935 bis etwa 1939 fehlen, ist so zu verstehen, dass Mehring nur etwas über den Zeitraum 1933 bis 1945 aussagen möchte, da es für die Jahre 1917 bis 1921 angeblich ebenfalls keine Tagebücher Carl Schmitts gibt.[113] Wie ich in Teil II zeigen werde, fällt in diesen frühen Zeitraum wahrscheinlich der Beginn einer Zusammenarbeit Carl Schmitts u.a. mit Hans Frank. Da Hans Frank erst 1900 geboren ist, wird eine Zusammenarbeit Carl Schmitts mit dem Jüngling Hans Frank kaum der Hauptgrund für eine platonisch-augustinische Purgatio Carl Schmitts gewesen sein, die sich in einer damnatio memoria durch Verbrennung von Tagebüchern ausgedrückt haben mag.
Wahrscheinlich ging es Carl Schmitt in beiden Fällen fehlender Tagebücher profaner um ein Entgehen vor einer irdischen Strafe und um den Versuch, »dem Werk« die Chance auf eine Renaissance zu schenken. Beides ist Schmitt jedenfalls gelungen. Beides wäre ihm vielleicht nicht gelungen, wären seine Tagebücher der Jahre 1917-1921 und 1935-1939 veröffentlicht worden.
2.10.5.2. Mehrings Unterabschnitt über Hans Frank und die AfDR
Ich zitiere und kommentiere nun Mehrings drei Seiten über Hans Frank und die AfDR vollständig.
Hans Frank (1900-1946) und die «Akademie für Deutsches Recht»
[1] Im Frühling 1933 gerät die Zunft in einen neuen Ausnahmezustand. «Ideen von 1933» werden propagiert. Die Zeit der Programmschriften ist wieder da, Antrittsvorlesungen markieren Startpositionen. Zwar sehen viele den destruktiven Charakter des Nationalsozialismus. Viele täuschen sich aber auch gerne über die nationalsozialistische Zukunft des «Funktionsmodus» Recht. Ihr «Schöpfungsrausch» (Stolleis) hat den Folgeeffekt des Karrieregewinns. Seit April ist Schmitt bestrebt, Machtpositionen aufzubauen und nationalsozialistische Politik zu machen. Den Einstieg fand er in der Konsequenz des Preußenschlags. Für seinen weiteren Aufstieg wird nun vor allem eine Person wichtig: der «Parteijurist» Hans Frank. Bisher hatte Schmitt mit seinen Mentoren Glück. Fritz van Calker, Hugo am Zehnhoff, Moritz Julius Bonn und Rudolf Smend stellten positive Weichen. Hans Frank wäre Schmitt besser nicht begegnet.31 Dabei ist er [Hans Frank; mw] ein Schüler van Calkers. Calker betreibt über Frank Schmitts Berufung nach München. Darüber lernen beide sich kennen.
31 Biographische Ausführungen nach der etwas reißerischen Darstellung von Dieter Schenk, Hans Frank. Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur, Frankfurt 2006; vgl. auch Christian Schudnagies, Hans Frank. Aufstieg und Fall des NS-Juristen und Generalgouverneurs, Frankfurt 1988
(R. Mehring 2009), S. 325
Wäre Mehrings Darstellung korrekt, hätten sich Carl Schmitt und Hans Frank erst nach 1933 anlässlich des Berufungsversuches Carl Schmitts an die Juristische Fakultät der Universität München kennengelernt.
Zurück zu Mehrings Unterabschnitt über Hans Frank und die AfDR. Im zweiten Absatz skizziert Mehring Hans Franks Leben vor 1933. Ich zitiere den Absatz auch, weil Mehring in seiner Mitte einen Ausruf einstreut, der einen Einblick in die Überzeugungen von Mehring bietet. Das, was der Ausruf sichtbar macht, ist nur ein weiteres Beispiel für das nahezu ubiquitäre pro-akademische Vorurteil akademischer Autoren. Die Ergebnisse dieser hermeneutischen Vorurteilshaftigkeit zu Gunsten der akademischen Nationalsozialisten überraschen mich nicht.
[2] Hans Frank wurde im Oktober 1939 «Generalgouverneur» von Polen. Sein Name ist deshalb unauslöschlich mit der nationalsozialistischen Polenpolitik und dem Holocaust verknüpft. Anders als Schmitt ist er ein altgedienter Parteigenosse. Er wuchs in München als Sohn eines Rechtsanwalts auf. Seine Abiturszeit fällt in die Münchner Revolution, gegen die sich Frank engagiert. Er ist ein guter Schüler und studiert zügig. 1923 legt er in München die erste Staatsprüfung ab. 1924 wird er von Walter Jellinek │ S. 326 in Kiel promoviert. Er wird in München einige Zeit Assistent bei van Calker und legt dort 1927 sein Assessorexamen ab. Schon früh ist Frank Mitglied der Thule-Gesellschaft, der auch Hitler angehörte. Er tritt, noch vor dem «Hitlerputsch», am 3. Oktober 1923 in die NSDAP ein, nimmt am «Marsch auf die Feldherrnhalle» teil und gehört somit zu den alten Parteigenossen, auf die Hitler setzt. Der strafrechtlichen Verfolgung entzieht er sich ins fascistische Italien. Aus Protest gegen die Italienpolitik der NSDAP, vielleicht auch um seiner Karriere willen tritt er 1926 vorübergehend aus der NSDAP aus. Im September 1927 tritt er wieder ein und übernimmt nun zahlreiche Prozessvertretungen. Er lebt nicht nur für, sondern auch von der Partei. Franks weitschweifige und vage Plädoyers sind berüchtigt. Der sozialdemokratische Anwalt Philipp Loewenfeld trifft ihn als Gegner wiederholt vor Gericht. «Wenn er am Richtertisch mit einem jüdischen Anwalt zusammentraf», erinnert sich Loewenfeld, «murmelte er beispielsweise minutenlang leise vor sich hin: <Jud, Jud, Jud, Jud, Jud, Jud …>. Wenn der Anwalt dann etwa sagte: <Herr Vorsitzender, hören Sie nicht, was dieser Herr da flüstert?>, dann erhob er sich in seiner ganzen <Größe> und schrie mit Stentorstimme: <Jüdische Verleumdung!>«32 Mit einem solchen Typ arbeitet Schmitt nun zusammen![114] Frank ist maßgeblich für die Gründung des «Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen» (BNSDJ) verantwortlich und wird Ende 1928 «Rechtsbeistand der Parteileitung», Chefjurist der Partei. Nach den Wahlen vom 14 . September 1930 wird er Reichstagsabgeordneter. Er hat ein Büro im Braunen Haus in der Brienner Straße, ist dem «Führer» hörig und gehört zur Parteiführung, wenn er auch niemals zu Hitlers engsten Vertrauten zählt. Frank veranlasst Hitler 1930 im Ulmer Reichswehrprozess zum sog. Legalitätseid, der von erheblicher strategischer Bedeutung wurde. Er pflegt einen verschwenderischen Lebensstil und ein chaotisches Privatleben mit einer ihrerseits notorisch prunksüchtigen und untreuen Frau. Frank ist ein verquaster Schöngeist und Poltergeist, ein Aufschneider und charakterloser Prasser.
32 Recht und Politik in Bayern zwischen Prinzregentenzeit und Nationalsozialismus. Die Erinnerungen von Philipp Loewenfeld, hrsg. v. Peter Landau und Rolf Rieß, Ebelsbach 2004, 562
(R. Mehring 2009), S. 325 f.
Dass die Ehefrau von Hans Frank sehr wahrscheinlich auch mit Carl Schmitt (und Karl Lasch) noch Jahre nach 1933 „untreu“ gewesen ist, erwähnt der Schmitt-Biograph Mehring nicht, obwohl er ansonsten von Carl Schmitts außerehelichen Betätigungen immer wieder berichtet.
Ich halte es übrigens für sehr wahrscheinlich, dass Schmitts Dauerberichterstattung über seine ehelichen und außer-ehelichen Orgasmen in den Tagebüchern nur dem Zweck einer augustinische Selbst-Inszenierung dient.
Nun der dritte Absatz Mehrings über Hans Frank und die AfDR:
[3] Das Reichsjustizministerium erhält er [Hans Frank; mw] 1933 nicht, weil Hitler es der DNVP und Franz Gürtner33 belässt. Dafür wird er im März bayerischer Justizminister und zeichnet sich sogleich durch antisemitische Aktionen aus. Auf Initiative Gürtners wird Frank am 22. April 1933 zum «Reichskommissar (Reichsjustizkommissar) für die Gleichschaltung der Justiz in den Ländern und für die Erneuerung der Rechtsordnung» ernannt. Im Juni ruft er eine «Deutsche Rechtsfront» aus. Bald gründet er die «Akademie für Deutsches Recht». Vizepräsident wird Wilhelm Kisch, ein alter Straßburger Lehrer, der schon an Schmitts Promotionsverfahren beteiligt │ S. 327 war.34 Die Aufgabe der Akademie ist es, «die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern».35 Es ist keine reine Gelehrtenakademie. Viel politische Prominenz, aber auch Industrielle gehören dazu. Im Januar bezieht die Akademie ihr «Berliner Büro» im einstigen «Preußenhaus». Mit Mitteln der Wirtschaft erwirbt Frank ihr dann ein prächtiges Gebäude am Leipziger Platz 15 und eröffnet später neben dem kleineren «Büro München» noch ein großes «Haus des Rechts» in der Münchner Ludwigstraße. Die Akademie veranstaltet «Vollsitzungen» und «Arbeitstagungen», meist in Berlin, sowie repräsentative Jahrestagungen in München. Sie gibt ein Jahrbuch, eine Schriftenreihe sowie die Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht und das Deutsche Recht heraus, in denen Schmitt zahlreiche Artikel veröffentlicht. Mit der Rechtswissenschaft wird aber auch die Akademie immer mehr zur bloßen Fassade und Kulisse. Als die Justizministerien der Länder an die Reichsleitung übergehen, wird Frank am 19. Dezember 1934 zwar zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich ernannt. Doch der Titel ist weitgehend Makulatur. Hitler regiert nicht im Kabinett. Nur selten nimmt Frank an Sitzungen teil. Vor allem sind seine Hoffnungen gescheitert, über die Akademie gesetzgeberischen Einfluss zu nehmen. Die Entscheidungen fallen weiterhin primär im Ministerium. Zwar ist ein indirekter Einfluss der Akademiearbeit über die Diskussionen, Entwürfe und Berichte da. Ein solcher externer Beratungseinfluss ist aber meist nur marginal. Die anfänglichen Hoffnungen auf eine maßgeb- │ S. 328 liche Mitwirkung bei der Gesetzgebungstätigkeit, wie Schmitt sie nach dem Reichsstatthaltergesetz hegen konnte, werden enttäuscht. Frank kompensiert zunehmend durch Personenkult.
33 Dazu die magistrale Arbeit von Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, 1988,3 . Aufl., München 2001
34 Dazu Wilhelm Kisch am 18.12.1934 an Schmitt (RW 265-7645); vgl. Susanne Adlberger, Wilhelm Kisch. Leben und Werk (1874-1952). Von der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg bis zur nationalsozialistischen Akademie für Deutsches Recht, Frankfurt 2007
35 Satzung der «Akademie für Deutsches Recht» § 2, in: Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1 (1933/34), 249; eingehend Hans Rainer Pichinot, Die Akademie für Deutsches Recht. Aufbau und Entwicklung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft des Dritten Reiches, Kiel 1981; Hans Hattenhauer, Die Akademie für Deutsches Recht (1933-1944), in: Juristische Schulung 26 (1986), 680-684
(R. Mehring 2009), S.326 -328
Die von mir durch Fettdruck hervorgehobenen Behauptungen Mehrings am Ende wären wichtig, wären sie wahr. Mehring bietet seinen Lesern für diese Behauptungen aber keinen Beleg an. Er hätte problemlos erneut auf die beiden Texte von Pichinot und Hattenhauer verweisen können. Dass er das unterlassen hat, ist vermutlich nur einer redaktionellen Schludrigkeit geschuldet: Der erste Teilsatz der Fußnote 35 ist ein passender Beleg für den Satz des Haupttextes, dem das Fußnotenzeichen 35 zugeordnet ist. Der zweite Teilsatz der Fußnote 35 wäre besser zum Inhalt einer eigenen Fußnote gemacht worden, deren Fußnotenzeichen hinter „Personenkult“ gesetzt hätte werden können.
Mehrings Wiedergabe der Aufgabe der AfDR ist hingegen unvollständig. Diese Unvollständigkeit führt den Leser in die Irre. Und sie verdankt sich keiner redaktionellen Schludrigkeit, da Mehring selbst im ersten Teilsatz der Fußnote 35 korrekt angibt, wo der Text der Satzung der AfDR veröffentlicht worden ist. Ich zitiere erneut § 2 der ersten Satzung der AfDR:
§ 2 Aufgabe der Akademie für Deutsches Recht ist, die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechtes und der Wirtschaft zu verwirklichen.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934)
Das zweite Konjunkt erwähnt Mehring in seiner Wiedergabe der Aufgabe der AfDR nicht. Satzungsimmanent ist es offenkundig das wichtigere der beiden Konjunkte.
Wenn Mehring § 2 der Satzung selbst gar nicht gelesen haben sollte, wäre das bedenklich. Wenn er § 2 der Satzung gelesen hat und absichtlich das wichtige Konjunkt nicht mitgeteilt hat, wäre das bedenklicher. Hätte er § 2 der Satzung vollständig zitiert, wäre seinen Lesern aufgefallen, dass nicht das Reichstatthaltergesetz Quelle für Carl Schmitts Hoffnung gewesen sein muss, Einfluss auf den NS-Gesetzgeber nehmen zu können. Als Gründungsmitglied der AfDR des Jahres 1933 hatte Carl Schmitt ja die satzungsgemäße Aufgabe, „in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechts und der Wirtschaft zu verwirklichen“. Ja, Carl Schmitt gehörte seit 1933 dem Führerrat der AfDR an. Es war seine Aufgabe, das nationalsozialistische Programm in enger Verbindung mit dem NS-Gesetzgeber zu verwirklichen.
Die Dissertation von Anderson (1982/87) erwähnt Mehring nicht. Da Mehring den sehr kurzen Text von Hattenhauer aus dem Jahre 1986 kennt, hatte er auch Kenntnis von der Existenz der Dissertation von Anderson. Gleich in der ersten Fußnote verweist Hattenhauer nämlich auf die Dissertation von Anderson: eine Kopie sei im Institut für Zeitgeschichte in München vorhanden. 1987 ist die Dissertation von Anderson in einer renommierten Reihe eines Verlages erschienen. Seit 1987 war sie über Universitätsbibliotheken und den Buchhandel problemlos beziehbar. Hätte Mehring die Monographie von Anderson zur Kenntnis genommen, hätte er seinen Lesern mitteilen müssen, dass Carl Schmitt zusammen mit Martin Heidegger Mitte der 1930-er Jahre Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gewesen ist.
Im vierten und letzten Druckabsatz von Mehrings Unterabschnitt über Hans Frank und die AfDR fände ich die Nebeninformation interessant, dass Carl Schmitt wiederholt Gast auf dem bayerischen Landsitz Hans Franks am Schliersee war, wenn das auch noch für die Zeit nach dem 8. Mai 1945 gelten würde. Leider habe ich nicht verstanden, ob Mehring das behaupten möchte. Da Mehring keinen Beleg für diese Behauptung angegeben hat, kann ich selbst die Quelle nicht konsultieren, um den Sachverhalt zu prüfen. Niklas Frank (1987) berichtet von keinem Besuch Carl Schmitts am Schliersee nach 1945.
Ohne Angabe eines Belegs behauptet Mehring ferner, dass Himmler Hans Frank 1942 „beinahe“ wegen Misswirtschaft und Korruption zu Fall gebracht habe. In anderen Sekundär-Darstellungen ist Hans Frank hingegen wegen seiner Reden an westdeutschen Universitäten zu Gunsten irgendeiner Form eines Rechtsstaates 1942 von Hitler persönlich entmachtet worden. Ich halte es für möglich, dass Hans Frank mit seinem Einverständnis 1942 von vielen seiner Aufgaben entbunden wurde, damit er sich auf die Erfüllung seiner Vernichtungsaufgaben als Generalgouverneur – zusammen mit dem neuen Reichsminister für die besetzten Ostgebiete und Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Alfred Rosenberg – konzentrieren konnte.
Die Behauptung Mehrings, dass die AfDR nach dem Wechsel zu Thierack und Rothenberger im August 1942 „gänzlich bedeutungslos“ wurde, ist ebenfalls nicht belegt.[115] Wenn man nur den Unterabschnitt Mehrings zu Hans Frank und der AfDR liest, weiß man eigentlich auch nicht, welcher angebliche „Aktivismus“ der AfDR durch den neuen Präsidenten Thierack „massiv“ eingeschränkt wurde. Hat die AfDR ihren „externen Beratereinfluss“ auf den NS-Gesetzgeber nach dem August 1942 „massiv“ eingeschränkt, aber vorher ausgedehnt – vermutlich aber erst nach Entmachtung Carl Schmitts?
Ich zitiere nun den vierten Absatz Mehrings:
[4] 1937 gibt es organisatorische Veränderungen. Carl August Emge36 übernimmt das Amt des Vizepräsidenten. Als Frank dann mit Kriegsbeginn «Generalgouverneur» von Polen wird, erhält Emge die Befugnisse des Präsidenten kommissarisch übertragen. Frank hält nun auf der alten Königsburg von Krakau verschwenderischen Hof. Er ist – wie Göring – ein skrupelloser Kunsträuber und entfaltet ein breites «Kulturleben». Leonardo da Vincis «Dame mit dem Hermelin» hängt in seiner Burg. Ständig ist er unterwegs. Gerne pflegt er den Rechtsbegriff. Die Macht im Generalgouvernement muss er sich mit der SS teilen. Himmler bringt ihn 1942 über Misswirtschaft und Korruption beinahe zu Fall. Hitler hält ihn zwar im Amt des Generalgouverneurs, entzieht ihm aber im August 1942 den Posten des Akademiepräsidenten. Thierack wird sein Nachfolger. Emge legt daraufhin das Amt des Stellvertreters nieder. Die Akademie reduziert nun massiv ihren Aktivismus37 und wird gänzlich bedeutungslos. Das Kriegsende erlebt Frank auf seinem bayerischen Landsitz am Schliersee, wo auch Schmitt wiederholt war. In der Nürnberger Haft schreibt er – Im Angesicht des Galgens38 – noch eine verlogene Selbstapologie, bekehrt sich zum Katholizismus und wird am 16. Oktober 1946 gehängt. Das ist der Mann, der bis Ende 1936 Schmitts wichtigster nationalsozialistischer Mentor wird. Schmitt macht sich nicht nur zum Komplizen eines skrupellosen Nationalsozialisten, sondern setzt auch aufs falsche Pferd. Sein «Etatismus» hätte ihm raten können, dass die Macht in den Reichsministerien verbleibt. Aber vielleicht ist er im Nationalsozialismus gar nicht «Etatist»?
36 Dazu vgl. Stefan K. Pinter, Zwischen Anhängerschaft und Kritik. Der Rechtsphilosoph C. A. Emge im Nationalsozialismus, Berlin 1996
37 Dazu vgl. Dr. Thierack, Zehn Jahre Akademie für Deutsches Recht, in: ZAkDR 10 (1943), 121 f.
38 Hans Frank, Im Angesicht des Galgens. Deutung Hitlers und seiner Zeit aufgrund eigener Erkenntnisse und Erlebnisse, München 1953
(R. Mehring 2009), S. 328
Dass Schmitt ein christlicher Reichstheologe spätestens nach seiner angeblichen Entmachtung Ende 1936 wurde, hatte bereits Andreas Koenen 1995 behauptet. In Teil IV werde ich darauf aufmerksam machen, dass nach 1939 in mindestens einem Fall in einem Text, der unter dem Namen Hans Franks veröffentlicht wurde, systematisch das Wort „Reich“ durch das Wort „Staat“ ersetzt worden ist. Es spricht einiges dafür, dass nicht nur Carl Schmitt es für geschickt erachtete, den tatsächlich wirkenden NS-Staat von einem kommenden Reich nachträglich begrifflich zu trennen: Die Ankunft des Reiches wurde verschoben.
Dass Mehring in der Fußnote 36 auf Pinters Dissertation über den Rechtsphilosophen Emge im Nationalsozialismus verweist, ist sehr irritierend, da Pinter auf Seite 59 mitgeteilt hat, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, Mehring das seinen Lesern aber nicht mitteilt. Es gibt vermutlich nur zwei Erklärungen für diesen Sachverhalt: Entweder hat Mehring Pinters Dissertation inhaltlich gar nicht zur Kenntnis genommen, täuscht aber eine Kenntnisnahme vor, oder er verschweigt seinen Lesern absichtlich, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Wieder ist die zweite Alternative bedenklicher.
2.10.5.3. Mehring über Kontakte Schmitts zu den anderen Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie nach 1934
In meinem Bericht über Koenens umfangreiches Schmitt-Buch von 1995 habe ich mitgeteilt, dass Koenen behauptet, dass Carl Schmitt eine christliche Reichstheologie nach seiner angeblichen Entmachtung 1936 durch die AfDR entwickelt habe. Ab 1940 habe Carl Schmitt Gefahr von Alfred Rosenberg gedroht. In seinem Nachwort hatte Koenen den Kontrast »christlicher Schmitt vs. anti-christlichen Schmitt-Feinden« noch um das Paar »Schmitt vs. Heidegger« ergänzt. Eine Notiz aus Schmitts Glossarium über Heidegger war die Grundlage dafür. Mehring entfaltet diesen angeblichen Kontrast zwischen dem Christen Schmitt und dem Nicht-Christen Heidegger weiter:
Anders als Heidegger geht er [Carl Schmitt; mw] aber hinter Hölderlin auf das Christentum zurück und lehnt letztlich die gesamte neuere «Ich-Philosophie»[116], den Idealismus und «Genialismus» ab.
(R. Mehring 2009), S. 50
Schmitt folgt dagegen der christlichen Sicht. Zwar mag man ein existentialphilosophisches Pathos heraushören: Heideggers «Sorge» um die Endlichkeit und das «Vorlaufen» in den Tod. Schmitts Sorge, seine Öffnung der Gegenwart für eine kontingente Zukunft, bindet die Möglichkeit der Offenheit aber an die Absage an fixe Berechenbarkeit unter der Idee der «Ewigkeit» und des «Gerichts». Diese Umstellung der Gegenwartswahrnehmung von der Vergangenheitsorientierung auf Zukunft wird in den folgenden Jahren [nach 1917; mw] rechtspolitische Konsequenzen haben.
(R. Mehring 2009), S. 100
Interessant ist auch folgende Auskunft Mehrings über Carl Schmitt und Viktor Bruns:
Schmitt entfaltete keinen extensiven Dissertationsbetrieb. Gleichwohl ist er in einen umfangreichen Prüfungsbetrieb eingespannt, zumal er auch die Volkswirte im öffentlichen Recht prüfen muss2 und seit Ende 19333? – mit dreimonatiger Pause nach dem Dezember 19364 – erneut nebenamtlich, auch in den Semesterferien, an Palandts Justizprüfungsamt des Kammergerichts5 – manchmal unter Freislers Vorsitz – als Mitglied tätig ist. Dutzende von Gutachten Schmitts betreffen nur diese zweite Staatsprüfung. Seine Promovenden sind oft scharfe Nationalsozialisten, die es bis in die «Kanzlei des Führers»6 bringen. Im Bereich der universitären Lehre ist der hohe Anteil ausländischer Studenten auffällig7 Auch thematisch schlägt sich das insbesondere in der Zusammenarbeit mit Viktor Bruns nieder: Viele Arbeiten sind geopolitischer oder auslandskundlicher Art. Einige ausländische Promovenden sind Diplomaten. Mladen Lorkovic wird später Innenminister des faschistischen Ustascharegimes [in Kroatien; mw].
22 Schreiben des Vorsitzenden des Prüfungsamtes für Volkswirte an der Universität Berlin vom 30.5.1934 an Schmitt (RW 265 -21545 Bl. 260)
3 Anna-Maria Gräfin von Lösch, Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933, Tübingen 1999, 189; Schreiben Palandts vom 29 .9.1934 an Schmitt (RW 265 -21545).
4 Schreiben des Justizministers vom 15.3.1937 an Schmitt (RW 265-21545 Bl. 98); die vorläufige Befristung auf fünf Jahre wird am 3.2.1942 über 1942 hinaus verlängert (RW 265-21545Bl. 2).
5 Umfangreiche Akten in: RW 265 -21545
6 So Gerichtsreferendar Horst Wolters (1913-?) im Lebenslauf seiner Promotion Der Rechtsbegriff Soldat, Diss. Berlin 1938; Wolters gibt im Lebenslauf an, dass sein Vater beim Volksgerichtshof arbeitet, dass er freiwillig Soldat wurde und inzwischen «in der Kanzlei des Führers tätig» ist; Promotion 1.12.1938; Erstgutachten Schmitt (4.4.1938); Schmitt übernimmt auch das Korreferat für den Höhn Schüler Justus Beyer, der 1941 als SS Sturmbannführer «zur Reichsleitung der NSDAP» abkommandiert ist (so Beyer im Lebenslauf seiner Dissertation Die Ständeideologien der Systemzeit und ihre Überwindung, Darmstadt 1941).
7 So dankt der siamesische Kapitänleutnant Pravis Sribibadhana im Sommer 1939 aus dem «Thai-deutschen Gemeinschaftslager in Kiel» dem Staatsrat. – Karte und Fotos RW 265 -21420; eine nachträgliche Promotion lehnt Schmitt am 15.1.1940 eingehend ab (RW 265-21421); Sribibadhana besuchte ihn in den 60er Jahren wiederholt (Briefe RW 265-1559 9/609). Weitere ausländische Studenten nach 1936 sind Wei Ren Feng (China), Cholam Reza Bahrami, Luciano Conti, Jaim e Quijano Caballero, Hsi Ming-Wang, Dr. Ancevicius (Litauen), Farhad Arasteh (Teheran). Kurzgutachten in: RW 265-21498
(R. Mehring 2009), S. 398
Dass Schmitt – zusammen mit Viktor Bruns – nach seiner angeblichen Entmachtung Promotionen betreute, die die erfolgreichen Promovenden sogar bis in die Kanzlei des Führers brachten, ist sehr interessant.
Trotzdem könnte es richtig sein, dass Carl Schmitt „an der Universität“ kritische Distanz zur „Höhn“-Schule wahrte, wie Mehring – Tilitzki folgend – behauptet:
Ende 1934 schon sieht Schmitt die juristisch-institutionelle Rechtfertigung des Nationalsozialismus an ein Ende gelangt. Von einem Rückzug aus der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft kann aber keine Rede sein. Schmitt konzentriert sich vielmehr auf die organisatorische Tätigkeit. Verschiedene Bühnen stehen ihm hier zur Verfügung: die Universität, die Akademie, der BNSDJ. So kann er seine Schüler in diversen Netzen unterbringen und fördern. Bis 1944 betreut er als Erstgutachter immerhin vier Habilitationen (Daskalakis, Franzen, Suthoff-Groß, Maiwald) und über │ S. 362 20 Dissertationen. An der Universität steht er in «kritischer Distanz» zur «Höhn-Schule» und kooperiert eng mit dem Völkerrechtler Viktor Bruns.13 Huber und Forsthoff rücken 1933 in wichtige Lehrstühle ein. Werner Weber wird 1935 Schmitts Nachfolger an der Handelshochschule und bleibt in Berlin – ab 1942 in Leipzig – in enger Verbindung.
13 So Christian Tilitzki, Carl Schmitt – Staatsrechtler in Berlin. Einblicke in seinen Wirkungskreis anhand der Fakultätsakten 1934-1944, in: Siebte Etappe, hrsg. v. Heinz-Theo Homann, Bonn 1991, 62-117
(R. Mehring 2009), S. 362
Dass Carl Schmitt und Viktor Bruns in der AfDR eng miteinander kooperierten, werde ich mehrfach belegen können.
Folgendes teilt Mehring über Kontakte zwischen Schmitt und Emge mit:
1937 verlegt er [Carl Schmitt; mw] die staatstheoretische Debatte in die Geschichte. Das Descartes-Jubiläum wurde international breit begangen. Man positionierte sich zum neuzeitlichen Rationalismus. Aus Anlass des 300. Jahrestages von Descartes’ Discours de la méthode hält Schmitt in Berlin einen Vortrag Der Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes und initiiert8 ein Themenheft des Archivs für Rechts- und Sozialphilosophie, das von Carl August Emge herausgegeben und von Otto von Schweinichen, dem Rechtsstaat-Disputanten, redaktionell betreut wird. Emge ist damals der engste Gesprächspartner und Gefährte in der Fakultät. Schmitt bezeugt ihm «Freundschaft und Verehrung»,9 dankt ihm «viele Gespräche schönsten Lichtes».10
8 Carl August Emge, Das Gedächtnis an Rene Descartes, in: ARSP 30 (1937), 465-466, hier: 465 Fn.
9 Widmung Schmitts Weihnachten 1937 an Emge; vgl. auch Schmitts Brief vom 19.4.1936 zum 50. Geburtstag Emges (Kopien erhielt ich freundlich aus dem Privatarchiv des Sohnes Prof. Martinus Emge)
10 Schmitt zum 21.4.1938 an Emge.
(R. Mehring 2009), S. 381
Günzel (2000) hatte behauptet, Schmitt und Emge seien keine Freunde gewesen. In Abschnitt 2.5. habe ich deswegen auf die Nähe zwischen beiden hingewiesen. Sie hatten höchsten eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob nach Erreichen des »braunen Paradieses« der Freund-Feind-Kontrast überwunden sein werde oder nicht.
Über Kontakte zwischen Carl Schmitt und Hans Freyer berichtet Mehring folgendes: Angeblich im Mai 1929 lernt Carl Schmitt Hans Freyer auf einer Tagung der Kant-Gesellschaft kennen:
Am 17 . April reist er [Carl Schmitt; mw] nach Berlin zurück. Dort trifft er seinen Tölzer Freund Krause mit Tochter Iser sowie Feuchtwanger. Am 22. April hält er einen Vortrag vor «Hoheiten» und lernt den jungen Theodor Eschenburgs59 kennen. Ende April ist er bei Eislers in Hamburg. Die Schulden belasten ihn: «Angst vor den Juden, Angst vor meinen Schulden» (29.4.1929). Im Sommersemester liest Schmitt über Staatslehre, Rechtswissenschaft und Völkerrecht. Er leidet unter seiner Sexualität und geht zu Huren, weil er die Wiederaufnahme der Beziehung zu Margot meidet. Er beginnt mit Studien zum «Pluralismus» und diktiert Annie Kraus seinen Vortrag Staatsethik und pluralistischer Staat für eine Tagung der Kant-Gesellschaft │ S. 234 in Halle.60 Schmitt lernt den Soziologen Hans Freyer kennen, dem er fortan verbunden sein wird. Über die Pfingsttage reist er nach Plettenberg und sucht ein Grab für Duška aus. Schmitt kehrt dann nach Halle zurück, wo er bei Bilfinger wohnt, und hält am 22. Mai seinen Eröffnungsvortrag zum Tagungsthema Staat und Sittlichkeit in der Aula der Universität. Es ist die Jubiläumsveranstaltung (zum 25. Geburtstag) der Kant-Gesellschaft.61 Bei der Festveranstaltung sitzt Schmitt neben dem alten Rudolf Stammler, dem Doyen der neueren Rechtsphilosophie.
59 Theodor Eschenburg, Also hören Sie mal zu. Geschichte und Geschichten 1904-1933 , Berlin 1995, 246 f.
60 Eine rumänische Übersetzung veranstaltete Corina Sombart.
61 Die Einladung erfolgte wahrscheinlich durch den Handelshochschul-Kollegen Arthur Liebert.
(R. Mehring 2009), S. 233 f.
1938 zog Freyer nach Budapest um. Zweimal habe Carl Schmitt dort Vorträge auf Einladung Freyers gehalten:
Am 30. April [1942; mw] fährt Schmitt per Nachtzug nach Budapest und hält dort auf Einladung Hans Freyers,78 des Präsidenten des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts, Vorträge über Verwaltung und Verwaltungsrecht sowie Völkerrechtliche Großraumordnung, um – laut Bericht – die «rechtsnihilistische Auffassung der heutigen Verwaltungsentwicklung» zu bekämpfen. Am 8. Mai fährt er zurück.79
78 Einladung Freyers vom 2.4.1942 an Schmitt (RW 265-4317); dazu Einladung des Dekans der Universität vom 22.4.1942 an Schmitt (RW 265-16112)
79 Seit dieser Zeit sind wieder stenographische Tagebücher erhalten: Tagebuch Mai 1942 bis März 1943 (RW 265-19602); Tagebuch Juli 1944 bis April 1945 (RW 265-19601)
(R. Mehring 2009), S. 412
Vom 5. bis 13. November [1943; mw] ist er erneut in Budapest. Er spricht auf Einladung Freyers107 im Deutschen Institut über die Wandlungen des völkerrechtlichen Kriegsbegriffs und dann in der Universität über Die heutige Lage der europäischen Rechtswissenschaft.108
107 Einladungsschreiben Hans Freyers vom 16.9.1943 an Schmitt (RW 265-2856), das sich auf eine Absprache bei einem Berliner Treffen im Juli bezieht. Bericht Schmitts vom 2.12.1943 in: Universitätsarchiv der HUB PA Carl Schmitt 159/a Bl. 74/77
108 Einladungsschreiben und stenographische Disposition des LERW-Vortrags in: RW 265-21554
(R. Mehring 2009), S. 415
Auch nach der Endniederlage habe Carl Schmitt (1952) in Hans Freyer (1948) einen Verwandten im Geiste gesehen:
Er [Carl Schmitt; mw] betont dann [in (Schmitt, Die Einheit der Welt 1952), S. 5; mw], dass die urchristliche «Erwartung» nicht in «eschatologische Lähmung» führen musste, weil Paulus die Vorstellung einer Kraft kannte, den «Kat-echon», der «das Ende aufhält und den Bösen niederhält» (HBCS[117] 164). Selbst Luther noch habe im alten «Reich» diese Kraft gesehen; erst Calvin verschob sie auf die bloße «Predigt des Wortes Gottes». Im neueren Konservatismus sei die «Vorstellung haltender und aufhaltender Kräfte und Mächte» dann fast gänzlich säkulari- │ S. 477 iert, doch immerhin sei sie in Hans Freyers Weltgeschichte Europas116 noch wirksam. Ein wirklich christliches – epimetheisches und «marianisches» – Geschichtsbild findet Schmitt als dritte Möglichkeit damals bei seinem katholischen Dichter Konrad Weiß.
116 Hans Freyer, Weltgeschichte Europas, Wiesbaden 1948
(R. Mehring 2009), S. 476 f.
Obwohl Mehring die Dissertation von Pinter (1994) kennt, teilte er 2009 seinen Lesern nicht mit, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Mehring (2009) verharmloste die AfDR durch Halbierung ihrer satzungsgemäßen Aufgabe. Mehring behauptet, die Distanzierung des »Werks Schmitt« vom Nationalsozialismus habe bereits 1934 stattgefunden.
2.10.6. Stefan Breuer: „Carl Schmitt im Kontext. Intellektuellenpolitik in der Weimarer Republik“ (2012)
Da sich Stefan Breuer mit Carl Schmitt während der Weimarer Republik befasst, muss er eine Mitgliedschaft Schmitts im Ausschuss für Rechtsphilosophie, der erst im Mai 1934 konstituiert worden ist, nicht thematisieren. Breuer tut das auch nicht. Hätte er es getan, hätte er einen interessanten Leitfaden gehabt, Kontakten Schmitts zu den anderen Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie, insbesondere zu den 12 Mitgliedern der Jahre 1941 bis 1943, nachzuspüren. Ich bin dieser Spur gefolgt und habe so interessante Ergebnisse erzielt (siehe Teil II).
Von den mich besonders interessierenden elf anderen Personen des Ausschusses für Rechtsphilosophie nach dem 17. Juli 1941 hat Stefan Breuer nur Hans Freyer als Kontaktperson Schmitts vor 1933 behandelt. Die von Breuer präsentierten Informationen über den Kontakt Schmitt-Freyer in der Weimarer Republik sind für meine Aufklärung über de akademischen Nationalsozialismus nicht interessant. Zitierwürdig ist, dass Carl Schmitt Hans Freyer für einen »Hegelianer« gehalten hat:
Noch 1932, in Legalität und Legitimität, erinnerte er mit deutlicher Zustimmung an „die Formel des großen Verfassungskonstrukteurs Sieyes: Autorität von oben, Vertrauen von unten“.27 Kein Zweifel, in Sieyes sah Carl Schmitt, der jedes Buch auf einen Schlüsselsatz abzuklopfen pflegte, einen maître penseur, in dessen Werken sich das Zauberwort finden ließ, auf das die moderne Revolution hörte. Die Revolution gewinnen, das hieß demgemäß: Sieyes lesen und so zu wenden, daß daraus eine andere Revolution resultierte. Mit Blick auf Hans Freyer hat der späte Schmitt einmal von der ,anderen Hegellinie‘ gesprochen, für die Freyers Werk stehe.28 Seine eigene kontinuierliche Beschäftigung mit Sieyes läßt sich als Bemühung um eine , andere Sieyeslinie‘ verstehen. Um ihr folgen zu können, bedarf es zunächst einer Rekapitulation der wichtigsten Ideen von Sieyes.
27 Vgl. Schmitt, Legalität und Legitimität (1932), in: Schmitt 1973, S. 340 f.
28 Vgl. Schmitt, Die andere Hegel-Linie. Hans Freyer zum 70. Geburtstag, in: Christ und Welt 10, Nr. 30 vom 25.7.1957. – Schmitt kannte Freyer seit der Tagung der Kant-Gesellschaft in Halle 1930. In seinem Vortrag nahm Freyer Bezug auf Schmitts Bestimmung des Politischen über die Gebietskonzeption und das Freund-Feind-Verhältnis und bescheinigte ihr „Treffsicherheit“ und „Gegenwartsgültigkeit“ (Freyer, Ethische Nonnen und Politik, S. 108, 105), was Schmitt erfreut registrierte (Tagebücher 1930 bis 1934 (2010], S. 44, Eintrag vom 13.7.1930). Weniger erfreut dürfte er darüber gewesen sein, daß Freyer dieses Verhältnis als „Wertgegensatz“ deutete und Schmitts Definition unterstellte, sie setze „offensichtlich und mit vollem Bewußtsein“ einen „geistigen Gehalt, den es zu vertreten gelte , voraus. Politik sei die „geschichtliche Verwirklichung eines Kulturgehalts“, der Staat habe seinen „Sinn in der geschichtlichen Vertretung eines geistigen Wertganzen.“ (Freyer, Ethische Normen und Politik, S. 105). Wie sehr solche Formeln in der Tradition des deutschen Idealismus standen, entging Schmitt nicht. Der Aufnahme einer Gelehrtenfreundschaft hat diese Differenz allerdings nicht im Weg gestanden. Ein Jahr später war Schmitt in Freyers soziologischem Seminar zu Gast und wurde auch später mehrmals von ihm eingeladen (vgl. die Hinweise bei Mehring, Carl Schmitt, S. 233 f., 412, 415, 477 f., 489 u. ö.). In der Revolution von rechts übernahm Freyer die Gegenwartsdiagnosen aus dem Hüter der Verfassung (der Staat als Selbstorganisation der in sich pluralistischen Gesellschaft), wofür Schmitt sich im Gegenzug die Freyersche Formel zu eigen machte, derzufolge nicht die Planenden herrschen, sondern die Herrschenden planen sollten. Vgl. Freyer, Revolution von rechts, S. 60; Herrschaft und Planung, S. 22; Schmitt, Machtpositionen des modernen Staates (1933), in; Schmitt 1973, S. 371
(Breuer 2012), S. 49
Die anderen zehn Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie werden von Breuer nicht ein einziges Mal erwähnt.
2.10.7. Volker Neumann (2015) erwähnt den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht
Erstmalig hat Volker Neumann 1980 eine Monographie über Carl Schmitt veröffentlicht. Es handelt sich um seine Gießener Dissertationsschrift im Fachbereich Rechtswissenschaft: (Neumann, Der Staat im Bürgerkrieg; 1980). Trivialerweise konnte Neumann 1980 die Dissertationen von Pichinot (1981) und Anderson (1982/1987) über die AfDR noch nicht kennen.
2015 befasst sich Neumann mit Schmitt als Juristen – ausdrücklich u.a. in Absetzung von Carl Schmitt als Rechtsphilosophen.[118] In seinem Haupttext geht Neumann dann aber auch auf die Texte in Schmitts Gesamtwerk ein, die wesentlich auch rechtsphilosophisch sind.[119] Deswegen ist es bedauerlich, dass Neumann nicht wusste, dass Carl Schmitt Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Die Sekundärtexte Anderson (1982/87), Pinter (1994), Günzel (2000) und Tilitzki (2003) erwähnt Neumann (2015) nicht. Die Dissertation Pichinots über die AfDR erwähnt Neumann 2015 allerings auf zwei verschiedenen Seiten. Bei seiner zweiten Bezugnahme übernimmt Neumann aus Pichinot (1981) den Wortlaut eines Briefes von Koellreutter an Werner Weber vom 12. Juni 1937, der gegen Carl Schmitt gerichtet ist: es mangle Schmitt an Fronterfahrung, so Koellreutter.[120] Ich zitiere nun Neumanns erste Bezugnahmen auf Pichinot:
Die kurze Amtszeit als bayerischer Justizminister war kein gleichwertiger Ersatz [für Hans Frank; mw], auch nicht die Berufung zum „Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz in den Ländern und für die Erneuerung der Rechtsordnung“.15 Im Sommer 1933 gründete er die „Akademie für Deutsches Recht“, deren Präsident er wurde und in der Schmitt alsbald Karriere machen sollte.16 Frank häufte Ämter an und sammelte Titel, ohne aber eine wirkliche Machtposition in der Führungsriege der Nazis zu erlangen.17 Das änderte sich 1939, als ihn Hitler zum Generalgouverneur von Polen ernannte.
15 Frank verlor diese staatlichen Ämter mit der Überleitung der Justizverwaltung auf das Reich Ende 1934. Pichinot, Akademie, S. 45 f.
16 Zur Gründung der Akademie, Pichinot, Akademie, S. 7-15; Schenk, Frank, S. 97f. Zur Abgrenzung der „Akademie“ vom „Reichsrechtsamt der NSDAP“ und dem „Nationalsozialistischem Rechtswahrerbund“ Schenk, Frank, S. 117.
17 „Die Größe des gesamten aufgeblähten Apparats stand im Widerspruch zu seiner Effizienz, diente Franks Selbstbestätigung und seinem fast suchtartigen Drang, sich an die Spitze von Institutionen zu setzen“. Schenk, Frank, S. 117. Skeptisch zur Arbeit der Akademie auch Pichinot, Akademie, S. 150.
(Neumann 2015), S. 307
Volker Neumann hat sich bezüglich der Ämter, die Carl Schmitt nach 1933 inne hatte, auf eine Sekundärdarstellung aus dem Jahr 1988 verlassen, die ich noch nicht eingesehen habe:
25 Lauermann, Versuch (1988), S. 37 hat die Ämter, die Schmitt nach 1933 erhalten hat, aufgelistet: Preußischer Staatsrat 1933-1945; Mitglied der Akademie für Deutsches Recht; Mitglied des „Führerrats“ der Akademie, Ausschuss-Vorsitzender Staats- und Verwaltungsrecht (bis 1936); Mitglied im BNSDJ; Reichsfachgruppenleiter Fachgruppe Hochschullehrer (bis 1936); Mitglied der NSDAP; Mitglied der Hochschulkommission des Stellvertreters des Führers (1934-36); im BNSDJ ab 1935 Leiter der Wissenschaftlichen Abteilung; Herausgeber der DJZ 1934-1936; ab 1933 Herausgeber der Schriftenreihe „Der Deutsche Staat der Gegenwart“, in der 20 Bände erschienen sind.
(Neumann 2015), S. 308
Bezüglich der vermeintlichen Entmachtung Carl Schmitts im letzten Quartal des Jahres 1936 schließt Neumann sich grundsätzlich dem Forschungsstand an. Er folgt der Auffassung, die meines Wissens erstmalig Andreas Koenen (1995) vertreten hat, dass im letzten Quartal 1936 die SS erfolgreich eine (Teil-)Übernahme der AfDR bewerkstelligt habe. Neumann verweist auf weitere Primärquellen und andere Sekundärmeinungen. Den Sekundärtext kenne ich, die Primärquelle nicht:
Hans Frank hatte bereits am 5.12.1936 im SD anrufen und mitteilen lassen, dass Schmitt künftig „in keinerlei amtlicher Stellung, weder im Rechtswahrerbund noch in der Akademie verwendet“ werde.638 Auf den zweiten Artikel [gegen Schmitt, der im Dezember 1936 in der SS-Zeitschrift „Das Schwarze Korps“ erschien; mw] reagierte er sofort. Am 11. Dezember 1936 schrieb er an d’Alquen, dass die im „Schwarzen Korps“ vorgetragenen Angriffe nur das wiederholen, was jüdische Emigranten wie Waldemar Burian (!) und Fiala seit langem in der „Hetzpresse des Auslandes“ vortragen.639 Er, Frank, halte es für seine „kameradschaftliche Anstandspflicht“ gegenüber Schmitt, ihn, also d’Alquen, darauf hinzuweisen. Der Brief ist sehr zurückhaltend, ja fast schon devot formuliert. Frank schickte am gleichen Tag eine Abschrift dieses Briefes an den „lieben Parteigenossen Himmler“, wobei er auf die maschinenschriftliche Anschrift handschriftlich hinzufügte: „Ich habe Staatsrat Schmitt ohnedies zum 1. Januar aller Ämter entbunden“.640 Das war eine Kapitulationserklärung641, auf die Himmler erst am 5.1.1937 mit der süffisanten Erklärung antwortete, dass er die Ansicht des │ S. 414 „Schwarzen Korps“ teile und sich um so mehr freue, dass Frank wohl aus ähnlichen Erwägungen Schmitt seiner Ämter enthoben habe. Im Übrigen wisse er zu würdigen, dass Frank einen langjährigen Mitarbeiter in der Öffentlichkeit nicht angreifen lassen wolle.642 Ganz anders reagierte Göring. In scharfem Ton forderte er die Schriftleitung zur Einstellung der Angriffe auf, ohne auf ihre Berechtigung einzugehen, und verlangte eine geeignete Notiz in der nächsten Nummer der Zeitschrift.643
638 BArch R 58/854, fol. 11. Dass Frank schon auf den ersten Artikel im „Schwarzen Korps“ so scharf reagiert, lässt sich nicht nur mit den darin geäußerten Vorwürfen erklären. Aus der SD-Akte ergibt sich, dass Schmitt nach der Tagung über das „Judentum in der Rechtswissenschaft“ versuchte, sich aus dem Streit Gürtner – Frank herauszuhalten, was Frank nicht verborgen geblieben sein kann und was er als Treuebruch gewertet haben könnte. BArch R 58/854, fol. 259, 263.
639 BArch R 58/854, fol. 70 f.
640 BArch R 58/854, fol. 69.
641 Lösch, Geist, S. 463 f. erklärt das Verhalten Franks mit seiner Absicht, über die Errichtung eines „Ausschusses für Polizeirecht“ ein Bündnis der Akademie für Deutsches Recht mit der SS zu schmieden. Belegt ist dieses Bündnis in einem Vermerk von Höhn: BArch R 58/854, fol. 258 (!). [Koenen hatte in seiner Fußnote 401 auf folgenden Beleg verwiesen: „Vgl. den Aktenvermerk über die Mitteilung aus Abteilung II/2 vom 07.11.1936: BA/R 58 Nr. 854, Bl. 279.“; mw]
642 BArch R 58/854, fol. 68.
643 BArch R 58/854, fol. 61 als Abschrift.
(Neumann 2015), S. 413
Da Neumann von der Existenz des Ausschusses für Rechtsphilosophie nichts weiß, schätzt er die Beziehung zwischen Viktor Bruns und Carl Schmitt und auch einen Text von Viktor Bruns vom Mai 1942 wahrscheinlich falsch ein. Ich selbst kenne weder die Darstellung Huecks noch dessen Primärbeleg.
Nach dem Wechsel an die Berliner Juristenfakultät wurde er [Carl Schmitt; mw] auf Vorschlag von Viktor Bruns zum wissenschaftlichen Berater des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht gewählt und firmierte als Mitherausgeber der renommierten Institutszeitschrift. Allerdings hatte er nach eigener Aussage ab 1936 auf diese Zeitschrift keinen Einfluss mehr genommen und auch keinen Aufsatz veröffentlicht. In den Jahren der Etablierung des NS-Regimes war Schmitt mit staatsrechtlichen Hilfsdiensten ausgelastet und publizierte nur selten zum Völkerrecht; die einzige nennenswerte Ausnahme ist die 1934 erschienene Broschüre „Nationalsozialismus und Völkerrecht“. Das änderte sich mit seinem Karriereknick im Jahre 1936. Erstaunlich ist, dass er auch weiterhin die Zeitschrift des KWI als Publikationsort mied und sich auch nicht erkennbar an der Arbeit des Instituts beteiligte. Vielleicht lag diese Abneigung an der Präsenz seines Intimfeindes Kaufmann, der bis zu seiner Emigration in die Niederlande im Jahre 1939 einen Arbeitsplatz im KWI hatte. Vielleicht lag es aber auch daran, dass die „in der Wolle gefärbten“ Völkerrechtler des KWI Schmitt spüren ließen, dass er ein Außenseiter war, der eigentlich nicht zu ihnen gehörte. Dafür spricht, dass Viktor Bruns im Mai 1942 eine Art wissenschaftspolitisches Testament verfassen wird, in dem er „Staatsrat Schmitt“ als seinen Nachfolger ausschließen wird.18
18 Text und Fundstelle bei Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 523: „Im Falle meines Ablebens kommen m. E. als Nachfolger in der Leitung des Instituts nur Professor Bilfinger, Graf Stauffenberg oder Professor Scheuner in Frage. … Meines Erachtens kommen nicht in Frage Professor Walz, der weder nach der persönlichen noch nach der sachlichen Seite den Aufgaben des Instituts gewachsen ist, noch Professor Ritterbusch oder Staatsrat Schmitt“.
(Neumann 2015), S. 420
Es ist schade, dass Volker Neumann in Carl Schmitt als Jurist (2015) noch nicht wusste, dass Carl Schmitt und Viktor Bruns Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind.
2.11. Ergebnis: Forschungsstand über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Die Dissertation von Anderson über die Akademie für deutsches Recht hat bereits 1982 zwei wichtige Erkenntnisse über den Ausschuss für Rechtsphilosophie anhand nicht-veröffentlichter Archivquellen ermittelt:
- Mitte der 1935-er Jahre waren Carl Schmitt und Martin „Heidigger“ zusammen mit Alfred Rosenberg Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, dessen Vorsitzender Hans Frank gewesen ist.
- Der Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR existierte von 1934 bis 1943.
Seitdem die Dissertation von Anderson 1987 verlegt worden ist, sind diese wichtigen Forschungsergebnisse für die akademischen Fachwelten problemlos zugänglich gewesen.
Viktor Farías (1987/89) ist es zu verdanken, dass ein deutlich größerer Leserkreis Kenntnis vom Ausschuss für Rechtsphilosophie und seinen prominenten Mitgliedern erhielt. Farías gab an seine Leser Informationen aus der zeitgenössischen Zeitungsberichterstattung über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Mai 1934 wieder. Dank dieser Wiedergabe erfuhren seine Leser, welche Personen Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren. Farías gab dabei den Schreibfehler („Schmidt“ statt „Schmitt“) der Zeitungsberichterstattung an seine Leser weiter:
An der konstituierenden Sitzung dieses Ausschusses, die im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand, nahmen (als Gründer und Vorsitzender) der Reichsjustizkommissar Dr. Hans Frank sowie Vertreter der Verwaltung und der nationalsozialistischen Intelligenz teil. Geschäftsführender Vorsitzender war Prof. Emge (Jena). Anwesend waren außerdem Geheimrat Kisch (München), Reichsleiter Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai und Staatsrat Schmidt. Dem Ausschuß gehörten ferner an die Professoren Heidegger (Freiburg), Rothacker und Naumann (Bonn), Freyer (Leipzig), Baron von Uexküll (Hamburg), Geheimrat Stammler (Berlin), Binder (Göttingen), Geheimrat Heymann (Berlin), Jung (Marburg), Bruns (Berlin) sowie Dr. Mikorey (München).
(Farías 1989), S. 277
Erstmalig erfuhren Leser auch etwas über die Inhalte der nationalsozialistischen Rechtsphilosophie, die der Ausschuss entwickeln sollte, da Farías aus der Eröffnungsrede Hans Franks zitierte:
»Wir in unserem engen Kreis […] wollen die Sammlung der volksbetonten allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln. […] Der Durchbruch der Rechtsphilosophie heißt daher: Feierlich Abschied nehmen von der Entwicklung einer Knechtsphilosophie im Dienste undeutscher Dogmen. Lebensrecht und nicht Formalrecht soll unser Ziel sein. […] Wir machen deshalb Schluß mit dem Begriff des Gelehrtentypus, dessen Wert darin lag, daß er weltfremd war. […] In │ S. 279 diesem Sinne bitte ich, daß der Ausschuß sich als ein Kampfausschuß des Nationalsozialismus konstituiert.«
(Farías 1989), S. 278 f.
Die unverlegte Dissertation von Stefan K. Pinter über den Rechtsphilosophien Emge aus dem Jahr 1994 informierte einen kleinen Kreis von Akademikern beiläufig darüber, dass der Name von Carl Schmitt auf irgendeiner Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie in einer Akte Emges auftauche. Pinter bezog sich nicht korrigierend auf Farías. Auch fügte er seiner Dissertationsschrift keine Kopie dieser Mitgliederliste bei. Leser durften es deswegen für möglich halten, dass Pinter und nicht Farías den Namen Schmi?? falsch wiedergegeben hatte.
In einem Aufsatz aus dem Jahr 2000 über einen rechtsphilosophischen Text Emges behauptet Stephan Günzel beiläufig, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Sein Versuch, das anhand der Akte Emges, die bereits Pinter (1994) berücksichtigt hatte, zu belegen, war aufgrund einer hohen Fehlerquote nicht erfolgreich.
Erst Christian Tilitzki ist es 2003 mit wissenschaftlichen Methoden gelungen nachzuweisen, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie vor 1935 gewesen ist.
Keine einzige Sekundärliteratur zu Carl Schmitt, die ich überprüft habe, informiert ihre Leser darüber, dass Carl Schmitt zu irgendeinem Zeitpunkt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gewesen ist. Auch nicht die Schmitt-Sekundärliteratur, die nach 2003 erschien.
Dank der Forschungsarbeit von Emanuel Faye (2005/2009) wissen wir, dass Heidegger sich spätestens im Wintersemester 1934/35 mit nationalsozialistischen Schriften Carl Schmitts und Ernst Forsthoffs auf dem Boden des Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat. Das geht aus zwei Mitschriften von Studenten aus dem Seminar Heideggers über Hegels Rechtsphilosophie vom Wintersemester 1934/35[121] hervor, die Faye im Literaturarchiv Marbach gefunden hatte. Leser von Faye (2005/2009) erhielten einen Einblick in die »weltanschauliche« Arbeit Heideggers, die dieser anfänglich für den „Kampfausschusses des Nationalsozialismus“ geleistet hat. Diesen Erkenntnisgewinn nahm Faye als Wissenschaftler zum Anlass, nach Spuren einer Kooperation Heideggers mit Schmitt vor 1933 zu suchen. Seine Suche ergab zusätzlich Kontakte zu Erich Rothacker, der ebenfalls noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Mit den Ursprüngen des akademischen Nationalsozialismus beschäftige ich mich selbst in Teil II.
3. Die Gründungsphase des Ausschusses für Rechtsphilosophie von März bis Mitte Juni 1934 gemäß einer Akte Emges (GSA 72/1588)
Tilitzki (2003) gehört der Ruhm, als erster wissenschaftlich nachgewiesen zu haben, dass Carl Schmitt vor 1935 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Tilitzki hatte die Information in einem Text von Emge gefunden, der im „Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung“ 1935 veröffentlicht worden ist.
Pinter (1994) und Günzel (2000) waren vor Tilitzki zu einem ähnlichen Ergebnis anhand einer Akte Emges gekommen, die dieser während seiner Zeit als wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs über den Ausschuss für Rechtsphilosophie angelegt hatte. Sie haben dieses Ergebnis aber nicht ausreichend belegt.
Die Akte Emges, die Pinter (1994) und Günzel (2000) herangezogen haben, ist im Besitz des Goethe- und Schiller-Archivs (GSA). Ihre Signatur lautet: GSA 72/1588.
Ich werde nun zeigen, dass diese Akte Emges zweifelsfrei belegt, dass Carl Schmitt vor dem 19. Mai 1934 zu den Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehört hat: Am 19. Mai 1934 übermittelte Professor Emge als stellvertretender Vorsitzende des Ausschusses für Rechtsphilosophie dem Generaldirektor der AfDR Dr. Lasch eine Namensliste von achtzehn Personen, für die Berufungsurkunden ausgestellt werden sollten. Die Übergabe der Urkunden sollte auf der zweiten Sitzung des Ausschusses am 26. Mai 1934 erfolgen. Carl Schmitts Name ist auf dieser Liste aufgeführt.
Darüber hinaus ist es sehr wahrscheinlich, dass Carl Schmitt bereits vor der Eröffnungssitzung am 3. Mai 1934 zu den Mitgliedern des Ausschusses gehörte, denen vorab von Emge mitgeteilt worden ist, dass sie in den Ausschuss für Rechtsphilosophie berufen worden seien. Da Carl Schmitt in seinem Antwortschreiben vom 21. April 1934 das Wort „Berufung“ nicht verwendet, ist es jedoch denkbar, dass er zur Eröffnungssitzung nur als Gast eingeladen worden ist. Eine dreiseitige, handschriftliche Planung der Eröffnungssitzung führt den Namen Carl Schmitt aber unter der Charakterisierung „Berufungsschreiben an“ auf, so dass man davon ausgehen darf, dass auch Carl Schmitt im März 1934 ein Berufungsschreiben in den Ausschuss für Rechtsphilosophie erhalten hat.
Unter dieser Annahme darf folgendes aufgrund der Informationen der Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie gefolgert werden: Alle zwölf Personen, die nach dem 17. Juli 1941 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren, gehörten 1934 zu seinen Gründungsmitgliedern.
Anfänglich hatte der Ausschuss für Rechtsphilosophie 18 Mitglieder, wenn man Hans Frank und Carl August Emge als Mitglieder zählt. Um die sechs Personen vorzustellen, die 1941 nicht mehr dabei waren, nutze ich wieder das Senioritätsprinzip. Zwei der sechs Personen sind vor 1941 gestorben. Das kann, muss aber nicht erklären, weshalb sie 1941 nicht mehr dabei waren.
- Prof. Dr. Rudolf Stammler (1856-1938)
- Jakob Johann Baron von Uexküll (1864-1944)
- Rechtsanwalt Walter Luetgebrune (1879-1949)
- Prof. Dr. Julius Binder (1870-1939)
- Prof. Hans Naumann (1886-1951)
- Ministerialdirektor Dr. jur. Helmut Nicolai (1895-1955)
Das mir bekannte Drittel der Akte Emges bietet darüber hinaus Indizien, wie Emge als stellvertretender Vorsitzender sich selbst und den Ausschuss für Rechtsphilosophie im Konflikt zwischen Röhm und Hitler wenige Tage vor dem »Röhm-Putsch« im Juni 1934 positionierte.
Was immer genau geschehen ist, eines ist bereits jetzt klar: kein Dauermitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie ist einer der mindestens zwei »inneren Säuberungswellen« (1934 und 1944) des Nationalsozialismus zum Opfer gefallen.
3.1. Basisinformationen über die Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie:
Die Akte Emges, die Stefan K. Pinter 1994 berücksichtigt hat, ist im Besitz des Goethe- und Schiller-Archivs (GSA). Sie wird von diesem Archiv unter der Signatur „GSA 72/1588“ geführt und so charakterisiert: „Tätigkeit Emges im Ausschuß für Rechtsphilosophie an der Akademie für deutsches Recht“.
Laut schriftlicher Auskunft vom 7. Januar 2019 von Frau Christiana Herrgott, die für den Benutzerdienst des Goethe- und Schiller-Archivs arbeitet, umfasst die Akte 160 Blatt. Teilweise seien beide Seiten des Blattes beschrieben. Erst nachdem Stefan K. Pinter die Akte eingesehen habe, seien die Blätter foliiert, d.h. mit Seitenzahlen versehen worden. Laut schriftlicher Auskunft von Frau Herrgott vom 9. Januar 2019 erfasst die Akte GSA 72/1588 den Zeitraum von 1934 bis 30. Juli 1934.
3.2. Informationen zur Eröffnungssitzung am 3. Mai 1934
Nach Auskunft von Frau Herrgott befinden sich mehrere Mitgliederlisten des Ausschusses für Rechtsphilosophie in dieser Akte Emges:
Mitgliederlisten befinden sich erst handschriftlich dann maschinenschriftlich auf Blatt Nr. 12, 27, 35-38, 80-83 und 126-129. Teilweise ist das jeweilige Datum auf der Liste vermerkt, teilweise durch den zuvorliegenden Brief ersichtlich.
(Herrgott 2019)
Ich bin seit Januar 2019 in Besitz von Kopien all dieser Blätter und kann deswegen über sie berichten. Über die Gesamtakte kann ich nicht abschließend berichten, da ich nur im Besitz von Kopien von 50 der 160 Blätter der Akte Emges bin. Da in den mir bekannten Blättern auf das Beilegen von Zeitungsberichten hingewiesen wird, vermute ich, dass sehr viele der mir unbekannten Blätter die Zeitungsartikel über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie sind. Diese Zeitungsartikel kenne ich zumindest teilweise und stelle sie in meinem Abschnitt 4 vor.
3.2.1. Das getippte Berufungsschreiben vom 26. März 1934
Die grundsätzlich chronologisch geordnete Akte Emges beginnt mit einem maschinenschriftlichen Schreiben vom 26. März 1934, das einem namentlich nicht genannten Doktor dessen Berufung in den Ausschuss für Rechtsphilosophie und eine Einladung zur Eröffnungssitzung am 3. Mai 1934 mitteilt. Oben in der Mitte ist handschriftlich der Ausruf „Berufungsschreiben“ notiert worden.
Max Mikorey war Arzt und 1934 eindeutig noch kein Professor. Das zweite Blatt der Akte ist ein Antwortschreiben Mikoreys. Demnach ist Blatt 1 mit großer Wahrscheinlichkeit eine Zweitausfertigung des Berufungsschreibens von Emge an Mikorey, das zu Aktenführungszwecken erstellt worden ist.
Ich zitiere nun das Berufungs- und Einladungsschreiben Emges.
Berufungsschreiben!
Stiftung
Nietzsche-ArchivWeimar, d. 26.3.34
Hochgeehrter Herr Doktor!
Im Namen von Herrn Reichsjustizkommissar Minister Dr. Hans Frank habe ich die Ehre, Sie hiermit zum Mitglied des in der Akademie für Deutsches Recht errichteten Ausschusses für Rechtsphilosophie zu berufen. Gleichzeitig lade ich Sie zu der Eröffnungssitzung am 3. Mai nachmittags 4 Uhr in den Räumen des Nietzsche-Archivs zu Weimar ein. Die Tagesordnung füge ich bei.
Mit deutschem Gruß und Heil Hitler!
Stellvertretender Vorsitzender des
Ausschusses für Rechtsphilosophie in der
Akademie für Deutsches Recht
Um Verzögerungen zu vermeiden, erbitte ich alle Antworten unter der Anschrift „an das Büro des Nietzsche-Archivs, Weimar, Luisenstr. 36, betr. Akademieausschuss für Rechtsphilosophie“●
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 1
3.2.2. Die handschriftliche Planung für den 3. Mai 1934 (Blätter 35 und 36)
Im unteren Drittel von Blatt 35 der Akte Emges gibt es einen handschriftlichen Entwurf des soeben präsentierten getippten Berufungsschreibens. Diesem Entwurf des Berufungsschreibens geht eine Liste von 16 Namen unter der Überschrift „Berufungsschreiben an“ vorher. Das Blatt beginnt mit einer vorläufigen Tagesordnung.
Ich gebe den Text von Blatt 35 wieder, der sich vor dem Entwurf des Berufungsschreibens wieder – soweit ich den Text entziffern konnte.
1. Vorläufige Tagesordnung:
Eröffnungssitzung des rph. Ausschusses der Akad. f. Deutsches Recht im Nietzschearchiv zu Weimar, Luisenstr. Donnerstag den 3. Mai 1934 nachm. 4 Uhr
Vorläufige Tagesordnung.
1. Begrüßung ????????????????? Elis. F. N.
2. Eröffnungsrede durch den Reichsjustizkommissar Minister Hans Frank
3. ??? des Reichsführers Alfred Rosenberg
4. Referat des stellvertretenden Vorsitzenden Prof. C. A. Emge über das Thema „welche Aufgabe stellt die n.s. Bewegung der Rechtsphilosophie“
5. Bildung der Arbeitsgemeinschaft in Anwesenheit des Reichsführers
6. Reflexion über die akadem. Bedeutung der
Philos.(ersetzt durch: Rphi) im dritten ReichVorsitzender: Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank
Stellver. Vorsitzender: […] Prof. Emge
2. Berufungsschreiben an
Mitglieder
1 1. Reichsleiter Rosenberg, Berlin, Völkischer Beobachter, Zimmerstr. 4 2. Prof. Dr. Heidegger, Rektor d. Univ. Freiburg 5 3. Prof. Dr. Erich Rothacker, Bonn 6 4. Geh. Rat Stammler, Wernigerode-Harz 7 5. Prof. Binder – Göttingen 2 6. Minist. Direktor Dr. Nicolai[122], Reichsinnenministerium Berlin 3 7. Staatsrat Prof. Carl Schmitt – Berlin, Universität 8 8. Geheimrat Prof. Dr. Ernst Heymann, Berlin [+ Adressangabe] 9 9. Professor Dr. Erich Jung – Marburg 10 10. Professor V. Bruns, Leiter des …, Berlin; Mitglied … in Haag 11 11. Prof. Dr. Hans Freyer, Leiter des …., Leipzig 12 12. Professor Baron v. Uexküll – Hamburg 13 13. Professor Hans Naumann, Bonn Buttmann 14 14. Mikorey München Sigmundstr. 3 15 Justizrat Gruppenführer Luetgebrune 16 Geh. Rat Prof. Dr. W. Kisch, München Kriegk!
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 35
Die Namen von Luetgebrune und Kisch sind später ergänzt worden. Luetgebrunes Name ist sogar zweimal an verschiedenen Stellen des Blattes jeweils als Nr. 15 ergänzt worden. Einmal ist er Gruppenführer, das andere Mal ist er Obergruppenführer. Im mir bekannten Drittel der Akte wird kein einziges Mal genauer bestimmt, ob er bei der SA oder bei der SS Gruppenführer gewesen ist.[123]
Unterhalb der Liste mit den 14 Eintragungen werden unter Bezugnahme auf die Zählung 1 bis 14 den so identifizierten Personen Anredeformen zugeordnet: „[…] Kollege“, „[…] Reichsführer“, „[…] Geheimrat“, „[…] Ministr. Direktor“, „[…] Staatsrat“.
Im Anschluss an diese Liste ist ein bearbeiteter Entwurf des Berufungstextes notiert:
Im Namen des Herrn Reichskommissars d. Justiz Minister Dr. Hans Frank habe ich die Ehre, Sie hiermit zum Mitglied des in der Akademie für D. R. errichteten Ausschusses für Rechtsphilosophie zu berufen. Gleichzeitig lade ich Sie zur der Eröffnungssitzung am 3. Mai nachm. 4 Uhr in den Räumen des NArchivs zu Weimar ein.
Die Tagesordnung füge ich bei.
Alle Antworten […]
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 35
Da Blatt 1, das Musterberufungsschreiben, auf den 26. März 1934 datiert ist und Blatt 35 einen handschriftlichen Entwurf des Berufungsschreibens von Blatt 1 enthält, ist Blatt 35 sehr wahrscheinlich vor dem 26. März 1934 verfasst worden. Da zusätzlich auf Blatt 35 eine „Vorläufige Tagesordnung“ und eine Namenliste unter der Überschrift „Berufungsschreiben an“ in derselben Handschrift niedergeschrieben worden ist, belegen die Blätter 1 und 35 zusammen genommen, dass Carl Schmitt zu den berufenen Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehörte. Da das Antwortschreiben von Wilhelm Kisch (Blatt 9) auf den 30. März 1934 datiert ist, ist die Ergänzung von Kisch und Luetgebrune auf Blatt 35 sehr wahrscheinlich auch noch im März 1934 vorgenommen worden.
Die Namen „Buttmann“ und „Kriegk“ sind mit Bleistift auf Blatt 35 ergänzt worden. Vermutlich zu einem späteren Zeitpunkt.
Da Ernst Kriecks Name falsch geschrieben worden ist, glaube ich nicht, dass Emge persönlich die Namen „Buttmann“ und „Kriegk“ später ergänzt hat. Unklar ist insoweit, ob und wenn ja, wann Buttmann und Krieck berufen worden sind. Aktenintern kann das zum Glück geklärt werden. Ich tue das umgehend:
Blatt 125 dieser Akte Emges ist ein Schreiben von Krieck an Emge vom 8. Juni 1934. Unter Nutzung des Briefkopfs der von Krieck herausgegebenen Zeitschrift Volk im Werden teilt Krieck Emge folgendes mit:
Hochverehrter Herr Kollege!
Ergebensten Dank für Ihre sehr freundliche Einladung, an der nächsten Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie teilzunehmen. Da ich nicht Mitglied der Akademie für Deutsches Recht und auch nicht des Ausschusses für Rechtsphilosophie bin, kann ich mir indessen von einer solchen sporadischen Teilnahme an Ihrer Arbeit nichts versprechen und bitte daher, vor einer förmlichen Einladung Abstand nehmen zu wollen.
Heil Hitler!
Ihr sehr ergebener
Krieck
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 125
Krieck ist demnach nicht – nachträglich – zum Mitglied des Ausschusses berufen worden, sondern nur – informell – zu einer Sitzung als Gast eingeladen worden. Das Schreiben Kriecks erklärt vermutlich, was der Anlass für Kriecks Sammlung der Zeitungsberichterstattung vom 4. und 5. Mai über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist: Krieck informierte sich auf diesem Wege über den Ausschuss. Hätte Emge Krieck nicht zu einer informellen, sporadischen Teilnahme eingeladen, hätte Krieck sich nicht informiert, hätte Farías in der Akte Kriecks nicht die Zeitungsberichte über die Gründung des Ausschusses gefunden, hätte ich mich 2016 nicht an die Existenz des Ausschusses für Rechtsphilosophie mit Hans Frank und Martin Heidegger erinnert …
Blatt 126 ist ein Schreiben von Emge an den Verwaltungsmitarbeiter der AfDR in München namens Gaeb vom 12. Juni 1934. In ihm bezieht sich Emge auf Rudolf Buttmann (1885-1947)[124], so dass auch die handschriftliche Ergänzung „Buttmann“ auf Blatt 35 aktenintern ausgelegt werden kann. Auf das Gesamtschreiben komme ich noch zurück. Hier zitiere ich nur den Satz über Buttmann:
[…] Ich füge noch eine Liste der ständigen Mitglieder bei und bemerke hierzu, daß eine Ergänzung durch Herrn Ministerialdirektor Buttmann (Grundlagen des konfessionellen Rechts) und durch einen Vertreter des Reichsbildungsministeriums in Aussicht genommen ist.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 126
Anscheinend sind die Namen Kriecks und Buttmanns im Juni 1934 auf Blatt 35 der Akte Emges ergänzt worden.
Zurück zur handschriftlichen Planung der konstituierenden Sitzung vom 3./4. Mai 1934 in Weimar. Blatt 35 enthält die vorläufige Tagesordnung (Punkt 1) und eine Namensliste fürs Verschicken von Berufungsschreiben (Punkt 2). Das Blatt 36 enthält drei weitere Planungspunkte. Ich habe mir noch nicht die Mühe gemacht, das alles zu entziffern.
Punkt 3 ist ein Briefentwurf an den Akademiedirektor Lasch. Hans Frank habe den rechtsphilosophischen Ausschuss gebilligt. Vorsitzender sei Frank, stellvertretender Vorsitzender Emge. In anderer Sortierung sind dieselben Namen notiert. Die abweichende Sortierung ergab sich aus dem Umstand, dass einige Mitglieder des Ausschusses bereits Mitglieder der AfDR waren, andere nicht. Der Briefentwurf endet mit einer Bemerkung über die Mitgliedschaft im BNSDJ.
Punk 4 ist ein kurzer Briefentwurf an den stellvertretenden Präsidenten der AfDR, Geheimrat Professor Dr. Wilhelm Kisch. Emge teilt auch Kisch mit, dass Frank den Ausschuss gebilligt habe. Es folgen ein Satz und eine Grußformel, die ich noch nicht entziffert habe.
Punkt 5 ist ein Briefentwurf an Hans Frank, der wegen einer erhöhten Krakeligkeit und mehreren Durchstreichungen schwieriger zu entziffern ist.
Auf die handschriftliche Planung der Eröffnungssitzung, welche die Blätter 35 und 36 einnimmt, folgt eine getippte Mitgliederliste.
3.2.3. Eine getippte „Mitgliederliste des Rechtsphilosophischen Ausschusses“ (Blatt 37)
Auf die handschriftliche Planung folgt in der Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie eine ordentlich getippte Liste der Mitglieder und der Vorsitzenden dieses Ausschusses. Erkennbar ist, dass die handschriftlichen Änderungen der Nennungsreihenfolge der Mitglieder auf Blatt 35 weitgehend umgesetzt worden sind. Neu mit Blick auf Blatt 35 ist, dass Wilhelm Kisch in der Hierarchie noch deutlich weiter oben positioniert worden ist. Insgesamt ist eine Hierarchisierung gemäß der Ränge im NS-Staat gewählt worden. Diese Regel wird ergänzt durch eine akademische Hierarchisierung.[125]
Abbildung 4: „Mitgliederliste des rechtsphilosophischen Ausschusses“; in: Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 37 – von Miriam Wildenauer erstellte Projektion aller semiotischen Informationen
Blatt 38 ist eine weitere Kopie dieser Mitgliederliste. Links der Namen von Nicolai, Schmitt, Kisch und Naumann sind kleine Kreise mit Bleistift gezeichnet worden. Mit diesen Kreisen sind Abwesenheiten auf der Eröffnungssitzung markiert worden. Das geht aus dem Protokoll Emges über die erste Sitzung hervor, das ich nun vorstellen werde.
3.2.4. Emges Bericht über die Eröffnungssitzung vom 3. Mai 1934 – verschickt am 12. Juni 1934
Die Blätter 127 bis 129 sind ein getipptes Protokoll der ersten Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie, das von seinem stellvertretenden Vorsitzenden verfasst worden ist. Auf dem ersten Blatt ist oben handschriftlich ergänzt worden:
„An Hr. Gaeb (oder Gaede?), Berlin, Preußenhaus, Prinz Albrechtsr. 5 vom 13.6.34 gefunkt“ .
Ich könnte mich bei der Entzifferung des Wortes „gefunkt“ geirrt haben. Das korrekte Wort ist dem Linienverlauf von „gefunkt“ aber sehr ähnlich. Dieser Bericht ist einem Brief von Emge an Herrn Gaeb vom 12. Juni 1934 beigegeben. Inzwischen kann Emge offizielles Briefpapier nutzen – auch das widerlegt seine Darstellung von 1960, direkt nach der Eröffnungssitzung habe Alfred Rosenberg dem Ausschuss für Rechtsphilosophie den Todesstoß versetzt.
Abbildung 5: Offizieller Briefkopf des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR, den Prof. Dr. Dr. C. A. Emge in einem Brief am 12. Juni 1934 nutzte; in: Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie (GSA 72/1588), 1934), fol. 126 – von Miriam Wildenauer erstellte Projektion der semiotischen Informationen des Briefkopfes
Ich zitiere nun den gesamten Briefinhalt. Den Satz über Buttmann hatte ich bereits zitiert.
Sehr geehrter Herr Dr. Gaeb!
Anliegend überreiche ich Ihnen den Bericht über die Eröffnungssitzung unseres Ausschusses. Wie Sie aus anliegenden Schreiben des Stenographen ersehen, müssen sich die stenographierten Reden in Berlin befinden. Ich füge noch eine Liste der ständigen Mitglieder bei und bemerke hierzu, daß eine Ergänzung durch Herrn Ministerialdirektor Buttmann (Grundlagen des konfessionellen Rechts) und durch einen Vertreter des Reichsbildungsministerium in Aussicht genommen ist.
Mit ergebenen Heil-Grüßen
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 126
Hintergrund der Übermittlung des Berichts ist die Erfüllung einer Berichtspflicht von Ausschussvorsitzenden gegenüber dem Präsidenten der AfDR. Da im Völkischen Beobachter am 4. und 5. Mai 1934 die Reden von Hans Frank und Alfred Rosenberg ausführlich wiedergegeben worden sind (siehe meinen Unterabschnitt 4.3.), haben stenographische Mitschriften der Reden anscheinend tatsächlich ihren Weg von Weimar nach Berlin gefunden.
Hier nun Emges Bericht über die Eröffnungssitzung:
An Hr. Gaeb, Berlin, Preußenhaus, Prinz Albrechtsr. 5 vom 13.6.34 gefunkt
Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie
am 3. Mai 1934.
In den Räumen des Nietzsche-Archivs fand nachmittags 4 Uhr unter Leitung des Präsidenten der Akademie, Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank, und unter Mitwirkung des Reichsleiters Alfred Rosenberg die Eröffnungssitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie statt.
Anwesend waren, ausser Mitgliedern des Stabs der beiden Reichsleiter, Akademiedirektor Dr. Lasch, der Pressechef des NSBDJ. Dr. Freiherr du Prel, der Pressechef der Akademie Dr. Gaeb, der hiesige Kreisleiter Minister Dr. Weber, Vertreter des hiesigen Juristengaues, folgende Mitglieder des Ausschusses:
Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank (Vorsitzender)
Professor Dr. Dr. Emge (stellvertretender Vorsitzender)
Reichsführer Rosenberg
Professor Dr. Heidegger
Professor Dr. Erich Rothacker
Geheimrat Stammler
Professor Binder
Geheimrat Professor Dr. Ernst Heymann
Professor Dr. Erich Jung
Professor Dr. Bruns
Professor Dr. Hans Freyer
Professor Baron v. Uexküll
Dr. Mikorey
Justizrat Gruppenführer Luetgebrune │ fol. 128
Leider waren am Erscheinen verhindert:
Ministerialdirektor Dr. Nicolai
Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt
Geheimrat Professor Dr. Kisch
Professor Dr. Hans Naumann.
In Gegenwart der Hausherrin, Fr. Dr. h.c. Förster-Nietzsche, fand zunächst eine kleine Feier statt, über deren Verlauf anliegender Zeitungsausschnitt berichtet.
Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank und Reichsleiter Rosenberg hielten längere Ansprachen von grundsätzlicher Bedeutung über die Aufgabe der Rechtsphilosophie im neuen Staat und die des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Beide Reden wurden schriftlich niedergelegt und durch die Presse weitergegeben. Der Inhalt ergibt sich gleichfalls aus der Anlage.
Alsdann begann die eigentliche geschäftliche Sitzung in dem Bibliotheksraum des Archivs. Zunächst forderte Minister Dr. Frank die Mitglieder des Ausschusses zu einer kurzen Stellungnahme zu den gehörigen Ausführungen auf. Zweck dieser Aussprache war, die einzelnen Mitglieder, von so verschiedenartigen Interessengebieten, einmal kennenzulernen. Danach hielt Professor Dr. Emge ein Referat über die die verschiedenartigen Arbeitsgebiete des Ausschusses. Sein Inhalt ergibt sich aus anliegenden [im Original; mw] Zeitungsausschnitt.
Am Schluß der Sitzung gab Minister Dr. Frank den Mitgliedern des Ausschusses folgende Fragen zur Beantwortung auf:
- Was ist überhaupt das Recht?
- Wie verhält sich der Begriff des Rechts zu dem des Deutschen? │ fol. 129
Es wurde vorgesehen, daß bei der nächsten Sitzung des Ausschusses, vermutlich anläßlich der Akademietagung, die Mitglieder über ihre Antworten referieren sollten.
gez. Dr. Emge
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 127-129
Stefan K. Pinter, der für seine Dissertationsschrift von 1994 die Akte Emges vollständig eingesehen hat, berichtet folgendes über den Akteninhalt, das hier hilfreich ist:
Die gestellten Fragen wurden von Binder, Uexküll, Rothacker, Jung, Stammler und Lasch brieflich zwischen dem 9.5.1934 und dem 1.6.1934 prompt beantwortet.1
1 Nietzsche-Archiv Weimar Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie
(Pinter 1994), S. 63 f.
Frau Herrgott vom Goethe- und Schiller Archiv hat mir am 9. Januar 2019 die Korrektheit dieser Behauptung Pinters mit einer Ausnahmen bestätigt. Der „Bericht von Lasch“ befinde „sich nicht oder nicht mehr in der Akte“. Noch kenne ich die Antworten, die in der Akte Emges überliefert sind, nicht. Sobald ich sie kenne, ergänze ich diesen Abschnitt.
Bemerkenswert ist ferner, dass Maximilian Freiherr du Prel (1904-1945) anwesend war. Er gehörte zum engsten Kreis um Hans Frank, auch noch als dieser Generalgouverneur wurde. [126]
Die Eintragungen in den Tagebüchern Carl Schmitts der Jahre 1930 bis 1934, die 2010 veröffentlicht worden sind, bestätigen die Abwesenheit von Carl Schmitt am 3. Mai 1934:
3. [Mai 1934; mw] Donnerstag
Morgens bei Popitz. Herumgelegen, Vorlesung schlecht vorbereitet. Weimar 4 Uhr, Weimar
abgesagt, Nietzsche Archiv <diese Eintragung durchgestrichen>. Abends Wein <?> kommen lassen, etwas mehr getrunken, aufgeregt über die Justiz.
4. [Mai 1934; mw] Freitag
Schnell an Höhn <?> geschrieben, traurig und deprimiert. Herumgelegen, Vorlesung
schlecht vorbereitet, müde und traurig. Mittags geschlafen, Abends Verwaltungsjuristentagung, Frank und Nikolai sprechen, aber früh nach Hause.
(Schmitt, Tagebücher 1930-1934; 2010), S. 343
Falls Carl Schmitt am 4. Mai 1934 tatsächlich Reinhard Höhn geschrieben haben sollte, würde ich diesen Brief gerne lesen.
3.2.5. Eine handgeschrieben Namensliste vom 23.4.34
Auf Blatt 12 befindet sich eine weitere, handgeschriebene Namensliste. Sie ist auf den „23.4.34“ datiert. Es handelt sich aber nicht um eine Liste der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Es handelt sich um eine Liste von Personen, die an die Eröffnungssitzung erinnert werden sollen. 15 Namen sind aufgelistet. Die meisten kann ich entziffern:
- Gonella, NSBDJ
- Heuber
- Noack, NSDBJ
- ???, NSDBJ
- ???, NSDBJ
- Hedemann (?)
- Frank
- Direktor der AfDR, Lasch
- Nicolai
- ???
- Rosenberg
- Staatssekretär Freisler
- ???, Reichspropagandaministerium
- Göbbels
- ???
Im mir bekannten Drittel der Akte Emges aus der Gründungsphase des Ausschusses für Rechtsphilosophie ist das die einzige Bezugnahme auf Roland Freisler.
3.3. Informationen zur zweiten Sitzung des Ausschusses am 26. Mai 1934 auf der Arbeitstagung der AfDR in Berlin (Blätter 79-86)
Diese Blättergruppe der Akte Emges besteht aus einem Briefwechsel vom 18. und 19. Mai 1934 zwischen dem Geschäftsführenden Direktor der AfDR, Dr. Karl Lasch, dem stellvertretenden Vorsitzendes des Ausschusses für Rechtsphilosophie Emge und dem Archivar des Nietzsche-Archivs, Max Oehler (1875-1946)[127].
Es geht ums kurzfristige Einladen der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu einer Arbeitstagung der AfDR, die am Samstag, den 26. Mai 1934 stattfand. Auf dieser Tagung sollten die Berufungsurkunden den Mitgliedern ausgehändigt werden. Die Mitgliederliste ist unverändert.
Zunächst der Brief von Dr. Lasch unter Nutzung des Briefkopfes der AfDR vom 18. Mai 1934 an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für Rechtsphilosophie Emge:
Sehr geehrter Herr Professor, da der Akademie für deutsches Recht bisher eine Liste Ihrer Ausschuss-Mitglieder nicht vorliegt, bitten wir Sie ergebenst, beiliegenden Einladungen an Ihre Mitglieder zu versenden und uns die Namen und Adressen der Herren mitzuteilen, die Sie zu der Veranstaltung am 26. Mai ds. Js. eingeladen haben. erledigt Sofern Sie wünschen, daß Ihre Ausschuß-Mitglieder Urkunden am Samstag erhalten, bitten wir, uns Namen, Vornamen und Stand eines jeden Mitgliedes umgehend mitteilen zu wollen, da es sonst nicht möglich sein wird, die Urkunden auf den Namen auszustellen. Mit ergebenen Heil-Grüßen Dr. Lasch
15 Einladungen!
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 79
Ich zitiere auch den Brief von Emge/Oehler an Lasch vom 19. Mai 1934 vollständig:
19. Mai 1934
Herrn Akademiedirektor Dr. Lasch,
Berlin
Hochverehrter Herr Akademiedirektor!
Unsere Briefe haben sich gekreuzt. Ich nehme natürlich gern an der Arbeitstagung [am 26. Mai 1934; mw] teil und habe dazu auch die in der Anlage verzeichneten Mitglieder der Akademie für Rechtsphilosophie geladen, und sie wegen der Kürze der Zeit gebeten, die Teilnahme Ihnen unmittelbar mitzuteilen.
Hoffentlich bringt diese Arbeitstagung wieder vollen Erfolg!
Mit den besten Wünschen zum Pfingstfest und
Heil Hitler
(gez.) Prof. Dr. Emge
Stellv. Vors. des Rechtsphilosophischen Ausschusses
Ihr M. Oeh.
i.A.Archivar des Nietzsche-Archivs
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 80
Wer mag, erinnere sich an Emges lügenhafter Darstellung von 1960, dass Alfred Rosenberg dem Ausschuss für Rechtsphilosophie bereits am Abend des 3. Mai 1934 den Todesstoß versetzt habe.
Dem Brief vom 19. Mai 1934 ist folgende Mitgliederliste beigegeben:
Abbildung 6: Von Miriam Wildenauer erstellte Projektion der Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie vom 19. Mai 1934 (GSA 72/1588, fol. 81)
Die handschriftliche Notiz von Oehler links unten kann ich entziffern: „Die Veränderungen auf der an Dr. Lasch gesendeten Liste nachgetragen.“ Die Streichung von „Orts“ beim „Ortsgruppenführer“ Luetgebrune ist auf jeden Fall korrekt. Es bestand nur Unsicherheit, ob und ggf. wann Luetgebrune zum Obergruppenführer befördert worden ist.[128]
Die Blätter 82 und 83 sind weitere, inhaltsidentische Exemplare der „Mitgliederliste des Rechtsphilosophischen Ausschusses“. Es fehlt nur die handschriftliche Notiz Oehlers.
Blatt 84 ist eine Kopie der Anschreiben an die Mitglieder des Ausschusses, mit dem diese zur Arbeitstagung der gesamten AfDR und einer Tagung des Einzelausschusses am 26. Mai 1934 eingeladen wurden. Bereits hier wurde der offizielle Briefkopf des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR genutzt. Ich zitiere den Haupttext:
An die Herren Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht.
Ich lade Sie hiermit zu der am 26. Mai 1934 vorm. 10 Uhr im großen Saal des Preußenhauses, Prinz Albrechtstr. 5, stattfindenden Arbeitstagung ergebenst ein.
Es werden sprechen, der Präsident der Akademie, Reichsjustizkommissar Dr. Franck [so im Original; mw], sodann die Vorsitzenden der Ausschüsse. Um 1 Uhr findet gemeinsames Mittagessen im Restaurant statt (RM 1,50); um 3 Uhr ist ein Vortrag des Sachverständigen für Rasseforschung, Dr. Gercke. Ab 4 Uhr tagen die einzelnen Ausschüsse.
Die Spesen können wie immer danach bei der Geschäftsstelle der Akademie, München, Prinz Regenten Str. 8 liquidiert werden. Antwort über die Teilnahme erbitte ich nicht an mich, sondern unmittelbar an Akademiedirektor Dr. Lasch, Berlin S.W. 11, Preußenhause, Prinz Albrechtstr. 5.
Heil Hitler!
(gez. Prof. Dr. Emge
Stellv. Vors. des Rechtsphilosophischen Ausschusses
i.A. Archivar des Nietzsche-Archivs, Weimar.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 84
Im ersten Jahrbuch der AfDR wurde ein Bericht über diese Arbeitstagung abgedruckt. Ich komme deswegen in Abschnitt 7.10. auf die Arbeitstagung zurück. Insbesondere der Vortrag des „Sachverständigen für Rasseforschung, Dr. Gercke“ hat es in sich (7.10.3.).
3.4. Informationen zur geplanten dritten Sitzung des Ausschusses auf der ersten Jahrestagung der AfDR am 25. und 26. Juni 1934
Am 13. Juni 1934 hatte Emge seinen Bericht über die Eröffnungssitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie an die Geschäftsführung der AfDR geschickt. Diese Sitzung habe mit dem Arbeitsauftrag Franks an die Mitglieder geendet, folgende Fragen zu beantworten: „Was ist überhaupt Recht? Wie verhält sich der Begriff des Rechts zu dem des Deutschen?“
An diesen Arbeitsauftrag knüpft Emge sachlich in einem weiteren Brief vom 13. Juni 1934 an. Adressat des Briefes ist der Reichsjustizkommissar Hans Frank. Emge nutzt den offiziellen Briefkopf des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR.
Weimar, d. 13.VI.34
Hochverehrter Herr Reichsjustizkommissar!
Ihre den Ausschussmitgliedern für Rechtsphilosophie gestellte Frage nach dem Verhältnis von Deutschtum und Recht und die Zusammensetzung des Ausschusses gibt uns die Möglichkeit, die Jubiläumstagung der Akademie in München zu einer besonderen Veranstaltung des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu benutzen. Zwei Mitglieder des Ausschusses, Professor Rothacker in Bonn (Philosoph) und Professor Naumann in Bonn (Deutsche Literatur) wären bereit, in Verbindung mit Professor Mitteis[129] in München (Rechtshistoriker) vier kurze Referate zu halten unter dem Titel „Was ist deutsch?“ Die deutsche Notgemeinschaft würde sich dabei gern, auch mit einem Kostenbeitrag, beteiligen. Das Bestreben, in unseren Ausschuß für das Recht entscheidend wichtige kulturelle Dinge zu gewinnen, würde also hier schon in bemerkenswerter Weise Früchte tragen. Es ist ja höchst merkwürdig, daß die anderen hierzu berufenen Stellen bisher noch nicht auf die Idee einer solchen Veranstaltung gekommen sind. Um so erfreulicher, wenn Ihr Ausschuß für Rechtsphilosophie diese Gelegenheit aufgreift. Ich werde mich, der Eiligkeit wegen, sogleich mit Herrn Dr. Lasch in Verbindung setzen. Diese Veranstaltung des Ausschusses für Rechtsphilosophie (etwa am 25. ds. Mts.), die natürlich dem weiteren Kreise der Akademie zugänglich wäre │ Blatt 131 müßte dann rechtzeitig in das Programm aufgenommen werden.
Bei einem kurzen Aufenthalt, vorgestern in Berlin, bin ich zur Ueberzeugung [so im Original; mw] gekommen, daß es für die jetzige Situation wünschenswert wäre, wenn wir auch einen Vertreter des Reichswehrministeriums in unseren Ausschuß bekämen. Da der Nationalsozialismus im Sinne Nietzsches den militärischen Geist pflegt, ergäben sich dadurch wertvolle Möglichkeiten zu einer Zusammenarbeit. Sollte ich nichts gegenteiliges [so im Original; mw] hören, so werde ich mir erlauben, an das Reichswehrministerium, zu dem ich Beziehungen besitze, in Bälde heranzutreten.
Hoffentlich sind Sie, hochgeehrter Herr Reichsjustizkommissar, von Ihrer Krankheit wieder hergestellt.
In höchster Verehrung mit den besten Grüßen von Frau Dr. h.c. Förster-Nietzsche und Heil-Gruß
Ihr ergebenster
Gez. Emge
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 130 f.
Am 13. Juni 1934 plante Emge demnach eine dritte „Veranstaltung“ des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Sie sollte Teil des öffentlichen Rahmenprogramms zum ersten Jahrestag der AfDR am 26. Juni 1934 in München sein. Im dritten Heft des ersten Jahrgangs der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht ist über diese Jahrestagung berichtet worden (S. 119-123). In diesem Bericht wird der Ausschusses für Rechtsphilosophie nicht erwähnt. Auch wird nichts über die anvisierten Referate Rothackers, Naumanns und Mitteis berichtet. Da in diesem Bericht aber über andere Ausschüsse berichtet wurde, ist es sehr wahrscheinlich zu keiner öffentlichen oder zumindest zu einer öffentlich angekündigten Sitzung oder/und Veranstaltung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gekommen. Das mag schlicht daran gelegen haben, dass Emge mit seiner Planung spät dran war.
Vorsichtshalber habe ich im ersten und zweiten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht überprüft, ob vielleicht dort etwas über den Ausschuss für Rechtsphilosophie im Zuge der Berichterstattung über die erste Jahrestagung mitgeteilt worden ist. Das ist nicht der Fall. Irritierenderweise ist gar nichts über die erste Jahrestagung berichtet worden.
An dem Brief Emges an Hans Frank vom 13. Juni 1934 ist ferner bemerkenswert, dass Emge eine Vertreter des Reichswehrministeriums für den Ausschuss für Rechtsphilosophie gewinnen wollte. Zusätzlich ist bemerkenswert, dass Emge mitteilte, dass er „in Bälde“ seine Beziehung zu Reichswehrministerium nutzen werde, um das zu erwirken.
Zwischen dem 13. Juni 1934 und dem ersten Jahrestag der AfDR am 26. Juni 1934 sind bekanntlich die Entscheidungen getroffen worden, die zu den Morden im Zuge der »Niederschlagung des Röhm-Putsches« führten.[130]
3.5. Schreiben von Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Viele der Blätter der Akte Emges, von denen ich Kopien habe, sind Antwortschreiben der angeschriebenen »Persönlichkeiten« auf die Berufungsschreiben oder Einladungsschreiben zur Eröffnungssitzung am 3. Mai 1934. Da es anscheinend nur noch sehr wenige Originaldokumente des Ausschusses für Rechtsphilosophie und seiner Mitglieder gibt, präsentiere ich die Antwortschreiben der Dauermitglieder des Ausschusses ausführlich.
3.5.1. Mikorey lobt Emges Hebammenkunst in der Geburt des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Ich zitiere nun den handschriftlichen Antwortbrief Max Mikoreys. Aus ihm geht hervor, dass Emge und Mikorey schon länger in engerem Kontakt bezüglich der Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie standen und dass Mikorey beabsichtigte, seine Kenntnisse als Arzt in den Ausschuss einzubringen.
Dr. med. Max Mikorey
München, den 27.3.34
Zusagen[131]
Hochverehrter Herr Professor!
Besten Dank für Ihre liebenswürdigen beiden letzten Mitteilungen. Bitte zu entschuldigen, daß ich den vorletzten Brief nicht gleich beantwortete, ich hatte eine scheußliche Grippe und war ganz aktionsunfähig. Ich bin glücklich, daß es Ihrer μαιευτική τέχνη[132] nun endlich gelungen ist, den Ausschuss zur Welt zu bringen.
Die Bedeutung dieser Sache ist nun ja allen klar und ich kann Sie versichern, daß ich mich mit Begeisterung und wie ich hoffe auch mit einigen ganz nützlichen Kenntnissen zur Verfügung gestellt halten werden.
Ich werde mir bis zur Sitzung alles, was von mir aus geschehen kann, sehr genau überlegen, damit ich mit präzisen Vorschlägen in die Arbeitsgemeinschaft eintreten kann. Es ist für mich eine große Ehre als einziger Arzt in einer so wichtigen Gesellschaft mitwirken zu dürfen, die eine Art Universitas im neuen Sinn einer neuen Zeit darstellen wird. Ich danke Ihnen also nochmals für die Berufung und die liebenswürdige Einladung nach Weimar zur Eröffnung.
Falls Sie auf Ihrer Mussolini Reise in München Station machen sollten, wäre ich sehr erfreut, Sie hier begrüßen zu dürfen. Telefon 53189 Psychiatrische Klinik.
Mit deutschem Gruß und Heil Hitler!
Ihr ganz ergebener
M. Mikorey●
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 2
Bemerkenswert ist ferner, dass Mikorey eine geplante Reise Emges zu Mussolini anspricht.
3.5.2. Freyers Einladung an Emge und andere »Persönlichkeiten« zu einer Sitzung des Rates der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am 15. April 1934
Blatt 3 und 4 sind zwei Schreiben von Hans Freyer.
Auf Blatt 4 dankt Freyer mit Schreiben vom 28. März 1934 „verbindlichst für die Berufung in den in der Akademie für Deutsches Recht errichtete den Ausschuss für Rechtsphilosophie“ und sagt seine Teilnahme an der Eröffnungssitzung zu. Dazu nutze er den Briefkopf des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte „bei der Universität Leipzig“.
Blatt 3 ist eine Kopie einer Einladung Freyers an Emge und andere Personen im Rahmen der »Deutschen Gesellschaft für Soziologie«. Ich zitiere den Anfang dieses Briefes:
Deutsche Gesellschaft für Soziologie
Leipzig, den 28. März 1934.
Universitätsstr. 11.
An die
Herren Böhm, Emge, Ipsen, Krieck, Rothacker, Rumpf, Walther
Ich lade zu einer Sitzung des Rates der Deutschen Gesellschaft für Soziologie für
Sonntag, den 15.IV. 11 Uhr vormittags
nach Weimar, Hotel Elefant
ein. […]
Heil Hitler!
Hans Freyer
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 3
Die Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, die Professoren Emge, Freyer und Rothacker waren demnach zusätzlich über den Rat der „Deutsche Gesellschaft für Soziologie“ miteinander verbunden und hatten mit Max Hildebert Böhm[133], Gunther Ipsen[134], Max Rumpf[135] und Andreas Walther[136] völkische Soziologen und mit Ernst Krieck[137] einen völkischen Erziehungswissenschaftler zu Ratsgenossen.[138]
3.5.3. Julius Binders Antwort vom 28. März 1934
Blatt 5 ist das Antwortschreiben von Professor Julius Binder vom 28. März 1934, in dem sich Binder ausdrücklich für seine „Berufung zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie“ bedankt. Binder teilt ferner mit, er werde versuchen, am 3. Mai 1934 in Weimar zu sein. Das sei schwierig, da für ihn eine Vortragsreise nach Bulgarien vom 16. bis 30. April geplant sei, „die für unsere Propaganda von Bedeutung sein wird“. Ferner möchte Binder wissen, ob seine Berufung in den Ausschuss bedeute, dass er „damit persönliches Mitglied der Akademie geworden“ sei. Die Frage ist berechtigt, da die im relevanten Zeitraum geltende Satzung der AfDR nicht zwischen Mitgliedern von Ausschüssen der AfDR und Mitgliedern der AfDR unterschied.
3.5.4. Erich Jungs Antwort vom 29. März 1934
Blatt 6 ist das Antwortschreiben von Professor Erich Jung vom 29. März 1934. Da das Schreiben grammatisch nicht wohlgeformt ist, hat der Aktenbearbeiter nur den Teilsatz unterstrichen, dass Erich Jung zur Sitzung vom 3. Mai kommen werde. Jung verwendet aber den Ausdruck „Berufung“ und datiert das erhaltene Schreiben auf den 26.3., so dass gesichert ist, dass er ein Berufungsschreiben erhalten hat:
Marburg, den 29. 3. 1934
An das Büro des Nietzsche-Archivs
Ich bestätige den Empfang des Schreibens vom 26.3. Mit meiner Berufung in den Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht und der Ladung zur Sitzung vom 3. Mai in Weimar zu der ich kommen werde .
Mit deutschem Gruß und Heil Hitler
Ihr Erich Jung
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 6
3.5.5. Erich Rothackers Antwort vom 30. März 1934
Blatt 7 ist das Antwortschreiben von Professor Erich Rothacker vom 30. März 1934. Rothacker dankt „verbindlichst für die ehrenvolle Berufung zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie“ und teilt mit, dass er Emge „zur Mitarbeit mit grosser Freude zur Verfügung“ stehe. Er werde an der Eröffnungssitzung am 3. Mai „gerne“ teilnehmen. Der Brief weist zwei handschriftliche Informationen auf. Die eine ist die Unterschrift Rothackers. Die andere ist nach meiner Laienmeinung von derselben Hand verfasst worden. Ich meine, da steht „herzl. pers. Grüsse!“. Wenn tatsächlich Rothacker auf diese flüchtige Weise herzliche Grüße an Emge übermittelt haben sollte, belegt das eine Vertrautheit zwischen beiden.
3.5.6. Baron von Uexkülls Antwort vom 2. April 1934
Blatt 8 ist das Antwortschreiben von Baron von Uexkülls. Ich zitiere es vollständig, da es von den bisherigen Antwortschreiben abweicht. Baron von Uexküll erbittet Auskunft über die Aufgaben des Ausschusses. In keinem anderen Antwortschreiben auf ein Berufungsschreiben hat sich ein Berufener nach den Aufgaben erkundigt. Mikoreys Antwortschreiben offenbarte sogar ausdrücklich eine Vertrautheit mit Emges Hebammenkunst bezüglich dieses Ausschusses.
z. Zt. Stretense bei Anklam (Pommern)
den 2. April 1934
Sehr geehrter Dr. Emge!
Ihre freundliche Aufforderung mich am Rechtsphilosophischen Ausschuss der Akademie für Deutsches Recht zu beteiligen fand ich verspätet hier vor, wo ich bis Mitte April verbleibe.
Ich bitte um freundliche Auskunft über die Aufgaben des Rechtsphilosophischen Ausschusses. Da ich kein Jurist sondern Biologe bin, kämen für mich solche Fragen in Betracht, die sich auf das Studium der Biologie des Staates beziehen.
Da der Staat meiner Überzeugung nach ein lebendes Wesen ist, würde ich die Begründung einer Akademie, die sich der Gesundheitspflege des Staates widmet, ganz besonders freudig begrüßen. Als Naturforscher kann es sich für mich nur um eine Erforschung der Lebensgesetze des Staates und um ihre Nutzanwendung handeln – nicht aber um ein Dekretieren von Gesetzen, was dem Politiker und Juristen so nahe liegt.
Es ist mir immer als ein Zeichen von Weisheit erschienen, daß Mohamed zum Berge ging ohne die Ausführung seines Befehls an den Berg abzuwarten.
Unseres Zusammentreffens bei unserem alten Freund Stael erinnere ich mich sehr wohl.
Hoffentlich erreicht Sie dieser Brief trotz seiner ungenügenden Adresse.
Heil Hitler
J Baron Uexküll
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 8
Wer der gemeinsame alte Freund Stael ist, konnte ich noch nicht ermitteln.
Blatt 23 der Akte Emges ist ein zweites Schreiben von Baron von Uexküll an den Kollegen Emge. Es ist auf den 28. April 1934 datiert. Er sagt sein Kommen für den 3. Mai nachmittags 4 Uhr zu und teilt folgenden Wunsch mit:
Ich würde gerne einen Vortrag über: „Der Staat und die Universitäten“, der ca. 20 Min. dauern wird, anmelden. Dies scheint mir ein brennendes Thema zu sein, das grundsätzlich dargestellt werden muss.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 23
Da Emge 1960 behaupten wird, dass es am Abend des 3. Mai 1934 zu einem Streit zwischen Alfred Rosenberg und Baron von Uexküll gekommen sei, der dem Ausschuss für Rechtsphilosophie den Todesstoß versetzt habe, stelle ich nun in einem Exkurs Uexkülls »Staatsbiologie« (1933) vor. Wenn es zu einem Streit zwischen beiden gekommen ist, dann nur bezüglich der Frage, wie denn nun der Geistesadel verfahren müsse, um vom Hitler-Staat zur Restitution einer Adelsherrschaft zu gelangen.
3.5.7. Exkurs: Auszüge aus Baron von Uexkülls zweiter, stark erweiterter Auflage seiner Monographie „Staatsbiologie. Anatomie, Physiologie, Pathologie des Staates“ (1933)
Baron von Uexküll informiert seine Leser so über die Zweitauflage seiner Monographie:
„Dem Andenken meines lieben langjährigen Freundes Karl von der Heydt gewidmet.“
„Vorwort zur zweiten Auflage
Im Jahr 1920 erschien die Staatsbiologie in erster Auflage. Soweit sie sich auf die Anatomie und Physiologie des Staates bezieht, habe ich keinen Anlaß gefunden, Änderungen vorzunehmen. Nur das Kapitel über die Pathologie habe ich z. T. neu geschrieben, weil heute andere, z. T. völlig neue Krankheiten des Staates im Mittelpunkt des Interessen stehen. […]
(Uexküll, 1933)
Karl von der Heydt (1858-1922) war u.a. Vorsitzender des Alldeutschen Verbandes, dem auch Erich Jung seit den 1890-er Jahren angehörte (siehe Teil II, Abschnitt 2).
Im Weiteren stelle ich nur das Kapitel über die Pathologie des Staates vor. Es beginnt auf S. 59 mit der Hauptüberschrift „Die Krankheiten des Staates“. In den ersten, einleitenden Absätzen stellt Baron von Uexküll die „Amerikanisierung“ der Gesellschaft, „das heißt die Anerkennung des Geldes als einzigen Maßstab für die Verkehrswürdigkeit“, und die „Freiheit der Presse“ als den „größten Feind“ seines Idealstaates dar:
Das festeste Band der Gesellschaft bildete das Bedürfnis nach einem gegenseitigen Nachrichtenaustausch. Von den wirklich ausschlaggebenden Geschehnissen erfuhr damals die Öffentlichkeit gar nichts. Um auf dem Laufenden zu bleiben und etwas zu erfahren, was in der politischen oder höfischen Welt vorging, war man auf einen regen und ausführlichen Briefwechsel mit seinen Freunden angewiesen, deren Meinung man über alle Dinge einzuholen suchte, um sich selbst ein Urteil zu bilden.
Durch den Nachrichtenaustausch von Freund zu Freund entstand eine überallhin verbreitete Genossenschaft, die mit Wärme aneinander hing, auf gute Formen sah und sich gegen Ungeschliffene und Ungebildete stets ablehnend verhielt.
(Uexküll, 1933), S. 60
Unter der ersten Zwischenüberschrift „Das Verwachsen der Staatsgewebe“ attackiert Baron von Uexküll die Gewerkschaften und deren Prinzip der Solidarität:
Sobald sich die Mitglieder der gleichen Berufe für solidarisch erklärten und sich von den Mitgliedern der zugehörigen Menschenketten [gemeint: Menschen, die aneinander und an ihren Beruf durch die Adelsfamilien gekettet werden; mw] absonderten, konnten sie mit einem Ruck die Lebensbedingungen eines ganzen Organwaldes in Frage stellen [durch Streik; mw].
(Uexküll, 1933), S. 62
Unter der nächsten Zwischenüberschrift „Die Auflösung des Staatsgewebes“ beschreibt Baron von Uexküll, welche Bedrohungen von den Arbeitern ausgehen: Individualismus, Materialismus, Chaos, Verlust der Herrschaft des Gehirns über den Leib:
Es ist […] durchaus nicht selbstverständlich, daß die einzelnen Individuen, die die Glieder einer Menschenkette bilden, sich der überpersönlichen Regel des Staatsbetriebes beugen und ihre Handlungen der Funktion des Organes einfügen. […] | S. 63
Gewissenschaftigkeit gegen Gott und Pflichtgefühl dem Staat gegenüber sind die einzigen Motive, die das entsagungsvolle Arbeiten innerhalb eines Staatsorganes überhaupt verständlich machen. […]
Eines Tages werden die Arbeiter innerhalb einer Menschenkette sich von ihrer Menschenkette freimachen und auf eigene Faust versuchen, ob sie nicht auf andere Weise schneller und erfolgreicher die Befriedigung ihrer Wünsche erreichen können.
Dieser Tag ist herangebrochen, und das Weltideal der Materialisten, das Chaos, hat sich auf den Staat übertragen.
(Uexküll, 1933), S. 62 f.
Unter der nächsten Zwischenüberschrift „Die politische Blindheit“ disqualifiziert Baron von Uexküll die politischen Philosophien des modernen Staates von Rousseau und Kant als pathologisch:
Im modernen Staat wird niemand zur Arbeit gezwungen, sondern erhält für seine Arbeit eine Entlohnung im allgemeinen Tauschmittel. Dadurch tritt er in ein Rechtsverhältnis zum Staat, das vertraglich festgelegt ist.
Dieser Umstand, der für das Bestehen und Funktionieren des Stoffwechsels [der Adligen als Staatseigentümer; mw] völlig nebensächlich ist, ist aber für den einzelnen die Grundlage zu seiner Bewertung des Staates geworden. Und als die | S. 66 Lehre vom „contrat social“ aufkam, nach der jeder Staat durch die freiwillige Übereinkunft seiner Mitbürger entstanden sei, stimmte ihm ein jeder aus eigener Erfahrung bei.
In dieser Lehre nun wird das Mittel mit dem Zweck verwechselt. Die in der Menschenkette vertraglich zusammengebundenen Individuen sind nur das Mittel, um den Stoffwechsel zu ermöglichen. Jetzt wurde die Menschenkette Selbstzweck, und der Stoffwechsel mit seiner Funktionsregel verschwand völlig aus dem Gesichtskreis. […] | S. 67
Diese Auffassung des Staates als eines einfachen Vertragsverhältnisses innerhalb seiner Mitglieder zeigte aber noch weitere unselige Folgen. Man stellte das Dogma auf, daß ein Vertrag sich immer nach dem Willen der Mehrheit der Vertragsschließenden zu richten habe.
Nur die vollkommene politische Blindheit gegenüber den Naturgegebenheiten, auf die sich der Staat aufbaut, und die sowohl die Gestalt seiner Erzeugungsorgane, des Tauschmittelorgans und der Ordnungsorgane sowie der übrigen Staatsorgane bedingen, machen es verständlich, daß man zur Wahl von Volksvertretern schritt und die Macht des Staates in die Hände der durch sinnloses Zusammenzählen der Stimmen erwählten Staatsbürger legte.
Wer noch ein Auge für die Wirklichkeit besaß, schlug die Hände über den Kopf zusammen angesichts dieses hahnebüchenen Unsinns. Ein kunstreiches Staatswabenwerk, das auf die eiserne Notwendigkeit des Stoffwechsels begründet war, sollte nun nach dem Gutdünken der Mehrzahl seiner Insassen, von denen keiner die Möglichkeit hatte, die Folgen seiner Handlung zu übersehen, umgeformt werden.
(Uexküll, 1933), S. 65-67.
Am letzten Absatz erkennt man sehr gut, welchen Interessen welcher Personen die philosophische Position dieses Konsequentialismus dient: dem »Geistesadel«, der von sich glaubt, er sei zu Herrschaft über andere berufen, die nur Elemente in Ketten sind, weil er und nur er in der Lage sei, die Konsequenzen des Tuns und Lassens aller zu übersehen. Ein »Geistesadel« kann das höchstens dann, wenn er über völlig entrechtete »Menschenketten« herrscht. Über Menschen, die ein Leben führen als seien sie in einem Gefängnis: »Insassen« – wie Baron von Uexküll passend sagt.
Befreien die Bauern oder die Arbeiter oder die Sklaven oder die Frauen sich durch Solidarisierung wird tatsächlich das Geschehen so komplex, dass grundsätzlich niemand die Konsequenzen des Tuns und Lassens vorab berechnen kann. Kants anti-konsequentialistische Lösung für das vermeintliche Problem ist so bekannt, dass ich sie hier nicht vorstellen muss. Hinweisen möchte ich stattdessen darauf, dass Uexküll allem Anschein nach derjenige ist, der Heideggers »Ungeist des Rechenhaften« exemplifiziert: Uexküll will die Restitution eines Staates, in dem der Geistesadel berechnen kann, was die Konsequenzen seiner politischen und ökonomischen Entscheidungen sind.
Kants anti-konsequentialistische Lösung gipfelt in seiner Lehre vom öffentlichen Recht, zu der eine Idee der Republik mit Gewaltenteilung, souveränem Parlament mit Mehrheitsprinzip und allgemeinem und gleichem Wahlrecht gehört. Die Weimarer Republik war eine Verwirklichung von Kants Idee der Republik. Uexküll schimpft sie „Blödsinn“:
Die Staatsfunktionen, die durch jahrhundertelange Arbeit der besten Köpfe aller Generationen festgelegt waren, wurden durch beliebige Regeln ersetzt, die blinde Ignoranten für passend hielten.
[…] Wenn wir eines Tages nur noch eine Horde frierender und hungernder Wilder geworden sind, ist es freilich gleichgültig, wer die Herrschaft ausübt.
Es ist somit ein Zustand eingetreten, der auch in unserem Körper eintreten würde, wenn an Stelle der Großhirnzellen die Mehrzahl der Körperzellen zu beschließen hätte, welche Impulse den Nerven zu übermitteln sind. Einen solchen Zustand nennt man „Blödsinn“. […] | S. 68 […]
Diese Krankheit ist von allen die schlimmste und eingewurzelteste. Nur wo sie herrscht, können sich die anderen Krankheiten, die Gewebsverwachsungen und Gewebsauflösungen, entwickeln. Wenn sie nicht weicht, gehen alle europäischen Staaten zugrunde.
(Uexküll, 1933), S. 65-67.
Unter der nächsten Zwischenüberschrift „Die Herrschaft des Tauschmittelorgans“ lobt Baron von Uexküll den Kauf von Parlamentariern durch „Großkapitalisten“ und die Bildung „einer geheimen Regierung aus Großkapitalisten“ (S. 70) als Zwischenlösung im Kampf gegen die Republik und für die Restitution eines Eliten-Staates (S. 69). Letztlich plädiert er für eine Monarchie mit adligen Beamten als Staatsideal (S. 71). Besonders beachtenswert ist der Volksbegriff, den Baron von Uexküll nebenbei verwendet:
Im Gegensatz zu den kleinen Staatsrepubliken des klassischen Griechenlands, in denen sich das ganze Volk (von dem die Fabrikarbeiter als Sklaven ausgeschlossen waren) auf dem Markte versammeln konnte, um unmittelbar Beschlüsse zu fassen – ist diese Möglichkeit für die großen modernen Staaten technisch ausgeschlossen.
(Uexküll, 1933), S. 69
Für Baron von Uexküll gehören die Fabrikarbeiter nicht zum Staatsvolk. Auch dann nicht, wenn sie – in irgendeinem Sinne – Deutsche sind. Auch diese Position, dass die »eigene« Unter- und Mittelschicht nicht zum »wahren Volk« gehört, das allein politisch tätig ist, nenne ich »Adelsrassismus«. Die meisten Wähler der DNVP und der NSDAP galten den Herren beider Parteien als rassisch minderwertig.
Zum Abschluss seines Abschnittes behauptet Baron von Uexküll, dass die Zwischenlösung im Restitutionsprozess der gesunden Feudalmonarchien – scheinbare Republik, die tatsächlich von Großkapitalisten beherrscht wird – auf Dauer nicht funktioniere. Das Großkapital fördere sogar die »Volksblindheit«. Da zum »Volk« für Baron von Uexküll nur Geistesadlige gehören, meint er mit dieser Behauptung, dass die Geheimherrschaft der Großkapitalisten den Geistesadel selbst blind mache. Sie würden durch diese Zwischenlösung zur wahren Herrschaft in einem wahren Staat unfähig gemacht. Großkapitalisten sind halt keine Feudalherren. Es drohe deswegen der „Untergang der europäischen Staaten“. Für Deutschland sei die Gefahr gebannt worden … durch Hitler und seine Bewegung:
Von dem wirklichen Staatsideal, das darin besteht, jede einzelne Familie [des »Geistesadels«; mw] auf die höchstmögliche Stufe der Lebensführung zu heben, ist in diesen Staaten [mit Geheimregierung aus Großkapitalisten; mw] natürlich nicht die Rede. Und deshalb stellen sie einen empfindlichen Rückschritt dar gegenüber den Staaten, in denen Monarch und Beamte ausschließlich auf das Staatsinteresse [Hebung der Familien des »Geistesadels«; mw] eingestellt sind, mögen im einzelnen noch so große Fehler gemacht werden.
Da aber Monarchen und Beamte den Staat gegen die Volksblindheit [erzeugt durch die Philosophien Rousseaus und Kants; mw] nicht zu schützen verstanden, war das Eingreifen des Kapitals immerhin zunächst eine Rettung.
Nun fragt man sich: „Auf wie lange?“
Da das Großkapital den Forderungen der Volksblindheit in jeder Weise Vorschub leistete, ist die Volksblindheit zu einer schweren Krankheit geworden. Gegen die beiden schweren Krankheiten der Neuzeit, das Verwachsen und die Auflösung der Staatsgewebe, besitzt das Kapital kein Heilmittel und auch kein Machtmittel, um sie auf die Dauer niederzuhalten.
Daher ist der Untergang der europäischen Staaten nur eine Frage der Zeit.
Für Deutschland ist die Gefahr nur durch Adolf Hitler und seine Bewegung gebannt worden.
(Uexküll, 1933), S. 71
Unter der nächsten Zwischenüberschrift „Die parasitären Erkrankungen (Die inneren Parasiten)“ offenbart Baron von Uexküll zunächst seine Version eines biologischen Rassismus, dessen primärer Anwendungsfall offensichtlich die deutschen Juden waren. Baron von Uexküll billigt beiläufig das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Auch hier nicht der Hauch eines Grundes, mit Alfred Rosenberg in Streit zu geraten. Ganz im Gegenteil:
Die bei der Verwachsung der Gewebe entstehenden selbständigen Lebewesen, die im Staatskörper schmarotzen, kann man nicht als echte Parasiten bezeichnen, da sie ihren Ursprung aus dem eigenen Volke genommen haben. | S. 72
Echte Parasiten können dagegen die im Staate lebenden Angehörigen einer fremden Rasse genannt werden, wenn sie dem Staate schädlich sind. Sind sie dagegen dem Staate nützlich, so spricht man nicht von Parasitismus, sondern von Symbiose.
Alle diejenigen fremdrassigen Einwohner eines Staates, die durch ein starkes Rassengefühl miteinander verbunden bleiben, werden sich leicht zu einer gemeinschaftlichen Organisation zusammenfinden, die als ein fremdes Lebewesen im Staate ein selbständiges Dasein führt. […]
Wird der Staat von äußeren Feinden angegriffen, so werden sich die Symbionten in den Dienst der nationalen Bewegung stellen, schon um äußerlich kund zu tun, wie sehr sie sich mit dem Staate verwachsen fühlen. Sie werden ganz besonders stark ihren Abscheu gegen die Feinde, die den Staat zu vernichten drohen, an den Tag legen und| S. 73 selbst die größten Opfer an Gut und Leben nicht scheuen, um den Staat zu retten, mit dem sie auf Gedeih und Verderb verbunden sind.
Anders die Parasiten. Sie gedeihen besser in einem kranken Staate, der nur noch schwach auf ihre Eingriffe reagiert. Sie werden es daher versuchen, das Nationalgefühl auf jede Weise zu untergraben und immer wieder auf die Mängel des eigenen Staates hinweisen […]
Niemand wird es daher einem Staatsleiter verübeln, wenn er der Überfremdung der Staatsorgane durch eine fremde Rasse Einhalt gebietet.
(Uexküll, 1933), S. 72-73
Nachdem Baron von Uexküll, der „Gelehrte aus alter Kulturschicht“ (Emge 1960), seine »wissenschaftliche Expertise« zu Gunsten eines biologistischen Rassismus eingesetzt hat, zu der die Charakterisierung von Menschen als Parasiten gehört, wendet er sich im nächsten Schritt den biologischen Rasseneigenschaften des »Volkes« zu. Unklar ist, ob zum »Volk« in diesem Kontext auch die „Fabrikarbeiter“ gehören, die er zuvor mit den alt-griechischen Sklaven gleichgestellt hatte.
Was genau Baron von Uexküll meint, ist aber nicht so wichtig. Wichtig ist, dass er die feudale Seinspyramide rassistisch durch eine biologistische Kausalerklärung zu legitimieren versucht: Hochstehende Menschen seien inzestuös veranlagt, tiefstehende nicht. Das führe zur Rassenmischung tiefstehender Menschen. So entstünden rassisch minderwertige Mischvölker. Das sei eine Auslese zum Nachteil der sich Verbindenden („Auslese in pejus“).[139] Hier die Grundposition:
Soweit es sich um eine Rassenerkrankung des Staates handelt, liegen die Verhältnisse ganz klar. Viel undurchsichtiger liegen die Dinge bei der Rassenerkrankung des Volkes. […] | S. 74 […]
Die Behauptung, daß die Mischlinge verschiedener Menschen- | S. 75 rassen minderwertig ausfallen, stützt sich auf ein wenig beweiskräftiges Material. Die Hemmung sich mit Fremdrassigen zu verbinden, ist bei hochstehenden Personen schwer zu überwinden, während sie bei minderwertigen Personen gar nicht vorhanden ist. Die minderwertigen Mischvölker verdanken ihr Dasein minderwertigen Individuen verschiedener Rassen und stellen somit eine Auslese in pejus dar.
(Uexküll, 1933), S. 73-75
Und nun geht Baron von Uexküll dazu über, seinen Adelsrassismus zu entfalten: Die hochstehenden Persönlichkeiten jeder Rasse sind umwelt- und traditionsgebundener als die Individuen in den ihnen nachgeordneten „Menschenketten“, die nur Mittel zum Zweck der Lebenssteigerung der Adelsfamilien sind. Diese stärkere Umwelt- (Raum) und Traditionsgebundenheit (Zeit) des Geistesadels könnte man zusammenfassend vereinfachen, indem man davon sprechen würde, sie hätten einen intensiveren Grad von Da-sein. Ihr Ort in Raum und Zeit ist bestimmter als der Ort der tiefstehenden Elemente von Menschenketten:
[…] Es gibt aber noch einen tiefer begründeten Einwand gegen die Mischehen, und dieser ist es gerade, der sich bei hochstehenden Persönlichkeiten als Hemmung auswirkt. Das ist die verschiedene Umwelt. Hochstehende Personen, besonders wenn sie traditionsgebunden an den Sitten und Anschauungen ihrer Heimat hängen, besitzen eine stark ausgeprägte Umwelt, die sich nur schwer einer andersartigen Umwelt angleicht.
(Uexküll, 1933), S. 75
Äußere Zeichen der starken Umweltgebundenheit des Adels der verschiedenen Völker seien die Unterschiede in der Architektur der Götterkultstätten. Der Nestor des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Erich Jung, wird hoch erfreut über diese Auskunft des weltberühmten Gelehrten gewesen sein. Für Degeners „Wer ist’s?“ des Jahres 1935 gab er als besondere Lieblingsbeschäftigung „Denkmalkunde“ an (siehe Unterabschnitt 6.2.1.). 1922 hatte er seinem Hass auf das »System« Philosophie Kants und der Weimarer Republik in einem umfangreichen Buch „Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit“ Ausdruck verliehen.[140] Aus den noch erhaltenen „germanischen Götterkultstätten“ versuchte er einen Begriff des Deutschen zu bestimmen. Erich Jung und Baron von Uexküll werden einander im Ausschuss für Rechtsphilosophie viel zu sagen gehabt haben:
Wie tief die Kluft zwischen den Umwelten verschiedener Völker ist, darüber belehren uns am sichersten ihre dem Götterkult dienenden Bauwerke. […]
Fast ebenso unüberbrückbar ist der Gegensatz zwischen einem griechischen Tempel und einem gotischen Dom. Auf der einen Seite die steingewordene Sehnsucht nach einem unerreichbaren Gott hoch droben im Himmel; überrieselt sind die hochragenden Türme der gotischen Dome von grotesken dämonischen Figuren als Ausdruck der Beziehungen zu einer magischen Welt. Der tiefe Zwiespalt der gotischen | S. 76 Seele spiegelt sich wieder im Zwiespalt ihrer Umwelt. Auf der anderen Seite wirkt der griechische Tempel wie der Zusammenklang einer tiefempfundenen Harmonie zwischen Gott und Welt, zwischen Seele und Leib.
Der fromme Christ, der sich in einer Barockkirche der Andacht hingibt, wird von einer jüdischen Synagoge ebenso abgestoßen werden, wie der fromme Jude von einer Barockkirche.
(Uexküll, 1933), S. 75 f.
Der Adel der Griechen, der Christen und der Juden (wie der Inder und Ägypter) ist demnach so verschieden, dass sie einander abstoßen würden. Trotzdem verlangt Baron von Uexküll ein „gegenseitiges Verstehen“ dieser rassisch verschiedenen Adelsgruppen.
Das ist nicht besonders überraschend. Eine Restitution der vormodernen Feudalmonarchien, die er anstrebt, kann ja bestenfalls nur dann handelnd erreicht werden, wenn die an verschiedenen Orten und verschiedenen Traditionen gebundenen Adligen gegen die modernen europäischen Staaten zusammenarbeiten. Eine Verständigung ist schwierig, weil die jeweiligen Adelsgruppen stark ans jeweilige Da-Sein in der Welt und in der Zeit gebunden sind. Eine Verständigung ist leicht, weil jede Adelsgruppe rassisch hochstehend ist. Eine Verständigung ist geboten, da Gott gewollt habe, dass eine Pluralität in Raum und Zeit von geistesadligen »Persönlichkeiten« ex-istiert.
Hier treten die wahren Schwierigkeiten eines gegenseitigen Verstehens zu Tage, die nur von solchen Menschen überwunden werden können, die einen Einblick in das Wesen der Persönlichkeit gewonnen haben. Solange man an der rein materiellen Vorstellung verhaftet bleibt, daß eine Persönlichkeit nichts anderes sei als eine Summe verschiedener Eigenschaften, wird man jeden Menschen, der anders handelt als man selbst, für minderwertig ansehen, weil man seine eigene Umwelt als allein maßgeblich ansieht für alle Menschen. Erst wenn man erkannt hat, daß die Umwelt nichts anderes ist als die Resonanz einer Person und daß jede Person aus der Schöpferkraft der Gott-Natur frei und sicher entspringt wie das Lied aus der Seele des Sängers – dann wird man auch den festen Boden gewonnen haben, von dem aus gesehen sich die Mißverständnisse lösen.
Nicht die Summe von Tönen macht die Melodie und nicht die rassenmäßig gegebene Summe der Eigenschaften macht die Persönlichkeit, sondern der Plan, der sie verbindet, und der wird für jede menschliche Persönlichkeit neu geschaffen.
Die Achtung vor der fremden Persönlichkeit und ihrer Umwelt ist die einzige Grundlage, auf der sich menschenwürdige Umgangsformen entwickeln können. Von diesem Standpunkt aus ist es auch leicht zu verstehen, warum Christus nicht gelehrt hat: Liebe ein abstraktes Gedankengebilde wie die Menschheit, sondern ganz einfach: Hilf Deinem Nächsten, und der Nächste ist immer gerade der, der Deine Hilfe bedarf, welchen Stand oder welcher Rasse er auch angehöre. Damit hat er uns den Schlüssel in die Hand gegeben, um alle rein menschlichen Fragen zu lösen*.
* Als Herausgeber des Nachlasses H. St. Chamberlains möchte ich betonen, daß die obigen Darlegungen sich Punkt für Punkt mit den Lehren Chamberlains decken.[141]
(Uexküll, 1933), S. 76
Baron von Uexkülls Auslegung des Liebesgebots muss man selbstverständlich im Rahmen seines Lobs einer rassistisch-biologischen Weiterentwicklung der Feudalmonarchien deuten. Nur wenigen Menschen hatten gemäß der mittelalterlichen „Ständeordnung“ einen »Stand«.[142] Das Liebesgebot schließt nicht diejenigen Menschen ein, die ohne »Stand« sind. Dass Baron von Uexküll für eine »rasse«-übergreifenden Auslegung des Gebots der Nächsten-Liebe plädieren kann und muss, habe ich bereits erklärt. Zusätzlich möchte ich nun darauf aufmerksam machen, dass im Rahmen dieser Daseins-Lehre in einer Seins-Ordnung die raum-zeitliche Nähe einer eingewanderten „Seinspyramide“ aus Fremdadligen mit zugehöriger Unterschicht die Harmonie der alteingesessen Pluralität von »rasse«-bedingten Herr-Knecht-Gruppen gefährdet. Ggf. könnte man sehr gut mit einer »Daeins-Fremden« »Herr-Knecht-Gruppe« klar kommen, wäre sie an ihrem Ort und in ihre Traditionsgeschichte geblieben.
Im vorletzten Abschnitt, der mit „Die technische Krankheit“ überschrieben ist, betrachtet Baron von Uexküll „eine neue, bisher unerhörte Krankheit in allen Ländern mit ausgesprochenem Maschinenbetrieb“ (S. 77). Zur Kontrastierung lobt Baron von Uexkülls eingangs eine angebliche Entscheidung des Hamburger Senates im 19. Jahrhundert, eine technische Neuerung des Webstuhls vernichten zu lassen, da durch sie Arbeitsplätze verloren gegangen seien. Die Rationalisierung der Produktion durch technische Neuerungen der letzten Jahrzehnte sei abzulehnen:
„Die Technik frißt die Wirtschaft auf“, so lautet kurz gefaßt die Kennzeichnung dieses Zustandes.
[…]
Die Berechnungen der sog. „Technokraten“ in Amerika haben ergeben, daß zur Erzeugung der für den Verbrauch ausreichenden Industrieprodukte eine Arbeitszeit von nur 4 Stunden ausreichend wäre, wenn alle Industriearbeiter wieder beschäftigt würden. Dies wäre ein Geschenk der Technik an die Menschheit, wenn die Arbeiter in 4 Stunden Arbeitszeit ihren vollen Lebensunterhalt auch für ihre Familien erwerben könnten.
Das Geschenk der Technik hat sich aber als ein wahres Danaer-Geschenk erwiesen, denn aus dem Bauch dieses modernen Trojanischen Pferdes der Maschinen-Erzeugungs-Maschine ergießt sich das Arbeitslosenelend über die ganze Welt.
Nur ein Gesinnungswandel im Sinne des vom Hamburger Senat ausgesprochenen Grundsatzes kann hier Wandel schaffen.
(Uexküll, 1933), S. 78
Baron von Uexküll vertritt hier offensichtlich die Position, dass das Hauptprodukt einer adelsrassistisch geführten Ökonomie nicht etwa Lebensmittel, Kleidung, Stahlbleche, Autos oder Panzer sind. Das Hauptprodukt einer adelsrassistisch geführten Ökonomie sind Arbeitsplätze mit einer Wochenarbeitszeit, die dafür sorgt, dass die Elemente der »Menschenketten« allein schon aus Zeitmangel ihr Leben in Ketten weiterführen müssen.
Der letzte Abschnitt des »Staatsbiologie« des Barons ist mit „Die Staatsmedizin“ überschrieben. Ich zitiere ihn komplett, da im letzten Absatz erkennbar wird, welche These Baron von Uexküll auf der Eröffnungssitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie vertreten wollte:
Der deutsche Volks- und Staatskörper gleicht heute einem schwerkranken Patienten, der voll gläubigen Vertrauens sein Schicksal in die Hände eines berühmten Chirurgen gelegt hat, in der Hoffnung, daß dieser ihn durch eine Operation auf Tod und Leben von seinem Leiden befreien werde.
Nun wird auch der genialste Arzt es als einen Übelstand empfinden, wenn ihm kein anatomischer Atlas zur Verfügung steht, in dem die Lage und die gegenseitigen Beziehungen der Körperorgane eingezeichnet sind.
Wir besitzen heute weder Staatskarten noch eine Staatsmedizinschule, deren Aufgabe es wäre, Staatskarten zu entwerfen und Staatsärzte heranzubilden, denen wir die Gesundheitspflege des Staates anvertrauen könnten. Daher wird überall der Ruf nach politischen Fakultäten lebendig. Wirklichen Nutzen werden solche Fakultäten nur dann stiften, wenn sie sich um eine naturwissenschaftliche betriebene Staatsbiologie gruppieren, die auf der Anschauung fußt.●
(Uexküll, 1933), S. 79
Die zweite Auflage der Schrift »Staatsbiologie« Baron von Uexkülls erschien übrigens in derselben Reihe wie Carl Schmitts Zweitauflage seiner Schrift „Begriff des Politischen“, Ernst Forsthoffs „Der totale Staat“, Georg Weipperts „Das Prinzip der Hierarchie“, Hans Bogners „Die verwirklichte Demokratie“, A. Bergsträssers „Nation und Wirtschaft“, Hans Freyers „Herrschaft und Planung“ und Walther Classens „Das Werden des deutschen Volkes“. Darüber wurde der Leser von Uexkülls »Staatsbiologie« auf der letzten Seite vom Verlag informiert.
Baron von Uexküll hat sich fraglos durch seine »Staatsbiologie« eine Berufung in den Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR verdient. Der einzige mögliche Streitpunkt zwischen von Uexküll und Rosenberg, den ich erkennen kann, betrifft tatsächlich Uexkülls These zur Universitätsreform unter der neuen Herrschaft: Mehrheitlich wurde von den akademischen Nationalsozialisten des Ausschusses für Rechtsphilosophie und seines engeren Umkreises eine naturwissenschaftliche Herangehensweise abgelehnt. Die »Geisteswissenschaften« sollten dominieren. [143]
Zurück zu meiner Berichterstattung über die Antwortschreiben der im März 1934 in den Ausschuss für Rechtsphilosophie berufenen »Persönlichkeiten«.
3.5.8. Wilhelm Kischs Antwort vom 30. März 1934: Erich Jung war bereits vor 1914 ein Nationalsozialist!
Blatt 9 der Aktes Emges über die Gründungszeit des Ausschusses für Rechtsphilosophie ist das Antwortschreiben von Professor Wilhelm Kisch vom 30. März 1934. Aus ihm allein geht nicht eindeutig hervor, dass Kisch zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie berufen worden ist. Ausdrücklich bedankt sich Kisch nur „für die Einladung zur Eröffnungssitzung Ihres Ausschusses, von dessen Tagesordnung ich mit besonderem Interesse Kenntnis genommen habe.“ Anschließend teilt Kisch mit, dass er noch nicht wisse, ob er der Einladung, „dieser Sitzung beizuwohnen“, nachkommen können werde: „bejahenden Falles wird es mir natürlich eine wirkliche Freude sein, Ihrer Einladung Folge zu leisten.“ Er benutzt drei Mal das Wort „Einladung“, aber kein einziges Mal das Wort „Berufung“. Aufgrund anderer, bereits dargestellter Informationen aus der Akte wissen wir aber, dass auch Kisch zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehörte.
Das Antwortschreiben von Wilhelm Kisch umfasst einen weiteren Druckabsatz, den ich gleich vollständig zitieren werde. Er ist sehr wichtig, da er etwas über die frühen Anfänge des akademischen Nationalsozialismus mitteilt. In meinem Teil II werde ich die Auskunft von Wilhelm Kisch über Erich Jung ausführlich bestätigen. Hier nun der wichtige Druckabsatz des Briefes von Wilhelm Kisch an C. A. Emge:
z. Zt. Baden-Baden, Europäischer Hof, 30. März 1934
[…] Hochverehrter Herr Kollege!
[…] Schon lang beschlossen! Darf ich bei dieser Gelegenheit noch die Frage stellen, ob mein Kollege Prof. Dr. phil., jur. und rer. pol. Erich Jung in Marburg in Ihren Ausschuß berufen worden ist. Ohne Ihren Entschließungen vorgreifen zu wollen, sollte ich meinen, daß der genannte Gelehrte eine gewisse Anwartschaft auf Zuziehung hätte, da er schon seit vielen Jahren, nämlich schon in der Zeit unserer gemeinsamen Straßburger Wirksamkeit vor dem Krieg, die Gedanken vertreten hat, die der nationalsozialistischen Idee zugrunde liegen. Mit den verbindlichsten Grüßen und Osterwünschen[144] Heil Hitler
Ihr sehr ergebener
W. Kisch
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 9
Die sachliche Kerninformation des Absatzes ist es, dass Erich Jung vor dem August 1914 „die Gedanken vertreten hat, die der nationalsozialistischen Idee zugrunde liegen.“[145] Ich werde in Teil II bestätigen, dass Wilhelm Kisch die Sachlage genau richtig dargestellt hat. Seit 1893 veröffentlichte Erich Jung Texte, in denen zentrale Dogmen des akademischen Nationalsozialismus nach und nach entwickelt wurden.
Da Erich Jung (1866-1950) von allen zwölf Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie der älteste Mensch gewesen ist, könnten aus diesem Kreis höchstens Ernst Heymann (1870-1946) oder Wilhelm Kisch (1874-1952) Erich Jung den Rang streitig machen, so etwas wie der geistige Vater des akademischen Nationalsozialismus gewesen zu sein. In seinem Brief an Emge vom 30. März 1934 macht Wilhelm Kisch diesen Rang Erich Jung nicht streitig. Ganz im Gegenteil: er informiert das Büro des Nietzsche-Archivs darüber, dass Erich Jung dieser Rang gebührt. 1936 erschien eine Sammlung von Aufsätzen Erich Jungs unter dem Titel „National – völkisch – sozial“. Erstmalig waren diese Ausätze in den Jahren 1918 bis 1927 veröffentlicht worden.[146] Es ging Wilhelm Kisch vermutlich darum, für die nachwachsende Generation des neuen deutschen Reiches die Bedeutung von Erich Jung erkennbar zu machen.
Die sachliche Nebeninformation, die auch Wilhelm Kisch selbst betrifft, ist mehrdeutig formuliert. Das war vermutlich Absicht. Eindeutig ist noch die Information, dass es gemeinsame Straßburger Jahre vor dem August 1914 gab. Das ist richtig, da Kisch und Jung vor dem August 1914 beide Professoren der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Straßburger Universität gewesen sind. Als Fakultätskollegen haben sie dienstlich gemeinsam gewirkt. Die Bezugnahme von Kisch auf „unsere gemeinsame Straßburger Wirksamkeit“ könnte sich aber auch auf eine gemeinsame Wirksamkeit im Vertreten der Gedanken beziehen, die der nationalsozialistischen Idee zugrunde liegen. Ich habe Belege dafür gefunden, dass die Behauptung von Kisch über Erich Jung und ihn selbst auch in dieser zweiten Deutung sachlich korrekt ist (siehe Teil II).
Ein Mitarbeiter des Büros des Nietzsche-Archivs, der den Satz von Kisch über Erich Jung und Wilhelm Kisch vor 1914 gelesen hat, wird jedenfalls die Meinung ausgebildet haben, dass mit Erich Jung und Wilhelm Kisch zwei Kenner und mindestens ein Kämpfer für die nationalsozialistische Idee in den Ausschuss für Rechtsphilosophie berufen worden sind.
1941 wird übrigens Erich Jung auf die gemeinsame Zeit mit Wilhelm Kisch und Fritz van Calker an der Straßburger Universität zurückblicken. 1941 war Elsass-Lothringen von der Wehrmacht des Dritten Reiches besetzt:
Von Ordinarien der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät in Straßburg aus damaliger Zeit leben noch außer dem Verfasser dieses der Strafrechtler und Rechtsphilosoph Fritz van Calker und der Prozessualist und Zivilrechtler Wilhelm Kisch, Altelsässer von Abstammung. Kisch hat trotz einer riesig umfangreichen schriftstellerischen Betätigung — u. a. ist sein Lehrbuch im Patentrecht führend — immer auch neben der Forscheraufgabe die Lehraufgabe, die enge geistige Verbundenheit mit seinen Hörern betont und gepflegt; ich glaube man kann sagen, er war zu seiner Zeit [gemeint: vor seiner Pensionierung[147]; mw] der wirksamste und gesuchteste juristische Lehrer an deutschen Hochschulen.
(Jung, Die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Straßburg; 1941), S. 467
Wie es aussieht, war Erich Jung der Entwickler der Gedanken, die der nationalsozialistischen Idee zu Grund lagen, und Wilhelm Kisch ein wirksamer Verbreiter dieser Gedanken und einer zahlreichen Schülerschaft, zu der in den Münchener Jahren von Prof. Wilhelm Kisch eben auch Hans Frank zählte.
Nun zur handschriftlichen Randbemerkung „schon lang beschlossen!“ Sie bedeutet, dass bereits „lange vor“ dem Schreiben von Wilhelm Kisch an Emge vom 30. März 1934 beschlossen worden ist, Professor Erich Jung zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu berufen. Die relevante Beschlussfähigkeit war im relevanten Zeitraum durch die erste Satzung der AfDR in § 4 geregelt:
Dem Führer obliegen […] 3. Die Entscheidung über die Aufnahme und das Ausscheiden der Mitglieder.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934)
Der Führer der AfDR war Hans Frank. Man darf demnach annehmen, dass Hans Frank „lange vor“ dem April 1934 beschlossen hatte, Erich Jung zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie in der AfDR zu berufen. Der Beschluss Hans Franks, einen Ausschuss für Rechtsphilosophie zu gründen, kann frühestens gleichzeitig mit der Berufungsentscheidung getroffen worden sein.
Ich werde in Unterabschnitt 7.7.3. zeigen, dass im ersten Jahrbuch der Akademie für deutsches Recht, das im Sommer 1934 fertiggestellt worden ist, die Geschichte der Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie beiläufig so dargestellt wird, dass Wilhelm Kisch am 29. Januar 1934 den Gründungsbeschluss mitteilte, nachdem Hans Frank auf der 2. Vollsitzung der AfDR einen Vortrag von einem „Fräulein“ Prof. Lea Meriggi (Mailand) mit dem Titel „Faschismus und Recht“ gehört hatte.
Blatt 22 der Akte Emges ist ein weiteres Schreiben von Wilhelm Kisch an Professor Emge. Es ist auf den 20. April 1934 datiert. Er bedankt sich für die erneute Einladung zum 3. Mai 1934: „Es wäre mir eine besondere Freude gewesen, derselben beizuwohnen. Er werde aber „leider“ in München auf einer Konferenz festgehalten werden.
3.5.9. Rudolf Stammlers Antwort vom 5. April 1934
Blatt 10 ist das Antwortschreiben von Prof. Dr. Dr. Rudolf Stammler vom 5. April 34. Abgesehen vom Briefkopf ist es vollständig handgeschrieben. Mit ein wenig Mühe konnte ich folgenden Haupttext entziffern:
Ihren liebenswürdigen Brief v. 26. [März?] mit der darin enthaltenen [???] Berufung und Einladung habe ich mit herzlichem Dank erhalten. Ich gedenke, mich am Donnerstag 3. Mai in Weimar einzufinden.
Mit herzlichen Grüßen
Heil Hitler!
Rudolf Stammler●
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 10
In seinem Nachruf auf Stammler teilt Emge 1938 seinen Lesern nicht mit, dass Stammler Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Er sagt nur, dass Stammler bei der Gründungssitzung anwesend war:
[18] Es befriedigt, zu wissen, daß sich Rudolf Stammler nach dem Umbruch sofort und gern zur Verfügung stellte. Es mag ferner als Symbol für geistige Verantwortung gelten, daß Stammler bei der Gründungssitzung des rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht seinerzeit im Nietzsche-Archiv zu Weimar anwesend war und sogleich ein echtes rechtsphilosophisches Gespräch gestalten half. Der Vorsitzende dieses Ausschusses, Reichsminister Dr. Frank, hatte mit der Frage begonnen: „Was ist Recht?“—●
(C. A. Emge, Rudolf Stammler zum Gedächtnis; 1938), S. 335
Emges Nachruf werde ich in Unterabschnitt 8.3.1. ausführlicher vorstellen.
3.5.10. Carl Schmitts Antwort vom 21. April 1934
Blatt 11 ist das Antwortschreiben von Carl Schmitt vom 21. April 1934. Ich zitiere das Antwortschreiben von Carl Schmitt vollständig.
Preußischer Staatsrat Berlin-Steglitz Professor Carl Schmitt Schillerstr. 2 21. IV. 1934. Sehr geehrter Herr Kollege!
Vielen herzlichen Dank für Ihre freundliche Einladung, ich werde gern erscheinen.
Mit deutschen Gruß und Heil Hitler!
Carl Schmitt
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 11[148]
Aus dem Wortlaut des Antwortschreibens allein kann nicht auf die Tatsache geschlossen werden, dass Carl Schmitt vor Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai1934 zum Mitglied des Ausschusses berufen worden ist. Der Gesamtzusammenhang der Akte beweist das aber.
3.5.11. Dr. Helmut Nicolais Antwort vom 26. April 1934
Blatt 18 ist das Antwortschreiben von Helmut Nicolai (1895-1955). Im Briefkopf stellt er sich als Ministerialdirektor des Reichsministeriums des Inneren vor. Nicolai sagt ab. Hauptsächlich wegen einer Tagung von Verwaltungsbeamten in Berlin, auf die sich auch Carl Schmitt in seinem Tagebucheintrag vom 4. Mai1934 bezogen hat.
Ich zitiere nun den Haupttext des Schreibens, der mit einer Schreibmaschine getippt worden ist:
Sehr geehrter Herr Professor!
Da ich am 2. Mai d. J. in Kiel zu reden habe und am 4., 5. und 6. Mai hier die grosse Fachgruppentagung der Verwaltungsbeamten ist, kann ich leider am 3. Mai nicht auch noch fortfahren. So unendlich gern ich an der Akademiesitzung gerade bei Ihnen teilnehmen wollte, lässt sich dies einfach nicht ermöglichen und ich bitte, mich deshalb entschuldigen zu wollen. Ich werde versuchen, Ihnen Herrn Dr. Röder als meinen Vertreter zu senden.
Mit verbindlichsten Grüssen und Heil Hitler bin ich
Ihr sehr ergebener
Nicolai
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 18
Der Dienstvorgesetzte von Helmut Nicolai, Wilhelm Frick, war anscheinend der Meinung, dass Nicolai am 3. Mai problemlos von Berlin nach Weimar fahren konnte, da er ja am 3. Mai noch keine Dienstpflichten zu erfüllen hatte. Dafür spricht, dass auf der Rückseite von Blatt 22 nur drei Namen handschriftlich unter der Überschrift „Absagen“ notiert sind: Kisch, Hedemann, Rust. Dafür spricht auch, dass in der Zeitungsberichterstattung über den 3. Mai behauptet wird, Nicolai sei anwesend gewesen.
Ich nutze die Gelegenheit zu einem weiteren Exkurs, durch den ich Helmut Nicolai in einem Kontext vorstellen werde, der auch seinen Zeitgenossen zugänglich war und in dem es um die Gründung der AfDR und Hans Franks und Adolf Hitlers Rechtsanschauungen geht. Das ist vermutlich interessant genug.
3.5.12. Exkurs: Helmut Nicolais Rede „Rasse und Recht“, die Proklamation der Akademie für Deutsches Recht und die Abschlussreden Hans Franks und Adolf Hitlers über Rasse und Recht auf dem Juristentag in Leipzig 1933
Da nach Aktenlage Helmut Nicolai (1895-1955) Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, sollte ich ihn kurz vorstellen. Ich tue das durch Wiedergabe eines ausführlichen Berichts eines Georg Bayerles über den „Juristentag in Leipzig“ vom 30. September bis zum 3. Oktober 1933, der in der Zeitschrift des BNSDJ „Deutsches Recht“ abgedruckt worden ist. Das Motto des Juristentages lautete: „Durch Nationalsozialismus dem deutschen Volk das deutsche Recht“. In dem Bericht wird ein Vortrag Nicolais kurz zusammengefasst:
„Rasse und Recht“ war der Gegenstand des Vortrages von Reg.-Präsident Dr. Nicolai, Grundlage des Nationalsozialismus sei das Rassedenken. Erhaltung der Rasse, der Eigenart, sei der Grundgedanke gewesen, auf dem das Denken der nordischen Vorzeit aufgebaut war. Die Rassenmischung habe Auflösung des Gemeingeistes gebracht. Das spätrömische Reich sei nur noch ein Juristenstaat gewesen.
(Bayerle 1933), S. 196
Ich erinnere erneut an Punkt 19 des Parteiprogramms der NSDAP vom 20. Februar 1920:
19. Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemein-Recht.
http://www.documentarchiv.de/wr/1920/nsdap-programm.html
Helmut Nicolai knüpft in seiner Rede 1933 offensichtlich an Punkt 19 an. Im nächsten Absatz verbindet er die rechtsphilosophische Auslegung des primären »Substanzwertes der Rasse« mit einer religionsphilosophischen Legitimation für diesen »Wert«:
Eine der wichtigsten Aufgaben sei der Rasseschutz. Er sei die richtige Abgrenzung der völkischen Einheit von anderen Völkern. Wenn auch jedes Volk auf die Erhaltung seiner eigenen Besonderheiten Wert lege, sei es doch sinnlos, die Eigenarten fremder Völker verachten und vernichten zu wollen. Mit dem Rassegedanken müsse der Rechtsgedanke verbunden sein. Weil das Recht im Rassegedanken wurzle, sei es Gottes heilige Ordnung.
(Bayerle 1933), S. 196
Es fehlt eine Prämisse. Sie lautet: Mindestens ein Gott hat mindestens zwei Völker geschaffen, denen es verboten ist, die jeweils andere Besonderheit zu vernichten. Das passt hervorragend zur Position, die Baron von Uexküll in seinem Buch „Staatsbiologie“ entwickelt hat und die ich in Unterabschnitt 3.5.7. vorgestellt habe.
Die Position von Nicolai und Baron von Uexküll schließt selbstverständlich nicht aus, dass ein anderer Gott oder ein »Anti-Gott« ein oder mehrere andere Völker geschaffen hat, deren ursprüngliche Andersartigkeit sie nicht unter den Schutz des Vernichtungsverbots stellt, ja vielleicht sogar einem göttlichen Vernichtungsgebot unterwirft. Wie ich noch zeigen werde, gehörte die Schöpfung einer rassistischen Religionsphilosophie zu den Aufgaben des Ausschusses für Rechtsphilosophie (vgl. Unterabschnitt 4.4.2.).
Zurück zu Bayerles Bericht über den Juristen-Tag In Leipzig 1933. Am Abend des Tages, an dem Nicolai seinen Vortrag hielt, wurde die AfDR „proklamiert“:
Der Abend brachte ein Ereignis, das in der Geschichte der Universität Leipzig besondere Beachtung verdient. Die Aula der Universität stellte den Rahmen für die Proklamation der „Akademie für deutsches Recht“. Das Leipziger Symphonie-Orchester spielte die 5. Fuge von J. S. Bachs „Die Kunst der Fuge“, worauf der Rektor der Universität Geheimrat Achelis[149], die hohe Festversammlung willkommen hieß.
(Bayerle 1933), S. 197
Das, was der Bericht im nächsten Schritt über die proklamierenden Worte Hans Franks wiedergibt, ist bis auf einen Satz weiter nicht spannend:
„Kraft der mir vom Führer der N.S.D.A.P. erteilten Vollmacht erkläre ich hiermit feierlich die Akademie für Deutsches Recht als eröffnet.“
(Bayerle 1933), S. 197
Dieser Satz ist bemerkenswert, da Hans Frank öffentlich bekannt gab, dass die AfDR eine Akademie von Führers Gnaden war.
Am nächsten und letzten Tag des Leipziger Juristentags sprach u.a. Carl Schmitt „über den Neubau des Staats- und Verwaltungsrechtes“. Schmitt beginnt seine Rede mit der Lüge, die vielleicht seine berühmteste ist: Die „deutsche Revolution“ des Jahres 1933 sei legal gewesen. Er präsentiert diesen Satz als Folgerungssatz. Eine seiner Prämissen ist die Lüge, dass die „Wahl des 5. März 1933“ eine Volksabstimmung gewesen sei. Tatsächlich sind am 5. März 1933 Wahlen zur Besetzung des Reichstags durchgeführt worden. Reichstagswahlen waren nach der Weimarer Reichsverfassung keine Volksabstimmungen. Auch war die Wahl vom 5. März nicht mehr frei: das passive Wahlrecht war bereits massiv eingeschränkt. Das »Ermächtigungsgesetz« vom 24. März wurde infolge nicht von einem verfassungsmäßig legitimierten Reichstag beschlossen. Anders Carl Schmitt:
„Zwar gilt die Weimarer Verfassung, soweit sie nicht der neuen Rechtslage widerspricht, weiter, sie ist aber nicht die Grundlage und verfassungsmäßige Legitimierung des heutigen Staates. – Die Wahl des 5. März 1933 war in Wirklichkeit eine Volksabstimmung. Die vorläufige Verfassung vom 24. März 1933 trägt alle Merkmale einer Übergangsregelung. – Die deutsche Revolution war legal, d.h. gemäß der früheren Verfassung formell korrekt. Sie war es aus Disziplin und deutschem Sinn für Ordnung.
(Bayerle 1933), S. 198
Carl Schmitts Hinweis auf den Übergangscharakter ist mit Blick auf das Ende des Intervalls korrekt, da sie ausdrücklich und unbedingt am 1. April 1937 außer Kraft trat.
Es war und blieb die satzungsgemäße Aufgabe der AfDR, mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen zusammenzuarbeiten. Nach dem rechtswidrigen Selbstermächtigungsdiktat der NSDAP und DNVP vom 24. März 1934 war das wichtigste Gesetzgebungsorgan die Reichsregierung. Im Dezember 1934 wurde der Präsident der AfDR Reichsminister. Er war damit Mitglied des wichtigsten Gesetzgebungsorgans des NS-Staates.
Abbildung 7: Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933, Seite 1[150] | Abbildung 8: Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933, Seite 2[151] |
Über Schmitts Vortrag berichtet Bayerle zusätzlich nur noch folgendes:
Die Gesetzgebung und das Verhältnis von Reich und Ländern ist klar und einfach geordnet. Eine völlig neue Fragenreihe betrifft die rechtlichen Beziehungen von Staat und Partei. Trotz mancher Ähnlichkeit des nationalsozialistischen Staates mit dem faschistischen gibt es auf diesem Gebiet große Verschiedenheiten. Die nationalsozialistische Organisation hat eine Vormachtstellung. Die politische Einheit des nationalsozialistischen Staates ist eine dreigliedrige Zusammenfassung von Staat, Bewegung und Volk.“
(Bayerle 1933), S. 198
Sollte Bayerles Referat vollständig und korrekt sein, hat Carl Schmitt in seiner Rede offen gelassen, wie das Verhältnis zwischen NS-Partei und NS-Staat zu denken ist. Er legt sich nur auf eine Vormachtstellung der „Organisation“ fest.
Nach weiteren Vorträgen und einen Ortswechsel in die Messehalle erschien …
Endlich der Führer. Unendlicher Jubel der Versammelten dankt ihm für sein Kommen und für seine unermüdliche Tätigkeit.
(Bayerle 1933), S. 198
In Anwesenheit des Führers Adolf Hitler hielt dann Hans Frank erneut eine Rede. Ich zitiere die dogmatisch zentralen Aussagen Hans Franks:
Da betritt der Führer des Juristenbundes die Rednertribüne: „[…] Wir haben in diesen Tagen die Grundfragen des Deutschen Lebens unter dem Gesichtspunkt des Rechts erörtert und sind zu dem machtvollen Ergebnis gekommen, daß unsere Macht nicht nur aufgebaut ist auf äußeren Faktoren, wie sie anderen Systemen zur Verfügung standen, sondern daß die Macht des Nationalsozialismus über Deutschland auf jenen naturgesetzlichen Machtfaktoren aufgerichtet ist, die niemand antasten darf. – Wir sind ein Volk des Rechts, und unsere Macht ist eine Rechtsmacht. […] – Wie man früher Recht aufgebaut hat auf vergängliche Worte, etwa auf die Skala des Profits, je nach den unterschiedlichen Zeitläufen, so wird künftig überhaupt kein anderer Wert im Recht mehr maßgebend sein als jener, der auf den ewigen Gesetzen des nationalen Werdens und Vergehens beruht. Wir haben in den Mittelpunkt unserer Betrachtung in diesen Tagen den Begriff der Rasse gestellt. Es war mir eine hohe Genugtuung, daß dieser Gedanke bereits in so vollgültiger Form in das Recht eingebürgert werden konnte, daß er für alle Zeiten der wesentliche Grundbegriff der allgemeinen Rechtslehre in Deutschland bleiben wird.[152] Neben den Begriff der Rasse haben wir in den Mittelpunkt den Schutz der Ehre gestellt. Es handelt sich um Ehre in dem Sinn, daß jeder bei sich verantwortlich ist für die Ehre der Gesamtheit der Nation. Die Ehre der Nation kann in einem einzelnen gewahrt und in einem einzelnen verloren werden.
Der Richter soll der große Richterkönig, der Herrscher über das Leben der Nation sein, soweit dieses Leben sich in der Helle des Tages offenbart.
[…] Es ist ein Mißbrauch der Gläubigkeit des Volkes an das Recht, wenn Sie ihm den Glauben beibringen wollen, daß das, was schon ein Richter nicht entscheiden kann, von dreien in Mehrheitsabstimmung entschieden werden könnte. Wir wünschen diesen Richterkönig, der entscheidet, nach den Gesetzen der Nation, den Richterkönig allerdings, der dann gerade deshalb die Achtung beanspruchen kann, weil er, unabhängig und frei, nur dem Gewissen der Nation unterworfen ist, das sich in ihm zu verkörpern hat.
(Bayerle 1933), S. 198
Wer wissen will, was Hans Frank mit seiner Forderung nach unabhängigen und freien Richtern meinte, lese auch noch die folgenden Absätze:
Dulden Sie nie, daß Gewalten, die dem Deutschtum und dem gemeinen Interesse schädlich sind, auf dem Umwege deutscher Rechtsanwendung sich Vorteile erschleichen gegenüber dem gutmeinenden, ehrlichen, deutschen Volksgenossen.
Es wäre nicht mehr lange so fortgegangen, daß man in den Mittelpunkt des Mitleids den Verbrecher und nicht die Gemeinschaft stellte. Kein Volk kann mehr Recht in der Welt verlangen, als es seinen eigenen Helden zu geben bereit ist. Deutschland hat das heldische Prinzip wieder auf seine Fahne geschrieben. Man soll nur wissen, daß wir, die friedliebende Nation, in jedem Fall gewillt sind, unser Recht in Rechtsform gegenüber jedermann in der Welt zu vertreten. In dem nunmehr begonnenen historischen Abschnitt hat das deutsche Volk Adolf Hitler zu seinem Gottesstreiter gewählt. Möge ihm der Sieg beschieden sein.
Deutsche Juristen, wir schwören dem Führer die Treue und die Hingabe bis zur letzten Kraft in diesem Gottesstreit um das Recht, das ewige Recht des deutschen Volkes. Über die Gräber der Toten des Krieges hinweg, grüßen wir deutsche Juristen Dich, mein Führer, in ewiger Treue und Hingabebereitschaft.
Sie können sich auf Ihre deutschen Juristen verlassen! Heil!“●
(Bayerle 1933), S. 199
Der »Gottesstreiter Adolf Hitler« beglückte anschließend seine Juristen mit folgenden Worten – in der Wiedergabe durch Georg Bayerle:
Dann sprach der Führer.
In tiefgründiger Weise erläuterte er die weltanschaulichen Grundlagen des Rechts und zeigte den Wandel auf, dem in der Entwicklung der Völker auch die Rechtsauffassungen unterliegen. Die rassische Bedingtheit des Rechtsbegriffs führt zu Erkenntnissen, die für die Zukunft von entscheidender Bedeutung seien und besonders auch im internationalen Rechtsleben eine Rolle spielen werden.
Gerade der rassisch bedingte Staat kenne keine Unterdrückung fremder Völker. Nur auf dem Boden dieser Erkenntnis könne eine wahrhaft organische Völkergemeinschaft als Weltordnung entstehen. Aus der Einheit von Volk und Staat ergebe sich die klare und eindeutige Aufgabe der Staatsführung: Volkserhaltung, Rasseschutz und Rassenpflege. Die Rechtsauffassung des liberalen Staates ende im Zerfall eines Volkes, das am Staat und seiner Justiz in wachsendem Maße irre werde. Der totale Staat kenne keinen Unterschied zwischen Recht und Moral. Nur im Rahmen der Weltanschauung könne und müsse eine Justiz unabhängig sein.
Die deutschen Juristen sollen im Sinn der Einheit von Rechtsauffassung und Staatsauffassung sich der Verpflichtung gegenüber dem Volke bewußt sein.
Mit dieser einzigartigen Kundgebung hatte der Juristentag seinen Abschluß erreicht.
Es war der bisher größte Tag der Juristen gewesen, der jemals stattfand. Seine Kundgebungen haben ebenso wie die sachlichen Darbietungen einen so bleibenden und tiefen Eindruck auf die Teilnehmer gemacht, daß sein Gewinn ein bleibender sein wird.
Georg Beyerle●
(Bayerle 1933), S. 199
Bemerkenswert ist, dass der Gottesstreiter Adolf Hitler bereits am 3. Oktober 1933 das Hauptaxiom von Carl Schmitts Großraumlehre (1943/44) einer „wahrhaft organischen Völkergemeinschaft als Weltordnung“ durch rassisch bedingte Staaten/Reiche vertrat. 1933 war es allerdings strategisch geboten, öffentlich nicht mitzuteilen, dass zu dieser Weltordnung „natürlich“ die „Unterdrückung fremder Völker“ durch die Herrenrasse des jeweiligen Großraums und „ausnahmsweise“ auch die „Vernichtung einer fremden Rasse in ihrer ganzen lebendigen Substanz“ gehöre (vgl. Teil IV).
Auch Hitlers Bezugnahme auf eine rassistische Rechtsgeschichte lässt vermuten, dass er durch exzellente Juristen unterstützt wurde. In Teil II werde ich zeigen, wer die Fähigkeiten, wer die Gelegenheit und wer das Motiv hatte, Hitler rechtsphilosophisch und rechtsgeschichtlich zu beraten.
Zurück zur Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Helmut Nicolais Antwort deutet zumindest an, dass er mit seiner Aufgabe überfordert war. Am 26. Mai 1934 trug dann nicht Nicolai, sondern Achim Gercke (1902-1997) auf der Arbeitstagung der AfDR vom 26. Mai 1934 über „Rasse und Recht“ vor (siehe Unterabschnitt 7.10.3.) zu der Emge alle 18 Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie eingeladen hat (siehe Abschnitt 3.3.).
3.5.13. Viktor Bruns Antwort vom 27. April 1934
Blatt 20 ist ein Brief des Direktors des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht e.V., Prof. Viktor Bruns, vom 27. April 1934. Er teilt seinen „wärmsten Dank“ für die „Berufung in den Ausschuss für Rechtsphilosophie an der Akademie für Deutsches Recht“ mit. Er „begrüsse es mit besonderer Freude, gerade an diesem Ausschuss mitarbeiten zu dürfen; ich verspreche mir von dieser Tätigkeit eine reiche Förderung meiner eigenen Arbeiten.“ Da Professor Bruns sich zusätzlich für die „Verzögerung“ seiner Antwort entschuldigt, gehe ich davon aus, dass auch er bereits Ende März ein Berufungsschreiben von Emge erhalten hat. Emge hatte seine Berufungsschreiben ja kurz vor den Osterferien des Jahres 1934 verschickt.
3.5.14. Alfred Rosenbergs Antwort vom 2. Mai 1934 (Blatt 30)
Blatt 30 ist ein Brief von Gotthard Urban (1905-1941) an Professor Emge. Urban gehörte über viele Jahre zum engsten Kreis um Alfred Rosenberg. [153] Für seinen Brief vom 2. Mai 1934 an Emge benutzte er den Briefkopf des „Kampfbundes für Deutsche Kultur e.V.“, dessen Reichsleiter Alfred Rosenberg war. Ich zitiere diesen Brief vollständig, da Emge 1960 suggeriert hat, Alfred Rosenberg sei uneingeladen und überraschend auf der konstituierenden Sitzung des Ausschusses erschienen und habe einen Vortrag gehalten. Ich zitiere diese Behauptung Emges von 1960 erneut:
Als wir uns an die Arbeit begaben, erschien Alfred Rosenberg und trug │ S. 75 sein bekannt unreifes Zeug vor. Die Folge davon war, daß ihn nach der Sitzung Uexkull im Hotel aufsuchte, um auf die Unmöglichkeit seiner Auffassungen aufmerksam zu machen. Eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem berühmten Gelehrten aus alter Kulturschicht von hohem wissenschaftlichen [im Original; mw] Rang mit dem homo novus und Dilettanten! Damit war jener Arbeitsgruppe der Todesstoß versetzt. Sie konnte nie mehr zusammen kommen.
(Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 74 f.
Nun der Originalwortlaut von Gotthard Urban vom 2. Mai 1934:
Sehr geehrter Herr Professor!
Ich kann im Augenblick nicht feststellen, ob Ihnen von Herrn Rosenberg schon direkt durch sein Sekretariat eine Mitteilung zugegangen ist. Ich möchte Ihnen auf jeden Fall mitteilen, dass Herr Rosenberg morgen zwischen 15 und 15,30 Uhr in Weimar eintreffen und im Hotel Elefant Wohnung nehmen wird. Er erscheint alsdann pünktlich zur Sitzung im Nietzsche-Archiv.
Ich komme gern Ihrer Aufforderung mitzukommen nach und hoffe, dass wir alsdann die Möglichkeit haben, die schon vorbesprochenen Pläne zu einem gewissen Abschluss zu bringen.
Falls Ihre Zeit morgen durch die Ereignisse in Weimar zu sehr in Anspruch genommen ist, stehe ich Ihnen auch noch am Freitag Vormittag zur Verfügung.
Mit den besten Grüßen und Heil Hitler
Ihr sehr ergebener
Urban
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 14
Damit ist erneut zweifelsfrei nachgewiesen, dass Emge vor dem 2. Mai 1934 Rosenberg zusammen mit Urban zur Eröffnungssitzung am 3. Mai eingeladen hat. Auf der handschriftlich verfassten Planung für den 3. Mai 1934 (Blatt 35) war ebenfalls ein Vortrag Rosenbergs vorgesehen, so dass auch keine wahrhafte Rede davon sein kann, dass Rosenberg am 3. Mai 1934 überraschend einen Vortrag gehalten hat. Professor C. A. Emge hat 1960 nachweislich auch in diesem Punkt gelogen.
3.5.15. Hans Naumanns undatierte Antwort (Blatt 39)
Blatt 39 ist ein kurzer, handgeschriebener Brief ohne Datumsangabe an Emge von Hans Naumann. Ich kann nicht alles entziffern:
Lieber Herr Emge,
mit vielem Dank nehme ich ??? unverdienten Ehrungen an. Komme gerade von Vortragsreisen in Oxford, Cambridge, Rom, daher die Verzögerung. Hoffe am 3. Mai zur Stelle sein zu können.
Heil Hitler Ihr Hans Naumann
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 39
Hans Naumann (1886-1951) hatte bereits 1929 in zweiter Auflage seine Version des Adelsrassismus des akademischen Nationalsozialismus vertreten.[154] Matthes Ziegler (1911-1992) griff ihn genau dafür im Augustheft der Nationalsozialistischen Monatshefte des Jahres 1934 an: Es gäbe keine wesentliche Unterscheidung zwischen der deutschen Unter- und Oberschicht. Wenn es Unterschiede geben würde, dann wären »die deutschen Bauern« wesenhaft »arteigener« als alle anderen Deutschen.[155] Falls Naumann tatsächlich den »Stand der (freien) Bauern« anders als Baron von Uexküll aus der »Seinsordnung« ausgeschlossen hat und sie »weltanschaulich« proletarisiert hat, wäre das ein hinreichender Grund dafür gewesen, weshalb er »weltanschaulich« nicht tragbar gewesen ist.
Ziegler war kurz zuvor Schriftleiter dieser „zentralen politischen und kulturellen Zeitung“ (Titelblätter der Nationalsozialistischen Monatshefte des Jahres 1934) und Leiter des „Archivs für kirchenpolitische Fragen“ im »Amt Rosenberg« geworden.[156]
In dem mir bekannten Drittel der Akte Emges gibt es keine weiteren Schreiben von Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie an Emge. Die weiteren Blätter, die ich kenne, sind vor allem Antwortschreiben auf Einladungen, die Emge an »maßgebende Persönlichkeiten« verschickt hatte.
Es fehlen demnach in der Akte Antwortschreiben von Martin Heidegger, Ernst Heymann und Walter Luetgebrune. Da der Präsident der AfDR nicht antworten musste, wäre es in seinem Fall falsch davon zu sprechen, dass sein Antwortschreiben in der Akte fehlte.
3.6. Emge umwirbt Goebbels am 24. April 1934
Emges Anschreiben an die »maßgebende Persönlichkeit« Goebbelsist mir bekannt. Es ist interessant. Ich zitiere das Schreiben deswegen vollständig:
Stiftung
Nietzsche-ArchivWeimar, d. 24.4.34
Hochverehrter Herr Reichsminister!
Es ist lange her, daß ich Sie sprechen durfte, aber Ihr so freundlicher Dankesbrief auf meine Gratulation zu Ihrer Ernennung gibt mir den Mut, mich mit folgender sachlicher Bitte an Sie zu wenden.
Minister Frank hat mich mit den Geschäften des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Akademie für deutsches Recht betraut. Die Eröffnungssitzung wird am 3. Mai nachmittags 4 Uhr im Nietzsche-Archiv zu Weimar stattfinden. Persönlichkeiten wie Heidegger, Rothacker, Stammler, Binder, Karl Schmi
dtt [so im Original; mw], Hans Freyer, Hans Naumann, Erich Jung, Bruns werden anwesend sein. Eine der wichtigsten Angelegenheiten des Ausschusses wird es sein, sozusagen fide vel moribus, den geistigen Gehalt der Bewegung nach Seiten des Jurisprudenz zu interpretieren. Es scheint mir unumgänglich, daß ich dabei in enger Fühlung mit der maßgeblichen Persönlichkeit stehe, die sich über die Problematik dieser Angelegenheit gewiß am klarsten ist. Ich darf nur an die große Bedeutung der Angelegenheit mit Rücksicht auf einen möglichen Kulturkampf erinnern.
Ich wäre daher glücklich, wenn Sie in Erneuerung der alten Beziehungen uns die Freude machen würden zur Eröffnungssitzung zu erscheinen. Wenn sich das nicht machen läßt, so darf ich Sie bitten, mir einen Termin anzugeben an dem ich (vielleicht in Ihrer außerdienstlichen Zeit) Ihnen einmal ausführlich über diese Dinge berichten kann. Ich möchte hinzufügen, daß ich bei solcher Gelegenheit auch als wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs gern einige Wünsche hören würden.
Mit dem Ausdruck alter Verehrung und Heil Hitler
Ihr ergebenster Emge
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 13
Ich wüsste gerne, wann Emge wie Goebbels kennengelernt hat.
3.7. Wilhelm Arendts an Hans Frank am 2. Mai 1934
Wilhelm Arendts war der Schatzmeister der AfDR. Er und Wilhelm Kisch gehörten zu den weinigen Personen, die anwesend waren, als Hans Frank am 26. Juni 1933 die AfDR gründete (siehe Abschnitt 7.3.). Er und Wilhelm Kisch tätigten im Herrschaftsgebiet Hans Franks während des Krieges „schmutzige Geschäfte“ (siehe Unterabschnitt 6.2.4.). Er und Wilhelm Kisch waren noch nach dem Wechsel von Hans Frank zur Otto Thierack im Amt des Präsidenten der AfDR im September 1942 Mitglieder des kleinen Präsidiums der AfDR (siehe Unterabschnitt 9.3.2.).
Gemäß der Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie war Wilhelm Arendts auch zur Eröffnungssitzung am 3. Mai 1934 eingeladen worden. In seinem Antwortschreiben vom 2. Mai 1934 an Emge präsentierte Arendts folgende Informationen über sich durch einen Absenderstempel:
Kommerzienrat
Wilhelm Arendts
Generaldirektor
der Bayerischen Versicherungsbank A.-G.
vormals Versicherungsanstalten der Bayerischen
Hypotheken- und Wechselbank
München, Ludwigstr.12
Telephon:
Büro: 26314 Wohnung: 22920
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 33
Ich zitiere das, da die „Ludwigstr. 12“ in den Anfangsjahren der AfDR gelegentlich als Postanschrift der AfDR genutzt wurde.
Ich zitiere nun den Briefinhalt:
Sehr geehrter Herr Professor!
ich bedauere es ausserordentlich, dass es mir nicht möglich ist, bei der morgen 4 Uhr Nachmittag angesetzten Eröffnungsfeier des Ausschusses für Rechtsphilosophie teilzunehmen, da ich die Einladung erst in den letzten Tagen erhalten habe und schon durch eine anderweitige Sitzung in Berlin gebunden bin.
Ich hoffe, Herrn Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank heute Abend im Zug zu treffen und ihn auch unmittelbar unterrichten zu können.
Heil Hitler!
Arendts
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 33
Wilhelm Arendts war anscheinend so vertraut mit Hans Frank, dass ein unangemeldetes Gespräch des Kommerzienrats Arendts mit einer der führenden »Persönlichkeiten« der NS-Partei und des NS-Staates in einem Abendzug von München Richtung Berlin und Weimar problemlos möglich war.
3.8. Tabellarischer Überblick über weitere Blätter der Akte GSA 72/1588
Blatt 21 ist ein Schreiben eines Mitarbeiters des Verwaltungsdienstes der AfDR namens Gaeb vom 28. April 1934 an Professor Emge.
Das Schreiben enthält zwei interessante Informationen:
Ferner möchte ich Sie bitten, für die Tagung perfekte Stenographen (wenn möglich, Landtagsstenographen) zu besogren, damit wir die grundlegenden Ausführungen der Reden anlässlich der Tagung sogleich bereit haben und sie pressetechnisch verwenden können.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), Blatt 21
Links von diesem Absatz ist handschriftlich etwas notiert worden, das vielleicht mit „Photogr Kopf 9/2“ korrekt entziffert wäre. Dass wahrscheinlich tatsächlich Stenographen die Reden von Hans Frank, Alfred Rosenberg und Carl August Emge für eine Verwendung in der Presse niedergeschrieben haben, belegen die ausführlichen Wiedergaben dieser Rede in Zeitungen und Zeitschriften im Mai 1934 (siehe Abschnitt 4).
Der folgende Absatz aus diesem Schreiben von Gaeb an Emge hilft, viele der weiteren Schreiben vom Anfang der Akte Emges einzuordnen:
Die Einladungen an die massgebenden [so im Original; mw] Persönlichkeiten, vor allem an die Mitglieder des Präsidiums der Akademie für Deutsches Recht, haben Sie – wenn ich mir recht entsinne – wohl selbst liebenswürdiger Weise übernommen.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), Blatt 21
Bl.nr. | Datum | Wer | Was |
12 | 23.4.34 | Handschriftliche Namensliste, vermutlich der einzuladenden Persönlichkeiten (u.a. Roland Freisler) | |
27 | Kein | Handschriftliche Namensliste der Personen, die zugesagt haben | |
14 | 24.4.34 | Emge an Frank | Erinnerung an die Eröffnungssitzung |
15 | 24.4.34 | Emge an Hess | Bitte „um Entsendung eines Vertreters zu den Ausschusssitzungen“ zwecks Herstellung eines „unmittelbaren Konnex … mit der Reichsleitung“ |
16 | 26.4.34 | Erwin Noack an Emge | Der Generalinspekteur des BNSDJ Noack bedankt sich für die Einladung zum 3. Mai |
17 | 26.4.34 | Gonella an Emge | Über die Reichsgeschäftsstelle der BNSDJ bedankt sich Gonella für die Einladung zum 3. Mai |
19 | 27.4.34 | Hedemann an Emge | Der Vorsitzende des Ausschusses für Personen-, Vereins- und Schuldrecht der AfDR, Prof. Justus W. Hedemann, bedankt sich für die Einladung, sagt seine Teilnahme zu und wünscht, „als ein sehr interessierter und ernster Zuhörer gewürdigt zu werden“. |
22 R | Rück- seite | N.N. | Absagen: Kisch, Hedemann, Rust (handschriftliche Notiz) |
24 | 30.4.34 | Gürtner an Emge | Absage für den 3. Mai |
25 | 30.4.34 | Rust an Emge | Absage für den 3. Mai |
26 | 30.4.34 | Thierack an Emge | Zusage für den 3. Mai |
28 | 30.4.34 | Frick durch Mößmer an Emge | Absage für den 3. Mai |
29 | 2.5.34 | Goebbels an Emge | Absage für den 3. Mai |
31 | 2.5.34 | Röhm an Emge | Absage für den 3. Mai |
32 | 2.5.34 | Fritz Reinhardt an Emge | Absage des Staatssekretärs im Reichsfinanzministerium für sich selbst für den 3. Mai |
33 | 2.5.34 | Arendts an Emge | Absage für den 3. Mai |
34 | 2.5.34 | Hans Severus Ziegler[157] an Major Oehler | Der Staatskommissar für die Thüringer Landestheater, Ziegler, teilt Major Oehler vom Nietzsche-Archiv u.a. mit, dass er für die „kleine Feier der Rechtsphilosophen“ ein „Streichtrio ins Archiv bestellt“ habe, bestehend aus den Herren Ehlers, Frede und Kötscher. Er hatte Mozart vorgeschlagen. Am Rand war stattdessen Beethovens Name vermerkt. Tatsächlich wurde Mozart gespielt (siehe Abschnitt 4.4.2.). |
3.9. Ergebnissicherung:
Anhand des mir bekannten Drittels der Akte Emges mit der Signatur GSA 72/1588 (160 Blatt, bis 30. Juli 1934) konnte ich folgendes nachweisen:
1. Carl Schmitt gehörte nach Aktenlage zu den achtzehn Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie, dessen Vorsitzender Hans Frank gewesen ist. Am 26. März 1934 verschickte der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses über das Büro des Nietzsche-Archivs die Berufungsschreiben. Die sechzehn Gründungsmitglieder waren:[158]
- Reichsleiter Alfred Rosenberg
- Ministerialdirektor Dr. Helmut Nicolai
- Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt
- Geheimrat Prof. Dr. Wilhelm Kisch
- Professor Dr. Martin Heidegger
- Professor Dr. Erich Rothacker
- Geheimrat Rudolf Stammler
- Professor Julius Binder
- Geheimrat Prof. Dr. Ernst Heymann
- Professor Dr. Erich Jung
- Professor Dr. Viktor Bruns
- Professor Dr. Hans Freyer
- Professor Baron v. Uexküll
- Professor Dr. Hans Naumann
- Dr. Max Mikorey
- Justizrat Gruppenführer Luetgebrune
2. Durch Fettdruck habe ich die wenigen Namen hervorgehoben, die dem Ausschuss für Rechtsphilosophie nach der Ernennung Alfred Rosenbergs zum Reichsminister am 17. Juli 1941 nicht mehr angehörten. Stammler und Binder sind vor 1941 gestorben. Nach Beendigung seiner Tätigkeit als Ministerialdirektor im Reichsinnenministerium 1935 und einem eingestellten Ermittlungsverfahren wegen § 175 StGB (Homosexualität) wurde Helmut Nicolai 1936 Nachfolger des vorhin erwähnten Hans Severus Ziegler im Amt des Staatskommissars für die Thüringer Landestheater. Ich vermute, dass Nicolai mit diesem Wechsel ins Kunstphilosophische seine Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie beendete.
3. Die erhebliche Konstanz der »Persönlichkeiten« im Ausschuss für Rechtsphilosophie ist zweifellos das wichtigste Ergebnis meiner Auswertung des mir bekannten Drittels der Akte Emges.
4. Dass Carl Schmitt zu den berufenen Gründungsmitgliedern gehörte, ist das zweite wichtige Ergebnis.
Weitere Ergebnisse sind bemerkenswert:
5. Wilhelm Kisch behauptete am 30. März 1934 (Blatt 9 der Akte), dass Erich Jung in der gemeinsamen Straßburger Zeit vor dem August 1914, „die Gedanken vertreten hat, die der nationalsozialistischen Idee zugrunde liegen“. Diese Behauptung werde ich in Teil II ausführlich bestätigen.
6. Aus dem Antwortschreiben Mikoreys und einer Randnotiz zum ersten Antwortschreiben von Wilhelm Kisch geht hervor, dass über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie „schon lange“ vor dem 26. März 1934 (Blatt 1 der Akte) entschieden worden war. Im Unterabschnitt 7.7. werde ich zeigen, dass damals so berichtet worden ist, dass am 29. Januar 1934 der Entschluss gefasst worden ist, dass ein Ausschuss für Rechtsphilosophie in der AfDR unter Vorsitz von Hans Frank gebildet werden solle. Zwei Monate sind für meinen Wortgebrauch zu kurz, um mich mit „schon lange“ auf den Anfangszeitpunkt zurückzubeziehen.
7. Es gab in dem kurzen Zeitraum, den diese Akte dokumentiert, drei Sitzungen des Ausschusses für Rechtsphilosophie:
- Konstituierende Sitzung am 3. Mai 1934 in Weimar
- Sitzung am 26. Mai 1934 um 4 Uhr nachmittags im direkten Anschluss an eine Arbeitstagung der AfDR in Berlin, auf der den Mitgliedern die Berufungsurkunden überreicht werden sollten.
- Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie nach dem 8. Juni 1934, da Ernst Krieck seine Teilnahme für die „nächste Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie“ am 8. Juni absagte (Blatt 125)
Für die dritte Sitzung war eine öffentliche „Veranstaltung“ im Rahmen der ersten Jahrestagung der AfDR Ende Juni 1934 geplant: Emge berichtete Hans Frank von dieser „Veranstaltung“ (Blatt 130). Ich konnte bislang keinen Beleg dafür finden, dass es am 25. oder 26. Juni 1934 tatsächlich zu der öffentlichen Veranstaltung des Ausschusses für Rechtsphilosophie in München gekommen ist. Ich vermute, dass es zwar zu einer dritten, nicht-öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 25. und 26. Juni in München gekommen ist, die öffentliche Veranstaltung mit den Vorträgen von Rothacker, Naumann und Mitteis aber nicht stattgefunden hat.
Jedenfalls habe ich mehrfach nachgewiesen, dass wichtige Teilbehauptungen der Aussage von Professor C. A. Emge aus dem Jahr 1960 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie falsch sind:
- Emge hat 1960 behauptet, dass es nur zur ersten Sitzung des Ausschusses gekommen ist. Das ist falsch: Es gab nachweislich mindestens eine zweite Sitzung am 26. Mai 1934. Und eine dritte Sitzung hat er im Juni 1934 für den Juni 1934 zumindest geplant.
- Emge hat 1960 behauptet, jenseits der anwesenden Presse sei es am Abend des 3. Mai 1934 im Hotel zwischen Rosenberg und Uexküll derart zu einem Streit gekommen, dass es zu keiner weiteren Sitzung gekommen sei. Auch das ist falsch.
- Emge hat 1960 behauptet, Rosenberg sei unangekündigt zur Eröffnungssitzung gekommen. Das ist falsch. Blatt 35 belegt, dass Rosenbergs Vortrag auf der Eröffnungssitzung seit März 1934 geplant gewesen ist. Von Emge selbst.
Emge wusste um 1960 herum, dass er Falsches behauptete, es sei denn, er litt unter irgendeiner Form von Gedächtnisverlust. Einige seiner Leser wussten nicht, dass er Falsches behauptete. Sie wurden von ihm absichtlich getäuscht. Emge hat sie belogen. Einige seiner Leser wussten, dass er Falsches behauptete. Sie hat er nicht belogen. Sie hat er darüber (erneut) in Kenntnis gesetzt, wie er die Verbrechen des akademischen Nationalsozialismus verbergen wollte: Die Täter waren nicht „die berühmten Gelehrten aus alter Kulturschicht von hohem wissenschaftlichen Rang“. Täter war allein der „homo novus“ und „Dilettant“ Alfred Rosenberg – und seinesgleichen. Ich zitiere erneut Emges Aussage von 1960:
[…]. Das war auch das Schicksal einer Arbeitsgruppe für Rechtsphilosophie. Zusammengesetzt nicht in erster Linie von sozusagen approbierten Rechtsphilosophen, sondern als eine Diskussionsgruppe für übersehene rechtsphilosophische Probleme gemeint, hatte sie als Mitglieder unter anderen zwei heute noch sehr wirksame Philosophen, die Rechtsphilosophen Stammler und Binder, wohl auch Werner Sombart, den Biologen Baron Jacob Uexküll. Als wir uns an die Arbeit begaben, erschien Alfred Rosenberg und trug │ S. 75 sein bekannt unreifes Zeug vor. Die Folge davon war, daß ihn nach der Sitzung Uexküll im Hotel aufsuchte, um auf die Unmöglichkeit seiner Auffassungen aufmerksam zu machen. Eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem berühmten Gelehrten aus alter Kulturschicht von hohem wissenschaftlichen Rang mit dem homo novus und Dilettanten! Damit war jener Arbeitsgruppe der Todesstoß versetzt. Sie konnte nie mehr zusammen kommen. […]
(C. A. Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 74 f.
Wie eingangs mitgeteilt, kenne ich nur ein Drittel der 160-seitigen Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie, die im Besitz des Goethe- und Schiller-Archivs ist. Ich weiß aber, dass viele der mir unbekannten Blätter dieser Akte aus Zeitungsberichten über die Eröffnungssitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie besteht. Auf einige dieser Zeitungsberichte hatte bereits Farías in seinem sehr wichtigen Buch Heidegger und der Nationalsozialismus hingewiesen. Dank seines Hinweises konnte ich mir einige Zeitungsberichte beschaffen. Im nächsten Abschnitt stelle ich nun u.a. diese Quellengruppe vor.
4. Die Berichterstattung in Zeitungen und Fachzeitschriften über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934
Ich stelle in diesem Abschnitt die Zeitberichterstattung über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie vom Mai 1934 ausführlich vor. Dafür sprechen zwei Gründe. Zum einen ist diese Quellengruppe besonders ergiebig. Zum anderen ist es eine Quellengruppe, die nicht erst uns oder wenige Zeitgenossen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie informierte. Sie ist eine Quellengruppe durch die wir wissen, was die Zeitungsleser des Jahres 1934 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie gewusst haben. Sie ist darüber hinaus eine Quellengruppe, mittels derer die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie wussten, was ihre Zeitgenossen über sie als Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie wissen konnten.
Dank des Buches von Viktor Farías über Heidegger und den Nationalsozialismus (1987/89) wissen seit 30 Jahren wieder viele Menschen ein wenig von dem, was die deutschen Zeitungsleser des Mais 1934 erfahren haben.
Farías gab aber bei weitem nicht alle Informationen aus der ihm bekannten zeitgenössischen Zeitungsberichterstattung wieder. In seiner Widergabe konzentrierte er sich auf den Artikel der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934. Aus ihm gab er Informationen über anwesende Personen und aus der Rede Hans Franks wieder. Er beginnt so:
[1] Bei der Durchsicht des Nachlasses von Ernst Krieck im Generallandesarchiv Karlsruhe fand sich ein Ausschnitt aus der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934, worin über die Bildung eines Ausschusses für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht berichtet wird.
(Farías 1989), S. 277
Weshalb Ernst Krieck Zeitungsberichte über diesen Ausschuss der AfDR gesammelt haben könnte, hat sich beiläufig in Abschnitt 3.5. ergeben: Emge hatte ihn als Gast zu geplanten 3. Sitzung des Ausschusses eingeladen. In seiner Eitelkeit gekränkt hat Krieck das abgelehnt.
An der konstituierenden Sitzung dieses Ausschusses, die im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand, nahmen (als Gründer und Vorsitzender) der Reichsjustizkommissar Dr. Hans Frank sowie Vertreter der Verwaltung und der nationalsozialistischen Intelligenz teil. Geschäftsführender Vorsitzender war Prof. Emge (Jena). Anwesend waren außerdem Geheimrat Kisch (München), Reichsleiter Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai und Staatsrat Schmidt. Dem Ausschuß gehörten ferner an die Professoren Heidegger (Freiburg), Rothacker und Naumann (Bonn), Freyer (Leipzig), Baron von Uexküll (Hamburg), Geheimrat Stammler (Berlin), Binder (Göttingen), Geheimrat Heymann (Berlin), Jung (Marburg), Bruns (Berlin) sowie Dr. Mikorey (München).
(Farías 1989), S. 277
Durch Fettdruck habe ich die Informationen hervorgehoben, die es den Lesern dieses Absatzes zumindest schwierig, gar unmöglich machten, zu verstehen, welche Personen Mitglieder des Ausschusses und welche Personen vielleicht nur Gäste der konstituierende Sitzung waren.
In einer Fußnote verweist Farías auf weitere Zeitungsberichte über die Konstituierung am 3. Mai 1934:
21 »Rechtsphilosophie als Waffe«, in: Berliner Tageblatt, 4. Mai 1934; vgl. ferner »Deutsche Rechtsmoral aus Blut und Boden«, in: Weimarische Zeitung, Nr. 103, 4. Mai 1934, und »Ausschuß für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht gegründet«, in: Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland, Nr. 121, 4. Mai 1934.
(Farías 1989), S. 425
Ich werde in diesem vierten Abschnitt alle vier Zeitungsberichte, auf die Farías aufmerksam gemacht hat, ausführlich vorstellen. Zusätzlich zitiere und kommentiere ich den Bericht über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie aus dem Völkischen Beobachter.
Es gab weitere Zeitungsberichte gab. Durch Fettdruck hebe ich die hervor, die ich nicht vorstellen werde:
Unbekannte Verfasser, Mitteilungen über die Tagung des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Nietzsche-Archiv am 03.05.1934, Hauptredner Hans Frank, Alfred Rosenberg und Carl August Emge, „Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland“, 04.05.1934, Weimar.- „Völkischer Beobachter“, 04.05.1934, Berlin. – „Düsseldorfer Nachrichten“, 04.05.1934. – „Kölnische Zeitung“, 04.05.1934. – „Münchner Neueste Nachrichten“, 04.05.1934. – „Frankfurter Zeitung“, 04.05.1934, Frankfurt am Main. – „Stuttgarter Neues Blatt“, 04.05.1934. – „Leipziger Neueste Nachrichten“, 04.05.1934. – „Thüringer Allgemeine Zeitung“, 04.05.1934, Erfurt. – „Dresdner Neueste Nachrichten“, 05.05.1934 u. a.
Goethe- und Schiller-Archiv / Klassik Stiftung Weimar; Bestand Weimar / Nietzsche-Archiv Zeitungsausschnittsammlung
Signatur: GSA 165/948
Unbekannt [Verfasser]
1934. – 45 Stück, 45 Blatt
Weimar / Nietzsche-Archiv Zeitungsausschnittsammlung, GSA 165/948
Ich glaube nicht, dass in den mir noch unbekannten Zeitungsberichten neue, wichtige Informationen stehen. Erkennbar ist, dass über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie reichsweit berichtet wurde.
4.1. Die Berichte der „Frankfurter Zeitung“ vom 4. und 5. Mai 1934 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Erstmalig 2017 habe ich versucht, ein Exemplar der Originalberichterstattung aus der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 zu erhalten.[159] In drei Exemplaren des Jahrgangs 1934 der Frankfurter Zeitung, die von deutschen Bibliotheken verwahrt werden, waren die Ausgaben der Frankfurter Zeitung vom 4. und 5. Mai herausgerissen. Erst in dem Exemplar, das der Universitätsbibliothek Oslo gehört, waren sie enthalten. Ich danke der Fernleihe der Universitätsbibliothek Heidelberg und der Universitätsbibliothek Oslo sehr dafür, mir das unversehrte Exemplar zu Verfügung gestellt zu haben. Wie bereits erwähnt, hat Farías den Bericht der Frankfurter Zeitung in der Personalakte Ernst Kriecks gefunden, den Emge zur dritten Sitzung des Ausschusses als Gast eingeladen hatte.
Ein Vernichten der Ausgaben der Frankfurter Zeitung vom 4. und 5. Mai 1934 war auch noch nach Veröffentlichung von Farías Buch taktisch klug, da Farías nicht alle personenidentifizierende Daten aus dem Bericht an seine Leser wiedergegeben hatte. Wer war mit „Jung (Marburg)“ gemeint? Edgar Julius Jung (1894-1934)? Mir wurde das von Menschen, die deutlich älter sind als ich, noch in den letzten Jahren suggeriert. Tatsächlich identifizierte der Originalbericht der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 zweifelsfrei Erich Jung (1866-1950), den Nestor des akademischen Nationalsozialismus, der damals als solcher bekannt gewesen ist. Nach 1945 wurde anscheinend durch angestrengtes und andauerndes Unterlassen, Erich Jungs Namen zu erwähnen, dafür gesorgt, dass Erich Jung inzwischen nahezu unbekannt geworden ist.
4.1.1. Der Bericht vom 4. Mai 1934: Der Ausschuss, seine Mitglieder, geplante Unterausschüsse und Alfred Rosenbergs Rechtsphilosophie
Ich beginn meine Darstellung mit dem vollständigen Zitieren des Anfangs des Zeitungsberichts. Durch Fettmarkierungen hebe ich die Informationen hervor, die Farías (1989) nicht an seine Leser weitergegeben hat.[160]
Voraussetzungen deutscher Rechtsphilosophie.
Ein Vortrag Alfred Rosenbergs.
(Privattelegramm der „Frankfurter Zeitung“)
[1] Weimar, 3. Mai. Dem Ausschuß für Rechtsphilosophie der Akademie für deutsches Recht, der heute Nachmittag im Nietzsche-Archiv in Weimar zu seiner ersten großen Tagung zusammengetreten ist, gehören an als Vorsitzender der Reichsjustizkommissar Dr. Frank, als dessen geschäftsführender Vertreter Prof. Dr. Emge (Jena), ferner Geheimrat Kisch (München), Reichsleiter Alfred Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai [so im Original; mw], Staatsrat Schmidt [so im Original; mw], Prof. Heidegger (Freiburg), Prof. Erich Rothacker und Prof. Hans Naumann (beide Bonn), Prof. Hans Freyer (Leipzig), Prof. Baron v. Uexküll (Hamburg), Geheimrat Stammler (Berlin), Prof. Binder (Göttingen), Geheimrat Heymann (Berlin), Prof. Erich Jung (Marburg), Prof. Dr. Bruns (Berlin) und Dr. Mikorey (München).[161] Bei der Zusammensetzung des Ausschusses war das Bestreben maßgebend, Vertreter verschiedener Fachgebiete heranzuziehen, Rechtsphilosophen (Neuhegelianer, Neukantianer, Verfechter von Ideen Nietzsches), Vertreter der Existenzialphilosophie, der Philosophie der Geisteswissenschaften, der Literaturgeschichte, Soziologie, Rechtsgeschichte, des Völkerrechts, der Biologie und der Medizin. Sie sollen die Aufgabe haben, ohne Einseitigkeit in gemeinsamer Arbeit die Rechtsphilosophie der Zeit aufzubauen.
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Folgende Informationen des Zeitungsberichts möchte ich besonders hervorheben:
- Im Zeitungsbericht sind mehr Informationen enthalten, durch welche die Ausschussmitglieder eindeutig identifiziert werden können. Bei Farías war z.B. nur zu lesen „Jung (Marburg)“. Im Zeitungsbericht steht aber „Prof. Erich Jung (Marburg)“. Das ist eindeutig. Eine Verwechslung mit Edgar Julius Jung (1894-1934) ist nicht möglich. Auch alle anderen Mitglieder sind durch Nennung des Vornamens, des Ortes, des Amtes und des akademischen Grades eindeutig identifiziert.
- Der Zeitungsbericht gibt eindeutig Auskunft über die Zusammensetzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie: Hans Frank und Carl August Emge sind die Vorsitzenden. Die anderen gehören ihm an. Er ist durch die Personen „zusammengesetzt“. In Farías Widergabe war nicht klar, wer Mitglied und wer vielleicht nur Gast der Eröffnungsveranstaltung gewesen ist.
- Den Freunden von „Sein und Zeit“ Heideggers wird nicht gefallen, dass ein Mitglied ausdrücklich als Existenzialphilosoph in den nationalsozialistischen Ausschuss für Rechtsphilosophie berufen worden ist. Diese Charakterisierung ist im Kontext nämlich eine definite Beschreibung, die nur auf Heidegger zutrifft. Heidegger soll als Existenzialphilosoph die Rechtsphilosophie des akademischen Nationalsozialismus mitaufbauen. Seitdem 2011 Heideggers Manuskript zu seinem Seminar über Hegels Rechtsphilosophie aus dem Wintersemester 1934/35 veröffentlicht worden ist[162], kann jeder problemlos nachlesen, wie Heidegger zu Beginn seiner Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie mit Hilfe seiner Terminologie aus „Sein und Zeit“, in An- und Ablehnung von Carl Schmitts „Staat, Bewegung, Volk“ (1933)[163] und Ernst Forsthoffs „Der totale Staat“ (1933)[164] und unter Vernutzung von Hegels Lehre vom Staat eine rassistische Rechtsphilosophie und Metaphysik des Führerstaats zu entwickeln begann.
- Der Mediziner im Ausschuss ist Max Mikorey, der Biologe Baron von Uexküll. Rudolf Stammler ist der Neukantianer, Julius Binder und Hans Freyer sind die Neuhegelianer, Carl August Emge der Verfechter der Ideen Nietzsches.[165] Erich Rothacker ist ein Philosoph der Geisteswissenschaften gewesen, Hans Naumann ein Literaturwissenschaftler, Hans Freyer war auch Soziologe, Erich Jung und Ernst Heymann betrieben auch die Rechtsgeschichte, Viktor Bruns war ein Experte für Völkerrecht.
Im Rückblick auf die Akte Emges (Abschnitt 3) sind die Informationen, die der Zeitungsbericht über die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gibt, korrekt und nahezu vollständig. Es fehlt nur RA Dr. Walter Luetgebrune. Sein Name war erst nachträglich auf die Blätter mit der handschriftlichen Planung der Eröffnungssitzung ergänzt worden (3.2.2.). Ich vermute, dass erst zwischen dem 3. Mai und 5. Mai einschließlich entschieden wurde, auch Luetgebrune in den Ausschuss zu berufen. Jedenfalls gab Luetgebrune bereits am 5. Mai auf einer Pressekonferenz der Gesamtakademie Auskunft über den Ausschuss für Rechtsphilosophie (siehe 7.9.2.). Und wie auch Emges Bericht über die Eröffnungssitzung dokumentiert, war Luetgebrune am 3. Mai 1934 anwesend (3.2.4.).
Anfang Mai 1934 konnten die Zeitungsleser wissen, dass folgende Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu den ersten hundert ordentlichen Mitgliedern der AfDR gehörten:
- Prof. Dr. jur. phil. Erich Jung, Marburg (Mitgliedsnummer 28)
- Prof. Dr. Bruns (Nr. 32),
- Alfred Rosenberg, Berlin (Nr. 34),
- Geheimrat Prof. Dr. Ernst Heymann, Berlin (Nr. 54),
- Prof. Dr. Carl Schmitt, Köln (Nr. 88)
- Geheimrat Prof. Dr. Kisch, München (Nr. 90) [166]
Aus der Quelle geht auch hervor, dass RA Dr. Luetgebrune zu den hundert ersten Mitgliedern der AfDR gehörte.
- Rechtsanwalt Dr. Luetgebrune, (Nr. 92).
Aufgrund welcher fachlichen Expertise Hans Frank, Geheimrat Kisch, Alfred Rosenberg, Helmut Nicolai und Carl Schmitt in den Ausschuss für Rechtsphilosophie berufen worden sind, wurde informierten Lesern durch den zweiten Absatz des Berichts vom 4. Mai aus der Frankfurter Zeitung teilweise deutlicher:
[2] Wie verlautet, ist für die Bearbeitung besonderer Fragen, so u.a. des Volksgemeinschaftsgedankens, der Deutung der nationalsozialistischen Bewegung im Sinne der sich vollziehenden geschichtlichen Entwicklung, ferner die Erneuerung germanischen Rechtsgedanken sowie des rechtsphilosophischen Problems der Rasse und des Lebens, der philosophischen Grundlagen des Völkerrechts und der Rechtsphilosophie als Ausbildungsfach die Bildung von Unterausschüssen in Aussicht genommen.
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
1939 trat Wilhelm Kisch mit einer Schrift über die Ausbildung deutscher Rechtslehrer hervor, in der er auch bestimmte, dass in den juristischen Fakultäten „Rechtsphilosophie als Ausbildungsfach“ weiterhin anzusehen sei.[167]
Nach diesen allgemeinen Informationen über den Ausschuss wechselt der Berichterstatter der Frankfurter Zeitung zu einer Wiedergabe des Vortrags, den Alfred Rosenberg am 3. Mai 1934 in Weimar gehalten hat. Dass Emge geplant hatte, dass es diesen Vortrag geben solle, geht aus seiner Akte hervor (siehe 3.2.2.). Dass Emge 1960 suggerierte, Alfred Rosenberg habe uneingeladen einen Vortrag gehalten, hatte ich bereits erwähnt. Ich zitiere das erneut:
Als wir uns an die Arbeit begaben, erschien Alfred Rosenberg und trug │ S. 75 sein bekannt unreifes Zeug vor. Die Folge davon war, daß ihn nach der Sitzung Uexküll im Hotel aufsuchte, um auf die Unmöglichkeit seiner Auffassungen aufmerksam zu machen. Eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem berühmten Gelehrten aus alter Kulturschicht von hohem wissenschaftlichen [im Original; mw] Rang mit dem homo novus und Dilettanten! Damit war jener Arbeitsgruppe der Todesstoß versetzt. Sie konnte nie mehr zusammen kommen.
(C. A. Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 75
Hier nun die Wiedergabe des Vortrags in der Frankfurter Zeitung.
*
[3] In der Sitzung des Ausschusses sprach Alfred Rosenberg über die Voraussetzungen einer deutschen Rechtsphilosophie. Er führte u.a. aus:
[4] Wenn wir mit den liberalistisch zersetzenden Mächten im Kampf stehen, so ergibt sich doch zugleich, daß die Neugestaltung Deutschlands, je tiefer sie an die Wurzeln greift, auch jene geistigen Machtgruppen untersucht, die sich noch als typenschaffend und ‑erhaltend gezeigt haben. Da ist es vor allem Dingen das Rechtsdenken, um das heute erbittert und zugleich begründet gestritten wird. „Recht und Unrecht gehen nicht umher und sagen: Da sind wir. Recht ist das, was arische Menschen für Recht befinden. Unrecht ist das, was sie verwerfen,“ so lautete einer der weisesten Sprüche der indischen Philosophie. Er besagte weiter nichts als das hohe Bewußtsein, daß ein bestimmter Rechtscharakter mit einem bestimmten Rassen- und Volkscharakter geboren werde und mit seinem Untergang gleichfalls verschwindet.
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Mit dem letzten Satz verkündet Rosenberg den rassistischen Kern des Rechtsverständnisses des akademischen Nationalsozialismus. Das Sein, das die Rasse ist, bestimmt das Bewusstsein. Und nicht nur das Rechts-, sondern auch das Kunst‑, Geschichts- und Religionsbewusstsein.
[5] Von diesem Gesichtspunkt aus wird die nationalsozialistische Bewegung keinen großen Wert auf eine Rechtsphilosophie an sich legen, sondern wird von den berufenen Bearbeitern dieses Gebietes zunächst die Klarstellung fordern, welcher Charakter der germanisch-deutsche Mensch gewesen ist, welche Begabungen und Begrenzungen sein Wesen ausmachten, welche Werke und in welcher Stärke sie für sein Leben bezeichnend waren, als er schöpfungsmächtig dastand. Das ganze deutsche Rechtsleben beruht seit dem Auftreten des Germanentums eigentlich auf einem einzigen Werte, auf dem Werte der Ehre. Auf dem germanischen persönlichen Ehrbewußtsein ruhen die beiden Epen der deutschen Geschichte, später die Ritter- und Zunftordnung. Auf ihr beruhen die Rechtsnormen schließlich auch der deutschen Städte von Magdeburg, Lübeck usw. Diese Rechtsauffassung hat ihre typenbildende Kraft überall bewiesen. Viele Staaten Europas sind gerade auf ihr aufgebaut worden. Das persönliche Ehrbewußtsein wurde später überholt vom Stammesbewußtsein, bis dann an seine Stelle Staat und Kirche traten. In einer verhängnisvollen Zeit wurde diese Entwicklung vom persönlichen zum völkischen Ehrbegriff durch das Eindringen des rein privatkapitalistischen spätrömischen Rechts unterbrochen, bis es schließlich möglich war, jedem Schädling in einer Nation sogenannte „berechtigte Interessen“ zuzusprechen, ohne die schlimmsten Beschimpfungen des Ansehens eines ganzen Volkes ahnden zu können. Hier war die Rechtsnorm überhaupt, die Voraussetzung für alles Uebrige einfach nicht vorhanden, und das Grundlegende einer nationalsozialistischen Rechts- und Staatsauffassung wird darin bestehen müssen, die Wahrung der Ehre der Nation an die Spitze aller Rechtserneuerung zu stellen.
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Mit diesem letzten Satz verkündet Rosenberg sein erstes Axiom des nationalsozialistischen Rechts. Bereits im „Mythus des 20. Jahrhunderts“ waren der Begriff der Ehre und der Begriffe der Rasse die beiden Kernbegriffe.[168] Und auch Rosenberg wiederholt Punkt 19 des Programms der NSDAP vom 20. Februar 1920: gegen das Römische Recht, für ein deutsches Gemeinrecht.
Der Zeitungsbericht über Rosenbergs Rede geht lückenlos so weiter:
Erst nach dieser alles entscheidenden Erneuerung des Denkens und Fühlens werden sich die übrigen Normen und Begriffe organisch einfügen lassen. Erst mit der Anerkennung dieser alles überhöhenden Höchstwerte wird es möglich sein, auch eine Wirtschaftsethik zu begründen. Von diesem Gesichtspunkt aus wird es Aufgabe einer deutschen Rechtsphilosophie sein, das Verhältnis zwischen Volk und Staat, zwischen Recht und Politik einer tiefgehenden Untersuchung zu unterziehen und gemeinsam mit den Vertretern der deutschen Rassenkunde und Rassenhygiene gefühlsmäßig und theoretisch eine geistige und charakterliche Höherwertigkeit als Voraussetzung jeder rechtlichen Bewegung vorzubereiten.
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Dass in der ersten Satzung der AfDR vom Sommer 1933 gestanden hatten, dass es ihre Aufgabe sei, dass nationalsozialistische Programm auf dem Gebiet des Rechts und der Wirtschaft zu verwirklichen, habe ich bereits dargestellt (siehe 1.4.1). Rosenbergs Rede passt auch dazu.
Mit Helmut Nicolai, Max Mikorey und Baron von Uexküll waren im Ausschuss für Rechtsphilosophie mindestens drei der achtzehn Gründungsmitglieder „Vertreter der deutschen Rassenkunde und Rassenhygiene“.
Der Bericht über Rosenbergs Rede geht lückenlos so weiter:
Mit dem ich-bedingten Staatsgedanken des 19. Jahrhunderts bricht das vorwiegend ich-bedingte Recht zusammen. Heute entsteht eine organische starke Staatsgewalt unserer Zeit, somit auch eine im Charakter, Boden und Geschichte wurzelnde Rechtsnorm als typenschaffende Kraft für kommende Jahrhunderte. Ein Kämpfer unerschrockenen Sinnes dafür war Friedrich Nietzsche. Wir Nationalsozialisten jedenfalls wollen in der heutigen Zeit des Kampfes einen derartig wahrhaftigen Streiter wie Friedrich Nietzsche nicht missen, aus seinem funkelnden Gedanken das einfügen in den Leben erzeugenden Strom unserer Zeit, was diesem neuen Antrieb und Kraft geben kann. Wir wollen die Einheit der großen deutschen Geschichte als Verpflichtung empfinden, tätig zu sein an einem neu werdenden Leben und jene Fundamente des Rechts zu legen, auf denen die kommende Zeit als unerschütterliche Grundlage ruhen kann.●
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Soweit der Bericht vom 4. Mai 1934 aus der Frankfurter Zeitung. Die Leser der Frankfurter Zeitung sind sehr gut über den Ausschuss für Rechtsphilosophie, seine Mitglieder und seine Aufgaben informiert worden. Auffällig ist aber, dass nichts über Hans Franks Rede berichtet wurde. Emge hatte doch geplant, dass vor Alfred Rosenberg und ihm selbst der Vorsitzende des Ausschusses für Rechtsphilosophie die Eröffnungssitzung durch eine Rede beginnen solle (3.2.2.). Hat Hans Frank abgesagt? Nein. Tatsächlich ist planungsgemäß verfahren worden. Die Frankfurter Zeitung berichtet aber erst am Folgetag über Hans Franks Rede
4.1.2. Der Bericht vom 5. Mai 1934: Hans Franks Rechtsphilosophie
Da auch die Ausgabe vom 5. Mai 1934 der Frankfurter Zeitung aus drei Jahresbänden herausgerissen worden ist, zitiere ich auch diesen Bericht vollständig. Die meisten Informationen aus diesem Bericht haben bereits Farías und Faye an ihre Leser weitergegeben. Sie haben sie aber kaum kommentiert. Ich tue das etwas ausführlicher.
Gleich zu Anfang wird Hans Frank irrtümlich als Reichsjustizminister vorgestellt. Dieser Irrtum mag mitverantwortlich dafür gewesen sein, dass der Berichterstatter Alfred Rosenbergs Vortrag für bemerkenswerter hielt. Ein promovierter Jurist, der Reichsjustizminister ist, hält eine Eröffnungsrede bei der Konstituierung eines Ausschusses für Rechtsphilosophie. Das ist deutlich weniger spannend.
Dr. Frank über Rechtsphilosophie.
Die Weimarer Tagung
[1] Weimar, 4. Mai. Bei der Gründung des Ausschusses für deutsches Rechtsphilosophie bei der Akademie für deutsches Recht knüpfte Reichsjustizminister Dr. Frank in einer großen Rede an Nietzsche an, den Künder jenes autoritären Empfindens, das unserem Volke durch den Weltkrieg hindurch bewahrt geblieben sei, und das damit diesem Volke gleichzeitig eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt unter Adolf Hitler übertragen habe. Wir in unserem engen Kreis, so sagte Dr. Frank u.a. weiter, wollen die Sammlung der volksbetonten allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln. Wir wollen uns nicht irgend welchen Dogmen sklavisch unterwerfen. Der Durchbruch der Rechtsphilosophie heißt daher: Feierlich Abschied nehmen von der Entwicklung einer Knechtsphilosophie im Dienste undeutscher Dogmen. Lebensrecht und nicht Formalrecht soll unser Ziel sein. Des weiteren soll unsere Rechtsphilosophie Volksprimat sein, ein Recht, aufgebaut auf Anschauungen des Volkes und nicht Recht eines vom Volk abgesplitterten Sonderstandes.
(Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934: Hans Frank; 1934)
In späteren Rede Hans Franks ist die Informationen, dass bestimme Begriffe dem deutschen Recht als Unterlage dienen sollen, verdichtet worden. Er spricht dann von »Substanzwerten«. Besonders beachtenswert ist, dass sogar die „Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit“ nicht hinreichend sind, sondern zusätzlich noch „der Ernst verantwortlicher Volksführer“ erforderlich ist, um »das deutsche Recht« herzustellen. Jeder der achtzehn Gründungsmitglieder war demnach ein »Volksführer«. Das waren noch Zeiten, als eine starke Professorenmehrheit »das deutsche Recht« machte.
Der »Substanzwert Wehr« gehörte bereits Anfang Mai 1934 zu den »Substanzwerten des deutschen Rechts«. Dass Emge Mitte Juni 1934 versuchte, Kontakte zum Reichswehrministerium zu Gunsten des Ausschusses für Rechtsphilosophie nutzbar zu machen, ist demnach kaum eine ad hoc Entscheidung gewesen.
Auf die anderen Punkte des Absatzes werde ich bei anderen Wiedergaben der Rede Hans Franks zu sprechen kommen.
[2] Ein weiterer fundamentaler Grundsatz soll sein: Deutsches Recht und nicht fremdes Recht . Die Seele unseres Rechtslebens soll endlich wieder zurückgeführt werden auf die Gemüts- und Geistesbasis der deutschen Volksüberzeugung. Sie soll sich frei machen von übernommenen Normen fremder Rechtsordnungen . Es soll das der Fundamentalsatz unseres Zieles sein, ein unabhängiges Recht des Nationalsozialismus zu schaffen, d.h. die Rechtsentwicklung des nationalsozialistischen Staates von der geistigen Erkenntnis der Notwendigkeiten des deutschen Volkes ausgehen zu lassen und nicht ein freies Recht im Sinne des Liberalismus zu dulden. Unser Recht soll der Allgemeinheit dienen und nicht dem Individuum , es soll aber sein ein Herrenrecht und nicht Sklavenrecht . Der Staatsbegriff des Nationalsozialismus wird von uns neugebaut auf der Einheit und Reinheit des deutschen Menschtums, formuliert und verwirklicht im Recht und im Führerprinzip. Wir bejahen weiter die Verantwortlichkeit des einzelnen für sein Geschick und seine Entwicklung, damit wir wieder ein Volk von Kämpfern und Soldaten und wehrbereiten geistigen Ringern um diese Freiheit werden. Wir machen deshalb Schluß mit dem Begriff eines Gelehrtentypus , dessen Wert darin lag, daß er weltfremd war. Als weiteres Begriffsfundament wollen wir den Begriff des Gemeinnützigen im Recht aufstellen. Wir wollen gerade diesen Grundsatz schon in der ersten Sitzung des Ausschusses in den Vordergrund rücken, denn man versucht auf Seiten der Gegner unsere Revolution gegenüber eine Methode der Bagatellisierung, um die fundamentale Wandlung, die der Nationalsozialismus durch seine Revolution hervorgerufen hat, beiseite schieben zu können. In diesem Sinne bitte ich, daß der Ausschuß sich als ein Kampfausschuß des Nationalsozialismus konstituiert.
(Ueber den Vortrag Alfred Rosenbergs vor dem Ausschuss wurde bereits berichtet).●
(Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934: Hans Frank; 1934)
Dass die nationalsozialistische Rechtsphilosophie anti-liberal und anti-individualistisch sein sollte, ist nicht überraschend und auch nicht weiter erläuterungsbedürftig.
Dass Hans Frank ausdrücklich von einem „Herrenrecht“ spricht, weist auf einen zentralen Schwachpunkt der nationalsozialistischen Rechtsphilosophie hin: soll wirklich jeder Deutsche ein Herr sein oder werden? Wer macht dann aber die Drecksarbeit? Fremdvölkische oder fremdrassige Sklaven? Ist man dann aber nicht von denen abhängig? Was ist, wenn die streiken? Sollen auch Frauen Herren sein? Wie ich nach und nach in allen vier Teilen zeigen werde, kreisen nicht wenige Debatten innerhalb des akademischen Nationalsozialismus um den Versuch, diese Frage zu beantworten.
Das, was Hans Frank über den Neubau des Staatsbegriff des Nationalsozialismus sagt, ist interessant, da es das Kerngebiet Carl Schmitts des Jahres 1934 betrifft. Dass der Begriff des deutschen Staats durch die Einheit des deutschen Menschtums definiert werden soll, stellt den akademischen Nationalsozialismus vollumfänglich in die Tradition des Alldeutschen Verbandes.[169] Erich Jung, der Nestor des Ausschusses für Rechtsphilosophie, war auch ein Gründungsmitglied des Alldeutschen Verbandes (Unterabschnitt 6.2.1.). Das Schlagwort »Einheit des deutschen Menschtums« wurde zur Rechtfertigung eines Teils der Expansionspolitik des NS-Staates benutzt. Das Schlagwort »Reinheit des deutschen Menschtums« war bereits durch das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 teilweise positiviert worden. Die gesetzliche Positivierung wurde durch die Nürnberger Rassegesetze im Herbst 1935 fortgesetzt. Ende 1938 war dann das »Gesetzgebungswerk der Entjudung der deutschen Wirtschaft« abgeschlossen (Abschnitt 10.1.). Im Sommer 1943 konnte ein führendes Mitglied der AfDR stolz berichten, dass die AfDR sogar während des Krieges an der Positivierung der „Zwölften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. April 1943“ (siehe Unterabschnitt 8.1.2.) mitgewirkt habe. Mit dieser zwölfte Verordnung war positiv-rechtlich der Rahmen gesetzt, innerhalb dessen die Deportation der Juden sowie der Sinti und Roma aus dem Gebiet des Deutschen Reiches rechtsförmig vollzogen werden konnte.
Neben der »Formulierung« dessen, was »Einheit und Reinheit des deutschen Menschentums« bedeutet, verlangt der „Staatsbegriff des Nationalsozialismus“ auch das „Führerprinzip“ – sei’s in der NS-Partei, sei’s im NS-Staat, sei’s in der AfDR. Das alles steckt in dem einen Satz von Hans Frank. Entweder war Hans Frank nicht so dumm, wie er in der Sekundärliteratur dargestellt wird oder er hatte einen guten Ghostwriter oder beides.
Der Begriff des Gemeinnützigen war bereits im Februar 1920 zu einem Programmpunkt der NSDAP gemacht worden, und zwar im Kontext des Bekenntnisses zu einem positiven und ökumenischen Christentums:
24. Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen.
Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage:
Gemeinnutz vor Eigennutz
Das 25-Punkte-Programm der NSDAP (vom 24.2.1920)[170]
Wie „weltnah“ einige der »Gelehrte« des akademischen Nationalsozialismus in seiner vernichtenden Politik gewesen sind, werde ich in Teil IV nachweisen. Hans Franks Bestimmung des Ausschusses für Rechtsphilosophie als „Kampfausschuss des Nationalsozialismus“ ist keine rhetorische Übertreibung gewesen.
Eines ist klar: Die gelehrten Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie wussten spätestens nach Hören dieser Rede von Hans Frank, was sie sein sollten, nämlich Kämpfer des Nationalsozialismus, die Schluss machen sollten, mit dem Begriff eines weltfremdem Gelehrtentypus, und was sie tun sollten, nämlich eine rassistische Philosophie arischen Herrenrechts in der Welt aufbauen und kämpfend verwirklichen.
Dank des Protokolls von Emge der Eröffnungssitzung wissen wir auch, wer von den gelehrten Mitgliedern anwesend war. Ich zitiere erneut:
Anwesend waren, ausser Mitgliedern des Stabs der beiden Reichsleiter, Akademiedirektor Dr. Lasch, der Pressechef des NSBDJ. Dr. Freiherr du Prel, der Pressechef der Akademie Dr. Gaeb, der hiesige Kreisleiter Minister Dr. Weber, Vertreter des hiesigen Juristengaues, folgende Mitglieder des Ausschusses:
Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank (Vorsitzender)
Professor Dr. Dr. Emge (stellvertretender Vorsitzender)
Reichsführer Rosenberg
Professor Dr. Heidegger
Professor Dr. Erich Rothacker
Geheimrat Stammler
Professor Binder
Geheimrat Professor Dr. Ernst Heymann
Professor Dr. Erich Jung
Professor Dr. Bruns
Professor Dr. Hans Freyer
Professor Baron v. Uexküll
Dr. Mikorey
Justizrat Gruppenführer Luetgebrune │ Blatt 128
Leider waren am Erscheinen verhindert
Ministerialdirektor Dr. Nicolai
Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt
Geheimrat Professor Dr. Kisch
Professor Dr. Hans Naumann.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 127-129
Nachdem ich nun beide Berichte aus der Frankfurter Zeitung vom 4. und 5. Mai komplett zitiert und kommentiert habe, dürfte klar sein, dass über Jahrzehnte hinweg nicht wenige Menschen Gründe dafür hatten, die Ausgaben der Frankfurter Zeitung von 4. und 5. Mai aus den Jahresbänden herauszureißen. Hätten das die »versifften 68-er« gemacht, hätte eine breite Öffentlichkeit schon viel früher wieder von der Existenz des Ausschusses für Rechtsphilosophie, seinen Gründungsmitglieder und seiner Aufgabe gewusst.
4.2. „Berliner Tageblatt und Handelszeitung“ vom 4. Mai 1934
Im Rahmen meiner Darstellung ist an dem Zeitungsbericht der Berliner Tageblatt und Handelszeitung vom 4. Mai 1934 über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie bemerkenswert, weil er deutlich weniger informativ war. Leser dieser Zeitung erfuhren nicht, wer zu den Gründungsmitgliedern gehörte, und auch nicht, dass Alfred Rosenberg eine rechtsphilosophische Rede gehalten hat.
Rechtsphilosophie als Waffe
Im Kampfe des Nationalsozialismus
[1] Bei der Gründung des Ausschusses für deutsche Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht knüpfte Reichsjustizkommissar Dr. Frank in einer grossen Rede an Nietzsche an, dem Künder jenes autoritären Empfindens, das unserem Volk durch den Weltkrieg hindurch bewahrt geblieben sei und das damit diesem Volke gleichzeitig
eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt unter Adolf Hitler übertragen habe.
Man beachte diese Mal den Weltherrschaftsanspruch »des deutschen Volkes unter Adolf Hitler«. Nach und werde ich nachweisen können, wer alles zu den »jungen arischen Völkern« gehörte:
[2] Wir in unserem engeren Kreis, so sagte Dr. Frank u. a. weiter, wollen die Sammlung der volksbetonten allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus in der Form durchführen, dass wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus, nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln wollen. Wir wollen uns nicht irgendwelchen Dogmen sklavisch unterwerfen. Unsere Rechtslehre soll nicht Befriedigung suchen in einem Positivismus. Wir wünschen ein Dauerrecht und nicht nur ein Augenblicksrecht. Des weiteren soll unsere Rechtsphilosophie Volksprimat sein, ein Recht, aufgebaut auf Anschauungen des Volkes und nicht Recht eines vom Volk abgesplitterten Sonderstandes. Ein weiterer fundamentaler Grundsatz soll sein: Deutsches Recht und nicht fremdes Recht. Die Seele unseres Rechtslebens soll sich frei machen von übernommenen Normen fremder Rechtsordnungen. Als weiteres Begriffsfundament wollen wir den Begriff des Gemeinnützigen im Recht aufstellen.
[3] Wir wollen gerade diesen Grundsatz schon in der ersten Sitzung unseres Ausschusses in den Vordergrund rücken,
denn man versucht, auf Seiten der Gegner, unserer Revolution gegenüber eine Methode der Bagatellisierung, um die fundamentale Wandlung, die der Nationalsozialismus hervorgerufen hat, bei Seite schieben zu können: „In diesem Sinne bitte ich, dass der Ausschuss sich als ein Kampfausschuss des Nationalsozialismus konstituiert.“●
(Berliner Tageblatt vom 4. Mai 1934: Hans Frank; 1934)
4.3. Der „Völkischer Beobachter“ am 4. und 5. Mai 1934 über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Der Völkische Beobachter (VB) war seit 1920 das „Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands“. Von 1923 bis 1938 war Alfred Rosenberg sein Chefredakteur. Am 4. und 5. Mai berichtet der VB zuerst über die Rede Alfred Rosenbergs und dann über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie mit Wiedergabe der Rede von Hans Frank. Damit kehrte auch der VB die tatsächliche Zeitreihenfolge um. Weshalb? Ich vermute, die Chefredakteure meinten, dass in weltanschaulichen Fragen Alfred Rosenberg einen höheren Rang als Hans Frank innehatte. Und „Rechtsphilosophie“ hörte sich stark nach »Weltanschauung« an:
Die weltanschauliche Durchdringung des politischen Kampfes blieb auch nach der »Machtergreifung« ein Thema. Denn, »um die Macht zu behaupten, mußte das, was politisch erobert worden war, weltanschaulich gesichert werden«2. Niemand war mehr von diesem Gedanken durchdrungen als Rosenberg. Die Gegner des Nationalsozialismus, ihrer politischen Mittel beraubt, setzten ihren Kampf nun »unter geistiger Maske«3 fort. Deshalb hieß Rosenbergs »große grundlegende Rede«4 vom 22. Februar 1934 »Der Kampf um die Weltanschauung«5. Mit ihr inaugurierte er seine Tätigkeit als »Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP«. Diesen in seiner Umständlichkeit kaum zu überbietenden Titel hatte der Reichsleiter sich selbst verliehen. Der zugrunde liegende »Führerauftrag« stammte vom 24. Januar 1934.6
(Piper 2015), S. 290
Beide Reden beider NS-Größen wurden im VB ausführlicher vorgestellt als in allen anderen Zeitungsberichten, die ich gelesen habe. Das muss keine sachlichen, das kann finanzielle Gründe gehabt haben. Durch Kürzungen wurde die Berichterstattung billiger. Deswegen ist es weiter nicht erklärungsbedürftig, dass in der Ausgabe des VB vom 4. und 5. Mai 1934 ausführlicher über Alfred Rosenbergs Rede berichtet wurde als in den anderen Zeitungsberichten über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
4.3.1. VB vom 4. Mai 1934: Rosenbergs „Die Ehre – Grundlage der Rechtserneuerung“
Ich zitierte auch den Bericht des VB vollständig.
Alfred Rosenberg in Weimar:
Die Ehre – Grundlage der Rechtserneuerung
„Wir wollen Friedrich Nietzsche nicht missen!“
Reichsleiter Rosenberg vor dem Ausschuss für deutsche Rechtsphilosophie.
Weimar, 3. Mai
[1] Heute fand im Nietzsche-Archiv zu Weimar eine Sitzung des Ausschusses für deutsche Rechtsphilosophie statt, an der Reichsjustizkommissar Dr. Frank und der Beauftragte der Führers für die Überwachung der weltanschaulichen Erziehung der NSDAP, Reichsleiter Alfred Rosenberg teilnahmen.
[2] Alfred Rosenberg führte in seiner längeren Ansprache aus:
[3] „Vier Mächte sind es innerhalb des völkisch-staatlichen Lebens, die vor allem berufen erscheinen, entgegen rein subjektivistischen Bestrebungen in sich geschlossene Menschentypen zu schaffen und zu erhalten: Das Heer, die Kirche, die Justiz und die Schule.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Bemerkenswert ist an Absatz 3, dass Rosenberg „die Kirche“ als eine von vier Mächten innerhalb des „völkisch-staatlichen Lebens“ vorstellt. Das Bekenntnis der NSDAP vom 20. Februar 1920 zum ökumenischen und positiven Christen fordert das. Es forderte aber keine „Kirche“. Tatsächlich gab es Bestrebungen im akademischen Nationalsozialismus, eine »Kirche deutscher Christen« zu etablieren. In Teil III werde ich auf diese Thema ausführlicher eingehen.
In den nächsten Absätzen macht Alfred Rosenberg deutlich, dass alle vier Mächte »einzudeutschen« sind: Heer, Kirche, Justiz und Schule sollen gleichgerichtet Deutschheit exemplifizieren, erhalten und fördern:
[4] Das Ideal eines gesunden Volkes und Staates müßte sein, daß ungeachtet der verschiedenen Aufgabengebiete und wissenschaftlichen Inhalte doch die Voraussetzungen des Denkens für alle diese Kräfte die gleichen sind.
[5] Denn von einer einzigen Wendung der Seele und des Charakters hängen Gehalt und Form aller kulturellen und staatlichen Institutionen ab. Katastrophal muß es werden, wenn die Voraussetzungen des Denkens und somit auch des praktischen Handelns innerhalb einer einzigen Nation bei den zur Erhaltung der Gesamtheit berufenen Mächten sich voneinander trennen oder gar in offene Feindschaft zueinander geraten.
[6] Die nationalsozialistische Bewegung hat die große Sendung zu erfüllen, die Voraussetzungen aller formenden Mächte des Volkes und Staates zu überprüfen und aus ihrem Instinkt und Bewußtsein heraus gemeinsam jene Umschmelzung vorzunehmen, die notwendig ist, um die Gesamtheit der 65 Millionen zu erhalten und sie, auf das gemeinsame Schicksal bezogen, gleichgerichtet in das Ringen der Zukunft zu stellen.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Wer oder was soll fähig sein zu dieser Gleichschaltung der vier Mächte? Ein Bund von Männern, wie Nietzsche bereits meinte:
[7] Es ist klar, daß, wenn diese Forderung von uns heute angemeldet wird, sie etwas voraussetzt, was der Genius dieses Hauses einmal von einem Philosophen forderte. „Unbeugsame und rauhe Männlichkeit.“
[8] Wenn wir mit den liberalistisch-zersetzenden Mächten im Kampfe stehen, so ergibt sich doch zugleich, daß die Neugestaltung Deutschlands, je tiefer sie an die Wurzeln greift, auch jene geistigen Machtgruppen untersucht, die sich noch als typenschaffend und ‑erhaltend gezeigt haben.
[9] Da ist es vor allem das Rechtsdenken, um das heute erbittert und zugleich tief-begründet gerungen wird.
[10] Auf der einen Seite wird eine Rechtsphilosophie „an sich“ verkündet, gleichsam als eine geistige Hülle, in die sich alle Rechtsauffassungen der Nationen einfügen lassen müßten. In verwandtem Gleichklang dazu erleben wir ein anderes Hochkommen sogenannter universalistischer Gedanken, die von einem abstrakten Menschheitsbegriff ausgehen , aus ihm einen rein theoretischen Kulturkreis sich entwickeln lassen, um dann allerdings eine reiche „Ausgliederungsfülle“ der Nationalismen[171] zuzugestehen, wobei allerdings nicht verständlich wird, auf welche organischen Grundlagen der blutbedingte Nationalismus zurückgehen könne, wenn ihm nur eine blasse universalistische Ganzheitsthese als Ausgangspunkt verkündet wird. Das neue Denken unserer Zeit geht hier diametral entgegengesetzte Wege.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Der letzte Druckabsatz ist eindeutig gegen Hegels Rechtsphilosophie gerichtet. Genauer gegen Hegels berühmte Anmerkung zum ersten Paragraphen seiner Lehre von der Rechtspflege; ich zitiere:
Es gehört der Bildung, dem Denken als Bewußtsein des Einzelnen in Form der Allgemeinheit, daß Ich als allgemeine Person aufgefaßt werde, worin Alle identisch sind. Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist. Dies Bewußtsein, dem der Gedanke gilt, ist von unendlicher Wichtigkeit, – nur dann mangelhaft, wenn es etwa als Kosmopolitismus sich dazu fixiert, dem konkreten Staatsleben gegenüberzustehen.
(Hegel 1821), § 209, Anmerkung
Die Auskunft, es seien „Neuhegelianer“ in den Ausschuss für Rechtsphilosophie berufen worden, ist irreführend. Kein Hegelianer war Dauermitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Freyer war, wie Alfred Rosenberg, ein Anti-Hegelianer.[172]
Mit dem nächsten Absatz setzt ein neuer Abschnitt der Rede Alfred Rosenberg ein. Gleich zu Beginn wird deutlich, dass Rosenberg keinen Rassismus vertrat, nach dem nur Deutsche als wertvoll anerkannt wurden. Nicht nur Deutsche sind Arier, auch Inder … waren es früher einmal. Ich kenne bislang keinen Satz von Alfred Rosenberg, in dem er einen Nicht-Arier als wertvoll anerkannt hätte. In Rosenbergs Rassismus gibt es sogar eine »Gegenrasse«. Das sind die Juden.[173]
*
[11] „Recht und Unrecht gehen nicht umher und sagen: Da sind wir. Recht ist das, was arische Menschen für Recht befinden. Unrecht ist das, was sie verwerfen,“ so lautete einer der weisesten Sprüche der indischen Philosophie.
[12] Er besagte weiter nichts als das hohe Bewußtsein, daß ein bestimmter Rechtscharakter mit einem bestimmten Rassen- und Volkscharakter geboren werde und mit seinem Untergang gleichfalls verschwindet.
[13] Er besagt, daß jede Menschenart nur in ihrer Form leben möchte, daß nur diese Entwicklung der Eigenart ihrer schöpferischen Kräfte zur Gestaltung zu bringen vermag und daß das Eindringen ganz entgegengesetzter Rechtsauffassungen den Bestand einer Nation gefährden müsse.
[14] Diese Erkenntnis geht weit über die langweilige Menschheitsformel von gut und böse hinaus, verkündet ein Sichbeugen vor ewig waltenden Naturgesetzen und seelischen Geboten und birgt in sich zugleich die Erkenntnis, warum das arisch-indische Volk einmal in der Um- | S. schlingungen des vielgestaltigen Ostens vergehen mußte. Dieser altindische Grundsatz erscheint jedem nicht von einer unfaßbaren Ganzheit kommenden Denken sicherlich als subjektivistisch-relativistisch. In Wirklichkeit ist gerade die abstrakte, angeblich für alle gültige Rechtsnorm eine schwankende, durchaus relative Erscheinung, die in einem von allem losgelösten Individualismus geboren wurde und sich anmaßte, allgemein gültige Rechte zu besitzen. Das altindische Bekenntnis birgt vielmehr die ewige Weisheit, daß jede körperliche und seelische Gestalt zwar plastisch beweglich ist, aber doch nur ihre Möglichkeiten der Erfüllung besitzt und nicht alles werden, nicht alle Formen annehmen kann.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Mit dieser rassistischen Begründung gegen Hegels individualistische Menschenrechte und für die angeblich „ewige Weisheit“ der Arier-Inder, dass es nur besondere Rassenrechte gibt, fordert Rosenberg im nächsten Schritt eine philosophische Anthropologie des Wesens des germanisch-deutschen Menschen als Grundlagenwissenschaft für eine deutsche Rechtsphilosophie. Seher dieses Denkens sei Friedrich Nietzsche gewesen:
[15] Von diesem Gesichtspunkt aus wird die nationalsozialistische Bewegung keinen großen Wert auf eine Rechtsphilosophie an sich legen, sondern wird von den berufenen Bearbeitern dieses Gebiets zunächst die Klarstellung fordern,
welcher Charakterart der germanisch-deutsche Mensch gewesen ist,
welche Begabungen und Begrenzungen sein Wesen ausmachten,
welche Werte und in welcher Stärke sie für sein Leben bestimmend waren, als es schöpfungsmächtig dastand. Mit dieser Forderung ist ein tiefes Bekenntnis zu jenem Denken verbunden, dessen Auferstehung erst in den heutigen Tagen beginnt, zu Friedrich Nietzsche.
[16] Entgegen einer verkrusteten Scholastik, entgegen einer dem Nihilismus zutreibenden Zeit der alles verflachenden Demokratie kämpfte er als einsamer für eine neue Rangordnung der Werte.
[17] Er griff damit ins Zentrum nicht nur einer allgemeinen Philosophie, sondern namentlich in den Mittelpunkt alles Rechtsdenkens, denn vor allen anderen Normen der Gesellschaft beruht das Recht auf Werten und auf rücksichtslosem Staatsschutz ganz bestimmter von diesen Werten.
[18] Im Kampfe gegen eine materialistische Welt ist Nietzsche gewiß scharf gewesen, er hat oft bewußt verletzt, um überhaupt ein Echo bei seinen Zeitgenossen hervorzurufen, und doch, wenn wir das Zeitbedingte seiner Gestalt der Zeit übergeben, so bleibt für immer erhalten jener heroische Kampf um die Erfüllung des Lebens eines Einzelnen und einer Gemeinschaft, das Ringen um die höchsten Werte ihres Daseins.
[19] Entgegen der ganzen blutleeren Schulwissenschaft forderte Nietzsche „die Partei des Lebens“ und damit die Unterstützung alles dessen, was dieses Leben läutert und stärkt.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Absatz 19 ist wichtig. So wichtig, dass ich ihn im nächsten Exkurs erläutere.
[20] Er haßte deshalb aus tiefster Seele alle jene Werte, die nicht den Kampf des Lebens, sondern die Unterwürfigkeit und Knechtseeligkeit forderten, und schrieb auf seine Gesetzestafel die Worte von der Vornehmheit des Geistes und vom Stolz des Charakters.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Mit dem Ausdruck „Knechtseeligkeit“ bezeichnet – sprachlich durchaus gekonnt, da inhaltlich passend – Rosenberg eine Position des von ihm gehassten liberalistisch-universalistischen Philosophen Kant und Hegel: Kant lehrte, dass das Streben, glücklich zu sein, ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund des Willens ist[174], das im diesseitigen Leben verwirklicht werden darf und soll, wenn es mit dem Sittengesetz vereinbar ist. Das so definierte höchste Gut, das eben aus dem „pursuit of happiness“ und der Autonomie besteht, bezeichnet Kant als „Glückseeligkeit“, wenn er sich auf seine Verwirklichung in einem einzelnen Menschen beziehen möchte. Und Hegel war dann etwas später mit Blick auf die noch immer herrschende Feudalgesellschaft so frech, zu behaupten, dass die phänomenologisch erfassbare Entwicklung des Geistes durch die Befreiungstätigkeiten nicht der Herren, sondern der Knechte erkämpft werde. Als Kegelianerin werde ich zukünftig immer mal wieder dieses Kerndogma Kants und Hegels mit Rosenbergs Ausdruck „Knechtseeligkeit“ bezeichnen.
[21] Diesem Gedanken hat er sein Leben lang gedient und ist ihm ohne Kompromisse bis an sein schweres Ende gefolgt.
[22] Es wurde immer einsamer um ihn, alle jene Freunde und scheinbaren Mitstreiter, die in die Pfründen ihrer Zeit einrückten, fielen von ihm ab, und so überschlug sich der übersteigerte Wille eines großen Sehers. Und es ist das Tragische an ihm, dann in die Hände dadaistischer Philosophen gefallen zu sein. Diese schöpften aus Nietzsches Werk einzelne scheinbar rein subjektivistische Aussprüche, nahmen ihn als den ihrigen im Kampf gegen alle Form und Norm in Anspruch, so daß das Bild Nietzsches jahrzehntelang mit jenen Gestalten der Unterwelt zusammenging, gegen die zu kämpfen gerade er als seine Sendung fühlte.
[23] Heute ist die Zeit gekommen, um Nietzsche aus den Krallen dieses würdelosen Geistes zu retten und ihn einzufügen in die große Mission der deutschen neuen Bewegung unserer Tage.
[24] Wir begreifen ihn heute zwar auch als Stürmer gegen eine ganze Welt, zugleich aber auch als Verkünder einer neuen Rechtsordnung der Werte.
[25] An ihrer Spitze steht, aufs Große gesehen, der tiefe Stolz, die das ganze Volk umfassende Vornehmheit des Denkens und Handelns und der Mut zu jeder, aber auch jeder Wahrhaftigkeit vor sich selbst.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Ich vermute, dass Alfred Rosenberg hier den antiken Volksbegriff seines rechtsphilosophischen Kollegen Baron von Uexküll verwendet, nach dem nur eine Elite von erwachsenen Männern »das Volk« sei (3.5.7.). Vermute ich richtig, dann können wir Untervölkischen und die Andersvölkischen keine Auskunft darüber geben, ob das »Volk der akademischen Nationalsozialisten« mutig oder feige gewesen ist, da die Rosenbergsche Tugendethik ja die allumfassende Wahrhaftigkeitspflicht nur volksintern verlangt.
[26] Das ganze deutsche Rechtsleben beruht seit dem ersten Auftreten des Germanentums eigentlich auf einem einzigen Werte, auf dem Werte der Ehre.
[27] Das äußerte sich in den ersten Kampfzeiten zunächst in dem Freiheitsbewußtsein jedes einzelnen freien Mannes, gleich, ob er sich seinen umfriedeten Hof baute, ob er jeden Eingriff in sein persönliches Leben abwehrte oder ob er rein menschliche Beziehungen seiner Handlungsweise von diesem Standpunkt aus beurteilte.
[28] Auf dem germanisch persönlichen Ehrbewußtsein ruhen die beiden großen Epen der deutschen Geschichte, das Nibelungen– und das Gudrunlied. Dann das Lied von Meister Hildebrand.
[29] Aus diesem Begriff entstanden später die Ritter- und Zunftordnungen, in denen gefordert wird, daß die Zunft rein sein müsse, als sei sie von Tauben gelesen; auf ihr beruhen die Rechtsnormen schließlich auch der deutschen Städte von Magdeburg, Lübeck usw. Diese Rechtsauffassung hat ihre typenbildende Kraft überall bewiesen, viele Staaten Europas sind gerade auf ihr aufgebaut worden.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Bemerkenswert, dass auch Alfred Rosenberg den »Bauernstand« vergisst zu erwähnen. Vermutlich hatte Walter Darré diese »moderne« Blindheit im Denken von Alfred Rosenberg (und Hans Naumann) entdeckt, und erfolgreich darauf bestanden, dass in den Nationalsozialistischen Monatsheften, dieser Fehler korrigiert wurden (siehe Unterabschnitt 3.5.5.).
In den nächsten beiden Absätze charakterisiert Alfred Rosenberg zunächst das Erreichen des mittelalterlichen Staats und der mittelalterlichen Kirche, um dann den Beginn des Übels beim Namen zu nennen, der den Untergang des »Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation« 1806 bewirkte:
[30] Das persönliche Ehrbewußtsein wurde später überhöht vom Stammesbewußtsein, bis dann an seine Stelle Staat und Kirche traten.
[31] In einer verhängnisvollen Zeit wurde diese Entwicklung vom persönlichen zum völkischen Ehrbegriff durch das Eindringen des rein privatkapitalistischen spätrömischen Rechts unterbrochen, bis es schließlich möglich war, jedem Schädling in einer Nation sogenannte „berechtigte Interessen“ zuzusprechen, ohne die schlimmsten Beschimpfungen des Ansehens eines ganzen Volkes ahnden zu können.
[32] Hier war die Rechtsnorm überhaupt, die Voraussetzung für alles Uebrige einfach nicht vorhanden, und das Grundlegende einer nationalsozialistischen Rechts- und Staatsauffassung wird darin bestehen müssen, die Wahrung der Ehre der Nation an die Spitze aller Rechtserneuerung zu stellen.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Dass im Wechsel vom Mittelalter zur Neuzeit eine „Rezeption des spätrömischen Rechts“ in Deutschland stattfand, ist nicht nur eine Lehrmeinung Alfred Rosenbergs. Carl Schmitt hat das immer wieder behauptet. Aber auch Henry Sidgwick (1838-1900) hatte das deutlich vor ihm behauptet.[175]
[33] Erst nach dieser alles entscheidenden Erneuerung des Denkens und Fühlens werden sich die übrigen Normen und Begriffe organisch einfügen lassen. Erst mit dieser Anerkennung dieser alles überhöhenden Höchstwerte wird es möglich sein, auch eine Wirtschaftsethik[176] zu begründen.
[34] Durfte man früher sagen, alles sei erlaubt, was nicht direkt mit dem Zuchthaus zu tun habe, so wird eine neue Auffassung des nationalen Ehrbegriffs durch eine Ergänzung mit dem Begriff einer sozialen Ehre erst die Grundlage für eine kommende Rechtsgestaltung Deutschlands schaffen.
[35] Von diesem Gesichtspunkt aus wird es Aufgabe einer deutschen Rechtsphilosophie sein, das Verhältnis zwischen Volk und Staat, zwischen Recht und Politik einer tiefgehenden Untersuchung zu unterziehen und gemeinsam mit den Vertretern der deutschen Rassenkunde und Rassenhygiene gefühlsmäßig und theoretisch eine geistige und charakterliche Höherwertigkeit als Voraussetzung jeder rechtlichen Bewegung vorzubereiten.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Weil die akademischen Nationalsozialisten ein neues Fühlen herstellen wollten, brauchten sie die Dichter. Deswegen wird Hölderlin zu einer Autorität »des deutschen Seins«. Die Spätfolgen dieser »Herstellung der inneren Verfassung der Menschen als solcher«[177] sind in den Spätschriften der Kindergeneration des Dritten Reichs erkennbar. In der folgenden Endnote zitiere ich ein Gedicht von Max Kommerell, das beispielhaft vorführt, wie die akademischen Nationalsozialisten versuchten Gefühle herstellten.[178]
[36] Es ist klar, daß sich aus dieser einen einzigen Umkehr sich tausend Fragen und Probleme ergeben werden, ebenso sicher aber ist es, daß es nicht darauf ankommt, heute täglich neue Gedanken zu produzieren, als vielmehr überhaupt ein neues Denken zu gestalten. Diese Abwendung von früheren Vorstellungen wird viel Schmerzhaftes mit sich bringen und so manche gelehrte Schrift über die Philosophie des Rechts wird neu geschrieben werden müssen. Aber das ist nicht als Nachteil, sondern nur als Vorteil zu bewerten.
[37] Wenn ein altes Staatsgefüge zusammenbricht, so muß damit auch die Rechtsauffassung als Grundlage eines Staates verschwinden.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Der Versuch zu einer Sentenz in Absatz 36 geschieht in Abwandlung einer Sentenz Hegels vom Ende seiner Vorrede zu den „Grundlinien der Philosophie des Rechts“:
Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.
(Hegel 1821), vorletzter Druckabsatz der Vorrede
Rosenbergs Wort „Staatsgefüge“ kommt in Hegels Werken nicht vor. Insgesamt ist es selten gebraucht worden. 1934 ist ein Text von Carl Schmitt mit dem Titel „Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reichs“[179] erschienen. Ich kann nicht ausschließen, dass Carl Schmitt der Autor von Absatz 36 war. Wem auch immer der Dichterkranz für Absatz 36 gebührt, die geschichtsphilosophische These ist wieder klar erkennbar: 1918 ist ein altes Staatsgefüge zusammengebrochen. Die Rechtsauffassung, die ihm zu Grund lag, müsse verschwinden. Daraus folgt: Der neue NS-Staat braucht eine neue Rechtsauffassung. Es gibt einen Adressat für diese Forderung: Der Ausschuss für Rechtsphilosophie müsse die alte Rechtsaufassung zum Verschwinden bringen und eine neue Rechtsauffassung machen.
[38] Mit dem ich-bedingten Staatsgedanken des 19. Jahrhunderts bricht das vorwiegend ich-bedingte Recht zusammen.[180]
[39] Heute entsteht eine organische starke Staatsgewalt unserer Zeit, somit auch eine im Charakter, Boden und Geschichte wurzelnde Rechtsnorm als typenschaffende Kraft für kommende Jahrhunderte.
[40] Ein Kämpfer unerschrockenen Sinnes dafür war Friedrich Nietzsche, und wenn ich das Glück hatte, vor einigen Tagen in der Marienburg eine Persönlichkeit als besonders heroisch hervorzuheben in ihrem unerbittlichen Verteidigungswillen auch in Stunden allgemeiner Hoffnungslosigkeit, so glaube ich, daß es nicht zu sehr gewagt ist, einen großen vereinigenden Geistesbogen zu spannen vom einsamen Heinrich von Plauck[181] zu dem anderen Einsamen von Sils Maria.
[41] Wir Nationalsozialisten jedenfalls wollen in der heutigen Zeit des Kampfes einen derartig wahrhaftigen Streiter wie Friedrich Nietzsche nicht missen, aus seinem funkelnden Gedanken das einfügen in den Leben erzeugenden Strom unserer Zeit, was diesem neuen Antrieb und Kraft geben kann. Wir wollen die Einheit der großen deutschen Geschichte als Verpflichtung empfinden, tätig zu sein an einem neu werdenden Leben und jene Fundamente des Rechts zu legen, auf denen die kommende Zeit als unerschütterliche Grundlage ruhen kann!●
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Soweit die Wiedergabe der Rede Alfred Rosenbergs zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 im Nietzsche-Archiv. Emges Behauptung von 1960, dass Rosenberg „unreifes Zeug“ vortrug, ist auch fachlich falsch. Rosenberg Vortrag muss sich fachlich nicht vor den Verlautbarungen des Professors für Rechtsphilosophie Emge verstecken. In Teil III werde ich einige Texte Emges vorstellen:
Als wir uns an die Arbeit begaben, erschien Alfred Rosenberg und trug │ S. 75 sein bekannt unreifes Zeug vor. Die Folge davon war, daß ihn nach der Sitzung Uexküll im Hotel aufsuchte, um auf die Unmöglichkeit seiner Auffassungen aufmerksam zu machen. Eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem berühmten Gelehrten aus alter Kulturschicht von hohem wissenschaftlichen [im Original; mw] Rang mit dem homo novus und Dilettanten! Damit war jener Arbeitsgruppe der Todesstoß versetzt. Sie konnte nie mehr zusammen kommen.
(C. A. Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 75
Wie bereits erwähnt, gehört es nicht zum Forschungsstand über Alfred Rosenberg, dass er Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Piper (2015) nimmt in seine Darstellung einen Reisebericht von Winterbotham auf[182], der behauptet, er sei 1934 mit Alfred Rosenberg nach Weimar gefahren und sie hätten dort das Nietzsche-Haus besucht. Ich zitiere Pipers Widergabe, da das, was Winterbotham über Rosenbergs Werbung für Züchtungsexperimente mitteilt, eine gute Überleitung zum folgenden Exkurs ist. Winterbotham muss sein Wissen natürlich nicht aus einem persönlichen Kontakt zu Rosenberg bezogen haben. Eine Lektüre des Völkischen Beobachters vom 4. Mai 1934 hätte genügt. Ein Blick ins „politische Tagebuch“ Alfred Rosenbergs nicht:
1934 begann Alfred Rosenberg nach jahrzehntelanger Pause wieder Tagebuch zu führen. Der erste Eintrag stammt vom 14. Mai. Er beginnt mit der Feststellung des Autors, er fühle sich an zwei für die Zukunft entscheidenden Fragen beteiligt: »Das ist das Ringen um England und die Durchsetzung unserer Weltanschauung gegen alle Gegner.«365 Bei dem zweiten Punkt hätte ihm wohl niemand widersprochen. Wenn die erste Feststellung nicht als reine Selbsttäuschung abzutun ist, so deshalb, weil die britische Regierung, jedenfalls die │ S. 283 Auslandsaufklärung, vertreten durch Winterbotham, dem de Ropp assistierte, noch bis 1938 mit Rosenberg Kontakt hielt, wobei diese Kontakte nun nur noch auf deutschem Boden stattfanden. (David Irving und mit ihm verbundene alte Nazis pflegen deshalb bis heute die Legende, Rosenberg habe bis zuletzt den Ausbruch eines Krieges zwischen Deutschland und England zu verhindern gesucht.) Winterbotham arbeitete als Air Intelligence Officer im Secret Service (SIS); in Deutschland trat er als Repräsentant des Luftfahrtministeriums auf, an dessen Spitze damals der als deutschfreundlich geltende Marquess of Londonderry stand.366 Auch Archibald Boyle, der Auslandsbeauftragte des Luftfahrtministeriums, spielte bei den Kontakten eine Rolle. Wie Winterbotham trat er in der Rolle des Deutschlandfreundes auf und war ebenfalls für den SIS tätig.367
365 Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs, 1956, S. 17
1934 fuhr Winterbotham gemeinsam mit Alfred Rosenberg in dessen schwarzem Mercedes nach Weimar.368 Herr Schmidt, der Chauffeur, und Baron de Ropp waren mit von der Partie. Winterbotham begleitete den Reichsleiter zu einer Parteiversammlung, sie besuchten auch eine Schule der HJ und das Nietzsche-Haus. Nebenbei versuchte Rosenberg, seinen Gast, der sich als höflicher Brite sogar des Hitlergrußes befleißigte, davon zu überzeugen, dass die nordischen Rassen, einschließlich der Engländer, sich zusammenschließen müssten, und warb andererseits für die Idee der Zwangssterilisation und Züchtungsexperimente mit blonden Frauen nordischen Typs, was bei seinem Gesprächspartner eher Alpträume als Begeisterung auslöste.369
368 Winterbotham, 1978, S. 68 ff.
369 Ebd., S. 69f.
(Piper 2015), S. 283
Um die Züchtungsabsichten der „Partei des Lebens“ umzusetzen, gründete kein geringerer als der Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, Ende 1935 den »Lebensborn e.V.«
4.3.2. Exkurs: Erste Informationen zur »Partei des Lebens«, zur „Höherzüchtung der Menschheit“ und zu Himmlers »Lebensborn e.V.«
Ich zitiere erneut Absatz 19 aus Alfred Rosenbergs Rede zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie vom 3. Mai 1934:
[19] Entgegen der ganzen blutleeren Schulwissenschaft forderte Nietzsche „die Partei des Lebens“ und damit die Unterstützung alles dessen, was dieses Leben läutert und stärkt.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Rosenberg hat den Inhalt folgender Textstelle Nietzsches korrekt wiedergegeben. Vielleicht hat er sich das selbst erarbeitet. Vielleicht haben ihm die Professoren Heidegger[183] oder Emge zu diesem Wissen verholfen. Als Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Nietzsche-Archivs waren beide fraglos qualifiziert.
Aus dieser Schrift redet eine ungeheure Hoffnung. Zuletzt fehlt mir jeder Grund, die Hoffnung auf eine dionysische Zukunft der Musik zurückzunehmen. Werfen wir einen Blick ein Jahrhundert voraus, setzen wir den Fall, dass mein Attentat auf zwei Jahrtausende Widernatur und Menschenschändung gelingt. Jene neue Partei des Lebens, welche die grösste aller Aufgaben, die Höherzüchtung der Menschheit in die Hände nimmt, eingerechnet die schonungslose Vernichtung alles Entartenden und Parasitischen, wird jenes Zuviel von Leben auf Erden wieder möglich machen, aus dem auch der dionysische Zustand wieder erwachsen muss. Ich verspreche ein tragisches Zeitalter: die höchste Kunst im Jasagen zum Leben, die Tragödie, wird wiedergeboren werden, wenn die Menschheit das Bewusstsein der härtesten, aber nothwendigsten Kriege hinter sich hat, ohne daran zu leiden.
Friedrich Wilhelm Nietzsche: Ecce homo, Kapitel 6 Die Geburt der Tragödie, Abschnitt 4
Der akademische Nationalsozialismus hat sich mit der NSDAP diese „Partei des Lebens“ gemacht, die nach 1933 mit beidem begann: Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN) vom 14. Juli 1933 war der Auftakt der „schonungslosen Vernichtung alles Entarteten“. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (BBG) vom 7. April 1933 war der Auftakt der „schonungslosen Vernichtung alles Parasitischen“. Das ist die eine Hälfte des Programms der »Partei des Lebens«, ihr Programm des produktiven Vernichtens. Die zweite Hälfte des nationalsozialistischen Programms der Partei des Lebens, ihr Programm des produktiven Belebens, ist weniger bekannt.[184]
Bevor ich Indizien dafür präsentiere, dass akademische Nationalsozialisten sich persönlich in den »Lebensborn«-Heimen an der „Höherzüchtung der Menschheit“ aktiv beteiligten, stelle ich kurz anhand des Buches von Georg Lilienthal über den »Lebensborn«-Verein ein paar Hintergründe und konkrete Beteiligungen der AfDR an den Rechtsänderungen zu Gunsten der Unehelichen vor.
4.3.2.1. Erste Hinweise Lilienthals (2003) aufs »Menschenzüchterische« in Rechtsform
Lilienthal (2003) behauptet nicht, dass in den »Lebensborn«-Heimen SS-Männer Frauen geschwängert haben, um den „Adel der Zukunft“ herzustellen. Dafür gebe es nicht genug Belege. Insbesondere gäbe es keine Zeugenaussagen (Stand: 2002). Er konzentriert sich deswegen auf eine Darstellung der Rechtsänderungen, die nach 1933 zu Gunsten der Unehelichen gemacht worden sind. Es gab Vorarbeiten der AfDR zu diesen Rechtsänderungen. Ohne Angabe von Gründen und Belegen behauptet Lilienthal (2003), dass das zuständige Ministerium der entscheidende Faktor gewesen ist. Ich habe nicht versucht, das zu überprüfen. Für einen ersten Einblick in die Aktivitäten der AfDR für ein „produktives Beleben“ taugen Lilienthals Hinweise auf jeden Fall. Hilfreich sind auch seine allgemeinen Auskünfte über Rosenbergs, Franks und Himmlers Meinungen zu den Unehelichen und zur menschenzüchterischen Aufgabe der SS. Mit diesen allgemeinen Auskünften beginne ich:
Alfred Rosenberg, Chefideologe der Partei, setzte sich in seinem Mythus des 20. Jahrhunderts ebenfalls mit der Unehelichenfrage auseinander. […] Unmißverständlich erklärte Rosenberg, wohin »ein kommendes Reich« in der Unehelichenpolitik zu steuern habe. »Es wird bei Beibehaltung der Einehe den Müttern deutscher Kinder auch außerhalb der Ehe die gleiche Achtung entgegenbringen und die Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen gesellschaftlich und gesetzlich durchzuführen wissen.«24 Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn Reichsminister Hans Frank kurz nach der Machtergreifung in der Akademie für Deutsches Recht »den Anspruch │ S. 24 der unehelichen Mutter auf besonderen Schutz« verteidigte, da »ethisch gesehen […] die Mutterschaft schlechthin als Fundament der Gemeinschaft zu betrachten« sei.25
23 Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit. 9. Aufl. München 1943, S. 594.
24 Ebenda, S. 593.
25 Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt 26 (1935), S. 363
Zu den »Beschützern« der ledigen Mutter zählte sich auch der Reichsführer-SS Himmler. Da er der zweitmächtigste Mann im Dritten Reich und – seinem Führer blind ergeben – entschlossen war, den von Hitler verkündeten weltanschaulichen Auftrag gegen jeden Widerstand zu erfüllen, ist es notwendig, auf den Zusammenhang zwischen seinen eigenwilligen Vorstellungen von den unehelich Geborenen und seiner ausgeprägten Rassenideologie näher einzugehen. 1937 grenzte Himmler in einer Rede die NSDAP von der SS ab: Die Aufgabe der Partei liege im Bereich der politischen Führung, während die Aufgabe der SS »ins Menschenzüchterische« gehe.26 Wie er später seinem Leibarzt und Masseur Felix Kersten auseinandersetzte, war er davon überzeugt, daß Menschenzucht genauso möglich sei wie Tierzucht.27
26 Rede vor SS-Gruppenführern am 18.2.1937. Heinrich Himmler. Geheimreden 1933 bis 1945 und andere Ansprachen. Hrsg. v. Bradley F. Smith und Agnes F. Peterson. Frankfurt a. M., Berlin, Wien 1974, S. 100.
27 Felix Kersten: Totenkopf und Treue. Heinrich Himmler ohne Uniform. Hamburg 1952, S. 99
(Lilienthal 2003), S. 23
Über die konkrete Beteiligung der AfDR an den Rechtsänderungen zu Gunsten der Unehelichen berichtet Lilienthal folgendes:
Mit dem Herrschaftsantritt der Nationalsozialisten erwarteten daher die Befürworter einer Förderung der Unehelichen eine Änderung des Unehelichenrechts. Infolgedessen wurden in den nächsten Jahren von staatlicher und parteiamtlicher Seite mindestens vier Gesetzesentwürfe dazu vorgelegt. Der erste wurde im Herbst 1934 von Rudolf Bechert und Friedrich Cornelius aus der Rechtsabteilung der Reichsleitung der NSDAP veröffentlicht.
(Lilienthal 2003), S. 40
Der Leiter dieser Reichsleitung der Rechtsabteilung der NSDAP war Hans Frank.
Er betraf die Neufassung der §§ 1705-1714 BGB.2 Zur gleichen Zeit wurden im Nationalsozialistischen Deutschen Juristenbund Vorschläge zu einer Änderung der Rechtsstellung unehelicher Kinder erörtert.3
Der Führer dieses Juristenbundes war Hans Frank.
Ende 1936 wurden vorläufige Beratungsergebnisse des Familienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht bekannt gemacht, der in mehreren Sitzungen das Recht des unehelichen Kindes behandelt hatte.4
Der Präsident der AfDR war Hans Frank.
Nach weiteren Besprechungen wurden die Ergebnisse im nächsten Jahr dem Reichsjustizministerium »zur weiteren gesetzgeberischen Auswertung« │ S. 41 übergeben.5 Unabhängig von dieser Vorlage der Akademie erarbeitete das Reichsjustizministerium einen eigenen Gesetzentwurf, der das Recht des unehelichen Kindes zusammen mit der Frage der Adoption und der Ehelichkeitserklärung zum Inhalt hatte.6
(Lilienthal 2003), S. 40 f.
Der Reichsjustizminister war nicht Hans Frank, sondern Franz Gürtner. Ich zitiere weiter aus demselben Absatz:
Dieser kurze Überblick zeigt bereits, wie mühsam es trotz der gemeinsamen ideologischen Überzeugung auch für die Nationalsozialisten war, das Problem der Unehelichkeit rechtlich zu klären, d.h. die miteinander konkurrierenden Vorschläge in eine praktikable Form zu bringen.
2 Der Text ist abgedruckt in: Deutsches Recht 4 (1934), Nr. 17, S. 422, und der Kommentar S. 442-444. Vgl. die Besprechung von Heinrich Webler: Bemerkungen zu einem Gesetzentwurf über das Unehelichenrecht. In: Zentralblatt f. Jugendrecht u. Jugendwohlfahrt26 (1934/35), Nr. 7, S. 188-191.
3 Vgl. Fraeb: Nationalsozialistische Volkswohlfahrt und der Fluch der Unehelichkeit. In: Zeitschrift d. Akademie f. Deutsches Recht 2 (1935), H. 9, S. 637-643, hier S. 641.
4 Zum Inhalt siehe Rudolf Bechert: Die Akademie und das Unehelichenrecht. In: Deutsches Recht 6 (1936), Nr.23/24, S. 475-477. Vgl. Heinrich Webler: Schutz dem unehelichen Kind! In: Deutsche Jugendhilfe 29 (1938), Nr. 2, S. 43-49.
5 Jahrbuch d. Akademie f. Deutsches Recht5 (1938), S. 241.
6 Protokoll der Sitzung des »Sachverständigenbeirats für Bevölkerungs- und Rassenpolitik« vom 15.6.1937. BA: R 18/5518, Bl. 50.
Man begnügte sich nicht mit Gesprächen und Plänen. Da eine umfassende Rechtsreform zugunsten der Unehelichen ausblieb und in allernächster Zukunft nicht zu erwarten war, gingen die Behörden dazu über, Einzelregelungen vorzunehmen. […]
Die bevölkerungspolitische Sorge um die ledige Mutter erschöpfte sich nicht in einzelnen ministeriellen Erlassen. Ohne die Klärung der theoretischen Diskussion abzuwarten, ging man frühzeitig dazu über, die ledige Mutter und ihr Kind in eine überwiegend von der Partei organisierte Hilfe einzubeziehen. Neben dem Lebensborn e. V. sind zwei weitere Einrichtungen in diesem Zusammenhang zu nennen. Einmal das Deutsche Institut für Jugendhilfe e. V. Es wurde 1933 aus zwei älteren, ähnlichen Organisationen gegründet und stand unter der Leitung von Heinrich Webler. […] │ S. 42 […]
Eine wesentlich größere Bedeutung für die Bevölkerungspolitik und speziell auch für den Lebensborn hatte das Hilfswerk »Mutter und Kind«, das von der NSV im März 1934 eingerichtet wurde als »Ausdruck des Willens der deutschen Volksgemeinschaft, das lebendige Leben des Volkes zu erhalten und zu schützen«.
(Lilienthal 2003), S. 41 f.
Das zur ersten Orientierung über den organisierten Wettstreit (ἀγών, agṓn), den die »Partei des Lebens« in ihrer ersten Olympiade führte, um einen rechtlichen Rahmen für das Projekt einer »Höherzüchtung der Menschheit« zu „formulieren“ und durch „die Tat“ zu verwirklichen.
4.3.2.2. Lilienthal (2003): Die erste (1935)und die zweite (1938) Satzung des »Lebensborn«-Vereins
Über die erste Satzung des »Lebensborn«-Vereins berichtet Lilienthal folgendes:
Sicherlich mit Wissen und Billigung Hitlers wurde der Lebensborn e. V. am 12. Dezember 1935 »auf Veranlassung des Reichsführers-SS« von zehn SS-Führern, deren Namen unbekannt sind, in Berlin gegründet.16 Obwohl er organisatorisch in die SS eingegliedert wurde, gab man ihm die rechtlich selbständige Form eines eingetragenen Vereins. Als juristische Person konnte er somit Eigentümer von Heimen und anderem Besitz werden. Mit Gründungsdatum wurde auch eine Satzung verabschiedet, die Zweck und Organisation des Vereins festlegte.17 Demnach waren seine Aufgaben:
»1. Rassisch und erbbiologisch wertvolle, kinderreiche Familien zu unterstützen,
2. Rassisch und erbbiologisch wertvolle werdende Mütter unterzubringen und zu betreuen, bei denen nach sorgfältiger Prüfung der eigenen Familie und der Familie des Erzeugers durch das Rasse- und Siedlungshauptamt-SS anzunehmen ist, daß gleich wertvolle Kinder zur Welt kommen;
3. für diese Kinder zu sorgen;
4. für die Mütter der Kinder zu sorgen.«18
16 »Jahresbericht« Ebners für die Zeit vom 12.12.1935 bis 31.12.1939. Ebenda, Bl. 98-131, hier Bl. 99. Organisatorische Vorbereitungen waren anscheinend schon früher getroffen worden. Am 10.4.1935 gab Darré den »Stabsbefehl 19/35« heraus, der eine Neugliederung seines Amtes mit sofortiger Wirkung anordnete. Darin wurde im Sippenamt unter der Hauptabteilung III »Blutsgemeinschaft« mit SS-Obersturmführer Haidn, dem späteren nominellen Leiter des »Lebensborn«, als Chef eine Unterabteilung »Eheberatung«, »Mütterheime« und »Kinderheime«, sämtlich mit noch unbesetzten Personalstellen, aufgezählt. BA: NS2/104.
17 Satzung des »Lebensborn« e. V. vom 12.12.1935. BA: NS 19/329.
18 Ebenda, § 2.
Soweit sind die Statuten eindeutig: Sie banden die Tätigkeit des Vereins │ S. 44 grundsätzlich an den Rassengedanken. Welches Ziel aber mit seiner Tätigkeit verfolgt und mit welchen Mitteln es erreicht werden sollte, verrät die Satzung nicht. Demgemäß ist auch der Personenkreis, der angesprochen werden sollte, nur ungenau beschrieben. Erst in den SS-internen Befehlen und Verlautbarungen bekannte man sich zu der Absicht, den Lebensborn in den Dienst der Bevölkerungspolitik zu stellen.
(Lilienthal 2003), S. 43
In der zweiten Satzung von 1938 wurde das dann auch deutlich klarer zum Ausdruck gebracht:
Die wahren Motive für die Einrichtung des Lebensborn lagen in Himmlers Weltanschauung, die Machtpolitik und Rassenideologie zueinander in Beziehung setzte, begründet: Rettung der nordischen Rasse vor dem drohenden Untergang durch Sammlung aller Germanen in einem »Reich« als Etappe auf dem Weg zur Weltherrschaft. Der Aufbau des »germanischen Reiches« erforderte die gewaltsame Eroberung fremden Territoriums und die Schöpfung einer rassischen Elite. Beides war auf Dauer nur zu sichern, wenn der Nachwuchs vermehrt und qualitativ verbessert würde. Der Lebensborn sollte hierzu nach dem Willen Himmlers seinen besonderen Beitrag leisten.
Es zielte auf eine züchterische Elitenbildung ab, wenn Ebner in einem Vereinsprospekt verkündete und in die Präambel der 1938 geänderten Satzung geschrieben wurde, aus dem Lebensborn werde eine auserlesene Jugend hervorgehen, »wertvoll an Körper und Geist, der Adel der Zukunft«34.
34 Illustrierter Prospekt des »Lebensborn e.V.«, verfaßt im Frühjahr 1938 von Ebner, S. 6. BA: NS 37/1030, und Satzung vom 10.2.1938. BA: NS 2/vorl. 99.
(Lilienthal 2003), S. 47
Ich zitiere die Präambel der zweiten Satzung vollständig:
Lebensborn e. V.
Gegründet 1936 in Berlin, verdankt seine Entstehung dem Willen des Reichsführers-SS.
„Lebensborn“ e.V. ist ein Teil der SS, wird vom Reichsführer-SS persönlich geführt und erhält von ihm seine weltanschauliche Ausrichtung.
Seine Aufgaben liegen auf bevölkerungspolitischem Gebiet. „Lebensborn“ hat den Kinder-Reichtum in der SS zu unterstützen, jede Mutter guten Blutes zu schützen und zu betreuen und für hilfsbedürftige Mütter und Kinder guten Blutes zu sorgen.
Möge aus dieser Arbeit eine auserlesene Jugend hervorgehen, gleich wertvoll an Körper und Geist, der Adel der Zukunft.
Präambel der zweiten Satzung des Lebensborn e.V. von 1938; BArch: NS 2/vorl. 99
Vor 1942 konnten Frauen nicht Mitglied der SS werden.[185] Deswegen konnte der Verein den Kinderreichtum in der SS nur vaterrechtlich unterstützen. Neben einer Unterstützung von Geburten innerhalb von Ehen ist es auch zweifelsfrei zu einer Unterstützung von Adoptionen außerehelich Geborener in SS-Ehen gekommen.
Wie konnte gewährleisten werden, dass diese Adoptivkinder den strengen Kriterien der »Reinrassigkeit« genügten? Ging das, wenn der Vater unbekannt war? Im Fall der Mütter konnte die SS die »Reinrassigkeit« prüfen, weil sie in den Heimen des »Lebensborn«-Vereins die Geburtsbetreuung übernommen hatte. In § 2 der Satzung von 1938 wird deswegen festgesetzt, dass nur solchen Müttern geholfen wird, die „in rassischer und erbbiologischer Hinsicht alle Bestimmungen erfüllen, welche in der Schutzstaffel allgemein gelten.“
Auch Lilienthal behauptet, dass nicht die Adoption, sondern die Betreuung werdender Mütter die Hauptaufgabe der »Lebensborn«-Heime gewesen sei. Er vergisst zu erwähnen, dass auch eine mehr-monatige, gar mehr-jährige Betreuung junger Mütter in den »Lebensborn«-Heimen angeboten wurde. Wenn die männlichen Vereinsmitglieder dann im Rahmen von Exkursionen in die Heime bei gemeinsamen Feiern ungeplant eine dort lebende Mutter schwängerten, war das gewiss nicht unerwünscht.
In einem Rundschreiben vom 13. September 1936 an alle SS-Führer,19 mit dem Himmler die Gründung des Vereins bekanntgab, wies er auf die Notwendigkeit eines ausreichenden Geburtenaufkommens hin. Viele Kinder zu haben, sei nicht Privatangelegenheit des einzelnen, sondern Pflicht gegenüber seinen Ahnen und seinem Volk. Einen ersten Schritt in diese Richtung habe die SS mit dem Heirats- und Verlobungsbefehl vom Dezember 1931 schon getan. Die Schließung von Ehen sei aber zwecklos, wenn nicht zahlreiche Nachkommenschaft aus ihnen hervorgehe. Er erwarte, daß die SS beispielgebend vorangehe und die an eine »gute und gesunde Ehe« gestellte Mindestforderung von vier Kindern erfülle. Falls ein unglückliches Schicksal der Ehe eigene Kinder versage, solle jeder SS-Führer »rassisch und erbgesundheitlich wertvolle Kinder« annehmen und sie »im Sinne des Nationalsozialismus« erziehen und ausbilden lassen. Für die Auswahl geeigneter Kinder stehe der Lebensborn zur Verfügung. Demnach waren die SS-Familien aufgefordert, ihre eheliche Fruchtbarkeit zu steigern, um als bevölkerungspolitische Schrittmacher der Nation zu fungieren. Dem Lebensborn schien die Aufgabe zugefallen zu sein, den gewünschten Kinderreichtum zu fördern, indem er solche Musterfamilien, wenn notwendig, unterstützte und unfruchtbaren Ehen durch Vermittlung von Pflege- oder Adoptivkindern zu Familienglück verhalf. Satzung und das genannte Schreiben erweckten den Eindruck, als habe Himmler den Verein in erster Linie zu diesem Zweck geschaffen und als spiele die Betreuung werdender Mütter demgegenüber nur eine nachgeordnete Rolle. In Wirklichkeit waren aber die Gewichte der Aufgaben umgekehrt verteilt.
19 Rundschreiben des RF-SS »an alle SS-Führer« vom 13.9.1936. BA: Slg. Schumacher 433. Häufig wird in der Literatur diese Bekanntmachung irrtümlich mit der Gründung des Vereins gleichgesetzt.
(Lilienthal 2003), S. 44
Soweit Lilienthal. Nun zu weiteren Indizien, dass in den »Lebensborn«-Heimen geplant rassisch-passende Kinder von SS-Führern hergestellt worden sind.
4.3.2.3. Zeugten SS-Führer in »Lebensborn«-Heimen einen Teil des »Adel der Zukunft«?
In der Illustrierten Broschüre des »Lebensborn«-Vereins aus dem Jahr 1938 wurde ausdrücklich Eigenwerbung mit der Behauptung betrieben, dass der Verein die Verbindung zwischen „Kindsvater“ und Mutter aufrechterhalte:
Abbildung 9: Illustrierte Broschüre des (Lebensborn e.V. 1938), S. 16[186]
In den Fällen, in denen bereits schwangere und unverheiratete Frauen in ein »Lebensborn«-Heim kamen, konnte dieser Verein selbstverständlich nicht gewährleisten, dass ein Kontakt zwischen Kindsvater und Mutter aufrechterhalten wurde. Zum einen galt vor 1945 grundsätzlich noch „Der Vater ist immer unsicher“. Zum anderen gab es keine rechtliche Handhabe gegen Kindsväter, die keinen Kontakt zur Mutter aufrechterhalten wollten. Jedenfalls dann nicht, wenn der Kindsvater kein Mitglied der SS war.
Haben innerhalb der SS »dienstrechtliche« Verpflichtungen zu erneuten »Verbindungen« bestanden haben? Ja! § 4 der zweiten Satzung des »Lebensborn«-Vereins von 1938 regelt das. § 4 ist eine Generalvollmacht des Vereines „alle ihm notwendig erscheinenden Maßnahmen“ zu ergreifen. Das gilt natürlich insbesondere gegenüber den Vereinsmitgliedern, die ja immerhin in Kenntnis dieser Satzung freiwillig Mitglied geworden sind. Für andere Menschen, die „Gegenstand“ dieser Generalvollmacht geworden sind, galt das nicht.
§ 2 Der Verein dient ausschließlich gemeinnützigen und wohltätigen Zwecken mit dem Ziel:
1. rassisch und erbbiologisch wertvolle, kinderreiche Familien zu unterstützen,
2. rassisch und erbbiologisch wertvolle, werdende Mütter zu betreuen, bei denen nach sorgfältiger Prüfung der eigenen Familie und der Familie des Erzeugers durch den Verein anzunehmen ist, daß gleich wertvolle Kinder zur Welt kommen,
3. für diese Kinder zu sorgen,
4. für die Mütter der Kinder zu sorgen,
5. gemäß § 47 RJWG[187] die Vereinsvormundschaft jeweils nach eigenem Ermessen zu übernehmen.
│ S. 8
[…]
§ 3 Die weltanschaulichen Richtlinien erhält der Verein durch den Reichsführer-SS, Rasse- und Siedlungshauptamt.
§ 4 Zur Erfüllung dieser Aufgaben kann der Verein alle ihm notwendig erscheinenden Maßnahmen ergreifen. Er kann andere Vereine, die ähnliche Zwecke verfolgen, in sich aufnehmen oder zur Mitarbeit heranziehen.
[…]
│ S. 10
§ 8 Mitglied des Vereins kann jeder Deutsche arischer Abstammung werden. […]
Die Mitgliedschaft erlischt:
1. durch freiwilligen Austritt, welcher spätestens am 30. Juni des Kalenderjahres für das Ende des Jahres schriftlich anzuzeigen ist,
2. durch den Tod,
3. durch Ausschluß, welcher durch den Vorstand erfolgen kann.
(Lebensborn e.V., Satzung des „Lebensborn e.V.“ 1938)
Ausnahmen vom Grundsatz „Der Vater ist immer unsicher“ waren damals nur dann denkbar, wenn Frauen in kontrollierten Umgebungen geschwängert wurden. Und die »Lebensborn«-Heime wurden geographisch und architektonisch so gestaltet, dass sie solche kontrollierten Umgebungen waren.
Wenn dann noch der Zugang von Männern zu den so gehaltenen Frauen von Dritten kontrolliert wurde, dann hätte der »Lebensborn«-Verein grundsätzlich das Wissen erwerben können, das nötig ist, um gewährleisten zu können, dass die Verbindung zwischen Kindesvater und Mutter „aufrechterhalten“ wurde.
In den »Lebensborn«-Heimen kam es auch zu Eheschließungen. Für die Zeit nach dem Endsieg hatten Himmler und Bormann geplant, das deutsche Familienrecht so zu ändern, dass Vielehen erlaubt worden wären. Innerhalb der SS-Großsippe war bereits vor eine Anpassung des allgemeinen Familienrechts durch § 4 der Satzung des »Lebensborn«-Vereins geregelt, dass und wie für in den Heimen gezeugte Kinder und deren Mütter gesorgt werden konnte.
Vorsichtshalber zitiere ich erneut Lilienthals berechtigte Warnung, vorschnell vom »weltanschaulichen« Bedarf, dem rechtliche geregeltem Erlaubnisspielraum und den faktischen vorhandenen Gelegenheiten auf den tatsächlichen Vollzug zu schließen:
Sämtliche Verfasser einschließlich der Drehbuch-Autoren [von 1961 bis 1974; mw] gingen von der unbewiesenen Annahme aus, daß der Lebensborn eine Zuchtanstalt gewesen sei. Schon vor 1945 kursierten Gerüchte, der Verein habe zur rassischen Aufzucht ausgesuchte Frauen und Männer verkuppelt. Nachkriegsberichte besagten dasselbe. So ließ sich Louis Hagen die abenteuerliche Geschichte eines BDM-Mädchens erzählen, das 1936 als fanatische Nationalsozialistin in einem Lebensborn-Heim ein Kind für »Volk und Führer« gezeugt haben wollte.7 Eine englische Journalistin interviewte im Mai 1945 in einem Lebensborn-Heim anwesende Mütter, die sich freimütig zu ihrer Rolle als angebliche »Zeugungshelferinnen« bekannt hätten.8 Diese Mitteilungen, die sämtlich aus zweiter und dritter Hand stammen, sind von zweifelhaftem Wert, denn ihre Aussagen sind nicht kontrollierbar. Überprüfbare Angaben zu Einzelheiten erwiesen sich als falsch. Schon in den Prozessen in Nürnberg und München gelang es der Anklage nicht zu beweisen, daß im Lebensborn die »gelenkte Fortpflanzung« betrieben worden sei. Und bis heute haben sich weder ehemalige Angestellte noch Mütter und Väter in diesem Sinn geäußert.
(Lilienthal 2003), S. 8
Neben »weltanschaulichen Bedarf«, rechtlichem Rahmen und tatsächlich vorhanden »Heimen« gab es demnach auch noch entsprechende Gerüchte. Trotzdem reichen diese Beweismittel, so Lilienthal, nicht hin, zu behaupten in den »Lebensbornheimen« habe es Akte »gelenkter Fortpflanzung« gegeben.
Wenn ich nichts übersehen habe, hat Lilienthal ein objektives Beweismittel nicht berücksichtigt, das ebenfalls dafür spricht, dass in den »Lebensborn«-Heimen nach rassischen Kriterien Frauen von SS-Männern geschwängert worden sind. Dieses Beweismaterial stelle ich nun vor.
Das Bundesarchiv-Lichterfelde verwaltet auch die „SS-Führer Personalakten“. Für viele dieser Personalakten gibt es einen Vordruck, der als Deckblatt genutzt wurde. Auf ihm wurden personen-identifizierende und ‑charakterisierende Informationen erfasst, die für die SS wichtig waren. Mitglied der SS konnte man nur werden, wenn man besonders »reinrassig« war. Deshalb war der „Ahnennachweis“ besonders wichtig und wurde entsprechend auf Deckblättern durch einen eigenen Bereich erfragt.
Die Personalakten der SS-Führer und Brüder Dr. jur. Werner Best (1903-1989) und Walter Best (1905-1984)[188] sind interessant.[189] In der Rubrik „Ahnennachweis“ auf den Deckblättern ist bei beiden die Zeichenkette „Lebensborn“ handschriftlich eingetragen worden.
Das lege ich so aus, dass die erforderlichen Unterlagen für den Ahnennachweis beim »Lebensborn«-Verein lagen. Weshalb das? Auf demselben Deckblatt ist vermerkt, dass Werner Best am 13. November 1931 Mitglied der SS geworden ist (Nr. 23.377). Ein Jahr zuvor, im November 1930 ist er Mitglied der NSDAP geworden (Nr. 341.338).
Wäre der »Lebensborn«-Verein seinen Aufgaben ohne »gelenkte Fortpflanzung« nachgekommen, hätte für die Entscheidung des Vereins über ein Mitgliedschaftsgesuch Werner Bests die Auskunft genügt, er sei Mitglied der SS. Nur dann, wenn Vereinsmitglieder – im Zuge der Generalvollmacht des § 4 – zu »Fortpflanzungsmaßnahmen« herangezogen werden sollten, um die Vereinsaufgaben zu erfüllen, benötigte der Verein die „rassischen und erbbiologischen Daten“ seiner Mitglieder.
Wäre der »Lebensborn«-Verein nur zu Betreuung bereits schwangerer Frauen zuständig gewesen, wäre es nicht erforderlich gewesen, Informationen über die Ahnen von SS-Führer bei diesem Verein zu verwalten. Eine Verwaltung der „erbbiologischen“ Daten von SS-Führern durch den »Lebensborn«-Verein war trivialerweise nur dann erforderlich, wenn diese Männer zur Züchtung des „Adels der Zukunft“ (Präambel der zweiten Satzung von 1938) eingesetzt werden sollten.
Ich sehe keinen Grund anzunehmen, dass ausgerechnet in diesem besonders zentralen Bereich der »Weltanschauung« des akademischen Nationalsozialismus es nicht zu entsprechenden Aktversuchen gekommen ist. Wer oder was hätte die SS-Führer hindern können. Die Frauen mit ihren Neugeborenen und Kleinkindern? Die Angestellten der »Lebensborn«-Heime? Die Bewohner der Dörfer, in deren Nähe diese Heime gebaut wurden? Wohl kaum! Am ehesten noch eine ideologisch konkurrierende Gruppe innerhalb des akademischen Nationalsozialismus.
Lilienthal berichtet über solche Debatten innerhalb des akademischen Nationalsozialismus. Ich bitte aber beim Lesen gleich zu beachten, dass die Einwände sich zumindest primär nur gegen die rechtliche Gleichstellung unehelicher Kinder richten. Die „Adoptionslösung“ entkräftete einige dieser Argumente. Und sobald sich die »Idee der Vielehe« durchgesetzt hätte, wären weitere Gründe weggefallen:
Aber auch innerhalb der Partei gab es Stimmen, die gegen eine Förderung der Unehelichen polemisierten, weil sie nationalsozialistischen Anschauungen widerspreche. Die Argumente, die angeführt wurden, legen die Willkür und die Unhaltbarkeit rassischer Werturteile bloß.
So konstatierte der Völkische Beobachter, daß das uneheliche Kind dem ehelichen rassisch nicht »ebenbürtig« sei.50 Eine Publikation der Deutschen Arbeitsfront schätzte die ledige Mutter als vorwiegend schwere Trinkerin, Psychopathin oder sogar Geisteskranke ein.51 In einem Beitrag von Else Vorwerck zu einem NS-Frauenschaftsbuch hieß │ S. 30 es, daß der Staat, der nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ vermehrten Nachwuchs wünsche, sich gegen die Unehelichkeit wenden müsse. »Eine gesetzliche und das würde bedeuten wertmäßige Gleichsetzung der unehelichen mit der ehelichen Mutterschaft ist deshalb unmöglich, weil damit das Ansehen, die Würde und die Anerkennung der volklichen Bedeutung des Ehe- und Familienlebens herabgesetzt und untergraben würden.«52 In dieselbe Kerbe schlug der Oberste Parteirichter der NSDAP und Schwiegervater Martin Bormanns, Walter Buch, als er die Pflege der Ehe und Familie als eine der wichtigsten Aufgaben des nationalsozialistischen Staates beschrieb. Zeugung außerhalb der Ehe lehnte er auf das schärfste ab: »Nicht in einer Zuchtanstalt läßt sich deutsche Art, deutsches Wesen und Volkstum erhalten, sondern nur an den Stätten seines Wachstums, nur im Schöße seiner Familien.«53
50 Anonymus: Das uneheliche Kind in der neuen Gesetzgebung. In: Völkischer Beobachter. Münchener Ausgabe, Nr. 328 vom 24.11.1934.
51 Anonymus: »Klarheit!« In: Der Deutsche v. 11.8.1934.
52 Else Vorwerk: Gedanken über die Ehe im nationalsozialistischen Staat. In: N.S. Frauenbuch. Hrsg. v. d. N.S. Frauenschaft. Zusammengest. und bearb. v. E . Semmelrath und R. v. Stieda. München 1934, S. 143-148, hier S. 147 f.
53 Walter Buch: Gedanken um das Familienrecht. In: Deutsches Recht 4 (1934), S. 145-148, hier S. 147. Wenige Jahre später hatte er seine Meinung aber geändert. Vgl. Walter Buch: Des nationalsozialistischen Menschen Ehre und Ehrenschutz. In: Deutsche Justiz, Ausgabe A 100 (1938), S. 1660.[190]
(Lilienthal 2003), S.29 f.
Beachtenswert ist ferner, dass die Ablehnungen, über die Lilienthal berichtet, alle aus dem Jahr 1934 stammen. Auch könnte der Gesinnungswandel von Walter Buch im Jahr 1938 repräsentativ für die akademischen Nationalsozialisten sein. Lilienthal ist anderer Meinung:
Auch das Rassenpolitische Amt der NSDAP, das für die einheitliche Ausrichtung und Überwachung der bevölkerungs- und rassenpolitischen Schulung und Propaganda in der Partei verantwortlich war, verhielt sich in der Unehelichenfrage distanziert. Sein Leiter Prof. Dr. Walter Groß erklärte in einer persönlichen Stellungnahme, daß er von der bevorzugten Behandlung unehelicher Kinder keine Lösung der bevölkerungspolitischen Probleme erwarte und für ihn nur die Familie Gegenstand einer aussichtsreichen Bevölkerungspolitik sein könne.54 Selbst die von der SS dirigierte Zeitschrift Volk und Rasse55 schenkte Gegnern einer forcierten Unehelichenpolitik Beachtung. In Heft 3 von 1937 versuchte der Rassenhygieniker Fritz Lenz die erbbiologische Begründung für eine Ablehnung der Gleichstellung unehelicher und ehelicher Kinder zu liefern.56 Zustimmung erfuhr er in derselben Zeitschrift von einem Autor, der den erbbiologischen »Wert« mehrfach gebärender lediger Mütter bestritt und eben‑ │ S. 31 falls vor einer Beeinträchtigung der Familie durch Gleichsetzung der Unehelichen warnte.57
54 Walter Gross: Das Wesen nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik. In: Die Gesundheits-Führung. Ziel und Weg Jg. 1939/40, S. 40-51, hier S. 51. Die Bemerkung Gross‘ wurde von der »Lebensborn«-Führung mit Mißfallen registriert und deshalb sofort an den Reichsführer-SS gemeldet. Schreiben Ebners an den Pers. Stab RFSS v. 15.11.1939. ITS: L-Ordner26, Bl. 14.
55 Schriftleiter war Bruno K. Schultz, SS-Sturmbannführer und Abteilungsleiter im Rasse- und Siedlungsamt, später Rasse- und Siedlungshauptamt der SS. Als Herausgeber werden u. a. genannt der Reichsführer-SS und Reichsminister Darre.
56 Fritz Lenz: Zur Frage der unehelichen Kinder. In: Volk und Rasse 12 (1937), S. 91-95.
57 Wilhelm Lange: Der erbbiologische Wert der unehelichen Mütter mit drei und mehr unehelichen Kindern. In: Ebenda, S. 376-379, hier S. 379.
(Lilienthal 2003), S. 30 f.
Da es sich nur um eine persönliche Stellungnahme von Walter Groß, nicht das Rassenpolitischen Amtes der NSDAP handelt, ist sie nicht bedeutend. Das Amt wurde durchaus im Sinne Himmlers tätig, wie Roger Uhle in seiner sehr hilfreichen Dissertation über Walter Groß bereits 1999 mitgeteilt hat:
Auch eine Zeitungsnotiz bezüglich Gross’ öffentlicher Äußerungen zu unehelichen Kindern brachten Dr. Gregor Ebner, bekannt als langjähriger Hausarzt der Familie Himmler und Lebensborn-Geschäftsführer, zu folgender Klage: „Abschließend betonte Dr. Groß u.a., daß wohl der nationalsozialistische Staat auch dem unehelichen Kind sein Recht habe zuteil werden (lassen, R.U.), daß aber keineswegs das uneheliche Kind etwa als erfreuliche Tatsache einer Bevölkerungsvermehrung angesehen werden durfte. Das war nicht im Sinne Himmlers, der, wie übrigens auch Bormann – nicht zuletzt durch eigene Erfahrungen animiert – sogar über eine zu gründende Institution Vielehe für die │ S. 96 Zeit nach dem Kriege nachdachte, dadurch sollten die bevölkerungspolitischen Aderlässe des Krieges sogar überkompensiert werden. Dieser Zeit sollte auch die Abrechnung mit der Kirche Vorbehalten sein, derzuliebe man die bürgerliche Einrichtung Ehe hauptsächlich beibehielt. Wegen der desaströsen Kriegsentwicklung wurden sehr bald – unter Gross’ Mitwirkung – auch Fernehen, Leichentrauungen, sogar Totenscheidungen vorgenommen.
74 Ebner bezog sich auf einen Bericht in der Niedersächsischen Tageszeitung vom 22.3.1939
(Uhle, 1999), S. 95 f.
Zurück zu Lilienthals Berichterstattung über die Gegner einer rechtlichen Gleichstellung unehelicher mit ehelichen Kindern:
Die Mahnrufe verstummten keineswegs mit Kriegsbeginn. Lenz selbst wies 1940 noch einmal auf die »Minderwertigkeit« der Unehelichen hin.58 Im selben Jahr warnte das Neue Volk, eine Schrift des Rassenpolitischen Amtes, Soldaten vor dem leichtfertigen Umgang mit Mädchen.59 1942 wurde in der vierten Auflage des Deutschen Frauenbuchs60 der Artikel von Else Vorwerck zum wiederholten Mal abgedruckt.
58 Fritz Lenz: Über Fortpflanzung und Ehehäufigkeit in Berlin. In: Volk und Rasse 15 (1940), S. 125-128, hier S. 128.
59 Anonyma: Eine Mutter an ihren Jungen im Quartier. In: Neues Volk 8 (1940), S. 26. 60 Hrsg. v. Oskar Lukas. Karlsbad und Leipzig 1942, S. 181-186
60 Hrsg. v. Oskar Lukas. Karlsbad und Leipzig 1942, S. 181-186.
(Lilienthal 2003), S. 31
Und trotz dieser überschaubaren Gegnerschaft gegen die Unehelichenpolitik Himmlers meint auch Lilienthal, dass sich Himmler von ihnen kaum hat bremsen lassen.[191] Direkt im Anschluss an das soeben zitierte, fährt er fort:
Wenn es auch keinen organisierten Widerstand gegen die intendierte Unehelichenpolitik gab, so war die Abneigung gegen sie immerhin so groß, daß die angestrebte Reform des Unehelichenrechts bis Kriegsende Makulatur blieb. Durch diesen Umstand ließ sich Himmler aber nicht daran hindern, seine rassenideologisch motivierte Unehelichenförderung mit Hilfe des Lebensborn massiv zu betreiben.
(Lilienthal 2003), S. 31
Und da durch eine „Höherzüchtung der Menschheit“ durch die „Partei des Lebens“, von der Nietzsche und Alfred Rosberg am 3. Mai 1934 gesprochen hatten, nicht die angeblichen Bevölkerungsprobleme gelöst werden sollten, die durch Minderung der Geburtenanzahl pro Frau oder durch Krieg entstehen können, sondern das angebliche Problem eines Mangels an »arischen Persönlichkeiten« ist der Streit im akademischen Nationalsozialismus über die Unehelichenpolitik schlicht irrelevant. Irrelevant für die Beantwortung der Frage, ob in den »Lebensborn«-Heimen hochrangige SS-Führer wissentlich und willentlich Frauen und vielleicht Mädchen geschwängert haben, um einen „Adel der Zukunft“ herzustellen.
In der SS-Personalakte von Werner Best ist auch der von ihm ausgefüllte „Fragebogen zur Ergänzung bzw. Berichtigung der Führerkartei und der Dienstalterliste“ enthalten, der bis zum 20. August 1937 zurückzugeben war. Werner Best bejahte die Fragen „Mitglied des Vereins »Lebensborn«?“ und „Im Besitz des Julleuchters?“:
Abbildung 10: SS-Führerpersonalakte von Dr. jur. Werner Best (1903-1989); R 9361-III/516995 – Anfang der Akte
Da der »Julleuchter« Teil des »deutsch-christlichen Kultus der Weihnacht« der SS gewesen ist und zum christlichen Weihnachtsfest unverzichtbar die Geburt eines Kindes gehört, vermute ich, dass SS-Führer von Himmler erst dann einen Julleuchter geschenkt bekommen haben, wenn sie in einem Lebensborn-Heim ein Kind gezeugt haben, das auch geboren wurde.
Wäre die Frage „Im Besitz eines Julleuchters?“ an einer anderen Stelle des Fragebogens abgedruckt worden, wäre ich nicht zu dieser Vermutung gelangt.
Wenn ich nichts überlesen habe, hat (Lilienthal 2003) diese Informationen nicht berücksichtigt.
Nach 1945 hat der Germanist Walter Best anscheinend seine Leidenschaft fürs Züchtungspolitische professionalisiert. Jedenfalls gab er folgende Bände heraus:
Die Förderung der Familie als Aufgabe der Gesundheitspolitik: Kongressbericht 1962; 25. und 26. Oktober 1962; Frankfurt a.M.: Dt. Zentrale f. Volksgesundheitspflege e.V., 1963.
Probleme der Frauenteilzeitbeschäftigung in sozialpolitischer, arbeitsrechtlicher und sozialrechtlicher Sicht: Bericht der Arbeitskonferenz des Ausschusses für soziale und medizinische Frauenfragen am 19. u. 20. November 1962 in Frankfurt a.M.: Dt. Zentrale f. Volksgesundheitspflege e.V., 1963.
Die beiden Bände habe ich mir noch nicht angesehen. Vermutlich werde ich das auch nicht tun. Das, was ich hier wiedergegeben habe, dürfte genügen, um ansatzweise zu verstehen, was aus Alfred Rosenbergs Bezugnahme am 3. Mai 1934 auf Nietzsches „Partei des Lebens“ und Nietzsche „Höherzüchtung der Menschheit“ wurde. Zurück zur Berichterstattung im Völkischen Beobachter über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
4.3.3. Der VB vom 5. Mai 1934: „Das Recht im Dienst des nationalsozialistischen Lebens“
Am 4. Mai hatte der Völkische Beobachter über Rosenbergs Rede berichtet. Es war nichts über die Mitglieder des Ausschuss für Rechtsphilosophie mitgeteilt worden. Am Folgetag berichtete der VB über die Rede von Hans Frank zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Wieder wird nicht mitgeteilt, wer die Mitglieder des Ausschusses gewesen sind. Es werden nur einige Namen von Personen genannt, die anwesend waren. Damit gilt bezüglich der bis hierher betrachten Zeitungsberichterstattung, dass nur die Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 mitgeteilt hat, wer Ausschussmitglied gewesen ist. Ich zitiere nun den Artikel im VB vom 5. Mai 1934:
Das Recht im Dienst des nationalsozialistischen Lebens
Die Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht im Nietzsche-Archiv – Die Rede des Reichsjuristenführers Dr. Frank in Weimar
Eigener Drahtbericht
Weimar, 4. Mai
[1] Im würdigen Rahmen fand im Nietzsche-Archiv in Weimar in Anwesenheit der Schwester des großen deutschen Philosophen, Frau Dr. h.c. Förster-Nietzsche, die konstituierende Sitzung des Rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht statt.
[2] In Anwesenheit des Thüringischen Justizministers Dr. Weber[192], Pg. Gruppenführer Luetgebrune, Prof. Dr. Bruns = Berlin, Geheimrat Dr. Heymann = Berlin, Prof. Dr. Jung = Marburg, Prof. Dr. Dreyer[193] = Leipzig, Prof. Dr. Uexküll = Hamburg, Geheimrat Stammler = Berlin, Professor Günther = Göttingen, Dr. Mikorey = München, Prof. Heidecker[194] = Freiburg, Prof. Rothacker = Bonn, Prof. Naumann = Bonn, Dr. Häuber[195], Reichsgeschäftsführer des B.N.S.D.J., Dr. Lasch, Direktor der Akademie für Deutsches Recht, eröffnete der Reichsleiter der N.S.D.A.P., Reichsjustizkommissar Dr. Hans Frank, den Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht. In einer grundlegenden Ansprache führteReichsjustizkommissar Dr. Frank
folgendes aus:
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Die Aufzählung der Anwesenden ist in einem Fall besonders spannend: Wir wissen nun, dass auch Rasse-Günther als Gast zum Umkreis des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehörte. Die Zeitgenossen bezeichneten Professor Hans F. K. Günther (1891-1968) als „Rasse. Günther“, weil er der Rassenlehrer des akademischen Nationalsozialismus war und so Verwechslungen mit anderen Nationalsozialisten verhindert werden konnten. „Günther“ ist ein häufiger Nachname im Deutschen. In Teil II habe ich Gelegenheit zu zeigen, wann und wie Rasse-Günther in den Umkreis der Personen kam, die später Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie wurden.
Bemerkenswert ist ferner, dass auch der Völkische Beobachter von einer Anwesenheit Hans Naumanns berichtet. Das hatte auch die Frankfurter Zeitung getan. Der VB erwähnt aber nicht, dass Julius Binder anwesend gewesen ist. Im Abschnitt 4.8. gibt es eine Tabelle, in der ich die verschiedenen Namenslisten der verschiedenen Quellen abgebildet habe.
[1] Hochverehrte Herrin dieses Hauses! Meine Herren! Ich habe die Ehre, als Präsident der Akademie für Deutsches Recht sowie als Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht Ihnen im Namen der hier Anwesenden unseren herzlichsten Dank zum Ausdruck zu bringen für die Gastfreundschaft, die Sie unserem geistigen Beginnen heute hier gewähren. Seien Sie überzeugt, verehrte gnädige Frau, daß es uns den, jungen Kämpfern, für des deutschen Geistes Größe uns Stärke, eine symbolische Hervorhebung bedeutet, gerade hier an dieser Stätte der deutschen Öffentlichkeit den Beginn einer Arbeit aufzuzeigen, die berufen ist, die gesamte soziale Begriffsgebung des Nationalsozialismus vom rechtlichen Standpunkt aus zu erforschen und fundamental festzulegen. Die Anknüpfung an Nietzsche ist für uns eine Pflicht. Wie alle großen Ereignisse der Weltgeschichte ihre Sendboten in das Bewußtsein der Erlebnisträger vorausschicken, so sandte auch der werdende Nationalsozialismus im deutschen Volke lange vor seinem Durchbruch zur großen Beherrschung des deutschen Volkes seine Boten ins Land.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Die ersten drei Punkte der vorläufigen Tagesordnung, die sich auf einem Blatt der Akte Emges befindet, sind demnach eingehalten worden (siehe 3.2.2.):
1. Vorläufige Tagesordnung:
Eröffnungssitzung des rph. Ausschusses der Akad. f. Deutsches Recht im Nietzschearchiv zu Weimar, Luisenstr. Donnerstag den 3. Mai 1934 nachm. 4 Uhr
Vorläufige Tagesordnung.
1. Begrüßung ?? Elis. F. N.
2. Eröffnungsrede durch den Reichsjustizkommissar Minister Hans Frank
3. ??? des Reichsführers Alfred Rosenberg
4. Referat des stellvertretenden Vorsitzenden Prof. C. A. Emge ??? über das Thema „welche Aufgabe stellt die n.s. Bewegung der Rechtsphilosophie
5. Bildung der Arbeitsgemeinschaft in Anwesenheit des Reichsführers (?)
6. Reflexion (?) über die akadem. Bedeutung (?) der
Philos.(ersetzt durch: Rphi) im dritten Reich
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 35
Zurück zur Wiedergabe der Rede Hans Franks im VB vom 5. Mai 1934:
[2] Unerkannt und unbekannt mit der letzten Lösung all dieser Strömungen der geistigen Entwicklung des deutschen Volkes, wie sie der Nationalsozialismus in seiner grandiosen Vereinigung der beiden Strömungen Sozialismus und Nationalismus unter Adolf Hitler geben konnte, waren sie doch die Träger einer Erneuerung des deutschen Volkes.
[3] Und hierbei war neben Richard Wagner, neben all den großen Männern, die die Rasseerkenntnis des deutschen Volkes erforschten, neben all den Ergebnissen auf den verschiedenen Gebieten, die in den Wurzeln des eigenen Volles auch die Wurzeln aller geistigen Möglichkeiten sehen wollten, vor allem Nietzsche der Künder jenen stolzen Lebenssicherung, der Künder jenes autoritären herrischen Empfindens, die unser Volk durch die Eisenglut des Weltkrieges bewahrten und diesem Volk damit auch gleich eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt unter Adolf Hitler übertrug.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Hatte ich schon erwähnt, dass der Herrschaftsanspruch des akademischen Nationalsozialismus offensichtlich nicht auf Europa beschränkt war, sondern die ganze Welt umfasste? Im Weiteren kommentiere ich nur dann Äußerungen Hans Franks, wenn sie in der der bereits vorgestellten Berichterstattung nicht erwähnt wurden und mir besonders aufgefallen sind:
[4] Wir danken Ihnen, verehrte gnädige Frau, und ich als Vertreter der deutschen Juristen darf diesen Dank im Namen der zehntausend deutschen Juristen aussprechen, daß sie das Werk ihres großen Bruders dem Deutschtum und der arischen Menschheit erhalten haben und daß über alle Widerstände hinweg Sie die Fahne dieses einzigartigen Kämpfers hochgehalten haben. Wir danken Ihnen auch gerade dafür, daß Sie in ihrem eigenen Lebenswerk den Mut einer deutschen Frau so sinnvoll erfüllt haben, daß auch die deutschen Frauen mit Stolz auf sie blicken können.
[5] Wir in unserem engeren Kreise unseres Ausschuss für Rechtsphilosophie wollen die Sammlung der volksbetonten allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus als volksbetonter Autoritätslehre in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus, alle die Bausteine des nationalsozialistischen Werdens, nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln wollen.
[6] Dabei gehen wir aus von dem Nationalsozialismus sowohl als politischer Wirklichkeitserscheinung, wie vor allem auch als Weltanschauungsbasis der künftigen deutschen Volksentwicklung. Daher ist es für uns alle eine hohe Ehre, daß unser Parteigenosse Rosenberg, der vom Führer die große Aufgabe der Herausarbeitung der weltanschaulichen Fundamentierung des Nationalsozialismus erhalten hat, uns in diesem Ausschuss seine Anwesenheit schenkt. Die deutschen Juristen werden stets für diese Fundamentierung in ihrer eigenen geistigen und begrifflichen Entwicklung in bezug auf das Recht dankbar und treu sein.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
In Absatz 6 anerkannt Hans Frank ausdrücklich nicht nur Alfred Rosenbergs Status als Beauftragter für Weltanschauungsfragen. Er freut sich ausdrücklich darüber, dass Alfred Rosenberg in dieser Eigenschaft dem Ausschuss seine Anwesenheit schenkt.
Zu Beginn des nächsten Absatzes dankt Hans Frank Professor Emge für die Vorbereitung der Eröffnungssitzung. Anhand der Akte Emges, die ich in Abschnitt 3 auszugsweise vorgestellt habe, kennen wir bereits einen Teil dieser Arbeiten Emges für den Ausschuss:
[7] Ihnen, Prof. Emge, gebührt mein besonderer Dank für die Vorbereitung der heutigen Sitzung. Anschließend möchte ich Ihnen, meine Herren, kurz einiges zu den fachlichen Aufgaben sagen, die sich dieser Ausschuss gestellt hat. In der weiteren Geschichte der Philosophie spielt die Scholastik die Rolle einer abgeleiteten philosophischen Entwicklung. Das scholastische System mußte schon zuerst daran scheitern, daß ein freier Geist wagte, die Philosophie als Eigenes darzustellen. Die ganzen Begriffe der Scholastiken waren ja nichts anderes als Hilfsbegriffe der Dogmatik.
In diesem Sinne lehnt der Nationalsozialist die Scholastik ab.
[8] Die Aufgabe dieses Ausschusses ist nicht etwa, die Grundsätze des Nationalsozialismus als unbesiegbare Dogmen unserer philosophischen Entwicklung auf dem Wege des Rechts derart | S. 2 umzusetzen, daß wir uns irgendwelchen Dogmen sklavisch unterwerfen müßten.
Der Nationalsozialismus kündet dem deutschen Menschen die geistige Freiheit
deshalb, weil er mit dem Mittelalter Schluß macht auf allen Gebieten und vor allem auf dem Gebiete dieser philosophischen Entwicklung.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
In dieser ausführlichen Darstellung der Rede von Hans Frank wird etwas verständlicher, was Hans Frank meinte. Klar ist, dass die nationalsozialistische Philosophie keine Hilfswissenschaft der mittelalterlichen Theologie oder der katholischen Kirche sein soll. Sie soll nicht wieder Scholastik sein. Da Hans Frank für das »Deutsche Führerlexikon 1934/35« angab, dass er von der altkatholischen Konfession zur »arischen Konfession« gewechselt sei (vgl. Unterabschnitt 6.2.15), ist seine Positionierung nicht so überraschen.
[9] Der Durchbruch der Rechtsphilosophie heißt nichts anderes, als freiwillig und gern Abschied nehmen von den vergänglichen Entwicklungen einer Knechtsphilosophie im Dienste undeutscher Dogmen. Man mag uns darüber und deshalb verfemen, man mag uns auch da und dort in undeutschen Kreisen sagen: ihr seid unkirchlich und antigläubig.
[10] Es ist an dem, daß der Nationalsozialismus seine geistige Berufung in der deutschen Geistesgeschichte dauerhaft bewahrt, daß er jetzt den großen Gedanken unserer deutschen Denker Wirklichkeitsrechte auf deutschem Boden verschafft und sie herausholt aus der Verstaubung in Bücherregalen, um sie in den weltanschaulichen Besitz der deutschen Volksgenossen überhaupt hineinzutragen.
[11] Diese deutschen Denker sollen nicht umsonst gedacht, gewirkt und den deutschen Geist freigehalten haben. Kant, Schopenhauer und Nietzsche, sie sollen uns beschäftigen, daß wir aus der freien geistigen Entwicklung des deutschen Menschen soviel Reservoir an Schöpferkraft haben, daß wirAnleihen aus fremden geistigen Bereichen nicht nötig
haben. Das deutsche Volk so wie das deutsche Geistesleben werden daher im nationalsozialistischen Rechtsdenken sich methodisch freimachen von der Überkommenheit leerer mechanischer Begriffe.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Dass Nietzsches Name genannt wird, ist nicht überraschend. Der Nestor des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Erich Jung, war u.a. ein Anhänger Schopenhauers. Das skizziere ich in Teil II. Erich Jung war aber ein ausgesprochener Feind Kants. Auch das zeige ich in Teil II. Ich werde ferner in Teil II zeigen, wie durch geschickte Verzerrungen der Philosophie Kants durch Mitglieder des Alldeutschen Verbands eine Kant-Verständnis hergestellt wurde, dass in den Folgegenerationen dazu führte, dass man meinen konnte, man sei Neu-»Kantianer« und akademischer Nationalsozialist. Ähnliches ist mit Zeitverzögerung auch für Hegel versucht worden. Deswegen ist es bemerkenswert, dass Hans Frank in seiner Rede zur Konstituierung des Ausschuss für Rechtsphilosophie Hegel nicht erwähnt.
Die Kontraste, die Hans Frank im nächsten Absatz zu machen versucht, zeigen seinen Anti-Kantianismus deutlich, wenn man Kants Texte selbst gelesen hat – und nicht nur ein Buch eines Alldeutschen über Kant. – Bemerkenswert ist ferner die Verwendung des Worts „Firmung“. Es bezeichnet ein Sakrament der katholischen Kirche. Niklas Franks Abrechnung mit seinem Vater Hans Frank zeigt nebenbei an vielen Stellen, dass Hans Frank bis zu seinem Tod Zeichen einer starken katholischen Erziehung aufwies.
Erich Jung und Carl Schmitt vertraten einen Anti-Positivismus. Gegen einen »Positivismus«, der sich unmittelbar auf das eigene Gefühl deutscher Lebendigkeit gründete, hatten beide nichts. Aus diesen Gefühlen konnten dann ewige Sätze über „unsere völkische Notwendigkeit“ mittelbar gefunden werden. Dass die Herren sich als Elite der »Partei des Lebens« fühlten, deren Berufung es war, die Höherzüchtung der Menschheit zu treiben, habe ich ja schon gezeigt. Dass aus diesem unmittelbar Wurzelhaften ein materielles Lebensrecht grundsätzlich entwickelt werden kann, lag in ihrer Hand als Rechtsgeber. Die zweite Satzung des »Lebensborn«-Vereins von 1938 ist ein Beispiel dessen:
[12] Den Typ, den wir aufstellen, heißt Lebensrecht, und nicht Formalrecht soll das Ziel sein. Der Positivismus unserer Rechtslehre soll die Firmung des Lebens bedeuten und nicht Befriedigung suchen in einem Positivismus, der sich wiederum aufbaut auf mittelbar gefundenen Sätzen.
[13] Wir wünschen das Dauerrecht und nicht ein Augenblicksrecht. Wir bauen auf auf den ewigen Sätzen unserer völkischen Notwendigkeiten und nicht auf den Beschlüssen einer gegenwärtigen äußeren Macht-, Wirtschafts- oder Staatslage.
[14] Die Seele unseres Rechtslebens soll wieder zurückgeführt werden auf die Gemüts- und Geistesbasis der allgemeinen deutschen Volksüberzeugung und soll sich frei machen von all den Einsplitterungen und Anhängseln übernommener fremder Rechtsordnungen.
[15] Es soll das der Fundamentalsatz unseres Zieles seinein unabhängiges Rechts des Nationalsozialismus
zu schaffen, d.h. die Rechtsentwicklung des nationalsozialistischen Staates von der geistigen Erkenntnis der Notwendigkeiten des deutschen Volkes ausgehen zu lassen und nicht ein freies Recht im Sinne des Liberalismus zu dulden. Unser Recht soll der Allgemeinheit dienen und nicht dem Individuum, es soll aber sein ein Herrenrecht und nicht Sklavenrecht.
[16] Es soll Voraussetzung der ethischen Werte haben den höchsten Wert: Charakter des Volksgenossen und als Maßstab wählen nicht den Schutz des Minderen im Volkes.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Hier hätte den Lesern des Völkischen Beobachters ein Licht aufgehen können, dass der Rassismus der akademischen Nationalsozialisten kein »Volksrassismus«, sondern ein »Adelsrassismus« war. Fachlich haben die Adelsrassisten Baron von Uexküll und Hans Naumann durchaus in den Ausschuss für Rechtsphilosophie gepasst.
In den nächsten beiden Absätzen wird Hans Frank noch deutlicher. Keine Frage: Im Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR saß mit Hans Frank mindestens eine Person, die 1934 bereits die rechtsphilosophische Position vertrat, die man für Krankenmorde benötigte (vgl. die sog. »T4-Aktion«[196]):
[17] Stärker der Starke, freier der Freie, das sind die Zieles unseres Rechts
und unserer Rechtsentwicklung und nicht Schutz des Schwachen auf Kosten des Starken, heraus aus einer leeren Humanitätsduselei verklingender müder Epochen![197] Und letztens soll der Schutz der Substanz in allen Dingen im Recht gewährleistet sein. Der Schutz des ewigen Gehalts der Ereignisse des Lebens, des Staates und des Volkes und nicht etwa der Schutz von vergänglichen Aeußerlichkeiten. Eine Sicherung der Staatsform im Rechtssinne wäre nach nationalsozialistischer Rechts- und Staatsauffassung ein Widerspruch in sich selbst.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Der letzte Satz ist erläuterungsbedürftig: Rechtsicherung kann nur innerhalb eines Staates bewirkt werden. Die Staatsform legt fest, wie das innerhalb des Staates geschehen soll. Wird die Staatsform angegriffen, existiert zwischen dem Feind dieser Staatsform und dem Freund dieser Staatsform kein Rechtsverhältnis, das für eine Rechtssicherung der Form sorgen könnte. Es gibt dann einen Kampf auf Leben und Tod. Der Sieger ist der Herr über die neue oder die alte Staatsform. – Das wäre die korrekte Erläuterung, wenn Carl Schmitt oder/und Erich Jung Verfasser des letzten Satzes gewesen wären. Ich glaube nicht, dass Hans Frank seine inhaltsreicheren Reden selbst verfasst hat.
Im nächsten Absatz wird deutlicher, weshalb Hans Frank – oder sein Ghostwriter – meinten, dass ein Bruch mit dem Katholizismus und der Scholastik nötig sei: Im Mittelalter sei in Deutschland – durch die (nicht-deutsche) Christianisierung – der Schutz der Schwachen zur deutschen Kultur geworden. Diese Kultur sei aber »entartet«. Trotzdem möchte Hans Frank auch die „großen deutschen Kämpfer“, die für diese Kulturentartung fraglos mitverantwortlich waren, ehren. Das kann prima facie nur dann gelingen, wenn man das hermeneutische Prinzip annimmt, dass jede Zeit aus sich selbst heraus beurteilt werden müsse.
[18] Wenn wir aufgrund dieser Thesen uns feierlich abkehren von allen Schädigungen, die das Mittelalter als weiten Begriff einer Kulturentartung auf allen Gebieten mit sich brachte, so soll das nicht bedeuten, daß wir nicht den größten Stolz hätten auf die großen deutschen Kämpfer aller Epochen, vor allem der großen deutschen Kunst- und Kulturepoche. Die Schlußfolgerungen aus unserem kulturellen Erlebnis ziehen wir in der Anerkenntnis des großen deutschen Gedankens in der Welt überhaupt.
[19] Der Staatsbegriff des Nationalsozialismus wird von uns neu gebaut auf der Einheit und Reinheit des deutschen Menschtums, formuliert und verwirklicht im Recht und im Führerprinzip.
[20] Recht soll uns als ewiges, aus den Notwendigkeiten des deutschen Volkes hervorgehendes Sicherungsbedürfnis der Nation gehen vor dem formalen Gesetz. Das Fundament unserer Gesetzesschöpfung sollen die naturgesetzlichen Notwendigkeiten des Deutschtums sein.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Wer in einem Absatz die »Ariosophie« des akademischen Nationalsozialismus in einem Originalwortlaut kennenlernen möchte, wird im nächsten Absatz fündig. Hans Franks Bekenntnis zum Liberalismus der Gemütswallungen ist nach meinem Zitieren von Walter Buchs „Sexualehre“ inhaltlich nicht überraschend. Wer die Abrechnung von Niklas Frank gelesen hat, wird auch nicht überrascht sein:
[21] Wir bejahen dabei und setzen voraus die Willensfreiheit des Menschen. Wir wollen in die letzten Gedanken des einzelnen und in die Verantwortungssphäre der Gemütswallungen des einzelnen nicht zerstörend eindringen. Der starke, herrische, autoritäre Führerstaat ist ein Mittel zum Zweck der Sicherung des deutschen Volkes in dem großen geistigen Ringen, das uns bevorsteht. Die Vernichtungskräfte der Menschheit werden an diesem Herrenwillen unserer Überzeugung zuschanden werden. Und der arische Mensch wird sich über die Niederungen dieser Dekadenzen aus allen Bereichen der westlichen Demokratie oder des östlichen Bolschewismus, des asiatischen Judentums oder des liberalistischen Imperialismus erheben als der entscheidende Kulturfaktor unserer Rasse überhaupt.
[22] Wir bejahen ferner die Verantwortlichkeit des einzelnen für sein Geschick und seine Entwicklung. Wir wollen den deutschen Menschen wieder stark machen, damit wir wieder ein Volk von Kämpfern und Soldaten und wehrbereiten geistigen Ringern um diese Freiheit erhalten. Wir machen deswegen Schluß mit diesem Begriff eines Gelehrtentyps, dessen Wert darin lag, daß er weltfremd war.
[23] Als weiteres Begriffsfundament wollen wir den Begriff des Gemeinnützigen im Recht aufstellen.Gemeinnutz geht vor Eigennutz, das muß der Fundamentalsatz unserer Betrachtungen sein.
[24] Unser Ziel ist das deutsche Recht und die Vereinigung von deutscher Rechtsseele und deutscher Volksseele. Möge von dem Wirken dieses Ausschusses ausstrahlen eine neue deutsche Rechtsgeschichte.
*
[25] Nach der Rede des Reichsjuristenführers Dr. Frank sprach Reisleiter Alfred Rosenberg, dessen Rede wir in der letzten Ausgabe veröffentlichten.
[26] Im Anschluß an diese beiden Referate trat der Ausschuss zu einer Arbeitstagung zusammen, an der auch der thüringische Justizminister Dr. Weber und der Gruppenführer der SA Pg. Dr. Luetgebrune außer sämtlichen Ausschußmitgliedern teilnahmen.●
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Da im Bericht des Völkischen Beobachters zuvor keine Information darüber gegeben worden ist, welche der anwesenden Personen Ausschussmitglied war, kann aus dem letzten Satz nicht erschlossen werden, wer Mitglied und wer nur Gast war. Dass neben Otto Weber auch Walter Luetgebrune namentlich gesondert erwähnt wird, spricht dafür, dass der Verfasser des Berichts für den Völkischen Beobachter nicht annahm, dass Luetgebrune Mitglied des Ausschusses gewesen ist. Das muss kein Irrtum dieses Berichterstatters gewesen sein. Wie bereits ausgeführt, ist es möglich, dass Luetgebrune erst am 3. oder 4. Mai in den Ausschuss nachberufen worden ist. Erwähnenswert ist ferner, dass der Völkische Beobachter Luetgebrune der SA zuordnet. Auch das kann, muss aber nicht richtig gewesen sein. Er war auf jedenfalls Gruppenführer und arbeitete 1934 im Umkreis von Ernst Röhm.
4.4. „Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland“ vom 3. und 4. Mai 1934
Die Berichterstattung der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie ist die qualitativ spannendste. Hier und nur hier wird wiedergegeben, dass Hans Frank von einem „Richterkönig“ und von einem „ewigen deutschen Gott“ sprach. Und erst hier, aber nicht nur hier, wird auch über Emges Rede zur Eröffnung des Ausschusses für Rechtsphilosophie berichtet. Die Berichterstattung über Alfred Rosenbergs Rede ist etwas informativer als in der Frankfurter Zeitung und im Berliner Tageblatt. Sie ist aber nicht ausführlicher als die Wiedergabe im Völkischen Beobachter. Deswegen ist es nicht nötig, dass ich auf diese Berichterstattung über Rosenbergs Rede eingehe.
4.4.1. Die Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland vom 3. Mai 1934
Dieser Zeitungsbericht erschien einen Tag vor den anderen Zeitungsberichten. Es handelt sich um eine Darstellung aufgrund einer Pressemitteilung des Thüringischen Staatsministeriums, die vor der Konstituierung verteilt worden ist. Bei der Landtagswahl vom 31. Juli 1932 war die NSDAP in Thüringen mit 42,5 % die stärkste Fraktion geworden. Der Vorsitzende Staatsminister war Fritz Sauckel (1894-1946).
Akademie für Deutsches Recht im Nietzsche-Archiv
Grundlegende Ausführungen des Reichsjustizkommissars Dr. Hans Frank und des Reichsleiters A. Rosenberg über die Rechtsphilosophie.
Die Pressestelle des Thür. Staatsministeriums teilt mit: Am 3. Mai findet die erste Sitzung des Ausschusses „Rechtsphilosophie“ der Akademie für Deutsches Recht im Nietzsche=Archiv in Weimar statt. Der Ausschuss steht unter dem Vorsitz des Präsidenten der Akademie für Deutsches Recht, Reichsjustizkommissar Staatsminister Dr. Hans Frank, der im Rahmen der Ausschusssitzung einen grundlegenden Vortrag über Rechtsphilosophie halten wird. Reichsleiter Pg. Alfred Rosenberg, Mitglied der Akademie für Deutsches Recht, wird ebenfalls zu längeren Ausführungen das Wort ergreifen. Ferner der wissenschaftliche Leiter des Nietzsche=Archivs, Universitätsprofessor Dr. Emge.●
(Thüringische Landeszeitung vom 3. Mai; 1934)
Abbildung 11: Thüringische Landeszeitung vom 3. Mai 1934
Beachtenswert ist, dass ausdrücklich behauptet wird, am 3. Mai 1934 habe die erste Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie stattgefunden. Dass auch Emge einen Vortrag halten würde, ist öffentlich bekannt gegeben worden. Alfred Rosenberg wird auch als Mitglied der AfDR vorgestellt.
4.4.2. Die Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland vom 4. Mai 1934: Franks Richterkönig, Franks ewiger deutscher Gott und Emges neun Unterausschüsse
Die Ausgabe vom 4. Mai 1934 berichtet auf der Titelseite und auf der zweiten Seite ausführlich über die Vorträge von Alfred Rosenberg und Hans Frank. Die Überschrift lautet: „Voraussetzungen der deutschen Rechtsphilosophie. Alfred Rosenberg und Dr. Frank in Weimar“. Auf Seite 3 wird dann über die Eröffnungsfeier, die Mitglieder des Ausschusses und über die dritte Rede Professor Emges berichtet. Die Überschrift dieses Teils des Berichts lautet „Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für deutsches Recht gegründet. Tagung im Nietzsche-Archiv in Weimar“.
Ich zitiere die Wiedergabe der Rede Hans Franks vollständig, damit Leser Unterschiede zur Berichterstattung im Völkischen Beobachter, die ich vielleicht übersehen habe, identifizieren können.
Die Rede des Reichsjustizkommissars Dr. Frank
[1] Reichskommissar Dr. Frank dankte zunächst für die Gastfreundlichkeit und knüpfte in seiner Rede an Nietzsche an, den Künder jenes autoritären Empfindens, das unserem Volk durch den Weltkrieg bewahrt blieb, und damit ihm auch gleich eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker [im VB: der Welt; mw] unter Adolf Hitler übertrug. Wir, in unserem engeren Kreise, wollen die Sammlung der volksbetonten allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln wollen. Dabei gehen wir aus von dem Nationalsozialismus sowohl als politischer Wirklichkeitserscheinung wie vor allem aber auch als Weltanschauungsbasis der künftigen deutschen Volksentwicklung.
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), Titelseite
Der letzte Satz dieses Druckabsatzes stand nicht im Bericht der Frankfurter Zeitung über diese Rede von Hans Frank. Er stand aber auch im Völkischen Beobachter.
[2] Nach Dankesworten an Reichsleiter Alfred Rosenberg und Professor Emge fuhr Minister Frank fort: Die Begriffe der scholastischen Welt waren nichts als Hilfsbegriffe der Dogmatik. In diesem Sinne lehnen wir eine nationalsozialistische Scholastik ab.
[3] Wir wollen uns nicht irgendwelchen Dogmen sklavisch unterwerfen.
[4] Der Durchbruch der Rechtsphilosophie heißt daher: freiwillig Abschied nehmen von den vergänglichen Entwicklungen einer Knechtsphilosophie im Dienste undeutscher Dogmen. Wir Nationalsozialisten werden endlich einmal dem großen Gedanken unserer großen Denker Wirklichkeitsrecht auf deutschem Boden verschaffen. Sie sollen nicht umsonst gedacht, gewirkt und den deutschen Geist freigehalten haben. Das deutsche geistige Leben wird im nationalsozialistischen Rechtsdenken vor allem methodisch sich frei machen von der Ueberkommenheit leerer, mechanischer, mystischer [nur hier; mw] Begriffe. Lebensrecht und nicht Formalrecht soll unser Ziel sein. Unsere Rechtslehre soll nicht Befriedigung suchen in einem Positivismus, der aufbaut auf mittelbar gefundenen Sätzen. Wir wünschen das Dauerrecht und nicht das Augenblicksrecht. Wir bauen auf auf den ewigen Sätzen unserer völkischen Notwendigkeiten und nicht auf den Beschlüssen einer gegenwärtigen äußeren Macht-, Wirtschafts- oder Staatslage. Des weiteren soll unsere Rechtsphilosophie m. E. Volksprimat sein, im Recht ausgedrückt als allgemeines Recht, aufgebaut auf Anschauungen des Volkes und nicht Recht eines vom Volke abgesplitterten Sonderstandes.
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), Titelseite
Der durch Fettdruck hervorgehobene Satz ist im Völkischen Beobachter nicht abgedruckt worden. Das Schlagwort vom „Volksprimat“ findet sich aber auch in der Berichterstattung der Frankfurter Zeitung und des Berliner Tageblatts. Ich zitiere weiter die Allgemeine Thüringische Landeszeitung Landeszeitung:
Ein weiteres Fundamentalziel soll sein: Deutsches Recht und nicht Fremdrecht. Die Seele unseres Rechtslebens soll endlich wieder zurückgeführt werden auf die Rechts- und Geistesbasis der deutschen Volksüberzeugung und soll sich frei machen von erzwungen übernommenen Rechtsordnungen. Es soll weiter ein Fundamentalsatz unser Ziel sein: Unabhängiges Recht des Nationalsozialismus, das ausgeht von der geistigen Erkenntnis der Notwendigkeiten des deutschen Volkes und soll nicht sein ein Freirecht im Sinne des Liberalismus, es soll dienen der Allgemeinheit und nicht dem Individuum, es soll Herrenrecht und nicht Sklavenrecht sein. Stärker der Starke, Freier der Freie und nicht Schutz des Schwachen auf Kosten des Starken. [Im VB stand an dieser Stelle etwas über eine leeren Humanitätsduselei; mw]. Es soll letztens der Schutz der Substanz in allen Dingen sein, der Schutz des ewigen Gehaltes der Ereignisse des Lebens, des Staates, des Volkes und nicht irgendwie der Schutz von vergänglichen Aeußerlichkeiten. Die Schlußfolgerungen aus unserem kulturellen Erlebnis sehen wir in der endlichen Anerkennung der großen deutschen Gedanken in der Welt überhaupt. Der Staatsbegriff des Nationalsozialismus wird von uns neugebaut auf der Einheit und Reinheit des deutschen Menschentums, formuliert und verwirklicht im Reichs- [im VB: Rechtsprinzip; mw] und Führerprinzip. So wie Nationalismus und Sozialismus sich im Nationalsozialismus zusammengefunden haben, so wird sich der naturgesetzliche Rechtspositivismus [neue Formulierung; mw] des Nationalsozialis- | S. 2 mus wesentlich unterscheiden von den beiden Kampfgebieten der rechtsphilosophischen Entwicklung, die sich bisher gegenüber gestanden haben. Wir bejahen dabei und setzen voraus die Willensfreiheit des Menschen. Aber der starke, herrische, autoritäre Führerstaat ist nur ein Mittel zum Zweck der Sicherung des deutschen Volkes in dem Ringen, das uns bevorsteht. Wir bejahen weiter die Verantwortlichkeit des einzelnen für sein Geschick und seine Entwicklung, damit wir wieder ein Volk von Kämpfern und Soldaten und wehrbereiten geistigen Ringern um diese Freiheit werden. Wir machen deswegen Schluß mit diesem Begriff eines Gelehrtentyps, dessen Wert darin lag, daß er weltfremd war. Als weiteres Begriffsfundament wollen wir den Begriff des Gemeinnützigen im Recht aufstellen.
[5] Wir werden gerade dies grundsätzlich schon in den ersten Sitzungen unseres Ausschusses in den Vordergrund zu rücken haben, denn man versucht auf Seiten der Gegner unserer Revolution gegenüber eine Methode der Bagatellisierung, um die fundamentale Wandlung, die der Nationalsozialismus durch seine Revolution hervorgerufen hat, beiseiteschieben zu können. In diesem Sinne bitte ich, dass der Ausschuss als ein Kampfausschuss des Nationalsozialismus sich konstituiert, der betont, daß die nationalsozialistische Revolution schon um deswillen nicht bagatellisiert werden kann, weil der Nationalsozialismus in Adolf Hitler einen Mann und einen Schöpfer besitzt, der auch in dem geistigen Bereich des deutschen Lebens und der deutschen Lebensentwicklung die letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschentums überhaupt bedeutet, noch einmal mit dem Schicksal fertig zu werden. Unsere Ueberzeugung darf nicht gebunden sein an unser Leben, darf nicht gebunden sein an dieses kurze Schicksal, das dem einzelnen bestimmt ist. Wir sind hier eine Gemeinschaft, die beschlossen hat, die soziale Grundlage des Nationalsozialismus für das deutsche Rechtsleben frei aufzubauen und sie dem Führer zu übergeben als fundamentale Substanz unseres Widerstandes gegen die Niedermächte.[198]
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 1 f.
Das Fettgedruckte ist im Vergleich zur bereits vorgestellten Zeitungsberichterstattung neu. Die heilsgeschichtliche Überhöhung Adolf Hitlers als „letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschentums überhaupt“ ist durchaus zitierwürdig. Ich weiß nicht, weshalb die anderen Berichterstatter diesen Satz nicht wiedergegeben haben. Hans Franks Wortwahl „Niedermächte“ ist ungewöhnlich. Sie mag helfen, Texte oder Personen zu identifizieren, die Hans Frank stark beeinflusst haben. In Verbindung mit der heilsgeschichtlichen Überhöhung Hitlers zum Heiland des »deutschen arischen Menschtums« bezeichnet das Wort „Niedermächte“ vermutlich »den Teufel mit seinen Helfern«.
Der nächste Absatz ist komplett neu. Ich hebe ihn deswegen nicht durch Fettdruck hervor. Er ist brisant, da er 1. ein Glaubensbekenntnis Hans Franks zu einem ewigen deutschen Gott dokumentiert, 2. Bezug nimmt auf ein „wir“, das die Bewegung hin zum Deutschglauben „von ihren ersten Anfängen an miterlebt“ hat und 3. als Ziel dieser Bewegung den „Richterkönig“ nennt:
[6] Ein weiteres Fundament ist die Disziplin des deutschen Volkes in dem großen Sinne des soldatischen Erlebnisses unserer Nation. Wir werden mit dem Liberalismus, dem Marxismus und den anderen Niedermächten nicht fertig werden, wenn es geduldet werden könnte, daß irgendwo in dem weiten Volksbereich immer wieder die Zersetzungskeime sich ansetzen. Hier wird der beste Begriff der Verteidigung der Sturmangriff auf die Bastionen unserer geistigen Gegner sein. Und sie sollen es spüren, daß wir siegen werden im Kampfe um die geistige Erneuerung des deutschen Volkes. Als weiteres Fundament der Weltanschauung werden wir den großen deutschen Glauben haben. Wir sind frei vom Konfessionalismus irgendwelcher Art und wir halten doch treu zu dem ewigen Gott, der das Schicksal der Völker in seinen Händen trägt. Wenn man so Großes plant, wie unsere schöpferische Zeit, dann müssen wir auch die Demut vor diesem ewigen Gott in uns tragen, und wir, die wir diese Bewegung von ihren ersten Anfängen an miterlebt haben,
Tatsächlich hat Hans Frank die Anfänge der NS-DAP in München 1918 und 1919 miterlebt. Dass dies auch auf andere Anwesende zutrifft, werde ich in Teil II zeigen.
wir sind in diesem Glauben an den ewigen deutschen Gott immer wieder bestärkt worden,
Ich habe den Zeitungsbericht mehrfach überprüft. Da steht tatsächlich „den ewigen deutschen Gott“. Hans Franks Bezugnahme auf einen „ewigen deutschen Gott“ ist es Wert in einem Exkurs erläutert zu werden (4.9.).
sonst hätten wir diesen Kampf nicht bestanden. Wir werden auch daran zu denken haben, daß unsere Arbeit nicht nur dienen soll der Gesetzgebung, sondern daß sie vor allem schaffen soll den neuen Typ des deutschen Juristen. Wenn es schon Priester gibt, dann soll es auch Priester der deutschen Weltanschauung geben. Unser Ziel: der Richterkönig der deutschen Kämpfer am Recht, das deutsche Recht und die Vereinigung von deutscher Rechtsseele und deutscher Volksseele.●
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 2
Das ist nicht das erste Mal, dass Hans Frank, »den Richterkönig« verehrt. Ich zitiere erneut aus der Rede von Hans Frank auf dem Leipziger Juristentag vom Herbst 1933, die er in Anwesenheit des Führers Adolf Hitler gehalten hatte:
Da betritt der Führer des Juristenbundes die Rednertribüne: „[…] Wir haben in diesen Tagen die Grundfragen des Deutschen Lebens unter dem Gesichtspunkt des Rechts erörtert und sind zu dem machtvollen Ergebnis gekommen, daß unsere Macht nicht nur aufgebaut ist auf äußeren Faktoren, wie sie anderen Systemen zur Verfügung standen, sondern daß die Macht des Nationalsozialismus über Deutschland auf jenen naturgesetzlichen Machtfaktoren aufgerichtet ist, die niemand antasten darf. – Wir sind ein Volk des Rechts, und unsere Macht ist eine Rechtsmacht. […] – Wie man früher Recht aufgebaut hat auf vergängliche Worte, etwa auf die Skala des Profits, je nach den unterschiedlichen Zeitläufen, so wird künftig überhaupt kein anderer Wert im Recht mehr maßgebend sein als jener, der auf den ewigen Gesetzen des nationalen Werdens und Vergehens beruht. Wir haben in den Mittelpunkt unserer Betrachtung in diesen Tagen den Begriff der Rasse gestellt. Es war mir eine hohe Genugtuung, daß dieser Gedanke bereits in so vollgültiger Form in das Recht eingebürgert werden konnte, daß er für alle Zeiten der wesentliche Grundbegriff der allgemeinen Rechtslehre in Deutschland bleiben wird. Neben den Begriff der Rasse haben wir in den Mittelpunkt den Schutz der Ehre gestellt. Es handelt sich um Ehre in dem Sinn, daß jeder bei sich verantwortlich ist für die Ehre der Gesamtheit der Nation. Die Ehre der Nation kann in einem einzelnen gewahrt und in einem einzelnen verloren werden.
Der Richter soll der große Richterkönig, der Herrscher über das Leben der Nation sein, soweit dieses Leben sich in der Helle des Tages offenbart.
[…]
Es ist ein Mißbrauch der Gläubigkeit des Volkes an das Recht, wenn Sie ihm den Glauben beibringen wollen, daß das, was schon ein Richter nicht entscheiden kann, von dreien in Mehrheitsabstimmung entschieden werden könnte. Wir wünschen diesen Richterkönig, der entscheidet, nach den Gesetzen der Nation, den Richterkönig allerdings, der dann gerade deshalb die Achtung beanspruchen kann, weil er, unabhängig und frei, nur dem Gewissen der Nation unterworfen ist, das sich in ihm zu verkörpern hat.
(Bayerle 1933), S. 198
Damit endete die Wiedergabe der Rede Hans Franks in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung auf Seite 2. Die Wiedergabe ist kürzer als die Wiedergabe im Völkischen Beobachter. Trotzdem ist das Ende der Rede Hans Franks, so wie es der Thüringischen Zeitung wiedergegeben wird, nicht Teil der Wiedergabe im Völkischen Beobachter.
Ich folge zunächst der Berichterstattung in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Mai 1934, die auf Seite 3 fortgesetzt wurde. Dass in einer Zeitung des Landes Thüringens über Emge berichtet wird, hat vielleicht seinen Grund darin, dass Emge als Professor in Jena und als Leiter des Nietzsche-Archivs in Weimar doppelt lokalpatriotisch relevant war.
Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für deutsches Recht gegründet
Tagung im Nietzsche-Archiv in Weimar
[1] Der Nationalsozialismus ist eine politische Bewegung. Er wirkt sich daher entscheidend in rechtlichen Dingen aus. Er ist ferner eine begründete Bewegung; daher ist es seinem Sinne entsprechend, daß er weltanschauliche Vertiefung gerade auf dem Gebiete in Anspruch nimmt, auf dem seine charakteristischsten und spürbarsten Auswirkungen liegen, eben dem des Rechts. Es war daher der geniale Gedanke vom Reichsjustizkommissar Dr. Frank,
im Rahmen der Akademie für Deutsches Recht einen Ausschuss zu schaffen, dem er durch die eigene Uebernahme des Vorsitzes ein ganz besonderes Gewicht verschafft.
Für die Geschichte der Rechtswissenschaft ein Ereignis, daß nunmehr seit über 100 Jahren juristischen Positivismus sich in der Rechtsphilosophie die Rechtswissenschaft auf sich selbst besinnt und in Anknüpfung an die großen Ziele deutschen Geisteslebens gleichzeitig mit der schöpferischen Tat verantwortliche Besinnung auf die weltanschaulichen Grundlagen erfolgt. Es ist selbstverständlich, daß ein solcher Ausschuß in engster Fühlungnahme mit allen Instanzen stehen muß, die sich mit der Grundlegung der nationalsozialistischen Gesittung befassen.
Die Zusammensetzung des Ausschusses ist:
Vorsitzender: Reichsjustizkommissar Dr. Frank, als sein geschäftsführender Vertreter: Professor Dr. Emge, der wissenschaftliche Leiter des Nietzsche-Archivs und einziger Ordinarius für Rechtsphilosophie in Deutschland, Mitglied der Akademie; Mitglieder: Geheimrat Kisch=München, stellvertr. Präsident der Akademie, Reichsleiter Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai, Staatsrat Schmidt, sämtlich Mitglieder der Akademie, Prof. Dr. Heidegger, Rektor von Freiburg, Professor Erich Rothacker=Bonn, Professor Hans Neumann [so im Original; mw] =Bonn, Professor Hans Freyer, Leiter des Institutes für Kulturgeschichte und Soziologie in Leipzig, Professor Baron von Uexküll=Hamburg, Geheimrat Heymann, Sekretär der Akademie der Wissenschaften, Berlin, Professor Erich Jung=Marburg, Professor Dr. Bruns, Mitglied des Internationalen Schiedsgerichtshofes im Haag, Berlin, Professor Mikorey=Bonn[199].
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 3
Erfreulich eindeutig charakterisiert die Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung den Status der namentlich genannten Personen: der Ausschusses ist aus ihnen zusammengesetzt. Es sind seine Mitglieder. Auffällig ist, dass Julius Binder und Rudolf Stammler nicht als Mitglieder erwähnt werden. Da nicht behauptet wird, dass Professor Naumann anwesend war, ist diese Darstellung mit dem Protokoll der ersten Sitzung von Emge problemlos vereinbar. Nur drei der hier genannten Personen werden nach dem 17. Juli 1941 keine Mitglieder mehr sein: Nicolai, Naumann und von Uexküll. Ihre Namen habe ich durch Fettdruck hervorgehoben. Bemerkenswert ist ferner die Wiederholung des Schreibfehlers „Staatsrat Schmidt“. Wegen der Wiederholung vermute ich, dass die Ursache des Fehlers auf Seiten der Presseabteilung des Nietzsche-Archives oder/und der Pressestelle des „Thüringischen Staatsministeriums“ zu suchen ist.
[2] Wie ersichtlich, ist bei der Zusammensetzung des Ausschusses nicht der einfache Weg eingeschlagen worden, abgestempelte „Rechtsphilosophen“ zu nehmen, sondern man hat der Auffassung des Nationalsozialismus genügt, die bedeutendsten Vertreter der verschiedenartigsten Gebiete heranzuziehen, um so ohne jede Einseitigkeit, die Rechtsphilosophie der Zeit in gemeinsamer Arbeit aufzubauen. Wie finden in diesem Ausschuss neben den anerkannten Rechtsphilosophen (Neu-Hegelianer, Neu-Kantianer, Verfechter von Nietzsches Ideen) den Vertreter der Existentialphilosophie, der Philosophie der Geisteswissenschaften, den deutschen Literaturhistoriker, Soziologen, deutschen Rechtshistoriker, Völkerrechtler, ja sogar den Biologen und Arzt.
Das Nietzsche-Archiv
bot sich als Stätte, in der die Ruhe philosophischer Betrachtung mit der Tendenz zum Aktuellen und unmittelbar Bedeutsamen zu Hause war. Gleichzeitig sollte mit der Wahl dieses Ortes dem Führer eine besondere Freude bereitet werden. So versammelte sich gestern Nachmittag in den historischen Räumen des Nietzsche-Archivs der Ausschuss unter Anwesenheit geladener Gäste.
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 3
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Formulierung „mit der Tendenz zum Aktuellen und unmittelbar Bedeutsamen“ von Emge stammt. Als stellvertretender Vorsitzender wäre er auch derjenige gewesen, der verantwortlich für die Presseerklärungen gewesen wäre, falls es solche gegeben haben sollte. Der kurze Artikel aus der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung vom 3. Mai 1934 belegt, dass es eine Erklärung einer Pressestelle gab. Vermutlich hat Emge per Telefon die Information weiter geben lassen. So würden sich die zahlreichen Schreibfehler bei den Namen erklären.
[3] Der Raum zeigte ein ehrwürdiges Gepräge. Neben der Klingerschen Nietzsche-Büste steht die Büste des Führers. Kränze und Lorbeeren des verstorbenen Philosophen werden umrahmt von den Farben der neuen Bewegung. Frau Dr. h. c. Förster-Nietzsche hat es sich nicht nehmen lassen, die Teilnehmer zu begrüßen, während aus dem Nebenraum die Klänge eines Trios von Mozart erklangen. Nachdem der Kreisleiter von Weimar Staatsminister Dr. Weber[200], Begrüßungsworte gesprochen hatte, nahm zunächst der Präsident der Akademie,
Reichsjustizminister Dr. Frank
das Wort zu grundsätzlichen Ausführungen, die noch in einer besonderen wissenschaftlichen Veröffentlichung in erweiterter Form der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. (Die Rede Franks findet der Leser im politischen Teil dieser Ausgabe.[201])
[4] Nach ihm sprach
Reichsleiter Rosenberg,
Mitglied der Akademie für Deutsches Recht, als der Schulungsleiter für weltanschauliche Fragen der Bewegung. (Die Rede Rosenbergs befindet sich gleichfalls im politischen Teil dieser Ausgabe.)
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 3
Soweit das Bekannte. Nun das Unbekannte.
[1] Danach sprach
Professor Dr. Emge,
der stellvertretende Vorsitzende, über Aufgaben und konkrete Ausgestaltung des Ausschusses: Der Versuch ist neu, so verschiedene wissenschaftliche Köpfe zu aktuell politischer Tätigkeit zusammenschließen zu wollen. Dieses Ziel bedeutet ein tiefes Verständnis unserer Bewegung bei dem Rechtsdenken der anderen, sowohl der fremden Nationen als auch der eigenen Volksgenossen, zu schaffen. Zwei Momente charakterisieren die Aufgabe: das erste, Rationales und Irrationales miteinander in Verbindung zu bringen, ist typisch deutsch; das zweite, Objektives und Subjektives zur Synthese zu bringen, ebenso typisch nationalsozialistisch. Dies wurde vom Redner philosophisch eingehend begründet.[202] Als erste Aufgabe des Ausschusses muß sich, wenn er nicht eine liberale Instanz sein will, Klarheit über die Bedeutung und Tragweite seiner Feststellungen ergeben. Im Vordergrund steht hierbei der Anspruch auf sogenannte Weltanschauung die Frage: Was ist bei dieser Bewegung der geistige Gehalt, das Lehrbare, Verstehbare?
[2] Es geht um die Erfassung der Gesittung, die sich politisch auszuwirken hat.
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 3
So schrieb Emge, wenn er meinte, zu philosophieren. Der „der wissenschaftliche Leiter des Nietzsche-Archivs und einziger Ordinarius für Rechtsphilosophie in Deutschland, Mitglied der Akademie“ – wie die Leser kurz zuvor erfahren haben. Das Folgende ist interessanter. Emge skizziert neun Unterausschüsse des Ausschusses für Rechtsphilosophie:
Der erste Unterausschuss skizziert eine Führer- und Bewegungs-Hermeneutik. Der zweite Unterausschuss sucht nach Übersetzungen einer »Wesensschau« »der Bewegung« ins Juristische. Der dritte Unterausschuss befasst sich mit der Herstellung der »Volksgemeinschaft« anhand von kunstphilosophischen Äußerungen Nietzsches zu Stil und Stillosigkeit[203] sowie zum Apollinischen und Dionysischen.[204]
[3] Diese erste Aufgabe: Taten, Geschehnisse einerseits, Programme, Worte, gelegentliche Äußerungen unseres Führers und seiner Vertrauensleute andererseits begrifflich zu fassen, die Bewegung also im Sinne der vollziehenden Geschichtsentwicklung zu deuten, wird die Aufgabe des ersten Unterausschusses sein. Es ist dabei ins Bewußtsein zu rufen, daß der Nationalsozialismus folgende Momente in sich trägt: 1. Volksgemeinschaft als Ziel und Substanz, 2. Bewegungsmoment, 3. Deutschheit, 4. hohes Niveau. Ueberall aber, wo Realitäten ins Juristische zu übertragen sind, besteht die Möglichkeit fiktiver Behandlungsweise. Die Aufgabe ist, in die Sphäre juristischen Seins das rein zu projizieren, was die Substanz der nationalsozialistischen Ideen ausmacht. Ein zweiter Ausschuss wird dabei einen Januskopf haben. Er wird einmal nach dem Substantiellen und Wesenhaften der Bewegung sehen, wie andererseits die juristischen Möglichkeiten zu durchforschen haben, jene Wesenheiten möglichst rein zu erhalten. Ein dritter Unterausschuss gilt dem Problem der Volksgemeinschaft. Gemeinschaft als Einheit des Stiles im Sinne von Nietzsche ergänzt durch die Prinzipien des Dionysischen und Apollinischen, um von bloßer Gemeinschaft zu bedeutender Gemeinschaft zu kommen. Gegenstand dieses Ausschusses wäre auch das Erleben der Volkstümlichkeit, ähnlich gelagert wie das Problem von Gerechtigkeit und Rechtssicherung. Hier hat der Ausschuss ganz neue Wege zu suchen.
[4] Es geht um Rechtsgefühl, Popularität, Geltung, Billigung, Zumutbarkeit.
[5] Ein vierter Ausschuss hat zum Gegenstand Deutschheit, nationale Eigentümlichkeit, die gemäßen Entwicklungsgesetze des deutschen Urphänomens[205]. Davon abhängig ein fünfter Unterausschuss mit dem rechtsphilosophischen Problem der Erneuerung germanischen Rechtsgedankens. Hier als besondere Aufgabe der Wiedererweckung der deutschen Auffassung der Rechtsquellen, die Frage nach der Stellung des sogenannten königlichen Richters gegenüber dem sogenannten Gesetz. Ein sechster Unterausschuss für das rechtsphilosophische Problem der Rasse und des Lebens. Der [sic] Biologische hat für den Nationalsozialismus drei Seiten: eine seelische, eine geistige und eine körperliche. Frei von Rückfällen in eine mechanische und atomistische Betrachtung, gilt es, die Notwendigkeit des Gegebenen in ständiger Beziehung zur Freiheit eigener Entfaltung zu halten (Goethes Urworte[206]). Der Organismusgedanke ist in seiner Bedeutung für das Recht fruchtbar zu machen. […]
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 3
Zum vierten Unterausschuss passt die zweite Frage, die laut dem Sitzungsprotokoll Hans Frank den Ausschussmitgliedern zur Bearbeitung aufgab:
Am Schluß der Sitzung gab Minister Dr. Frank den Mitgliedern des Ausschusses folgende Fragen zur Beantwortung auf:
1. Was ist überhaupt das Recht?
2. Wie verhält sich der Begriff des Rechts zu dem des Deutschen?
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 128
In dem mir unbekannten Teil der Akte Emges sind Antworten von Ausschussmitgliedern enthalten. Pinter hatte in seiner Dissertation über den Rechtsphilosophien Emge von 1994 über sie folgendes mitgeteilt:
Die gestellten Fragen wurden von Binder, Uexküll, Rothacker, Jung, Stammler und Lasch brieflich zwischen dem 9.5.1934 und dem 1.6.1934 prompt beantwortet.1
1 Nietzsche-Archiv Weimar Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie
(Pinter 1994), S. 64
Auch damit ist natürlich erneut bewiesen, dass Emge 1960 gelogen hat, als er behauptete, am Abend des 3. Mai sei dem Ausschuss für Rechtsphilosophie der Todesstoß versetzt worden.
Dass der fünfte Unterausschuss besonders wichtig war, ist nach dem Glaubensbekenntnis von Hans Frank zum ewigen deutschen Gott und zum Richterkönig unzweifelhaft. Wilhelm Kisch und Roland Freisler thematisieren in den Anfangsjahren der AfDR das Thema des königlichen Richters und des Richterrechts in Aufsätzen. Ich werde die Aufsätze in Teil III vorstellen. Die Geschichte des germanischen Rechts war ferner ein Lieblingsthema von Erich Jung und Ernst Heymann.
Der sechste Unterausschuss ist der zentrale Unterausschuss fürs Erzeugen einer nationalsozialistischen Rechts-, Geschichts- und Religionsphilosophie, kurz: der nationalsozialistischen »Weltanschauung«. Wichtig ist es, dass der Begriff der Rasse biologisch, aber nicht nur biologisch verstanden wird. Es gibt einen biologischen, einen psychologischen und einen geistphilosophischen Begriff der Rasse in diesem elitären Kreis akademischer Nationalsozialisten.
Emge stellt noch drei weitere Unterausschüsse vor. Den siebten noch im fünften Absatz:
[5] […] Ein siebenter Unterausschuss gilt den
philosophischen Grundlagen des Völkerrechts,
[6] An Stelle der Kontraktauffassung des Westens muß eine teleologische Geschichtsbetrachtung, in letzter Linie religiös-philosophisch begründet treten. Bei diesem Ausschuss wird, da das Völkerrecht einen überstaatlichen Geltungsbereich beansprucht, die Frage der Verständlichmachung gegenüber anderen Auffassungen im Vordergrund stehen (nationalsozialistische Friedensidee). Der achte Unterausschuss beschäftigt sich mit der Rechtsphilosophie als Ausbildungsfach. An Stelle der weggefallenen Pandektenvorlesung tritt sie als eigentliches Bildungsfach. Der Nationalsozialismus ermöglicht heute eine Rechtsschule, wie wir sie nie gekannt haben. Damit knüpft er in seinen Tendenzen an die Bestrebungen des alten Naturrechts an, das, von Deutschland ausgehend, zwei Jahrhunderte lang nicht nur Rechtswissenschaft, sondern auch Ethik und Philosophie befruchtet hat. Es wird vorgeschlagen, später einen neunten Unterausschuss zu bilden, der das konfessionelle Rechts zum Gegenstand hat.
[7] Es wurde dann zur Beratung der Vorschläge über die zu gründenden Ausschüsse geschritten. ●
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 3
Der siebte Unterausschuss ist nicht nur Viktor Bruns zuzuordnen. Auch Erich Jung und Carl Schmitt hatten sich schon längst mit solchen Fragen befasst. Ohne solche Vorarbeiten hätte Hans Frank auch nicht zum Ende seiner Rede vom 3. Mai 1934 den „ewigen deutschen Gott“ und sein Erscheinen in der Geschichte in einem Richterkönig preisen können.
Dass Wilhelm Kisch 1939 ein Buch veröffentlicht hat, in dem er sich u.a. mit „Rechtsphilosophie als Ausbildungsfach“ beschäftigte, habe ich bereits gezeigt. Er war vermutlich der Vorsitzende des achten Unterausschusses. Vermutlich arbeite er dabei mit Johannes Popitz zusammen. Ob und inwieweit das BGB durch Abschaffung der Pandektenvorlesung[207] ausgehöhlt werden sollte, war innerhalb der AfDR strittig. Ich habe das bislang nur am Rande beobachtet. Ich vermute, man hat sich am Ende darauf geeinigt, dass BGB für den Geistesadel in Kraft zu lassen, fürs »untervölkische« »Volk« aber ein eigenes »Volksgesetz« neu zu erfinden. Für Rechtskonflikte zwischen Neuadel und »untervölkischem Volk« wären vermutlich Feudalnormen reaktiviert worden.
Für den neunten Unterausschuss ist nach der Eröffnungssitzung Rudolf Buttmann (1885-1947) als Zusatzmitglied in Aussicht genommen worden. Ich zitiere erneut den Brief Emges an Gaeb vom 12. Juni 1934:
Sehr geehrter Herr Dr. Gaeb!
Anliegend überreiche ich Ihnen den Bericht über die Eröffnungssitzung unseres Ausschusses. Wie Sie aus anliegenden Schreiben des Stenographen ersehen, müssen sich die stenographierten Reden in Berlin befinden. Ich füge noch eine Liste der ständigen Mitglieder bei und bemerke hierzu, daß eine Ergänzung durch Herrn Ministerialdirektor Buttmann (Grundlagen des konfessionellen Rechts) und durch einen Vertreter des Reichsbildungsministerium in Aussicht genommen ist.
Mit ergebenen Heil-Grüßen
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 126
Diese Informationen über die geplanten Unterausschüsse helfen nicht nur besser zu verstehen, was die Akteure unter nationalsozialistischer Rechtsphilosophie verstanden haben. Sie könnten auch helfen, Dokumente wiederzufinden, in denen die Arbeit dieser Unterausschüsse dokumentiert wurde.
4.5. Weimarische Zeitung vom 4. Mai 1934: „Deutsche Rechtsmoral aus Blut und Boden“
In einer weiteren Zeitung des Landes Thüringens ist ein weiterer Bericht über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie enthalten. Der Name der Zeitung lautet Weimarische Zeitung. Der Bericht erschien am 4. Mai 1934 unter der Überschrift „Deutsche Rechtsmoral aus Blut und Boden“. Es gibt kleiner Abweichungen, die ich mit zwei Ausnahmen aber für unwichtig halte. Hier die beiden Ausnahmen:
1. Mit Blick auf die Rede von Hans Frank wird den Lesern angekündigt, dass seine „grundsätzlichen Ausführungen“ „in einer besonderen wissenschaftlichen Veröffentlichung in erweiterter Form der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden“ sollen. Das ist geschehen. Auch diese Variante der Rede Hans Franks werde ich vorstellen (Unterabschnitt 4.7.1.).
2. Bei der Wiedergabe von Hans Franks Äußerungen über Glauben und Gott fehlt im Vergleich zur Wiedergabe aus der Thüringischen Landeszeitung das Adjektiv „deutsch“ im komplexen Ausdruck „ewigen (deutschen) Gott“.
Auch in dieser Zeitung wird über die Rede Emges berichtet. Wieder mag ein Lokalpatriotismus eine Rolle gespielt haben. Vielleicht aber auch nur die räumliche Nähe, die es Redakteuren erlaubten, länger anwesend zu bleiben als den Berlinern und Frankfurtern. Diesen Teil des Berichts zitiere ich vollständig:
Als erste Aufgabe des Ausschusses muß sich, wenn er nicht eine liberale Instanz sein will, Klarheit über die Bedeutung und Tragweite seiner Feststellungen ergeben. Es geht um die Erfassung der Gesittung, die sich politisch auszuwirken hat. Diese erste Aufgabe: Thaten, Geschehnisse einerseits, Programme, Worte, gelegentliche Äußerungen unseres Führers und seiner Vertrauensmänner andererseits begrifflich zu fassen, die Bewegung also im Sinne der vollziehenden Geschichtsbewegung zu deuten, wird die Aufgabe des 1. Unterausschusses sein.
Ein zweiter Ausschuss wird einmal nach dem Substantiellen und Wesenhaften der Bewegung sehen und die juristischen Möglichkeiten durchforschen, jene Wesenheiten möglichst rein zu erhalten. [Auch im Original fehlt hier ein Satz zum dritten Ausschuss; mw] Ein vierter hat zum Gegenstand Deutschheit, nationale Eigentümlichkeit. Davon abhängig ein fünfter Ausschuss mit dem rechtsphilosophischen Problem der Erneuerung germanischen Rechtsgedankens. Ein sechster Ausschuss für das rechtsphilosophische Problem der Rasse und des Lebens; ein siebter gilt den philosophischen Grundlagen des Völkerrechts. Der achte Unterausschuss beschäftigt sich mit Rechtsphilosophie als Ausbildungsfach.
Es wird vorgeschlagen später einen neunten Unterausschuss zu bilden, der das konfessionelle Recht zum Gegenstand hat.
Es wurde dann zur Beratung der Vorschläge der zu gründenden Ausschüsse geschritten.●
(Weimarische Zeitung vom 4. Mai 1934)
Abgesehen vom irrtümlichen Nichterwähnen des dritten Ausschusses stimmt diese Liste mit der Charakterisierung der neun Ausschüsse überein, die in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland wiedergegeben wurde. Sie ist nur deutlich weniger informativ. Im nächsten Abschnitt präsentiere ich einen Überblick über die neun Unterausschüsse aus den Zeitungsberichten aus Thüringen.
4.6. Überblick über Emges Unterausschüsse des Ausschusses für Rechtsphilosophie
In der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland und in der Weimarischen Zeitung wurde auch über die dritte Rede berichtet, die zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehalten wurde. Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses, Prof. C. A. Emge, hielt sie. Damit war der Ablauf des 3. Mai 1934 genauso, wie Emge ihn geplant hatte (3.2.2.). In seiner Rede skizzierte Emge vor allem neun Unterausschüsse, die der Ausschuss für Rechtsphilosophie bilden solle. Ich biete im folgenden eine Übersicht über diese neun Unterausschüsse. Für den Originalwortlaut verweise ich aber auf die Abschnitte 4.4. und 4.5.
Emges Skizze der neun Unterausschüsse (UA) des Ausschusses für Rechtsphilosophie | |
1. UA: | Auslegung von Taten und Worten der Der Elite der NS-Bewegung im Sinne einer „vollziehenden Geschichtsbewegung“; kurz: Führer-Hermeneutik. |
2. UA: | Erfassung des Substantiellen und Wesenhaften der Bewegung und dessen möglichst reine Abbildung ins Juristische; kurz: Metaphysische Anfangsgründe des nationalsozialistischen Führerrechts. |
3. UA: | Erzeugung der deutschen Volksgemeinschaft als einer bedeutenden Volkgemeinschaft; kurz: Stiftung der Religion „Deutschglauben“. |
4. UA: | Feststellung der vorhandenen nationalen Eigentümlichkeiten; kurz: „Deutschheit von 10.000 v. Chr. bis 1933“. |
5. UA: | Wiederentdeckung der deutschen Auffassung der Rechtsquellen, die Stellung des germanischen Richterkönigs zum Gesetz; kurz: Das ewige Recht des deutschen Richterkönigs. |
6. UA: | Mittels des Biologischen der Seele, des Geistes und des Körpers ist das rechtsphilosophische Problem der Rasse und des Lebens zu lösen; kurz: Rechtsphilosophie der Rasse und des Lebens. |
7. UA: | Statt der westlichen Vertragsauffassung des Völkerrechts ist eine teleologische, philosophisch-religiöse Geschichtsbetrachtung als Legitimationsquelle des Völkerrechts zu etablieren, die in einer nationalsozialistischen Friedensidee kulminiert; kurz: heilsgeschichtliche Philosophie des Völkerrechts zum ewigen Frieden – des Kirchhofs unter deutscher Friedhofswacht. |
8. UA: | Rechtsphilosophie als Bildungsfach der Studierenden der Rechtswissenschaft, der Ethik und der Philosophie; kurz: Rechtsphilosophie als universitäres NS-Weltanschauungspflichtfach. |
9. UA: | Grundlagen des konfessionellen Rechts |
aus: Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland und Weimarische Zeitung vom 4. Mai 34 |
4.7. Die Berichte der Fachzeitschriften über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie
In diesem Unterabschnitt stelle ich zwei Berichte über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie dar, die in der Fachzeitschrift der »Bewegung« namens „Deutsches Recht“ einerseits und in der Fachzeitschrift des »Staates« namens „Deutsche Justiz“ veröffentlicht worden sind. Sie sind am 10. und 11. Mai 1934 veröffentlicht worden. Die Berichte in den Zeitungen waren bereits am 4. und 5. Mai 1934 veröffentlicht worden. Je mehr Zeit zwischen einem Ereignis und seiner Berichterstattung vergeht, desto höher ist die grundsätzlich Chance, dass auf die Berichterstattung Einfluss genommen wurde.
4.7.1. Das Zentralorgan des BNSDJ „Deutsches Recht“ vom 10. Mai 1934
Die Zeitschrift Deutsches Recht, die halbmonatlich erschien, war eine Zeitschrift der NS-Bewegung, nicht des NS-Staates. Sie war genauer das „Zentralorgan“ des „Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ)“, der 1928 gegründet und im Laufe des Jahres 1936 in „NS-Rechtswahrerbund“ umbenannt wurde. Führer dieses Teils der »Bewegung« war Hans Frank. Er blieb das bis in den August 1942 hinein. Dann erfolgte auch hier der Wechsel zu Otto Thierack.
Ich habe folgende Jahrgänge dieser Zeitschrift durchgesehen: 1931 bis 1938 und 1943 bis 1945.
Wenn ich nichts überlesen habe, dann wurde in diesen Jahrgängen auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie ausdrücklich nur im Jahrgang 1934 Bezug genommen. Und zwar wurde über die Konstituierung und nur über sie berichtet.
Das geschah in zwei Heften des Mais 1934. Am 10 Mai 1934 wurde über die Gründung berichtet. Diesen Bericht zitiere ich gleich. Am 25. Mai 1934 wurden die Reden von Hans Frank und Alfred Rosenberg in Langversionen abgedruckt.
Da mir keine erheblichen Unterschiede zu den Langversionen im Völkischen Beobachter und in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland aufgefallen sind, werde ich diese Langversionen erst zu Beginn von Teil III vorstellen. Irgendwann werde ich auf meiner Internetseite eine Synopsis der drei Langversionen zugänglich machen.
Nun zum Kurzbericht des Zentralorgans des BNSDJ über die Gründungsveranstaltung vom 10. Mai 1934. Ich gebe diesen Bericht vollständig wieder:
Lebensrecht und nicht Formalrecht
Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses der
Akademie für deutsches Recht in Weimar[1] In würdigem Rahmen fand in Weimar die Eröffnung des rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für deutsches Recht statt. Die beiden Reichsleiter der NSDAP, Pg. Dr. Frank und Pg. Alfred Rosenberg standen Pate bei dem feierlichen Akt, der sich am Donnerstag, dem 3. Mai 1934, im Nietzsche-Archiv zu Weimar vollzog. Der geistige Wahrer des Volksrechtsgedankens der eine, der auch diesen rechtsphilosophischen Ausschuss ins Leben rief; der geistige Wahrer der unverfälschten nationalsozialistischen Idee der andere, der ihm die Weihe gab; beide im Banne der geschichtlichen Mission der Stunde des Nationalsozialismus; beide unter dem tiefen Eindruck der Oertlichkeit, die den Geist des großen deutschen Denkers Nietzsche unmittelbar vermittelte.
(„Deutsches Recht“ (BNSDJ) vom 10. Mai 34 über den 3. Mai; 1934), S. 217
Dass die Parteimitgliedschaften von Hans Frank und Alfred Rosenberg in einer Fachzeitschrift eines Bundes der NSDAP besonders hervorgehoben wird, ist nicht erklärungsbedürftig. Und da im Mai 1934 noch die erste Satzung der AfDR galt, war auch sie eine Akademie der Partei: Der Führer Adolf Hitler bestimmte als Führer der NSDAP – und nicht als Reichskanzler – den Führer der AfDR.
Auffällig ist, dass Hans Frank und Alfred Rosenberg nur als „Paten“ nicht auch als Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie vorgestellt werden. Mikorey hatte in einem Brief an Emge dessen „Hebammenkunst“ bezüglich der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gelobt (siehe 3.5.1.) Zwei Paten, eine Hebamme – aber weder Vater noch Mutter. Merkwürdig. Die Metaphorik wird im nächsten Absatz fortgesetzt und heilsgeschichtlich überhöht:
[2] So bot sich dem kleinen Kreis von Ausschussmitgliedern und wenigen Gästen, die sich im Hause Frau Förster-Nietzsches versammelt hatten, in der mit dem Standbild des Führers und dem Symbol des Dritten Reiches geschmückten Bibliothek, die Geburtsstunde der nationalsozialistischen Rechtsphilosophie als eine der ganz großen Offenbarungen, wie nur die Bewegung Adolf Hitlers vermitteln kann.
(„Deutsches Recht“ (BNSDJ) vom 10. Mai 34 über den 3. Mai; 1934), S. 217
Ich kann auch dieser Berichterstattung nicht entnehmen, dass es in Weimar zu einer Presse-Konferenz gekommen ist.
[3] Hierbei drückte sich gleichzeitig die grundlegende Harmonie aus, die diesen beiden Mitkämpfer des Führers, jeder aus seinem weiten Gebiet, schöpften: Rechtsphilosophie im Sinne des Nationalsozialismus bedeutet nicht normativistische Festlegung einer Lehre;
– „normativistisch“ ist zur selben Zeit auch eines der Lieblingsschimpfwörter Carl Schmitts –
sie kann nur bedeuten Ueberprüfung der Voraussetzung, der Grundbegriffe, um sie vor Verfälschung und Mißbrauch durch Unberufene zu schützen. Ein Lebensrecht zu schaffen und kein Formalrecht; den Primat des Volkes und nicht des Apparates zu wahren; kein Recht als Standesrecht einer vom Volk abgesplitterten Juristengilde mehr zuzulassen; ein Recht zu setzen, das dienen soll der Allgemeinheit, der Stärkung eines ewigen Staatswertes und nicht der Fixierung wechselnder Staatsformen. Und wenn Alfred Rosenberg die Wahrung der Rechte der Nation an die Spitze stellte und die Verbindung des Rechts mit der Soziallehre als den wesentlichen Unterbau eines stolzen Volkes bezeichnete, so kennzeichnete er damit ebenso sehr das Aufbauwerk des soeben abgeschlossenen ersten Jahres des Nationalsozialismus wie den Grundgedanken aller zukünftigen Volksgestaltung. Daß es sich nicht um die Produzierung möglichst vieler Gedanken, als vielmehr um die Gestaltung eines neuen Denkens handle, war dieselbe Erkenntnis, die Frank mit der Forderung der Gestaltung eines völlig neuen Juristentyps vertrat.
(„Deutsches Recht“ (BNSDJ) vom 10. Mai 34 über den 3. Mai; 1934), S. 218
Erkennbar wird in dieser Berichterstattung das »Volksprimat« in den Vordergrund gerückt. Das verdankt sich dem Adressatenkreis dieses Zentralorgans. So erkläre ich mir auch, dass die vielen »Bürgerlichen« des Ausschusses für Rechtsphilosophie gar nicht erst erwähnt werden.
[4] Die Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für deutsches Recht hat für die geistige Führung der Lebensrechte der Nation ein wesentliches Fundament geschaffen; sie wird sich auswirken auf allen Gebieten, auf denen der Nationalsozialismus kämpferisch und streitbar die Fahne Adolf Hitlers aufgepflanzt hat.
*
(„Deutsches Recht“ (BNSDJ) vom 10. Mai 34 über den 3. Mai; 1934), S. 218
Da Adolf Hitlers „Mein Kampf“ gespickt ist mit rechtsphilosophische und rechtsgeschichtlichen Äußerungen und die Herausgeber des Zentralorgan des BNSDJ verlangen durften, dass ihre Leser „Mein Kampf“ kannten, erschien diesen Lesern dieser Berichterstattung Adolf Hitler als Vater der Offenbarung, die die nationalsozialistische Rechtsphilosophie sei. Vermutlich meinten sie, es handele sich um eine Kopfgeburt. Ich wüsste jedenfalls nicht, welche Frau im Gründungsmystizismus des akademischen Nationalsozialismus vorkommen könnte.
[5] Wir bringen im nächsten Heft einen ausführlichen Auszug der Reden der Reichsleiter Dr. Frank und Alfred Rosenberg bei der Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für deutsches Recht.●
(„Deutsches Recht“ (BNSDJ) vom 10. Mai 34 über den 3. Mai; 1934), S. 218
Tatsächlich erschienen dann im nächsten Heft am 25. Mai 1934 Langversionen beider Reden. Ich stelle sie ausführlich erst zu Beginn meines dritten Teils vor.
4.7.2. Das Amtsblatt „Deutsche Justiz“ des Reichsjustizministeriums vom 11. Mai 1934
Auch im Amtsblatt Deutsche Justiz des Reichsjustizministeriums wurde über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie berichtet. Der Bericht ist in Heft 19 des Jahrgangs am 11. Mai 1934 veröffentlicht worden. Im Amtsblatt gab es eine Rubrik „Was den Juristen interessiert“. In den Anfangsjahren gab es regelmäßig eine Unterrubrik „Aus der Akademie für Deutsches Recht“.
In dieser Unterrubrik wurde in Heft 19 vom 11. Mai 1934 des Jahrgangs zunächst über den „Presseempfang der Akademie“ (nicht des Ausschusses) vom 5. Mai 1934 in Berlin (S. 619) und dann erst über die „Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses“ (S. 619 f.) berichtet.
Die Darstellung der Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie in der Zeitschrift „Deutsche Justiz“ weicht nicht ab von den bereits referierten und zitierten Darstellungen:
Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses
[1] Am Donnerstag, 3, Mai, fand in Weimar in den historischen Räumen des Nietzsche-Archivs in Anwesenheit von Frau Dr. Elisabeth Förster-Nietzsche, der Schwester des großen Philosophen, die konstituierende Sitzung des Rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht statt.
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Im nächsten Absatz unterscheidet sich die Berichterstattung von der im Zentralorgan des BNSDJ. Lesern des Amtsblattes des Reichsjustizministeriums wurde mitgeteilt, dass es „maßgebende“ Rechtsphilosophien gab, die nicht identisch mit Hans Frank und Alfred Rosenberg waren. Sie waren aber nur dabei, als Hans Frank und Alfred Rosenberg redeten. Ihre Namen erfahren die Leser nicht. Erst recht nicht, dass vielen von ihnen Alfred Rosenberg als schlichte Mitglieder gleichgestellt waren.
[2] Im Beisein maßgebender Rechtsphilosophen und hervorragender Vertreter der Partei eröffnete Reichsjustizkommissar Staatsminister Dr. FRANK den Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht. Nach ehrenden Worten des Dankes an Frau Förster-Nietzsche für die Lebensarbeit, die sie dem Werke ihres großen Bruders und damit | S. 620 dem Deutschtum und der arischen Menschheit gewidmet habe, führte Reichsjustizkommissar Dr. Hans Frank u.a. folgendes aus:
[…][5] Im Anschluß an den Vortrag des Reichsjustizkommissars Dr. Frank ergriff der Reichsleiter Alfred ROSENBERG das Wort zu folgenden Äußerungen:
[…][11] Nach diesen beiden Referaten trat der Ausschuß zu einer Arbeitstagung zusammen.●
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Wie bereits im Zentralorgan des BNSDJ wurden auch die Leser des Amtsblattes des Reichsjustizministeriums nicht darüber informiert, dass Professor Emge eine dritte Rede gehalten hat.
Was berichtete das Amtsblatt Deutsche Justiz über Hans Franks Rede? Auffällig wenig und nichts Neues im Vergleich zu den anderen Wiedergaben.
[3] „Die Anknüpfung der Arbeit des Rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht an Nietzsche ist für uns eine Pflicht. Er vor allem war einer der Künder jenes autoritären herrischen Empfindens, das unser Volk durch den Weltkrieg hindurch aufrecht erhielt und diesem Volk damit gleichzeitig eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt unter Adolf Hitler übertrug.
[4] Wir im engeren Kreis unseres Ausschusses für Rechtsphilosophie wollen die Sammlung der allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus als volksbetonter Autoritätslehre in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus, alle die Bausteine des nationalsozialistischen Werdens nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln. Der Nationalsozialismus kündet dem deutschen Menschen die geistige Freiheit, weil er mit dem Mittelalter Schluß macht auf allen Gebeiten und vor allem auf dem Gebiet der philosophischen Entwicklung des Rechts. Der Nationalsozialismus verschafft jetzt den großen Gedanken unserer deutschen Denker Wirklichkeitsrechte auf deutschem Boden und macht sie zum weltanschaulichen Besitz der deutschen Volksgenossen überhaupt.“
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Auch hier wurde Franks Rede vom »ewigen deutschen Gott«, von den »Niedermächten« und vom »Richterkönig« als dem Ziel des Nationalsozialismus nicht wiedergegeben.
Was berichtete das Amtsblatt Deutsche Justiz über die Rede von Alfred Rosenberg? Auffällig wenig und nichts Neues im Vergleich zu den anderen Wiedergaben.
[6] „Vier Mächte sind es innerhalb des volklich-staatlichen Lebens, die vor allem berufen erscheinen, entgegen rein subjektivistischen Bestrebungen in sich geschlossene Menschentypen zu schaffen und zu erhalten. Das Heer, die Kirche, die Justiz und die Schule. Die nationalsozialistische Bewegung hat die große Sendung zu erfüllen, die Voraussetzungen aller dieser formenden Mächte des Volkes und des Staates zu überprüfen und sie, auf das gemeinsame Schicksal bezogen, gleichgerichtet in das Ringen der Zukunft zu stellen, damit nicht innerhalb einer einzigen Nation bei den zur Erhaltung der Gesamtheit berufenen Mächte Trennung oder gar offene Feindschaft entsteht. Deshalb müssen auch jene geistigen Machtgruppen untersucht werden, die sich noch als typenschaffend und erhaltend gezeigt haben. Da ist es vor allen Dingen das Rechtsdenken, um das heute erbittert und zugleich tief begründet gestritten wird.
[7] Es gibt kein Recht an sich, sondern das Recht ist das, was arische Menschen für recht befinden, Unrecht ist das, was sie verwerfen. Von diesem Gesichtspunkt aus wird die nationalsozialistische Bewegung keinen großen Wert auf eine Rechtsphilosophie an sich legen, sondern wird von den berufenen Bearbeitern dieses Gebietes zunächst die Klarstellung fordern, welcher Charakterart der germanische deutsche Mensch gewesen ist, welche Begabungen und Begrenzungen sein Wesen ausmachten, welche Werte für sein Leben bezeichnend waren, als er schöpfungsmäßig[208] dastand. Mit dieser Forderung ist ein tiefes Bekenntnis zu jenem Denker verbunden, dessen Auferstehung erst in den heutigen Tagen beginnt, zu Friedrich Nietzsche.
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Leser dieser Berichterstattung würden die Frage nach »dem Vater« der nationalsozialistischen Rechtsphilosophie vermutlich mit „Friedrich Nietzsche“ beantworten.
[8] Entgegen einer dem Nihilismus zutreibenden Zeit der alles verflachenden Demokratie kämpfte er als Einsamer für eine neue Rangordnung der Werte. Das ganze deutsche Rechtsleben beruht aber seit dem ersten Auftreten des Germanentums eigentlich auf einem einzigen Werte, auf dem Werte der Ehre.
[9] Das persönliche Ehrbewußtsein wurde später überhöht vom Stammesbewußtsein, bis dann an seine Stelle Staat und Kirche traten. In einer verhängnisvollen Zeit wurde diese Entwicklung vom persönlichen zum völkischen Ehrbegriff durch das Eindringen des rein privatkapitalistischen spätrömischen Rechts unterbrochen.
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Habe ich bereits erwähnt, dass die Betonung, dass nur das spätrömische, nicht aber das römische Recht als Ganzes zur Quelle des Niedergangs des Germanentums gemacht wird, eine wichtige Korrektur an Punkt 19 des Programms der NSDAP vom Februar 1920[209] ist? Wie immer die Antwort auf die Frage lautet, diese Betonung ist wichtig. Denn nur so war der akademische Nationalsozialismus grundsätzlich bündnisfähig mit Italien. Ich zitiere weiter Absatz 9.
Hier war die Rechtsnorm überhaupt, die Voraussetzung für alles Übrige, einfach nicht vorhanden, und das Grundlegende einer nationalsozialistischen Rechts- und Staatsauffassung wird darin bestehen müssen, die Wahrung der Ehre der Nation an die Spitze aller Rechtserneuerung zu stellen.
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Denn dadurch würde die »unheilvolle« Unterbrechung der geistesgeschichtlichen Entwicklung des Germanentums vom »persönlichen Ehebegriff« zum »völkischen Ehrbegriff« durch die »Heilslehre« des Nationalsozialismus überwunden. Ich zitiere weiter Absatz 9:
Von diesem Gesichtspunkt aus wird es Aufgabe einer deutschen Rechtsphilosophie sein, das Verhältnis zwischen Volk und Staat, zwischen Recht und Politik einer tiefgehenden Untersuchung zu unterziehen und gemeinsam mit den Vertretern der deutschen Rassenkunde und Rassenhygiene gefühlsmäßig und theoretisch eine geistige Höherwertigkeit als Voraussetzung jeder rechtlichen Bewegung vorzubereiten.
[10] Heute erreicht eine organisch starke Staatsgewalt unserer Zeit, somit auch eine in Charakter, Boden und Geschichte wurzelnde Rechtsnorm als typenschaffende Kraft für kommende Jahrhunderte. Ein Kämpfer unerschrockenen Sinnes dafür war Friedrich Nietzsche. Deshalb wollen wir Nationalsozialisten in der heutigen Zeit des Kampfes einen Streiter wie Friedrich Nietzsche nicht missen.“
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Soweit die Wiedergabe der Rede von Alfred Rosenberg vom 3. Mai 1934 im Amtsblatt des Reichsjustizministeriums. Mir ist nichts Bedeutendes aufgefallen, das nur hier mitgeteilt worden wäre.
Das wichtigste Ergebnis meines Abschnitts 4.7. ist es, dass in den beiden Berichterstattungen des Fachzeitschriften der BNSDJ und den Reichsjustizministeriums vom 10. und 11. Mai 1934 nicht mitgeteilt wurde, wer Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Die Leser erfuhren nicht einmal, dass Hans Frank Ausschussvorsitzender und Rosenberg Mitglied des Ausschusses gewesen sind. Sie erfuhren nur, dass die beiden Reden anlässlich der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehalten worden sind.
4.7.3. Das Zentralorgan des BNSDJ „Deutsches Recht“ vom 25. Mai 1934
Wie bereits erwähnt, erschienen Im Zentralorgan des BNSDJ Deutsches Recht am 25. Mai 1934 Langversionen der beiden Reden von Hans Frank und Alfred Rosenberg. Da sich inhaltlich nichts Neues ergibt, stelle ich sie erst zu Beginn meines Teils III vor. Wer so lange nicht warten möchte, findet sie im Quellenverzeichnis / Quelle 3.
Ich zitiere nur die erläuternde Bemerkung der Schriftleiters „R. Schraut“, der laut Titelseite des ersten Heftes des Jahres 1934 Oberregierungsrat im Reichsjustizministerium gewesen ist:
Lebensrecht, nicht Formalrecht
Am 3. Mai 1934 wurde in Weimar der Rechtsphilosophische Ausschuß der Akademie für Deutsches Recht gegründet (vgl. Heft 9, Seite 217). Es sprachen Reichsjustizkommissar Dr. Frank und Reichsleiter Alfred Rosenberg. Wir lassen die beiden Ansprachen folgen. Schriftleitung.
“Deutsches Recht“ (BNSDJ) vom 25. Mai 1934, S. 231
Am 10. Mai 1934 waren noch „ausführliche Auszüge“ angekündigt worden. Nun erweckte die Schriftleitung den Eindruck, es würden die Gesamtansprachen veröffentlicht werden. Wie bereits im Völkischen Beobachter wurden auch im Zentralorgan des BNSDJ Deutsches Recht die letzten Ausführungen Hans Franks zum »ewigen deutschen Gott« und dem »Richterkönig« als Ziel des Nationalsozialismus nicht wiedergegeben.
Falls es 1934 Pläne gegeben haben sollte, bereits in näherer oder ferner Zukunft zu einer Erbmonarchie zurückzukehren, dann wollten die Schriftleitungen des VB und des Zentralorgans des BNSDJ diese Pläne lieber nicht öffentlich machen.
Ich zitiere erneut das Ende der Rede Hans Franks, das nur in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschlands am 4. Mai 1934 öffentlich gemacht worden ist: Dieses Mal unterbreche ich die Lektüre nicht durch Erläuterungen:
[5] […] In diesem Sinne bitte ich, dass der Ausschuss als ein Kampfausschuss des Nationalsozialismus sich konstituiert, der betont, daß die nationalsozialistische Revolution schon um deswillen nicht bagatellisiert werden kann, weil der Nationalsozialismus in Adolf Hitler einen Mann und einen Schöpfer besitzt, der auch in dem geistigen Bereich des deutschen Lebens und der deutschen Lebensentwicklung die letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschentums überhaupt bedeutet, noch einmal mit dem Schicksal fertig zu werden. Unsere Ueberzeugung darf nicht gebunden sein an unser Leben, darf nicht gebunden sein an dieses kurze Schicksal, das dem einzelnen bestimmt ist. Wir sind hier eine Gemeinschaft, die beschlossen hat, die soziale Grundlage des Nationalsozialismus für das deutsche Rechtsleben frei aufzubauen und sie dem Führer zu übergeben als fundamentale Substanz unseres Widerstandes gegen die Niedermächte.
[6] Ein weiteres Fundament ist die Disziplin des deutschen Volkes in dem großen Sinne des soldatischen Erlebnisses unserer Nation. Wir werden mit dem Liberalismus, dem Marxismus und den anderen Niedermächten nicht fertig werden, wenn es geduldet werden könnte, daß irgendwo in dem weiten Volksbereich immer wieder die Zersetzungskeime sich ansetzen. Hier wird der beste Begriff der Verteidigung der Sturmangriff auf die Bastionen unserer geistigen Gegner sein. Und sie sollen es spüren, daß wir siegen werden im Kampfe um die geistige Erneuerung des deutschen Volkes. Als weiteres Fundament der Weltanschauung werden wir den großen deutschen Glauben haben. Wir sind frei vom Konfessionalismus irgendwelcher Art und wir halten doch treu zu dem ewigen Gott, der das Schicksal der Völker in seinen Händen trägt. Wenn man so Großes plant, wie unsere schöpferische Zeit, dann müssen wir auch die Demut vor diesem ewigen Gott in uns tragen, und wir, die wir diese Bewegung von ihren ersten Anfängen an miterlebt haben, wir sind in diesem Glauben an den ewigen deutschen Gott immer wieder bestärkt worden,sonst hätten wir diesen Kampf nicht bestanden. Wir werden auch daran zu denken haben, daß unsere Arbeit nicht nur dienen soll der Gesetzgebung, sondern daß sie vor allem schaffen soll den neuen Typ des deutschen Juristen. Wenn es schon Priester gibt, dann soll es auch Priester der deutschen Weltanschauung geben. Unser Ziel: der Richterkönig der deutschen Kämpfer am Recht, das deutsche Recht und die Vereinigung von deutscher Rechtsseele und deutscher Volksseele.●
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 2
4.8. Ergebnissicherung
Das wichtigste Ergebnis aus meiner Darstellung dieser Quellengruppe zum Ausschuss für Rechtsphilosophie ist so offensichtlich, dass Gefahr droht, man könne es nicht bemerken. Deshalb formuliere ich es ausdrücklich als ersten Punkt:
1. Es gab eine ausführliche, weitgehend korrekte, informative Berichterstattung mehrerer – bürgerlicher und nationalsozialistischer – Zeitungen am 3., 4. und 5. Mai 1934 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Weite Teile der lesenden Bevölkerung Deutschlands hatten somit Zugang zu dem Wissen, wer (ungefähr) zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehörte und dass Hans Frank und Alfred Rosenberg »weltanschauliche« Eröffnungsreden hielten, die deutlich machten, dass in diesem Ausschuss eine nationalsozialistische Rechtsphilosophie entwickelt werden sollte, in denen die Begriffe „Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus“ zentral sein sollten.
2. Bezüglich der Mitglieder war die Zeitungsberichterstattung weitgehend korrekt, wenn auch nicht immer klar wurde, wer Mitglied und wer vielleicht nur Gast gewesen ist. Mit Blick auf die zwölf Personen, die nachweislich noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind, war für die Zeitungsleser des Mais 1934 nur unklar, ob mit „Staatsrat Schmidt“ Staatsrat Professor Carl Schmitt oder Geheimrat Professor Richard Schmidt (1862 – 1944) gemeint gewesen ist.
Folgende Tabelle hilft hoffentlich, eine Übersicht über die Mitgliederinformationen zu erhalten. Die Datumsangaben bezeichnen den Zeitpunkt der Erstellung der Information. Die Quelle, die ich in der Spalte „Franks Handbuch“ auswerte, werde ich in Abschnitt 6 vorstellen.
Akte Emges, fol. 35 + 37; Mai 34 | Frankfurter Zeitung 4.5.34 | Völkischer Beobachter 5.5.34 | All. Thüringische Landeszeitung Dt. 4.5.34 | Protokoll Emges fol. 127 f. ≤ 12.6.34 | Franks Handbuch „Mitglieder“ ≥ 13.6. + ≤ 25.6.34 | BArch R 61/30, 171 (> 17.7.1941-Jan. 1943) | |
Hans Frank | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja |
C. A. Emge | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja |
Rosenberg | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja |
Helmut Nicolai | Ja | Ja | Nein | Ja | Ja[210] | Ja | Nein |
Carl Schmitt | Ja | Schmidt | Nein | Schmidt | Ja | Ja | Ja |
W. Kisch | ergänzt | Ja | Nein | Ja | Ja | Nein | Ja |
Heidegger | Ja | Ja | Heidecker | Ja | Ja | Ja | Ja |
E. Rothacker | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja |
R. Stammler | Ja | Ja | Ja | Nein | Ja | Ja | Nein |
Julius Binder | Ja | Ja | Nein | Nein | Ja | Ja | Nein |
E. Heymann | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja |
Erich Jung | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja |
Viktor Bruns | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Nein | Ja |
Hans Freyer | Ja | Ja | Dreyer | Ja | Ja | Ja | Ja |
von Uexküll | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Nein | Nein |
H. Naumann | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Nein |
Max Mikorey | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja[211] | Ja |
Luetgebrune | ergänzt | Nein | Ja | Nein | Ja | Nein | Nein |
R. Buttmann | ergänzt | Nein | Nein | Nein | Nein | Ja | Nein |
Ernst Krieck | ergänzt | Nein | Nein | Nein | Nein | Nein | Nein |
Otto Weber | Nein | Nein | Ja | Gast | Nein | Nein | Nein |
Rasse-Günther | Nein | Nein | Ja | Nein | Nein | Nein | Nein |
W. Heuber | Nein | Nein | Ja | Nein | Nein | Nein | Nein |
Karl Lasch | Nein | Nein | Ja | Nein | Nein | Nein | Nein |
W. v. Blomberg | Nein | Nein | Nein | Nein | Nein | Ja | Nein |
Curt Liebmann | Nein | Nein | Nein | Nein | Nein | Jein (Vrtr.) | Nein |
Einige Leser wurden auch darüber informiert, dass Walter Luetgebrune und Rasse-Günther anwesend waren, als der Ausschuss für Rechtsphilosophie konstituiert wurde. Luetgebrune und Rasse-Günther waren damals deutlich bekannter als heute. Die Nennung ihrer Namen hat vielen Leser zusätzlich deutlich gemacht, dass es sich um einen nationalsozialistischen und rassistischen Ausschuss für Rechtsphilosophie handelte.
3. Im Völkischen Beobachter vom 4. Mai 1934 wird die Rede von Rosenberg am ausführlichsten wiedergegeben. Alfred Rosenbergs Zustimmung zur Forderung von Nietzsche nach einer Partei des Lebens war Anlass für einen Exkurs zur „Höherzüchtung der Menschheit“ und zu Himmlers „Lebensborn e.V.“. Ich zitiere Rosenbergs Bezugnahme auf Nietzsches „Partei des Lebens“ erneut:
[19] Entgegen der ganzen blutleeren Schulwissenschaft forderte Nietzsche „die Partei des Lebens“ und damit die Unterstützung alles dessen, was dieses Leben läutert und stärkt.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
4. Den Leser des Völkischen Beobachters und den Leser der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland wurde der Eindruck vermittelt, sie würden die Rede Hans Franks vollständig lesen. Die Langversion des VB ist aber deutlich länger als die der Thüringischen Landeszeitung. Trotzdem gibt die Thüringischen Landeszeitung Verlautbarungen Hans Franks wieder, die im VB nicht zu finden sind:
Nur in der Version der Rede Hans Franks, die in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland veröffentlicht wurde, behauptet Hans Frank, dass Hitler die „letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschentums“ sei, nur hier schreibt er »dem ewigen Gott« das Attribut der Deutschheit zu und nur hier wird als das Ziel der nationalsozialistischen Rechtsphilosophie »der Richterkönig« verkündet. Das zitiere ich deswegen erneut:
[6] […] In diesem Sinne bitte ich, dass der Ausschuss als ein Kampfausschuss des Nationalsozialismus sich konstituiert, der betont, daß die nationalsozialistische Revolution schon um deswillen nicht bagatellisiert werden kann, weil der Nationalsozialismus in Adolf Hitler einen Mann und einen Schöpfer besitzt, der auch in dem geistigen Bereich des deutschen Lebens und der deutschen Lebensentwicklung die letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschentums überhaupt bedeutet, noch einmal mit dem Schicksal fertig zu werden.
[7] […] Wir sind frei vom Konfessionalismus irgendwelcher Art und wir halten doch treu zu dem ewigen Gott, der das Schicksal der Völker in seinen Händen trägt. Wenn man so Großes plant, wie unsere schöpferische Zeit, dann müssen wir auch die Demut vor diesem ewigen Gott in uns tragen, und wir, die wir diese Bewegung von ihren ersten Anfängen an miterlebt haben, wir sind in diesem Glauben an den ewigen deutschen Gott immer wieder bestärkt worden, sonst hätten wir diesen Kampf nicht bestanden. Wir werden auch daran zu denken haben, daß unsere Arbeit nicht nur dienen soll der Gesetzgebung, sondern daß sie vor allem schaffen soll den neuen Typ des deutschen Juristen. Wenn es schon Priester gibt, dann soll es auch Priester der deutschen Weltanschauung geben. Unser Ziel: der Richterkönig der deutschen Kämpfer am Recht, das deutsche Recht und die Vereinigung von deutscher Rechtsseele und deutscher Volksseele.●
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 2
Dass diese Formulierungen einer Selbst- oder Fremdzensur zum Opfer fielen, lässt sich leicht erklären: Wie sollte mit dem faschistischen Italien ein – vorübergehendes – Bündnis geschlossen werden, wenn öffentlich bekannt gegeben wurde, dass die akademischen Nationalsozialisten glaubten, der ewige Gott sei ein Deutscher? Und wie sollte 1934 einer »Massenpartei« wie der NSDAP schmackhaft gemacht werden, dass sie sich selbst – in näherer oder fernerer Zukunft – zu Gunsten einer ewigen Erbmonarchie deutscher Richterkönige abschaffen sollte? Und wie sollte 1934 ggf. den akademischen Nationalsozialisten der AfDR schmackhaft gemacht werden, dass womöglich »der Führer« Stammvater dieser ewigen, neuen Erblinie von deutschen Richterkönigen sein sollte?
Gerade weil diese Verlautbarungen Hans Frank – »der ewige deutsche Gott«, »Hitler, die letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschtums« und »die Krönung eines ewigen deutschen Richterkönigtums« – taktische Schwierigkeiten bewirken mussten, Hans Frank sie aber trotzdem äußerte, sind sie hilfreich, das strategische Ziel des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu identifizieren. Klug war es aber, dieses Ziel 1934 nicht öffentlich bekannt zu geben. Und falls der Ausschuss für Rechtsphilosophie keine tagestauglichen Ergebnisse produzieren konnte, wäre es klüger, seine Existenz in Vergessenheit geraten zu lassen. Das ist dann auch gemacht worden.
Es gibt eine weitere Veröffentlichung der Langversionen der Reden von Hans Frank und Alfred Rosenberg. Und zwar sind sie in Heft 10 vom 25. Mai 1934 der Zeitschrift „Deutsches Recht. Zentral-Organ des Bundes Nationalsozialistischer Juristen“ abgedruckt worden. Führer des BNSDJ und Herausgeber der Zeitschrift war Hans Frank. In dieser Veröffentlichung kommen die Äußerungen von Hans Frank über den »ewigen deutschen Gott«, von »Hitler, die letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschtums« und dem »Richterkönig« ebenfalls nicht vor. Das bestätigt meine Erklärung, dass erkannt worden ist, dass diese »konfessionellen Bekenntnisse« des Vorsitzenden des Ausschuss für Rechtsphilosophie nichts für die Öffentlichkeit des Jahres 1934 waren.
5. Nur in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland und in der Weimarischen Zeitung wird berichtet, dass es eine dritte Rede gab. Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Professor Carl August Emge, hielt sie. In ihr skizzierte Emge neun Unterausschüsse, die innerhalb des Ausschusses für Rechtsphilosophie gebildet werden sollten.
6. Durch die Langversionen der Reden von Alfred Rosenberg und Hans Frank und der Wiedergabe der Rede Professor Emges existierte eine öffentlich zugängliche und ausführliche Darstellung dessen, was der Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR inhaltlich wie leisten sollte.
7. In den Fachzeitschriften der NS-Bewegung („Deutsches Recht“) und des NS-Staates („Deutsches Justiz“) ist ebenfalls über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie berichtet worden. Und zwar am 10. Mai („Deutsches Recht“) und am 11. Mai 1934 („Deutsche Justiz“). Es werden Auszüge aus den Reden von Hans Frank und Alfred Rosenberg wiedergegeben. Die Wiedergaben enthalten keine neue Information. Wichtig ist, was in diesen Berichterstattungen über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie nicht mitgeteilt wird:
Die Leser dieser beiden nationalsozialistischen Fachorgane erfahren am 10. bzw. 11. Mai 1934 nicht mehr, wer Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Die Leser erfuhren nicht einmal, dass Hans Frank Ausschussvorsitzender und Rosenberg Mitglied des Ausschusses gewesen sind. Sie erfuhren nur, dass die beiden Reden anlässlich der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai im Nietzsche-Archiv in Weimar gehalten worden sind.
Ich stelle in den nächsten beiden Abschnitten zwei weitere zeitgenössische Bezugnahmen auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie vor, die vermutlich für die Ewigkeit gedacht waren. Das ist zum einen das „Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung“, dessen Herausgeber Hans Frank war und das seine Imprimatur von der NSDAP am 15. Dezember 1934 erhielt (Abschnitt 5). Die Bezugnahmen auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie sind quantitativ und qualitativ weder auffällig ausführlich noch auffällig sparsam. Im dem Nachschlagewerk „Das Deutsche Führerlexikon 1934/35“ wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie nur ein einziges Mal erwähnt. Emge erwähnt, dass er stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie sei. Das ist auffällig sparsam (Abschnitt 6).
Vorab noch der Exkurs, für den Hans Franks Rede von einem »ewigen deutschen Gott« den Anlass geboten hat.
4.9. Exkurs: Siegfried Blaas „Der Rassengedanke“ von 1940
Anlass für diesen Exkurs ist ein Absatz, der in der Allgemeinen Thüringischer Landeszeitung Deutschland am 4. Mai 1934 als Wiedergabe aus der Rede von Hans Frank abgedruckt worden ist. Ich zitiere diesen Absatz erneut:
[13] Ein weiteres Fundament ist die Disziplin des deutschen Volkes in dem großen Sinne des soldatischen Erlebnisses unserer Nation. Wir werden mit dem Liberalismus, dem Marxismus und den anderen Niedermächten nicht fertig werden, wenn es geduldet werden könnte, daß irgendwo in dem weiten Volksbereich immer wieder die Zersetzungskeime sich ansetzen. Hier wird der beste Begriff der Verteidigung der Sturmangriff auf die Bastionen unserer geistigen Gegner sein. Und sie sollen es spüren, daß wir siegen werden im Kampfe um die geistige Erneuerung des deutschen Volkes. Als weiteres Fundament der Weltanschauung werden wir den großen deutschen Glauben haben. Wir sind frei vom Konfessionalismus irgendwelcher Art und wir halten doch treu zu dem ewigen Gott, der das Schicksal der Völker in seinen Händen trägt. Wenn man so Großes plant, wie unsere schöpferische Zeit, dann müssen wir auch die Demut vor diesem ewigen Gott in uns tragen, und wir, die wir diese Bewegung von ihren ersten Anfängen an miterlebt haben, wir sind in diesem Glauben an den ewigen deutschen Gott immer wieder bestärkt worden, sonst hätten wir diesen Kampf nicht bestanden. Wir werden auch daran zu denken haben, daß unsere Arbeit nicht nur dienen soll der Gesetzgebung, sondern daß sie vor allem schaffen soll den neuen Typ des deutschen Juristen. Wenn es schon Priester gibt, dann soll es auch Priester der deutschen Weltanschauung geben. Unser Ziel: der Richterkönig der deutschen Kämpfer am Recht, das deutsche Recht und die Vereinigung von deutscher Rechtsseele und deutscher Volksseele.●
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 2
Nimmt man Hans Franks Zielbestimmung ernst, und ich kenne keinen Grund, sie nicht ernst zu nehmen, dann plante der akademische Nationalsozialismus die Schöpfung einer neuen Dynastie, einer Dynastie eines neuen Typs deutscher Juristen geführt von einem Richterkönig.
Auch sollte man Hans Franks Anbetung eines „ewigen deutschen Gottes“ ernst nehmen. Wenige Jahre nach seiner Rede werden SS-Anwärter auf den Personalbögen der SS im Kästchen „Religion“ gerne handschriftlich „deutsch-gläubig“ eintragen. Auf späteren Personalbögen ist dann durch Vordruck diese Option bereits als ein Normalfall anerkannt, ja vorgegeben worden.
Erich Jung und Erich Rothacker werden für Degeners „Wer ist’s?“ (1935) angeben, sie seien von der „evangelischen“ zur „arischen“ Konfession gewechselt. Hans Frank wird dort mitteilen, er sei von der „altkatholischen“ zu „arischen Konfession“ gewechselt (siehe Abschnitt 6.2.).
1940 erschien ein Buch mit dem Titel „Der Rassegedanke. Seine biologische und philosophische Grundlegung“ im einflussreichen Berliner Verlag Junker und Dünnhaupt. Als Verfasser wird Siegfried Blaas genannt.[212]
Carolina Pertoll hat die Krypotonachlässe der österreichische Schriftstellerin Erna Blaas (1895-1990) ausgewertet und die Ergebnisse in ihrer Wiener Diplomarbeit veröffentlicht. Das Buch „Der Rassegedanke“ von 1940 ist sehr wahrscheinlich eine überarbeitete Fassung der Grazer Dissertation ihres Sohnes:
Erna Blaas’ Sohn Siegfried Blaas verfasste darüber hinaus in den frühen 1930er Jahren eine Dissertation mit dem Titel Der Rassegedanke, seine biologische und philosophische Grundlegung, die scheinbar erste nationalsozialistische der Universität Graz, betreut von einem Professor, der sich nach dem ‚Anschluss Österreichs‘ als illegaler S.A.-Mann entpuppte. (Vgl. E.B. an Cäcilie Schrems, 14.5.1938; NL E.B. u. vgl. Universitätsbibliothek Graz an E.B., 30.4.1959; NL E.B.)
Ich weiß nicht, wer dieser Professor war, der sich nach dem »Anschluss Österreichs« als illegaler S.A.-Mann entpuppte.
Bei der Erstellung der Arbeit stand Siegfried Blaas im regen Austausch mit seinem Onkel Richard über die scheinbar wissenschaftliche Annäherung an die nationalsozialistische Rassentheorie. (Vgl. etwa Richard Schrems an Siegfried Blaas, 7.1.1930, 19.5.1937, 9.11.1937 u. 9.2.1938; NL E.B.) Nicht zuletzt war Blaas’ Sohn Bruno bereits vor der Herrschaftserweiterung Hitlers im März 1938 Mitglied der Hitler-Jugend. […]
(Pertoll 2014), S. 91, Fußnote 533
Die Quellenangaben beziehen sich auf Dokumente der Kryptonachlässen von Leo, Josef, Erich, Erika und Siegfried Blaas, die in der Diplomarbeit von Pertoll ausgewertet werden.
Ich zweifle daran, dass der Sohn von Erna Blaas den Text „Der Rassegedanke“ selbständig verfasst hat, da er erst 1934[213] in Salzburg am dortigen Akademischen Gymnasium Abitur gemacht hat[214] und der Text für einen so jungen Mann in einem zu gelehrten Tonfall verfasst ist.
Folgt man dem Hinweis von Pertoll, wäre Richard Schrems, ein Bruder von Erna Blaas, der wahre Urheber dieses Textes. Bislang konnte ich aber noch nicht ermitteln, dass Richard Schrems über die erforderliche akademische Bildung verfügte, diesen Text zu verfassen.
Neben biologischem Fachwissen mittlerer Qualität brauchte es vor allem profunde Kenntnisse der Philosophie, insbesondere der Philosophie Martin Heideggers und seines Textes „Was ist Metaphysik?“. 1940 existierten drei Auflagen dieses Textes von Martin Heidegger. Die Erstauflage war 1929, die zweite 1930 und die dritte 1931 erschienen.
Im Buch „Der Rassegedanke“ wird auf Seite 124 erstmalig auf diesen Text Heideggers Bezug genommen:
Hier ist der Ort, auf Martin Heideggers17) große und fast religiöse Offenbarung zu hören: sie hat die letzte überhaupt mögliche Aussage gewagt – eine Aussage, die das verschüttete urarische Grundmotiv in reinster, abstraktester Form vor das deutsche Zeitgewissenstellt – wie „Licht“ und „Finsternis“ – so: Sein und Nichts.
17) Vgl. die tiefsinnige Antrittsvorlesung: „Was ist Metaphysik?“
Indem nämlich, so lehrt Heidegger, das Seiende im Ganzen sich selbst setzt, wird – nicht, weil das Denken es fordert, sondern aus einer metaphysischen Notwendigkeit heraus, die ihrerseits erst jede Verneinung im Denken möglich macht – die Negation des Seienden mitgesetzt.
Dieser im Grunde Fichtesche Gedanke ist nur deshalb so bemerkenswert, weil er sich im Gegensatz zu allem Früheren dieser Art auf den höchsten kategorialen Gegensatz bezieht, der überhaupt möglich ist. Die scheinbare Paradoxie jedoch, welche in einer Lehre vom „Nichts“ als einem gleichsam – aber eben nur gleichsam – Seienden gelegen ist, hat Heidegger in vollem Bewußtsein der Logik gegenüber auf sich genommen, um den noch höheren Anforderungen metaphysischen Denkens gerecht zu werden. Seine Lehre ist keineswegs ein leeres Wortspiel, sie ist vielmehr beladen mit Weltgehalt. Sie enthält den einzigen echten Dualismus, von dem jeder andere nur abgeleitet ist, und übrigens zugleich auch den einzigen echten Monismus, da sie als „seiend“ ja in der Tat nur eines anerkennt. Ihr „Nichts“ ist | S. 125 wirklich „nichts“, es ist kein zweites Sein neben dem ersten, und „ist“ in einer eigentümlich schwebenden Art von „Seinsweise“ doch. Dieser – wie wir sagen könnten – „monistische Dualismus“, überaus selten rein erfaßt, ist als abstrakte Weltidee eine Grundeingebung des arischen Geistes und darum Unterbau fast aller großen Religionen und Philosophien, die wir als „nordisch“ anzusprechen haben. Die Gegenüberstellung von „Licht“ und „Finsternis“, ja sogar von „Geist“ und „Materie“ als ontologischer Prinzipien besagen letzten Endes nichts anderes als Heideggers Begriffspaar und ist in Wahrheit von den großen Denkern immer so erlebt worden.
(Blaas 1940), S. 124 f.
Nach dieser Darstellung der „urarischen Weltidee“ im Metaphysischen folgt eine Skizze ihrer Erscheinung in der Philosophiegeschichte. Darauf folgt eine Skizze ihrer Erscheinung in den neuesten Gestalten ihrer dichterischen Erfassung. Dabei wird auch Hans Carossas Dichtung erwähnt. Die 5. Auflage des Textes „Was ist Metaphysik?“ wird Heidegger 1949 Hans Carossa zu dessen 70. Geburtstag widmen. Ich zitiere Blass:
Wir begegnen der urarischen Weltidee durchaus nicht so selten auch in unserer Zeit, so bei Oswald Spengler, dessen leider gänzlich verfahrene Kulturphilosophie im Einzelnen doch viel Tiefsinn und echtestes arisches Erleben verrät; so wenn er von der „Weltsehnsucht“ seiner „Kulturpsychen“, die ihm metaphysische Wesenheiten sind, und wenn er von deren „Weltangst“ spricht und diese beiden Urerlebnisse symbolhaft mit „Zeit“ und „Raum“ in Beziehung setzt. Ganz wunderbar aber hat Rilke den Urgedanken aller arischen Metaphysik in seinem „Stundenbuch“ zum Ausdruck gebracht:
„Gott, wie begreif ich deine Stunde,
als du, daß sie im Raum sich runde,
die Stimme vor dich hingestellt;
dir war das Nichts wie eine Wunde,
da kühltest du sie mit der Welt.
Jetzt heilt es leise unter uns.
Denn die Vergangenheiten tranken
die vielen Fieber aus dem Kranken,
wir fühlen schon in sanftem Schwanken
den ruhigen Puls des Hintergrunds.
Wir liegen lindernd auf dem Nichts,
und wir verhüllen alle Risse;
du aber wächst ins Ungewisse
im Schatten deines Angesichts.“| S. 129
Auch die zeitnahe Dichtung Hans Carossas19) umschließt unfehlbar ihr „Lichtgeheimnis“ und Josef Weinheber20) steht „zwischen Göttern und Dämonen“ mit derselben wissenden Grundhaltung. –
19) Siehe Ernst Bertrams Aufsatz in „Das innere Reich“, Jg. 1937
20) Bei Langen-Müller, München.
(Blaas 1940), S, 128 f.
Kurz: Ich vermute, dass letztlich nicht jener Richard Schrems, der der Bruder der Mutter von Siegfried Blaas gewesen ist, sondern Martin Heidegger persönlich geistiger Urheber großer Teile des Textes „Der Rassegedanke“ (1940) gewesen ist.
Neben dem Zitierten sprechen dafür weitere Gründe:
1. Heidegger und Erna Blaas kannten einander,
2. sie veröffentlichten beide nach 1933 in der Zeitschrift Das Innere Reich,
3. sie könnten miteinander verwandt gewesen sein (ich habe eine Todesanzeige einer „Anna Blaas, geboren Heidegger“ (1848-1876), Bäckermeisterin in Obermais (Südtirol) gefunden, die eine gemeinsame Verwandte von Erna Blaas und Martin Heidegger sein könnte[215],
Abbildung 12: Todesanzeige Anna Blaas, geborene Heidegger (1848-1876)
4. im Sommer 1938 hatte Heidegger ein Forschungsfreisemester, von dem meines Wissens nicht mehr gewusst wird, wozu er es nutzte[216],
5. der Text „Der Rassegedanke“ (1940) erschien in einer sehr renommierten Reihe des akademischen Nationalsozialismus, die von Franz Alfred Six herausgegeben wurde, und vor allem
6. der Text „Der Rassegedanke“(1940) wurde mehrfach über mehrere Jahre von führenden NS-Rassisten rezensiert. Und zwar von Prof. Dr. Johann von Leers (1902-1965)[217], Kurt Hildebrandt (1881-1866)[218] und von Lothar Stengel-v. Rutkowski. Die Rezension von Stengel-v. Rutkowski erschien noch 1944 in Alfred Rosenbergs Nationalsozialistischen Monatsheften[219].
7. Siegfried Blaas, der vermeintliche oder tatsächliche »Held dieses wissenschaftlichen Erfassens des Rassegedankens«, war laut Pertoll an der Ostfront stationiert und gilt seit 1945 als vermisst.[220] Auch das spricht selbstverständlich gegen seine Autorschaft. Hervorragende Nachwuchswissenschaftler wurden von den akademischen Nationalsozialisten nicht an der Ostfront verheizt. Zeugen dubioser Machenschaften akademischer Nationalsozialisten schon eher, vielleicht sogar regelmäßig.
In Teil III werde ich den Inhalt des Textes „Der Rassegedanke“ ausführlich kommentieren. Wer immer sein geistiger Urheber war, der Text selbst ist sicherlich eine wichtige Erscheinung des Rassismus des akademischen Nationalsozialismus. Als Zusatzbeleg aus dem seltenen Text zitiere ich bereits hier die letzten beiden Absätze des kurzen Vorwortes:
[3] Oft – und fast in allen europäischen Kriegen der Gegenwart – ist freilich „Feind“ und „Angreifer“ nicht mehr dasselbe. Einer Staatsführung mit rassenkundlicher Einsicht bleibt dies auch keinesfalls verborgen und so nimmt Deutschland unter Adolf Hitler den Kampf gegen Polen und England nicht auf, ohne dahinter seines ärgsten – schon metaphysischen – Widersachers gegenwärtig zu sein.
[4] Mann gegen Mann vollzieht sich nun die Auseinandersetzung, die letzten Endes eine solche zwischen der arischen Artidee ist und ihrem unversöhnlichen Widerpart: der jüdischen Rasse. In der vorliegenden Arbeit soll derselbe Kampf noch einmal auf der theoretischen Ebene ausgefochten sein. Der Verfasser hofft, neben der rassenkundlichen Erkenntnis auch die Gewißheit zu vermitteln, daß unser Ringen um die Wahrheit schon ein Anfang des künftigen Sieges war.
Salzburg, am 15. September 1939●
Siegfried Blaas
(Blaas 1940), Vorwort
5. Nationalsozialistisches Handbuch-Wissen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie: Juni 1934
Adlberger (2007) und Tilitzki (2003) haben vor mir auf die Primärquelle, die ich in diesem Abschnitt auswerte, Bezug genommen.
Susanne Adlberger (2007) hat in einer Fußnote auf eine Nennung von Mitgliedern des Ausschusses durch Emge hingewiesen. Kisch werde nicht mehr erwähnt. Deswegen vermutete sie, dass Wilhelm Kisch nur kurzfristig Mitglied des Ausschusses gewesen sei.
Tilitzki hat 2003 fast alle Namen, die Emge. seinen Lesern mitgeteilt. Nur Max Mikorey wird von Tilitzki (2003) nicht erwähnt. Deswegen gebührt Tilitzki die Ehre, als erster wissenschaftlich korrekt nachgewiesen zu haben, dass Carl Schmitt bereits vor 1935 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Anderson (1982/87) hatte zuvor nur unbestimmt von „Mitte der 30-er Jahre“ als Zeitraum einer gemeinsamen Mitgliedschaft von Schmitt und Heidegger gesprochen.
In diesem kurzen Abschnitt präsentiere ich Emges Text (5.2.) unter einer ersten Berücksichtigung seines Veröffentlichungskontextes. In derselben Publikation findet sich auch eine Vorstellung der Ausschüsse der AfDR. Auch der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird vorgestellt. Wie ich noch zeigen werde, gilt das für spätere Publikationen nicht mehr: Über andere Ausschüsse der AfDR wird weiterhin häufig öffentlich berichtet. Aber nicht mehr über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Wegen des Seltenheitswerts berücksichtige ich auch diese zweite Bezugnahme im Handbuch auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie (5.3.). Zuvor stelle ich kurz das Handbuch Publikation vor (5.1.).
5.1. Dr. Hans Franks »Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung«
Emges Vorstellung des Ausschusses für Rechtsphilosophie findet sich in einem nazi-braunen, sehr dicken und deswegen sehr gewichtigen Buch mit dem Titel „Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung“, dessen Herausgeber Hans Frank war. Dieses Handbuch erhielt seine Imprimatur vom „Vorsitzenden der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS.-Schrifttums“ Philipp Bouhler (1899-1945) am 15. Dezember 1934. Sein redaktioneller Teil ist deswegen vor dem 15. Dezember 1934 fertig gestellt worden.
Der Hauptteil des Handbuchs beginnt mit der Rubrik „Nationalsozialistische Grundideen über Recht und Staat“, in der sechs Texte zusammengefasst sind. Im vierten dieser Texte findet sich Emges Charakterisierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
Der ersten Text dieser Rubrik trägt den Titel „Der Rechtsstaat“ (S. 3-10) und ist von Carl Schmitt verfasst worden. Im Text gibt es einen Abschnitt „Rechtsstaat als rechtsphilosophischer Begriff“ (S. 5 f.). In diesem Abschnitt kontrastiert Carl Schmitt Kant als Philosophen des liberalen Rechtsstaates, der keinen Krieg führen könne, mit Hegel, Lorenz von Stein und Otto Gierke, die einen Staatsbegriff verträten, der eine Kriegführung erlaube. Die Darstellung ist sachlich schlecht, da auch Kant ein „Recht zum Kriege“ für Staaten kennt.[221]
Der zweite Text „Rasse und Recht“ (S. 11-16) ist von Achim Gercke, dem Sachverständigen für Rasseforschung des Reichinnenministeriums, verfasst worden. Gercke hielt auch auf der „Arbeitstagung vom 26. Mai 1934“ der AfDR einen rassistischen Vortrag. Diesen Vortrag thematisiere ich ausführlich in meinem Abschnitt 7.10.3.
Der dritte Text „Volk, Rasse und Staat“ (S. 17-28) ist von einem eher unbekannte Herbert Kier[222] verfasst worden.
Der vierte Text, in dem Emges den Ausschuss für Rechtsphilosophie beiläufig erwähnt, trägt den Titel „Deutsche Rechtsphilosophie“ (S. 29-70). Er ist von zwei Autoren verfasst worden. Die vergleichsweise kurze Einleitung ist von Carl August Emge (Vorwort, S. 29-32) und der lange Hauptteil (S. 32-70) von Erich Jung verfasst worden.[223]
Im Handbuch wird mindestens zweimal ausdrücklich auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie Bezug genommen. Einmal tut das Emge in den einleitenden Partien des Beitrages „Deutsche Rechtsphilosophie“ (4.2.). Das andere Mal tut das Karl Lasch in seiner Darstellung der Akademie für deutsches Recht als einem der vier Organe der nationalsozialistischen Rechtsreform (4.3.).
5.2. C. A. Emges Kurzbericht über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Emges Nennung der Mitglieder des Ausschuss für Rechtsphilosophie ist eingebettet in sein Vorwort des Handbuchartikels „Deutsche Rechtsphilosophie“.[224] Der Großteil des Textes hat Erich Jung verfasst. Falls ich diesen Text Erich Jungs vorstelle, werde ich das in Teil III tun.
Emges Vorwort ist durch römische Ziffern in Abschnitte eingeteilt. Abschnitt 5 zieht angeblich die Konsequenz aus den ersten vier Abschnitten. Ich beginne deswegen mit Abschnitt 5. Ich könnte den Abschnitt interpretieren. Werde das vielleicht auch in meinem Teil III tun. Hier genügt es, dass meine Leser einen authentischen Eindruck von Emges Vorwort erhalten.
V.
Das Problem einer „deutschen“, d.h. nationalen Rechtsphilosophie ließe sich also in folgende Fragen scharf fassen:
A. Rechtsphilosophie im objektiven Sinne des rationalen Koordinatensystems für jede mögliche Rechtserfahrung:
1. Was ist das Eigentümliche, welches das „deutsche Wesen“ bisher jener objektiven Sphäre zugeführt hat?
Man denke an die Entdeckung wichtiger Unterscheidungen, die als „allgemein gültig“ in den allgemeinen Teil aller Rechtssysteme eingegangen sind und als typisch deutsche Funde zu betrachten sind.
2. Wie läßt sich deutsche Wesensart „hegen“, so daß der Anteil deutschen Wesens an Beiträgen für jene objektive Sphäre gesteigert wird? An den Beiträgen zu solcher objektiven Sphäre mißt sich ja notwendig die „Höhe der Kultur eines Volkes“. Insofern dient also der schöpferische Denker stets seinem Volke, und zwar auf die ihm gemäße Art.
B. Rechtsphilosophie im subjektiven Sinne radikaler Gedankenbewegung:
1. Was ist das Eigentümliche, wodurch sich jene philosophische Gedankenbewegung gerade als deutsch ausweist?
Es ist gewiß, daß einerseits eine Tendenz zum „Sachlichen“ („Sache selbst“, „Rechtfertigung“), andererseits ein nicht um seiner negativen, sondern um der durch jene vorbereiteten positiven Momente willen vorhandener „Radikalismus“ („Tiefe“, „Unbefriedigtsein an bloß Tradiertem“) hier wie auf anderen Gebieten charakteristisch ist.
2. Inwieweit erfüllt jenes radikale Nachdenken über das Recht eine Funktion im Ganzen, ist es „belangvoll aktuell“? Inwieweit ist es Ausdruck deutscher Wesensart, Kritik, Anregungsmoment, realschöpferisch als Anstoß für positives Recht?
(C. A. Emge, Vorwort: Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie 1935), S. 31
Es kann helfen, diesen Abschnitt Emges gelesen zu haben, wenn man Heideggers Manuskript für sein Seminar des Wintersemesters über Hegels Rechtsphilosophie interpretieren möchte.[225] Beide Texte sind ungefähr gleichzeitig entstanden. Beide Autoren arbeiteten nachgewiesenermaßen vom Mai 1934 an zusammen im Ausschuss für Rechtsphilosophie. – Die vorangegangenen Abschnitte Emges sind übrigens ungefähr genau so lang wie der der soeben zitierte Abschnitt V.
Ich zitiere nun den sechsten Abschnitt:
VI.
Man sieht, daß Thema „deutsche Rechtsphilosophie“ ungeheure Vorarbeiten fordert, die z. B. erst in Anfängen vorliegen und deren Fortführung von den typischen Bedingungen wissenschaftlicher Arbeit und Einfühlung in konkret Angehendes abhängen:
1. Arbeiten über das Wesen des deutschen Urphänomens, das sich im Ein- und Ausatmen des durch die Geschichte gebotenen Stoffs doch stets als dasselbe erweist.
2. Arbeiten über die Verträglichkeit oder Unverträglichkeit von Aufgenommenem („Fremden“) und Ausgestoßenem für die sinnvolle Entfaltung des deutschen Urphänomens.
(C. A. Emge, Vorwort: Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie 1935), S. 31
Auch Hans Frank bezieht sich in seiner Rede zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 auf Goethes Urphänomen. Ich vermute, dass eher Emge Frank und nicht Frank Emge »angeregt« hat[226]. Ich zitiere weiter:
3. Aufbau eines sich stetig entwickelnden rationalen Koordinatensystems von (logischer!) Weltgeltung für jedes positive Recht. Erst hierdurch erlangte vergleichende Rechtswissenschaft ihre wissenschaftliche Sicherung.
(C. A. Emge, Vorwort: Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie 1935), S. 31
Hans Franks geschichtsphilosophische Auskunft in seiner Rede vom 3. Mai 1934, dass dem deutschen Volk „eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt unter Adolf Hitler“ übertragen worden sei, ist wegen Emges Streben nach „Weltgeltung für jedes positive Recht“ nicht als bloßer rhetorischer Überschwang abzutun. – Für Hegel-Kenner offensichtlich, plante Emge einen nationalsozialistischen Ersatz für Hegels „Wissenschaft der Logik“ zu schaffen, der die Grundlage für einen braunen Logos der Welt, einen brauner Weltgeist abgeben sollte. Das ist Emge nicht gelungen. Und auch sonst niemandem. – Emges Hinweis auf die vergleichende Rechtswissenschaft ist eine Positionsbestimmung für den vergleichenden Rechtswissenschaftler Ernst Heymann im Ausschuss für Rechtsphilosophie.[227]
4. Untersuchungen über den Beteiligungsgrad des Nationalen an der sog. „objektiven“ Kultur („Wissenschaft“!)
5. Untersuchungen über die Bedeutung und Aktualität philosophischen, insbesondere rechtsphilosophischen Denkens für den sinnvollen Bestand eines nationalen Urphänomens überhaupt, insbesondere des deutschen metaphysischen Denkens (und „Denkers“!) für das Deutsche!
(C. A. Emge, Vorwort: Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie 1935), S. 31
Ich denke mir, dass Heidegger für den Einschub „(und Denkers!)“ verantwortlich gewesen ist.
Nun zum nächsten Abschnitt des stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für Rechtsphilosophie. In ihm stellt Emge den Lesern des „Nationalsozialistischen Handbuchs für Recht und Gesetzgebung« den Ausschuss für Rechtsphilosophie kurz vor. Die
VII.
Deutsche Geisteswissenschaft, Geschichte, apriorische Soziologie und Rechtssystematik, vergleichende Rechtswissenschaft, Soziologie und Völkerpsychologie, Rassen- | S. 32 theorie, Kulturphilosophie und Geschichtsphilosophie und viele andere Disziplinen müßten zusammenwirken, damit das hier gestellte Problem einmal eine dem deutschen Geiste würdige Förderung finden könnte. Es darf an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß für die Tiefe des Problems selbst in dem Nachlaß Nietzsches (große Oktavausgabe Bd. IX-XVI) ungeheures Material vorliegt, das noch immer der gründlichen wissenschaftlichen Bewertung und damit angemessener Aktualisierung harrt. Es ist daher ein bemerkenswertes Ereignis in der Geschichte dieser Bemühungen, daß der Reichsjustizkommissar des neuen Reichs, Minister Dr. Frank einen besonderen Ausschuss im Rahmen der Akademie für deutsches Recht ins Leben rief, welcher der Rechtsphilosophie gewidmet ist. Schon die ersten Fragen, die ihm Minister Frank vorlegte, zeigen die Gründlichkeit, die man von seiner Arbeit verlangt: „Was ist überhaupt das Recht?“ und „wie verhält sich der Deutsche zum Recht?“ Sie machten es nötig, daß Vorträge von Rothacker, Pinder, Naumann über das Thema „Problem der Erneuerung deutschen Geistes“ stattfandenalsbald anläßlich der Tagung der Akademie in München in Verbindung mit der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft Vorträge von Rothacker, Pinder, Naumann über das Thema „Problem der Erneuerung deutschen Geistes“ stattfanden. In Kürze wird der Ausschuss ein Referat über „soldatischen Geist“ im Auftrag des dem Ausschuß angehörigen Reichswehrministers Frhr. v. Blomberg durch seinen Vertreter Erz. Liebmann hören. Dem Ausschuß, dem Minister Frank persönlich vorsitzt und der Verfasser dieser Einleitung als sein geschäftsführender Vertreter, gehören Reichsminister von Blomberg, Reichsleiter Rosenberg, Ministerialdirektoren Dr. Buttmann und Nicolai, Staatsrat Prof. C. Schmitt, die Professoren Geh. Rat Stammler und Heymann, Bruno Binder, E. Jung, Heidegger, Rothacker, Freyer, H. Naumann und Dr. Mikorey an. Er ist also ebensosehr politisch wie wissenschaftlich ausgestaltet, ist nicht konventionell ein Gremium von Rechtsphilosophen, sondern ein solches für die genannten Aufgaben. Diese Aufgaben werden nach dem Willen von Minister Frank um so bedeutsamer werden, je mehr die Bewegung das ganze Volk erfaßt, je mehr also ihr Schwergewicht auf die juristisch-politische Seite fällt, so daß sich das sogen. „Weltanschauliche“ hier konkretisieren muß.
Emge
(C. A. Emge, Vorwort: Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie 1935), S. 31 f.
Im Abschnitt habe ich die Informationen unterstrichen, durch die der Zeitpunkt, zu dem dieser Text verfasst worden ist, ziemlich genau bestimmt werden kann. Ich zitiere dazu erneut aus dem Brief von Emge an Frank vom 13. Juni 1934, in dem Emge vorschlägt, dass die erste Jahrestagung der AfDR am 26. Juni 1934 in München zu einer „besonderen Veranstaltung des Ausschusses für Rechtsphilosophie“ genutzt werden könnte.
[…] Zwei Mitglieder des Ausschusses, Professor Rothacker in Bonn (Philosoph) und Professor Naumann in Bonn (Deutsche Literatur) wären bereit, in Verbindung mit Professor Mitteis[228] in München (Rechtshistoriker) vier kurze Referate zu halten unter dem Titel „Was ist deutsch?“ Die deutsche Notgemeinschaft würde sich dabei gern, auch mit einem Kostenbeitrag, beteiligen. […]. Diese Veranstaltung des Ausschusses für Rechtsphilosophie (etwa am 25. ds. Mts.), die natürlich dem weiteren Kreise der Akademie zugänglich wäre │ fol. 131 müßte dann rechtzeitig in das Programm aufgenommen werden.
Bei einem kurzen Aufenthalt, vorgestern in Berlin, bin ich zur Ueberzeugung [so im Original; mw] gekommen, daß es für die jetzige Situation wünschenswert wäre, wenn wir auch einen Vertreter des Reichswehrministeriums in unseren Ausschuß bekämen. Da der Nationalsozialismus im Sinne Nietzsches den militärischen Geist pflegt, ergäben sich dadurch wertvolle Möglichkeiten zu einer Zusammenarbeit. Sollte ich nichts gegenteiliges [so im Original; mw] hören, so werde ich mir erlauben, an das Reichswehrministerium, zu dem ich Beziehungen besitze, in Bälde heranzutreten.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 130 f.
Emges Beitrag im Handbuch kann demnach auf den kleinen Zeitraum zwischen dem 13. Juni 1934 und dem 25. Juni 1934 datiert werden.
Im dritten Heft des ersten Jahrgangs der Zeitschrift der AfDR wurde ausführlich über die erste Jahrestagung der AfDR berichtet.[229] Über eine Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie wurde nicht berichtet, obwohl über Sitzungen anderer Ausschüsse durchaus berichtet wurde. Hauptereignis der Tagung war eine Rede von Hans Frank am Abend des 25. Juni vor ausländischen Gästen, in der Hans Frank ausdrücklich anerkennt, dass „das römische Recht […] die Mutter der Rechtsentwicklung Europas“ und „eine der größten Kulturtaten des menschlichen Geistes und der arischen Rasse“ sei. Im Parteiprogramm der NSDAP vom Februar 1920 war noch ganz anders über das römische Recht geurteilt worden: „19. Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemein-Recht.“ Ich vermute, dass die klügeren Strategen des Ausschusses für Rechtsphilosophie entschieden hatten, dass eine Umsetzung von Emges Plan für eine öffentliche Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Verwirklichung des nationalsozialistischen Programms nicht zuträglich gewesen wäre. Da die Rede Hans Franks ganz interessant ist, berichte ich einem Exkurs über sie (5.4.).
Ich weiß nicht, ob der Reichswehrminister Werner von Blomberg (1878-1946) tatsächlich persönlich berufenes Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Da sein Name auf keiner Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie in der Akte Emges (GSA 72/1588) auftaucht, der Handbuchartikel Emges aber vor dem 25. Juni 1934 verfasst worden ist, vermute ich, dass Emges Behauptung Ausdruck eines Übereifers gewesen ist. Vermutlich hatte das Reichwehrministerium nur von der Entsendung eines Vertreters des Reichswehrministers gesprochen. Beim „Vertreter Erz. Liebmann“ handelt es sich um Curt Liebmann (1881-1960)[230]. Da von Blomberg zu den Gründungsmitgliedern der AfDR gehörte (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 1) und es einen Ausschuss für Wehrrecht in der AfDR gab, kann es aber auch sein, dass Werner von Blomberg Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Ich weiß auch nicht, ob Emges Behauptung, „Ministerialdirektor Dr. Buttmann“ (1885-1947) sei Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie, korrekt gewesen ist oder nicht. Der als Kunsthistoriker bekannte Wilhelm Pinder (1878-1947) veröffentlichte 1934 zwei Aufsätze im zweiten Jahrgang der Zeitschrift „Völkische Kultur. Monatsschrift für die gesamte geistige Bewegung des neuen Deutschlands“, die von Rudolf Buttmann und Wolfgang Nufer im Wilhelm Limpert Verlag Dresden herausgegeben wurde.[231] Der Jahrgang 1934 der Zeitschrift „Völkische Kultur“ wurde mit Huldigungen des im Dezember 1933 gestorbenen Stefan George eröffnet. Mittelalterliches ist in dieser Zeitschrift ubiquitär: überläse man das Rassistische könnte man meinen, eine katholische Zeitschrift vor sich zu haben. Hermann Glockner veröffentlicht hier. Kolbenheyer wird verehrt. Hölderlin wird bereits behandelt. Nietzsche sowieso. Grundsätzlich wird das Methodendogma des akademischen Nationalsozialismus befolgt, dass die Rassenseele am besten erkannt werden könne durch Auslegung der Kunstwerke einer Rasse. Martin Staemmler (1890-1974), ein Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP[232], darf in zwei Teilen „Einiges über rassenkundliches Schrifttum berichten“ (S. 464-470; S. 524-526).
Im relevanten Zeitraum gab es zwar einen „Dr. Bruno Binder“. Er war von 1925 bis 1945 Stadtarchivar der Stadt Frankfurt am Main.[233] Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass dieser Binder Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Julius Binder wird gemeint gewesen sein. Der Schreibfehler „Bruno Binder“ mag aber einen Hinweis auf Kontakte des Büros des Nietzsche-Archivs zum Stadtarchivar der Stadt Frankfurt geben.
Aus mir unbekannten Gründen erwähnt Emge nicht, dass Viktor Bruns und Wilhelm Kisch Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind. Auch erwähnt Emge nicht, dass SA-Gruppenführer und Justizrat Walter Luetgebrune Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Die große Oktavausgabe von Schriften Nietzsches, auf die Emge Bezug nimmt, erschien in Leipzig ab 1894. Die von Emge gelobten Bände sind Bänden in denen Fragmente aus Nietzsches Nachlass veröffentlicht worden sind. In den Bänden XV und XVI des Jahres 1911 ist u.a. die Kompilation „Willen zur Macht“ wieder abgedruckt, die zuerst in einer Taschenbuch-Ausgabe von Peter Gast und der Schwester Nietzsches, Elisabeth Förster-Nietzsche, erstellt und veröffentlicht worden ist.[234] Die Schwester Nietzsche war, wie bereits mitgeteilt, bei der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Nietzsche-Archiv persönlich anwesend. Heidegger war ab 1936 Mitglied des Nietzsche-Archivs und hat an der Neuausgabe des Fragment-Nachlasses Nietzsches mitgearbeitet. Ende 1942 hat er ohne Angabe von Gründen und von sich aus die Mitarbeit eingestellt. Näheres findet man vermutlich in: (Heinz und Kisiel 1996). Ich bin noch nicht dazu gekommen, diesen Text zu lesen.
Ich konnte keine zweite Bezugnahme auf das Referat über den „soldatischen Geist“ des Vertreters Liebmann des Reichswehrministers Blomberg finden. Bemerkenswert ist aber auch so, dass dieses Thema ein Thema war, dass jedenfalls auch im Ausschuss für Rechtsphilosophie behandelt wurde. Da Hans Frank in seiner Rede zur Konstituierung dieses Ausschusses mehrfach ein Loblied des Soldaten gesungen hatte („Wir bejahen weiter die Verantwortlichkeit des einzelnen für sein Geschick und seine Entwicklung, damit wir wieder ein Volk von Kämpfern und Soldaten und wehrbereiten geistigen Ringern um diese Freiheit werden“), ist das nicht überraschend. Auch Carl Schmitt hatte sich 1934 im „Schluß“ seiner Schrift „Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten“ öffentlich zum Sieg des Soldaten über den Bürger 1933 bekannt:
Schluß
Darin, daß im letzten Stadium des Weimarer Systems ein prozeßförmig entscheidender Gerichtshof als höchste politische Instanz des Deutschen Reiches auftrat und in den Verzerrungen eines politischen Prozesses überhaupt Recht und Unrecht, Ehre und Unehre des Reichspräsidenten und der Reichsregierung zu Gericht saß, vollendete sich der bürgerliche Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts [, insbesondere der Hegelschen Philosophie; mw]. In der Weimarer Verfassung von 1919 hatte er sein von allen „nichtkonstitutionellen“ Elementen gereinigtes System gefunden. Nach dem Versagen der parlamentarischen Regierung entwickelte er sich von selbst zur politischen Unterwerfung unter die Neutralität unpolitischer Richter, die nicht nur nicht beanspruchten, politisch zu führen oder zu regieren, sondern im Gegenteil ihre Zuständigkeit und ihr Entscheidungsrecht gerade darauf stützten, daß sie jeden politischen Führungsanspruch entrüstet von sich abwiesen. So fand der folgerichtig zu Ende gedachte bürgerliche Konstitutionalismus seinen Gipfelpunkt eben dort, wo der Nullpunkt des Willens zur politischen Führung lag. Das war die Vollendung und Krönung des bürgerlichen Verfassungsdenkens.
Die Rettung Deutschlands konnte nicht aus dem System einer solchen Legalität kommen, sie kam aus dem deutschen Volke selbst, aus der nationalsozialistischen Bewegung, die im Widerstand gegen die Mächte des Zusammenbruchs von 1918 entstanden war. Bereits jener Preußenschlag vom 20. Juli 1932 war nur dadurch möglich geworden, daß die nationalsozialistische Bewegung unwiderstehlich vordrang. Am 30. Januar 1933 hat dann der Generalfeldmarschall des deutschen Weltkriegsheeres einen deutschen Soldaten, aber eben einen politischen Soldaten, Adolf Hitler, zum deutschen Reichskanzler ernannt. Daß der Führer einer mit Totalitätsanspruch auftretenden Bewegung deutscher Reichskanzler wurde, lag bereits außerhalb der Bergriffe eines liberal-demokratischen Verfassungssystems. Dadurch, daß einem solchen Führer die ganze staatliche Macht des Deutschen Reiches in die Hand gegeben wurde, war demnach der erste Schritt auf einem neuen Verfassungsboden getan. Jetzt öffnete sich ein Weg, um klare innenpolitische Entscheidungen zu treffen, das deutsche Volk von der hundertjährigen Verwirrung des bürgerlichen Konstitutionalismus [Schmitt bezieht sich auf die Juli-Revolution von 1830, die Hegel gerade noch miterlebt und bejubelt hatte; mw] zu befreien und, statt normativer Verfassungsfassaden, das revolutionäre Werk einer deutschen Staatsordnung in Angriff zu nehmen.
(Schmitt, Zusammenbruch des zweiten Reiches; 1934), S. 49
Ich beende meinen Bericht über Emges Beitrag zum „Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung“ mit dem Hinweis, dass Emges Hinweise auf die anstehende Jahrestagung der AfDR nicht in einen Handbuchartikel gehören. Auch das spricht dafür, dass Emge und das Büro des Nietzsche-Archivs nicht optimal organisiert waren. Vermutlich hat das Büro eine Version des Textes von Emge an die Herausgeber des Handbuchs geschickt, die noch hätte überarbeitet werden sollen. Zu unserem Glück ist das nicht geschehen.
Tilitzkis (2003) Forschungsergebnis, dass im Handbuchbeitrag Emges Carl Schmitt als Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie genannt wird, konnte ich bestätigen. Tilitzki (2003) hat die Behauptung Emges nicht genauerer datiert, so dass seine Leser nur wussten, dass Carl Schmitt vor dem Veröffentlichungsdatum des Handbuchs 1935 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
5.3. Karl Laschs stellte die AFDR und den Ausschuss für Rechtsphilosophie im »braunen Rechts-Handbuch (1934)« vor
Karl Lasch (1904-1942) war der Direktor der AfDR. Wie Niklas Frank, der Sohn von Hans Frank, berichtet, waren Karl Lasch, Hans Frank und Carl Schmitt eng miteinander befreundet. Sie verkehrten auch privat in der Familie Hans Franks. Niklas Frank spricht sogar von seinen drei Vätern.[235]
Es gibt diverse Darstellungen von Ausschüssen der AfDR, die damals veröffentlicht wurden. Ich kenne aber nur eine, in der auch der Ausschuss für Rechtsphilosophie vorgestellt wird. Diese einzige Ausnahme findet sich in Karl Laschs Beitrag zum „Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung“. Das Handbuch endet mit der Rubrik „Organe nationalsozialistischer Rechtsreform“ (S. 1555-1585). Es werden vier Organe vorgestellt:
- Das Reichsrechtsamt der NSDAP
- Der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen und die die Deutsche Rechtsfront
- Die Akademie für Deutsches Recht, S. 1572-1580
- Das Reichsjustizkommissariat
Karl Lasch hat den Text über die AfDR verfasst. Ich zitiere aus diesem Text über die AfDR nicht nur die Vorstellung des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Ich zitiere auch die Vorstellung anderer Ausschüsse, wenn Informationen über Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie angeboten werden. Zusätzlich gebe ich auch Laschs Vorstellung des Strafrechtsausschusses wieder, da Roland Freisler ins Umfeld des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehört.
Bürgerliche Rechtspflege. Vorsitzender: Geheimrat Prof. Dr. Kisch, München
Behandelt werden Fragen, welche sich aus der Organisation der Gerichte ergeben. Das Problem der Herabsetzung der Zuständigkeitsgrenze der Amtsgerichte und der Stellung des Alleinrichters beim Landgericht, ferner die Schaffung von Rechtspflegeämtern für die erstmalige Behandlung aller Zivilrechtsstreitigkeiten, die Beschleunigung des Verfahrens und das wichtige Kapitel der Zwangsvollstreckung sind zum Teil schon zum Abschluß gebracht worden. Ein besonderer Unterausschuß beschäftigt sich zur Zeit mit dem Entwurf einer Vergleichsordnung zur Abwendung des Konkurses.
(Lasch, Akademie für Deutsches Recht; 1935), S. 1576
Auf der nächsten Seite werden dann die Ausschüsse von Freisler und Schmitt vorgestellt.
Strafrecht und Strafprozeßrecht. Vorsitzender: Staatssekretär Dr. R. Freisler, Berlin
Die Beratungen sind bereits zu einem gewissen Abschluß gebracht und eine Denkschrift zum Allgemeinen Teil des allgemeinen Strafrechts herausgegeben worden. Unterausschüsse für Strafprozeßrecht und Strafvollzug werden ebenfalls in Kürze ihre Arbeiten zum Abschluß bringen und das Ergebnis in Form einer Denkschrift niederlegen.
Staats- und Verwaltungsrecht. Vorsitzender: Staatsrat Prof. Dr. C. Schmitt, Berlin
Der erste Teil der Arbeit wird demnächst mit einer Denkschrift über die Gesamtlage der Körperschaften des Öffentlichen Rechts und mit dem Entwurf eines Reichsverwaltungsgerichtsgesetzes abgeschlossen werden.
(Lasch, Akademie für Deutsches Recht; 1935), S. 1577
Bereits in der Weimarer Republik ist die Schaffung eines Reichsverwaltungsgerichts geplant worden. Die Errichtung fand aber nicht statt. Im Dritten Reich richtete Hitler am 3. April 1941 durch Führererlass ein Reichsverwaltungsgericht ein.[236] § 7 des Erlasses lautet:
Die Mitglieder des Reichsverwaltungsgerichts sind bei den Sachentscheidungen keinen Weisungen unterworfen. Sie haben ihre Stimme nach ihrer freien, aus dem gesamten Sachstand geschöpften Überzeugung und nach der von nationalsozialistischer Weltanschauung getragenen Rechtsauslegung abzugeben.
(RGBl. I 1941, Nr. 40, S. 201 ff.)
Ob und wie Carl Schmitt und sein Ausschuss an der Einrichtung dieses nationalsozialistischen Verwaltungsgerichts beteiligt waren, weiß ich noch nicht. Im Unterabschnitt 7.5.3. werde ich aus einem Vortrag von Carl Schmitt auf der ersten „Vollsitzung“ der AfDR vom 5. November 1933 die Absätze vollständig zitieren, in denen er die Aufgaben des Ausschusses für Staatsrecht und des Ausschusses für Völkerrecht näher bestimmt hat.
Non Karl Lasch werden der Ausschuss für Völkerrecht und der Ausschuss für Rechtsphilosophie in direkter Aufeinanderfolge als letzte vorgestellt.
Völkerrecht. Vorsitzender: Professor Dr. Bruns, Berlin
Da das Recht im politischen Kampf die stärkste Waffe bedeutet, hat dieser Ausschuss wichtigste Aufgaben zu erfüllen. Er beschäftigte sich zu Beginn seiner Arbeit mit den dringendsten Fragen unserer Außenpolitik, Saargebiet und Völkerbund-Problem. Weiter mit der Frage, ob die Aberkennung der Staatsangehörigkeit völkerrechtlich zulässig ist oder nicht.
(Lasch, Akademie für Deutsches Recht; 1935), S. 1579
In einem weiteren Exkurs in diesem Abschnitt werde ich skizzieren, wie Viktor Bruns die Frage beantwortet hat, ob eine Aberkennung der Staatsangehörigkeit völkerrechtlich zulässig ist (5.5.).
Rechtsphilosophie. Vorsitzender: Reichsjustizkommissar Dr. H. Frank; stellvertretender Vorsitzender: Professor Dr. Emge, wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs, Weimar.
Der Ausschuß soll eine Sammlung der allgemeinen sozialen Lehre des Nationalsozialismus durchführen, in der Form, daß die Begriffe Blut, Boden, Rasse, Glauben, Idealismus, Wehr, Autorität, Staatsführung und alle die Bausteine des nationalsozialistischen Werdens dem deutschen Recht als Unterlagen vermittelt werden.
(Lasch, Akademie für Deutsches Recht; 1935), S. 1579
Mir ist an dieser Charakterisierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie nichts besonders aufgefallen.
5.4. Exkurs: Hans Franks Rede vom 25. Juni 1934 auf der ersten Jahrestagung der AfDR vor ausländischen Gästen
Ich stelle hier exkursweise die Rede von Hans Frank vom Vorabend des ersten Jahrestages der AfDR aus mehreren Gründen vor. Vorab möchte ich auf vier Gründe aufmerksam machen:
- In Abschnitt 3.5. konnte ich bereits berichtet, dass Emge am 13. Juni 1934 geplant hatte, die dritte Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Rahmenprogramm dieser ersten Jahrestagung der AfDR öffentlich anzukündigen und durchzuführen. Falls diese Sitzung stattgefunden haben sollte, wurde nicht über sie öffentlich berichtet. Jedenfalls nicht in dem ausführlichen Bericht in der Zeitschrift der AfDR über diese erste Jahrestagung. Die Ausschusssitzungen, über die in der ZAfDR berichtet wurde, fanden am 25. Juni 1934 statt. Am Abend trug dann Hans Frank zum Thema „Volk, Staat und Recht vor“. Zumindest einige Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie werden an der ersten Jahrestagung der AfDR teilgenommen haben und könnten dieser Rede von Hans Frank den letzten Schliff gegeben haben (siehe 3.5.).
- Ferner hatte Emge in demselben Brief an Frank vom 13. Juni 1934 mitgeteilt, er werde demnächst seine Kontakte ins Reichswehrministerium nutzen, um ein Vertreter des Reichswehrministeriums für den Ausschuss für Rechtsphilosophie zu rekrutieren.
- In Abschnitt 5.2. habe ich Emges Beitrag über »deutsche Rechtsphilosophie« für das „Nationalsozialistische Handbuch für Recht und Gesetzgebung vorgestellt. Ich konnte die Erstellung dieses Beitrags auf den kleinen Zeitraum zwischen dem 13. Juni 1934 und dem 25. Juni 1934 bestimmen, da Emges seinen Beitrag mit Angaben zur seiner Planung für die dritte Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie schloss. In seinem Beitrag behauptete Emge, der Reichswehrminister von Blomberg sei Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Und erwähnte dessen Vertreter „Erz. Liebmann“ namentlich.[237]
- Am 25. Juni 1934 hielt nicht nur Hans Frank seine Rede in München. Am 25 Juni 1934 informierte Hitler den Reichswehrminister von Blomberg, er werde am 30. Juni 1934 gegen Röhm vorgehen.[238] Röhm war Mitglied des kleinen „Führerrates“ der AfDR (siehe 6.1.1.) Auch gehörte er zu den ersten hundert Mitgliedern der AfDR (Mitgliedsnummer. 23; siehe Quellenverzeichnis / Quelle 1).
Wo stand Hans Frank, die AfDR und ggf. der Ausschuss für Rechtsphilosophie im Juni 1934?
Ich zitiere nun Auszüge aus der Rede Hans Franks mit dem Titel „Volk, Staat und Recht“, die er am Abend des 25. Juni 1934 in München auf der ersten Jahrestagung der AfDR gehalten hat.
Aus 14 europäischen Ländern waren Vertreter zur Tagung erschienen, so u. a .: […]
Daraufhin hielt der Präsident der Akademie, Dr. Hans Frank, seine Festansprache über das Thema: Volk, Staat und Recht:
[1] Die Akademie für Deutsches Recht ist ein Instrument zur Fortsetzung der nationalsozialistischen geistigen Revolution auf dem Gebiete des Rechtsdenkens, der Rechtsgestaltung und des Rechtslebens. Sie ist aber dabei zugleich Garant dafür, daß die Methode dieser revolutionären Gestaltung in stetem Einklang mit den bewährten Grundsätzen wissenschaftlicher Arbeitsweise steht. Die Akademie für Deutsches Recht geht daher aus von Universalität und Totalität des nationalsozialistischen Anspruches auf Führung des deutschen Volkes.
[…][4] Daher war es nötig, daß der Nationalsozialismus zunächst einmal brach mit dem Begriffe des bürgerlichen Juristentums . Die Zeit, da man die Doctores juris als große Feinde des deutschen Geschlechts einmal bezeichnen konnte, ist vorbei in Deutschland. Es wurde uns gerade auch im Auslande sehr oft zum Vorwurf gemacht, daß wir einen Kampf gegen das römische Recht führen würden. Es ist mir ein Bedürfnis, an dieser Stelle zu sagen, daß ein stolzes Volk und die stolzen Juristen des stolzen italienischen Volkes es zu meiner großen Freude erkannt haben, daß wir Deutsche auch unseren Stolz und unser stolzes deutsches Rechtsgefühl haben, und daß es daher Pflicht ist, daß wir anerkennen, daß das römische Recht, die Mutter der Rechtsentwicklung Europas, von uns deutschen Juristen auch in diesem neuen Abschnitt der deutschen Rechtsentwicklung stets als eine der größten Kulturtaten des menschlichen Geistes und der arischen Rasse anerkannt, ja bewundert werden wird. Wir haben aber die Aufgabe, dem Deutschen Volke ein Recht zu schenken, das aus dem eigenen sittlichen Empfinden dieser Nation, aus der Rassenseele unseres Volkes selbst emporsteigt
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 121
Wie man sieht, hatte der Rechtsphilosoph Hans Frank eine Lösung für das Problem gefunden, wie man zugleich Kämpfer für das deutsche Recht und friedlicher Nachbar eines anderen »arischen Rechtsstaates« sein konnte. Baron von Uexküll hatte diese Lösungsstrategie in seiner »Staatsbiologie« vertreten (siehe Unterabschnitt 3.5.7.).
[5] Volkseinheit ist das weitere Fundament. Wir legen unserer Rechtsordnung zugrunde den Begriff des blutmäßig rassisch einheitlichen Volkstums.
[6] Wir haben neben dieser Volkseinheit dann des weiteren den Staatseinheitsbegriff in Deutschland rechtlich verankert, eine große historische Tat, die unser Führer hier dem Deutschen Volk schenkt dadurch, daß er aufräumte mit den Möglichkeiten einer Zerreißung unseres Staatsganzen durch irgendwelche Sonderinteressen irgendwelcher Sonderstämme. […] Es ist ein Wunder in der Geschichte, daß der Schöpfer einer Revolution zugleich der Beherrscher dieser Revolution ist.
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 121
Mit diesem letzten Satz bekundete Hans Frank seine persönliche Loyalität zu Hitler. Insider wussten nun, dass er sich gegen Röhm entschieden hatte. Da Hans Frank auch Herausgeber des „Nationalsozialistischen Handbuchs für Recht und Gesetzgebung“ war, in dem Professor Emge behauptete, dass der Reichswehrminister Werner von Blomberg Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie vor der Niederschlagung der angeblichen »Röhm-Putsches« unter dem Vorsitzenden Hans Frank gewesen ist, ist nach der persönlichen, auch die institutionelle Loyalität Hans Franks und seiner AfDR mit Hitler für die Zeitgenossen und für Ewigkeit dokumentiert worden.
Falls das Reichswehrministerium Kenntnis von Emges Handbuchdarstellung hatte und die Darstellung nicht dementiert hat, wäre der Reichwehrminister vor dem 30. Juni 1934 vielleicht nicht satzungsgemäß, aber politisches Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen. „Politisch“ im Sinne von Carl Schmitts Begriff des Politischen.
Dass auch das Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie Carl Schmitt die Morde des 30. Juni 1934 am 1. August 1934 guthieß, ist bekannt. Er tat das im Organ der „Reichsfachgruppe Hochschullehrer des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ Deutsche Juristen-Zeitung.[239] Carl Schmitt war als Reichsfachgruppenleiter Herausgeber dieser NS-Zeitschrift. Unterstützt wurde er u.a. von Viktor Bruns, C. A. Emge und Wilhelm Kisch:
Abbildung 13: Titelblatt der Deutschen Juristen Zeitung (DJZ) vom 1. August 1934
Zurück zur Rede Hans Franks, die er am Abend des 25. Juni in München als Führer der AfDR vor ausländischen Gästen hielt:
[7] Es wird daher nunmehr in dem zweiten Jahre des Bestehens Aufgabe der Akademie für Deutsches Recht sein, die Rechtsentwicklung des Nationalsozialismus zu fördern und zu führen. Die Gesetze des Kabinetts │ S. 122 Hitler vom letzten Jahre könnten fast Mustergesetze sein für alle jene Völker und Staaten, die so wie das Deutsche Volk gegenüber den zersetzenden Strömungen einer unterweltsmarxistischen Bewegung ihren letzten Widerstand suchen.
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 121 f.
Eine Gestalt der »Niedermächte«, von denen Hans Frank am 3. Mai 1934 gemäß der Darstellung aus der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschlands, war offensichtlich die „unterweltsmarxistische Bewegung“, die in der Auffassung des akademischen Nationalsozialismus in Deutschland vor der Sozialdemokratie angeführt werde (siehe Teil II).
Der Boden des deutschen Volkes wurde im Erbhofrecht geschützt, ein fundamentales Gesetz von größtem historischem Ausmaß. Die Rasse des deutschen Volkes wurde in der Rassengesetzgebung geschützt, die Gesundheit des deutschen Volkes wurde dadurch geschützt, daß wir nicht zurückschreckten davor, die minderwertigen Teile aus unserem Volksganzen, soweit es irgendwie geht, allmählich auszuschalten. Die Arbeit als Inbegriff des menschlichen Glücks wurde in den Mittelpunkt einer großen Gesetzgebung gestellt. Die Wehrkraft der Nation wurde im friedlichen Wettstreit um die Friedensbereitschaft aller Länder der Erde in Deutschland gesetzlich verankert. So wurde auf allen Gebieten, wo es nicht um die formalen Gesichtspunkte, sondern um die Substanzwerte der Volkserhaltung geht, in kühnen Strichen und in kühnen Gesetzen eine neue Rechtswirklichkeit in Deutschland aufgebaut.
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 122
Der Präsident der AfDR, deren satzungsgemäße Aufgabe es dauerhaft war, in enger Verbindung mit den gesetzgebenden Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem Gebiet des Rechts zu verwirklichen, lobt die Gesetze des Kabinetts Hitlers, dem er sechs Monate später selbst als Reichsminister angehören wird.
[8] Wir stehen im Laufe dieses Jahres noch vor dem Abschluß des neuen deutschen Strafgesetzbuches. Wir werden dafür sorgen, daß die Rechtsordnung dem deutschen Volke das Gefühl der Sicherheit des Lebens auf diesem Boden gibt und die Sicherheit des Lebens für kommende Generationen gewährleisten wird; denn nur das allein ist die Aufgabe allen Rechts, Mittel zur Erhaltung des Volkes zu sein, und deshalb sind wir hier vielleicht eines der stolzesten Ergebnisse der nationalsozialistischen Politik, deshalb, weil sich in der Akademie für Deutsches Recht die Zusammenarbeit von Geist, die Zusammenarbeit von Erfahrungen wissenschaftlicher Art mit dem elementaren Willen des Nationalsozialismus zur höheren Steigerung unseres Volkes darstellt.
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 122
Im nächsten Absatz vergleicht Hans Frank die angeblichen Entwicklungslinien »der deutschen Philosophie« mit »dem deutschen Rechtsdenken«. Die »deutsche Philosophie« befinde sich in einer zumindest relativen Talfahrt, während »das deutsche Rechtsdenken« durch den akademischen Nationalsozialismus aus einer dreihundert-jährigen Talsohle nun zu einem neuen Höhepunkt geführt werde.
[9] Die Akademie für Deutsches Recht ist sich darüber völlig klar, daß das deutsche Rechtsleben und das deutsche Rechtsdenken die Kulmination noch vor sich hat. Die deutsche Philosophie, die deutschen anderen Geistesformen mögen vielleicht den höchsten Punkt ihrer Entwicklung schon hinter sich haben, das deutsche Rechtsdenken war drei Jahrhunderte verschüttet und erst in den letzten Jahrzehnten langsam beginnend steigt nunmehr durch den nationalsozialistischen revolutionären Aufbruch die Möglichkeit empor, dem deutschen Rechtsdenken noch eine Spitze vor sich zu schaffen.
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 122
Da es nicht plausibel gewesen wäre, dass auf einer Tagung der AfDR, auf der Hans Frank »der deutschen Philosophie« dieses schlechte Zeugnis ausgestellt hat, zugleich ein Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR öffentlich tagte, wird irgendjemand entschieden haben, dass Emges Planung für die dritte Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie kontraproduktiv war.
Mit dem nächsten Satz bekundet Hans Frank noch einmal seine Loyalität mit Hitler gegen Röhm. Seine inländischen Hörer werden seinen Appell als Äußerung des Ländergleichschaltungsministers verstanden haben:
[10] Der Appell, der von dieser Akademie in die weiten deutschen Lande hinausgeht, ist der: Achtet die Autorität des Rechts, Ihr könnt niemals an sie heran! Der Führer hat diese Autorität des Rechts verkündet und von dieser Akademie aus möchte der Geist des deutschen Volksrechtes wieder das Bewußtsein, daß jeder Diener am Recht in jeder Amtsstube des Deutschen Reiches den Schutz des Nationalsozialismus genießt, wenn er dem Rechte dient, ebenso ausstrahlen wie jedem deutschen Volksgenossen das Gefühl geben: Es gibt hier die vom Führer geschaffene, von seiner Autorität und Anerkennung getragene Stelle, wo er auch seinen eigenen Rechtshunger geborgen weiß.
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 122
Im letzten Absatz spricht Hans Frank die Kernaufgabe des Ausschusses für Völkerrecht an, dessen Vorsitzender zugleich Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist:
[11] Das Recht ist aber nicht nur eine Angelegenheit unseres Zusammenlebens nach innen, es ist auch das Fundament der deutschen Politik nach außen. Der Anspruch auf Gleichberechtigung mit anderen Nationen kann einem Volke wie dem deutschen nicht abgesprochen werden. Damit wird man sich in Deutschland und außerhalb Deutschlands abfinden. Aber wir wollen und wünschen, daß der Appell an das Rechtsleben, der Appell an die Rechtserkenntnis, der Appell an die Rechtsautorität, den wir deutsche Juristen dem Deutschen Volke entgegenrufen, nicht haltmachen möchte an unseren Grenzen, daß auch die Welt einsieht, daß man niemals ein stolzes Volk der Gleichberechtigung mit anderen Nationen beraubt halten kann.●
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 122
Damit endete die Rede Hans Franks. Der Bericht über die erste Jahrestagung geht ohne Auslassung so weiter:
Die Festsitzung wurde mit dem 4. Satz aus der 1. Symphonie in C-Moll von Johannes Brahms beschlossen, nachdem der Präsident der Akademie, Dr. Hans Frank, auf „ unser ewiges Deutsches Volk, unser ewiges deutsches Recht und unseren geliebten Führer Adolf Hitler’“ ein dreifaches ,,Sieg-Heil!“ ausgebracht hatte. Bei dem anschließenden Mittagessen begrüßte der stellvertretende Präsident, Geheimrat Professor Dr. Kisch, die ausländischen Gäste […]
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 122
5.5. Exkurs: Viktor Bruns Ausschuss für Völkerrecht
Ich zitiere erneut die Information von Karl Lasch aus dem »Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung« über den Ausschuss für Völkerrecht:
Völkerrecht. Vorsitzender: Professor Dr. Bruns, Berlin
Da das Recht im politischen Kampf die stärkste Waffe bedeutet, hat dieser Ausschuss wichtigste Aufgaben zu erfüllen. Er beschäftigte sich zu Beginn seiner Arbeit mit den dringendsten Fragen unserer Außenpolitik, Saargebiet und Völkerbund-Problem. Weiter mit der Frage, ob die Aberkennung der Staatsangehörigkeit völkerrechtlich zulässig ist oder nicht.
(Lasch, Akademie für Deutsches Recht; 1935), S. 1579
In dieser Darstellung wird nicht mitgeteilt, wie die Antwort auf die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Aberkennung der Staatsangehörigkeit lautet. In anderen Veröffentlichungen wurde die Antwort mitgeteilt.
So hatte Viktor Bruns auf der Arbeitstagung der AfDR am 26. Mai 1934 in seinem Bericht als Vorsitzender über den Ausschuss für Völkerrecht[240] die Frage, ob die Aberkennung der Staatsangehörigkeit völkerrechtlich zulässig ist oder nicht, bereits bejaht. Da Viktor Bruns zu den zwölf Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehört und ich noch keine Gelegenheit hatte, ihn im Originalton zu Wort kommen zu lassen:
Als weiteren Verhandlungsgegenstand haben wir die Frage vorgesehen, ob die Aberkennung der Staatsangehörigkeit völkerrechtlich zulässig ist oder nicht. Unsere neuen deutschen Vorschriften sind namentlich von französischer Seite auch einer im Ton außerordentlich gehässigen Kritik unterzogen worden. Das Referat wird zu prüfen haben, ob die Bestimmungen völkerrechtlich zulässig sind – meiner Auffassung [Viktor Bruns; mw] nach ohne Zweifel –, sodann, ob und welche Bestimmungen ähnlicher Art andere Staaten erlassen haben. Es ist zu berichten, daß die Ausführungen zu dieser letzteren Frage den Nachweis einer beschämenden Unkenntnis unserer Ankläger erbringen werden. Diese Beispiele [Saarfrage, Völkerbundproblem, Aberkennung der Staatsangehörigkeit; mw] mögen genügen, um zu zeigen, welcher Art die Aufgaben sind, die sich der Ausschuss gesetzt hat, und welche Weise und mit welcher Methode er bestrebt ist, sie zu lösen.│ S. 241
Der Ausschuss will keine Theorie um der Theorie willen machen; er will den Lebensinteressen des deutschen Volkes dienen. Es ist nicht seine Aufgabe, den politischen Entscheidungen vorzugreifen, wohl aber will er mithelfen, die Grundlagen für diese politischen Entscheidungen zu unterstützen. Alle Politik geht von der gegebenen Rechtssatzung aus und strebt danach, sie entweder zu erhalten oder zu ersetzen. Alle Politik strebt weiter dahin, das einmal erkämpfte Resultat wieder in einer Rechtssatzung für die Zukunft festzulegen. Das ungeschriebene, aber darum nicht minder positive und bindende Recht ist Maßstab und Urteil über alle Politik und Satzung. So wird sich das politische Handeln nie dem Recht entziehen. Darum ist es nicht erstaunlich, daß das Recht im politischen Kampf die stärkste Waffe bedeutet. Eine Akademie für Deutsches Recht hat hier eine ihrer wichtigsten Aufgaben zu erfüllen.
(Lebhafter Beifall)
(Bruns 1934), S. 240 f.
Im Anschluss an diesen Vortrag von Viktor Bruns auf der Arbeitstagung der AfDR vom 26. Mai 1934 antwortete Wilhelm Kisch als Stellvertreter Hans Franks:
Geheimrat Professor Dr. Kisch:
Sehr verehrter Herr Kollege! Diejenigen von uns, die der ersten Vollversammlung der Akademie beizuwohnen Gelegenheit hatten, haben den starken Eindruck nicht vergessen, den Ihre damaligen Ausführungen über das Recht Deutschlands auf Gleichbehandlung, auf Gleichberechtigung allgemein hervorgerufen haben. Sie, Herr Kollege, sind ja ein alter völkerrechtlicher Kämpfer für Deutschlands Rechte und für Deutschlands Unabhängigkeit. Sie haben die undankbare, aber überaus wichtige Aufgabe übernommen, vor den sogenannten internationalen Gerichten unseren Rechtsstandpunkt zu vertreten, – mit Gewissenhaftigkeit und mit dem Grad des Erfolges, der überhaupt in solchen Fällen erhofft werden konnte. Dieser Tradition sind Sie treu geblieben, indem Sie sich für den völkerrechtlichen Ausschuß der Akademie zur Verfügung gestellt haben. […]
(Bruns 1934), S. 241
In der Zeitschrift „Deutsche Justiz“ (Heft Nr. 25 vom 22. Juni 1934) wurde in der Rubrik „Was den Juristen interessiert“ und der Unterrubrik „Aus der Akademie für Deutsches Recht“ über eine weitere Sitzung des Ausschusses für Völkerrecht am 14. Juni 1934 unter dem Vorsitz von Prof. Viktor Bruns berichtet (S. 808 f.). Nachdem Hans Frank und dann Viktor Bruns eine Rede gehalten hatten, habe Franz von Papen das Wort ergriffen.[241] Ab hier zitiere ich, da es wieder um die Frage der Aberkennung der Staatsangehörigkeit geht.
Nachdem Vizekanzler von Papen im Namen der Reichregierung zum Ausdruck gebracht hatte, daß der Völkerrechtsausschuß der Akademie für Deutsches Recht berufen sei, die Arbeit des Führers um die Befreiung des deutschen Volkes wissenschaftlich und rechtlich zu untermauern, wurden folgende Referate erstattet: Prof. Freiherr von Freytagh-Loringhoven „Kritische Bilanz des Völkerbundes“, Prof. Bilfinger „Zum Problem der Staatengleichheit im Völkerrecht“, Graf Mandelsloh „Die Großmöchte im europäischen Konzert 1815/1918“, Prof. Walz „Das deutsche Recht am Saargebiet und die Volksabstimmung“, und Graf Stauffenberg „Verlust der Staatsangehörigkeit durch Aberkennung“.
Deutsche Justiz (Heft Nr. 25 vom 22. Juni 1934), S. 809
Da bereits am 14. Juli 1933 das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“ in Kraft getreten war, ging es im Ausschuss für Völkerrecht im Sommer 1934 nicht mehr um ein Rückgängigmachen von Einbürgerungen, die nach der Novemberrevolution 1918 erfolgt sind.[242] Es ging sehr wahrscheinlich bereits um das »Reichsbürgergesetz« und seine dreizehn Verordnungen (vgl. meinen Unterabschnitt 8.1.2.)
1934 erschien in der Lieblingszeitschrift von Viktor Bruns, der „Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“, der Aufsatz von Berthold Graf Schenk von Stauffenberg „Die Entziehung der Staatsangehörigkeit und das Völkerrecht. Eine Entgegnung“[243]. Zu Beginn des Aufsatzes wird er als „Referent am Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“ vorgestellt. Viktor Bruns war Direktor dieses KWI. In den Folgejahren erschienen immer wieder Texte dieses Grafen Schenk von Stauffenbergs in dieser Zeitschrift.
Der Referent, Berthold Graf Schenk von Stauffenberg war noch 1942 Mitglied des Ausschusses für Völkerrecht, dessen Vorsitzender immer noch Viktor Bruns war. Carl Schmitt war einer der ständigen Mitarbeiter.[244]
Im Sommer 1934 konnten die Experten für die „Entziehung der Staatsangehörigkeit“ bereits stolz auf die Entrechtung u.a. von Emil Gumbel zurückblicken.[245]
In meinen TEIL III werde ich darstellen, dass sich Carl Schmitt mit eherechtlichen Folgen der Nürnberger Rassegesetze im internationalen Privatrecht (Ist eine deutsche Frau noch eine deutsche Frau, wenn sie im Ausland einen Juden heiratet?) befasst hat und dabei seine grundsätzliche Zustimmung zur Rassengesetzgebung und ihrer Ideologie sehr deutlich und eben auch öffentlich gemacht hat.[246]
5.6. Ergebnissicherung
1. Das „Nationalsozialistische Handbuch für Recht und Gesetzgebung“ war ein Handbuch von Akademikern für Akademiker, das seine Imprimatur am 15. Dezember 1934 erhielt. In ihm gab es einen Artikel mit dem Titel „Deutsche Rechtsphilosophie“. Er besteht aus wie Teilen: einem kurzen Vorwort und einem sehr langen Hauptteil. Das kurze Vorwort hat Emge geschrieben. Den langen Hauptteil Erich Jung.
2. Zum Ende seines kurzen Vorwortes nennt Emge die Namen der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Erstmalig erfuhren zeitgenössische Leser ohne Schreibfehler, dass Carl Schmitt Mitglied dieses Ausschusses gewesen ist. Das hatte bereits Tilitzki (2003) mitgeteilt.
3. Sein Vorwort hat Professor C. A. Emge nachweislich zwischen dem 13. Juni 1934 und dem 25. Juni 1934 verfasst. Mit dieser Erkenntnis kann gefolgert werden, dass Carl Schmitt vor dem 26. Juni 1934 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
4. Gemäß des Vorwortes von Emge gab es neue Mitglieder im Ausschuss für Rechtsphilosophie: der Reichswehrminister von Blomberg persönlich und der Ministerialdirektor Robert Buttmann werden nun als Mitglieder aufgezählt.
5. Einige Gründungsmitglieder werden nicht erwähnt. Das traf auf SA-Gruppenführer Walter Luetgebrune sowie die Professoren Viktor Bruns und Wilhelm Kisch zu. Bruns und Kisch waren nachweislich nach dem 17. Juli 1941 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
6. In der letzten Rubrik des sehr umfangreichen „Nationalsozialistischen Handbuchs für Recht und Gesetzgebung“ werden die „Organe nationalsozialistischer Rechtsreform“ (S. 1555-1585) vorgestellt. Eines dieser Organe ist die AfDR. Sie wird von Kurt Lasch vorgestellt. Lasch war Direktor der AfDR und einer enger Vertrauter von Hans Frank und Carl Schmitt.
7. Zu seiner Vorstellung der AFDR gehört eine inhaltliche Charakterisierung einiger, aber nicht aller Ausschüsse der AfDR. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird inhaltlich vorgestellt. An der inhaltlichen Charakterisierung durch Lasch ist mir nichts aufgefallen. Zu den anderen Ausschüssen, die Lasch vorstellt, gehören auch die Ausschüsse für Bürgerliche Rechtspflege (W. Kisch), für Staats- und Verwaltungsrecht (C. Schmitt) und für Völkerrecht (V. Bruns). Die inhaltliche Vorstellung des Ausschusses für Rechtsphilosophie bot Anlass für einen Exkurs.
8. Im Exkurs zum Ausschuss für Völkerrecht konnte ich nachweisen, dass Viktor Bruns persönlich und Berthold Graf Schenk von Stauffenberg 1934 an der rechtsförmigen Aberkennung der Staatsangehörigkeit arbeiteten. Das nächste Gesetz, das zu dieser Frage Stellung bezog, war das „Reichsbürgergesetz“, das Teil der Nürnberger Rassegesetze ist, die am 15. September 1935 in Kraft traten. Die weitere Entfaltung dieses Gesetzes durch Verordnungen bildete die rechtsförmige Grundlage für die Entrechtung und spätere Ermordung deutscher Staatsbürger, die unter die ausgrenzenden Definitionen der Nürnberger Rassengesetze von 1935 fielen. Der Ausschuss für Völkerrecht existierte auch noch 1942: Bruns war sein Vorsitzender, Carl Schmitt einer seiner ständigen Mitarbeiter.
9. In einem ersten Exkurs habe ich aus der Rede Hans Franks vom 25. Juni 1934 auf der ersten Jahrestagung der AfDR in München zitiert. Er hatte diese Rede vor vielen ausländischen Gästen gehalten. In ihr distanzierte sich Hans Frank ausdrücklich vom Gehalt des 19 Punktes des Programms der NSDAP vom Februar 1920: Eine Kampfansage an das Römische Recht war im Sommer 1934 strategisch nicht klug, da es ums Schmieden einer Achse mit dem faschistischen Italien ging.
10. In derselben Rede hat Hans Frank an mindestens zwei Stellen seine Loyalität zu Hitler gegen Röhm zum Ausdruck gebracht. Am selben Tag hatte Hitler dem Reichswehrminister Werner von Blomberg mitgeteilt, er werde am 30. Juni 1934 gegen Röhm vorgehen.
Es ist möglich, dass der Reichswehrminister Werner von Blomberg zusammen mit Hans Frank in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 25. Juni 1934 diskutiert hat, wie sie auf Hitlers Ankündigung vom 25. Juni 1934 reagieren werden. Die beiden Stellungnahmen zu dieser Frage in der Rede von Hans Frank, die er am Abend des 25. Juni 1934 gehalten hat, könnte Wirkung einer Besprechung im Ausschuss für Rechtsphilosophie gewesen sein.
11. Bemerkenswert ist ferner Hans Franks Aufzählung der „Gesetze des Kabinetts Hitlers“ in seiner Rede vom Abend des 25. Juni 1934 in München. Hans Frank bezog sich u.a. auf das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933“, durch das in einer ersten Anwendungsrunde u.a. Emil Julius Gumbel (1891-1966) entrechtet worden ist. Gumbel war einer der mächtigsten Gegner des akademischen Nationalsozialismus vor 1933.
6. Zeitgenössische Kurzbiographien des Jahres 1935 der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Wer waren die zwölf Männer, die noch nach Ernennung Alfred Rosenbergs zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete am 17. Juli 1941 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren? Was konnten ihre Zeitgenossen über sie wissen?
Vier der zwölf Männer sind noch heute weltberühmt. Deswegen müsste ich die beiden zum Tode verurteilten NS-Verbrecher Alfred Rosenberg und Hans Frank hier weiter nicht vorstellen. Dasselbe gilt grundsätzlich auch für Martin Heidegger und Carl Schmitt. Da bislang aber auch von diesen vier Männern öffentlich nicht gewusst wurde, dass sie noch nach dem 17. Juli 1941 in institutionellem Kontakt zueinander standen, beziehe ich auch diese vier in diesem Abschnitt ein.
Ich stelle hier jedes Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie anhand mindestens einer Kurzbiographie des Jahres 1935 vor.
Für die Gruppendynamik innerhalb dieses Männerbundes ist die Altersstruktur sicherlich relevant gewesen. Deswegen stelle ich sie einzeln nacheinander vor und beginne beim Ältesten (Erich Jung) und ende beim Jüngsten (Hans Frank).
Ich habe zwei zeitgenössische Nachschlagewerke benutzt, die ich zunächst näher charakterisiere. Die erste Quelle bietet jenseits der Kurzbiographien weitere Informationen, die interessant sind, da ich mit ihnen den braunen Faden etwas weiterspinnen kann, den ich in meinen Abschnitten 3 und 5 begonnen habe: Reagierte Emge mit seiner angeblichen Nachberufung des Reichswehrministers Werner von Blomberg Mitte Juni 1934 auf die Ereignisse um den sog. »Röhm-Putsch« herum?
6.1. Die Quellen:
6.1.1. „Das Deutsche Führerlexikon 1934/35“, Berlin: Verlagsanstalt Otto Stollberg 1934/35
Das Exemplar des »Deutschen Führerlexikons 1934/35«, das ich eingesehen habe, ist das sekretierte Exemplar der Universitätsbibliothek Heidelberg. Ich bedanke mich an dieser Stelle herzlich für die Unterstützung meiner Forschungen durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der UB Heidelberg.
Da dieses Lexikon meines Wissens nicht nur in Heidelberg sekretiert ist und bislang nur von Experten als Informationsquelle genutzt wurde, nicht selten ohne öffentlich auf sie Bezug zu nehmen, ist es wissenschaftlich geboten, es hier zunächst vorzustellen.
Es besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist bedeutend umfangreicher als der zweite. Er umfasst die Seiten 16 bis 552. Er präsentiert in alphabetischer Reihenfolge Kurzbiographien der »deutschen Führer«, häufig unter Beigabe eines Passfotos. Aus diesem ersten Teil werde ich in 6.2. alle diejenigen Kurzbiographien präsentieren, in denen eines der 12 Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie vorgestellt werden.[247] Das sind: Carl August Emge, Hans Frank, Martin Heidegger, Ernst Heymann, Erich Jung, Wilhelm Kisch, Helmut Nicolai und Alfred Rosenberg (8 Personen). Im »Führerlexikon« fehlen: Viktor Bruns, Max Mikorey, Erich Rothacker und Carl Schmitt (4 Personen).
Der zweite Teil des »Deutsche Führerlexikon 1934/35« stellt die Organisationen der »Bewegung«, des »Staates« und des »Volkes« vor.
Beide Teile weisen mehrere Bearbeitungsschichten auf, die jedenfalls auch dem Zweck dienen, Informationen über Ernst Röhm, die in der Schicht vorhanden waren, zu beseitigen.
Die erste Bearbeitungsschicht ist eine Druckversion, für welche die Imprimatur durch die NSDAP am 15. Juni 1934 erfolgte (Titelblatt des Lexikons). Der Zeitraum vom 13. Juni 1934 bis zum 26. Juni 1934 ist bereits mehrfach in meiner Darstellung relevant geworden: Emge plante die dritte Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie (3.5.), Emge holte (angeblich) den Reichswehrminister Werner von Blomberg als Mitglied in den Ausschuss für Rechtsphilosophie (5.2.) und Hans Frank hielt eine Rede am 25. Juni 1934, in der er für »den deutschen Rechtsstaat Adolf Hitlers« und gegen Ernst Röhm Stellung bezog (5.4.). Die erste Bearbeitungsschicht des »Deutsche Führerlexikon 1934/35« ist so früh erstellt worden, dass in ihr noch keine Stellungnahme bezüglich der Alternative „Hitler vs. Röhm“ enthalten ist. Die weiteren Bearbeitungsschichten ändern das:
Es sind jedenfalls mehrere Informationen, die auf verschiedene Weise eingearbeitet worden und die Ereignisse betreffen, die erst nach dem 15. Juni 1934 stattgefunden haben. So wird Bezug genommen auf
1.) das Gesetz vom 1. August 1934, das festlegte, dass der Reichskanzler Adolf Hitler im Fall des Todes des Reichspräsidenten auch Reichspräsident werden würde,
2.) den Tod des Reichspräsidenten Hindenburg am 2. August 1934[248] und
3.) die Folgen der Aktion Hitlers gegen den sog. „Röhm-Putsch“, der Ende Juni, Anfang Juli stattfand[249].
In Folge des »Röhm-Putsches« sind diversen Posten umbesetzt worden, so dass die – namentlich nicht genannten – Herausgeber des »Deutschen Führerlexikons« vor dem Problem standen, dass in den bereits gedruckten Exemplaren Personen in führenden Positionen genannt wurden, die inzwischen ihre Posten, häufig ihr Leben verloren hatten. Die Herausgeber lösten dieses Problem so, dass sie die betreffenden Zeilen überkleben ließen. Gab es eine Ersatzinformation, war diese auf dem überklebenden Zettel in derselben Schrifttype, in der die Erstexemplare gedruckt worden waren, aufgedruckt. Gab es keine Ersatzinformation, enthielt die leserzugewandte Seite des überklebenden Zettels keinen Aufdruck. Die aufgeklebten Zettel sind nicht durchsichtig, so dass man die unter ihnen gedruckte Information nicht erkennen kann.
Das sah exemplarisch z.B. so aus:
Abbildung 14: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 52
Die Information „Polizeidirektion München […] zur Zeit unbesetzt“ ist die Information auf der leserzugewandten Seite des Überklebezettels. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit steht unter dem Zettel der Name Ludwig Schneidhubers (1887; † 30. Juni 1934 in München-Stadelheim). Es gibt mehr Überklebungen. Auf ein paar werde ich aufmerksam machen.
Wie erwähnt, beginnt der Organisationsteil des »Deutschen Führerlexikon 1934/35« mit der Darstellung der Führer der »Bewegung«, gefolgt von den Führern des »Reiches« (und nicht etwa des „Staates“), gefolgt von den Führern des »Volkes«.
Die Spitze der Bewegung ist selbstverständlich »Der Führer«. Unterstützt durch seinen Adjutanten Wilhelm Brückner und der „Privatkanzlei Adolf Hitlers“. Es folgt »Der Stellevertreter des Führers« Rudolf Heß. Unterstützt durch den Stabsleiter Martin Bormann und den Adjutanten Alfred Leitgen. Darauf folgt die »Reichsleitung«, die aus »Reichsleitern« besteht. Gleich beim ersten Eintrag der Reichsleiter war eine Überlebung erforderlich. Röhm, der Stabschef der SA musste unsichtbar gemacht werden. Sein Nachfolger wurde Viktor Lutze.[250] Das sah dann so aus:
Abbildung 15: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 5
Natürlich fehlt in der Darstellung der »Bewegung« auch nicht eine Nennung der SA. Die sah dann so aus:
Abbildung 16: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 8
Die beiden Überklebungen des Namens Röhms sind die einzigen beiden Überklebungen im Bereich der »Bewegung«. Dem Exemplar, das der Universitätsbibliothek Heidelberg gehört, ist tatsächlich ein Nachtrag beigegeben. In ihm findet sich aber nicht die angekündigte Information. Auf der ersten Seite des tatsächlich beigegeben Textes ist zu lesen: „Nachträge und Berichtigungen zum 2. Teil (Die nachstehend aufgeführten Nachträge und Berichtigungen gingen nach Ausdruck des Buches ein.)“. Weder die SA noch die SS werden in diesem Nachtrag auch nur ein einziges Mal erwähnt.
In der zweiten Rubrik »das Reich« gibt es einige Überklebungen. Eine große Überklebung ist beim Preußischen Staatsrat vorgenommen worden:
Abbildung 17: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 40 f.
Von „Dietrich, Reichspressechef“ bis „Reinhart, Bankdirektor“ reicht die Überklebung. Zu den Personen, deren Namen überklebt worden sind, gehören sehr wahrscheinlich u.a. folgende Personen:
- Ernst Röhm (1887; † 1. Juli 1934 in München-Stadelheim)
- Georg von Detten (1887-1934); 2. Juli 1934 (offiziell 4.00 Uhr vormittags) in Berlin-Lichterfelde, SS-Kaserne Lichterfelde; Eintrag auf der offiziellen Todesliste der Geheimen Staatspolizei
- Karl Gustav Ernst (*1904; † 30. Juni 1934 Berlin-Lichterfelde)
- Edmund Heines (1897-1934); 30. Juni 1934 in München, Gefängnis Stadelheim, Eintrag auf der offiziellen Todesliste der Geheimen Staatspolizei[251]
- Fritz Ritter von Krausser, SA-Obergruppenführer, ständiger Stellvertreter des Stabschefs Röhm, Mitglied des Reichstags und des Preußischen Staatsrat
Dass folgende Personennamen nicht überklebt worden sind, ist bemerkenswert:
- Kurt Schmitt ist am 30. Juni 1934 von seinem Amt als Mitglied des Preußischen Staatsrats beurlaubt worden. Er ist aber nicht ermordet worden. Und sein Name ist im »Deutschen Führerlexikon 1934/35« nicht überklebt worden.
- Wilhelm Karpenstein (1903-1968). Er wurde erst am 21. Juli 1934 als Gauleiter von Pommern abgesetzt und aus der NSDAP ausgeschlossen. Die Gründe für seine Entmachtung scheinen nichts mit den Gründen zu tun zu haben, die anderen Personen zu Mordopfern machten.
Dass Karpensteins Name nicht überklebt worden ist, spricht dafür, dass der überklebende Zettel vor dem 21. Juli 1934 hergestellt und eingeklebt worden ist. Es gibt demnach folgende Schichten:
- Schicht: Da das Vorwort auch auf den 1. Mai 1934 datiert ist, wähle ich diesen Datum als Datum für die erste Schicht
- Schicht: Die Überklebungen, die Ernst Röhm, einige Polizeidirektoren und einige Mitglieder des Preußischen Staatsrates betrafen. Wegen Karpenstein datiere ich die Beendigung der Arbeit an dieser Schicht auf den 21. Juli 1934.
- Schicht: da eine gedruckte Information des Verlages zum Vorwort vom 1. Mai 1934 auf den 2. August 1934 datiert ist und auch den Tod Hindenburgs Bezug genommen wird, datiere ich die dritte Bearbeitungsschicht auf die Zeit nach dem 2. August 1934 datiert ist.
Da die Schicht mit den Überklebungen sichtbar unprofessionell ist, vermute ich, dass letztlich entschieden worden ist, die Gesamtauflage des »Führer-Lexikons« zu vernichten. Ein paar Exemplare sind der Vernichtung entgangen. Eines befindet sich im Besitz der Universitätsbibliothek Heidelberg. Weshalb wurde entschieden die Gesamtauflage zu vernichten. Das ist ziemlich offensichtlich: Viele der vorgestellten »deutschen Führern« gehören nicht dem Kreis oder näheren Umkreis der NSDAP an, sondern dem Kreis oder näherem Umkreis der DNVP an. Diese Nähe zwischen NSDAP und DNVP sollte verborgen werden.[252]
Nun zur Darstellung der AfDR in Teil 2 des »Deutschen Führerlexikons 1934/35« interessant. Die AfDR ist in diesem merkwürdigen Lexikon weder eine Organisation »der Bewegung« noch »des Staates«, sondern »des Volkes«. Ich habe mir keine Mühe gegeben, mir darauf einen Reim zu machen. Müsste ich raten, würde ich sagen, diese Zuordnung verdankt sich dem Team Frank&Kisch. Frank betonte im wieder öffentlich »das Volksprimat«. Kisch charakterisierte mindestens einmal die AfDR als „das juristische Gewissen des deutschen Volkes“.[253]
Auch im Bereich der Darstellung der AfDR sind Überklebungen vorgenommen worden. Sie werden nach dem 15. Juni 1934 und vor dem 21. Juli 1934 (Karpenstein) gemacht worden sein.
Zunächst werden die Mitglieder des Präsidiums der AfDR vorgestellt. Hier gibt es zwei Überklebungen:
Abbildung 18: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; Zweiter Teil, Seite 78
Wessen Name stand zwischen den Namen von Kißkalt und Popitz und wessen Namen zwischen den Namen von Reinhardt und Schlegelberger? In der Zeitschrift „Deutsches Recht. Zeitschrift des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ ist 1933 ein Überblick über die „Gliederung der Akademie für Deutsches Recht“[254] veröffentlicht worden. Dabei ist auch ihr Führerrat vorgestellt worden. In folgender Tabelle stelle ich die Informationen einander gegenüber:
Führerrat der AfDR („Deutsches Recht“ vom15. Dezember 1933) | Präsidium der AfDR »Deutsches Führerlexikon« Sommer 1934[255] |
Hans Frank | Hans Frank |
Wilhelm Kisch (stellvertretender Führer) | Wilhelm Kisch (stellvertretender Präsident) |
Hanns Kerrl | Preußischer Justizminister Hanns Kerrl |
Roland Freisler | Staatssekretär Dr. Roland Freisler |
RJM Franz Gürtner | RJM Franz Gürtner |
Ernst Röhm | |
Johannes Popitz | Preuß. Staats- und Finanzminister Johannes Popitz |
Otto Thierack | Staatsminister Otto Thierack |
Franz Schlegelberger | Franz Schlegelberger, Staatssekretär im RJM |
Wilhelm Heuber | Wilhelm Heuber, „Reichsgeschäftsführer des BNSDJ“ |
Walter Luetgebrune | |
Carl Schmitt | Staatsrat Professor Carl Schmitt |
Wilhelm Arendts | Wilhelm Arendts (Schatzmeister der AfDR) |
„Bankier August von Finck“ | |
Reichsminister des Inneren Wilhelm Frick | |
Reichsminister Joseph Goebbels | |
Dipl.-Ing. Wilhelm Keppler[256] (1882-1960) „Wirtschaftsbeauftragter des Führers“ | |
Wilhelm Kißkalt (1873-1958) | |
Staatssekretär Fritz Reinhardt (1895-1969) | |
Dr. Karl Lasch, Direktor der AfDR |
Ich vermute, dass die Namen von Ernst Röhm und Walter Luetgebrune überklebt worden sind. Da Walter Luetgebrune im Mai 1934 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie war, ist das bemerkenswert. Mit Luetgebrune werde ich mich in einem eigenen Exkurs noch in Abschnitt 7 beschäftigen. Dass Luetgebrune im Sommer 1934 nicht völlig in Ungnade gefallen ist, könnte der Umstand belegen, dass sein Name in der Vorstellung des Ausschusses für Straf- und Prozessrecht nicht überklebt worden ist. Vorsitzender dieses Ausschusses war Roland Freisler, Luetgebrune sein Stellvertreter.[257]
Es werden 25 Ausschüsse der AfDR angegeben. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird nicht erwähnt. Carl Schmitt wird als Vorsitzender des Ausschusses für Staats- und Verwaltungsrecht genannt. Viktor Bruns als Vorsitzender des Ausschusses für „Internationales Recht“. Hier gibt es keine Überklebungen.
Die Akademie für deutsches Recht wird von dem Präsidenten, Herrn Reichsjustizkommissar Staatsminister Dr. Frank geleitet. Ein Präsidium, zusammengesetzt aus hervorragenden Persönlichkeiten der Parteiführung und der Reichsregierung, aus namhaften wissenschaftlichen und praktischen Vertretern des Rechts und der Wirtschaft, steht dem Präsidenten beratend und stützend zur Seite. Alle Rechtsgebiete werden im Rahmen der großen Rechtsreform durch Ausschüsse der Akademie für Deutsches Recht bearbeitet.
Solche Ausschüsse bestehen für:
[…]
Bürgerliche Rechtspflege
Vorsitzender: Geheimrat Prof. D. W. Kisch
München, Leopoldstr. 7 II
Strafrecht und Strafprozeßrecht
Vorsitzender: Staatssekretär Dr. R. Freisler
Berlin W 8, Wilhelmstr. 65
Stellvertretender Vorsitzender: Justizrat Dr. W. Luetgebrune
Berlin W 9, Bellevuestr. 8
Staats- und Verwaltungsrecht
Vorsitzender. Staatsrat Prof. Dr. C. Schmitt
Berlin-Stieglitz, Schillerstr. 2
[…]
Polizeirecht
Vorsitzender: Staatssekretär Grauert,
Berlin, Preußisches Innenministerium
Wehrrecht
Vorsitzender: Oberführer Binz
Berlin, Reichsinnenministerium
[…]
Internationales Recht
Vorsitzender: Prof. Dr. V, Bruns
Berlin-Zehlendorf-West, Sven-Hedinstr. 19
[…]
Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlicher Nachwuchs
Vorsitzender: Preuß. Finanzminister Prof. Dr. Popitz
Berlin-Steglitz, Brentanostr. 50
[…]
(Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; 1934), Zweiter Teil, Seite 78 f.
Das Nichterwähnen des Ausschusses für Rechtsphilosophie muss kein Indiz dafür sein, dass zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Überblicks über die Ausschüsse der AfDR bereits entschieden worden ist, seine Existenz öffentlich nicht mehr bekannt zu geben. Es kann sich auch um ein Versehen handeln. Dass der Ausschuss von Viktor Bruns hier Ausschuss für „Internationales Recht“ und nicht für „Völkerrecht“ heißt, könnte auch ein Fehler sein. Es könnte aber auch sein, dass das Nichterwähnen des Ausschusses für Rechtsphilosophie tatsächlich bereits Wirkung einer Entscheidung gewesen ist, ihn geheim werden zu lassen.
Abschließend werden die ordentlichen und die korporativen Mitglieder der AfDR aufgelistet. Die korporativen Mitglieder sind vor allem Hochschulen und Teile von Hochschulen, die je nach dem durch ihre Rektoren, Dekane oder Direktoren in der AfDR vertreten sind. Ordentliche Mitglieder sind natürliche Personen. Auch hier gibt es Überklebungen.
Abbildung 19: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 78
Vermutlich steht unter dem Überklebezettel der Name von Walter Luetgebrune. Es könnte dort aber auch der Name von Werner Mansfeld[258] stehen. In der Mitgliederlist der AfDR, die im ersten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht im Sommer 1934 veröffentlicht worden ist (Quellenverzeichnis / Quelle 1), stehen nämlich die Namen Luetgebrunes und Mansfeld zwischen Luer und Meißner. Vielleicht sind auch beide Namen überklebt worden.
Der nächste Überklebezettel bei den Mitgliedern der AfDR ist zwischen Reinhardt und Roselius platziert:
Abbildung 20: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 82
In der Mitgliederliste, die im ersten JAfDR veröffentlicht worden ist, konnte man die Namen von Ernst Röhm und Wilhelm Römer lesen.
Es gibt keine weiteren Überklebungen bei den ordentlichen Mitgliedern der AfDR.
Von den Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie werden als ordentliche Mitglieder der AfDR genannt: Viktor Bruns, C. A. Emge, Ernst Heymann, Erich Jung, Wilhelm Kisch, Max Mikorey und Carl Schmitt.
Mit Rückblick auf die Fehlinterpretation der Heidegger-Forschung, Julius Streicher sei Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen, nenne ich hier Namen von Personen, die ähnlich prominent sind wie Julius Streicher und die als ordentliche Mitglieder der AfDR aufgelistet sind. Julius Streicher ist nicht unter ihnen. Sein Name ist mir auf keiner Liste der AfDR oder einer ihrer Ausschüsse aufgefallen. Hier nun die Namen prominenter ordentlicher Mitglieder der AfDR des Jahres 1934: Walther Darré, Rudolf Heß, Heinrich Himmler, Dietrich Klagges, Hans Heinrich Lammers, Robert Ley, Franz von Papen, Johannes Popitz, Curt Rothenberger, Bernhard Rust, Hjalmar Schacht, Hans Schemm, Baldur v. Schirach, Franz Schlegelberger, Kurt Schmitt (Reichswirtschaftsminister), Wilhelm Stuckart, Georg Thierack, Fritz Thyssen, „Erbprinz zu Waldeck und Pyrmont, Josias, SS-Gruppenführer“[259]. Das »Deutsche Führerlexikon 1934/35« kann demnach nicht Quelle für Karl Löwiths Annahme gewesen sein, Julius Streicher hätte etwas mit der AfDR so zu tun gehabt, dass Martin Heidegger ihm dort begegnet sei.
Wie gezeigt, wurde der Name von Ernst Röhm im zweiten Teil des Führerlexikons überklebt. Teil I umfasst viele Kurzbiographien von »deutschen Führern«. Ist der Eintrag zu Ernst Röhm auch in Teil I überklebt worden? Nein! Ist das vergessen worden? Nein. In Teil I gibt es weder einen Eintrag zu Ernst Röhm noch ist an der fraglichen Stelle der alphabetischen Vorstellung ein Überklebung eingefügt worden. Dasselbe gilt für Walter Luetgebrune. Ich nehme deshalb an, dass Teil I nach dem sog. »Röhm-Putsch« komplett neu gesetzt und gedruckt worden ist.
Dass Carl Schmitt mit keinen Artikel im biographischen Teil I vertreten ist, ist vielleicht ein Missgeschick. Falls es einen Grund dafür gab, könnte er mit einem Konflikt zwischen Carl Schmitt und Alfred Rosenberg im Jahr 1934 zu tun haben. Das skizziere ich in folgendem Exkurs.
6.1.2. Exkurs: Alfred Rosenberg contra Carl Schmitt 1934?
Der zweite Teil des »Deutschen Führerlexikons 1934/35« beginnt mit einer neuen Seitenzählung und umfasst die Seiten 3 bis 148. Der zweite Teil präsentiert den „gesamten Aufbau von Bewegung, Staat und Volk in weitgehender Untergliederung zusammengestellt. Bei jeder Stelle wird die mit der Führung beauftragte Persönlichkeit angegeben.“[260]
6.1.2.1. Bewegungsprimat vs. Staatsprimat
Der zweite 2 beginnt mit einem Text „Zur Einführung“. Seine Verfasser wenden sich sachlich, aber nicht namentlich, gegen Carl Schmitts Hierarchisierung von „Staat, Bewegung, Volk“ in dessen gleichnamiger Schrift von 1933. Da das gesamte Lexikon schwer zugänglich ist, zitiere ich den Einführungstext vollständig:
Zur Einführung
Aus dem schöpferischen Willen des Nationalsozialismus und unter seiner Führung vollzieht sich seit dem 30. Januar 1933 in Deutschland eine völlige Neugestaltung des Staates und der Gemeinschaft des Volkes.
Ihre einheitliche Anlage und Durchführung erfährt diese Neugestaltung aus dem Führergedanken, der wieder seine geistige und praktische Erprobung aus der Bewegung herleitet. In ihm werden Bewegung, Staat und Volk zu einer Einheit zusammengefaßt, deren Zusammenhalt durch die Bewegung für alle Zeit gewährleistet ist.
Die Bewegung ist also die Kraft, die den Staat erhält und ihn mit neuem Leben erfüllt.[261]
In ihr verkörpert sich der Freiheit- und Erneuerungswillen des deutschen Volkes, und durch sie erhält die erhält staatliche Tätigkeit und Entwicklung ihren Sinn und ihre Bedeutung.
Wir glauben deshalb nicht nur dem Sinne nach, sondern auch aus Gründen größten Übersichtlichkeit und der Berücksichtigung aller Zusammenhänge, das Richtige zu treffen, wenn wir im nachfolgenden den Aufbau des neuen Deutschlands in der Reihenfolge
Bewegung Staat Volk zur Darstellung bringen. Der Aufbau ist so angelegt, daß er sich ausdrücklich auf alle wichtigen Aufgaben beschränkt. Nur dadurch ist es uns möglich gewesen, ein allgemeines Nachschlagewerk in wirklich übersichtlicher Anordnung zu schaffen. Bei jeder Angabe wird das Amt und die mit seiner Führung beauftragte Persönlichkeit angegeben, und zwar nach dem Stand vom 15. April bis 1. Mai 1934. Diese Angaben sind sämtlich von den zuständigen Stellen nachgeprüft.
(Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; 1934), Teil 2, S. 3
In der von mir fettgeduckten Folgerung des Einführungstextes wird sehr deutlich gemacht, dass die Bewegung und nicht der Staat das wichtigere Element in der Dreier-Menge „Volk, Staat, Bewegung“ sei. Carl Schmitt hatte das Machtverhältnis in seiner Schrift von 1933 „Staat, Bewegung, Volk“ anders bestimmt. Hier dominierte der Staat. Ein weiterer Fall des Konfliktes von Rosenbergs Dynamismus und Schmitts konkretem Ordnungsdenken? Von Röhm und Hitler? Ich glaube schon.
Nebenbei sei bemerkt, dass damit Hans Franks persönliches Plädoyer fürs »Volksprimat« in seiner Eröffnungsrede vom 3. Mai 1934 (vgl. Unterabschnitt 4.4.2.) im doppelten Gegensatz stand.
Wer verfasste die Einführung? Das wird namentlich nicht angegeben. Anhand anderer Informationen ist aber klar, dass Alfred Rosenberg und Martin Bormann das Bewegungsprimat gegen Carl Schmitt vertraten. Ich zitiere aus Heft 21 vom 25. Mai 1934 des Amtsblatts „Deutsche Justiz“ des Reichsjustizministeriums die Darstellung der Position Alfred Rosenbergs auszugsweise:
Blick in die Presse
[…]
„Wir wollen nicht den totalen Staat, sondern die Totalität der Bewegung im totalen Staat“
Alfred Rosenberg bei Eröffnung des Sommersemesters der Universität Leipzig
[1] Bei der feierlichen Eröffnung der Leipziger Universität hielt Alfred Rosenberg eine Ansprache, in der er, wie der V. B. berichtet, u.a. ausführte:
[…] | S. 685 […]
[5] Eine Revolution besteht nicht in Machtakten, sondern in der Umwandlung des Geistes und der Seele eines ganzen Volkes. Revolution war nicht nur a, 30. Januar des vergangenen Jahres, Revolution war auch im Februar des Jahres 1920, als die Thesen der Bewegung proklamiert wurden. Revolution ist seit 14 Jahren.
[6] Und nur die erste Etappe der Revolution hat jetzt ihren Abschluß gefunden.
[7] Eine Kultur sei nur so stark, wie der Wille ihrer Träger, sie zu verteidigen. Das Deutschland von gestern war geistig unterhöhlt, und alle wirklich echten Fundamente des deutschen Wesens waren vergiftet. Es stellte sich dabei heraus, daß der bürgerliche Nationalsozialismus der Sturmflut nicht standhalten konnte. Genau so schwach war auch das Christentum der bolschewistischen Sturmflut gegenüber.
[8] Die nationalsozialistische Idee allein war es, die diesen Vergiftungserscheinungen trotzen, ja mehr noch, sie überwinden konnte.
[…]
[10] Der Nationalsozialismus geht genau von umgekehrten Voraussetzungen aus: Er sagt: erst wenn es dem ganzen Volk gut geht, dann kann es auch dem einzelnen gut gehen.
[…]
[13] Die Rassenkunde, die jetzt im deutschen Volk weitesten Eingang findet, bedeutet einen Versuch der Selbstbesinnung. Und wenn sie auf den Schulungskursen gelehrt wird, so ist das das Zeichen einer großen Sehnsucht, einig mit sich selbst zu werden auf politischem Gebiet sowohl wie auf wissenschaftlichem sowohl wie auf religiösem.
[14] Bisher war es leider so, daß der Student in dem einen Hörsaal das Gegenteil von dem hörte, was er im anderen Hörsaal lernte.
[15] Abschließend prägte Alfred Rosenberg die Worte: Nicht den totalen Staat wollen wir, sondern die Totalität der nationalsozialistischen Bewegung, nicht den Ständestaat wollen wir, sondern ein politisches Machtgebilde mit ständischer Gliederung.●
(Pressebericht: Rosenbergs Rede zur Eröffnung der Leipziger Universität 1934)
Zurück zum zweiten Teil des »Deutsche Führerlexikon 1934/35«. Auf Seite 5 des zweiten Teils wird die Spitze der Bewegung in ihrer gesamten Breite namentlich genannt. Unter Änderung des Layouts und unter Hinzuführung von Aufzählungsnummer zitiere ich die Liste vollständig:
Der Führer Adolf Hitler mit seinem Adjutanten Wilhelm Brückner und der Privatkanzlei Adolf Hitlers […]. Der Stellvertreter des Führers Rudolf Heß mit seinem Stabsleiter Martin Bormann und dem Adjutanten Alfred Leitgen. Die Reichsleiter: 1. Stabschef der SA: Viktor Lutze [durch überklebenden Zettel nachgetragen; mw]; 2. Reichsführer SS: Heinrich Himmler mit dem Adjutanten Karl Wolff; 3. Reichsschatzmeister: Frz. Xaver Schwarz mit Stabsleiter Hans Saupert; 4. Reichsgeschäftsführer: Philipp Bouhler mit Stabsleiter Viktor Brack; 5. Vorsitzender des Obersten Parteigerichts: Walter Buch mit Beisitzer Ludwig Schneider; 6. Vorsitzender der 2. Kammer des Obersten Parteigerichts: Wilhelm Grimm mit Beisitzer: Konrad Hofer; 7. Stabsleiter der PO: Dr. Robert Ley mit Adjutant Rudolf Schmeer; 8. Leiter des agrarpolitischen Amtes: Walther Darré mit Adjutant Harro v. Zeppelin; 9. Reichspropagandaleiter: Dr. Josef Goebbels mit Stellvertreter Hugo Fischer; 10. Leiter der Rechtsabteilung: Hans Frank mit Stellvertreter Dr. Ludwig Fischer; 11. Reichspressechef Dr. Otto Dietrich mit Stellvertreter Adolf Dresler; 12. Amtsleiter für die Presse: Max Amann mit Stabsleiter Hans Franke; 13. Leiter des Außenpolitischen Amtes: Alfred Rosenberg; 14. Reichsjugendführer: Baldur von Schirach mit Adjutant Horst Krutschinna; 15. Schriftführer der NSDAP e.V.: Karl Fiehler; 16. Leiter des wehrpolitischen Amtes: Franz v. Epp mit Stellvertreter Oberst Haselmayer; 17. Stabsleiter des Stellvertreter des Führer: Martin Bormann; 18. Führer der Reichstagsfraktion: Dr. Wilhelm Frick.
(Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; 1934), Teil 2, S. 5
Durch Fettdruck habe ich die Namen der beiden Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie hervorgehoben und den Namen Martin Bormanns, da er gleich vorkommen wird.
Da ein Regest, das von Helmut Heiber in seiner sehr hilfreichen „Rekonstruktion eines verloren gegangenen Bestandes“ der „Akten der Parteikanzlei der NSDAP“ 1983 herausgegeben wurde, belegt, dass ungefähr in dem Zeitraum, in dem dieser Einführungstext des »Deutschen Führerlexikons 1934/35« verfasst wurde, Alfred Rosenberg Carl Schmitt noch misstraute, halte ich es für wahrscheinlich, dass Martin Bormann und Alfred Rosenberg sowohl die Einführung verfasst haben, als auch entschieden haben, Carl Schmitt nicht in das „Deutsche Führerlexikon 1934/35“ aufzunehmen.
Das von Heiber herausgegebene Regest fasst den Inhalt mehrerer Schriftstücke zusammen, die der Stab des Stellvertreter des Führers, dessen Leiter Martin Bormann war, mit Alfred Rosenberg zwischen dem 12. und 21. Juni 1934 gewechselt hat. Diese Tage im Juni Jahres 1934 sind bereits mehrfach relevant gewesen.
In meinen Abschnitten 3 und 5 hatte ich den Zeitraum vom 13. Juni bis zum 25. Juni 1934 als den Zeitraum bestimmen können, zu dem Emge es für angemessen erachtete, den Reichswehrminister von Blomberg und Carl Schmitt als Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie für eine Veröffentlichung in Hans Franks „Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung“ zu nennen. In diesem Zeitraum viel aber auch die Entscheidung, auf der ersten Jahrestagung der AfDR in München keine öffentliche Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie durchzuführen.
Hier nun das Regest:
12.-21.6.34 Rosenberg 20578[262]
Mitteilung des Stabs StdF [Bormanns; mw] über den Plan Heß’, eine von Bouhler zu leitende Hochschulkommission zu bilden, und über die in Aussicht genommenen Mitglieder; dabei Anfrage wegen einer Mitgliedschaft auch Rosenbergs. Dessen [Rosenbergs; mw] Stellungnahme: Hinweis auf ein mit Rust geschlossenes Abkommen über die Zusammenarbeit u. a. bei der Berufung von Hochschullehrern und auf eine in diesem Zusammenhang gemachte Mitteilung H. (ein schon vor der Betrauung Rosenbergs mit der weltanschaulichen Überwachung unternommener ähnlicher Vorstoß auf Widerstände unterer Stellen gestoßen, keine Einwände gegen die Leitung einer für diese Fragen zu bildenden Kommission durch Rosenberg); Reklamierung der eigenen [Rosenbergs; mw] Zuständigkeit und Bezweiflung der Befähigung B.s; Ablehnung einer Berufung des Prof. Carl Schmitt (früher sehr deutlich für die Weimarer Verfassung eingetreten) und des Pg. v. Kloeber („reichlich junger Mensch“ ohne genügenden Überblick). Daraufhin Übernahme des Vorsitzes der Kommission durch H. selbst. Bitte Rosenbergs an H., mit ihm noch einmal über die ganze Angelegenheit zu sprechen.
W 126 00869 f., 874 f„ 877 f, 881 f. (177)
(Heiber 1983), Regest 20578
Über die Hochschulkommission, für die Alfred Rosenberg eine Berufung Carl Schmitts Mitte Juni 1934 ablehnte, informiert das »Deutsche Führerlexikon 1934/35« unter der Eingangsrubrik »die Bewegung« folgendermaßen:
Abbildung 21: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, S. 8
Ein weiteres Regest Heibers belegt mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass das Misstrauen Alfred Rosenbergs gegen Carl Schmitt wenige Monate später bereits verschwunden war. Inzwischen war Schmitt Mitglied genau dieser „Hochschulkommission der NSDAP“ geworden. Er sollte in dieser Eigenschaft nur nicht in Erscheinung treten.[263] Auch hier wirkte sich vermutlich eine Entscheidung zur Geheimhaltung aus, die bald nach der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie auch für diesen getroffen worden ist:
2.10.34 Rosenberg-1 20739
Unter Bezugnahme auf die Verfügung Hitlers über die Zuleitung von Gesetzentwürfen an die Partei zur Stellungnahme Bitte Rosenbergs, in seinem Amtsbereich außenpolitische Entwürfe ihm persönlich, Entwürfe zur Außenhandelspolitik seinem Amt für Außenhandel zuleiten zu lassen, hinsichtlich seiner anderen Dienststelle die Zuleitung von Entwürfen des Reichserziehungsministers an die Hochschulkommission ausreichend; in diesem Zusammenhang Kritik an der Versendung von Schreiben zwecks Errichtung von Weltanschauungsprofessuren durch den auch von Heß abgelehnten v. Kloeber und Forderung, Prof. Karl Schmidt (gemeint wahrscheinlich: Carl Schmitt) in der Hochschulkommission nicht in Erscheinung treten zu lassen.
W 126 00817 (177)
(Heiber 1983), Regest 20739
6.1.2.2. Reinhard Höhn – der Mittler zwischen den beiden Extremen?
Wer hätte Alfred Rosenbergs weltanschauliches Misstrauen gegen Carl Schmitt wie zerstreuen können? Ich vermute, Reinhard Höhn hat das (1904-2000) gemacht hat. Wie bereits in I.3.2.4. zitiert, hat Carl Schmitt die Eröffnungssitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 geschwänzt. Nach seiner Tagebucheintragung hat er am 4. Mai 1934 einen Brief geschrieben. Die Herausgeber vermuten an Höhn. Die Zeichenkette ist nicht sicher entzifferbar: Ich zitiere erneut:
4. [Mai 1934; mw] Freitag
Schnell an Höhn <?> geschrieben, traurig und deprimiert. Herumgelegen, Vorlesung
schlecht vorbereitet, müde und traurig. Mittags geschlafen, Abends Verwaltungsjuristentagung, Frank und Nikolai sprechen, aber früh nach Hause.
(Schmitt, Tagebücher 1930-1934; 2010), S. 343
Reinhard Höhn, der von manchem Schmitt-Experten in den letzten Jahrzehnten zum Strippenzieher bei der angeblichen Entmachtung Carl Schmitts Ende 1936 gemacht worden ist, war 1934 eher noch unbekannt. Jedenfalls hat er weder im »Deutsche Führerlexikon 1934/35« noch in Degeners „Wer ist‘s“ (1935) einen Eintrag. In Kürschners-Gelehrten Kalender von 1940/41 gibt es dann einen Eintrag. Den Anfang dieses Eintrags zitiere ich:
Höhn, Reinhard. Staats- und Verwaltungsrecht, Dr. jur., oö. UO., Dir. d. Inst. f. Staatsforschung. Berlin-Zehlendorf, Gobineaustr. 6. (Gräfenthal/Thür. 29. VII 04) Heidelberg UDoz. 34, ao. UP 35, Berlin ao. UP u. Dir. d. Inst. f. Staatsforschung 35, o. UP. 39.
(Lüdtke, Kürschers Gelehrten-Kalender; 1941), S. 744
Im Mai 1932 wurde ein Text von Reinhard Höhn über Carl Schmitt veröffentlicht, der vor Verehrung für Schmitt nur so strotzt. Anlass für die Veröffentlichung ist das „Neuerscheinen“ von Carl Schmitts „Der Begriff des Politischen“ als selbständiger Publikation bei Dunker & Humblot im Jahr 1932. 1927 war Schmitts Text unselbständig in der Zeitschrift „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ erschienen[264].
Höhn behauptet, dass der Begriff des Politischen der Zentralbegriff des Denkens von Carl Schmitt sei, von dem aus dessen bisherige Schriften aus den Weimarer Jahren verstanden werden könnten. Genau diese Schriften hatten ja das Misstrauen Rosenbergs geweckt. Das galt insbesondere für Cal Schmitts Buch „Verfassungslehre“ von 1928.[265] Und da noch 1943 Alfred Baeumler auf einen Konflikt zwischen Rosenbergs Dynamismus und Schmitts Ordnungsdenken im Jahr 1928 anspielt,[266] bin ich mir sehr sicher, dass Höhns Text vom Mai 1932 als Friedensstifter zwischen Rosenberg und Schmitt hätte fungieren können. Ich glaube, ich weiß, was Schmitt Höhn am 4. Mai 1934 morgens geschrieben hat. Schmitt hat Höhn gebeten, dieser möge seinen Text vom Mai 1932 auf möglichst vertrauenswürdige Weise Rosenberg zukommen lassen.
Da Höhns Rezension nicht lang, aber schwer zugänglich ist, zitiere ich sie vollständig. Sie erschien in der Zeitschrift „Gegner. Für neue Einheit“.[267] Der Herausgeber war Franz Jung (1888-1963), der Schriftleiter Harro Schulze-Boysen (1909-1942). Da Reinhard Höhn zweifelsfrei ein mächtiges Mitglied des akademischen Nationalsozialismus war, ist die Lektüre seines Textes auch dann hilfreich, wen ich mich über seine Vermittlerrolle irren sollte.
[1] Derjenige Staatsrechtslehrer, der heute maßgebenden Einfluß auf weite politische Kreise, vor allem auch auf Kreise der Jugend ausübt, ist Carl Schmitt. Das liegt nicht nur an seiner glänzenden Formulierungsgabe, die das Wort meisterhaft zu gebrauchen versteht, es liegt vor allen Dingen daran, daß er, mitten im Leben stehend, der Zeit zu sagen weiß, was ihr Not tut und woran sie krankt. Dem Liberalismus im Denken und Handeln setzt Carl Schmitt die souveräne Entscheidung entgegen, die wiederum auf seiner Unterscheidung von Freund und Feind beruht. Auf der Unterscheidung von Freund und Feind basiert auch sein Begriff des Politischen1), der Zentralbegriff seines ganzen Denkens, aus dem allein seine „Verfassungslehre“, seine „Krisis des Parlamentarismus“, überhaupt alle seine Schriften der neueren Zeit zu verstehen sind. Der Feind ist nicht moralisch böse und nicht ästhetisch häßlich; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft erscheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist, eben der Andere, der Fremde.
1) Vgl. dazu: Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, 1932 neuerschienen bei Dunker & Humblot, von dem die vorliegenden Skizze ausgeht.
(Höhn, Carl Schmitt als Gegner der liberalen Politik; 1932), S. 6
Im nächsten Absatz stellt Höhn korrekt Carl Schmitt als Anti-Liberalen dar. Spannend sind die letzten drei Kontraste, wenn in jedem Fall Schmitt das zweite Element vertreten hätte. Mit leichten Präzisierungen sähe die weltgeschichtliche Lage des Politischen dann so aus: Absolutismus, Monarchie und Entscheidung einer »peer group«. Der Feind Schmitts stünde für: Rechtsstaat, Republik und der Souveränität jedes einzelnen Menschen. Der strittige Punkt ist der zwischen „Absolutismus und Rechtsstaat“. Ich werde in Teil III darlegen, welche Position Carl Schmitt tatsächlich 1934 in dieser Frage vertreten hat.
[2] Dem Liberalismus liegt es, den Begriff des Feindes zu verwischen. Er spricht am liebsten nur vom Konkurrenten, dem wirtschaftlichen Gegner. Er faßt den Feind von der Geschäftsseite aus als Konkurrenten auf, von der geistigen Seite aus versucht er, ihn in einen Diskussionsgegner aufzulösen. Das ist von diesem Standpunkt auch berechtigt. Im Bereich des Ökonomischen gibt es keine Feinde, sondern nur Konkurrenten, und in einer restlos moralisierten Welt nur noch Diskussionsgegner. Einer solchen ethisierenden Auffassung setzt Carl Schmitt die scharfe Unterscheidung der Wirklichkeit entgegen und zeigt im einzelnen, wie diese Freund- und Feindgruppierung sich überall, auch da, wo sie schamhaft verwischt wird, eben doch durchsetzt. Das Bewußtsein des Ernstfalls ist noch nicht verloren gegangen. Dies Bewußtsein des Ernstfalls hat aber nichts zu tun mit irgendwelchen privaten Neigungen des einzelnen, sondern es liegt in der Sphäre der Öffentlichkeit. Carl Schmitt zeigt uns im einzelnen, daß ja alle unsere politischen Begriffe und Vorstellungen einen polemischen Sinn haben. Sie sind an eine konkrete Gegensätzlichkeit gebunden, deren letzte Konsequenz eben die Freund- und Feindgruppierung ist. Der Rechtsstaat steht dem Absolutismus gegenüber, die Republik der Monarchie, die Souveränität des einzelnen, der allein entscheidet, der Entscheidung der Genossen in der Gemeinschaft, in der es eine Souveränität nicht gibt.
(Höhn, Carl Schmitt als Gegner der liberalen Politik; 1932), S. 6
Die Folgerung, die Höhn zu Beginn des nächsten Absatzes zieht, wird Alfred Rosenberg zusätzlich davon überzeugt haben, dass Carl Schmitt keinen Verteidiger der Weimarer Republik gewesen ist. Wenn Höhns Auslegung von Carl Schmitt korrekt ist, dann gibt es erst dann „das Politische“, wenn ein Freund-Feind-Kontrast so scharf ist, dass jeder der beiden Kontrahenten willens ist, den anderen „existentiell zu vernichten“.
[3] Freund- und Feindgruppierung bedeutet also einen Gegensatz, der so stark werden kann, daß er für die Frage des Ernstfalles den Gegner existentiell zu vernichten gewillt ist. In diesem Augenblick rückt der Freund- und Feindbegriff in die Sphäre des Politischen ein. Es ist zweifellos keineswegs für ein Land sehr günstig, wenn die Freund- und Feindgruppierungen statt an die | S. 7 Grenzen verlegt zu werden, sich im Inneren des Landes auswirken. Wir haben gerade in den letzten Monaten gesehen, wie die parteipolitischen Gegensätze restlos „die“ politischen Gegensätze geworden sind, und zwar in einer solchen Intensität, daß die Frage der Vernichtung des einen oder anderen ganz offen ventiliert wurde. Die reale Möglichkeit eines Kampfes, der immer vorhanden ist, wenn von politischen Gegnern gesprochen wird, war damit zu einer, Schärfe zugespitzt worden, daß sie als Lösung der Freund- und Feindgruppierung die bewaffnete Auseinandersetzung ansah.