Der akademische Nationsozialismus. Grundlegendes über den Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht (Kapitel 1 bis 10)
von Miriam Wildenauer
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Teil I. / Kapitel 1.
- 1. Erste Informationen über die Akademie für Deutsches Recht (AfDR)
- 1.1. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie in den monographischen Darstellungen über Hans Frank
- 1.2. Wissensstand über Alfred Rosenberg und den Ausschuss für Rechtsphilosophie?
- 1.3. Der Forschungsstand über die AfDR als solcher
- 1.4. Die rechtliche Verfasstheit der AfDR von 1933 bis zum Juni 1943
- 1.5. Ergebnissicherung
- 1. Erste Informationen über die Akademie für Deutsches Recht (AfDR)
Teil I. / Kapitel 2.
- 2. Der dürftige Forschungsstand zum Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR
- 2.1. Pichinot (1981) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.2. Anderson 1982/87 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.3. Viktor Farías 1987/89 Forschungsergebnisse über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.4. Stefan K. Pinter (1994) über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie anhand der Akte Emges (GSA 72/1588)
- 2.5. Günzel (2000) über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie anhand der Akte Emges (GSA 72/1588)
- 2.6. Tilitzki (2003) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.7. Emanuel Faye 2005/09 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.8. Adlberger (2007) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.9. Alfred Denker und Holger Zaborowski (Hg.): Heidegger und der Nationalsozialismus. Teil 1: Dokumente, Teil 2: Interpretationen (2009)
- 2.10. Die Forschung zu Carl Schmitt weiß nichts über Carl Schmitts Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 2.11. Ergebnis: Forschungsstand über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Teil I. / Kapitel 3.
- 3. Die Gründungsphase des Ausschusses für Rechtsphilosophie von März bis Mitte Juni 1934 gemäß einer Akte Emges (GSA 72/1588)
- 3.1. Basisinformationen über die Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 3.2. Informationen zur Eröffnungssitzung am 3. Mai 1934
- 3.3. Informationen zur zweiten Sitzung des Ausschusses am 26. Mai 1934 auf der Arbeitstagung der AfDR in Berlin (Blätter 79-86)
- 3.4. Informationen zur geplanten dritten Sitzung des Ausschusses auf der ersten Jahrestagung der AfDR am 25. und 26. Juni 1934
- 3.5. Schreiben von Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie
- 3.6. Emge umwirbt Goebbels am 24. April 1934
- 3.7. Wilhelm Arendts an Hans Frank am 2. Mai 1934
- 3.8. Tabellarischer Überblick über weitere Blätter der Akte GSA 72/1588
- 3.9. Ergebnissicherung
Teil I. / Kapitel 4.
- 4. Die Berichterstattung in Zeitungen und Fachzeitschriften über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934
- 4.1. Die Berichte der „Frankfurter Zeitung“ vom 4. und 5. Mai 1934 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 4.2. „Berliner Tageblatt und Handelszeitung“ vom 4. Mai 1934
- 4.3. Der „Völkischer Beobachter“ am 4. und 5. Mai 1934 über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie
- 4.4. „Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland“ vom 3. und 4. Mai 1934
- 4.5. Weimarische Zeitung vom 4. Mai 1934: „Deutsche Rechtsmoral aus Blut und Boden“
- 4.6. Überblick über Emges Unterausschüsse des Ausschusses für Rechtsphilosophie
- 4.7. Die Berichte der Fachzeitschriften über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie
- 4.8. Ergebnissicherung
- 4.9. Exkurs: Siegfried Blaas „Der Rassengedanke“ von 1940
Teil I. / Kapitel 5.
- 5. Nationalsozialistisches Handbuch-Wissen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie: Juni 1934
- 5.1. Dr. Hans Franks »Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung«
- 5.2. C. A. Emges Kurzbericht über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
- 5.3. Karl Laschs stellte die AFDR und den Ausschuss für Rechtsphilosophie im »braunen Rechts-Handbuch (1934)« vor
- 5.4. Exkurs: Hans Franks Rede vom 25. Juni 1934 auf der ersten Jahrestagung der AfDR vor ausländischen Gästen
- 5.5. Exkurs: Viktor Bruns Ausschuss für Völkerrecht
- 5.6. Ergebnissicherung
Teil I. / Kapitel 6.
Teil I. / Kapitel 7.
- 7. Die AfDR und der Ausschuss für Rechtsphilosophie im ersten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht
- 7.1. Hindenburgs Grußwort an die AfDR – angeblich vom 26. Juni 1934
- 7.2. Hans Franks Vorwort: Der BNSDJ und die AfDR vor dem sog. »Röhm-Putsch«
- 7.3. Bericht über die Gründung der Akademie am 26. Juni 1934
- 7.4. Hans Franks „Proklamation“ der AfDR (2.10.1933): Die AfDR sei auch eine Wahrerin der »deutschen Rassenseele«, die ein „ewiger Gott“ erschaffen habe
- 7.5. Die erste Vollsitzung der AfDR mit anschließender Arbeitstagung vom 5. November 1933
- 7.6. Sitzung der Ausschussvorsitzenden am 6. Dezember 1933: Die AfDR nach innen und außen
- 7.7. Wilhelm Kisch kündigte am Abend des 29. Januars 1934 an, dass ein Ausschuss für Rechtsphilosophie unter dem Vorsitz Hans Franks in der AfDR gebildet werde
- 7.8. Kischs Bericht über „Die bisherige Arbeit der Akademie für Deutsches Recht“ (S. 164-172) auf der Arbeitstagung, welche die Vollsitzung der Akademie vom 17. März 1934 im Rathaus zu Berlin begleitete
- 7.9. Luetgebrunes Redebeitrag auf dem Presseempfang der AfDR am 5. Mai 1934
- 7.10. Arbeitstagung am 26. Mai 1934 im großen Sitzungssaal des Preußen-Hauses in Berlin
- 7.11. Ergebnissicherung
Teil I. / Kapitel 8.
Teil I. / Kapitel 9.
- 9. Die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie nach dem 17. Juli 1941
- 9.1. R 61/30: Geschäftsführungsakte der AfDR des Zeitraums „1941-1943“
- 9.2. R 61/31: Änderungsaufträge für Listen von Ausschüssen und Mitgliederlisten von Ausschüssen aus dem Jahr 1938
- 9.3. Professor Wilhelm Kisch war noch im Herbst 1942 und Professor C. A. Emge noch im Winter 1943/44 Mitglied des Präsidiums der AfDR
- 9.4. Ergebnissicherung aus den Akten R 61/29, R 61/30 und R 61/31
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„Am 3. Mai 1934 konstituierte Dr. jur. Hans Frank (1900-1946) im Nietzsche-Archiv in Weimar den Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht (AfDR). Hans Frank war zu diesem Zeitpunkt Präsident der AfDR. Die Akademie hatte er 1933 zusammen mit Prof. Dr. Wilhelm Kisch (1874-1952) gegründet. Der Name der Akademie nennt ihren Zweck: „für Deutsches Recht“. Dieser Zweck ist eine Generalisierung des 19. Punktes des 25-Punkte-Programms der NSDAP vom 24. Februar 1920:
19. Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemein-Recht.[1]
In der ersten Satzung der AfDR vom 22. September 1933 wurde ihre Aufgabe folgendermaßen bestimmt:
§ 2 Aufgabe der Akademie für Deutsches Recht ist, die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechtes und der Wirtschaft zu verwirklichen.
(Erstes Gesetz und erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933, 1934), S. 249
Zur Erfüllung der Aufgabe wurden zahlreiche Ausschüsse in der AfDR gegründet, die sich mit Teilgebieten der NS-Gesetzgebung befassten. So gab es zum Beispiel Ausschüsse für Strafrecht (Dr. jur. Roland Freisler) für Bürgerliche Rechtspflege (Prof. Dr. jur. Wilhelm Kisch), für Bürgerliches Recht (Prof. Dr. jur. Justus W. Hedemann), für Staats- und Verwaltungsrecht (Prof. Dr. Carl Schmitt) und für Völkerrecht (Prof. Dr. Viktor Bruns). Jeder Ausschuss hatte einen Vorsitzenden, der weitreichende Rechte innehatte. Es galt das Führerprinzip.
Der promovierte Jurist Hans Frank war und blieb Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Sein Stellvertreter in diesem Ausschuss war und blieb Prof. Dr. jur. Dr. phil. Carl August Emge (1886-1970). Der Ausschuss für Rechtsphilosophie war der einzige Ausschuss der AfDR, dessen Vorsitz Hans Frank persönlich innehatte. Nachdem Hans Frank im Dezember 1934 durch Hitler zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich ernannt worden war, war ein Mitglied einer der wichtigsten Stellen für die Gesetzgebung des Dritten Reichs zugleich Präsident der AfDR und Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Kein anderer Reichsminister war zu irgendeinem Zeitpunkt Vorsitzender eines Ausschusses des AfDR. Formalrechtlich und personalpolitisch hatte der Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR damit eine herausragende Stellung in der Verwirklichung des nationalsozialistischen Programms im Dritten Reich.
Wie ich in diesem ersten von vier Teilen meiner Publikation zum Akademischen Nationalsozialismus zeigen werde, existierte dieser Ausschuss für Rechtsphilosophie gemäß einer Geschäftsführungsakte der AfDR noch bis mindestens in den Januar 1943 hinein. Diese Akte ist identifizierbar durch die Signatur „R61/30“ des Bundesarchivs (BArch). Die Akte enthält Schriftstücke der Laufzeit 1941 bis 1943. Sie ist seit Jahrzehnten für Wissenschaftler zugänglich. Nur ein einziger Wissenschaftler, Dennis LeRoy Anderson, hat bislang öffentlich mitgeteilt, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie erst im Januar 1943 aufgelöst worden ist.[2] Diese wichtige Information aus Anderson (1982/87) ist von den Experten der Fachwissenschaften aber nicht rezipiert worden.
In derselben Akte R 61/30, in der sich Listen von Ausschüssen mit Auflösungszeitpunkten des Jahres 1943 befinden, befinden sich auch viele Mitgliederlisten dieser Ausschüsse der AfDR. Auch für den Ausschuss für Rechtsphilosophie ist eine Mitgliederliste vorhanden. Wegen ihres Aktenkontextes können die auf ihr präsentierten Informationen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dem Zeitraum 1941 bis 1943 zugeordnet werden. Zur Gewissheit wird diese zeitliche Zuordnung durch eine Information der Mitgliederliste selbst: Auf der Mitgliederliste des „Ausschusses für Rechtsphilosophie“ wird „Rosenberg“ nämlich als „Reichsminister“ aufgeführt. Alfred Rosenberg ist aber erstmalig am 17. Juli 1941 Reichsminister geworden. Genauer: Er ist „Reichsminister für die besetzten Ostgebiete“ geworden.[3] Deswegen kann die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie nicht vor dem 17. Juli 1941 getippt worden sein.
Hier kommt eine von mir erstellte Abbildung[4] der semiotischen Informationen der Mitgliederliste, die auf Blatt 171 der Akte R 61/30 Akte vorhanden sind.[5]
Abbildung 1: Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie (1941-1943) – von Miriam Wildenauer erstellte Projektion aller semiotischen Informationen des Blattes 171 der Geschäftsführungsakte der AfDR mit der BArch-Signatur R 61/30
Da heute acht der zwölf Mitglieder[6] des Ausschusses für Rechtsphilosophie der breiten Öffentlichkeit nicht mehr bekannt sind, stelle ich die Unbekannteren kurz vor. Ich beginne meine Vorstellung mit der größten Teilgruppe, der Gruppe der Jura-Professoren:
Erich Jung (1866-1950), Ernst Heymann (1870-1946), Wilhelm Kisch (1874-1952), Viktor Bruns (1884-1943), Carl August Emge (1886-1970) und Carl Schmitt (1888-1985) waren Professoren in Juristischen Seminaren deutscher Universitäten.
Das älteste Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie Erich Jung war ordentlicher Professor vor allem in Straßburg (bis 1918) und in Marburg (ab 1921). In Marburg war er „Professor für Rechtsphilosophie, deutsches bürgerliches und römische Recht“ gemäß seiner Selbstauskunft in Degeners „Wer ist’s?“ von 1935.[7] Erich Jung ist heute nahezu unbekannt. Mit ihm werde ich mich ausführlich in Teil II meiner Publikation befassen. In Teil II stelle ich die Ursprünge des akademischen Nationalsozialismus vor.
Ein Straßburger Kollege Erich Jungs war Wilhelm Kisch. Kisch war in Straßburg seit 1902 Professor für Bürgerliches Recht und Bürgerliches Prozessrecht. 1916 wechselte Kisch nach München. Er war in der AfDR bis in den Oktober 1937 hinein stellvertretender Präsident der AfDR. Sein Nachfolger in diesem Amt wurde C. A. Emge. Hans Frank bezeichnete Wilhelm Kisch als seinen akademischen Lehrer.[8]
Vier von zwölf Mitgliedern des Ausschuss für Rechtsphilosophie waren Fakultätskollegen in Berlin: Ernst Heymann und Viktor Bruns waren bereits vor, Carl Schmitt und Carl August Emge – sowie Wenzeslaus von Gleispach (1876-1944) – wurden nach der Machtergreifung 1933 Ordinarien in der renommiertesten Juristischen Fakultät des damaligen Deutschlands: Carl Schmitt am 7. Juli 1933[9] und Emge am 28. November 1934[10]. Die Nähe zur Reichsregierung sorgte für das herausgehobene Prestige dieser Fakultät.
Ernst Heymann stellt sich selbst im »Deutsche Führerlexikon 1934/35« als Schüler von Felix Dahn, Otto Fischer, M. Wlasak, Heinrich Brunner und Otto von Gierke vor. Er war von 1904 bis 1914 Professor an der Universität Marburg. 1914 folgte er einem Ruf an die Berliner Universität.[11] 1921 gründete er das „Institut für Ausländisches und Wirtschaftsrecht“ in Berlin.[12] 1937 wurde Heymann Direktor des „Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht“ der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin. Zu seinem 70. Geburtstag erschien 1940 eine Festschrift in zwei Bänden. Der erste Band endet mit einem Beitrag von Reinhard Höhn (1904-2000). Reinhard Höhn gilt manchen als die Person, die Carl Schmitt und Hans Freyer vor 1939 entmachtet habe. Ernst Heymann war der akademische Lehrer C. A. Emges in ihrer gemeinsamen Zeit in Marburg.[13] Emge trug ebenfalls zur Festschrift für Heymann des Jahres 1940 bei.
Viktor Bruns war seit 1920 ordentlicher Professor der Juristischen Fakultät der Berliner Universität. Mit Wirkung zum 1. April 1923 wurde ihm ein neu geschaffenes „Ordinariat für öffentliches Recht“ verliehen. 1924 wurde Bruns Gründungsdirektor des „Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“ der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin.[14]
Carl August Emge war promovierter Jurist und promovierter Philosoph, ein „Schüler Heymanns“ und nach eigenen Angaben der erste Lehrstuhlinhaber einer Professur für Rechtsphilosophie in einer deutschen Universität, und zwar ab 1933 in Jena und ab November 1934 in Berlin. Seit 1930 war er mit der wissenschaftlichen Leitung des Nietzsches-Archivs betraut.[15] 1931 wurde Emge Mitglied der NSDAP (Nr. 847.792).[16] Im Artikel über Emge in »Das Deutsche Führerlexikon 1934/35«[17] wird mitgeteilt, dass er seit 1916 die „marxistische Rechtsphilosophie“ bekämpft habe, dass er seit Beginn 1931 mit Aufrufen im „Völkischen Beobachter“ Alfred Rosenbergs und in Schriften („Geistiger Mensch und Nationalsozialismus“[18]) „für die Bewegung tätig“ gewesen sei und 1932/33 als „Universitätskurator für die politische Umstellung in Jena“ verantwortlich gewesen sei. Über Emge als Universitätskurator berichtet Stefan K. Pinter anhand einer Personalakte Emges folgendes:
5. Emge als nationalsozialistischer Universitätskurator
Statt dessen wurde Emge ab 1.10.1932 als erster überhaupt in eine neu geschaffene Funktion berufen, die des Kurators der Thüringischen Landesuniversität in Jena.2
Die Tätigkeit des Kurators wurde vom Ministerium so festgelegt:
1. Grundsätzliche Organisationsfragen des Hochschulwesens, der Studentenschaft, der studentischen Wirtschaftseinrichtungen;
2. politische Angelegenheiten;
3. berichtliche Weitergabe aller Schriftstücke vom Rektor und von den Fakultäten sowie an diese bei Berufungen, Lehraufträgen, Lehrberechtigungen und Ernennungen der Hochschullehrer.3
Weitere Angelegenheiten, besonders die eigentlich dem Kurator nach der Hauptsatzung obliegende Vermögensverwaltung der Universität, sollten jedoch weiter vom Ministerium direkt durch einen Ministerialreferenten an der Universität erledigt werden.4 Sowohl die Aufgabenbeschreibung wie auch der Verbleib des Verwaltungsbeamten an der Universität zeigen, was Emge als Kurator bewerkstelligen sollte: den unmittelbaren Einfluß und die Kontrolle durch die Partei bei der geplanten totalen Veränderung der Hochschulen und frühzeitig auch bei der (Neu-)Zusammensetzung des Lehrkörpers ermöglichen.
2 Universitätsarchiv Humboldt-Universität Berlin, Akte B 56 Jenaer Teil, ohne Blattangabe
3 ebd., ohne Blattangabe
4 ebd., ohne Blattangabe
(Pinter 1994), S. 9
Ich stelle nun kurz die Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie vor, die Professoren, aber keine Juristen waren.
Hans Freyer (1887-1969) war in der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig promoviert und habilitiert worden. Er hatte ab 1925 die erste deutsche Professur für Soziologie inne. Sie war an der Universität Leipzig eingerichtet worden. Sein Biograph Jerry Z. Muller beschreibt Freyer als konservativen Revolutionär, der 1933/34 in einflussreiche Positionen aufstieg, aber bereits 1938 desillusioniert gewesen sei, deswegen seinen Lebensmittelpunkt nach Ungarn verlegt habe und dort vom NS-Staat benutzt worden sei.
During the process of Gleichschaltung (government “coordination”) in 1933 and 1934, as we will see in chapter 7, Freyer and like-minded intellectuals rose to important posts in the academy, in cultural institutions, and in government. Their dual roles as respected academics and as known ideological sympathizers of the regime served to propel them into positions of prestige. This pattern is demonstrated by Freyer’s experience at the University of Leipzig, where he became head of a renowned institute of historical research, and within the German Sociological Association, whose rump membership elected him as its president. […]
Freyer’s disillusionment with totalitarian solutions to the problems of modernity is examined in chapter 8. A careful reconstruction of his relations with the cultural institutions and organs of ideological control in the years from 1934 to 1938 illuminates the sources of his disillusionment. His dual roles as academic social scientist and as ideologist now worked against him. In a regime that placed a premium on ideological orthodoxy, the charge of insufficient ideological commitment was used against him by professional rivals and party zealots. Surveillance of mail, the pervasive threat of denunciation, and the political persecution of Freyer’s valued colleagues all contributed to the souring of his hopes. […] │ S. 7 […] Yet, like many conservative Germans disabused of their hopes for the Third Reich — including those of Freyer’s friends who participated in the assassination attempt on Hitler — Freyer continued to serve the regime. From 1938 through 1945 he lived in Budapest as visiting professor of German studies and as director of a German scientific institute; both positions were creations of the German foreign office, intended to boost the prestige of the regime abroad. Freyer’s roles in Budapest illustrate the utilization of prestigious intellectuals by the Nazi regime.
(Muller, 1987), S. 6 f.
Ein wichtiger Akteur in der Desillusionierung Freyers sei Reinhard Höhn gewesen.[19] Derselbe Höhn, der angeblich auch hinter der Entmachtung Carl Schmitts durch die SS gestanden habe. Muller teilt nicht mit, dass Hans Freyer Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Nicht einmal, dass er Gründungsmitglied des Ausschusses gewesen ist.
Erich Rothacker (1888-1965) war ein akademischer Schüler des Philosophieprofessors Heinrich Maier (1867-1933). Aufgrund von Gutachten Maiers ist er 1911 an der Universität Tübingen promoviert und 1920 an der Universität Heidelberg habilitiert worden. 1928 wechselte Rothacker von Heidelberg nach Bonn. Er wurde dort Nachfolger des Philosophen und Psychologen Gustav Wilhelm Störring (1860-1946). Spätestens 1940 wurde Rothacker Direktor des Psychologischen Instituts der Universität Bonn.[20] Bereits am 12. November 1932 ist Rothacker in den „Nationalsozialistischen Lehrerbund“ (NS-LB) eingetreten.[21] Durch ihn sollten Lehrer zu Nationalsozialisten geschult werden, die aus Kindern Nationalsozialisten machen sollten.[22]
Martin Heidegger (1889-1976) war von 1923 bis 1928 Professor für Philosophie in Marburg und damit ein Kollege Erich Jungs und Rudolf Bultmanns[23]. 1928 wechselte Heidegger nach Freiburg. In den Marburger Jahren entwarfen Rudolf Bultmann und er ein Gemeinschaftsprojekt, das Heidegger aus der Perspektive der Philosophie und Bultmann aus der Perspektive der evangelischen Theologie bearbeiten wollten. In einem Brief vom Dezember 1932 vermutet Bultmann, dass ein Nietzsche-Erlebnis Heideggers des Jahres 1932 beider Wege weiter auseinander geführt habe, als beide das in den gemeinsamen Marburger Jahren erwartet hatten.[24]
Max Mikorey (1899-1977) war Psychiater und Oberarzt. Abgesehen von Alfred Rosenberg ist Max Mikorey die einzige Person der zwölf Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie des Jahres 1941, über die bereits gewusst wird, dass sie nach 1939 dienstlich Kontakt mit dem Generalgouverneur Hans Frank hatte. Und zwar zumindest am 15. September 1944.[25]
Auch Hans Frank (1900-1946) war Akademiker im Kreis der Habilitierten und der Professoren des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Nachdem er von 1919 bis 1923 Rechts- und Wirtschaftswissenschaft in München und Kiel studiert hatte, wurde er 1924 an der Universität Kiel zum Doktor der Rechte mit der Schrift „Die öffentlichrechtliche juristische Person. Ein Beitrag zur Lehre des Merkmals der öffentlichen Rechtspersönlichkeit“ aufgrund eines Gutachtens von Walter Jellinek promoviert. 1926 absolvierte Frank das Juristische Staatsexamen. 1927 erhielt er laut Gerhard Schulz‘ Artikel von 1961 in der „Neuen Deutschen Biographie“ eine „Assistentenstelle am juristischen Seminar der Technischen Hochschule München“.[26] In einer Tagebuchnotiz hat Carl Schmitt behauptet, Hans Frank sei „Assistent“ Fritz van Calkers gewesen.[27] Fritz van Calker gilt als Förderer Carl Schmitts.
Auch Alfred Rosenberg (1892-1946) war Akademiker, er war diplomierter Architekt. Er hatte sein Studium der Architektur 1910 in Riga begonnen. Aufgrund des Weltkrieges war das Polytechnikum der Universität Riga mit sämtlichen Professoren im Sommer 1915 nach Moskau evakuiert worden. Ab dem Wintersemester 1915/16 studierte Rosenberg deswegen in Moskau. Insgesamt vier Semester lang. Im Sommersemester 1917 schloss er sein Studium ab. Vom Oktober 1917 bis Januar 1918 schrieb er seine Diplomarbeit. Anfang 1918 reiste er nach Moskau zur Abschlussprüfung, die er mit gutem Erfolg bestand.[28] Danach wechselte er nach Deutschland und wurde in München einer der ersten Mitglieder der NSDAP.
In folgender Liste stelle ich die Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gemäß dem Senioritätsprinzip noch einmal kurz vor:
- Erich Jung (1866–1950), Dr. jur. und Dr. phil., Professor für Rechtsphilosophie, deutsches bürgerliches und römisches Recht in Straßburg und Marburg,
- Ernst Heymann (1870–1946), Geheimrat und Professor mit dem Schwerpunkten Deutsches Privatrecht, Handels- und Gewerberecht, Deutsche Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung in Königsberg, Marburg und Berlin,
- Wilhelm Kisch (1874–1952), Professor für Zivilrecht in Straßburg und München,
- Viktor Bruns (1884–1943), Professor für Staats- und Völkerrecht in Berlin,
- Carl August Emge (1886–1970), Dr. jur. und Dr. phil., Professor für Rechtsphilosophie in Jena, Wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs in Weimar, Gleichschalter der Universitäten in Thüringen vor 1933,
- Hans Freyer (1887–1969), Professuren für Soziologie und Politikwissenschaft, Direktor des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte in Leipzig,
- Carl Schmitt (1888–1985), Preußischer Staatsrat, Professuren in Greifswald, Bonn, Köln und Berlin, Schwerpunkte: Verfassungs-, Staat- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht,
- Erich Rothacker (1888–1965), Professor für Philosophie in Bonn, vor 1933 Mitglied im Nationalsozialistischen Lehrerbund,
- Martin Heidegger (1889–1976), Professor für Philosophie in Marburg und Freiburg,
- Alfred Rosenberg (1892–1946), „Parteiphilosoph“ der NSDAP, Reichsminister für die besetzten Ostgebiete seit dem 17. Juli 1941, in Nürnberg zum Tode verurteilter Hauptkriegsverbrecher,
- Max Mikorey (1899–1977), Dr. med., Oberarzt in der Psychiatrie, Kontakte zu Hans Frank als dieser Generalgouverneur war
- Hans Frank (1900–1946), promovierter Jurist, in Nürnberg zum Tode verurteilter Hauptkriegsverbrecher.
Dieser Personenkreis war noch nach dem 17. Juli 1941 im Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR miteinander verbunden. Als der Ausschuss im Januar 1943 (vorübergehend) aufgelöst wurde, hatten Hans Frank und Alfred Rosenberg bereits zahlreiche derjenigen Verbrechen begangen, für die sie im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt worden sind.
Ähnlich bekannt wie Hans Frank und Alfred Rosenberg sind Martin Heidegger und Carl Schmitt. Heidegger und Schmitt gelten einigen Akademikern weltweit als führende Denker des 20. Jahrhunderts.
Dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie war, ist von der Forschung zu Carl Schmitt bisher noch nicht berücksichtigt worden. Die Tatsache ist nur selten und dann in Forschungen zu anderen Personen (Emge) und Themen (AfDR) lediglich beiläufig erwähnt worden. Keiner dieser beiläufigen Mitteilungen informierte die Leser darüber, dass Carl Schmitt noch nach dem Sommer 1941 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Dass Martin Heidegger zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Mai 1934 gehört hat, ist seit Viktor Farías bedeutendem Buch „Heidegger und der Nationalsozialismus“ (Original: 1987, deutsche Übersetzung: 1989) einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Farías hatte in einer Personalakte des nationalsozialistischen Erziehungswissenschaftlers Ernst Krieck (1882-1947) Zeitungsausschnitte vom Mai 1934 entdeckt, in denen über die Gründung des Ausschusses berichtet worden war. Farías gibt aus dem Bericht der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 u.a. folgende Informationen an seine Leser weiter:
An der konstituierenden Sitzung dieses Ausschusses, die im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand, nahmen (als Gründer und Vorsitzender) der Reichsjustizkommissar Dr. Hans Frank sowie Vertreter der Verwaltung und der nationalsozialistischen Intelligenz teil. Geschäftsführender Vorsitzender war Prof. Emge (Jena). Anwesend waren außerdem Geheimrat Kisch (München), Reichsleiter Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai und Staatsrat Schmidt. Dem Ausschuß gehörten ferner an die Professoren Heidegger (Freiburg), Rothacker und Naumann (Bonn), Freyer (Leipzig), Baron von Uexküll (Hamburg), Geheimrat Stammler (Berlin), Binder (Göttingen), Geheimrat Heymann (Berlin), Jung (Marburg), Bruns (Berlin) sowie Dr. Mikorey (München).
(Farías 1989), S. 277
Die Schreibweise „Staatsrat Schmidt“ ist nicht Folge eines Tippfehlers in Farías Buch. Diese Schreibweise findet sich so bereits im Artikel der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934. Es ist deswegen möglich, dass nicht Carl Schmitt, sondern eine andere Person Gründungsmitglied des Ausschusses für Recchtsphilosophie gewesen ist. Andere veröffentlichte Texte des Jahres 1934 und 1935 zeigen aber, dass Carl Schmitt bereits 1934 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Eine bislang unveröffentlichte Quelle zeigt darüber hinaus, dass Carl Schmitt Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist (siehe Abschnitt 3).
Eine Zusammenarbeit von Professoren im Mai 1934 insbesondere mit Alfred Rosenberg war für die Professoren kompromittierend. Das bekundete jedenfalls Professor Emge, der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Rechtsphilosophie, 1960 in seinem Text mit dem barocken Titel „Erinnerungen eines Rechtsphilosophen an die Umwege, die sich schließlich doch als Zugänge nach Berlin erwiesen, an die dortige rechtsphilosophische Situation und Ausblicke auf Utopia“. Adressaten des Textes waren westdeutsche Akademiker, die der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin gedachten, die durch die Teilung Deutschlands »an den Osten verloren« war.
Emges Bezugnahme auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie ist sehr beiläufig. Sie folgt dem Matruschka-Prinzip: die kleinste Puppe ist der Ausschuss für Rechtsphilosophie, die nächste die AfDR, die nächste das Nietzsche-Archiv, die nächste seine Jenaer Professur für Rechtsphilosophie. Über die kleinste Puppe behauptet Emge lügenhaft, dass Alfred Rosenberg ihr noch am Abend des 3. Mai 1934 den „Todesstoß“ versetzt habe.
[…] So hat es also einmal ein Jenaer Universitätsseminar im Weimarer Nietzschehaus gegeben, das jetzt [in der DDR; mw] wohl nur noch als bloße Hülle fortexistiert. Noch ein anderes muß von der Rechtsphilosophie her erwähnt werden. Wie man uns vertraulich erzählte, hatte der erste Auszug aus dem allmählich anwachsenden sog. Aphorismenbuch [1935/36[29]; mw] als »Opposition« offizielles Mißfallen einer sehr hohen Persönlichkeit erregt, jedoch die seltsame Folge gehabt, daß Geheimrat Kisch, der wissenschaftliche Leiter der Akademie für deutsches Recht mich offenbar auf Anregung jener bat, seine Nachfolge zu übernehmen.[30] Wie heute feststeht, war dies eine Stätte, wo, unabhängig von Partei und sonstigen Einflüssen, in enger Beziehung mit der ausländischen Wissenschaft in Ausschüssen das für spätere Legislatur heranreifende Material bearbeitet wurde und wissenschaftliche Werke, wie z. B. das grundlegende Koschackers über die Bedeutung des römischen Rechts oder Editionen, z. B. der Germanenrechte, entstanden. Es bedarf hier keiner Nennung der Persönlichkeiten, deren Bedeutung auch nach 1945 wieder anerkannt wurde. Ein schon längst reifer Ausschuß für Nationalitätenprobleme gab wichtige Anregungen zur Erkenntnis ja zur Nomenklatur jener so kompliziert gelagerten Verhältnisse. Hier machten sich jedoch später politische Wünsche bemerkbar, die uns zum Niederlegen des Vorsitzes nötigten und schließlich die ganze Ausschußtätigkeit stillegten [im Original; mw]. Das war auch das Schicksal einer Arbeitsgruppe für Rechtsphilosophie. Zusammengesetzt nicht in erster Linie von sozusagen approbierten Rechtsphilosophen, sondern als eine Diskussionsgruppe für übersehene rechtsphilosophische Probleme gemeint, hatte sie als Mitglieder unter anderen zwei heute noch sehr wirksame Philosophen, die Rechtsphilosophen Stammler und Binder, wohl auch Werner Sombart, den Biologen Baron Jacob Uexküll. Als wir uns an die Arbeit begaben, erschien Alfred Rosenberg und trug │ S. 75 sein bekannt unreifes Zeug vor. Die Folge davon war, daß ihn nach der Sitzung Uexküll im Hotel aufsuchte, um auf die Unmöglichkeit seiner Auffassungen aufmerksam zu machen. Eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem berühmten Gelehrten aus alter Kulturschicht von hohem wissenschaftlichen [im Original; mw] Rang mit dem homo novus und Dilettanten! Damit war jener Arbeitsgruppe der Todesstoß versetzt. Sie konnte nie mehr zusammen kommen. Dafür ließ sich allerdings später die Widerstandsgruppe der Akademie dadurch verstärken, daß wir auf Wunsch der infolge der Juliereignisse [des Jahres 1944; mw] hingerichteten Jens Jessen und Popitz eine bisher nicht vorgesehene Klasse »Wirtschaftswissenschaften« durchsetzen konnten, deren Leitung der unglückliche Jessen bekam. So war man im Falle des Gelingens gewisser Pläne der Möglichkeit näher gerückt, sofort zur Wiederherstellung eines echten Rechtszustands und zur Wiedergutmachung mit einem großen Kreis von Fachleuten bereit zu stehen. Wir waren schon lange abgesetzt, lebten im Odenwald, als uns — auf einer offenen Karte! — Jessen von dem nun kurz bevorstehenden Widerstandsakt, jedem Spitzel verständlich, Mitteilung machte. —
Doch um zu jenen Jenaer-Weimarer Tagen zurückzukehren, […]
(C. A. Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 75
Ich werde in Teil I anhand mehrerer Quellen nachweisen, dass Emges Behauptung, der Ausschuss sei nach dem 3. Mai 1934 „nie mehr zusammen gekommen“, falsch ist. Da Emge das auch wusste, und er die Behauptung in der Absicht äußerte, die Leser zu täuschen und Schaden von sich abzuwenden, handelt es sich eindeutig um eine Lüge.
Auffällig ist bereits hier, dass Emge seine Leser 1960 nur unvollständig über die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie informiert. Emge erwähnt Heidegger nicht. Im Bericht der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie war Heidegger erwähnt worden. Einige Leser, die Emges »Erinnerungen« in den 1960-er Jahren gelesen haben, werden noch aus eigener Lektüre der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 gewusst haben, dass unter anderem auch Martin Heidegger Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind.
Die Personen, die Emge 1960 als Mitglieder vorstellt – Rudolf Stammler, Julius Binder, Werner Sombart[31] und Baron Jacob von Uexküll – konnten seiner Darstellung nicht mehr widersprechen. Sie waren bereits alle tot.
Dasselbe gilt für die hingerichteten Kriegsverbrecher Hans Frank und Alfred Rosenberg. Und für die vier kaiserliche Professoren Erich Jung, Ernst Heymann, Wilhelm Kisch und Viktor Bruns, die noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind. Helmut Nicolai (1895-1955) und Hans Naumann (1886-1951) waren ebenfalls bereits tot.
Carl Schmitt, Martin Heidegger, Hans Freyer, Erich Rothacker und Max Mikorey hätten Emge 1960 noch widersprechen können. Aus naheliegenden Gründen werden sie erfreut gewesen sein, dass Emge nicht mitteilte, dass auch sie am 3. Mai 1934 zusammen mit dem „homo novus und Dilettanten“ Alfred Rosenberg Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gewesen sind. Noch erfreuter werden sie über Emges Lüge gewesen sein, dass der Ausschuss danach nie wieder zusammenkam. Wäre 1960 gar bekannt geworden, dass die Herren Heidegger, Schmitt, Freyer, Rothacker und Mikorey zusammen mit den Reichsministern Alfred Rosenberg und Hans Frank Mitglieder im Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR noch nach dem 17. Juli 1941 gewesen sind, hätte vielleicht der Generalstaatsanwalt des Landes Hessen, Fritz Bauer (1903-1968), mit Vorermittlungen begonnen.
1960 mussten prominente Mitglieder des akademischen Nationalsozialismus wie Professor Emge ihre Worte übrigens nicht nur mit Blick auf deutsche Staatsanwälte sorgfältig wählen. 1960 lebten auch noch Angehörige und Freunde der Opfer der beiden größeren »Säuberungswellen«, die im Umkreis des akademischen Nationalsozialismus im Juli 1934 und im Juli 1944 wüteten. Was sie gedacht und vielleicht getan hätten, hätten sie 1960 erfahren, dass die Herren Emge, Heidegger, Schmitt, Mikorey, Freyer und Rothacker noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gewesen sind, wüsste ich gerne. Vielleicht lebt ja noch jemand, der oder die bereit ist, dazu Auskunft zu geben.
Ich vermute, die Bereitschaft dazu erhöht sich weiter, wenn öffentlich bekannt wird, dass Roland Freisler und Carl August Emge bis mindestens zum Ende des Jahres 1943 Mitglieder des Präsidiums der AfDR gewesen sind. Und auch Wilhelm Kisch war noch nach dem August 1942 Präsidiumsmitglied der AfDR. Am 20. August 1942 ist Roland Freisler bekanntlich Präsident des Volksgerichtshofs geworden. Dem Präsidium der AfDR gehörten ferner von Amtswegen der Reichsjustizminister und der Reichsinnenminister an. Ende 1943, als Emge noch Mitglied des Präsidiums der AfDR war, war Otto Thierack Reichsjustizminister und Heinrich Himmler Reichsinnenminister (vgl. meinen Abschnitt 9.3.).
1. Erste Informationen über die Akademie für Deutsches Recht (AfDR)
Die Akademie für Deutsches Recht (AfDR) ist 1933 von Dr. jur. Hans Frank unter Beratung seines akademischen Lehrers, des Professors Wilhelm Kisch, gegründet worden. In der posthum erschienen Schrift Im Angesicht des Galgens (1953), die angeblich Hans Frank verfasst habe, wird die Gründung der AfDR so dargestellt:
Etwa Anfang Juni 1933 saß ich wie immer an meinem Schreibtisch im Justizpalast
– Hans Frank war zu diesem Zeitpunkt Justizminister Bayerns –
und besprach mit meinem lieben Staatsrat Spangenberger [Heinrich; 1870-1940; mw][32], der selbstverständlich genau so wie, nach meiner Erfahrung, die meisten Münchener höheren Ministerialbeamten ein nicht altbayerischer Bayer, sondern ein Oberfranke war, Fragen der Gesetzgebung im Hinblick auf den Wegfall aller Parlamente für diese legislative Arbeit. Er war auch meiner Meinung, daß damit nicht etwa das Führerprinzip gefördert würde, sondern höchstens die Gesetzbürokratie der großen Bürokratenkasernen, die man Reichsministerien nannte. Diese nämlich wurde nun völlig autark und hatte damit einen Sieg der Ressortkaste erlebt, der Schlimmstes befürchten ließ. Aber was dagegen tun? Da blitzte mir der Gedanke durch den Kopf: das Parlament war | S. 176[33] zwar denkbar unsachlich in öffentlicher Sitzung, wo es vor Publikum und Presse galt, der Wählerschaft zu imponieren, aber doch sehr praktisch in seinen kleinen intimen Beratungsausschüssen; diese letzteren müßten also irgendwie bewahrt bleiben. Das geht nicht via Reichstag, aber es müßte sozusagen „freiorganisiert“ gehen und allmählich entwickelt werden. Aber wie das alles? Da sagte ich mir: Platon hat die Philosophen als die berufenen Staatsführer bezeichnet — und in seiner Akademie? — Eine Akademie will ich gründen, eine Gesetzes-, eine Rechtsakademie, die die Arbeit dieser Vorberatung übernehmen könnte. Und so entwickelte sich der Plan.
Ich schrieb meinem verehrten Lehrer, Geheimrat Kisch, entwickelte ihm meine Idee, und in einer ersten gemeinsamen Besprechung legten wir die Satzungen einer solchen Akademie fest. Ich fand in einem jungen Dr. Lasch [Karl; 1904-1942], der mir von Dr. Heuber [Wilhelm; 1898-1957] empfohlen worden war, einen tüchtigen, fähigen Mitarbeiter und „Adlatus für alles“, und sorgte dadurch für die gesetzliche Fundierung des Ganzen, daß meine beiden ehrwürdigen Freunde Reichsstatthalter Ritter von Epp und Ministerpräsident Dr. Siebert meinen Antrag in der bayerischen Regierung unterstützten. So erging bald darauf das bayerische Landesgesetz über die am 26. Juni 1933 errichtete „Akademie für deutsches Recht“ als öffentlich-rechtliche Körperschaft mit dem Sitz in München. Ich war seither Präsident dieser Akademie, einige Jahre hindurch stand Geheimrat Kisch, diese Leuchte geradezu klassisch erhabener Rechtsforschungsleistungen und Rechtslehrerbewährung, mir als mein Stellvertreter treu zur Seite. Als Schatzmeister betätigte sich der hervorragend bewährte Generaldirektor Arendts [Wilhelm; geboren am 6. Februar 1883; mw].[34] Dr. Lasch wurde Direktor, und eine Reihe von Dauermitarbeitern wurde sogleich eingestellt. Die Finanzierung hielt ich völlig unabhängig von Reich, Staat und Partei, da der von mir dem Institut gegebene Charakter eine tatsächliche Überparteilichkeit in jeder Form voraussetzte. Und mit glücklichem Segen begann und entwickelte sich mein organisatorisches Kind. Ich gab ihm aber auch den ganzen Gehalt meiner tiefsten Gläubigkeit mit auf den Weg. Irgendwie spürte ich in ihm meine innerste Verbindung mit der Wissenschaft und der Wahrheitssuche. Mit geweihtem Feuer bester deutscher Geisteskultur wollte ich sie dem ewigen Herrgott anheimgeben, auf daß doch noch auch für unser leidendes und gequältes und doch so grundgutes, edles, braves und ehrlich tüchtiges Volk der Weg des Richtigen, Wahren und Menschlichen gewahrt werden möge. Alles, was da aus mir an Sehnsucht nach einem im Recht befriedeten und zukunftsgesicherten Reiche glühte, gab ich ihm mit auf seinen Werdegang.
(H. Frank, Im Angesicht des Galgens 1953), S. 175 f.
Da der Text Im Angesicht des Galgens erstmalig 1953 veröffentlicht wurde, kann man nicht ausschließen, dass der Text, den Hans Frank im Gefängnis verfasst hat, nach seinem Tod verändert worden ist. Wer immer Autor des soeben Zitierten gewesen sein mag, der rhetorischen Zweck ist jedenfalls klar: Die AfDR war – insbesondere in ihren Ausschüsse – das Ersatz-»Parlament«, das unter den Bedingungen des NS-Staates möglich war. Böse waren die Reichsministerien. Die Professoren, die als Mitglieder der AfDR wirkten, waren als Ersatz-»Parlamentarier« jedenfalls nicht böse. Hans Frank spricht nicht von Ersatz-»Parlamentariern«. Er verwendet stattdessen die tradierte Rangbezeichnung der deutschen Feudalmonarchie vor der Weimarer Republik und vor dem »Dritten Reich«: Wilhelm Kisch war nach 1933 (wieder) »Geheimrat«.
Wer von dieser Darstellungsstrategie 1953 grundsätzlich profitierte, bedarf keiner Erklärung: Die Mitglieder der Akademie für Deutsches Recht, die noch lebten, profitierten von ihr. Wer mag, findet die Mitgliederliste, die im ersten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht im Sommer 1934 veröffentlicht worden ist, im Quellenbereich meiner Internetseite: Quellenverzeichnis / Quelle 1[35]. Zusätzlich kann man sich in der deutschen Wikipedia die Kategorie „Mitglied der Akademie für Deutsches Recht“[36] ansehen. Durch Nutzung der Wikipedia-Kategorie findet man schneller ergänzende Informationen zu den Personen. Zumindest die Geburtsdaten und ‑orte und die Angaben zu Texten, die diese Personen veröffentlicht haben, sind in den allermeisten Fällen zuverlässig.
Obwohl das, was ich vorhin zitiert habe, Teil der systematischen und umfassenden Geschichtsverfälschung nach 1945 ist, habe ich mit ihm begonnen, weil es bereits zwei von nur zwölf Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie ins Spiel bringt: Hans Frank und Wilhelm Kisch als Gründer der AfDR.
Den Ausschuss für Rechtsphilosophie wird im gesamten Text Im Angesicht des Galgens übrigens nicht einmal erwähnt. Ebenso wenig wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie in Hans Franks Diensttagebuch als Generalgouverneur (1939-1945) erwähnt, das 1975 vollständig veröffentlicht worden ist.[37] Bereits 1963 hat Stanisław Piotrowski[38], der ständige Vertreter Polens im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher[39], Auszüge aus dem Diensttagebuch veröffentlich: (S. Piotrowski 1963). Dasselbe gilt auch für die Tagebücher Alfred Rosenbergs, die vollständig erstmalig 2015 veröffentlicht worden sind.[40]
1.1. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie in den monographischen Darstellungen über Hans Frank
1.1.1. Martyn Housden: „Hans Frank. Lebensraum and the Holocaust“ (2002)
2003 erschien eine Monographie von Martyn Housden mit dem Titel Hans Frank. Lebensraum and the Holocaust. In ihr wird drei Mal ohne Angabe eines Belegs erwähnt, dass Hans Frank Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.[41] Die dritte Erwähnung erläutert die bloße Mitteilung der Tatsache ein wenig. Ich zitiere zunächst Housdens Charakterisierung von Hans Franks »Weltanschauung«. Das, was ich durch Fettdruck hervorhebe, kann ich als sachlich richtig bestätigen:
How should we interpret Hans Frank’s ideology? It is easy to be dismissive. Given his lack of direct impact on the actual formulation of policy between │ S. 65 1933 and 1939, Joachim Fest says the content of his speeches was less important than their style. They were characterised by ‚a bombastic vocabulary‘ and an ‚intoxicated grandiloquence‘. His function was as ‚an ideological weapon for facilitating the breakthrough of totalitarian concepts into wide areas of the legal profession.‘83 When Frank’s ideas are located in the context of a modern industrial society, they become more bizarre than ever.84 It is tempting to see him as a lightweight propagandist for semi-educated chattering classes: people who flattered themselves with the syntax of education but who evaded critical thinking. Hans Frank’s politics was neither good nor right. It was not even original. He was only one among many who reacted against Roman Law and Germany’s legal positivism after 1900.85 The nearest he came to novelty was in the application of racism to legal problems. By and large, his pronouncements were ‚vague‘, ‚flamboyant‘ and ‚more befitting the prophet or the stump orator than the legislator or the lawyer‘.86 Factually what he said was questionable. Even if we leave to one side his racial conception of Mankind, it was actually very hard to identify those elements of the German system which were Roman and those which were Germanic.87
83. Fest, The Face of the Third Reich, pp. 321-3.
84. Anderbrügge, Völkisches Rechtsdenken, p. 175.
85. K. Löwenstein, ‚Law in the Third Reich‘, Yale Law Review 45 (1936), p. 783.
86. ibid., pp. 784-5.
87. ibid., pp. 781-2.
(Housden 2003), S. 64 f.
Nun zitiere ich dritte Stelle, an der Housden den Ausschuss für Rechtsphilosophie erwähnt:
When all is said and done, in his heart, Frank considered himself an intellectual. He had achieved a doctorate, had been proud of his link to Munich’s Technical High School, set up the Academy for German Law and chose to head its committee on legal philosophy[42]. He took intellectual affairs in deadly earnest. Under the circumstances, it cannot be maintained that he tried to pedal a batch of ideas which he considered simply meaningless slogans. Such an undertaking would have clashed too starkly with his pretentious self-image. If his material was poorly formulated, it was because he was unable to do any better.
(Housden 2003), S. 66
Das, was folgt, ist politisch naiv, glaube ich:
This deficiency has to be understood in the context of systemic flaws in the legal education of the time. Then, legal tuition focused disproportionately on practical matters: the validity of │ S. 67 statutes and proper legal methods.92 Relatively little space was allotted to the philosophy of law and the possibility of a rational ethics. If Frank’s ideas spoke of precious little sophistication, it was because he had not been trained to do better. Presumably those very many lawyers who fell in behind Frank’s leadership of the legal estate were ill-prepared to do better themselves. There is little sign that Frank’s audiences found his words as absurd as they seem to educated readers today.
92 H. Weinkauf [gemeint: Hermann Weinkauff; mw], Die deutsche Justiz und Nationalsozialismus. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1968, p. 20
(Housden 2003), S. 66 f.
Folgender Behauptung von Housden, mit der er sein Buch beginnt, kann ich wieder zustimmen:
Preface
The whole point of Hitler’s politics was to occupy Lebensraum in Eastern Europe and get rid of the continent’s Jewry. […]
(Housden 2003), Vorwort, S. viii
Es wird sich zeigen, dass viele akademische Nationalsozialisten genau dasselbe wie Hitler wollten.
1.1.2. Dieter Schenk: „Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur“ (2006)
2006 erschien eine weitere Monographie über Hans Frank. Ihr Titel lautet Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur. Dieter Schenk hat sie verfasst.[43] Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird nicht ein einziges Mal erwähnt. Von den Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Jahre 1941 bis 1943 werden Carl Schmitt und Alfred Rosenberg mehrfach erwähnt, aber nicht in ihrer Eigenschaft als Mitglieder dieses Ausschusses. Darüber hinaus wird ein Verwandter von Max Mikorey kurz erwähnt. Diese Erwähnung zitiere ich:
Frank war ein Mensch, dessen übersteigertes Selbstwertgefühl mit Hang zur Arroganz von einem zum anderen Tag in das Gegenteil umschlagen konnte. Die Ämterhäufung stellte eine Krücke dar, die er zum aufrechten Gang brauchte. Hinzu kam, dass alle NS-Protagonisten von der Gunst Hitlers abhängig waren, um die sie buhlten. Auf diesem Hintergrund entwickelte Frank immer wieder Ideen, um seine Bedeutung zu unterstreichen. Dazu passt eine Bronzebüste, die er eigens herstellen und im »Haus der deutschen Juristen« in Berlin aufstellten ließ. Die Zeitung »Münchener Neueste Nachrichten« lobte den Bildhauer Franz Mikorey für die Abbildung der »charakteristischen physiognomischen Züge und den Charakter des Kopfes«. Der schräg abgeschnittene Hals sieht wie guillotiniert aus, aber darauf ist wohl Ende 1933 niemand gekommen.
(Schenk 2006), S. 102
Der Bildhauer Franz Mikorey (1907-1986) war der jüngere Bruder des Psychiaters Max Mikorey[44], der noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Dass weder der Ausschuss für Rechtsphilosophie noch seine Mitglieder in Dieter Schenks gelungenem Buch über den Generalgouverneur Hans Frank eine Rolle spielten, hängt vermutlich daran, dass Schenk glaubt, dass Hans Frank tatsächlich in den Jahren vor seiner Tätigkeit als Generalgouverneur bereits weitgehend entmachtet worden ist. Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass der Anschein einer Entmachtung Hans Franks zu Gunsten der Reichsministerien und der Parteikanzlei frühzeitig von den Beteiligten selbst erweckt wurde, um bestimmte strategische Ziele des akademischen Nationalsozialismus besser erreichen zu können: »Getrennt marschieren, gemeinsam zuschlagen!« ist ja weder eine unbekannte noch eine selten praktizierte Strategie.
Unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob Hans Frank tatsächlich lange vor 1942 oder überhaupt jemals entmachtet worden ist oder nicht, bietet Dieter Schenks Darstellung der AfDR bis zum Wechsel in deren Präsidentschaft im August 1942 von Hans Frank zu Otto Thierack (1889-1946) einen gelungenen Einstieg.
Ich zitiere auszugsweise und kommentiere:
Ursprünglich hatte Frank die »Akademie für Deutsches Recht« auf dem Leipziger Juristentag 1933 als Körperschaft des öffentlichen Rechts aus der Taufe gehoben und so organisiert, dass er alleinverantwortlicher Präsident war, sekundiert durch einen hochkarätig besetzten »Führerrat« (später Präsidium genannt). Träger der Akademiearbeit waren Abteilungen, denen 24 Fachausschüsse unterstanden. Vorsitzender des »Führerrats« wurde Hanns Kerrl, sein Vertreter Roland Freisler. Dem »Führerrat« gehörten ferner u. a. an: Franz Gürtner (Reichsjustizminister), Otto Thierack (sächsischer Justizminister), Franz Schlegelberger (Staatssekretär im RJM), der Staats- und Völkerrechtler Carl Schmitt und der Geschäftsführer des BNSDJ Wilhelm Heuber. Geschäftsführer der Akademie wurde Karl Lasch, enger Freund des Ehepaares Frank. Roland Freisler erhielt als Abteilungsleiter und Ausschussvorsitzender die Zuständigkeit für den Bereich Strafrecht, Carl Schmitt für Staats- und Verwaltungsrecht. Ministerialrat Dr. Werner Best, der 1939 die mörderischen Einsatzgruppen des Reichssicherheitshauptamtes organisieren wird, wurde Vorsitzender des Ausschusses für Polizeirecht. Sinnigerweise hatte Frank als Aufsichtsorgan das bayerische Justizministerium bestimmt, so dass er sich selbst beaufsichtigte. Politprominenz wurde zu Mitgliedern der Akademie ernannt, von Hermann │ S. 119 Göring und Joseph Goebbels über Wilhelm Frick (Reichsinnenminister), Walter Darré (Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft) und Robert Ley (Leiter Deutsche Arbeitsfront) bis zu Rudolf Heß und Alfred Rosenberg (Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP).
(Schenk 2006), S. 118-119
Da der Ausschuss für Polizeirecht erst 1936 gegründet worden ist, wie Schenk weiß, ist es ungünstig ihn bereits im Zusammenhang der Prominenz des Jahres 1933 zu nennen. Dass Alfred Rosenberg auch Mitglied eines Ausschusses der AfDR, nämlich des Ausschusses für Rechtsphilosophie bis in den Zeitraum 1941 bis 1943 gewesen ist, weiß Schenk nicht.
Pervertierung des Rechts und Franks Größenwahn
Franks wichtigste Bühne bildete die von ihm gegründete »Akademie für Deutsches Recht«. Es ist müßig, die Kompetenzen und ihre Überschneidungen von »Akademie«, »Reichsrechtsamt der NSDAP« und dem »Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund« näher zu untersuchen, wie sie ein gemeinsames Rundschreiben dieser Organisationen abgegrenzt oder in zeitgenössischer Literatur beschrieben wird. Die Größe des gesamten aufgeblähten Apparats stand im Widerspruch zu seiner Effizienz, diente Franks Selbstbestätigung und seinem fast suchtartigen Drang, sich an die Spitze von Institutionen zu setzen.
(Schenk 2006), S. 117
Da es dem „gesamten aufgeblähten Apparat“ akademischer Nationalsozialisten gelang, bis Ende des Jahres 1938 das Gesetzgebungswerk abzuschließen, durch das »die deutsche Wirtschaft« »entjudet« wurde (Abschnitt 10.1.), schätze ich die Effizienz ganz anders ein als Schenk.
Hätte Schenk gewusst und berücksichtigt, dass Hans Frank Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist und dass dieser Ausschuss seit Mai 1934 auch die Strategie-Abteilung der Gleichschaltung aller juristischen Vereinigungen gewesen ist (Unterabschnitt 7.9.2.), hätte er vermutlich erwogen, dass die Ämterhäufung primär nicht Ausdruck einer Charakterschwäche eines einzelnen, prominenten Nationalsozialisten gewesen ist, sondern ein taugliches Mittel zum Erreichen des strategischen Ziels der Gleichschaltung aller rechtswissenschaftlichen Organisationen.
Über die Tonlage eines Teils von Texten, die unter Hans Franks Namen veröffentlicht wurden, bietet folgender Absatz einen gelungen ersten Eindruck:
Seine Prestigeverluste versuchte Frank dadurch wettzumachen, dass er sich in seinen Medien Gehör verschuf. Er dominierte und präjudizierte die juristische Fachliteratur. Kein Anlass im Staat – vom »Führer-Geburtstag« über »Reichsrechtstag« bis zum Jahreswechsel – ohne sein Grußwort. Die Texte wirken immer aufdringlich, pompös, schwülstig und enden mit einer Huldigung Hitlers als »des deutschen Volkes erster Rechtswahrer«. Von »Schicksalswucht«, »Thing des Rechts«, dem »tiefsten Born eines Volksschicksals«, dem »Erz des eisernen Herzens« und der »ewigen Idee der germanischen Rechtsgesinnung« ist die Rede, gigantisch, welthistorisch und gewaltig sind die »Elemente«, die Frank bewegen. Seine Übertreibungen erzeugen Widerwillen und emotionale Ablehnung – wahrscheinlich sogar bei seinen Zeitgenossen.
(Schenk 2006), S. 124
Es gibt aber auch andere Texte, die unter Hans Franks Namen veröffentlicht worden sind, die eine juristische und rechtsphilosophische Expertise zum Ausdruck bringen, die seine Standesgenossen wahrscheinlich beeindruckt haben.
Der folgende Absatz bietet einen gelungenen ersten Überblick über die Autoren in zwei Zeitschriften, die unter Hans Franks Namen herausgegeben wurden:
Im »Deutschen Recht« [„Zentralorgan des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ); mw] und der »Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht« bot er schlimmsten Mordgesellen des Regimes ein Forum. Hier verbreiteten sich Reinhard Heydrich über »Die Bekämpfung des Staatsfeindes«, Kurt Daluege (Führer der Ordnungspolizei) über »Der nationalsozialistische Kampf gegen das Verbrechertum« oder Werner Best über »Die Geheime Staatspolizei«. Roland Freisler kam │ S. 125 ebenso zu Wort wie auch Carl Schmitt und natürlich Franks engste Mitarbeiter Dr. Lasch, Dr. Fischer, Dr. Heuber. Namhafte Autoren, die das Nazi-Unrecht in allen Facetten beleuchteten, lesen sich wie ein Who’s who berühmter Juristen der deutschen Nachkriegszeit«, in der diese Professoren erneut eine Meinungsführerschaft übernahmen, so zum Beispiel: Edmund Mezger (Juristische Kurzlehrbücher), Otto Palandt (Kommentar des Bürgerlichen Gesetzbuches), Theodor Maunz (Grundgesetz-Kommentar Maunz-Dürig-Herzog) und Georg Stadtmüller (Direktor Osteuropa-Institut München).
(Schenk 2006), S. 124 f.
Einen ersten, gelungenen Eindruck von den engen Kontakten der AfDR zur deutschen Wirtschaft, die noch im Zweiten Weltkrieg bestanden, gibt folgender Druckabsatz Dieter Schenks:
Ein Beispiel für die enge Verzahnung der Wirtschaft mit dem Nationalsozialismus ist Franks »Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht«, in der folgende Firmen Werbeanzeigen schalteten (7. Jahrgang 1940, in der Reihenfolge der erschienenen Hefte): Reemtsma-Zigaretten, Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke, Siemens, Hoesch AG, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Knorr-Bremsen-AG, Commerz-Bank, Dresdner Bank, Mauser-Waffen, Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt, Krupp AG, Hanomag Fahrzeuge, Nürnberger Lebensversicherung, Beck’sche Verlagsbuchhandlung, Verlag Julius Springer, Hannoversche Lebensversicherung, Mannesmann Röhren-Werke, Mercedes Benz, Autounion AG, Victoria Versicherung, Bayerische Vereinsbank, Deutsche Bank, Allianz- u. Stuttgarter Versicherung, Bayerische Hypotheken- u. Wechselbank, Fichtel u. Sachs AG, Münchner Rückversicherung, Robert Bosch GmbH, Klöckner-Humboldt-Deutz, Verlag Walter de Gruyter, Adler-Werke, Schering Berlin, I. G.-Farben, BMW, Agrippina-Versicherung, Württembergische Feuerversicherung, Volksfürsorge Versicherung, Wintershall AG, Iduna Versicherung, AEG, Stollwerk Schokolade.
(Schenk 2006), S. 126
Im zweiten Teil seines Buches, das sich mit dem Generalgouverneur Hans Frank befasst, bezieht sich Dieter Schenk nur noch einmal auf die AfDR. Im August 1942 wurde Otto Thierack Nachfolger von Hans Frank in dessen Eigenschaf als Präsident der AfDR. Schenk erläutert den Vorgang so, wie er üblicherweise erläutert wird:
Wie dem auch sei, es handelte sich um eine unrealistische Lagebeurteilung, denn schwere Wolken zogen sich über Frank zusammen. Bereits die erste Rede [Hans Franks an einer westdeutschen Universität über den »Rechtsstaat«; mw] alarmierte Heinrich Himmler, der darüber am 27. Juni mit Bormann telefonierte. Dass dieser wiederum Lammers konsultierte, ist nicht belegt, aber liegt nahe. Zur »Kamarilla« gesellte sich dann auch noch der Propagandaminister. Goebbels notierte am 31. Juli 1942:
»Generalgouverneur Frank hat in Heidelberg eine Rede über Justizpflege gehalten. Sie enthält ungefähr den entgegengesetzten Standpunkt von dem, was ich vor den Mitgliedern des Volksgerichtshofs ausgeführt habe. Er fordert die Unabhängigkeit der Richter, er nimmt die Justizpflege gegen jeden Angriff in Schutz, er sieht im Rechtsschutz überhaupt die letzte Hilfe für das Volk, das sonst schutzlos, wie hier durch die Blume gesagt wird, der Partei preisgegeben sei, und ähnliches. Diese Rede ist alles andere als erfreulich. Ich werde sie im Wortlaut dem Führer vorlegen, damit er geeignete Maßnahmen dagegen ergreifen kann.«
Hitler reagierte prompt und hart. Er ließ Frank durch Lammers auffordern, seine Parteiämter niederzulegen: als Führer des NS-Rechtswahrerbundes, als Präsident der Akademie für Deutsches Recht und als Leiter des Rechtsamtes der NSDAP. Zugleich verhängte Hitler über Frank ein absolutes Redeverbot im Reich. Reden im Generalgouvernement waren auf das Aufgabengebiet des Generalgouverneurs zu beschränken. Er blieb jedoch Generalgouverneur und auch Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Frank befolgte Hitlers Weisung am 2. August 1942 und notierte aufmüpfig in seinen Kalender: »Es lebe das Recht.«
Niklas Frank erfuhr aus den Aufzeichnungen der Mutter, dass sein Vater glückstrahlend mit seinem Mercedes am Schoberhof vorfuhr und ihr wie ein Junge entgegenlief: »Brigitte, Hitler hat mir das Generalgouvernement gelassen!«
[…] │ S. 272 […]
Hitler nahm Franks Degradierung zum Anlass für ein Revirement im Bereich der Justiz. Er versetzte Staatssekretär Schlegelberger mit einer Dotation in Höhe von 100.000 RM in den Ruhestand, ernannte am 20. August [1942; mw] den von Frank verachteten Otto Thierack zum Reichsjustizminister, Reichsführer des Rechtswahrerbundes und Präsidenten der Akademie für Deutsches Recht. Roland Freisler, den Hitler eher kritisch sah, wurde am 23. August [1942; mw] als Nachfolger Thieracks Präsident des Volksgerichtshofes. Das Reichsrechtsamt der Partei wurde aufgelöst. Frank nahm Thierack besonders übel, dass er Vertreter der Polizei in Strafverfahren als Anklagevertreter zugelassen hatte. Frank notierte: »Thierack: Rechts-Ende.«
Angeblich war die Berufung von Thierack für Frank der Anlass, am 24. August 1942 Hitler seinen Rücktritt anzubieten, was Hitler – wiederum durch eine Nachricht Lammers’ – am 31. August ablehnte. Ein achtzehnseitiger Rechenschaftsbericht – Franks »Kampf ums Recht« – wurde als Anlage dem Diensttagebuch beigefügt. Ob es dabei blieb oder der Bericht an Hitler adressiert worden ist, ist unklar. Es handelte sich um eine wortreiche Mischung aus Kühnheit, Selbstkasteiung, Sentimentalität und konfusem Idealismus, ein außerordentlich bezeichnendes Porträt seines Charakters (Joachim C. Fest).
(Schenk 2006), S. 271 f.
Mich überzeugt die Darstellung nicht, dass Hans Frank im August 1942 degradiert worden sei. Wer degradiert wird, ist nach der Degradierung weniger mächtig als vor der Degradierung. Ich sehe nicht, dass das der Fall gewesen ist. Hans Frank wäre degradiert worden, hätte Hitler ihm das Amt des Generalgouverneurs oder das Amt des Reichsministers entzogen. Beides hat er nicht getan. Und da Hans Frank bereits am 1. Oktober 1939 als frisch gebackener Autokrat des Generalgouvernements sein Amt als Präsident der AfDR durch öffentliche Bekanntmachung an Carl August Emge, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschuss für Rechtsphilosophie, übertragen hatte (siehe meinen Unterabschnitt 8.3.2.), bewirkte der Wechsel von Frank zu Thierack im Amt des Präsidenten der AfDR im August 1942 keinen realen Macht-, sondern höchstens einen Prestigeverlust. Auch das Redeverbot im Reich war kein relevanter Machtverlust. Die Macht, die Hans Frank auch nach dem August 1942 für die fortdauernde Vernichtung von Menschen brauchte, erforderte keine Redeerlaubnis an irgendwelchen Reichsuniversitäten. Vielmehr gilt umgekehrt: Die Veränderungen im August 1942 bewirkten eine Chancenerhöhung auf Machterhalt für die Zeit nach Erreichen der Endziele des Vernichtens des akademischen Nationalsozialismus: Was hätten »die Deutschen« nach »dem Endsieg« schon über die Massenmorde im Osten, aber auch im Westen erfahren? War nicht Hans Frank der Jurist, der zu Gunsten liberaler Abwehrrechte für Deutsche gegen das Willkürrichterrecht am Volksgerichtshof eingetreten ist? Und ist er nicht deswegen von Hitler angegriffen worden?
Ein letztes Mal bezieht sich Dieter Schenk auf die AfDR im Zuge der Wiedergabe der Anklageschrift gegen Hans Frank im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher:
Am 18. Oktober 1945, also nur rund fünf Monate nach Kriegsende, wurde den Angeklagten die Anklageschrift überreicht. Es gab vier Hauptpunkte: │ S. 381
- Gemeinsamer Plan oder Verschwörung,
- Verbrechen gegen den Frieden,
- Kriegsverbrechen,
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Die Anklageschrift war allgemein gehalten und lautete gegen Frank wie folgt:
»Der Angeklagte Frank war in der Zeit von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, General der SS, Reichminister ohne Geschäftsbereich, Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz, Präsident der Internationalen Rechtskammer und der Akademie für Deutsches Recht, Chef der Zivilverwaltung von Lodz, Oberster Verwaltungschef der Militärbezirke von Westpreußen, Posen, Lodz und Krakau und Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete. Der Angeklagte Frank benutzte die vorerwähnten Stellungen, seinen persönlichen Einfluss und seine enge Beziehung zum Führer dazu: Die Machtergreifung der Nazi-Verschwörer und die Befestigung ihrer Kontrolle über Deutschland zu fördern, angeführt in Anklagepunkt Eins; er genehmigte und leitete die in Anklagepunkt Drei genannten Kriegsverbrechen und die in Anklagepunkt Vier erwähnten Verbrechen gegen die Humanität bei der Verwaltung besetzter Gebiete und nahm an ihnen teil.«
Falsch war die Feststellung, Frank wäre General der SS gewesen, vielmehr war er SA-Obergruppenführer, ein Rang, der dem eines Generals entspricht.
(Schenk 2006), S. 380 f.
Der Gerichtshof erkannte Hans Frank bezüglich des Anklagepunkts Eins für „nicht schuldig“:
Am 1. Oktober 1946 wurde in der Vormittagssitzung der Urteilstenor, aber nicht das Strafmaß, verlesen. Die Gründe, Hans Frank schuldig zu sprechen, trug US-Richter Francis Biddle vor, der Kernsatz lautete:
»Aber es ist ebenso wahr, dass Frank ein williger und wissender Mitwirkender sowohl bei der Anwendung von Terror in Polen war, wie bei der wirtschaftlichen Ausbeutung Polens auf eine Art und Weise, die zum Hungertod einer großen Anzahl Menschen führte; ferner bei der Deportation von mehr als einer Million Polen als Sklavenarbeiter nach Deutschland und in Ausführung │ S. 398 eines Programms, das den Mord von mindestens drei Millionen Juden zur Folge hatte. Schlussfolgerung: Der Gerichtshof erkennt, dass Frank nach Punkt 1 der Anklageschrift nicht schuldig, dagegen nach Punkt 3 und 4 schuldig ist.«
Mit Sicherheit hätte man Franks Tatbeteiligung in diesen essenziellen Punkten auch ohne seinen im Diensttagebuch dokumentierten verbalen Radikalismus nachweisen können. Insoweit war das Tagebuch zwar prozessökonomisch von Bedeutung, hätte aber nicht ausschlaggebend für die Bestrafung sein müssen.
(Schenk 2006), S. 397 f.
1.1.3. Niklas Frank: „Der Vater. Eine Abrechnung“ (1987)
In dieser emotionalen Abrechnung des Sohnes von Hans Frank, Niklas Frank, der erst 1939 geboren worden ist, wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht erwähnt. Die Akademie für Deutsches Recht wird mehrfach erwähnt. Ich zitiere diejenigen Erwähnungen, die Informationen aus der Familienperspektive zugänglich machen:
Deine geliebten Richter und Staatsanwälte zum Beispiel, die haben sich nach dem Krieg umgehend ihren Persilschein ausgestellt, haben in Deinem Geiste nur mit dem Vor-Satz »demokratisch« weitergerichtet. So gesehen kannst Du zufrieden sein: Dein Rechtswahrerbund, Dein Bund nationalsozialistischer Juristen, Deine Akademie für Deutsches Recht haben Dich überlebt, die Blutordensträger des deutschen Rechts trugen Deine Gedanken hinein in den Nachfolgerstaat, bei manchem Urteil blitzen sie auf, dann weiß ich, daß Du wieder unter ihnen weilst, Du Supertyp aus der Nullserie des pompgeilen Mitläufers. Ich treffe Dich immer häufiger.
Mutter saß nach dem Krieg gerne mit dem Mitgliederverzeichnis Deiner Akademie für Deutsches Recht [siehe Quellenverzeichnis / Quelle 1; mw] auf dem Schoß und machte sich ein hämisches Vergnügen, Namen, auf die sie durch mächtige Todesanzeigen in Tageszeitungen oder durch Meldungen von Berufungen in hohe und höchste Richter- und Staatsämter stieß, anzukreuzen. In Mutters Verzeichnissen las sich so ein vaterländischer Lebenslauf ganz anders als jetzt in Zeiten der Bundesrepublik, auch kannte sie manchen persönlich: »Der konnte gar nicht tief genug seine Verbeugung machen!«
(N. Frank 1987), S. 17
Dass Niklas Frank trotz dieser von ihm erkannten Wirkmacht der Mitglieder der Akademie für Deutsches Recht in der BRD, die AfDR an einer anderen Textstelle als „völlig unbedeutende Spielerei“ abtut, kann ich nicht nachvollziehen.
Du, stolz wie ein Gockel, paradierst nochmal auf und ab vor Dir in jener Nacht dieses Tagebuch-Tages: »Seit 1919 bin ich in der Bewegung und schälte mich immer mehr. Vom Studenten zum SA-Mann, dann Referendar, Rechtsanwalt, Assistent am juristischen Seminar der Technischen Hochschule München, 1930: Reichsleiter, 1933 März Bayerischer Justizminister. Juni 1933 Präsident der Akademie für Deutsches Recht, die ich da gegründet hatte. 1933 Reichsjustizkommissar. 1927 Reichsführer der Juristen. 1934 Dezember Reichsminister … So lebe und wirke ich …«
Merkst Du wenigstens jetzt, wie aufgeblasen das klingt? Warum schreibst Du nicht, es ist Dein privates Tagebuch, daß Du Bayerischer Justizminister nur bis zum Ende der Gleichschaltung der Justiz im Reich bliebst, also bis 31. Dezember 1934, und daß man Dir, zum Dank für Deine Anwaltstätigkeit in Eurer »Kampfzeit« als Pfründe den Reichsministerjob gab, vergiß nicht: ohne Portefeuille. Auch Reichsjustizkommissar warst Du ja nur so lange, bis │ S. 39 die Länderjustiz aufgehört hatte zu existieren, und eine völlig unbedeutende Spielerei war diese unsinnige Akademie für Deutsches Recht. So lebtest Du zwar, aber zu wirken hattest Du nichts.
(N. Frank 1987), S. 38 f.
Auch übersieht Niklas Frank, dass die AfDR das fehlende „Portefeuille“ des Reichsministers Hans Franks mehr als kompensiert hat. Genauso falsch liegt Niklas Frank mit seinem Spott, dass Hans Frank nur bis zur erfolgreichen Gleichschaltung der Länder Bayerischer Justizminister gewesen sei. Diese Gleichschaltung war die Aufgabe Hans Franks. Er hat sie erfolgreich erledigt. Danach stieg er auf. Zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Als Reichsminister war er an der Rechtssetzung des Dritten Reiches unmittelbar beteiligt. Das Hauptmedium der Verwirklichung des nationalsozialistischen Programms war und blieb das Rechtsmedium. Als Präsident der AfDR hatte er Zugang zu zahlreichen Experten fürs Rechtsmedium.
Niklas Frank stellt die Vorgänge vom Sommer 1942 folgendermaßen dar:
Die in Berlin haben Deine Rechts-Reden wohl zu ernst genommen, hatten Dich falsch verstanden, hätten sie Deine Lemberger │ S. 175 Rede gehört, wäre es natürlich nicht zu dem gekommen, was Du jetzt plötzlich lesen mußtest. Schreibt der Hitler doch glatt, die falsche Sau: »Reichsminister Dr. Frank hat, um sich intensivst seinen Aufgaben als Generalgouverneur widmen zu können, mich gebeten, seine Parteiämter niederlegen zu dürfen. Ich habe diesem Wunsche entsprochen. Zum Leiter des NS-Rechtswahrerbundes ernenne ich Dr. Georg Thierack.«
Fuchsteufelswild muß Dich das gemacht haben. Und die Akademie für Deutsches Recht hat er auch dem Thierack gegeben. Wie solltest Du denn jetzt von Dir in Deinen Reden sprechen, das war doch vordem so schön zu sagen: »Ich, als Reichsminister, Generalgouverneur, Führer der Nationalsozialistischen Rechtswahrer, Präsident der Akademie für Deutsches Recht…« Jetzt hat Dir der Hitler glatt die Redezeit verkürzt.
Ängstlich mußt Du gewartet haben, aber von der Wegnahme des GG [Generalgouvernements; mw], des Salonwagens, kam vorerst nichts mehr über den Ticker, auch waren Hitler momentan Deine Weibergeschichten offensichtlich gänzlich schnuppe. Dennoch hat es Dich gewurmt, also schriebst Du Bormann, daß Du nie um die Rücknahme der Parteiämter gebeten hättest, und dann schriebst Du noch etwas: Dein Rücktrittsgesuch. Wenn nur noch die halbe Menge Titel, dann lieber gar keinen mehr. Das muß auch dem Hitler Kummer gemacht haben, denn er hat Dir gleich ein Redeverbot fürs Reich aufgebrummt, nur noch als GG im GG durftest Du quakeln. Jedenfalls machtest Du den theatralischen Maxe, setztest Dich in Kressendorf hin und formuliertest auf Deine schwammige Weise ein Schreiben für die Nachwelt, handschriftlich signiert: Dein politisches Testament, das mit dem schon mal gleich alles entwertenden Satz anfängt: »Ich habe im Zusammenhang mit der Entwicklung der letzten Wochen dem Führer durch ein Schreiben an Reichsminister Lammers meinen Rücktritt als Generalgouverneur erklärt, da sein Vertrauen und seine Zustimmung zu meinem Werke mir entzogen sind.« Nach diesem Vorspann sonderst Du in teilweise weitschweifiger Unverständlichkeit überraschende Wahrheiten ab (für damalige Verhältnisse): »Die Ausweitung des willkürlichster (Vater, laß die Superlative) Anwendung ausgelieferten Vollmachtsbereiches der polizeilichen Exekutivorgane hat zur Zeit ein solches Maß erreicht, daß man von einer völligen Rechtlosmachung des einzelnen Volksgenossen sprechen kann. Wenn es so wie heute möglich │ S. 176 ist, daß jeder Volksgenosse ohne jede Verteidigungsmöglichkeit auf jede Zeitdauer in ein Konzentrationslager gebracht werden kann, wenn es so ist, daß jede Sicherstellung von Leben, Freiheit, Ehre, anständig erworbenem Vermögen usw. entfällt, dann entfällt damit nach meiner festen Überzeugung auch die ethische Beziehung zwischen Staatsführung und Volksgenossen völlig.«
Es folgen ein paar Binsenweisheiten über den Rechtsstaat, Du hast Dich groß rausgestrichen mit Deiner Arbeit als GG, und, wieder in Verbindung mit Deinen unseligen Superlativen: »Das Generalgouvernement ist heute das klarstgeführte und sicherst verwaltete Gebiet, aus dem Deutschen Reich in seinen schweren Kriegsaufgaben eine unabsehbare Hilfe erwuchs und erwächst.«
(N. Frank 1987), S. 174-176
Der Kontrast zwischen den Reden Hans Franks zu Gunsten von liberalen Rechtsstaatsprinzipien und seiner Lemberger Rede ist für einen Rassisten problemlos vereinbar. Hans Frank war ein Rassist. Ein Rassist kann für die Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze im Fall der von ihm bevorzugten »Rasse« sein und zugleich für die rechtsstaatsfreie Vernichtung einer »Gegenrasse«. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie sollte jedenfalls eine nationalsozialistische Rechtsphilosophie um den primären »Substanzwert« der »deutsche Rasse« entwickeln (siehe meinen Abschnitt 4).
Soweit Niklas Franks Informationen zur AfDR. Von den Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Jahre 1941 bis 1943 erwähnt Niklas Frank nur Carl Schmitt. Er erwähnt ihn mehrfach, da Niklas Frank glaubte, dass neben Hans Frank auch Karl Lasch, der u.a. Direktor der AfDR war, oder Carl Schmitt sein Vater hätte gewesen sein können.
Zunächst Niklas Franks Erwägung zu Karl Lasch:
Vielleicht war ich wirklich »Fremdi«. Zehn Jahre alt hatte ich Verstand genug, um das Geraune Verwandter zu hören. Ich konnte wählen zwischen drei Vätern. Der eine warst Du, der zweite Karl Lasch, Dein Freund, Du nanntest ihn, den doppelten Dr., gern »mein blonder Strolch«, was nicht verwundert, wenn man gemeinsam den einen Doktortitel durch Fälschung erreichte. Du, der Präsident der Akademie für Deutsches Recht, er, Dein Direktor dortselbst, später holtest Du ihn nach Krakau, machtest ihn zum Gouverneur. Er, der schöne Lasch, der Traum von hohen Frauen, liebte auch sie, Deine Frau, meine Mutter.
Bin ich ein heimlich Kind der Laschenliebe?
[…] │ S. 14 […]
Lasch, das war Dein erster Mord, ich meine: unter Freunden. Schweigstille saßest Du auf Deiner Burg, als man Dir Deinen Gouverneur wegfing. Die, die ihn kannten, aber das kennt man ja von den Franks auch, wollten nicht gern mit befleckter Ehre leben, also ist bei denen die Mär zu Haus, daß mein Zweitvater sterben mußte, weil er in Polen so vielen Juden zum Leben verholfen habe, daß bei den Auschwitzer Gasöfenbetreibern offenbar Kurzarbeit angesagt war. Auf Himmlers Befehle sei er deshalb so überraschend ins Jenseits gekommen wie Du zu manch kostbarer Truhe. Himmler habe ihm eine Pistole in die Zelle legen lassen, und natürlich habe er, der Ehrenmann, sich selbst erschossen, vorn in die Stirn, die Stelle der Tapferen, wie sie von schwülstigen Schreibern genannt wird. War aber nicht so: Zweitvater hatte wohl keine Lust, sich selbst zu entleiben, also besorgten das zwei SS-ler, vermutlich in einem Gefängnis bei Breslau.
(N. Frank 1987), S. 13 f.
Nun die Bezugnahmen von Niklas Frank auf Carl Schmitt:
Ich hab ihn ebensowenig zu Machtzeiten kennengelernt wie Drittvater Carl Schmitt. Wußtest Du eigentlich von Mutters Verhältnis mit ihm? Ihr Chauffeur war stinksauer, weil er damals in Berlin stundenlang vor einem verschwiegenen Lokal warten mußte, woselbst im schönen Separee Mutter zugange war, mit ihm, dem großen Staatsrechtler, wie man sowas nennt hierzulande, obwohl er doch Hitlers Morde an Röhm und der SA 1934 rechtsphilosophisch absicherte.
Beim Lesen dieser Stelle hatte ich den Eindruck, dass Niklas Frank Kenntnis vom Ausschuss für Rechtsphilosophie und sogar von Carl Schmitts Mitgliedschaft in ihm hatte.
Er [Carl Schmitt; mw] lebte noch, als ich ihn tot wähnte, ich las es 1985 in der Zeitung, daß er erst jetzt gestorben sei, biblisch alt. Ich wollte die letzte Ehre geben meinem dritten Vater, fuhr hin nach Plettenberg, nachmittags sollte er unter die Erde, er wenigstens hatte nach dem Krieg nicht mehr lehren dürfen, doch war sichergestellt, daß seine Schüler in seinem Geiste den Geist ihrer Studenten dunkelten, ich ging morgens zum Friedhof, war allein, […].
(N. Frank 1987), S. 15
Also, jetzt fühle ich mich an meiner Kindesehre angegriffen. Hast Du mich nun gezeugt? Oder der Lasch, der Gauner? Oder der Schmitt, dieser gottgefällige Staatsrechtler? All Ihr Männer des Rechts habt mich wohl in einer gewaltigen Quadriole gezeugt. Was für ein Bild: Ihr drei mit Mutter im Ruheraum der Akademie für Deutsches Recht.
(N. Frank 1987), S. 188
Da Niklas Frank am 9. März 1939 geboren worden ist, hätte sich Carl Schmitt noch im Juni 1938 im engsten Umkreis der Familie Hans Franks befinden müssen, um Vater von Niklas Frank werden zu können. Da Carl Schmitt angeblich im Dezember 1936 durch die SS entmachtet worden ist, ist die Erwägung von Niklas Frank, ob Carl Schmitt sein Vater gewesen ist, nicht uninteressant. Da aber in der Forschung zu Carl Schmitt nicht bezweifelt wird, dass Carl Schmitt trotz seiner angeblichen Entmachtung durch die SS im Dezember 1936 weiter Kontakt zu Hans Frank und zur AfDR hatte, ist die Erwägung von Niklas Frank kein ausreichender Grund für eine Skepsis gegen die Meinung des Forschungsstandes, Carl Schmitt sei Ende 1936 entmachtet worden.
1.2. Wissensstand über Alfred Rosenberg und den Ausschuss für Rechtsphilosophie?
Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher gab es fünf Angeklagte in der Untergruppe „Verbrechen in den (ehemals) besetzten Gebieten (und insbesondere in Konzentrationslagern)“. Zwei der fünf so Angeklagten waren von 1934 bis mindestens 1943 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR: Hans Frank und Alfred Rosenberg. Während diese beiden Männer die Verbrechen begangen, für die sie zum Tod verurteilt wurden, waren neun Professoren und ein Oberarzt zusammen mit ihnen Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR.
Wer wurde zusammen mit Hans Frank und Alfred Rosenberg angeklagt? Hatten auch diese drei Personen mit der AfDR zu tun?
Wilhelm Frick war als »Reichsprotektor für Böhmen und Mähren“ (1943-1945) ebenfalls Mitglied dieser Gruppe von Angeklagten. Frick war Reichsinnenminister vom 30. Januar 1933 bis zum 20. August 1943. In dieser Eigenschaft führte er ab Juli 1934 zusammen mit dem Reichsminister der Justiz die Aufsicht über die AfDR (siehe meinen Unterabschnitt 1.4.2.). Ferner gehörte Frick zu den ersten Mitgliedern der AfDR (Nr. 7) (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 1).
Auch Konstantin von Neurath, der wegen seiner Eigenschaft als »Reichsprotektor für Böhmen und Mähren“ (bis 1943) ebenfalls zu dieser Gruppe von Angeklagten gehörte, gehörte zu den Gründungsmitgliedern der AfDR, wenn auch nicht zu den ersten 95 (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 1).
Nur der fünfte der fünf Angeklagten dieser Gruppe, der Österreicher Arthur von Seyß-Inquart, der vor allem in seiner Eigenschaft als »Reichkommissar in den Niederlanden« als Hauptkriegsverbrecher angeklagt wurde, gehörte nicht zu den Gründungsmitgliedern der AfDR. Laut Anderson (1982/87) war er seit 1938 Mitglied der AfDR (S. 566). Spätestens nach dem Wechsel in der Präsidentschaft der AfDR zu Otto Thierack im August 1942 war er Mitglied des Ehrensenats der AfDR. Das belegen zwei Blätter derselben Geschäftsführungsakte mit der Signatur R 61/29, in der ich auch die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie gefunden habe. Diese Mitgliederliste des Ehrensenats der AfDR sieht unter Wahrung der semiotischen Informationen so aus:
Abbildung 2: Ehrensenat der AfDR (1941-1943), BArch R61/29, Blatt 2 und 3 – von Miriam Wildenauer erstellte Projektion der semiotischen Informationen
Dass Heinrich Himmlers Name und Charakterisierung durchgestrichen sind, verdankt sich seinem Aufstieg ins Präsidium der AfDR, der auf Blatt 1 der Akte R 61/29 handschriftlich ergänzt worden ist. Dieses erste Blatt der Akte R 61/29 stelle ich ausführlich in Unterabschnitt 9.3.2 vor. Ansonsten möchte ich nur darauf aufmerksam machen, dass von den 5 Angeklagten der Gruppe „Verbrechen in den (ehemals) besetzten Gebieten (und insbesondere in Konzentrationslagern)“ nicht nur Artur Seyss-Inquart, sondern auch Alfred Rosenberg nach dem Wechsel zu Thierack Mitglied des Ehrensenats der AfDR gewesen sind.
1.2.1. Matthäus und Bajohr (Hg.): „Alfred Rosenberg. Die Tagebücher von 1934 bis 1944“ (2015)
2015 wurden die lange verschollenen Tagebücher Alfred Rosenbergs der Jahre von 1934 bis 1944 veröffentlicht. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird in ihnen nicht ein einziges Mal erwähnt. Nicht einmal die AfDR wird erwähnt. Die Herausgeber, Jürgen Matthäus und Frank Bajohr, beziehen sich gelegentlich in ihren Fußnoten auf die AfDR. Das geschieht immer dann, wenn sie in einer Fußnote biographische Informationen über Personen nachliefern, die Alfred Rosenberg in seinem Tagebuch erwähnt. Rosenberg bezieht sich zwar auf Hans Frank, aber nicht auf ihn als Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie oder als Präsidenten der AfDR. Seine Bezugnahmen sind so beiläufig[45], dass ich sie nicht zitiere. Kein einziges Mal erwähnt Alfred Rosenberg irgendein anderes Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
Im Personenverzeichnis gibt es zwei Einträge, die vermeintlich auf Bezugnahmen Rosenbergs auf Edgar Jung (1894-1934) verweisen. Einer der beiden Verweise ist falsch: Aus S. 345 bezieht sich Rosenberg nicht auf Edgar Jung. Die Bezugnahme ist aber auch keine auf Erich Jung (1866-1950). Ich zitiere die Bezugnahme auf einen Jung trotzdem mit ein wenig Kontext. Das verschafft einem einen Eindruck von den Tagebüchern Alfred Rosenbergs. Der Eintrag ist auf den 12. September 1940 datiert. Nachdem Rosenberg sich mit Planungen zur Besetzung Portugals und der Azoren befasst hat, empfängt er einen „Dr. Jung“ aus Bonn mit einem Koffer voller Forschungsmaterial über die Entwicklung des germanischen Hallenbaus. Ich habe bisher nicht geprüft, ob es sich um einen Verwandten von Prof. Erich Jung (1866-1950) handelt. Der „Dr. Jung“, den Rosenberg 1940 empfing, hatte jedenfalls zwei Kinder, war in Bonn tätig, vielleicht bei Hans Naumann, einem der 18 Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie (siehe meinen Abschnitt 3) und hatte eine Auseinandersetzung mit Hans Reinerth (1900-1990), der ab 1940 Leiter eines „Sonderstabs Vorgeschichte“ beim Einsatzstab des Reichsleiters Alfred Rosenberg gewesen ist.[46]
Am Nachmittag kommt Dr. Ziegler[47]: frisch aus Biarritz. Alles bereit: möglicherweise Einmarsch nach Portugal, Azoren. Vorbeugung gegen mögliche amerikanisch-britische Dummheiten. Ist gesund u. lebendig. Teile ihm näheres über Institutsarbeit mit, Rücksprache m. Himmler usw.
Dr. Jung hat einen Koffer m Forschungen über Entwicklung d. germ. Hallenbaues. Eine sehr eingehende Arbeit. Wusste gar nicht, dass J.[ung] schon so lange in m Sinn i Bonn [ohne Abkürzungen: so lange in meinem Sinn in Bonn; mw] tätig ist. Ich beruhige ihn: Haake komme bald zu mir, um die Auseinandersetzungen m. Reinerth zu liquidieren. – Stelle J. u. s. 2 Kindern ein besseren [sic] Gehalt in Aussicht. Es ist gut, sich die Mühe zu geben, alle Mitarbeiter persönlich zu sprechen.
(Rosenberg, Die Tagebücher von 1934 bis 1944, 2015), S. 345
Die letzte Bemerkung Rosenbergs ist vermutlich so zu verstehen, dass auch „Dr. Jung“ Mitarbeiter des „Sonderstabs Vorgeschichte“ gewesen ist.
1.2.2. Ernst Piper: „Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe“ (2015)
Ernst Piper erwähnt in seiner Monographie über Alfred Rosenberg weder den Ausschuss für Rechtsphilosophie noch die AfDR. Von den Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Jahre 1941 bis 1943 erwähnt Piper drei Mitglieder: Erich Rothacker, Martin Heidegger und Hans Frank.
Ernst Piper zitiert indirekt aus einem Text Erich Rothackers mit dem Titel „Geschichtsphilosophie“ im Kontext seiner Darstellung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (14. Juli 1933) und der Nürnberger Rassengesetze (15. September 1935):
Um das deutsche Volk rassisch wieder zur alten Höhe zurückzuführen, halfen, so der völkische Reformator Ernst Bergmann, »Abriegelung, Ausmerze und Auslese«, nicht gerade von der Idee der Nächstenliebe geprägte Begriffe. Tatsächlich war bei dem sozialdarwinistischen Rassismus nationalsozialistischer Prägung sowohl in der theoretischen Zielsetzung wie in der mörderischen Praxis der Übergang von der Exklusion zur Extermination fließend. Bald nach der »Machtergreifung« verabschiedeten die Nazis ein Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. »Erbkranke« konnten durch einen chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht werden. Zu den so genannten Erbkrankheiten zählten angeborener Schwachsinn, Schizophrenie und manisch-depressives Irresein, aber auch Taubheit, Blindheit, schwere körperliche Missbildungen und starker Alkoholismus oder Arbeitsscheu konnten dazugehören. Dieses Gesetz war ein erster praktischer Niederschlag zeitgenössischer Züchtungsutopien, wie sie die Bewegung der Rassenhygiene und Eugenik nicht nur in Deutschland hervorbrachte. Etwa 250.000 bis 300.000 Menschen wurden Opfer dieses Purifizierungswahns. Das Gesetz über den erbkranken Nachwuchs und die Nürnberger Gesetze, die die Eheschließung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen untersagten, waren zwei Maßnahmen, die einander ergänzen sollten. Sie entsprangen der Überzeugung, dass die Rassenfrage die »Kernfrage unseres Daseins« war. In einer Beilage zum Völkischen Beobachter vom 1. Mai 1930 wurden die beiden gesetzgeberischen │ S. 192 Maßnahmen, die zur »Aufartung« führen sollten, bereits angekündigt. Da war es zum einen notwendig, »den als ausgesprochene Schädlinge erkannten sozialen Elementen die Fähigkeit zur Fortpflanzung … zu nehmen«, zum anderen wurde eine gründliche Auslese vor der Eheschließung gefordert:
»Nur eine kerngesunde Frau von guten Rasseanlagen möge dem wertvollen deutschen Manne Mutter seiner Kinder sein.«
Besonderes Augenmerk war auf die junge Generation zu richten. Der Philosoph Erich Rothacker formulierte 1934:
»Ein rassisch befriedigender Bevölkerungsdurchschnitt ist in dem Rassengemisch einzelner deutscher Stämme erreichbar nur durch die energischste Unterstützung aller eugenischen Maßnahmen durch Formung und Zucht des im äußern und innern noch knetbaren jugendlichen Menschenmaterials im Geiste der rassisch besten Bestandteile einer Erbmasse.«214
214 Rothacker, Erich, Geschichtsphilosophie, München 1934, zit. Wulf, 1983 a, S. 294.[48]
Schon 1927 taten sich der Eugeniker Eugen Fischer und der Rasseforscher Günther zusammen und veranstalteten einen Wettbewerb, bei dem die 50 schönsten Köpfe preisgekrönt wurden. Sozialdarwinismus, Eugenik, Bevölkerungswissenschaft, Pangermanismus, Ariomanie, völkische Ideologie und ein rassistisch aufgeladenes teutonisches Sendungsbewusstsein verbanden sich im Nationalsozialismus zu einer Weltanschauung, die stetig an Dynamik und Radikalität gewann. Erbpflege, Rassenpflege, ein rassistisch legitimierter Imperialismus und schließlich der finale Kampf gegen das Judentum, die »Gegenrasse« schlechthin, markieren die wesentlichen Stationen dieser ideologischen Radikalisierung. »Juda ist die Weltpest«, hatte Hitler einst ausgerufen, »schärfste (n) Kampfmittel« waren gerechtfertigt, um die Reinigung des deutschen Volkskörpers zu ermöglichen.
(Piper 2015), S. 191-192
Der Text „Geschichtsphilosophie“ von Rothacker aus dem Jahr 1934, aus dem Ernst Piper indirekt zitiert, ist ein 150 Seiten langer Beitrag in einem „Handbuch der Philosophie“. Ich zitiere die Stelle, die Piper zitiert, nach dem Original unter Hinzunahme von etwas Kontext, da ich auf diese Weise durch vergleichsweise wenig Text wichtige Lehrmeinungen, die im Ausschusses für Rechtsphilosophie vertreten worden sind, durch eine Primärquelle öffentlich machen kann:
Neben Staatsgedanke, Deutschtumsgedanke, Volksgedanke steht als wesentlicher Bestandteil aller zugleich der Rassegedanke. Freilich ist gerade er, rein für sich betrachtet, nicht ohne innere Spannungen │ S. 147 zu den übrigen Leitideen. […]
Zunächst fällt die Spannung der Rasseidee zur Idee des Staates ins Auge, dessen Rahmen durch eine Normierung des Handelns an einem Gemeinschaftsbewußtsein, das noch über die Volks-, Sprach-, Sitte‑ und Geschichtsgemeinschaft hinausreicht, vollends gesprengt zu werden droht. Das eigentliche Gewicht der übrigen politischen Konsequenzen des Rassegedankens liegt aber vor allem in seinem unzerstörbar aristokratischen Charakter.
(Rothacker 1934), S. 146 f.
Diese Sorte von Rassismus nenne ich »Adelsrassismus«. Ich zitiere ohne Auslassung weiter:
Daß dieser Zug zunächst mit dem Führergedanken in besonders glücklichem Einklang steht, bedarf kaum näherer Begründung. Und ebenso zu dem von A. Rosenberg besonders verdienstlich betonten und mit dem Rassebewußtsein verknüpften Prinzip der Ehre. In tiefgreifenden Spannungen aber befinden sich beide im Rassegedanken vereinten Ideen reinrassiger Abstammung (Gobineau) wie „guter Rasse“ im Sinne der hochqualifizierten Zuchtrasse (H. St. Chamberlain) mit allen Verkleidungsformen der Demokratie und Massenherrschaft[49] , als unvermeidlicher Begünstigungen eines rassischen Erbgutes, dessen Durchschnittsniveau mit der Zunahme der Zahl stetig sinken muß. Nach den streng biologischen Kriterien der Rassenlehre selbst ist eben im Mittel das nordisch-fälische Blut einerseits, das ostische andererseits sozial ebenso ungleich verteilt wie die Ergebnisse sozial wertvoller Züchtungen erblicher Begabungen.
Die Etiketten „nordisch-fälisch“ und „ostisch“ stammen von Rasse-Günther[50], der laut einer Quelle Gast bei der Konstituierung des Ausschuss für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 in Weimar gewesen ist (siehe Abschnitt 4.8.). Ich zitiere ohne Auslassung weiter.[51]
In diesem Sinne beseitigt die von Adolf Hitler in Nürnberg stark unterstrichene Verlegung des Edelrassigen aus dem ausschließlich somatischen in die dem nordischen Erbanteil entsprechende „heroische Gesinnung“ und Weltanschauung1) ebenso eine gewisse politische Verlegenheit, wie das baltische Pathos des „Charakters“ und der „Persönlichkeit“ in A. Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“.
Auch diese Charakterisierungen fallen gemäß meiner Bedeutungsfestelung unter den Begriffsnamen »Adelsrassismus«:
Hier wären zugleich Beispiele dafür zu finden, wie divergierende Ideen als solche in praktisch ergriffenen neuen Idealbildern einen fruchtbaren Ausgleich zu finden vermögen. Wobei allerdings vor allem der ganze Inbegriff aller Maßnahmen und Ideen zur „Nationalpolitischen Erziehung“ mit Bewußtsein in das denkbar engste Ergänzungsverhältnis zur Rasseidee gebracht werden müssen. Ein rassisch befriedigender Bevölkerungsdurchschnitt ist in dem Rassegemisch einzelner deutscher Stämme erreichbar nur durch die energischste Unterstützung aller eugenischen │ S. 148 Maßnahmen durch Formung und Zucht des im äußeren und inneren noch knetbaren jugendlichen Menschenmaterials im Geiste der rassisch besten Bestandteile seiner Erbmassen.
(Rothacker 1934), S. 147 f.
Den fettgedruckten Text hatte Ernst Piper (2015) wiedergegeben. Der Originaltext geht so weiter:
Man kann den ererbten Prozentsatz nordischen und fälischen Blutes durch bewußte erzieherische Zucht im nordisch-fälischen Geiste in seiner phänotypischen Auswirkung ganz offensichtlich fördern. Zumal in der Haltung des Soldaten, die aller Erfahrung entsprechend, ganz vornehmlich ein rassisch sehr verschieden stark fundiertes Erziehungsprodukt ist, besitzen wir vielleicht das großartigste Beispiel einer Synthese zugleich aristokratischer und zugleich volkstümlicher Haltungen.
Und hier wird ansatzweise deutlich, dass es einen rassistischen Kontrast zwischen »Aristokratie« und »Volk« gibt. Das, was hier nur andeutungsweise erkennbar wird, ist tatsächliche ein Dogma des akademischen Nationalsozialismus.
Soweit solche Ziele auf lange Sicht erstrebt werden, wird neben dem ganzen Komplex des Rassehygienischen und Eugenischen kaum irgendeine Maßnahme eine tiefere Wirkung erzielen können als die Verwirklichung der hohen Ideale Walter Darrés, in dessen Idealbild eines „Neuadels aus Blut und Boden“ wir einer dritten Synthese zugleich volkstümlicher und rassisch-aristokratischer Lebensformen begegnen.
1) Völkischer Beobachter Nr. 245, Samstag 2. September 1933
(Rothacker 1934), S. 148
Professor Erich Rothacker hat sich in seinem Beitrag „Geschichtsphilosophie“ für ein „Handbuch Philosophie“ offensichtlich richtig ins Zeug gelegt. Auf wenigen Seiten lobpreist er Alfred Rosenberg, Adolf Hitler und Walter Darré als Rassisten! Mehr ging 1934 kaum.
Zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 hielten Hans Frank, Alfred Rosenberg und C. A. Emge jeweils eine Rede, über die ausführlich in der zeitgenössischen Presse berichtet worden ist. Viele der Thesen Rothackers werden auch in diesen Reden vertreten (vgl. Abschnitt 4). Rothackers Thesen sind Dogmen des akademischen Nationalsozialismus.
Auf Martin Heidegger kommt Ernst Piper im Zuge seiner Darstellung einer Tagung einer Arbeitsgemeinschaft zu sprechen, die im März 1933 stattgefunden habe. Heidegger war zu diesem Zeitpunkt Rektor der Universität Freiburg.
Am 3. März 1933 wurde die »Kulturpolitische Arbeitsgemeinschaft Deutscher Hochschullehrer« gegründet, deren Spiritus Rector Ernst Krieck war. Ihre erste Fachtagung fand denn auch in Frankfurt statt. Es kamen 122 Hochschullehrer, unter ihnen als Vertrauensmann für die Universität Freiburg Martin Heidegger, der vergeblich dafür plädiert hatte, auch Baeumler einzuladen.201 Dies war der Versuch, eine Seilschaft innerhalb der Geisteswissenschaften zu bilden, die natürlich mit dem hehren Anspruch auftrat, dem Nationalsozialismus an den Hochschulen zu der ihm gebührenden Bedeutung zu verhelfen. Krieck und Heidegger zeichneten sich beide durch ein gespannt-distanziertes Verhältnis zu Rosenberg aus, als dessen ausgesprochener Parteigänger Baeumler galt, doch gab es auch zwischen den beiden erhebliche Differenzen, zumal Krieck Heidegger stets verdächtigte, sich von der Tradition des Idealismus nicht wirklich freigemacht zu haben.202 Die »Kulturpolitische Arbeitsgemeinschaft« war denn auch nur von kurzer Dauer, zumal der neue Staat bald alle Lehrenden im Nationalsozialistischen Lehrerbund zusammenfasste.
Ein Philosoph, der sich im Dritten Reich großer Beliebtheit erfreute, war Friedrich Nietzsche, der Verkünder des Willens zur Macht. […]
Nietzsche wirkte auch jenseits der unmittelbaren Rezeption seines Werkes. So unterschiedliche Autoren wie Oswald Spengler, Martin Heidegger und Karl Jaspers, Thomas Mann und Ernst Jünger waren von ihm beeinflusst.
201: Farias, 1989, S. 214f.
202: Vgl. Rabinbach, 1994, S. 17 f. Sluga irrt, wenn er Krieck, Baeumler und Heidegger in diesem Kontext in einem Atemzug nennt; Sluga, 1993, S. 151.
(Piper 2015), S. 325, Fußnote: S. 603
Richtig ist, dass Nietzsche ein wichtiger Philosoph des akademischen Nationalsozialismus war. Die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 fand im Nietzsche-Archiv in Weimar statt. C. A. Emge, sein stellvertretende Vorsitzender von 1934 bis mindestens in den Januar 1943, war im fraglichen Zeitraum der wissenschaftliche Leiter des Nietzsche-Archivs in Weimar. Heidegger war von 1935 bis Ende 1942 Mitglied des Nietzsche-Archivs.[52]
Neben Rothacker und Heidegger erwähnt Ernst Piper im Haupttext seiner Monographie über Alfred Rosenberg beiläufig auch Hans Frank aus dem Kreis der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Die Stelle findet sich schlecht, da Hans Frank nicht im Personenverzeichnis der Monographie vorkommt. Hans Frank wird aber im Haupttext von Pipers Buch über Rosenberg mehrfach erwähnt.
So weist Piper an der ersten Stelle darauf hin, dass Alfred Rosenberg und Hans Frank sich aus der Thule-Gesellschaft in München seit 1919 kannten:
Unstreitig ist, dass Alfred Rosenberg und Dietrich Eckart Gäste der Thule-Gesellschaft waren. Die alldeutsch und antisemitisch orientierte »Thule-Gesellschaft, Orden für Deutsche Art« war am 17./18. August 1918 unter der Leitung von Rudolf von Sebottendorff gegründet worden. Sebottendorff hieß ursprünglich Rudolf Glauer, war der Sohn eines schlesischen Lokomotivführers, wurde 1911 türkischer Staatsbürger und war in der Türkei von einem österreichischen Baron adoptiert worden. Die Thule-Gesellschaft war ein Ableger des 1912 entstandenen Germanenordens, der »bewußt als Geheimbund dem jüdischen Geheimbunde entgegentreten sollte«. Der Germanenorden verlangte von seinen Mitgliedern einen »Ariernachweis« über drei Generationen hinweg, legte besonderen Wert auf Rassenkunde, berief sich auf die Prinzipien der Alldeutschen und wollte gegen Undeutsches, Internationalismus und Judentum kämpfen. Die Thule-Gesellschaft tagte im vornehmen Hotel Vier Jahreszeiten, dessen Inhaber, die Familie Walterspiel, zu ihren wichtigsten Gönnern gehörten. Zeichen der Gesellschaft war das blanke Schwert, um dessen Knauf sich ein rundes Hakenkreuz, das »siegende Sonnenrad« drehte. Die Mitglieder der Gesellschaft erhielten zwei Periodika, die „Runen. Zeitschrift für germanische Geistesoffenbarungen und Wissenschaften“ und den „Münchener Beobachter und Sportblatt“, den 1920 dann die NSDAP übernahm und in Völkischer Beobachter umbenannte. Die Thule-Gesellschaft hatte in ihrer besten Zeit über 200 Mitglieder. Sie versammelte vor allem das arrivierte Bürgertum, wollte aber auch die Arbeiterschaft erreichen und in ihrem Sinne beeinflussen. Harrer und Drexler riefen deshalb kurz nach der Gründung der DAP in den Räumen der Thule-Gesellschaft den »Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterverein« ins Leben, der aber keine große Wirkung erzielte. Tatsächlich hatte die Thule-Gesellschaft ihren Zenit bald │ S. 43 überschritten. In der gegenrevolutionären Bewegung hatte sie eine gewisse Rolle gespielt. Das Tagebuch von Johannes Hering, einem späteren Vorsitzenden, vermerkt unter dem 24. Oktober 1918: »Gemeinsamer Abend mit den Alldeutschen, Verlagsbuchhändler Lehmann fordert Staatsstreich …« Es wurde ein »Kampfbund Thule« gegründet und mit Waffen aus Heeresbeständen ausgestattet, die man im Verlagsgebäude deponierte. Doch der Staatsstreich blieb aus, und die Münchner hatten von der Thule-Gesellschaft vor allem deshalb gehört, weil acht ihrer Mitglieder von den Räterepublikanern als »Geiseln« erschossen wurden. Nach der Niederschlagung der Räterepublik verlor die Thule-Gesellschaft rasch an Bedeutung.
Man hatte sich die Erforschung alles Germanischen zum Ziel gesetzt, wobei vor allem Sebottendorff gerne ins Okkulte abglitt, und bald reduzierte sich die Gesellschaft auf einen Traditionsverein von schließlich weniger als 20 Mitgliedern, der noch jährlich zu Gedenksitzungen zusammentraf. Zu den frühen Thule-Anhängern zählten einige später prominente Nationalsozialisten, wie zum Beispiel Rudolf Heß und Hans Frank, der hier seinen okkulten Neigungen frönen konnte. Insgesamt aber darf man ihre Bedeutung für die Entwicklung der NSDAP nicht zu hoch ansetzen.
(Piper 2015), S. 42-43
Der zweite Fall einer Erwähnung Hans Franks durch Ernst Piper fasst prägnant viele Tatsache über Hans Frank als Generalgouverneur zusammen. Deswegen zitiere ich auch diese Erwähnung:
In seiner schon einmal zitierten Rede vor dem Deutschen Reichstag vom 6. Oktober 1939 hatte Adolf Hitler eine ethnographische Neuordnung eingefordert. Der ganze Osten und Südosten Europas sei »mit nicht haltbaren Splittern des deutschen Volkstums gefüllt«. Aufgabe einer weitschauenden Ordnung sei es, »hier Umsiedlungen vorzunehmen, um auf diese Weise wenigstens einen Teil der europäischen Konfliktstoffe zu beseitigen«. Die Methoden von Versailles hätten restlos versagt, deshalb müssten nun »Deutschland und Sowjetrußland diese Sanierungsarbeit übernehmen«. Dieses vor dem Hintergrund des Hitler-Stalin-Pakts entwickelte Programm zeitigte sehr rasch konkrete Ergebnisse. Bereits am nächsten Tag wurde Heinrich Himmler zum Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums ernannt. Am 8. Oktober wurden durch Erlass die Gebiete Westpolens als Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Posen (später Wartheland) dem Deutschen Reich angegliedert. Der Regierungsbezirk Kattowitz wurde Schlesien, der Regierungsbezirk Ciechanow Ostpreußen zugeschlagen. Am 12. Oktober wurde durch einen weiteren Erlass Hitlers das Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete unter dem Gouverneur Hans Frank geschaffen. Der Jurist Frank, bis dahin Reichsminister ohne Geschäftsbereich, residierte nun mit großem Pomp in der Krakauer Burg und erwarb sich rasch den Ruf eines gnadenlosen »Polenschlächters«. In seine Verantwortung fielen die Liquidierung der Führungsschicht des Landes, die Ausplünderung der wirtschaftlichen Ressourcen und die Deportation von rund einer Million Zwangsarbeitern in die deutschen Rüstungsfabriken. Zugleich begann mit dem 12. Oktober 1939 die Deportation von Juden aus Österreich, dem »Protektorat Böhmen und Mähren« und den annektierten Teilen Polens in das Generalgouvernement, wobei allein die letzte Gruppe etwa 550.000 Menschen ausmachte.
(Piper 2015), S. 385
Ein drittes Mal erwähnt Ernst Piper Hans Frank im Zusammenhang mit den Kunstdiebstählen. Diese seien zunächst u.a. unter Hans Frank unorganisiert geschehen. Später seien sie unter Alfred Rosenbergs Führung systematisch begangen worden. Ich vermute, dass man noch heute einiges über die akademischen Nationalsozialisten ermitteln könnte, würde man den Verbleib des Diebesgutes systematisch verfolgen.
Am 13. August 1940 schrieb der Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers an die Herren Reichsminister:
»Aus verschiedenen Gründen ist es erforderlich, alle Kunstwerke und geschichtlich bedeutsamen Gegenstände, die im Laufe der Zeiten ohne unseren Willen aus unserem Besitz in den Besitz unserer heutigen Kriegsgegner gelangt sind und sich zur Zeit in den besetzten Gebieten oder anderswo befinden, zu erfassen.«
Mit der zentralen Leitung dieser Erfassung habe, so Lammers weiter, Hitler Joseph Goebbels beauftragt. Alle Dienststellen sollten seinen Weisungen Folge leisten. Hatten in Polen unter der Aufsicht von Göring, Himmler und Generalgouverneur Frank die Plünderer eine erste Generalprobe geliefert, so sollte nun alles mit gewohnter deutscher Gründlichkeit vonstatten gehen. Die eroberten Territorien waren für die europäische Kunstgeschichte von allererster Bedeutung, und die Hinterlassenschaften der Ära Napoleons, der bei seinen Eroberungsfeldzügen immer ein Heer von Kulturexperten im Gefolge gehabt hatte, taten ein Übriges. Erschwerend kam hinzu, dass die in den im Westen │ S. 413 eroberten Gebieten vorhandenen Kunstwerke in besonderem Maße geeignet waren, den nationalsozialistischen Ideen einer grundsätzlichen Überlegenheit der »germanischen Kunst« dienlich zu sein. Deshalb wurde auch, um das schon vorwegzunehmen, nirgendwo so viel Kunst geplündert wie gerade hier.
(Piper 2015), S. 413-414
Ein viertes Mal erwähnt Ernst Piper Hans Frank im Kontext der Kooperation Hans Franks und Alfred Rosenbergs in der ersten Mordwelle nach 1939 in Polen. Dass Hans Frank und Alfred Rosenberg im gleichen Zeitraum Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie zusammen mit Carl Schmitt und Martin Heidegger gewesen sind, wusste Ernst Piper 2015 noch nicht:
Nach der ersten Mordwelle begann man, die vor allem in den Städten noch lebenden Juden in Ghettos zu konzentrieren. Das betraf zum Beispiel Riga, wo die vielen Auslandskorrespondenten, die in die Hauptstadt des »Ostlandes« gekommen waren, um über den Wandel nach dem Ende der sowjetischen Okkupation zu berichten, eine »ernsthafte Behinderung« für wilde Exekutionen darstellten. Im September wurde ein großes Ghetto in Riga eingerichtet. Der Gebietskommissar verwies darauf, dass sich damit auch wieder die Frage der Mischehen stellte, von denen es in Riga verhältnismäßig viele gab. Die Errichtung der Ghettos zog die Zwangsumsiedlung aller Juden dorthin nach sich. Insofern war die Frage entscheidend, wer zu diesem Personenkreis gehörte. Dabei ging es zum einen darum, wie mit Ehepaaren zu verfahren war, bei denen nur ein Teil jüdisch war, zum anderen um die so │ S. 502 genannten Mischlinge, für die die Nürnberger Gesetze genaue, aber komplizierte Regelungen vorsahen. Im Herbst 1941 gab es intensive Diskussionen im Ostministerium [dessen Minister Rosenberg am 17. Juli 1941 geworden war; mw] über die Frage der Mischehen und damit verbunden den Judenbegriff, die am 7. Oktober zu einer Ergänzung der »Vorläufigen Richtlinien« führten.
[…]
Am 13. Oktober traf Rosenberg mit dem Generalgouverneur Hans Frank zusammen, der den schönen Spitznamen »Polenschlächter« hatte. Frank wollte die jüdische Bevölkerung des Generalgouvernements in die besetzten Ostgebiete abschieben. Doch Rosenberg beschied ihn, dass dafür noch keine Möglichkeit bestehe.445
Gleichzeitig erreichte die Diskussion über effektive Vernichtungsmethoden den SS- und Polizeiapparat. Die Einsatzgruppen hatten inzwischen etliche Hunderttausend Menschen erschossen, aber schon im ersten Tätigkeitsbericht war über »seelische Höchstanstrengungen« geklagt worden. […]
445 Hilberg, Bd. 2, 1990, S. 505; Browning, 2003, S. 517
(Piper 2015), S. 501-502
Ein fünftes Mal erwähnt Ernst Piper Hans Frank und Alfred Rosenberg gemeinsam im Zusammenhang der Entscheidung zur »Endlösung der Judenfrage« am 14. Dezember 1941. In dieser Zeit waren Frank und Rosenberg zusammen Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie:
Seit dem Sommer 1941 gab es eine informelle Allianz zwischen der Sowjetunion, Großbritannien, Hitlers Kriegsgegnern, und den Vereinigten Staaten, der Großmacht im Hintergrund. Bereits am 12. Juli hatten London und Moskau einen Beistandspakt unterzeichnet, im September gab es eine Drei-Mächte-Konferenz in Moskau zur Stabilisierung der sowjetischen Front. Noch waren die USA offiziell neutral, doch das änderte sich schlagartig, als am Morgen des 7. Dezember von sechs japanischen Flugzeugträgern aus ein Luftangriff auf den amerikanischen Flottenstützpunkt Pearl Harbor gestartet wurde. Am 8. Dezember erklärten die Vereinigten Staaten Japan den Krieg, woraufhin Deutschland und Italien drei Tage später Amerika den Krieg erklärten. Genau in jenen Tagen wurden erstmals in einem Konzentrationslager, in Chelmno im »Warthegau«, Massentötungen mit Gaswagen durchgeführt. Auch wenn die These von Christian Gerlach, Hitler habe am 12. Dezember auf einer Reichs- und Gauleitertagung die Entscheidung zur »Endlösung« bekannt gegeben, sich nicht durchgesetzt hat, so ist andererseits nicht zu bezweifeln, dass der Dezember ein Kulminationspunkt auf dem Weg zur totalen Vernichtung der europäischen Juden war. Am 14. Dezember war Rosenberg, der auch am Vortag schon da gewesen war, bei Hitler zum Mittagessen, gemeinsam mit Himmler und Bouhler.476 Damit waren die wichtigsten Beteiligten, neben Hitler der Führer der SS und der Polizei, der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete und der für die T4-Aktion Verantwortliche versammelt. Bouhler stellte auf Bitten Himmlers Personal aus der »Euthanasie«-Aktion zur Verfügung. Rosenberg hatte am 14. Dezember auch eine Einzelbesprechung mit Hitler. Anlass war die für den 18. Dezember geplante Rede Rosenbergs im Sportpalast, die er vor dem Kriegseintritt Amerikas konzipiert hatte und die letztlich ungehalten blieb. Uns interessiert hier in Rosenbergs Vermerk über seine Besprechung mit Hitler diese Passage:
»Ich stände auf dem Standpunkt, von der Ausrottung des Judentums nicht zu sprechen. Der Führer bejahte diese Haltung und sagte, sie hätten uns den Krieg aufgebürdet und sie hätten die Zerstörung gebracht, es sei kein Wunder, wenn die Folgen sie zuerst träfen.«479
Rosenberg und Hitler waren sich einig: Die Juden sollten ausgerottet werden, das im Berliner Sportpalast bekannt zu geben, schien derzeit aber nicht zweckmäßig. Auch Hans Frank hatte an den Besprechungen bei Hitler teilgenommen.480 Nach seiner Rückkehr ins Generalgouvernement hielt er vor seinen Bediensteten eine Rede, die ein unmittelbarer Reflex der vorausgegangenen Gespräche war und an Deutlichkeit nichts zu wünschen ließ:
»Mit den Juden – das will ich ganz offen sagen – muß so oder so Schluß gemacht wer │ S. 507 den. … Aber was soll mit den Juden geschehen? Glauben Sie, man wird sie im Ostland in Siedlungsdörfern unterbringen? Man hat uns in Berlin gesagt: Weshalb macht man diese Scherereien? Wir können im >Ostland< oder im >Reichskommissariat< auch nichts mit ihnen anfangen, liquidiert sie selber!«481
Rosenberg hatte im Oktober Frank bereits dargelegt, dass er die große Masse der Juden aus dem Generalgouvernement, Frank schätzte sie auf 3,5 Millionen, in den besetzten Ostgebieten nicht aufnehmen könne, daran hatte sich nichts geändert. Es fehlte an entsprechenden Kapazitäten. Kein Einziges der großen Vernichtungslager stand auf dem dem Ostminister unterstellten Territorium. Lediglich das Lager Maly Trostinez[53], südwestlich von Minsk, das seit November 1941 im Bau war, erreichte gewisse Vernichtungskapazitäten. Ab Sommer 1942 gab es einen Bahnanschluss. Ende Juli wurden hier die Juden aus dem Ghetto von Minsk ermordet, später auch Deportierte aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, Österreich, Deutschland, den Niederlanden und Polen. Die letzten Erschießungen fanden Ende Juni 1944 statt. Als sowjetische Soldaten das Lager am 3. Juli erreichten, brannten noch die Leichenberge.
Heinrich Himmler hatte am 14. Dezember 1941 betont, dass man bei der Umsetzung der Endlösung schon aus Gründen der Tarnung so schnell wie möglich arbeiten müsse. Hatte es im Ostministerium Vorbehalte gegen diesen radikalen Ansatz gegeben, so gab es sie jetzt jedenfalls nicht mehr.
476 Hitler, 1980 b, S. 150 u. S. 152 [Hitler, Adolf, Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, Hg. Werner Jochmann, Hamburg 1980 (= 1980 b)
[…]
479 Rosenberg, Vermerk über eine Unterredung beim Führer am 14.12.1941 vom 16.12.1941; IM G, Bd. XXVII, S. 270 (= Dok. 1517-PS).
480 Gerlach, 1998 b, S. 284. [Gerlach, Christian, Krieg, Ernährung, Völkermord. Forschungen zur deutschen Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1998 (= 1998 b); mw]
481 Zit. Browning, 2003, S. 583 f [Browning, Christopher, Die Entfesselung der »Endlösung«. Nationalsozialistische Judenpolitik 1939-1942, Mit einem Beitrag von Jürgen Matthäus, München 2003; mw]
(Piper 2015), S. 507-508
Ein sechstes und letztes Mal erwähnt Ernst Piper Hans Frank und Alfred Rosenberg im Zusammenhang seiner Darstellung des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg 1945:
Am 12. August 1945 wurden die Angeklagten von Mondorf nach Nürnberg geflogen und im Stadtgefängnis von Nürnberg in Einzelzellen untergebracht. In den folgenden Monaten wurden sie in Vorbereitung des Prozesses immer wieder verhört. Aus den Aufzeichnungen, die Rosenberg für die ihn Vernehmenden angefertigt hat, ist schon mehrfach zitiert worden. Die Angeklagten waren in dieser Zeit streng voneinander getrennt und trugen schwarz gefärbte Armeekleidung. Einige Tage vor Prozessbeginn erhielten sie ihre Zivilkleidung zurück. Nach einer formellen Eröffnungssitzung am 18. Oktober in Berlin, gab es am 19. November eine Sitzprobe im Nürnberger Schwurgerichtssaal; am 20. November begann der Prozess. Alfred Rosenberg wurde mit den anderen Hauptangeklagten in der ersten Reihe platziert; er saß zwischen Ernst Kaltenbrunner und Hans Frank. Das Mittagessen nahmen die Angeklagten in fünf verschiedenen Zimmern des Justizgebäudes ein. Rosenbergs Tischgenossen waren Jodl, Frick und Kaltenbrunner.
(Piper 2015), S. 518
Wie gesagt, Piper (2015) wusste nicht, dass Hans Frank und Alfred Rosenberg nach der Ernennung Rosenbergs zum Reichsminister im Sommer 1941 gemeinsam Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind – zusammen mit Carl Schmitt und Martin Heidegger und anderen Professoren.
1.3. Der Forschungsstand über die AfDR als solcher
Bislang gibt es nur zwei Monographien über die AfDR. Beides sind Dissertationen aus den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts.
1. 1981 wurde Hans-Rainer Pichinots Schrift [54] Die Akademie für deutsches Recht – Aufbau und Entwicklung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft des Dritten Reichs von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts Universität in Kiel als Dissertation angenommen. Der Betreuer war Prof. Dr. Hans Hattenhauer (1931-2015). Sie wurde durch keinen Verlag veröffentlicht.
2. 1982 wurde Dennis LeRoy Anderson mit der Schrift The Academy of German Law (1933-1944) von der University of Michigan promoviert. Mitglieder des Promotionsausschusses waren: Professor Stephen J. Tonsor, Chairman, Associate Professor Geoff Eley, Professor George Kish und Associate Professor James A. Vann. 1987 erschien die Dissertation in der Reihe Modern European History. A Garland Series of Outstanding Dissertations, deren Hauptherausgeber William H. McNeill (1917 – 2016) war.
Da in diesen beiden Dissertationen tatsächlich einiges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie mitgeteilt wird, befasse ich mich mit ihnen ausführlicher erst im nächsten Abschnitt. In ihm stelle ich den Forschungsstand über den Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR vor.
Neben diesen beiden Monographien gibt es nur zwei kurze Artikel, die als ihren Hauptgegenstand die AfDR haben. Da in diesen beiden Artikeln nichts über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet wird, stelle ich diese beiden Artikel bereits hier vor.
1.3.1. Ein paar Basisinformationen über die AfDR aus Andersons Dissertation
Folgende Informationen aus der Dissertation von Dennis LeRoy Anderson über die AfDR vermitteln einen Eindruck von der Größe der AfDR:
1.) In Andersons Appendix A sind 466 reguläre Mitglieder der AfDR für den Zeitraum 1933 bis 1944 aufgelistet. Mitglieder von Ausschüssen der AfDR, die keine regulären Mitglieder der AfDR waren, sind in dieser Liste nicht enthalten. Ich sehe davon ab, hier oder später über weitere prominente Nazis, die Mitglied der AfDR waren, anlasslos zu informieren.
2.) Es gab gemäß Andersons Appendix B von 1933 bis 1945 insgesamt 62 Ausschüsse in der AfDR, die teilweise noch einen oder gar mehrere Unterausschüsse hatten.
3.) Die letzten Gründungen neuer Ausschüsse fanden noch im Jahr 1944 statt.
4.) Die Hauptsitze der AfDR waren München und Berlin. Anfänglich war die AfDR eine Körperschaft öffentlichen Rechts Bayerns. Deswegen hatte sie ihren ersten Dienstort in Bayern, genauer auf der Ludwigstr. 12 in München. Von 1936 bis 1939 wurde auf einem Grundstück der Ludwigstr. ein eigener Prachtbau neu für sie errichtet. Er hieß „Haus des deutschen Rechts“. In Berlin hatte die AfDR eine Zweigstelle im Mosse-Palais auf dem Leipzigerplatz 15.
Die Symbolwirkung der gewählten Städte ist so zu verstehen, dass die AfDR durch die Wahl Münchens primär eine Akademie der „Hauptstadt der Bewegung“, also der NS-Partei war und blieb. Durch die Zweigstelle in Berlin wurde aber die Absicht deutlich gemacht, auf die Rechtssetzungen des Reiches Einfluss zu nehmen. Berlin war die „Hauptstadt des Reiches“.
5.) Die Tagungsorte der Ausschüsse wurden laut Satzung durch ihren jeweiligen Vorsitzenden bestimmt. Der Dauervorsitzende des Ausschuss für Rechtsphilosophie war Hans Frank. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er zumindest gelegentlich ab Herbst 1939 Krakau als Tagungsort des Ausschusses bestimmte. Da Prof. C. A. Emge dauerhaft stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie war und Emge dauerhaft wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs in Weimar war, vermute ich, dass auch das Nietzsche-Archiv Tagungsort des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Da Hans Frank in den Kriegsjahren häufig genug in Berlin und München gewesen sein wird, kommen auch Berlin und München als Tagungsorte in Frage.
1.3.2. Hans Hattenhauer: „Die Akademie für Deutsches Recht (1933-1944)“ (1986)
Der Betreuer der Dissertation Pichinots, Prof. Dr. Hans Hattenhauer (1931-2015), veröffentlichte 1986 – auch unter Nennung der Dissertation (1982) von Anderson – einen kurzen Artikel mit dem Titel Die Akademie für Deutsches Recht (1933-1944). Weshalb es dem Autor angebracht erschien, eine gesamte NS-Institution über ihre gesamte Dauer hinweg in nur wenigen Seiten darzustellen, macht er gleich eingangs deutlich:
[1] […] Die neue Institution sollte ihren Sitz in München haben und der Zusammenfassung und Führung aller rechts- und staatswissenschaftlichen Lehrkräfte dienen. Daß man sich nicht im Zentrum der politischen Macht, in Berlin, traf, hatte symbolische Bedeutung und offenbarte, wie weit entfernt das Unternehmen von den Ideen Hitlers war.
[2] […] Hitlers Haß gegen die Juristen und den Zwang des Rechts hatte ihn auch veranlaßt, Franks Bedeutung nach der Machtübernahme gering zu halten. […] Für Frank blieb neben seinen Parteifunktionen nur das Amt des Bayerischen Justizministers übrig. Es wurde ihm erst im März 1933 übertragen als eine in Hinblick auf die geplante „Gleichschaltung der Justiz“ auslaufende Funktion. Auch das neugeschaffene Amt des Reichskommissars, der die ideologische Unterwerfung der Rechtspflege vorantreiben sollte, konnte keine dauernde politische Zukunft versprechen.
(Hattenhauer 1986), S. 680
Hattenhauer erwähnt nicht einmal, dass Hans Frank im Anschluss an seine erfolgreiche Gleichschaltungstätigkeit als Justizminister von Bayern (März 1933 bis Dezember 1934) von Hitler im Dezember 1934 zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich ernannt wurde und das auch bis zum Ende des Dritten Reichs blieb. Einen Nachfolger Hans Franks als „Staatsminister der Justiz“ in Bayern gab es aufgrund des Arbeitserfolgs von Hans Frank als „Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz in den Ländern und für die Erneuerung der Rechtsordnung“ (11. April 1934 bis 19. Dezember 1934) nicht. Als Reichsminister war Hans Frank Mitglied der Reichsregierung bis zum Ende des NS-Staates. Die Reichsregierung war zumindest bis zu Beginn des Krieges das Hauptorgan der NS-Gesetz- und Verordnungsgebung.[55] Als Reichsminister ohne Geschäftsbereich hatte Frank aber kein Ministerium, das ihm zuarbeitete. Zumindest einen Teil der nötigen Zuarbeit leistete die AfDR.
Hattenhauer unterlässt es zusätzlich zu erwähnen, dass Hans Frank Reichsminister blieb, nachdem im August 1942 die Präsidentschaft der AfDR von ihm zu Otto Thierack wechselte und Otto Thierack Reichsjustizminister geworden war.
Vor allem aber behauptet Hattenhauer Falsches über die Aufgabe der AfDR. Sie diente nicht „der Zusammenfassung und Führung aller rechts- und staatswissenschaftlichen Lehrkräfte“. Es war und blieb ihre satzungsgemäß Aufgabe, in enger Zusammenarbeit mit den Stellen für die Gesetzgebung das nationalsozialistische Programm im Gebiet des Rechts – und der Wirtschaft (1933) – zu verwirklichen (Vgl. dazu den nächsten Unterabschnitt 1.4.).
Hattenhauers Verniedlichung der AfDR war auch bezüglich des Kenntnisstandes der 80-er Jahre des letzten Jahrhunderts unangemessen. In seinen Absätzen 3 und 4 wird der Anlass seiner absichtlichen Verharmlosung erkennbar:
[3] […] Frank erkannte, daß er im Bündnis mit den Professoren weiter kommen werde als durch Befehdung der Fakultäten. Er durfte sich unter den Juristen nicht noch Feinde suchen. Hitlers Juristenhaß hatte deren Stellung ohnehin sehr geschwächt. So erwies es sich auch im eigenen Interesse als vernünftiger, wenn Frank das verlorene Häuflein der Juristen, insbesondere der Professoren, hinter sich zu scharen suchte. Seine Akademie konnte aus dem hohen Sozialprestige der Professoren ebenso Gewinn ziehen wie aus ihrer erklärten Bereitschaft zu einer der Praxis dienenden wissenschaftlichen Arbeit.
[4] So wurde die Akademie wesentlich eine Vereinigung von Professoren. Auf ihrer Mitgliederliste9 prangten neben den Namen von Politikern, Ministerialbeamten und Industriellen vor allem die von Rechtsgelehrten, darunter Leuchten des Faches. Mancher von ihnen war bereits vor der „Machtergreifung“ beruflich zu höchstem Ruhm gekommen, etwa Heinrich Lehmann, Carl Schmitt und Eduard Kohlrausch. Andere fanden sich als begabte Nachwuchswissenschaftler ein, unter ihnen Georg Dahm, Wolfgang Siebert und Karl August Eckhardt, […].
9) Pichinot (o. Fußn. 1), S. 156; angesichts der unvollkommenen Verwaltungsführung der Akademie kann die Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
(Hattenhauer 1986), S. 681
In Professor Hattenhauers Darstellung von 1986 war demnach die AfDR, die sowieso nur der Zusammenfassung und Führung von Lehrkräften diente, ein „verlorenes Häuflein der Juristen, insbesondere der Professoren“, das vor dem Juristenhass Hitlers Schutz suchte. Der gefundene Schutz hinter Hans Frank sei aber prekär gewesen, da Hitler die Bedeutung Hans Franks nach der »Machtergreifung« „gering gehalten“ habe.
1.3.3. Martin Rath: „Akademie für Deutsches Recht: Die juristische Travestie des Dr. Frank“ (2012)
Im Unterschied zu Prof. Hattenhauer lässt Martin Rath 2012 die Tatsache nicht unerwähnt, dass Hitler Hans Frank im Dezember 1934 zum Reichsminister erhob:
Die Akademie für Deutsches Recht, 1933 beim „inoffiziellen“ Deutschen Juristentag in Leipzig mit Pomp verkündet, wurde 1934 durch Reichsgesetz zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts „erhoben“. Frank, der sich zu Höherem berufen fühlte, wurde nach der „Gleichschaltung“ der Länder mit dem Reich als Akademiepräsident mit der Position eines Reichsministers ohne Geschäftsbereich abgespeist.
(Rath 2012)
Ohne Angabe von Gründen suggeriert aber auch Rath, dass die Positionen eines „Reichsministers ohne Geschäftsbereich“ und eines Akademiepräsidenten einflussarm gewesen wären. Wäre Hans Frank nur jeweils das eine oder das gewesen, hätte es ihm wahrscheinlich – im Vergleich zu anderen NS-Größen – tatsächlich an Einfluss gefehlt. Er war aber beides. Und noch einiges mehr.
Rath distanziert sich zwar im Weiteren etwas von Hattenhauers Darstellung eines angeblich normalen Akademiebetriebs. Er schließt sich dann aber doch der Hauptthese Hattenhauers und Pichinots an. Ich zitiere zunächst die Distanzierung:
Zum zahlreich eingeladenen internationalen Publikum passend wurden bei Akademietreffen durchaus seriöse rechtswissenschaftliche Diskussionen geführt. Ernst Heymann (1870-1946), Dekan der Berliner Juristenfakultät, referierte beispielsweise 1935 sachlich über die „Bedeutung der Rechtsvergleichung“. In den zahllosen Arbeitsgruppen der Akademie wurde zwischen den propagandistisch genutzten Vollsitzungen juristische Grundlagenforschung betrieben. In einem Artikel für die „Juristische Schulung“ betonte Hans Hattenhauer denn auch die Normalität des Akademiebetriebs, der weitgehend dem Betrieb heutiger Einrichtungen dieses Typs entsprochen habe (JuS 1986, S. 680-684).
Diese Einschätzung in der juristischen Ausbildungszeitschrift wird nicht allein durch die propagandistischen Tagungen der Akademie konterkariert: Vor Heymann sprach etwa der „Reichsbauernführer“ Walter Darré (1895-1953) über „Blut und Boden im Recht“ und darüber, dass das – auch dogmatisch leicht irrsinnige – Reichserbhofgesetz von einigen Landwirten wegen „sorgsam verheimlichte(r) Webfehler in ihrer Ahnentafel infolge jüdischen Blutes“ nicht gut aufgenommen worden sei.
Die vom Akademiemitglied Carl Schmitt (1888-1985) propagierte Ausmerzung jüdischer Autoren aus dem juristischen Schrifttum wurde in der Akademiebibliothek selbstverständlich umgesetzt, eine entsprechende Kartei angelegt. Während die Gerichte über die Verwendung der Generalklauseln zum Beispiel Mietverträge jüdischer Mieter contra legem für nichtig erklärten, kam die Arbeit der Akademie nicht recht voran, die „Werte“ des neuen Staates in einem „Volksgesetzbuch“ niederzuschreiben, mit dem das „liberalistische“ Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) abgelöst werden sollte.
(Rath 2012)
Weshalb war der „Akademiebetrieb“ der AfDR laut Martin Rath nicht normal? Weil in ihr nach einem angesehenen Professor der Juristischen Fakultät Berlins der Nicht-Akademiker Walter Darré sprach und noch dazu über ein „leicht irrsinniges“ NS-Gesetz. Inwiefern es „leicht irrsinnig“ gewesen ist, wird nicht mitgeteilt. Weil in der Akademiebibliothek eine Kartei angelegt worden sei, durch die jüdische Autoren aus dem juristischem Schrifttum ausgemerzt werden sollte. Im Vergleich zu dem, was die AfDR tatsächlich tat, sind diese beiden Punkte, die Rath für die Abnormität des Akademiebetriebes anführt, bestenfalls nebensächlich.
Auch Martin Raths Darstellung verdankt sich einer unbegründeten und unbelegten Voreingenommenheit zu Gunsten von Professoren und ihren Institutionen. Deswegen überrascht es mich nicht, dass er sich im Ergebnis den Hauptthesen Pichinots und Professor Hattenhauers anschließt, dass die AfDR keinen rechtspolitischen Einfluss (von Gewicht) ausübte:
Rechtspolitischen Einfluss konnte die Akademie indes nicht ausüben. Frank hatte sich versprochen, sie könnte die Funktion des parlamentarischen Beratungsprozesses übernehmen. Hitler kam seinem Wunsch aber nicht nach, die Referentenentwürfe der nach wie vor arbeitenden Ministerialbürokratie der Akademie zur Prüfung vorlegen zu lassen.
(Rath 2012)
Rath bezieht sich zur Begründung dieser weitgehenden These auf die Darstellung Pichinots von einem Vorstoß, den Karl Lasch, Direktor der AfDR und ein Intimus von Hans Frank, am 1. September 1936 bei der Reichskanzlei unternahm.[56] Dieser Vorstoß war nur teilweise erfolgreich. Er ging über den Schreibtisch von Hans Heinrich Lammers (1879-1962). Der Führer sollte anordnen, so der Entwurf von Karl Lasch,
daß alle Gesetzesvorlagen von grundsätzlicher Bedeutung vor ihrer Einbringung in das Kabinett der Akademie für Deutsches Recht zur Kenntnis gebracht werden und daß ihr Gelegenheit zur gutachtlichen Stellungnahme gegeben wird.“2)
2) Bundesarchiv a.a.O. [= R43 Il/1510a ; mw], Bl.16
zitiert nach: (Pichinot 1981), S. 77
Hätte der Führer diesen Entwurf übernommen, wäre die AfDR zu einem Organ der Gesetzgebung des NS-Staates geworden. § 2 der Satzung der AfDR ging von einer anderen Rechtsauffassung aus: Die AfDR war selbst keine für die „Gesetzgebung zuständige Stelle“, sollte aber in „enger dauernder Verbindung“ zu diesen „Stellen“ ihre Aufgabe erfüllen, das nationalsozialistische Programm zu verwirklichen.
Der sachliche Punkt hinter diesem Vorstoß von Lasch ist offensichtlich und langweilig: Im Herbst 1936 existierte anscheinend die Rechtspraxis, das Gesetzesvorlagen ins Kabinett eingebracht wurden. Als Reichsminister war Hans Frank Mitglied des Kabinetts. Als Reichsminister ohne Geschäftsbereich hatte er aber kein Ministerium, das die Gesetzesvorlagen vor den Kabinettssitzungen erhalten, gar prüfen konnte. Hans Franks Ersatz-Ministerium war die AfDR. Karl Lasch Vorstoß diente dem Zweck, dem Kabinettsmitglied Hans Frank das Know How der AfDR in allen Fällen von „grundsätzlicher Bedeutung“ rechtsbindend zur Verfügung zu stellen. Damit wäre Hans Frank zum Super-Minister unter den Reichsministern geworden.
Mich würde es nicht wundern, wenn das „Häuflein Juristen, insbesondere der Professoren“ einen Weg gefunden haben sollte, den vollumfänglichen Erfolg dieses Vorstoß von Karl Lasch selbst zu hintertreiben. Zu offensichtlich wäre im vollumfänglichen Erfolgsfall das „Häuflein Professoren“ zum NS-Mit-Gesetzgeber geworden. Gewohnt waren Professoren eine dezentere Rolle: Geheimräte waren nach außen hin, d.h. zu den Gesetzesunterworfenen, selbst nicht Gesetzgeber. Und wer selbst nicht Gesetzgeber ist, trägt weder eine moralische noch gar eine justiziable Verantwortung für die Gesetzgebung. Oder?
Was geschah mit dem Vorstoß? Er wurde laut Pichinot am 13. Oktober als Anordnung mit folgendem Wortlaut an die Reichsministerien weitergeleitet:
„Der Führer und Reichskanzler hat deshalb den Wunsch, daß bei der Vorbereitung von Gesetzen, die für die künftige Entwicklung des Rechts in nationalsozialistischem Sinne | S. 78 von grundsätzlicher Bedeutung sind, der federführende Herr Reichsminister in den ihm geeignet erscheinenden Fällen die Akademie für Deutsches Recht so rechtzeitig verständigt, daß sie Gelegenheit hat, zu den Problemen Stellung zu nehmen. Diese Anordnung gilt nicht für die Vorbereitung von Gesetzen, die einer besonderen Geheimhaltung bedürfen oder eilbedürftig sind. Eine Verzögerung der Gesetzgebungsarbeit darf durch die Heranziehung der Akademie für Deutsches Recht keinesfalls entstehen. Hierfür trägt der federführende Herr Reichsminister die Verantwortung.“
zitiert nach: (Pichinot 1981), S. 77 f.
Soweit Pichinots Darstellung des Vorstoßes von Karl Lasch vom 1. September 1936. Aus dieser Darstellung folgerte Rath 2012, dass die AfDR keinen „rechtspolitischen Einfluss“ von Gewicht ausgeübt habe. Aus „Nicht alle Klausurschreiber haben bestanden“ folgt trivialerweise nicht „Kein Klausurschreiber hat bestanden“.
Darüber hinaus ist auch Raths weitere Darstellung, dass 1942 die AfDR „ihren Präsidenten“ verlor und „in die Obhut des Reichsjustizministeriums überführt“ wurde, falsch: 1. Die AfDR behielt ihren Präsidenten. Im Sommer 1942 gab es nur einen Personalwechsel von Hans Frank zu Otto Thierack 2. Bereits seit dem Sommer 1934 übten die Reichsministerien der Justiz und des Inneren die Aufsicht über die AfDR aus. Das war im „Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht. Vom 11. Juli 1934.“ geregelt worden. Daran änderte sich bis zum Ende der AfDR nichts. Ob und wenn ja, wann die AfDR aufhörte zu existieren, weiß ich nicht. Ich kann nicht einmal ausschließen, dass sie noch 2019 existiert.
1.3.4. Die Informationen des Bundesarchivs über die AfDR (2015)
Ausführlich, quellenbasiert und wertungsfrei kann man sich über die AfDR seit 2015 mittels eines Berichts des Bundesarchivs über die AfDR informieren, der hier online zugänglich ist: https://portal.ehri-project.eu/units/de-002429-r_61
1.4. Die rechtliche Verfasstheit der AfDR von 1933 bis zum Juni 1943
Die AfDR ist im Juni 1933 durch ein bayerisches Gesetz als Körperschaft öffentlichen Rechts des Freistaats Bayern gegründet worden. Im Juli 1934 ist sie durch ein Reichsgesetz zu einer Körperschaft öffentlichen Rechts des Reiches gemacht worden. Das war ein erheblicher Machtzuwachs. Ein weiteres Gesetz, das die AfDR zum Gegenstand hatte, gab es nicht.
Den beiden Gesetzen waren Satzungen beigegeben. Es gab drei Satzungsänderungen: 1934, 1935 und 1943. 1937 ist erstmalig eine Verwaltungsordnung der AfDR in Kraft gesetzt worden. 1943 ist sie einmal geändert worden.
1.4.1. Die erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933 und das erste Gesetz vom 22. September 1933 über die AfDR
Am 22. September 1933 erging ein bayerisches Gesetz, das nur aus einem einziger Artikel bestand.[57] Dieser Artikel verlieh der AfDR den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts des Staates Bayern. Dem Gesetz war als Anlage die Satzung der AfDR beigefügt.
Zum Abschluss des ersten Jahrbuchs der Akademie für Deutsches Recht (JAfDR) ist dieses Gesetz und die erste Satzung der AfDR (S. 249 ff.) sowie ein Verzeichnis der Gründungsmitglieder AfDR (S. 252 ff.) abgedruckt worden.
Ich zitiere nach dieser Veröffentlichung Gesetz und Satzung vollständig. Auf das Verhältnis zwischen antragstellendem Reichsleiter der Rechtsabteilung der NSDAP, Hans Frank, und der Bayerischen Staatsregierung, der Hans Franks als Justizminister zum fraglichen Zeitpunkt angehörte, mache ich hiermit vorweg aufmerksam. In der folgenden Endnote präsentiere ich erste Informationen zur „Einheit von Partei und Staat“ – vor und nach der »Niederschlagung« des angeblichen »Röhm-Putsches« durch Hitler.[58]
Auf Antrag des Reichsleiters der Rechtsabteilung der NSDAP. Dr. Frank erläßt die Bayerische Staatsregierung zur Förderung der Neugestaltung des deutschen Rechtslebens in Anwendung folgendes
Gesetz:
Einziger Artikel.
Auf Antrag des Reichsleiters der Rechtsabteilung der NSDAP. Dr. Frank werden der von ihm am 26. Juni 1933 gegründeten Akademie für Deutsches Recht die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes verliehen. Ihre Rechtsverhältnisse bestimmen sich nach der diesem Gesetz als Anlage beigegebenen Satzung.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934)
Und nun der Anfang der Satzung:
Satzung
Die Satzung der Akademie für Deutsches Recht wird nachstehend bekannt gegeben.§ 1 Die „Akademie für Deutsches Recht“ ist eine Körperschaft des Öffentlichen Rechtes. Sie hat die Rechte einer juristischen Person und ihren vorläufigen Sitz in München.
§ 2 Aufgabe der Akademie für Deutsches Recht ist, die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechtes und der Wirtschaft zu verwirklichen.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934)
Ich lasse § 1 unkommentiert, da das, was vor 1933 und nach 1949 in Deutschlands unter dem Begriff der Körperschaft öffentlichen Rechts verstanden wurde, deutlich von dem abweicht, was die akademischen Nationalsozialisten mit ihm begriffen. Im Unterabschnitt 7.10.1. zitiere ich eine Behauptung Carl Schmitts, die diesen Unterschied ausdrücklich zum Thema hat.
An § 2 der Satzung ist folgendes besonders bemerkenswert. Es gibt zwei Aufgaben der Akademie:
1. Förderung der Neugestaltung des deutschen Rechtsleben und
2. das nationalsozialistische Programm […] zu verwirklichen.
Allein aufgrund dieser zweiten Aufgabe ist jedes Mitglied der AfDR definitionsgemäß ein Nationalsozialist gewesen. Das nationalsozialistische Programm war am 24. Februar 1920 in 25 Punkten festgelegt worden. Noch in Teil I wird ein wenig erkennbar werden, dass und wie die AfDR an der Verwirklichung folgender Punkte von 1920 mitarbeitete:
1. Wir fordern den Zusammenschluß aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu einem Groß-Deutschland.
2. Wir fordern die Gleichberechtigung des deutschen Volkes gegenüber den anderen Nationen, Aufhebung der Friedensverträge von Versailles und St. Germain.
3. Wir fordern Land und Boden (Kolonien) zur Ernährung unseres Volkes und Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschusses.
4. Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.
http://www.documentarchiv.de/wr/1920/nsdap-programm.html
Mit Punkt 4 ist die Frage der »Mischlinge« zu einem wichtigen programmatischen Problem geworden, dass noch auf der
Wannseekonferenz zu Meinungsverschiedenheiten unter den akademischen Nationalsozialisten führte.
5. Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können und muß unter Fremden-Gesetzgebung stehen.
6. Das Recht, über Führung und Gesetze des Staates zu bestimmen, darf nur dem Staatsbürger zustehen. Daher fordern wir, daß jedes öffentliche Amt, gleichgültig welcher Art, gleich ob im Reich, Land oder Gemeinde nur durch Staatsbürger bekleidet werden darf. Wir bekämpfen die korrumpierende Parlamentswirtschaft einer Stellenbesetzung nur nach Parteigesichtspunkten ohne Rücksichtnahme auf Charakter und Fähigkeiten.
7. Wir fordern, daß sich der Staat verpflichtet, in erster Linie für die Erwerbs- und Lebensmöglichkeit der Bürger zu sorgen. Wenn es nicht möglich ist, die Gesamtbevölkerung des Staates zu ernähren, so sind die Angehörigen fremden Nationen (Nicht-Staatsbürger) aus dem Reiche auszuweisen.19. Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemein-Recht.
23. Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen die bewußte politische Lüge und ihre Verbreitung durch die Presse. Um die Schaffung einer deutschen Presse zu ermöglichen, fordern wir, daß
a) sämtliche Schriftleiter und Mitarbeiter von Zeitungen, die in deutscher Sprache erscheinen, Volksgenossen sein müssen.
b) Nichtdeutsche Zeitungen zu ihrem Erscheinen der ausdrücklichen Genehmigung des Staates bedürfen. Sie dürfen nicht in deutscher Sprache gedruckt werden.
c) Jede finanzielle Beteiligung an deutschen Zeitungen oder deren Beeinflussung durch Nicht-Deutsche gesetzlich verboten wird und fordern als Strafe für Übertretungen die Schließung einer solchen Zeitung sowie die sofortige Ausweisung der daran beteiligten Nicht-Deutschen aus dem Reich.
d) Zeitungen, die gegen das Gemeinwohl verstoßen, sind zu verbieten. Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen eine Kunst- und Literaturrichtung, die einen zersetzenden Einfluß auf unser Volksleben ausübt und die Schließung von Veranstaltungen, die gegen vorstehende Forderungen verstoßen
24. Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage:Gemeinnutz vor Eigennutz
25. […]
http://www.documentarchiv.de/wr/1920/nsdap-programm.html
Zurück zu § 2 der ersten Satzung der AfDR vom Sommer 1933. Die beiden näheren Bestimmungen der zweiten Aufgabe der AfDR sind auch interessant:
1.) „in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen“: Aus dieser näheren Bestimmung folgt, dass die Akademie selbst weder eine zuständige Stelle der Gesetzgebung des NS-Staates war noch sein sollte. Die AfDR wird „nur“ auf eine enge, dauernde Verbindung mit den Stellen der Gesetzgebung verpflichtet.
In der Praxis geschah das personell vor allem durch Mitwirkung von Staatssekretären der Ministerien in den Leitungsgremien und Ausschüssen der AfDR, insbesondere von Roland Freisler als Staatssekretär des Reichsjustizministeriums, und – noch wichtiger und deswegen bereits mehrfach erwähnt – und durch Ernennung Hans Franks zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich durch Hitler im Dezember 1934.
2.) Die AfDR sollte anfänglich das nationalsozialistische Programm nicht nur auf dem Gebiet des Rechts, sondern auch auf dem Gebiet der Wirtschaft verwirklichen.
Anhand der Liste der Gründungsmitglieder der AfDR ist ein wenig erkennbar, mit welchen Wirtschaftsvertretern Hans Frank bereits 1933 ausreichend enge Kontakte hatte.[59]
Ich zitiere § 2 ohne Auslassung weiter:
Dieser Zweck soll in Anwendung bewährter wissenschaftlicher Methoden erreicht werden.
Im einzelnen ist der Wirkungskreis der Akademie für Deutsches Recht vor allem
- die Anregung, Begutachtung, Vorbereitung und Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen,
- die Neugestaltung und Vereinheitlichung der rechts- und staatswissenschaftlichen Ausbildung,
- der Herausgabe und Unterstützung wissenschaftlicher Veröffentlichungen, | S. 250
- die finanzielle Förderung von praktischen wissenschaftlichen Arbeiten, die der Erforschung von Sondergebieten des Rechts und der Wirtschaft [2. Satzung: Volkswirtschaft; mw] dienen,
- die Veranstaltung von wissenschaftlichen Tagungen und die Einrichtung von Lehrkursen,
- die Pflege der Beziehungen zu gleichartigen Einrichtungen des Auslandes.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934), S. 249 f.
Dass die AfDR auf das Mittel „bewährter wissenschaftlicher Methoden“ zur Erreichung ihres Zweckes beschränkt wird, liegt im Begriff einer Akademie. Das schließt aber selbstverständlich nicht aus, dass Akademiemitglieder als Mitglieder anderer Organisationen oder als Privatpersonen das nationalsozialistische Programm auch mit anderen Mitteln verwirklichten sollten.
Die Akademie war nicht nur über die materielle Bestimmung einer ihrer zwei Aufgaben (Verwirklichung des nationalsozialistischen Programms) an den Nationalsozialismus und durch die formal-rechtliche Mitwirkung an der Gesetzgebung des NS-Staates wesentlich gebunden. Ihre erste satzungsgemäße Organisationsform machte sie zwar unabhängig vom NS-Staat, aber nicht unabhängig von der NS-Partei, da eine Personalunion zwischen dem „Führer der Akademie“ und einem Leitungsposten der NSDAP bestand. Ich zitiere:
§ 3 Führer der Akademie ist der Leiter der Rechtsabteilung der Reichsleitung der NSDAP.
§ 4 Dem Führer [der Akademie; mw] obliegen:
- die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung,
- die innere Leitung, insbesondere die Festsetzung und Verteilung der einzelnen Aufgaben einschließlich der Vermögensverwaltung,
- die Entscheidung über die Aufnahme und das Ausscheiden der Mitglieder,
- die Bestellung seines Vertreters, des Führerstabs und des Schatzmeisters aus der Zahl der Mitglieder,
- die Bestellung der Abteilungsleiter,
- die Vornahme von Satzungsänderungen,
- Die Entscheidung über die Auflösung der Akademie im Einvernehmen mit dem Führer der NSDAP.
Bei Verhinderung des Führers [der Akademie; mw] werden seine Aufgaben vom Stellvertreter [des Führers der Akademie; mw] übernommen.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934), S. 250
Nach § 3 der Satzung der AfDR liegt eine Personalunion von NSDAP und Akademie vor, wobei das Amt in der NSDAP das dominierende ist, da durch es bestimmt wird, wer Führer der Akademie ist – und nicht umgekehrt. Dass ferner die AfDR nur im Einvernehmen mit dem Führer der NSDAP aufgelöst werden kann (§ 4, Punkt 7), belegt zusätzlich die Unterordnung der Akademie unter die NS-Partei. Vereinfachend kann man sagen, dass die AfDR gemäß ihrer ersten Satzung eine Akademie der NS-Partei gewesen ist.
Die AfDR ist durch ihre Satzung aber nicht nur abhängig von der nationalsozialistischen Partei. Als Körperschaft öffentlichen Rechts des Staats Bayern wird sie durch eine Instanz des Staates Bayerns beaufsichtigt:
§ 8 Die Akademie für Deutsches Recht steht unter der Aufsicht des Staates, der die Aufsicht durch das Staatsministerium der Justiz ausübt.
[…]
München, 26.6.1933
Dr. Hans Frank
Reichsjustizkommissar,
Führer
der Akademie für Deutsches Recht.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934), S. 250
Da Hans Frank am 10. März 1933 „Staatsminister der Justiz“ in Bayern geworden war und das bis zum 31. Dezember 1934 blieb, beaufsichtigte er sich in seiner Rolle als bayerischer Staatsminister in diesem Zeitraum selbst in seiner Rolle als „Führer der Akademie“.
Nach meinem Sprung von § 4 zu § 8 zitiere ich nun ohne Auslassung die §§ 5 bis 7:
§ 5 Die Akademie umfaßt:
- ordentliche,
- außerordentliche,
- fördernde,
- korrespondierende Mitglieder
§ 6 Die Mitglieder werden auf die Dauer von 4 Jahren ernannt.
Die Mitglieder werden Fachabteilungen zugeteilt.
Die Zahl der ordentlichen Mitglieder soll zweihundert nicht übersteigen.
Die Mitglieder sind berufen, an den Veranstaltungen der Akademie teilzunehmen und nach näherer Anordnung des Führers an der Verfolgung der Ziele der Akademie für Deutsches Recht mitzuwirken.
§ 7 Im Falle der Auflösung der Akademie für Deutsches Recht ist ihr Vermögen in einer ihren Zwecken entsprechenden Weise zu verwenden.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934)
Zu den Veranstaltungen der AfDR, an denen nicht nur die ordentlichen, sondern alle Mitglieder teilnehmen sollten, gehörten vor allem die Vollsitzungen. Auf diesen Veranstaltungen können NS-Größen mit außerordentlichen Mitgliedern der AfDR zusammen am selben Tisch gesessen haben, ohne dass dies eine Zusammenarbeit beider Personen belegen würde. Leider hat Viktor Farías diesen Fehlschluss begangen (siehe Unterabschnitt 2.3.).
Wie bereits erwähnt, ist am Ende des ersten Jahrbuchs der Akademie für Deutsches Recht (JAfDR) ein Mitgliederverzeichnis abgedruckt (Quellenverzeichnis / Quelle 1). Zuerst werden die ordentlichen Mitglieder aufgeführt (S. 252-259). Dann die „II. Korporativen Mitglieder“. Solche Mitglieder kennt die erste Satzung nicht. Die Mitglieder, die auf diese Weise als Mitglieder der AfDR öffentlich bekannt gegeben wurden, sind vor allem universitäre Fakultäten, die jeweils durch ihre Dekane vertreten seien:
- Juristische Fakultäten: Berlin, Erlangen Frankfurt am Main, Gießen, Heidelberg, Köln, Leipzig, München
- Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultäten: Bonn, Breslau, Freiburg i. Br., Göttingen, Greifswald, Halle a.d. Saale, Hamburg, Kiel, Königsberg i. Pr., Marburg a. d. Lahn, Münster i. Westf., Würzburg
- Staatswissenschaftliche Fakultäten: Berlin, Leipzig, München
- Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät: Jena, Rostock, Tübingen
- Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät: Frankfurt am Main, Köln am Rhein
Darüber hinaus vertraten folgende Amtspersonen wissenschaftliche Korporationen in der AfDR:
- Der Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Seeverkehr, Kiel
- Die Rektor der Handelshochschule zu Berlin, Königsberg, Leipzig und Nürnberg
- Der Präsident der Hochschule für Politik, Berlin
- Der Präsident des Reichsverbandes der Deutschen Verwaltungsakademie, Berlin.
Falls diese wissenschaftlichen Institutionen tatsächlich und dauerhaft Mitglieder der AfDR waren, dann hatte ihr Präsident durch sie indirekt Einfluss auf einen Großteil der professionellen Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler des »Dritten Reiches« gehabt.
1.4.2. Das zweite Gesetz und die zweite Satzung der AfDR vom 11. Juli 1934
Im Sommer 1934 wurde die AfDR aufgewertet: Sie wurde unter Wahrung ihrer Aufgaben durch Reichsgesetz zu einer Körperschaft öffentlichen Rechts des Reiches gemacht (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 2).
Ich zitiere das Gesetz vollständig. Durch Streichungen und Fettdruck mache ich auf die wichtigsten Unterschiede zur Satzung vom Sommer 1933 aufmerksam.
Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht.
Vom 11. Juli 1934.
Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:
§ 1.
Die Akademie für Deutsches Recht, bisher eine Körperschaft des öffentlichen Rechts in Bayern, wird eine öffentliche Körperschaft des Reichs. Die Akademie hat eigene Rechtspersönlichkeit. Ihr Sitz ist
vorläufigMünchen.§ 2.
Aufgabe der Akademie ist, die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechts
und der Wirtschaftzu verwirklichen.§ 3.
Die Akademie steht unter der Aufsicht der Reichsminister der Justiz und des Innern.
§ 4
Der Präsident der Akademie wird vom Reichskanzler berufen und entlassen. Das Amt des Präsidenten ist ein Ehrenamt. Der Präsident vertritt die Akademie gerichtlich und außergerichtlich.
§ 5.
Die Rechtsverhältnisse der Akademie bestimmen sich, soweit nicht dieses Gesetz Vorschriften darüber enthält, nach der diesem Gesetz als Anlage beigegebenen Satzung.
Berlin, den 11. Juli 1934.
Der Reichskanzler:
Adolf Hitler.
Der Reichsminister der Justiz:
Dr. Gürtner
(Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht; 1934)
Die durch Fettdruck markierten Änderungen sind wichtig: Die AfDR ist nun eine Körperschaft des Reichs, die Personalunion von Beaufsichtigtem und Beaufsichtigenden ist aufgelöst und sie ist nun eine Akademie des NS-Staates und nicht mehr der NS-Partei, da der Präsident der AfDR nun durch den Reichskanzler berufen und entlassen wird. Durch diese Änderungen ist die AfDR mächtiger geworden, da sie durch die Veränderungen in den Stand gesetzt wurde, eine „enge dauernde Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen“ zu gewährleisten. Die für die Gesetzgebung zuständigen Stellen waren inzwischen nämlich keine bayrischen Staatsministerien oder Parteistellen mehr, sondern vor allem die Reichsministerien, die Reichsregierung und der Reichskanzler.[60] Diese Machtsteigerung wird Ängste im Bereich der Wirtschaft geschürt haben, dass nun eine Verstaatlichung der Wirtschaft bevorstünde. Um diese Sorge aus dem Weg zu räumen, so vermute ich, ist das zweite Verwirklichungsgebiet des nationalsozialistischen Programms gestrichen worden.
Dass Hans Frank am 19. Dezember 1934 durch Adolf Hitler zum „Reichsminister ohne Geschäftsbereich“ ernannt wurde[61], bestätigt meine Interpretation, dass die AfDR durch das zweite Gesetz mächtiger geworden ist. Denn nun war Hans Frank selbst Teil der Reichsregierung und damit Teil der formal-rechtlich wichtigsten Stelle für die Gesetzgebung des »Dritten Reichs«.
Soweit das Gesetz vom Sommer 1934. Als Anlage war ihm die zweite Satzung der AfDR beigegeben. Neben dem Wechsel von Bayern zum Reich, der offenkundig einen erheblichen Machtgewinn bedeutete, sind vor allem folgende Satzungsänderungen gemacht worden:
1. Die Mitwirkung der AfDR bei der Ausbildung angehender Rechts- und Staatswissenschaftler wird abgeschwächt. Sie arbeitet nun nur noch mit. Die Formulierung in der ersten Satzung wird ein Formulierungsfehler gewesen sein. An eine Abschaffung der Universitäten und von Staatsprüfungen werden Professor Wilhelm Kisch und Doktor Hans Frank beim Verfassen der ersten Satzung der AfDR kaum gedacht haben.
2. In der ersten Satzung wurde nichts über Ausschüsse der AfDR geregelt. Das wird im neuen § 2 nachgeholt. Ich zitiere ihn vollständig:
§ 2 Die Akademie kann in Durchführung ihrer Aufgabe zur Beratung einzelner Angelegenheiten besondere Ausschüsse einsetzen.
In die Ausschüsse sollen hervorragende Sachverständige aus den Kreisen der Rechtswissenschaft und Praxis sowie der Wirtschaft berufen werden. Den Vorsitz in den Ausschüssen führt in der Regel ein ordentliches Mitglied der Akademie. Die Ausschüsse erstatten über das Ergebnis ihrer Arbeiten dem Präsidenten der Akademie Bericht.
(Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht; 1934)
3. In § 3 wird neben dem Präsidenten als zweites und letztes Organ der AfDR ein „Präsidium“ erwähnt.
4. Der § 4 regelt besondere Aufgaben des Präsidenten. Im Unterschied zur ersten Satzung wird er diversen haushaltsrechtlichen Regeln unterworfen und wird durch weitere Paragraphen einer Dienstaufsicht unterstellt, die durch keine Personalunion mit dem zu Beaufsichtigenden offenkundig ad absurdum geführt wird (§§ 9 bis 12).
Neben dieser Ergänzung bedurfte es einer Ergänzung bezüglich der erstmalig thematisierten Ausschüsse. Ich zitiere diese Regel:
§ 4 Dem Präsidenten liegen außer den ihm durch das Gesetz übertragenen Aufgaben ob:
1. die innere Leitung […], die Einsetzung von Ausschüssen sowie die Berufung der Vorsitzenden und der Mitglieder der Ausschüsse, […]
(Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht; 1934)
5. Die Regelung zur Vertretung des Führers, nun Präsidenten der AfDR, wird präzisiert und bedarf nun der Bestätigung mehrerer Reichsminister.
§ 4 […]
Bei Verhinderung des Präsidenten werden seine Aufgaben von seinem Vertreter wahrgenommen.
Die Vornahme von Satzungsänderungen und die Ernennung des Vertreters des Präsidenten bedarf der Bestätigung der zuständigen Reichsminister.
(Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht; 1934)
Da der § 3 des Reichsgesetzes die AfDR unter die Aufsicht der Reichsministerien des Inneren und der Justiz stellte, wird auch die Bestätigung durch den Reichsinnenminister erforderlich gewesen sein. Vom Januar 1933 bis zum 20. August 1943 waren Wilhelm Frick (1877-1946) Reichsinnenminister. Wie Hans Frank gehörte auch Frick zu den „Alten Kämpfern“ der NSDAP, die im November 1923 in München einen Putsch gegen die Weimarer Republik unternahmen.
Bis in den Oktober 1937 hinein war Wilhelm Kisch Stellvertreter Hans Franks als Führer bzw. Präsident der AfDR. Danach wurde Carl August Emge (1886-1970) stellvertretender Präsident der AfDR.
6. Die Soll-Bestimmung bezüglich der Höchstzahl ordentlicher Mitglieder wurde von 200 auf 300 erhöht.
7. Das neue Präsidium wird in § 5 charakterisiert. Er lautet: „§ 5 Das Präsidium unterstützt und berät den Präsidenten bei seinen Aufgaben. Ihm liegt die Beratung des Haushaltsplans und die Vorprüfung der Haushaltsrechnung ob“.[62]
Mit Gesetz und Satzung vom 11. Juli 1934 war die öffentliche-rechtliche Gestalt der AfDR bis 1945 im Wesentlichen festgelegt. Es gab noch zwei weitere Satzungsänderungen.
1.4.3. Die dritte Satzung der AfDR vom 16. Oktober 1935
Am 16. Oktober 1935 wurde der Vermögensübergang im Fall einer Auflösung der AfDR neu geregelt (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 2). Ich zitiere den gesamten Text auf einmal, da er kurz ist:
Bekanntmachung über Änderung der Satzung der Akademie für Deutsches Recht.
Vom 16. Oktober 1935
Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht hat die im Reichsgesetzblatt 1934 Teil 1 S. 605 veröffentlichte Satzung der Akademie wie folgt geändert:
Hinter § 11 ist ein neuer § 12 mit folgendem Wortlaut eingefügt:
„§ 12 Im Falle einer Auflösung der Akademie für Deutsches Recht fällt das Vermögen der Akademie für Deutsches Recht an das Reich.“
Der bisherige § 12 ist § 13 geworden.
Die zuständigen Reichsminister haben diese Satzungsänderung bestätigt.
Berlin, den 16. Oktober 1935
Der Reichsminister der Justiz,
Dr. Gürtner
Der Reichsminister des Innern
Frick
(Satzungsänderung der AfDR; 1935)
Diese Satzungsänderung verschaffte dem Reich eine Sicherheit als Gegenleistung für die hohe Hypothek, welche die AfDR für den Neubau des „Haus des Rechts“ in München aufgenommen hatte.
1.4.4. Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April 1937
Mit Wirkung zum 1. April 1937 wurde eine erste Verwaltungsordnung für die AfDR in Kraft gesetzt (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 2). Sie ist in Heft 1 des Jahrgangs 1937 der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht veröffentlicht worden, und zwar im Rahmen eines Berichts über eine Präsidialsitzung der AfDR vom 15. Dezember 1936.
Ich zitiere letztlich den gesamten Bericht über die Sitzung des Präsidiums mit dem gesamten Text der Verwaltungsordnung. Ich unterbreche das Zitieren durch Kommentare. Der Bericht beginnt so:
Präsidialsitzung der Akademie für Deutsches Recht am 15. Dezember 1936
[0] Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Reichsminister Dr. Frank, hatte am 15. Dezember 1936 die Mitglieder des Präsidiums zu einer Sitzung nach Berlin zusammengerufen. Im Rahmen der Tagesordnung hielt Reichsminister Dr. Frank einen Vortrag über die Stellung der Akademie im Dritten Reich. Dabei führte er etwa folgendes aus:
Quelle 2: (Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
In 1.3.3. habe ich bereits durch Wiedergabe von Ergebnissen Pichinots skizziert, dass im September 1936 der Direktor der AfDR, Karl Lasch, bei H. H. Lammers in der Parteikanzlei einen Vorstoß unternommen hatte, der im Erfolgsfall bewirkt hätte, dass die AfDR zu einem Organ der Rechtsgebung des NS-Staates geworden wäre. Wie gleich ersichtlich werden wird, reagiert Hans Frank inhaltlich auf diesen Vorstoß. Und zwar so, dass er sich vom vollumfänglichen Erfolg dieses Vorstoßes distanziert. Gemäß des Wortlauts seiner veröffentlichten Rede wollte er nicht, dass die AfDR zu einer „Behörde“ im Dritten Reich gemacht würde. Ich zitiere nun Hans Franks Rede:
[1] „Wir stehen heute am Abschluß des ersten Aufbauabschnittes der Akademie. Die Aufgaben, die uns bei Gründung der Akademie gestellt worden sind, haben wir nach bestem Wissen und Vermögen zu erfüllen versucht. Die Institution der Akademie hat ihre Bewährungsprobe bestanden; sie hat sich im Rahmen der gesetzgebungspolitischen Aufgaben als eine Notwendigkeit erwiesen. Eine Revolution wie die nationalsozialistische kann nur dann am erfolgreichsten verwirklicht werden, wenn sich mit der leidenschaftlichen Erneuerungsidee die Klarheit eines aus der geistigen Tradition schöpfenden wissenschaftlichen Denkens verbindet. Die Akademie für Deutsches Recht stellt heute eine Institution des Ausgleichs von Interessenspannungen dar, die sonst zu einer Gefahr für die politische Einheit des Volkes werden müßten.
[2] Das, was in den verflossenen Jahren aus der Akademie geworden ist, kann nur als Anfang bezeichnet werden. Seinen äußeren Ausdruck fand das Wirken der Akademie bisher in machtvollen Kundgebungen, in Sitzungen und Arbeitstagungen und in den Ergebnissen unserer Ausschüsse. Vieles, was im Dritten Reich Gesetz geworden ist, wurde von unseren Ausschüssen geschaffen. Fast alles, was Gesetz geworden ist, wurde von unseren Ausschüssen mitbeurteilt. Alles aber, was Gesetz geworden ist, ging aus den gleichen Ideen hervor, auf die die Akademie ihr Wirken gründet.
Quelle 2: (Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
Mit diesen ersten beiden Absätzen stellt Hans Frank klar, dass die AfDR ihrer satzungsgemäßen Aufgabe erfolgreich nachgekommen ist. Ich zitiere weiter:
[3] In den kommenden Jahren wird der überwiegende Teil der uns zur Verfügung stehenden Mittel der fachlichen, wissenschaftlichen und gesetzespolitischen Arbeit der Akademie zu dienen haben. Diese Arbeiten sollen auf das stärkste gefördert und intensiviert werden. Zu diesem Zweck werden wir auch die Verbindung mit den Universitäten, den Hochschulen, den Studenten stärker noch als bisher pflegen. Das gleiche gilt von unserer Zusammenarbeit mit allen Stellen der Gesetzgebung. Jede Konkurrenz mit Reichs- oder Parteistellen liegt uns dabei vollkommen fern. Wir wollen uns nicht zu einer Behörde für Gesetzespolitik oder zu einem Institut für Rechts- und Sozialwissenschaft entwickeln, sondern unsere Stimme hören lassen, wenn es darum geht, das große Gut der Ideen des Dritten Reiches sicher durch die Wirrnis der Zuständigkeiten hindurchzusteuern.
Quelle 2: (Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
Durch diesen dritten Absatz stellt Hans Frank klar, dass er auch den satzungsgemäßen Modus der Aufgabenerfüllung billigte, nämlich dass diese Erfüllung in „Zusammenarbeit mit allen Stellen der Gesetzgebung“ zu erbringen sei. Ausdrücklich distanziert er sich ferner von einer Absicht, aus der AfDR eine „Behörde der Gesetzgebungspolitik“ zu machen. Die AfDR wäre eine solche Behörde geworden, wäre der Vorstoß von Karl Lasch vollumfänglich erfolgreich gewesen.
Der letzte Absatz seiner Rede dient nur noch dem Zweck, höflich zu sein. Ich zitiere:
[4] In den kommenden Jahren steht also eine Überfülle größter Aufgaben vor uns, und es ist mir eine besondere Ehre und Freude, Ihnen sagen zu dürfen, daß der Führer und seine Mitarbeiter in Partei und Reich von dem Wirken der Akademie Großes erwarten. Umgekehrt aber schulden wir unseren Dank dem Führer und dem ganzen deutschen Volk für das Verständnis, das sie unserer Arbeit stets entgegengebracht haben, und für die Mitwirkung bei der Lösung der uns gestellten Aufgaben. Mein Dank gilt aber auch allen denen, die unsere Arbeit durch die Kraft ihres Geistes oder durch materielle Mittel gefördert haben.
Quelle 2: (Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
Soweit die Rede von Hans Frank. Im nächsten Absatz wird in angemessener Kürze über die Billigung der Haushaltsführung der AfDR durch ihr Präsidium berichtet:
Im Anschluß an die Worte des Präsidenten der Akademie für Deutsches Recht, Reichsminister Dr. Frank, erstattete der Schatzmeister der Akademie, Generaldirektor Arendts, München, einen eingehenden Bericht über die Finanzlage der Akademie, über den Haushaltsplan 1936/37, die Rechnungsprüfung des Geschäftsjahres 1935/36 durch den Rechnungshof des Deutschen Reiches und über die Errichtung des Hauses des Deutsches Rechts. Die von dem Schatzmeister gestellten Anträge auf Entlastung und Genehmigung des Haushaltsplanes wurden vom Präsidium angenommen.
(Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
Die Verwaltungsordnung der AfDR wurde auf der Präsidiumssitzung vom 15. Dezember 1936 durch Prof. Wilhelm Kisch vorgestellt:
Hierauf sprach der stellvertretende Präsident der Akademie, Geheimrat Professor Dr. Kisch, über den Neuaufbau der wissenschaftlichen Arbeit und verkündete folgende
Anordnung des Präsidenten über den inneren Aufbau der Akademie für Deutsches Recht:
„Von dem Bestreben geleitet, die Durchführung der Aufgaben der Akademie für Deutsches Recht in Rechtsforschung und Rechtsgestaltung zu gewährleisten, einen sinnvollen Einsatz aller geeigneten Kräfte für die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens im Geiste der nationalsozialistischen Weltanschauung zu verwirklichen und der wissenschaftlichen Arbeit am deutschen Recht eine würdige Heimstätte zu errichten, bestimme ich auf Grund von § 4 Abs. 1 Nr. 1 der Akademiesatzung (RGBl. 1934, I, S. 605) folgendes:
I. Stück: Gliederung der Akademie.
§ 1. Die Berufung zum Mitglied geschieht in Anerkennung hervorragender Verdienste um das deutsche Rechtsleben. Sie verpflichtet zu treuer Mitarbeit an seiner Förderung, Gestaltung und Erforschung.
§ 2. Aus der Gesamtheit der ordentlichen Mitglieder der Akademie werden drei Abteilungen gebildet: Ein Ehrensenat, eine Abteilung für Rechtsgestaltung, eine Abteilung für Rechtsforschung.
§ 3. Der Abteilung für Rechtsgestaltung werden die bestehenden und neu zu bildenden Ausschüsse der Akademie zugeteilt.
§ 4. Die Abteilung für Rechtsforschung gliedert sich in Klassen, denen vorwiegend die folgenden Aufgaben zugewiesen sind: Klasse I: Erforschung der Geschichte und der Grundfragen des Rechtes, Klasse II: Erforschung des Rechtes von Reich und Volk, Klasse III: Erforschung des volksgenössischen Rechtslebens. Jede Klasse wird von einem Sekretär betreut.
§ 5. Der Präsident bestimmt die Zugehörigkeit der Mitglieder zu den Abteilungen und Klassen. Er kann auch korrespondierende Mitglieder der Akademie in diese berufen.
§ 6. Die einzelnen Gliederungen der Akademie sollen darauf bedacht sein, im Rahmen ihrer Aufgaben wertvolle weitere Kräfte aus dem Bereiche des Rechtslebens heranzuziehen und damit auch sie in den Dienst der Förderung des deutschen Rechtes zu stellen.
§ 7. Den Gliederungen wird ferner zur Pflicht gemacht, die Aufgaben der Akademie in gegenseitiger Förderung und vertrauensvoller Zusammenarbeit gemeinsam zu erfüllen.
II. Stück. Haus des Deutschen Rechts.
§ 8. In der Hauptstadt der Bewegung [= München; mw] errichtet die Akademie das ‚Haus des Deutschen Rechts‘.
§ 9. Das Haus des Deutschen Rechts soll der Mittelpunkt der der Akademie anvertrauten wissenschaftlichen Arbeit am Recht des nationalsozialistischen Reiches sein.
§ 10. Die Forschungs- und Bildungseinrichtungen der Akademie haben ihren Sitz im Haus des Deutschen Rechts.
§ 11. Nähere Anordnungen über die Durchführung der Aufgaben des Hauses des Deutschen Rechts behalte ich mir vor.
(Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
Nach § 3 dieser Verwaltungsordnung wurde der Ausschuss für Rechtsphilosophie mit Wirkung vom 1. April 1937 der Abteilung für Rechtsgestaltung zugeordnet. Die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie des Zeitraums 1941 bis 1943 ist aber gemäß der Suchmaschine invenio des Bundesarchives in einer Geschäftsführungsakte mit dem Titel „Organisationsplan und Verzeichnis der Abteilung für Rechtsforschung in der ADR“ enthalten (siehe Abschnitt 9). Es ist deswegen zu vermuten, dass irgendwann zwischen dem 1. April 1937 und dem Jahr 1941 eine Neuzuordnung des Ausschusses für Rechtsphilosophie weg von der Abteilung für Rechtsgestaltung in die Abteilung für Rechtsforschung vorgenommen worden ist. Diese Vermutung wird durch einen Quellenfund bestätigt, über den Anderson berichtet:
In spite of the fact that Frank and Rosenberg took an active role in setting the tone and program of this committee [for legal philosophy; mw], it met only infrequently with no tangible results and merged with class one of the division for legal research in 1938.17
17 See Binder’s comments at the Dec. 9, 1938 meeting of class one, protocol of the meeting, ADR files, R 61/77, BK
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 347
Der Ausdruck „Rechtsgestaltung“ ist übrigens ein Neologismus, der ein ähnliches Sachgebiet wie der verpönte »liberalistische« Ausdruck „Rechtssetzung“ (Gesetzgebung, Verordnungsgebung, Maßnahmen, Rechtsprechung) erfassen sollte, ohne über dessen staatsrechtlichen und staatsphilosophischen Konnotationen zu verfügen.
Zurück zum Bericht über die Präsidialsitzung vom 15. Dezember 1936. Er endet so:
Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht sprach nach Erledigung der übrigen Tagesordnungspunkte den Mitgliedern des Präsidiums, insbesondere dem stellvertretenden Präsidenten, Geheimrat Professor Dr. Kisch, dem Schatzmeister, Generaldirektor Arendts und Direktor Dr. Lasch seinen Dank für die im Jahre 1936 geleistete hervorragende Arbeit aus. An der sich im Anschluß an die Tagesordnung entwickelnden Aussprache beteiligten sich vor allem der Preußische Staats- und Finanzminister Professor Dr. Popitz und Geheimrat Kißkalt, München.
(Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
1.4.5. Neufassung der Satzung und Verwaltungsordnung der AfDR vom 9. Juni 1943
Wie bereits mehrfach erwähnt, wurde Otto Thierack im August 1942 neuer Präsident der AfDR. Zugleich ist Thierack neuer Reichsjustizminister geworden. Damit gab es wieder wie im ersten Jahr der AfDR eine Personalunion zwischen aufsichtsführendem Minister und beaufsichtigtem Präsidenten der AfDR.
Fast ein Jahr später ist eine neue Satzung und eine neue Verwaltungsordnung in Kraft gesetzt worden (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 2). Der Gesamttext ist relativ lang. Mir sind keine Änderungen aufgefallen, die etwas an der Substanz der AfDR verändert hätten. Die Veränderungen betreffen nur die Binnenorganisation. Sie ist zentralistischer geworden. Dieser Zentralisierung verdanken wir vielleicht die Tatsache, dass es die Akte mit der Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Jahre 1941 bis 1943 überhaupt gibt.
In der Präambel wird folgendes mitgeteilt:
Neufassung der Satzung und Verwaltungsordnung
der Akademie für Deutsches Recht
Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht hat mit Bestätigung der Aufsichtsbehörden die Satzung die Akademie für Deutsches Recht neu gefaßt und auf Grund dieser Satzung die Verwaltungsordnung der Akademie, soweit erforderlich, umgestaltet. Für die Aufgaben, Gliederung und innere Ordnung der Akademie sind nunmehr neben dem Reichsgesetz über die Akademie für Deutsches Recht vom 11. Juli 1934 (RGBl. I S. 605) die nachstehend abgedruckten Bestimmungen maßgebend.
(Neufassung der Satzung und der Verwaltungsordnung der AfDR; 1943)
Zu Beginn der Satzung werden die Aufgaben der AfDR festgesetzt. Sie sind materiell nicht verändert worden:
Satzung1)
Die Aufgaben der Akademie
§ 1. Die Akademie für Deutsches Recht hat nach dem Reichsgesetz vom 11. Juli 1934 (RGBl. I 605) die Aufgabe, die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiet des Rechts zu verwirklichen. Insbesondere umfaßt der Wirkungskreis der Akademie:
1. die Anregung, Vorbereitung, Ausarbeitung und Begutachtung von Gesetzentwürfen,
2. die Durchführung und Unterstützung von rechts- und staatswissenschaftlichen Forschungen, Untersuchungen und Veröffentlichungen,
3. die Pflege der Beziehungen zum Rechtsleben des Auslandes,
4. die Veranstaltung von Tagungen im Rahmen ihrer Aufgaben.
1) Verkündet als Anlage zum Ges. vom 11.7.1934 (RGBl. 1934 I, 605), geändert durch Bek. vom 16.10.1935 (RGBl. 1935 I, 1250) u. neu gefaßt in der Bek. vom 9.6.1943 (Dt. Reichsanz. 1943 Nr. 132)
(Neufassung der Satzung und der Verwaltungsordnung der AfDR; 1943)
Mit Blick aufs Weitere zitiere ich noch aus der Verwaltungsordnung den Passus über das Präsidium der AfDR und über die Ausschussvorsitzenden.
II. Das Präsidium
§ 3. Das Präsidium steht unter der Leitung des Präsidenten. Kraft Amtes gehören ihm an: der Reichsminister der Justiz, der Reichsminister des Innern, der stellvertretende Präsident [der AfDR; mw] und der Leiter der rechtspolitischen und wissenschaftlichen Arbeiten [der AfDR; mw]. Die übrigen Präsidialmitglieder beruft der Präsident aus dem Kreis der ordentlichen Mitglieder. Die Geschäftsführung des Präsidiums obliegt dem Direktor.
Das Präsidium tritt alljährlich einmal zusammen. Der Präsident kann darüber hinaus das Präsidium in außerordentlichen Fällen einberufen.
(Neufassung der Satzung und der Verwaltungsordnung der AfDR; 1943)
Die ausführlicheren Bestimmungen des dritten Stücks der Verwaltungsordnung sind interessant, weil sie den Status der Geschäftsführungsakte mit der Signatur R 6/30 erklären, in der ich die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie des Zeitraums 1941 bis 1943 gefunden habe. Ich zitiere deshalb das dritte Stück vollständig. Durch Fettdruck hebe ich die Bestimmung hervor, die dafür sorgten, dass es zentrale Geschäftsführungsakten über viele Ausschüsse der AfDR gab:
3. Stück. Die Ausschuß-Vorsitzenden und Klassen-Sekretäre
§ 7. Der Ausschuß-Vorsitzende hat die Zusammensetzung seines Ausschusses im Einvernehmen mit dem Leiter der rechtspolitischen und wissenschaftlichen Arbeiten vorzubereiten. Die Ausschuß-Mitglieder sollen sich aus Wissenschaft und Praxis sowie den beteiligten Partei- und Reichsdienststellen zusammensetzen. Neben den ständigen Ausschuß-Mitgliedern kann der Vorsitzende zu den Beratungen Sachkenner als Mitarbeiter und Gäste heranziehen.
Die Berufung der Ausschuß-Mitglieder erfolgt durch Berufungsschreiben des Präsidenten; er kann die Berufung dem Leiter der rechtspolitischen und wissenschaftlichen Arbeiten übertragen.
Der Vorsitzende hat den Ausschuß im Einvernehmen mit der Leitung der Akademie (§ 6 Ziff. b der Verwaltungsordnung) zu Sitzungen einzuberufen.
Die Geschäftsführung der Ausschüsse liegt bei den zuständigen Referenten der Akademie.
Der Ausschuß-Vorsitzende kann im Bedarfsfall im Einvernehmen mit dem Leiter der rechtspolitischen und wissenschaftlichen Arbeiten zur Bearbeitung von Sonderfragen │ S. 138 und Teilproblemen Unterausschüsse und Arbeitsgemeinschaften einsetzen.
Ebenfalls können im Einvernehmen mit dem Leiter der rechtspolitischen und wissenschaftlichen Arbeiten die Vorsitzenden mehrerer Ausschüsse zur Behandlung bestimmter Fragen gemeinsame Sitzungen abhalten und zu diesem Zweck Sonderausschüsse bilden.
Die für die Ausschüsse geltenden Bestimmungen finden auf die Arbeitsgemeinschaften entsprechende Anwendung.
Der Ausschuß-Vorsitzende hat für eine sachgemäße Zusammenarbeit seines Ausschusses mit der jeweils zuständigen Klasse der Rechtsforschungsabteilung Sorge zu tragen.
Das Ergebnis der Arbeiten hat der Vorsitzende dem Präsidenten vorzulegen. Über die Frage der Veröffentlichung entscheidet der Präsident.
(Neufassung der Satzung und der Verwaltungsordnung der AfDR; 1943)
Neben der professionelleren Organisationsstruktur der AfDR gibt es keine Änderungen, die mir besonders aufgefallen sind.
1.5. Ergebnissicherung
Ich habe diesen ersten Abschnitt von Teil I mit einem Überblick über Primär- und Sekundärtexte begonnen, in deren Zentrum entweder Hans Frank oder Alfred Rosenberg stehen. Mit Blick auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie ist das Ergebnis sehr dürftig gewesen. Bestenfalls wird mitgeteilt, dass Hans Frank Vorsitzender dieses Ausschusses gewesen ist. Dass Hans Frank und Alfred Rosenberg nach 1939 im Osten kooperierten, ist bekannt. Dass Hans Frank und Alfred Rosenberg während des Zweiten Weltkrieges zusammen Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gewesen sind, ist meines Wissens von der Forschung bislang nicht zur Kenntnis genommen worden.
Nebenbei habe ich die Erinnerungen meiner Leser aufgefrischt, was Hans Frank und Alfred Rosenberg nach 1939 getan haben, so dass sie zu Recht als Hauptkriegsverbrecher angeklagt und verurteilt worden sind. Das ist fürs Gesamtverständnis des akademischen Nationalsozialismus hilfreich.
Hin und wieder gab es in den gesichteten Forschungstexten interessante Erwähnungen anderer Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Dass Carl Schmitt mehrfach erwähnt wird, ist nicht überraschend. Dass die Kontakte zwischen Carl Schmitt und Hans Frank so eng waren, dass Niklas Frank erwägen musste, dass Carl Schmitt sein Vater gewesen ist, ist beachtenswert. Mehr aber auch nicht. Dass Heidegger in den Anfangsjahren des Dritten Reichs im Umkreis der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik erwähnt wird, ist ebenfalls Teil des etablierten Forschungsstands. Interessanter ist, dass Ernst Piper (2015) Erich Rothacker im Kontext seiner Darstellung einer nationalsozialistischen Erziehung der nächsten Generation mit einer Behauptung zitiert, dass ein „rassisch befriedigender Bevölkerungsdurchschnitt […] in dem Rassengemisch einzelner deutscher Stämme“ nur noch dann erreichbar sei, wenn das »jugendliche Menschenmaterial im Geiste der rassisch besten Bestandteile« des deutschen Volkes »geknetet« würde. Durch ausführlicheres Zitieren aus Rothackers Primärtext konnte ich belegen, dass die von Piper zitierte Behauptung Rothackers im Kontext einer emphatische Aufnahme und Ausgestaltung Rothackers von Gedanken Hitlers, Rosenbergs und Darrés steht. Da der Ausschuss für Rechtsphilosophie im Mai 1934 konstituiert wurde und der Text Geschichtsphilosophie Rothackers 1934 in einem Handbuch für Philosophie veröffentlicht wurde, gibt es tatsächlich einen ersten, abgesicherten Einblick in die Philosophie, die von Hans Frank für würdig erachtet wurde, im Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR vertreten zu sein.
Durch Auswertung der Gesetze, Satzungen und Verwaltungsordnungen der AfDR konnte ich zusätzlich folgendes etablieren:
Die AfDR war seit dem Sommer 1934 eine Körperschaft öffentlichen Rechts des Reichs, deren gesetzliche Aufgabe es unverändert und ununterbrochen war, „die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechts zu verwirklichen.“
Die „enge dauernde Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen“ war spätestens ab dem Dezember 1934 dadurch gewährleistet, dass die beiden Präsidenten, die die AfDR hatte, in Personalunion Reichsminister waren: Ihr erster Präsident, Hans Frank, war im Dezember 1934 durch Hitler zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich ernannt worden. Otto Thierack, der im August 1942 Präsident der AfDR wurde, ist gleichzeitig Reichsjustizminister geworden.
2. Der dürftige Forschungsstand zum Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht
Ich stelle den Forschungsstand zum Ausschuss für Rechtsphilosophie chronologisch nach dem Veröffentlichungszeitpunkt des Textes dar.
2.1. Pichinot (1981) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
In der Kieler Dissertation von Hans-Rainer Pichinot aus dem Jahr 1981, die nicht verlegt, aber mit Genehmigung der Rechtswissenschaftliche Fakultät „gedruckt“ worden ist, wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie auf insgesamt 181 Seiten nur dreimal erwähnt. Pichinot hat dasselbe unveröffentlichte Schriftgut der AfDR (R 61/29-31) gesichtet wie ich. Das geht aus seinem Quellenverzeichnis hervor. Ich habe nur diese drei Akten der AfDR kursorisch durchgesehen. Pichinot hat weit mehr Akten der AfDR nach eigenen Angaben berücksichtigt. Erstgutachter der Dissertation ist Prof. Dr. Hans Hattenhauer (1931-2015) gewesen (siehe Unterabschnitt 1.3.2.).
Ich zitiere nun die drei Bezugnahmen Pichinots auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Die ersten beiden finden sich im Kontext von Pichinots Darstellung des Jahres 1937. Wie ich in 1.4.4. dargestellt habe, trat zum 1. April 1937 erstmalig eine Verwaltungsordnung für die AfDR in Kraft. Durch diese Verwaltungsordnung ist u.a. die Binnenorganisation der AfDR geändert worden. Als neue Gliederungsebene sind zwei Abteilungen gebildet worden. Eine Abteilung für Rechtsgestaltung und eine Abteilung für Rechtsforschung. Ich zitiere erneut die beiden entsprechenden Paragraphen aus dieser Verwaltungsordnung der AfDR:
§ 3. Der Abteilung für Rechtsgestaltung werden die bestehenden und neu zu bildenden Ausschüsse der Akademie zugeteilt.
§ 4. Die Abteilung für Rechtsforschung gliedert sich in Klassen, denen vorwiegend die folgenden Aufgaben zugewiesen sind: Klasse I: Erforschung der Geschichte und der Grundfragen des Rechtes, Klasse II: Erforschung des Rechtes von Reich und Volk, Klasse III: Erforschung des volksgenössischen Rechtslebens.
Quelle 2: (Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937)
Aufgrund von § 3 ist zu erwarten, dass der im Mai 1934 gegründete Ausschuss für Rechtsphilosophie der 1937 neu geschaffenen Abteilung für Rechtsgestaltung zugeteilt werden würde. Pichinot behauptet, dass dies tatsächlich geschehen ist:
3. KAPITEL: DIE ABTEILUNG FÜR RECHTSGESTALTUNG
Für die Abteilung für Rechtsgestaltung hatte die Verwaltungsordnung keine wesentlichen Veränderungen gebracht. Die Beaufsichtigung durch Abteilungsleiter war entfallen, und die Stellung der Ausschußvorsitzenden war dadurch weiter gestärkt worden. Bis 1937 waren für nahezu alle Bereiche des Rechtslebens Ausschüsse der Akademie eingesetzt worden. Es gab nun auch solche für Bibliotheksrecht, Bodenkulturrecht, Bodenrecht, Enteignungsrecht, Erbrecht, Fahrnisrecht, Filmrecht, GmbH-Recht, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Genossenschaftsrecht, Geistiges Schaffen, Handelspersonalgesellschaften, Handelsstand und Handelsgeschäfte, Jugendrecht, Kolonialrecht, Koloniales Staats- und Verwaltungsrecht, Fragen der deutschen Konnationale, Nationalitätenrecht, Konkursrecht, Kraftfahrzeugrecht, Luftrecht sowie Patent- und Gebrauchsmusterrecht.3) Ferner be– │ S. 105 standen Unterausschüsse für die Ordnung der Kreisverwaltung und für terminologische Angelegenheiten und Ausschüsse für Rechtsfragen der Bevölkerungspolitik, Rechtsfragen des Wirtschaftsaufbaus, Rechtsphilosophie, Seeversicherungsrecht, Strafvollzug, Vereinsrecht, Verkehrsrecht, Versicherungs-, Agenten- und Maklerrecht, Kriegsstrafrecht, Wehrstrafrecht sowie für Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht.1) Zusammen mit den Ende 1933 gegründeten Ausschüssen verfügte die Abteilung für Rechtsgestaltung damit über 59 Ausschüsse. […]
3) Bundesarchiv R 61/106, Bl. 2 ff.
1) Bundesarchiv a.a.O.
(Pichinot 1981), S. 104-105
Ich kenne die Akte R 61/106 nicht. Da die belegte Behauptung Pichinots über den Ausschuss für Rechtsphilosophie bestätigt, was aufgrund der neu erlassenen Verwaltungsordnung zu erwarten war, vermute ich, dass Pichinots Behauptung korrekt ist. Anderson (1982/87) hat evidenzbasiert behaupten, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie 1938 mit der Abteilung für Rechtsforschung vereinigt worden sei. Auch diesen Beleg kenne ich nicht. Für meine Aufklärung über den akademischen Nationalsozialismus sind diese verwaltungsorganisatorischen Zuteilungen unwichtig. Wichtig ist, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie nachweislich noch 1937 und 1938 existierte.
Ich zitiere nun die zweite Bezugnahme Pichinots auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie:
Frank entschied sich [1937; mw] für Emge. Und unter Emges Leitung, der auch Franks Stellvertreter im Vorsitz des Ausschusses für Rechtsphilosophie war5), endete der wissenschaftliche Teil der Jahrestagung [der AfDR 1937; mw] mit einer gemeinsamen Sitzung der Abteilungen für Rechtsgestaltung und Rechtsforschung.
5) ZAkDR a.a.O. [1937; mw]; DJ a.a.O., S. 1754
(Pichinot 1981), S. 111
Ich habe die Belege, die Pichinot für seine Behauptung, dass Emge stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie war, geprüft. Die beiden in der Fußnote 5 angegebenen Belege weisen das nicht nach. In den beiden Artikeln der beiden Zeitschriften wird nichts über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet. In beiden Berichten geht es nur um den Personalwechsel auf der Stelle des stellvertretenden Präsidenten der AfDR. 1937 findet ein Wechsel von Wilhelm Kisch zu C. A. Emge auf dieser Position statt. Es ist aber richtig, dass Emge stellvertretender Vorsitzender des Ausschuss für Rechtsphilosophie war. Es findet sich auch mindestens ein Beleg für diese Tatsache in den Akten der AfDR, die Pichinot nach eigener Angaben berücksichtigt hat, nämlich das Blatt 171 der Akte mit der Signatur R 61/30. Dieses Blatt erwähnt Pichinot aber nicht. Falls er es nicht kannte, ist fraglich, woher er wusste, dass Emge stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie war.
Die dritte Bezugnahme Pichinots auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie findet sich im vierten Anhang, der ein „Verzeichnis der Ausschüsse“ der AfDR „und ihrer Vorsitzenden“ bietet (S. 170 ff.). Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird auf S. 172 aufgeführt. Sein Vorsitzender, Hans Frank, wird als „Reichsminister Dr.“ charakterisiert. Interessant ist die Fußnote, in der Pichinot mitteilt, aufgrund welcher Akten er sein Verzeichnis erstellt hat. Dabei erwähnt Pichinot auch ausdrücklich die Akte R 61/30. Auf Blatt 171 dieser Akte befindet sich die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie , die nicht vor dem 17. Juli 1941 erstellt worden sein kann. Auf diesem Blatt ist auch die Information zu finden, dass Emge stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
ANHANG IV: VERZEICHNIS DER AUSSCHÜSSE UND IHRER VORSITZENDEN1)
[…] │ S. 172 […]
Rechtsphilosophie Reichsminister Dr. Frank […]
1) zusammengestellt nach Bundesarchiv R61/3; R61/5; R61/30; R61/78; R61/106; R22/4330[63]; DJ [Zeitschrift „Deutsche Justiz“; mw] 1933, S. 787; DJZ [„Deutsche Juristen-Zeitung; mw] 1933, Sp. 1533; DR [Zeitschrift „Deutsches Recht“; mw] 1933, S. 205 f.; DRiZ [„Deutsche Richterzeitung“; mw] 1933, S. 321
(Pichinot 1981), S. 170-172
Nach eigenen Angaben hat Pichinot die Akte R 61/30 zur Kenntnis genommen. Trotzdem erfährt man durchs Lesen seiner Dissertation über die AfDR nur, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie 1937 bereits bestand und der Abteilung für Rechtsgestaltung zugeteilt wurde und dass sein Vorsitzender Hans Frank und sein stellvertretender Vorsitzender C. A. Emge gewesen ist.
2.2. Anderson 1982/87 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Ein Jahr nach Pichinot wurde Dennis LeRoy Anderson 1982 mit der Schrift The Academy of German Law (1933-1944) von der University of Michigan promoviert.[64] 1987 erschien die Dissertationsschrift in der Reihe „Modern European History. A Garland Series of Outstanding Dissertations“, deren Hauptherausgeber zum relevanten Zeitpunkt William H. McNeill (1917 – 2016) war. Die Monographie ist 655 Seiten lang.
2.2.1. Carl Schmitt war angeblich seit Mitte der 1930-er Jahre Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Im Haupttext seiner Dissertationsschrift berichtet Anderson über den Ausschuss für Rechtsphilosophie nur folgendes:
In order not to neglect theoretical work within the committee structure, Frank formed a committee on legal philosophy, which he personally chaired. The committee consisted of a number of ADR and Nazi luminaries, including legal historian Julius Binder, international law expert Viktor Bruns, philosopher Martin Heidigger [so im Original; mw], Carl Schmitt and Alfred Rosenberg. It held its inaugural meeting on May 3, 1934, appropriately enough in the Nietzsche archives in Weimar, with Frank delivering an address, which stressed the element of race more pointedly than was the case in many ADR committees.16 In spite of the fact that Frank and Rosenberg took an active role in setting the tone and program of this committee, it met only infrequently with no tangible results and merged with class one of the division for legal research in 1938.17
16 On the opening session of the committee for legal philosophy, see “Lebensrecht, nicht Formalrecht,” Deutsches Recht, IV (1934), 231-234. For a membership list of the committee in the mid-1930’s. see NA, T-82, roll 23, ADR 5.[65]
17 See Binder’s comments at the Dec. 9, 1938 meeting of class one, protocol of the meeting, ADR files, R 61/77, BK
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 347
Dass Hans Frank den Rassebegriff ins Zentrum der zu leistenden Arbeit des Ausschuss für Rechtsphilosophie stellte, ist auch in Farías Darstellung erkennbar. In meinen Abschnitt 4 werde ich ausführlich auf die Rede von Hans Frank am 3. Mai 1934 zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie eingehen.
Wichtig sind folgende Behauptungen Andersons: Neben Martin Heidegger war auch Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Aus dem Bericht vom 4. Mai 1934 der Frankfurter Zeitung über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie kann das nicht mit Sicherheit gefolgert werden, da dort ein „Staatsrat Schmidt“ erwähnt wird und „Schmidt“, „Schmitt“, „Schmied“ mit die häufigsten Nachnamen in deutscher Sprache sind. Ich gehe davon aus, dass der zweite Satz der Fußnote 16 den Beleg für Andersons Behauptung über die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie angibt. Ich kenne diese unveröffentlichte Quelle nicht. Ich vermute, dass Anderson sie korrekt ausgewertet hat. Anderson (1982/87) hätte demnach nachgewiesen, dass Mitte der 1930-er Jahre Carl Schmitt und Martin Heidegger gemeinsam Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind. Die Schmitt-Forschung hat diesen Hinweis von Anderson bisher nicht berücksichtigt hat (siehe Abschnitt 2.10.).
2.2.2. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie existierte von 1934 bis 1943
Ich kenne Binders Kommentare vom 9. Dezember 1938 bei einem Treffen der Klasse I („Erforschung der Geschichte und der Grundfragen des Rechts“[66]) der Abteilung für Rechtsforschung nicht, da die Quelle nicht veröffentlicht ist. Die angeblichen Charakterisierungen Binders „unregelmäßig“ und „ohne greifbares Resultat“ scheinen mir zu vage zu sein, als dass ich irgendeine Behauptung auf sie stützen wollen würde: Auch wer sich drei Mal die Woche aber zu verschiedenen Tageszeiten und an verschiedenen Wochentagen trifft, trifft sich unregelmäßig. Dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie kein „greifbares Resultat“ erarbeitet hat, bedeutet wörtlich genommen nur, dass es kein raum-zeitliches Objekt gibt, das er zurechenbar erzeugt hat. Und tatsächlich gibt es zum Beispiel keinen Text, der damals unter Nennung des Ausschuss für Rechtsphilosophie als Verfasser veröffentlicht worden ist. Jedenfalls habe ich bis bisher einen solchen Text nicht finden können.
Dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie nach dem 1. April 1937 der Klasse I der Abteilung für Rechtsforschung zugeordnet werden musste, hatte ich bereits in meinem Unterabschnitt 1.4.4. prognostiziert. Diese Zuordnung war durch die erste Verwaltungsordnung der AfDR erforderlich geworden, die zum 1. April 1937 in Kraft trat. Durch diese Zuordnung, die anscheinend tatsächlich vor dem 9. Dezember 1938 vorgenommen worden ist, ist der Ausschuss für Rechtsphilosophie aber nicht aufgelöst worden, wie ich im Weiteren anhand mehrerer Quellen nachweisen werde.
Dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie bis in den Januar 1943 existierte, erwähnt auch Anderson in seiner Dissertation. Das ist ein sehr wichtiges Ergebnis seiner Dissertation gewesen. Leider hat Anderson es nur in einer Liste im Anhang seines Buches präsentiert und nicht eigens auf es aufmerksam gemacht. Brisant wäre die Information geworden, hätte Anderson die Information zum Auflösungszeitpunkt des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Januar 1943 verbinden können mit der Mitgliederliste dieses Ausschusses, die nicht vor dem 17. Juli 1941 erstellt worden sein kann.
Die Information zur Existenzdauer des Ausschusses für Rechtsphilosophie in Andersons Dissertation findet sich in seinem „Appendix B. Committees of the Academy for German Law“, der die Seiten 573 bis 581 einnimmt. Andersons Liste der Ausschüsse der AfDR umfasst drei Spalten. In der ersten Spalte ist der Name des Ausschusses und ggf. die Namen seiner Unterausschüsse angegeben. In der zweiten Spalte ist der Name des Vorsitzenden angegeben. Wenn es einen Personalwechsel gab, sind in dieser zweiten Spalte mehrere Namen angegeben unter Angabe, ab wann die jeweilige Person Vorsitzender war. Die dritte Spalte informiert über die Existenzphasen der Ausschüsse. Ich zitiere die zwei Auszüge aus dem Appendix B, die den Ausschuss für Rechtsphilosophie betreffen:
Appendix B.
Committees of the Academy for German Law
[…] Dates indicate the formal beginning and closing dates of the committee’s existences bracketed dates indicate the de facto cessation of committee activity when known. The letter (d) designates that the committee was dissolved in the year noted; the letter (s) means that it was only suspended and not officially abolished.
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 573
Soweit Andersons Erläuterung seines sehr hilfreichen Anhanges zu den Ausschüssen der AfDR. Nun der Ausschnitt seiner Tabelle, der den Ausschuss für Rechtsphilosophie betrifft:
Committee Chairman Dates […] Rechtsphilosophie Hans Frank 1934-[1938] 1943 [d]
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 578
Andersons Angabe zur Existenzdauer des Ausschusses für Rechtsphilosophie bedeutet, dass der Ausschuss 1934 gegründet und dass er erst 1943 aufgelöst wurde. Der Einschub „-[1938]“ bedeutet, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie bereits 1938 erstmalig irgendwie aufgelöst, suspendiert oder ähnliches worden ist. Gemäß seiner Auskunft auf Seite 347 über Julius Binders Bericht über ein Treffen der Klasse 1 der AfDR müssen die Leser von Andersons Dissertationsschrift davon ausgehen, dass die Angabe „[1938]“ jene Verschmelzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie mit der Klasse 1 bezeichnet, da der Gesamttext keine weitere Information über den Ausschuss für Rechtsphilosophie im Jahr 1938 enthält.
Den Existenzrhythmus 1934-1938-1943 weist übrigens nicht nur der Ausschuss für Rechtsphilosophie auf. In folgender Tabelle habe ich alle Ausschüsse aus Andersons Tabelle zusammengestellt, für die der Rhythmus 1934-[1938] 1943 gilt:
Committee Chairman Dates Aktienrecht Wilhelm Kisskalt 1934-[1938] 1943(d) Beamtenrecht Hermann Neef 1934-[1938] 1943(s) Filmrecht Oswald Lehnich 1934-[1938] 1943(s) Finanz- und Steuerrecht Fritz Reinhardt 1934-[1938] 1943(d) Personen-, Vereins- und Schuldrecht Justus Wilhelm Hedemann 1934-[1939] 1943(d) Rechtsphilosophie Hans Frank 1934-[1938] 1943(d) Verkehrsrecht Wilhelm Koenigs 1934-[1939] 1943(d) Verwaltungsrecht (Staats- und
Verwaltungsrecht)
Carl Schmitt; Wilhelm Stuckart
(1935)
1934-[1939] 1943(s)
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 573-581
Das sind 8 von insgesamt 62 Ausschüsse (ohne Unterausschüsse), die Anderson in seinem Appendix B aufgeführt hat. Ich kann keine interessante Gemeinsamkeit erkennen. Wichtig ist nur die Tatsache, dass der Existenzrhythmus des Ausschusses für Rechtsphilosophie akademie-intern unauffällig ist.
Besonders bemerkenswert ist für sich genommen der Ausschuss für Verwaltungsrecht, weil Carl Schmitt bis 1935 und ab 1935 Wilhelm Stuckart sein Vorsitzender gewesen ist. Wilhelm Stuckart (1902-1953) wird bekanntlich als Staatssekretär des Reichsinnenministeriums an der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 teilnehmen.
Appendix A von Andersons hilfreichem Buch ist eine sehr lange Liste von Mitgliedern der AfDR, die Anderson aus verschiedenen Quellen der Jahren 1933 bis 1943 zusammengestellt hat. Da Mitglieder von Ausschüssen der AfDR nicht auch Mitglieder der AfDR waren, ist es weiter nicht überraschend, dass die Namen Heidegger und Freyer im Appendix A nicht auftauchen.
Übrigens: In Andersons Dissertation aus dem Jahr 1982, die unverändert 1987 verlegt worden ist, wird die unverlegte Dissertation Pichinots aus dem Jahr 1981 nicht erwähnt. Anderson wird Pichinot (1981) nicht gekannt haben.
2.3. Viktor Farías 1987/89 Forschungsergebnisse über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
1989 erschien in deutscher Sprache das für meine Generation von Philosophiestudierenden – ich bin 1970 geboren – sehr wichtige Buch „Heidegger und der Nationalsozialismus“ von Victor Farías. Ich habe es 1990 gelesen. Nach der Lektüre hielt ich Heidegger für einen Nationalsozialisten. Ohne Farías Buch hätte mir vermutlich niemand davon berichtet, dass Heidegger zumindest in den ersten Jahren nach der »Machtergreifung« ein Nazi gewesen ist.
Farías gab als einen von vielen Belegen für Heideggers Nähe zum Nationalsozialismus den Bericht der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 wieder. Im Zeitungsbericht war zu lesen, dass auch Martin Heidegger anwesend war, als Hans Frank seine Eröffnungsrede zur Konstitution des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gehalten hat.
Farías hatte den Zeitungsbericht in der Personalakte des nationalsozialistischen Philosophieprofessors Ernst Krieck (1882-1947) gefunden. Das Finden und die Wiedergabe des Inhalts dieses Zeitungsberichts ist der wichtigste Forschungsbeitrag, den Farías zum Ausschuss für Rechtsphilosophie geleistet hat. Ohne Farías Mitteilung über den Ausschuss für Rechtsphilosophie wäre dieser Ausschuss für die Generationen, die erst nach 1934 selbst regelmäßig Zeitung lasen, unbekannt geblieben. Wer liest schon unverlegte Dissertationsschriften über eine Akademie für Deutsches Recht, die noch dazu unbedeutend, nur ein Spielplatz für die Eitelkeit von Hans Frank gewesen ist? Wer beginnt mit einer eigenen Forschungsarbeit, wenn ein Professor sich in Kenntnis der Dissertationen von Pichinot und Anderson kurz und knapp 1986 in einer renommierten Zeitschrift für die Fachdidaktik der Rechtswissenschaften darüber auslässt, dass die AfDR nur ein Häuflein von Professoren gescharrt hinter einem früh entmachteten Hans Frank gewesen sei? Wenn Farías nicht 1987/1989 sein Buch über Heidegger und den Nationalsozialismus veröffentlicht hätte, wäre der Ausschuss für Rechtsphilosophie und die AfDR 2016 längst in Vergessenheit geraten. Ob ich dann 2016 mir einige Akten der Akademie für Deutsches Recht im Zuge meiner Recherchen über Gadamer (1900-2002) angesehen hätte, bezweifle ich.
2.3.1. Farías Quellen
Für seine zwei-seitige Darstellung des Ausschusses für Rechtsphilosophie und der AfDR zog Farías folgende Primärquellen heran:
- einen weiteren Bericht aus der Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934, in dem die Leser über die Rede Hans Franks über Nietzsche anlässlich der Konstituierung informiert wurden,
- einen Bericht vom 4. Mai 1934 der Zeitung Berliner Tageblatt über die Konstituierung des Ausschusses mit dem Titel Rechtsphilosophie als Waffe,
- einen Bericht der Zeitung der NSDAP Völkischen Beobachter vom 28. Juni 1934 über einen späteren Vortrag Hans Franks in der Aula der Universität München, in dem Hans Frank noch einmal die „Prinzipien und politische Bedeutung der Akademie“ klargestellt habe und
- einen Bericht über den „Presseempfang der Akademie für Deutsches Recht am 5. Mai 1934 im Festsaal des Preußenhauses (anwesend 200 Pressevertreter, darunter 40 Vertreter der ausländischen Presse“, der unter diesem langen Titel im ersten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht (JAfDR) auf den Seiten 173 bis 185 veröffentlicht wurde.[67]
Über die Quellenlage bezüglich der AfDR und des Ausschusses für Rechtsphilosophie behauptet Farías folgendes – ohne anzugeben, wer oder was Quelle seiner Information war. Ich vermute, dass er sich auf die Auskunft eines oder mehrerer Archivleiter verlassen hat.
Da die Akten der Akademie für Deutsches Recht im Hauptstaatsarchiv von München zum überwiegenden Teil zerstört worden sind, ließen sich weitere Einzelheiten über die Mitarbeit von Heidegger im Ausschuß für Rechtsphilosophie nicht ermitteln. (Eine Akte über die konstituierende Sitzung des Ausschusses befindet sich im Goethe- und Schillerarchiv Weimar; in ihr ist ohne weitere Bemerkungen die Teilnahme von Heidegger erwähnt.)[68]
(Farías 1989), S. 279
Richtig ist, dass sich das „Hauptstaatsarchiv München“ alias das „Bayerische Hauptstaatsarchiv“ bis zu seiner Zerstörung 1944 zusammen mit der Bayerischen Staatsbibliothek in dem 1843 fertiggestellten Monumentalbau Ludwigstraße 16 befand.[69]
Die AfDR war aber zu keinem Zeitpunkt im Gebäude mit der Adresse „Ludwigstraße 16“ untergebracht. Das von Oswald Bieber (1874-1955) von 1936 bis 1939 erbaute „Haus des Deutschen Rechts“ der AfDR, das damals direkt gegenüber dem Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität München lag, hatte die Postadresse Ludwigstraße 28.[70] Vor Umzug in diesen Bau ist ein Teil des Gebäudes mit der Postadresse Ludwigstraße 12 von der AfDR genutzt worden. Jedenfalls ist diese Adresse im Briefkopf von Schriftsätzen der AfDR vor Fertigstellung des „Haus des Deutschen Rechts“ benutzt worden (siehe die Geschäftsführungsakte der AfDR R 61/31, die ich in Abschnitt 9.2. vorstellen werde). Die Tatsache, dass das „Hauptstaatsarchiv München“ 1944 größtenteils zerstört worden ist, sagt deswegen nichts über den Erhalt oder die Zerstörung des Schriftguts der AfDR aus.
Folgendes spricht zusätzlich gegen Farías Tatsachenbehauptung: Es gab eine große Zweigstelle der AfDR in Berlin mit der Postadresse „Berlin W 9, Leipziger Platz 15“. Das Gebäude mit dieser Adresse war das „Mosse-Palais“. Das Palais war die Stadtresidenz der deutsch-jüdischen Verlegers und „Zeitungskönigs“ Rudolf Mosse (1843-1920). Es ist 1945 bei einem Luftangriff zerstört worden. „Ab 1934 befand sich im Mosse-Palais die Berliner Nebenstelle der Akademie für Deutsches Recht. Am 2. und 3. Mai 1941 fand hier die Sitzung des Völkerrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht und der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht und Weltpolitik statt.“[71]
Abbildung 3: Mosse-Palais, Berlin, Leipziger Platz 15
Wie im Unterabschnitt 9.2. nebenbei ersichtlich werden wird, sind 1938 Durchschläge von Geschäftsführungsschreiben der AfDR von Berlin nach München geschickt worden. Weitere Durchschläge von Akteninhalten der AfDR könnten im Privatbesitz der Ausschussmitglieder oder im Besitz von Institutionen gekommen sein, denen Ausschussmitglieder angehörten. Also zum Beispiel in den Besitz von Wissenschaftliche Einrichtungen der Universitäten, denen die Professoren angehörten. Oder in den Besitz von außer-universitäre Forschungseinrichtungen wie etwa den Kaiser-Wilhelm Instituten (KWIs). Zwei Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren ja Direktoren zweier KWIs: Viktor Bruns war ab 1924 Gründungsdirektor des KWI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Ernst Heymann wurde 1937 Direktor des KWI für ausländisches und internationales Privatrecht. Schriftsätze der AfDR können auch in den Besitz des Nietzsche-Archivs in Weimar gekommen sein, dessen Leiter Prof. C. A. Emge und dessen Mitglied Prof. Martin Heidegger gewesen sind und das Tagungsort der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Oder in den Besitz des „Amts Rosenberg“, dessen Leiter Alfred Rosenberg gewesen ist. Oder in den Besitz des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete, das 1941 neu gegründet wurde und dessen erster und einziger Minister Alfred Rosenberg ab dem 17. Juli 1941 gewesen ist. Oder in den Besitz besetzter Gebäude im Osten, insbesondere im Generalgouvernement, dessen Autokrat Hans Frank mit Residenz „Burg Wawel“ (Krakau) war.
Erst nachdem all diese und viele andere Orte systematisch nach Schriftgut der AfDR durchsucht worden sein werden, darf wissenschaftlich begründet behauptet werden, das Schriftgut der AfDR oder des Ausschusses für Rechtsphilosophie sei – wann auch immer – größtenteils zerstört worden.[72]
2.3.2. Farías Bericht über die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Farías gibt aus dem Bericht der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 vor allem folgende Informationen an seine Leser weiter:
An der konstituierenden Sitzung dieses Ausschusses, die im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand, nahmen (als Gründer und Vorsitzender) der Reichsjustizkommissar Dr. Hans Frank sowie Vertreter der Verwaltung und der nationalsozialistischen Intelligenz teil. Geschäftsführender Vorsitzender war Prof. Emge (Jena). Anwesend waren außerdem Geheimrat Kisch (München), Reichsleiter Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai und Staatsrat Schmidt.[73] Dem Ausschuß gehörten ferner an die Professoren Heidegger (Freiburg), Rothacker und Naumann (Bonn), Freyer (Leipzig), Baron von Uexküll (Hamburg), Geheimrat Stammler (Berlin), Binder (Göttingen), Geheimrat Heymann (Berlin), Jung (Marburg), Bruns (Berlin) sowie Dr. Mikorey (München).
(Farías 1989), S. 277
Dieser Druckabsatz von Farías ist der Absatz mit der größten Informationsdichte über den Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR, der in einer Monographie vor 2019 gedruckt worden ist. In Abschnitt 4 werde ich die Zeitungsberichterstattung vom Mai 1934 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie vollständig zitieren und auswerten. Hier zitiere ich nur den Anfang des ersten Absatzes aus dem Zeitungsbericht, den Farías mit wenigen Auslassungen wiedergegeben hat:
Voraussetzungen deutscher Rechtsphilosophie.
Ein Vortrag Alfred Rosenbergs.
(Privattelegramm der „Frankfurter Zeitung“)
[1] Weimar, 3. Mai. Dem Ausschuß für Rechtsphilosophie der Akademie für deutsches Recht, der heute Nachmittag im Nietzsche-Archiv in Weimar zu seiner ersten großen Tagung zusammengetreten ist, gehören an als Vorsitzender der Reichsjustizkommissar Dr. Frank, als dessen geschäftsführender Vertreter Prof. Dr. Emge (Jena), ferner Geheimrat Kisch (München), Reichsleiter Alfred Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai [sic!], Staatsrat Schmidt [sic!], Prof. Heidegger (Freiburg), Prof. Erich Rothacker und Prof. Hans Naumann (beide Bonn), Prof. Hans Freyer (Leipzig), Prof. Baron v. Uexküll (Hamburg), Geheimrat Stammler (Berlin), Prof. Binder (Göttingen), Geheimrat Heymann (Berlin), Prof. Erich Jung (Marburg), Prof. Dr. Bruns (Berlin) und Dr. Mikorey (München).
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
2.3.3. Farías Fehldeutung des Berichts Löwiths über Heidegger und Julius Streicher
Über die Dauer der Arbeit Heideggers für die AfDR oder den Ausschuss für Rechtsphilosophie behauptet Farías folgendes:
An der Akademie für Deutsches Recht arbeitete Heidegger zumindest bis 1936 mit. Vor diesem Zeitpunkt wurde in das Gremium auch Julius Streicher aufgenommen.24 Heidegger distanzierte sich gegenüber Löwith von Streichers Anwesenheit in der Akademie für Deutsches Recht und nannte seinen Rassismus »Pornographie«.25
24 Vgl. K. Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933. Ein Bericht, Stuttgart 1986, S. 57.
25 Vgl. Anm. 24
(Farías 1989), S. 279
Wörtlich genommen behauptet Farías nicht, dass Heidegger bis mindestens 1936 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sei. Farías spricht ja über die AfDR. Farías spricht aber auch mit bestimmtem Artikel von einem Gremium. Mit „Gremium“ wurde vermutlich der Ausdruck „comité“ ins Deutsche übersetzt. Das legt nahe, dass Farías zwar im Zitierten über die AfDR sprach, aber den Ausschuss für Rechtsphilosophie meinte. Man kommt hier bestenfalls nur dann weiter, wenn man die Belegstellen auswertet, die Farías für seine Behauptungen angibt.
Dass Heidegger bis mindestens 1936 Mitglied der AfDR oder/und des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, hat Farías aus einem Bericht Löwiths erschlossen. Löwith berichtet über sein Treffen mit Heidegger 1936 in Rom. Der Bericht Löwiths bestätigt Farías Behauptung aber nicht:
Mein [Löwiths; mw] letztes Wiedersehen mit Husserl in Freiburg 1933 und mit Heidegger in Rom 1936
[…]
Als ich 1936 in Rom war, hielt Heidegger dort im italienisch-deutschen Kulturinstitut einen Vortrag über den Hölderlin. Er ging nachher | S. 58 mit mir in unsere Wohnung und war dort sichtlich betroffen von der Dürftigkeit unserer Einrichtung. Vor allem vermisste er meine Bibliothek, die noch in Deutschland war. Am Abend begleitete ich ihn zu seinem Absteigequartier in der Hertziana, wo mich seine Frau mit steif-freundlicher Zurückhaltung begrüsste. Es war ihr wohl peinlich sich zu erinnern, wie oft ich früher in ihrem Hause zu Gast gewesen [Abb. 54-56] war. Zum Abendessen hatte uns der Direktor des Instituts ins »Osso buco« eingeladen und man vermied politische Themen. Tags darauf unternahmen meine Frau und ich mit H., seiner Frau und seinen zwei Söhnen, die ich als Kinder oft behütet hatte, einen Ausflug nach Frascati und Tusculum. Der Tag war strahlend und ich freute mich über dieses letzte Zusammensein trotz unvermeidlicher Hemmungen. H. hatte selbst bei dieser Gelegenheit das Parteiabzeichen nicht von seinem Rock entfernt. Er trug es während seines ganzen römischen Aufenthalts und es war ihm offenbar nicht in den Sinn gekommen, dass das Hakenkreuz nicht am Platz war, wenn er mit mir einen Tag verbrachte. Wir unterhielten uns über Italien, Freiburg und Marburg und auch über philosophische Dinge. Er war freundlich und aufmerksam, vermied aber gleich seiner Frau jede Anspielung auf die deutschen Verhältnisse und seine Stellung zu ihnen. Auf dem Rückweg wollte ich ihn zu einer freien Äusserung darüber veranlassen. Ich brachte das Gespräch auf die Kontroverse in der Zürcher Zeitung (siehe Seite 49 {hier Seite S. 42}) und erklärte ihm, dass ich sowohl mit Barths politischem Angriff wie mit Staigers Verteidigung nicht übereinstimmte, weil ich der Meinung sei, dass seine [Heideggers; mw] Parteinahme für den N.S. im Wesen seiner Philosophie läge. H. stimmte mir ohne Vorbehalt bei und führte mir aus, dass sein Begriff von der »Geschichtlichkeit« die Grundlage für seinen politischen »Einsatz« sei. Er liess auch keinen Zweifelüber seinen Glauben an Hitler; nur zwei Dinge habe er unterschätzt: die Lebenskraft der christlichen Kirchen und die Hindernisse für den Anschluss von Österreich [, der erst 2 Jahre später erfolgte; mw]. Er war nachwievor überzeugt, dass der N.S. der für Deutschland vorgezeichnete Weg sei; man müsse nur lange genug »durchhalten«. Bedenklich schien ihm bloss das masslose Organisieren auf Kosten der lebendigen Kräfte. Der destruktive Radikalismus der ganzen Bewegung und der spiessbürgerliche Charakter all ihrer »Kraft durch Freude«-Einrichtungen fiel ihm nicht auf, weil er selbst ein radikaler Kleinbürger war. – Auf meine Bemerkung, dass ich [Löwith; mw] zwar Vieles an seiner [Heideggers; mw] Haltung verstünde, aber eines nicht, nämlich, dass er sich an ein und denselben Tisch (in der »Akademie für deutsches Recht«) | S. 59 setzen könne mit einem Individuum wie J. Streicher, schwieg er zunächst. Schliesslich erfolgte widerwillig jene bekannte Rechtfertigung (K. Barth hat sie in seiner »Theologischen Existenz heute« vortrefflich zusammengestellt), die darauf hinauslief, dass alles »noch viel schlimmer« geworden wäre, wenn sich nicht wenigstens Einige von den Wissenden dafür eingesetzt hätten. Und mit bitterem Ressentiment gegen die »Gebildeten« beschloss er seine Erklärung: »Wenn sich diese Herren nicht zu fein vorgekommen wären um sich einzusetzen, dann wäre es anders gekommen, aber ich stand ja ganz allein«. Auf meine Erwiderung, dass man nicht gerade »fein« sein müsse, um eine Zusammenarbeit mit Streicher abzulehnen, antwortete er: über Streicher brauche man kein Wort zu verlieren, »der Stürmer« sei doch nichts anderes als Pornographie. Warum sich Hitler nicht von diesem Kerl befreie, das verstünde er nicht, er habe wohl Angst vor ihm. […] In Wirklichkeit aber war das Programm jener »Pornographie« im November 1938 restlos erfüllt und eine deutsche Realität und niemand kann leugnen, dass Streicher und Hitler gerade in diesem Punkt eins sind.
(Löwith 1986), S. 57 ff.
Dieser Bericht Löwiths belegt offensichtlich nicht, dass Julius Streicher Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Löwith spricht allgemeiner über die Akademie für deutsches Recht. Aus dem Bericht Löwiths kann auch nichts bezüglich der Dauer einer Mitgliedschaft Heideggers im Ausschuss für Rechtsphilosophie gefolgert werden.
Erst unter Hinzunahme der – nicht behaupteten, nicht einmal erwogenen – Zusatzprämisse, dass Heidegger nur an Sitzungen des Ausschusses für Rechtsphilosophie teilgenommen hat, aber zum Beispiel an keiner Vollsitzung der AfDR bis 1936 teilgenommen hat, würde folgen, was Farías aus diesem Bericht Löwiths gefolgert hat. Denn ohne diese Zusatzprämisse hätten Heidegger und Julius Streicher zum Beispiel auch an „ein und denselben Tisch“ im Rahmen einer der drei Vollsitzung der AfDR sitzen können, die vor dem Treffen Heideggers und Löwith in Rom 1936 bereits stattgefunden haben und über die in der Presse auch berichtet worden ist. Aus diesen Presseberichten über die Vollsitzungen der AfDR kann Löwith auch sein Wissen gewonnen haben, dass Julius Streicher an einer Sitzung der AfDR teilgenommen hat.
Anderson behauptet im Anhang seiner Dissertationsschrift, dass Julius Streicher von 1936 bis 1942 ordentliches Mitglied der AfDR gewesen sei.[74] Wenn ich nichts übersehen habe, teilt Anderson leider nicht mit, aus welcher Quelle er die Information bezogen hat, dass Julius Streicher seit 1936 Mitglied der AfDR gewesen ist.
Da ich selbst keinen Beleg dafür gefunden habe, dass Julius Streicher (1885-1946) Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, und auch Löwith nicht von einer Tischgemeinschaft Heideggers und Streiches im Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet, sollte künftig nicht mehr mit Verweis auf diesen Bericht Löwiths behauptet werden, Streicher sei Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen. Auch folgt weder aus Löwiths Bericht noch aus Farías Darstellung, dass Heidegger bis 1936 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
2.3.4. Farias Wiedergabe aus der konstituierenden Rede von Hans Frank
Abgesehen von diesem Folgerungsfehler von Farías auf eine Eigenschaft von Julius Streicher im Jahr 1936 gibt Farías Informationen aus dem Zeitungsbericht der Frankfurter Zeitung vom Folgetag über die Rede von Hans Frank korrekt wieder:
Die Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934 informierte ihre Leser über die Eröffnungsansprache von H. Frank: »Bei der Gründung des Ausschusses für deutsche Rechtsphilosophie bei der Akademie für Deutsches Recht knüpfte Reichsjustizkommissar Dr. Frank in einer großen Rede an Nietzsche an, den Künder jenes autoritären Empfindens, das unserem Volk durch den Weltkrieg hindurch bewahrt geblieben sei, und das damit diesem Volke gleichzeitig eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt unter Adolf Hitler übertragen habe. »Wir in unserem engen Kreis […] wollen die Sammlung der volksbetonten allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln. […] Der Durchbruch der Rechtsphilosophie heißt daher: Feierlich Abschied nehmen von der Entwicklung einer Knechtsphilosophie im Dienste undeutscher Dogmen. Lebensrecht und nicht Formalrecht soll unser Ziel sein. Des weiteren soll unsere Rechtsphilosophie Volksprimat sein, ein Recht, aufgebaut auf Anschauungen des Volkes und nicht Recht eines vom Volk abgesplitterten Sonderstandes. […] Deutsches Recht und nicht fremdes Recht […]. Unser Recht soll der Allgemeinheit dienen […], es soll aber ein Herrenrecht und nicht Sklavenrecht sein. Der Staatsbegriff des Nationalsozialismus wird von uns neugebaut auf Einheit und Reinheit des deutschen Menschentums, formuliert und verwirklicht im Recht und im Führerprinzip. […] Wir machen deshalb Schluß mit dem Begriff des Gelehrtentypus, dessen Wert darin lag, daß er weltfremd war. […] In │ S. 279 diesem Sinne bitte ich, daß der Ausschuß sich als ein Kampfausschuß des Nationalsozialismus konstituierte«.
(Farías 1989), S. 278 f.
Im Artikel der Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934 sind nur wenige Auszüge aus Hans Franks Rede zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie veröffentlicht worden. In anderen Zeitungen sind längere Fassungen veröffentlicht worden. Auch war Hans Frank nicht der einzige Redner. Alfred Rosenberg und Prof. C. A. Emge hielten ebenfalls Reden, über die ausführlich in Zeitungen im Mai 1934 berichtet worden ist. In meinem Abschnitt 4 werde ich die gesamte Berichterstattung vollständig wiedergeben und kommentieren.
Die beiden zentralen Forschungsergebnisse von Farías über die Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie und über seinen Status als eines »Kampfausschusses des Nationalsozialismus« hätten zu weiteren Forschungen, insbesondere deutschsprachiger Wissenschaftler führen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Das spricht deutlich gegen die Qualität deutschsprachiger Wissenschaft bis in die Gegenwart hinein.
In Farías Buch werden die beiden Dissertationen von Pichinot (1981) und Anderson (1982/87) zur Akademie für Deutsches Recht nicht erwähnt. Pichinots Dissertation ist nicht verlegt worden. Anderson Dissertation erst 1987 durch einen Verlag veröffentlicht worden. 1987 erschien bereits die Originalversion des Buches von Farías. Dass Farías die beiden Dissertationen nicht kannte, ist deswegen nicht Ausdruck einer fehlerhaften Recherche.
2.4. Stefan K. Pinter (1994) über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie anhand der Akte Emges (GSA 72/1588)
Stefan K. Pinters nicht verlegte Berliner Dissertation des Jahres 1994 mit dem Titel Zwischen Anhängerschaft und Kritik. Der Rechtsphilosoph C. A. Emge im Nationalsozialismus ist bemerkenswert, da Pinter die Akte Emges ausgewertet, die dieser über den Ausschuss für Rechtsphilosophie angelegt hat.
Beiläufig teilt Pinter mit, dass Carl Schmitts Name auf „einer Mitgliederliste“ des Ausschusses für Rechtsphilosophie festgehalten sei. Pinter selbst misst dieser Information keine weitere Bedeutung zu. Pinter erwähnt mehrfach die Dissertation von Pichinot (1981). Anderson (1982/1987) und Farías (1987/89) erwähnt er nicht. In seinem Abschnitt über den Ausschuss für Rechtsphilosophie bezieht sich Pinter ferner auch auf Zeitungsberichte über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
Soweit ich weiß, ist Pinter der erste Wissenschaftler, der über diese Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet hat. Ich vermute, dass durch das Buch von Farías über Heidegger Professoren Doktoranden »angeregt« haben, in Archiven nach Primärquellen zum Ausschuss für Rechtsphilosophie zu suchen und diese auszuwerten, vielleicht unter ihrer »engmaschigen Betreuung«. Da die Eröffnungssitzung im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand und Professor Emge zu diesem Zeitpunkt wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs gewesen ist, war es naheliegend, dass sich das Nietzsche-Archiv im Besitz von Akten befand, die Dokumente über diesen Ausschuss der AfDR beinhalteten. Ähnlich naheliegend war es, dass die Universität in Berlin, in deren Juristischen Fakultät Emge nach 1933 Professor war, im Besitz einer Personalakte über Emge war, in der vielleicht weitere Informationen zu Emges Tätigkeiten zu Gunsten des Ausschusses für Rechtsphilosophie enthalten waren. Und nach 1990 sind bekanntlich alle Zugangshürden für westdeutsche Professoren und ihre Doktoranden zu den Archivbeständen von wissenschaftlichen Institutionen der »ehemaligen DDR« weggefallen.
Tatsächlich basiert die Dissertationsschrift Pinters neben privaten Unterlagen, die der Sohn von Carl August Emge, Martinus Emge, Pinter zur Verfügung gestellt hatte, im Wesentlichen auf Archivmaterial der ehemaligen Friedrich-Wilhelms-Universität (heute: Humboldt-Universität) und einer Akte Emges, auf die Pinter folgendermaßen Bezug nimmt: „Nietzsche-Archiv Weimar, Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie“.
2.4.1. Der Name Carl Schmitts ist auf einer Mitgliederliste der Akte Emges festgehalten worden.
Ich zitiere nun den Anfang des Abschnitts aus der Dissertationsschrift Pinter über den Ausschuss für Rechtsphilosophie:
1. Der Ausschuß für Rechtsphilosophie
Am 3.5.1934 fand die konstituierende Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie statt. Den Vorsitz nahm Frank selbst ein, zum stellvertretenden Vorsitzenden berief er Emge. Die Eröffnungssitzung fand │ S. 59 weder in München noch in Berlin, sondern im Nietzsche-Archiv Weimar statt. Den einfachen Grund hierzu beschreibt Emge selbst: „Da es nun mein Bestreben ist, die Bedeutsamkeit der Stelle, an der ich mich befinde, nach Möglichkeit zu steigern, war es für mich, als dem wissenschaftlichen Leiter des Nietzsche-Archivs, eine Selbstverständlichkeit, den Sitz dieses ja öffentlich-rechtlichen Ausschusses, dessen Wahl mir freilag, für unser Archiv in Anspruch zu nehmen.“
1 Nietzsche-Archiv Weimar, Akte 72/1588, Brief Emge an den Bankdirektor Pilder, Berlin, vom 4.6.1934
In einer Mitgliederliste des Ausschusses sind folgende Namen festgehalten. Reichsleiter Alfred Rosenberg (Berlin), „Völkischer Beobachter“, die Professoren Kisch, stellvertretender Vorsitzender der Akademie für Deutsches Recht (München), Heidegger (Freiburg), Rothacker (Bonn), Stammler (Wernigerode), Binder (Göttingen), Carl Schmitt (Berlin), Heymann (Berlin), Jung (Marburg), Bruns (Berlin) Freyer (Leipzig), von Uexküll (Hamburg), Naumann (Bonn) sowie Ministerialdirektor Nicolai (Berlin, Reichsinnenministerium), Mikorey (München) und Justizrat und SS-Gruppenführer Luetgebrune (Berlin).2
2 Nietzsche-Archiv Weimar, Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie
(Pinter 1994), S. 58 f.
Pinter geht nicht so weit zu behaupten, dass gemäß der Akte 72/1588 Carl Schmitt Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Er behauptet nur, dass der Name Carl Schmitts auf einer Mitgliederliste dieser Akte der Name Carl Schmitts – und anderer Personen[75] – festgehalten sei. Da er diese Mitgliederliste nicht weiter charakterisiert, hätte sie auch einen Zustand des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu einem späteren Zeitpunkt dokumentieren können.
Ob es auch andere Mitgliederlisten des Ausschusses für Rechtsphilosophie in dieser Akte gibt, teilt Pinter nicht mit. Als Leser Pinters vermutet man das und wundert sich, dass einem keine weiteren Informationen mitgeteilt werden. Ich habe mir deswegen im Januar 2019 die gestattete Maximalanzahl von Kopien aus dieser Akte vom Goethe- und Schiller-Archiv, das in Besitz dieser Akte ist, zuschicken lassen. Das sind immerhin 50 von 160 Seiten. In meinem Abschnitt 3 werde ich meine Ergebnisse aus der Sichtung dieser 50 Seiten mitteilen.
Zurück zu meinem Bericht über den dürftigen Forschungsstand über den Ausschuss für Rechtsphilosophie: Da Pinter an seine Leser keine weiteren Informationen aus der Akte Emges über Mitgliederlisten des Ausschusses für Rechtsphilosophie weitergegeben hat, durften seine Leser nicht folgern, dass Carl Schmitt Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Leser, die Farías Buch über Heidegger kannten, hatten nach der Lektüre von Pinters Dissertation aber einen Grund, an der korrekten Schreibweise der Zeichenkette „Staatsrat Schmidt“ in Farías Darstellung zu zweifeln. Und Leser, die Andersons Dissertation kannten, hatten nach der Lektüre von Pinters Dissertation nun Kenntnis von der Existenz eines zweiten Belegs für eine Mitgliedschaft Carl Schmitt im Ausschuss für Rechtsphilosophie.
Zwei Leser der Dissertation von Pinter sind namentlich bekannt. Der Erstgutachter war Professor Dr. Hubert Rottleuthner, der von 1975 bis 2012 eine Professur für Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin innehatte.[76] Der Zweitgutachter war Professor Dr. Uwe Wesel.[77] Beide Professoren verfügten gewiss über die nötige Expertise, um einschätzen zu können, dass eine Beantwortung der Frage, ob Carl Schmitt gleichzeitig mit Martin Heidegger, Alfred Rosenberg und Hans Frank Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, erhebliches Interesse auf sich gezogen hätte. Mir ist nicht bekannt, dass die Professoren Rottleuthner oder Wesel weitere Forschungen zur Akte veranlasst haben.
Genau genommen war die Mitteilung Pinters aufgrund ihrer Unbestimmtheit – eine Mitgliederliste ohne Zeitangabe in einer Akte ohne Zeitangabe – noch interessanter: Dokumentierte die Mitgliederliste, auf die Pinter Bezug genommen hatte, eine Mitgliedschaft Carl Schmitts und Martin Heideggers nach 1936? Die Darstellung Pinters ist so unterbestimmt, dass durch sie Leser nicht ausschließen konnten, dass die Liste einen Zustand des Ausschusses für Rechtsphilosophie des Zeitraums 1941-1943 dokumentiert. Da aus der Akte Emges aber hervorgeht, dass alle in ihr enthaltenen Mitgliederlisten im Jahr 1934 erstell worden sind, sträube ich mich zu behaupten, dass Pinter nachgewiesen hat, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Es ist aber richtig, dass Pinter als erster quellenbasiert und korrekt behauptet, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Im Jahr 2000 erschien vielleicht wegen der Unterbestimmtheiten in Pinters Dissertation ein Artikel Stefan Günzels über den Aufsatz Emges Philosophie des Führens. Auch Günzel wertete die Akte Emges mit der Signatur GSA 72/1588 aus. Er behauptete nun unter Hinweis auf diese Akte, dass Carl Schmitt zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie berufen worden sei (siehe Abschnitt 2.5.).
2.4.2. Emges Werbebriefe für den Ausschuss für Rechtsphilosophie vom April bis Juni 1934
In seinem Abschnitt über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet Stefan K. Pinter ferner über einige Briefe von und an Emge aus dem Jahr 1934. Pinter beginnt seinen Bericht über diesen Teil der Akte Emges mit Briefen, die vor der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 verfasst worden sind.
Ich bin seit Januar 2019 im Besitz von Kopien der ersten 39 Blätter der Akte Emges. Diese Briefe aus der Zeit vor der Konstituierung des Ausschusses am 3. Mai 1934 sind auf den ersten 39 Blättern der Akte dokumentiert. Deswegen konnte ich die Wiedergaben Pinters überprüfen und habe das auch getan. Sie sind korrekt. In eckigen Klammern ergänze ich die Blattnummern, die erst nach Pinters Sichtung durch das Archiv nachgetragen worden seien. Ich zitiere nun Pinter:
Emge, der schon vor der Eröffnungssitzung von Frank mit der Geschäftsführung des Ausschusses beauftragt worden war,4 bemühte sich vor und auch nach der Konstituierung, möglichst alle Partei- und Staatsgrößen für den Ausschuß zu interessieren, lud sie ein, der Eröffnungssitzung beizuwohnen, persönlich in den Ausschuß einzutreten oder wenigstens einen Vertreter zu entsenden. So wandte sich Emge an Hess, Gürtner,5 Rust [Blatt 25; mw], Thierack,6 Frick7, │ S. 61 Röhm1 und auch Goebbels2.
4 Nietzsche-Archiv Weimar, Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie, Brief Emge an Goebbels vom 24.4.1934 [Blatt 13; mw]
5 ebd., Brief Gürtner an Emge vom 30.4.1934 [Blatt 24; mw]
6 ebd., Dankesbrief Thierack an Emge vom 30.4.1934 [Blatt 26; mw]
7 ebd., Dankesbrief Frick an Emge vom 30.4.1934 [Blatt 28; mw]
1 ebd., Dankesbrief Röhm an Emge vom 2.5.1934 [Blatt 31; mw]
2 ebd., Brief Emge an Goebbels vom 24.4.1934Hess wollte Emge wie folgt interessieren: „Bei dem Charakter des Nationalsozialismus als einer politischen Bewegung ist es klar, daß in dem Ausschuß dauernd wichtige weltanschauliche Fragen zur Erörterung kommen müssen. Es ist mir daher sehr wichtig, unmittelbaren Konnex bei den Fragen mit der Reichsleitung zu besitzen, und ich bitte Sie daher um Entsendung eines Vertreters zu den Ausschußsitzungen.“3
3 ebd., Brief Emge an Hess vom 24.4.1934 [Blatt 15; mw]
(Pinter 1994), S. 60 f.
Im Anschluss präsentiert Pinter Briefe Emges, die nach der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie geschrieben worden sind. Nur in einem Fall habe ich eine Kopie des Briefes, auf den sich Pinter bezieht. Die Wiedergabe Pinters dieses Briefes von Emge an Hans Frank vom 13. Juni 1934 ist erneut fehlerfrei. Den Brief von Emge an Rust kenne ich noch nicht. Ich zitiere Pinter:
Den Reichsminister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Rust, versuchte Emge so zu gewinnen: „Der Ausschuß soll nach dem Willen des Präsidenten der Akademie, Herrn Reichsjustizkommissar Dr. Frank, die geistige Spitze der Akademie darstellen. Dies ergibt sich auch daraus, daß Herr Reichsleiter Rosenberg in ihm aktiv mitwirkt. Ich berichte ihm auch laufend über die einzelnen Schritte. Es zeigt sich schon jetzt, daß in ihm folgende Angelegenheiten zur Behandlung kommen werden: Die Deutung der ganzen Bewegung nach der juristischen und soziologischen Seite, die Spannung zwischen reinen Bewegungsmomenten und juristischen Gebilden, die Rasse als Rechtsbegriff, die Deutschheit als Grundbegriff für die Wiederaufnahme deutscher Rechtsideen, die Probleme der Volksgemeinschaft und des Führertums, die philosophischen Grundlagen des neu zu schaffenden Völkerrechts, neue Grundlagen des konfessionellen Rechts, die Erarbeitung einer neuen juristischen Grunddisziplin anstelle des früheren Pandektenrechts usw. Ich bin der Ansicht, daß ohne Ihre Mitwirkung der Ausschuß nur ein Torso sein würde und möchte Sie daher auch bitten, im Verhinderungsfalle bei den einzelnen Sitzungen einen Vertrauensmann als Vertreter zu beauftragen. Wie aus anliegender Liste der Mitglieder hervorgeht, soll der Ausschuß nicht ein Ausschuß von Rechtsphilosophen, sondern ein solcher für die erst gemeinsam zu schaffende Rechtsphilosophie sein. Er enthält daher außer den bekannten alten und neuen Rechtsphilosophen auch den Existentialphilosophen, den Philosophen der Geisteswissenschaften, Literarhistoriker, Soziologen, Biologen etc. Die aufgezählten Personen werden natürlich nur als Urzellen besonderer Untergruppen, die sie bilden, wirksam │ S. 62 werden können.”1
1 ebd., Brief Emge an Rust vom 31.5.1934
Bevor Emge sich an den Reichswehrminister [Werner von Blomberg (1878-1946); mw] wandte, rückversicherte er sich Franks Zustimmung und teilte Frank in einem Brief folgende Überlegungen mit: „… bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß es für die jetzige Situation wünschenswert wäre, wenn wir auch einen Vertreter des Reichswehrministeriums in unseren Ausschuß bekämen. Da der Nationalsozialismus im Sinne Nietzsches den militärischen Geist pflegt ergeben sich dadurch wertvolle Möglichkeiten zu einer Zusammenarbeit.“2
2 ebd., Brief Emge an Frank vom 13.6.1934 [Blatt 131; mw]
(Pinter 1994), S. 62
Direkt im Anschluss ans Zitierte behauptet Emge, dass er Beziehungen zum Reichswehrministerium besitze: „Sollte ich nichts gegenteiliges [so im Original; mw] hören, so werde ich mir erlauben, an das Reichswehrministerium, zu dem ich Beziehungen besitze, in Bälde heranzutreten.“[78]
Es folgt – ohne weitere Vermittlung – eine Behauptung Pinters über die Bedeutungslosigkeit der Rechtsphilosophie für die Nationalsozialisten, die ich erst im nächsten Unterabschnitt zitieren werde. Ich neige dazu, diese eingeschobene Äußerung Pinters als Ausdruck seines Abscheus auszulegen.
Pinter setzt seinen Bericht über die Briefe nach der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie so fort:
Besonders augenscheinlich wird Emges Zielrichtung in seinem Brief an den Bankdirektor [der Dresdner Bank; mw] Pilder[79] in Berlin: „Es kam … nunmehr auch zur Gründung dieses Ausschusses in der Akademie, der nicht nur das Caput der Ausschüsse, sondern bei dem Charakter des Nationalsozialismus als einer politischen Bewegung, bei geschickter Zusammensetzung auch zu einer wichtigen Instanz, fide vel moribus, der ganzen Bewegung werden muß. Die Zusammensetzung, die mir vollkommen überlassen war geschah nicht konventionell als solche von Rechtsphilosophen, sondern als solche für die erst neu zu erarbeitende rechtsphilosophische Grundlage: Deutung der Bewegung als solcher, Beziehung von Soziologischem zu Juristischem, Erneuerung von allem, Gestaltung von wesensmäßig Deutschem, Volksgemeinschaft und Führertum, Rasse in ihrer mannigfachen Bedeutung, philosophische Neubegründung des Völker- und des konventionellen Rechts sind nur die wichtigsten Punkte. Wie sie aus anlie- │ S. 63 gender Liste einsehen, nehmen die eigentlichen Juristen in dem Ausschuß nur einen ganz kleinen Bruchteil in Anspruch. Er ist im echten Sinne kulturphilosophisch.”1
1 ebd., Brief Emge an Pilder vom 4.6.1934
Oswald Spenglers Vorbehalte gegen den Ausschuß konnte Emge nicht verstehen. Spengler war offensichtlich nicht bereit, dem Ausschuß beizutreten seine Mitarbeit wäre aber auch, wie Emge wußte, auf Mißfallen gestoßen, weswegen Emge sich vorsichtshalber brieflich an Frank wandte: „Ich habe mir die Frage der Zuziehung Dr. Spenglers zu dem Ausschuß für Rechtsphilosophie noch einmal überlegt. An sich ist der Plan großartig. Man bringt Spengler aus einem Ressentiment heraus und führt ihn dessen große frühere Verdienste ja unbestreitbar sind, zu positiver Mitarbeit. Die Widerstände, die Spengler zur Zeit aus den Kreisen des ‚Völkischen Beobachters‘ erfährt, sind aber noch unvermindert stark. Ich möchte daher vorschlagen, daß nicht ich, sondern Sie, Herr Minister, persönlich gelegentlich einmal mit Reichsleiter Rosenberg über die Bereinigung der Frage Spengler sprechen, so daß wir ihn dann als Sachverständigen zuziehen können.”2
2 ebd., Brief Emge an Frank vom 1.6.1934
(Pinter 1994), S. 62 f.
Zum Abschluss seiner Wiedergabe von Informationen aus der Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie präsentiert Pinter Informationen über eine erste Arbeitstätigkeit des Ausschusses für Rechtsphilosophie:
Sofort Anfang Mai 1934 versuchte Emge, die Ausschußarbeit in Gang zu bringen. Er versandte an die Ausschußmitglieder3 gleichlautende Briefe, in denen er um Beantwortung dreier Fragen bat.
3 vgl. die Mitgliederliste S. 59
Die erste Aufgabenstellung stammte von ihm und lautete in Anknüpfung an die Eröffnungsreden Franks und Rosenbergs: „Welche Mittel sind am geeignetsten, um den programmatischen Erklärungen von Herrn Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank und Herrn Reichsleiter Rosenberg unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeiten des Ausschusses zu verschaffen?”
Zum zweiten: „Der Begriff des Rechts“ (von Frank gestellt), erfragt wurden verschiedene Bedeutungen, keine Definitionen, sondern klare Unterscheidungen;
drittens sollten die Mitglieder sich Gedanken über das von Frank gewählte Thema „Der Begriff des Deutschen und das Recht“ machen.4 │ S. 64
4 Nietzsche-Archiv Weimar, Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie, Brief Emge an Frank vom 5.5.1934
Die gestellten Fragen wurden von Binder, Uexküll, Rothacker, Jung, Stammler und Lasch brieflich zwischen dem 9.5.1934 und dem 1.6.1934 prompt beantwortet.1
1 Nietzsche-Archiv Weimar Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie
(Pinter 1994), S. 63 f.
Nach der freundlichen und hilfreichen Auskunft von Frau Herrgott vom Goethe- und Schiller Archiv ist nur die Antwort von Karl Lasch in der Akte Emges nicht oder nicht mehr vorhanden.[80] Sollte ich mal wieder Zeit haben, werde ich mir in Weimar die Originalakte vollständig angucken. Der Text von Erich Jung interessiert mich.
2.4.3. Pinters Behauptungen über die Bedeutungslosigkeit des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Mehr Informationen über die Akte Emges, die immerhin 160 Blätter umfasst, bietet Pinter nicht. Trotzdem tätigt er sehr starke Behauptungen in diesem Abschnitt seiner Dissertation.
Ich zitiere nun den Absatz Pinters, der seine Berichterstattung über den Briefwechsel unterbricht. Direkt zuvor hatte Pinter über eine brieflich an Hans Frank projektierte Bemühung Emges berichtet, einen Vertreter des Reichswehrministeriums für den Ausschuss für Rechtsphilosophie zu gewinnen. „Da der Nationalsozialismus im Sinne Nietzsches den militärischen Geist pflegt“, würden sich „wertvolle Möglichkeiten zu einer Zusammenarbeit ergeben“. Darauf Pinter:
Diese Bemühungen Emges erscheinen angesichts der Bedeutungslosigkeit der Rechtsphilosophie für die Nationalsozialisten rückblickend betrachtet absurd, waren allerdings nach der seinerzeitigen Vorstellung Emges sinnvoll. Denn es ist, was die Auszüge der Briefe Emges ebenso wie der zitierte Redebeitrag Franks zeigen, zu berücksichtigen, daß Emge in Übereinstimmung mit Frank keineswegs die Rechtsphilosophie lediglich im Sinne des Nationalsozialismus prägen und interpretieren wollte, sondern umgekehrt die Rechtsphilosophie als geistigen Überbau der gesamten „Bewegung“ errichten und diese so formen, im Ergebnis also eine nationalsozialistische Rechtsphilosophie schaffen wollte Dabei hatte Emge sich selbst eine entscheidende Rolle zugedacht.
(Pinter 1994), S. 62
Die Behauptung Pinters, dass „die“ Rechtsphilosophie für die Nationalsozialisten bedeutungslos gewesen ist, ist nicht durch seine Berichterstattung über die Akte Emges mit der Signatur GSA 72/1588 gestützt. Vermutlich schließt er sich einfach der Meinung seines Erstgutachters an, ohne das an dieser Stelle seinen Lesern mitzuteilen.[81]
Pinter endet seinen Abschnitt über den Ausschuss für Rechtsphilosophie mit einer weiteren starken Behauptung:
Trotz schwungvollen Beginns erreichte der neugeschaffene Ausschuß die ihm ursprünglich zugemessene Bedeutung nicht. Er wurde nicht, wie von Emge angestrebt, das „Caput der Ausschüsse”, sondern einer unter vielen in der Akademie für Deutsches Recht und versank letztlich in Bedeutungslosigkeit.
(Pinter 1994), S. 64
Eine Akte über einen Ausschuss, die zum Zeitpunkt t endet, kann in der Regel nicht dokumentieren, dass ein Ausschuss nach t in Bedeutungslosigkeit versank. Nach Auskunft von Frau Herrgott vom Goethe- und Schiller- Archiv endet die Akte Emges am 30. Juli 1934. Gut drei Monate nach Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Sollte eine Ausnahme von der genannten Regel vorliegen, hätte Pinter sie anhand der Akte belegen müssen. Das hat er aber nicht getan.
Pinter hat auch nicht mitgeteilt, auf welchen Zeitpunkt er sich mit „letztlich“ beziehen wollte. Sollte er beabsichtigt haben, sich auf einen Zeitpunkt zwischen 1934 und 1945 zu beziehen, dann kann seine Behauptung mit den profanen Mitteln empirischer Wissenschaft widerlegt werden. Ich werde das tun.
2.5. Günzel (2000) über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie anhand der Akte Emges (GSA 72/1588)
Im Jahr 2000 erschien ein Aufsatz von Stephan Günzel[82] über Emges Aufsatz Philosophie des Führens. Emges Aufsatz ist erstmalig 1935 in der Zeitschrift Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie abgedruckt worden.[83] Zu diesem Zeitpunkt war Emge bereits Herausgeber dieser Zeitschrift.
Im fünften Abschnitt seines Aufsatzes befasst sich Günzel mit dem Ausschuss für Rechtsphilosophie. Ich stelle hier nur diesen fünften Abschnitt vor.
Wie bereits Pinter (1994) vor ihm, behauptet auch Günzel, die Akte Emges enthalte die Information, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sei. Aber auch Günzel belegt diese Behauptung nicht so gut wie er das anhand er Originalakte hätte tun können und tun sollen. Ich markiere die Behauptung über Carl Schmitt durch Fettdruck. Durch Unterstreichung markiere ich Fehler, die Günzel im ersten Absatz gemacht hat.
5. Der Weg nach Berlin: Die Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses und das Ende der Archivtätigkeit
[1] Emge entwickelte – für seine Laufbahn entscheidend – neben diesen mikrologischen Aktivitäten auch solche auf höchster akademischer Ebene: Am 3. Mai 1934, ab vier Uhr nachmittags,138 fand die Gründungsveranstaltung des Rechtsphilosophischen Ausschusses der in Berlin ansässigen Akademie für Deutsches Recht [84] unter Emges Federführung im Nietzsche-Archiv in Weimar statt, das kurzerhand zur offiziellen „Geschäftsstelle“ des Ausschusses wurde. Als Mitglieder für den Ausschuß berief Emge unter anderem den damaligen Leiter des Instituts für Kulturgeschichte in Leipzig, Hans Freyer – der sich bei Emge mit einer Einladung zur Ratssitzung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie zwei Wochen davor im Weimarer Hotel ‚Elefant‘ bedankte139 –, sowie seinen Duzfreund, den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn, Erich Rothacker, sodann Martin Heidegger, dessen erstmalige Anwesenheit im Archiv hiermit dokumentiert ist, und – den Preußischen Staatsrat Carl Schmitt, der zur Gründungssitzung jedoch nicht erschien.
138 Vgl. bspw. das Ausschuß-Berufungsschreiben von Emge am 26. März 1934 an Dr. med. Mikorney aus München, in: GSA 72/1588 (=Tätigkeit Emges im Ausschuß für Rechtsphilosophie an der Akademie für deutsches Recht 1931-1933 (68)) .
139 Vgl. Brief von Freyer an Emge, in: ebd. [Blatt 3; mw]
(Günzel 2000), S. 176
Ich beginne mit den beiden Fehlern, die korrigiert werden müssen.
Die Akte GSA 72/1588 ist keine Akte des Zeitraums „1931-1933“. Sie beginnt mit einem Dokument vom 26. März 1934 und endet – nach Auskunft von Frau Herrgott – mit einem Dokument, das auf den 30. Juli 1934 datiert ist. Würde es eine Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie des Zeitraums 1931-1933 geben, wäre das sehr interessant. Da Mikorey in seinem Antwortschreiben an Emge auf die Berufungsmitteilung seinem Glücksgefühl Ausdruck verleiht, dass es Emge „nun endlich gelungen sei, den Ausschuss zur Welt zu bringen“, halte ich es zwar für möglich, dass eine solche Akte existiert. Ich glaube aber nicht, dass Günzel Zugang zu einer solchen Akte hatte, da Günzel noch einmal genau dieselbe Belegangabe seinen Lesern für einen anderen Sachverhalt anbietet, der zweifelsfrei nicht dem Zeitraum 1931-1933 zugeordnet ist.[86]
Aus diesem Berufungsschreiben Emges an Mikorey geht unmissverständlich hervor, dass nicht Emge, sondern Hans Frank die Berufungsentscheidung getroffen hat: „Im Namen von Herrn Reichsjustizkommissar Minister Dr. Hans Frank habe ich die Ehre, Sie hiermit zum Mitglied des in der Akademie für deutsches Recht errichteten Ausschuss für Rechtsphilosophie zu berufen“.[87]
Richtig ist aber, dass die Akte Emges tatsächlich belegt, dass Carl Schmitt in den Ausschuss für Rechtsphilosophie berufen worden ist. Dass dies eine besonders interessante Information ist, macht Günzel nur durch die Kunstpause, die durchs Setzen des Gedankenstriches entsteht, deutlich.
Dass die Schmitt-Forschung die Behauptung Günzels, Carl Schmitt sei „von Emge“ – man weiß nicht wann – zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie berufen worden, nicht rezipiert hat, ist wegen dieser Fehlerhäufigkeit Günzels verständlich. Ich verstehe aber nicht, weshalb sich kein Schmitt-Forscher die Mühe gemacht hat, den Hinweisen von Pinter und Günzel auf die Akte Emges nachzugehen. Ich jedenfalls habe mir nach Lektüre von Pinter (1994) und Günzel (2000) Kopien von 50 Blättern aus der Akte Emges im Januar 2019 zuschicken lassen. Zuzüglich von Extragebühren, die fällig wurden, weil ich eine schnelle Bearbeitung wünschte, hat mich das – 48 € gekostet.
Soweit zum ersten Absatz Günzels. In seinem zweiten Absatz behauptet Günzel, ein Brief von Emge an Erich Jung belege, dass Emge Carl Schmitts Denken abgelehnt habe. Das wenige, das Günzel aus diesem Brief zitiert, genügt nicht, eine solche prägnante Ablehnung Emges zu bestätigen. Selbst dann nicht, wenn Günzel das Kürzel „c Schm“ richtig aufgelöst haben sollte. Günzels Hinweis auf Abschnitt 19 von Emges Ideen zu einer Philosophie des Führertums ist jedenfalls nicht gelungen: Emge bezieht sich dort ausdrücklich zustimmend auf Schmitts „Freund-Feind-Kategorie“. Ich zitiere ausführlicher aus Emges „Philosophie des Führertums“ als zum Nachweis der Falschdarstellung Günzels erforderlich, da sich meine Leser so einen ersten authentischen Eindruck von Emge als Rechtsphilosophen machen können:
19. Es geht nun heute zunächst um die politische Tat. Damit stehen wir bei dem dritten Problem. Politisch scheint uns nun eine Handlung, verglichen mit einer anderen, dann zu sein, wenn bei ihrem Erfolg weniger mit „Garanten“ gerechnet wird7). Anstatt zu glauben, daß die anderen unsere Ziele verstehen, billigen und fördern, geht der Politische davon aus, daß diese vermittelnden Umstände selbst herbeizuführen sind. Dies ist u. E. der wahre Sinn der Freund-Feind-Kategorie von Carl Schmitt. Der Politiker bürdet sich also den ganzen Hebelarm der Last bis zu dem beabsichtigten Enderfolg selber auf. Voraussetzung hierfür ist, daß er das besitzt, was wir den politischen Grundinstinkt nennen möchten: den Instinkt für Tragweite. Der Politiker fühlt, daß er die ganze Kette menschlicher Zwischenglieder in die begünstigende und ausreichende Bewegung zum Ziele bringen muß. Er ist von der Leistung aus gesehen, wirklich prima causa, autonom. (Vgl. unseren Aufsatz im „Ring“ vom 22. Dezember 1933.[88])
7) Der Begriff gilt ganz allgemein. Erst von hier aus ist der Begriff des staatlichem Politikers, des Kulturpolitikers, Kirchenpolitikers, des Politikers jeder Gruppe, ja seiner selbst zu- bestimmen.
In Hinsicht auf die Mitmenschen ergibt sich hierdurch folgende Situation. Der Politiker muß die Subjekte, welche er zu seinem │ S. 189 Ziele führen will, unter allen Umständen beeinflussen. Damit werden sie — wenn auch vorübergehend — zu seinem Werkzeug. Gewissen, Gedankenfreiheit, freies Mannestum, Selbstbestimmung des Geistigen usw. behalten hierbei nur insofern einen positiven Akzent, als sie das von dem Politiker Vorgesehene begünstigen. Diese müssen, wenn sie wirklich Männer der Tat sind, Endliches absolut setzen: „Eritis sient deus scientes bonum et malum.“[89] Vielleicht meint dies auch das Goethewort „Der Handelnde ist immer gewissenlos, nur der Betrachtende hat Gewissen.“
Man muß als Freund, als Gesinnungsgenosse von Menschen erscheinen, die man „braucht“, ohne es wirklich zu sein. Hier zeigt sich, um wieder an das Wort vom „freien und guten Willen der Geführten“ anzuknüpfen, daß dieses so lange nicht gelten kann, als es sich noch um reine Politik, d. h. Machterringung handelt. Es ist kein Zufall, daß wir dieses Wort gerade in einem Augenblick vernehmen, wo an Stelle des Kampfes um die Macht das Erringen des Menschen treten soll. Dessen Wille aber ist: nicht ein Wille, der auf etwas „hereinfällt“, sondern der sich „einsichtig und verantwortlich bekennt“. Solches liegt aber da vor, wo der Mensch eben nicht als Werkzeug, sondern mit jenen oben ausführlich beschriebenen Eigentümlichkeiten an Gewissen, Gedankenfreiheit, Mannestum, Selbstbesinnung usw. „angesprochen“ und „gewonnen“ wird.
(C. A. Emge, Ideen zu einer Philosophie des Führertums 1935), S. 188 f.
Im nächsten Absatz stellt Emge einen Zustand in Aussicht, in dem »die Volksgemeinschaft« »hergestellt« worden sei. Dann und erst dann, sei der Zustand der Politisierung in Schein-Freundschaften und echten Feindschaften verlassen.
Jener Zustand vollkommener Politisierung soll also allmählich dem Zustand der Volksgemeinschaft weichen, worin es wieder Garantien, Vertrauen, freiwillige Hingabe gibt, worin nicht mehr von Einigen alles restlos selbst zu bewirken ist8), sondern man sich auf konformes, freies Verhalten wahrer Gesinnungsgenossen verlassen kann. Allerdings solange diese Volksgemeinschaft nicht hergestellt ist, muß die Führung die Momente des „Zwangs“, der „Erfassung“, der — von ihr aus gesehen — „unfreien und schlechten“ Wollungen an sich tragen.
8) „Führertum“ ist zunächst eine rein soziologische Relation. Sie ist für uns heute mit der Vorstellung von der Volksgemeinschaft verbunden, obgleich hier noch viele andere soziologische Relationen möglich sind.
(C. A. Emge, Ideen zu einer Philosophie des Führertums 1935), S. 188 f.
Nach diesen authentischen Einblick in Emges Bestimmung des Begriff des Politischen zurück zu Günzels Berichterstattung über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie anhand der Akte Emges mit der Signatur GSA 72/1588 und seiner Darstellung von Emges Ablehnung von Carl Schmitts Denken. Ich zitiere Günzel:
[2] Letzteres [Schmitts Nichterscheinen am 3. Mai 1934; mw] könnte zum Teil auf die Ablehnung zurückzuführen sein, die Emge Schmitts Denken – besonders dessen Freund-Feind-Schema140 – entgegenbrachte, und welche sich prägnant in einem persönlichen Schreiben an Erich Jung in Marburg ausdrückte,141 der ebenfalls von Emge in den Ausschuß berufen, war. In dem Schreiben bedankte sich Emge für einen im Rahmen des Ausschusses zu erarbeitenden Beitrag Jungs: „Ich freue mich, im Grunde meine [sic!] konservativen Seele, dass die deutsche Rechtsphilosophie von Ihnen behandelt werden wird, im übrigen auch über das ‚feste druf‘ gegen den edlen c[sic!] <arl>- Schm<itt>. gute Ferien und Heil!“142 Emge hatte aber nicht nur Professoren geladen. An alle politischen und administrativen Ebenen ergingen Einladungen: an den Reichsminister der Justiz, an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, an das Sächsische Ministerium der Justiz, an den Reichsminister des Innern, Frick, an die Reichsleitung des Kampfbundes für Deutsche Kultur e.V., Alfred Rosenberg, an den Stabschef der SA, Reichsminister Ernst Röhm, an das Preußische Justizministerium, und an den Reichsstatthalter in Thüringen. – Die meisten sagten allerdings ab, erschienen nicht oder │ S. 177 schickten einen Vertreter. Nur der zum Vorsitzenden ernannte Reichsjustizkommissar und Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Minister Frank, sowie Rosenberg, welche beide in Gegenwart von Elisabeth Förster-Nietzsche eine Ansprache zur Eröffnung hielten,143 waren persönlich gekommen.
140 Vgl. Emge, Ideen zu einer Philosophie des Führertums, a.a.O., Abschn. 19, S. 18.
141 Jung wurde bereits nach seiner Einladung zudem von W. Kisch aus München, der letztlich absagte, als ehemaliger Vorkriegskollege aus Straßburg empfohlen.
142 Emge am 30. Juli 1934 aus Weimar an Jung in Marburg a. d. Lahn, in: GSA 72/1588, Durchschrift[90]
143 Laut dem Bericht im Völkischen Beobachter, dem die Texte der Ansprachen zugestellt wurden, richtete sich Frank mit den folgenden Worten an Elisabeth Förster-Nietzsche: […] Völkischer Beobachter. Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung, Berliner Ausgabe, Freitag, 4. Mai 1934, S. 1 f., hier S. 1, Sp. 1 f., in: ebd.
(Günzel 2000), S. 176 f.
Günzels Darstellung, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie irgendwie ein Ausschuss Emges gewesen sei, für den Hans Frank nur irgendwie pro forma den Vorsitz übernommen hat, ist falsch. – In der Fußnote 141 ist die Behauptung Günzels richtig, dass Kisch in einem Schreiben an Emge Erich Jung als zu berufendes Mitglied des Ausschusses empfohlen hat. Irreführend ist die Auskunft Günzels, Kisch habe „letztlich abgesagt“. Die Berufung in den Ausschuss für Rechtsphilosophie hat Wilhelm Kisch angenommen. Kisch war nur nicht auf der ersten Sitzung am 3. Mai 1934 anwesend. – Den Brief von Emge an Erich Jung vom 30. Juli 1934 kenne ich noch nicht. Er ist vermutlich eines der letzten Blätter der Akte. – In meinem Abschnitt 7 werde ich den vollständigen Text des Berichts des Völkischen Beobachters über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie zitieren und kommentieren.
Zurück zu Günzels Berichterstattung:
[3] Auch an den Reichsminister Goebbels, den Emge wohl zwei Jahre zuvor zusammen mit Hitler bei dessen Besuch im Nietzsche Archiv nach der Uraufführung von Mussolinis Drama, „Hundert Tage [Campo di Maggio]“,144 in Weimar kennengelernt hatte, schreibt Emge am 24. April eine Einladung, in der er Goebbels zu dessen Erscheinen mit der Begründung zu bewegen sucht:
144 Vgl. Simon-Ritz/Ulbricht, „Heimatstätte des Zarathustrawerkes“, a.a.O., „Wie man wird, was man ist“, S. 167.
„Persönlichkeiten wie Heidegger, Rothacker, Stammler, Binder, Karl [sic!] Schmitt, Hans Freyer, Hans Naumann, Erich Jung, Bruns werden anwesend sein.[91] Eine der wichtigsten Angelegenheiten des Ausschusses wird es sein, […] den geistigen Gehalt der Bewegung nach Seiten der Jurisprudenz zu interpretieren. Es scheint mir unumgänglich, daß ich dabei in enger Fühlung mit der maßgeblichen Persönlichkeit stehe, die sich über die Problematik dieser Angelegenheit gewiß am klarsten ist. Ich darf nur an die große Bedeutung der Angelegenheiten mit Rücksicht auf einen möglichen Kulturkampf erinnern. / […] Wenn sich das [Goebbels Erscheinen; S.G.] nicht machen läßt, so darf ich Sie bitten, mir einen Termin anzugeben an dem ich (vielleicht in Ihrer außerdienstlichen Zeit) Ihnen einmal ausführlich über diese Dinge berichten kann. Ich möchte hinzufügen, daß ich bei solcher Gelegenheit auch als wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs gern einige Wünsche hören würde.“145
145 Brief von Emge am 24. April 1934 aus Weimar an Goebbels, in: GSA 72/1588 [Blatt 13; mw], Durchschrift.
(Günzel 2000), S. 176 f.
An der ersten Stelle, die Günzel aus dem Brief Emges an Goebbels nicht zitiert, ist folgendes zu lesen: „sozusagen fide vel moribus“. Das ist eine Anspielung auf eine kirchenrechtliche Auslegungstradition. Das von Günzel Ausgelassene passt durchaus zu den religionsphilosophischen Motiven, die in den Reden von Hans Frank, Alfred Rosenberg und C. A. Emge zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie eingeflochten waren. Ich komme darauf in meinem Abschnitt 4 zurück.
Günzel hat die abschließende Grußformel nicht zitiert. Sie passt inhaltlich zu der zweiten Stelle, die Günzel aus Emges Brief an Goebbels nicht zitiert hat.
Ich wäre daher glücklich, wenn Sie in Erneuerung der alten Beziehungen uns die Freude machen würden zur Eröffnungssitzung zu erscheinen. […] Mit dem Ausdruck alter Verehrung und Heil Hitler! Ihr ergebenster
GSA 72/1588, Blatt 13
Ich wüsste gerne, seit wann Emge und Goebbels einander kannten. Günzel hat seinen Lesern diese interessante Spur auf einen Ursprung des akademischen Nationalsozialismus nicht mitgeteilt.
Zurück zu Günzels Berichterstattung:
[4] Goebbels fuhr nicht nach Weimar. Doch auch ohne ihn wurde die Veranstaltung in den Dienst der „Bewegung“ gestellt. Nach erfolgreichem Abschluß der Ausschußgründung bedankte sich Emge bei Rosenberg mit den Worten: „Es war ein großer Tag für das Archiv. Die Geschichte der Philosophie und Wissenschaft wird einstmals die Bedeutung dieser Veranstaltung feststellen.“146 Emge stellt auch sogleich die zukünftigen Arbeitsaufgaben des Ausschusses vor: Die Mitglieder sollen schriftlich zu Rosenbergs und Franks Rede Stellung nehmen. – Dieser hatte als Aufgabenstellung bereits ausgegeben:
146 Brief von Emge am 5. Mai 1934 an Rosenberg, in: ebd., Durchschrift.
│ S. 178
Wir im engeren Kreise unseres Ausschusses für Rechtsphilosophie wollen die Sammlung der allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus alle die Bausteine des nationalsozialistischen Werdens nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer den Deutschen recht [sic!] als Unterlage vermitteln wollen. […] Der Typ, den wir aufstellen, heißt Lebensrecht, und nicht Formalrecht soll das Ziel sein.147
147 Frank zit. nach „Das Recht im Dienste des nationalsozialistischen Lebens“, a.a.O., S. 1, Sp.2.
(Günzel 2000), S. 177 f.
Den Brief vom Emge an Rosenberg vom 5. Mai 1934 kenne ich noch nicht. Er könnte interessanter sein als Günzel mitteilt. Auch kenne ich die ersten Arbeitsergebnisse des Ausschusses noch nicht, von denen nach Pinter auch Günzel berichtet. Günzel erwähnt allerdings die „Hausarbeit“ von Lasch nicht, die Pinter noch erwähnte. Die restlichen Informationen, die Günzel in Absatz 4 und den folgenden Absätzen präsentiert, stammen aus veröffentlichen Texten des Jahres 1934. Ich präsentiere diese Texte selbst in meinem Abschnitt 4. Interessante Verfälschungen bei der Wiedergabe der Zeitungsberichterstattung durch Günzel sind mir nicht aufgefallen.
[5] Zur Form der Ausführung setzt Emge später in seinem Anschreiben an die Mitglieder nur noch im philosophischen Duktus hinzu: „Es kommt nicht auf Definitionen, sondern auf erste, klare Unterscheidungen an.“148 – Rothacker, der ebenfalls geladene Uexküll aus Hamburg, Stammler, Jung und Binder schickten ihre bis zu 13 Seiten umfassenden Aufsätze an das Archiv.
148 Ebd.
[6] Am Eröffnungstag hatte Emge selbst die Zusammenarbeit von Politik und Wissenschaft bereits wie folgt bestimmt: „Zwei Momente charakterisieren die Aufgabe: Das erste, Rationales und Irrationales zur Verbindung zu bringen, ist typisch deutsch; das zweite, Objektives und Subjektives zur Synthese zu bringen, ebenso typisch nationalsozialistisch.“149 Insgesamt schlug Emge spezielle Themen für neun Unterausschüsse vor, deren Zielsetzung es beispielsweise sei, die ermittelten „Wesenheiten [der Bewegung] möglichst rein zu halten“.150 Wohl wegen der geringen Mitgliederzahl wurde dieser Plan zugunsten der weiteren Fragestellung aufgegeben.151
149 Emge zit. nach „Die Ehre der Nation bestimmt das Recht“, ‚Thüringische Staatszeitung‘, Freitag, den 4. Mai 1934, Nr. 105, Sp. 4, in: ebd.
150 Ebd.
151 Vgl. die zusätzliche Zeitungsmeldung vom selben Tag, „Akademie für deutsches Recht. Aus der Abschlußberatung des rechtsphilosophischen Ausschusses in Weimar“, in: ebd.[92]
(Günzel 2000), S. 178
Mit der interessanten Auskunft über Emges Planung zu neun Unterausschüssen des Ausschusses für Rechtsphilosophie beendet Günzel seinen Bericht über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Hätte Günzel ordentlich gearbeitet, wäre er es gewesen, der als erster in der deutschsprachigen Forschung nachgewiesen hätte, dass Carl Schmitt Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Auch Tilitzki (2003) versäumt es, seine Leser über einen wichtigen Fund, den er bezüglich der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gemacht hat, angemessen zu informieren.
2.6. Tilitzki (2003) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Der Titel dieses Aufsatzes von Tilitzki lautet: Der Rechtsphilosoph Carl August Emge. Vom Schüler Hermann Cohens zum Stellvertreter Hans Franks. Er erschien in der Zeitschrift Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie im Jahr 2003. Emge ist 1934/35 zum Herausgeber dieser Zeitschrift geworden. Tilitzki erhebt Emge und die Zeitschrift fürs Jahrs 1942 zum „Forum der Regime-Kritik“. Den Ausschuss für Rechtsphilosophie erwähnt Tilitzki nur beiläufig.
Tilitzki (2003) kennt Farías (1987/89) und Pinter (1994). Günzel (2000) wird nicht erwähnt. Obwohl Tilitzki Pinter (1994) erwähnt, teilt er seinen Lesern nicht mit, dass Pinter eine Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie ausgewertet hat. Durch Tilitzkis Charakterisierung von Pinter (1994) versetzt Tilitzki seine Leser stattdessen in den Glauben, dass Pinter über Farías keine neuen Informationen zum Ausschuss für Rechtsphilosophie geboten hat.
Trotz der Beiläufigkeit seiner Behandlung des Ausschusses für Rechtsphilosophie bietet Tilitzki in seiner Fußnote 90 eine neue Quelle, die über die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie informiert. Es handelt sich um einen Text von Emge, der im »Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung« Hans Franks 1935 veröffentlicht worden ist. Gemäß dieser Quelle war Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Damit gebührt Tilitzki das Verdient, als erster nachgewiesen zu haben, dass Carl Schmitt vor 1935 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Er stellt das Licht seines Erfolges aber unter den Scheffel.
Falls die fachlichen Mängel von Günzel (2000) und Tilitzki (2003) absichtlich gemacht worden wären, könnte das so erklärt werden: Auf diesen Weisen könnten Mitglieder verschiedene Seilschaften, die von den Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie etabliert worden sind, einander mitteilen, dass ihre Waffenlager gut gefüllt sind, würde irgendein Mitglied einer anderen Seilschaft seilschafts-interne Wissen über den eignen Seilschafts-Stammvater aus dem Ausschuss für Rechtsphilosophie so öffentlich machen, dass ein breites Publikum über ihn angemessen informiert würde. So könnte z.B. Tilitzkis Aufsatz über Emge dem Zweck dienen, den Schmittianern mitzuteilen, sie sollten Emge – und Heidegger – zumindest zufriedenlassen, vielleicht sogar als Widerstandskämpfer loben.
Ich zitiere nun Tilitzki:
Und das ARSP [Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie; mw] diente Emge schließlich selbst als Forum der Regime-Kritik, die, 1942 ausgestreut in gut dreitausend Aphorismen auf fast vierhundert Seiten, in dieser Schärfe von keinem seiner Kollegen öffentlich geäußert worden war und deren oppositionelle Essenz den │ S. 483 Vergleich nicht zu scheuen braucht mit den Denkschriften etwa aus dem Kreisauer, dem Goerdeler-Kreis oder anderen Widerstandszirkeln, zu denen Emge wohl persönlichen Kontakt hatte.86 Teils unverhüllt, teils in historisierender, die zaristische │ S. 484 Autokratie zitierender Camouflage trug Emge darin vor: a) eine am Maßstab des liberalen Rechtsstaats und des „Persönlichkeits“-Ideals orientierte Herrschaftskritik, b) eine kultur- und zeitkritische Moderne- und Fortschrittskritik, die in ähnlicher Weise wie Heidegger in seinen Vorlesungen ab 1935 den Nationalsozialismus als Beschleuniger, nicht mehr als Aufhalter der „Weltvernutzung“ qualifizierte und ausdrücklich auf eine Stufe mit dem Bolschewismus stellte, und c) eine Kritik des Rechtspositivismus, die die „Wüste des Positivismus“ wiederum wie „Diktatur“ und „hemmungslos zunehmende Technisierung“ als Erscheinung der „nachchristlichen Zivilisation“ begriff, der alle „religiösen Zusammenhänge“ abhanden gekommen seien.87
Erste Auszüge aus diesen Aphorismen, die das kritische Potential des erwähnten kantianischen „Dualismus“ freisetzten und Distanz zum NS-System erkennen ließen, veröffentlichte Emge 1935/36,88 so daß man Mühe hat, eine solche proteische Existenz zu fassen. Denn zu diesem Zeitpunkt agierte Emge im Schlepptau von Hans Frank nominell auf der rechtspolitischen Führungsebene des Systems. Nur sind wir über seine Aktivitäten dort, vor allem über seine Rolle in der 1934 ins Leben gerufenen Akademie für Deutsches Recht (AkDR) unter der Präsidentschaft Franks, dessen Stellvertreter Emge zwischen 1937 und 1942 war,89 schlecht unterrichtet. Fast nichts ist bekannt über Emges Funktion als zweiter Mann hinter Frank im Ausschuß für Rechtsphilosophie, dessen konstituierende Sitzung Anfang Mai 1934 im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand,90 und über sein Wirken als Vorsitzender des wichtigen Ausschusses für Nationalitätenrecht in der Akademie.
88 Unter gleichlautendem Titel, Aus einem rechtsphilosophischen Journal, aber inhaltlich nicht identisch, in: Blätter für Deutsche Philosophie 9,1935/36, 250-259; Zs. für öffentliches Recht, 1936, 305-312 und in: Festschrift Ernst Heymann … zum 70. Geburtstag am 6. April 1940 überreicht von Freunden, Schülern und Fachgenossen, Weimar 1940, Bd. 2, 47-64.
[…]
90 Vgl. Emge, Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie, in: Hans Frank (Hg.), Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, Berlin 1935, 29-32 (dort 32), wo Alfred Rosenberg, der Reichskriegsminister von Blomberg, der Verfechter des „Rasserechts“, Helmut Nicolai, und aus der Professorenschaft C. Schmitt, R. Stammler, Heymann, „Bruno [sc. Julius] Binder“, Erich Jung (alldeutscher Rechtsphilosoph, der nach dem Verlust seines Straßburger Lehrstuhls seit 1919 in Marburg wirkte), Heidegger, Emges enger Freund Rothacker, Hans Freyer und der Bonner Germanist Hans Naumann als Mitglieder, Emge selbst als „geschäftsführender Vertreter“ des Vorsitzenden Frank genannt werden.[93] Vgl. das leider sehr unergiebige, mit zahlreichen Fehlern („Staatsrat Schmidt“!) durchsetzte Kapitel „Heidegger und die Akademie für Deutsches Recht“, in: Victor Farias, Heidegger und der Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1989, 277-280. Nicht viel aufschlußreicher: Pinter 1996[94] (FN 7), 58-64
(Tilitzki 2003), S. 482- 484
Direkt im Anschluss präsentiert Tilitzki Informationen über den Ausschuss für Völkerrecht und für Nationalitätenrecht, mit denen ich mich erst in meinem Teil III befassen werde. Ich zitiere die Information unkommentiert in folgender Endnote.[95]
Ich habe nicht alle Fußnoten Tilitzkis zum von mir zitierten Haupttext Tilitzkis zitiert, da die Fußnoten Tilitzkis sehr lang sind. Ersatzweise gebe ich hier zunächst einen kurzen Überblick, über die Fußnote, die ich nicht zitiert habe:
Die Belege aus der Fußnote 86 stammen alle aus der Zeit nach dem gescheiterten Stauffenberg-Attentat. Bis auf einen sogar aus der Zeit nach 1945.
Die Belege aus Fußnote 87 sind vieldeutig. Das ist selbstverständlich. Es sind ja Aphorismen. Tilitzki zitiert zum Beispiel als Beleg für seine Behauptung, dass Emge 1942 ein scharfer Kritiker des NS-Regimes war, folgenden Aphorismus Emges:
Der Utilitarismus steht am fernsten von der Urne alles Heiligen.
(Tilitzki 2003), S. 483, Fußnote 87
Mehr zitiert Tilitzki aus dem direkten Kontext nicht. Ich kann nicht nachvollziehen, weshalb Tilitzki diesen Aphorismus als Beleg für seine Behauptung anführt. Wer 1942 etwas Abfälliges gegen den Utilitarismus veröffentlicht, muss ja nicht als Kritiker des Nationalsozialismus verstanden werden. Er könnte auch als Kritiker der Kriegsgegner Großbritannien und USA verstanden werden. Für sich betrachtet ist der Aphorismus, den Tilitzki zitiert, kein Beleg für seine These, Emge sei 1942 als scharfer Kritik des Regimes an die Öffentlichkeit getreten. Dieser Befund ändert sich auch nicht, wenn man den Kontext des Aphorismus im näheren Umfeld von Emges Gesamttext berücksichtigt. Ich zitiere den näheren Kontext vollständig:
Sokratischer Rat
Gefühl der Freiheit oder Unfreiheit ist der blanke Spiegel, worin sich ein herrschendes Recht nicht oft genug beschauen kann.
Kummer des Rechts: daß die Macht nicht Spiegelgefährte der Idee sein kann.
Wohin soll der Mensch schauen, um zu erfahren, wer der „Gerechteste im ganzen Lande“ ist?
Immer ist es die Geschichte, welche vergehenden Zeiten den Spiegel vor den Mund hält, um noch einen Hauch ihres Lebens zu empfangen. │ S. 256
In Zeiten brutaler Gewalt pflegt der Geist seinen Spiegel zu verhängen.
Die Idee ist auf Erlösung durch den Sohn: Inkarnation und Kreuzigung angewiesen; nur in Machtformen kann sie durch Gestaltung Erlösung finden.
Es genügt nicht, daß die Vorstellung beweglich sei; auch die Objekte, zum Beispiel Volk, Recht, sind als beweglich zu verstehen.
Der Utilitarismus steht am fernsten von der Urne alles Heiligen.
Stein der Weisen für Rechtsphilosophen
Der Probierstein, der anzeigt, ob Gewalt dazu dienen soll, Recht zu setzen oder Unrecht zu verbergen und zu sichern.
Es sind ironische Zeiten, in denen derjenige als verkrampft gilt, welcher ihre Prinzipien ernst nimmt.
(C. A. Emge, Diesseits und jenseits des Unrechts 1942)
Wie man ohne Aufwand erkennt, ist der von Tilitzki zitierte Aphorismus über den Utilitarismus auch in seinem Kontext kein eindeutiger Beleg für Tilitzkis These, Emge habe 1942 das NS-Regime scharf kritisiert.
Zurück zu den Fußnoten Tilitzkis, die ich nicht zitiert habe:
In Fußnote 89 verweist Tilitzki auf die Darstellung Pichinots (1981), die ich bereits vorgestellt habe.
In Fußnote 94 liefert Tilitzki neben den bibliographischen Angaben zum Text Emges einen Hinweis auf Reinhard Höhns Vortrag auf demselben Haager Kongress und einen Hinweis auf Archivmaterial zum Haager Kongress des Jahres 1937. Mit diesem Kongress werde ich mich in meinem Teil III befassen.
Nun zum von mir Zitierten:
In der Fußnote 88 hätte Tilitzki erwähnen können, dass in der Festschrift für Ernst Heymann aus dem Jahr 1940 auch Reinhard Höhn beigetragen hat. Das wäre erwähnenswert gewesen, da in der Forschung Höhn mittlerweile einer der wenigen Dauer-Buhmänner ist. Wer nur die Sekundärliteratur gelesen hat, wird vermutlich folgende Meinung haben: Wenn es einen akademischen Nationalsozialisten gegeben hat, dann Reinhard Höhn.
In der Fußnote 90 hat Tilitzki vergessen, Mikorey zu erwähnen. Das hatte ich bereits erwähnt. – Tilitzki gibt keine Begründung für seine Korrektur von „Bruno Binder“ zu „Julius Binder“. – Tilitzki liefert keinen Beleg dafür, dass Erich Jung bereits seit 1919 in Marburg „wirkte“. Erich Jung hat erst zum Wintersemester 1921/22 eine Professur in Marburg erhalten. Trotzdem mag es irgendwie richtig sein, dass Erich Jung ab 1919 in Marburg „wirkte“. Nach Verlust seiner Straßburger Professur im Zuge der Waffenstillstandsvereinbarungen „wirkte“ Prof. Erich Jung nach eigener Auskunft vertretungsweise an den Universitäten in Tübingen und München, bevor er in Marburg erneut eine Professur erhielt (vgl. Unterabschnitt 6.2.1.). – Der einzige Beleg („Staatsrat Schmidt“), den Tilitzki für seinen Vorwurf gegen Farías vorbringt, ist untauglich, da Farías seine Quelle korrekt wiedergegeben hat.
Der Angriff Tilitzkis auf Farías ist in seiner Schärfe auffällig. Da der angegebene Sachgrund falsch ist, Farías hat ja seine Quelle korrekt wieder gegeben, darf man vermuten, dass Tilitzki persönlich ärgerlich auf Farías gewesen ist: Ohne Farías Archivarbeit zu Ernst Krieck, durch die er die zeitgenössische Zeitungsberichterstattung über die Gründung des Ausschuss für Rechtsphilosophie gefunden hat, hätte vielleicht nicht einmal das deutsche Fachpublikum, dem »die Gnade der späten Geburt« zu Teil geworden war, von der Existenz des Ausschusses für Rechtsphilosophie erfahren. Vor Farías hatten ja nur Pichinot (1981) und Anderson (1982/87) in ihren Dissertationen beiläufig über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet. Und hätte ich 1990 nicht Farías Buch gelesen, hätte ich mir sehr wahrscheinlich im Februar 2016 die drei Geschäftsführungsakten der AfDR in meiner Recherchearbeit zu Hans Georg Gadamer im Bundearchiv Berlin-Lichterfelde nicht angesehen. Mein herzlicher Dank gilt demnach ganz eindeutig Victor Farías. Danke!
Durch die korrekte Angabe der Quelle aus dem Jahr 1935, in der Emge Carl Schmitts Namen als Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie erwähnt, wird es Tilitzki Ruhm bleiben, als erster nachgewiesen zu haben, dass Carl Schmitt vor Veröffentlichung des Nationalsozialistischen Handbuches für Recht und Gesetzgebung (1935) Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
2.7. Emanuel Faye 2005/09 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Erst 2009, zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von Farías Buch, informierte eine Monographie in deutscher Sprache eine größere Leserschaft wieder über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Der Verfasser war wieder kein Deutscher. Nach dem Chilenen Farías sorgte nun ein Franzose dafür, dass Leser deutschsprachiger Bücher zur Philosophie des 20. Jahrhunderts von der Existenz des Ausschusses für Rechtsphilosophie erfuhren. 2009, vier Jahre nach der Originalfassung, erschien die deutsche Übersetzung von Heidegger, l’introduction du nazisme dans la philosophie (2005): Emmanuel Faye: Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie. Im Umkreis der unveröffentlichten Seminare zwischen 1933 und 1935. (Berlin 2009).
2.7.1. Es gab seit den 1920-er Jahren ideologische Nähen zwischen Heidegger, Carl Schmitt und Erich Rothacker
Anlass für Fayes Monographie über die Einführung des Nazismus in die Philosophie durch Heidegger waren zwei studentische Mitschriften eines Seminars Heideggers, die Faye im Literaturarchiv Marbach entdeckt hatte und die 2011 von Peter Trawney im Band 86 der »Gesamtausgabe« neben anderen Texten veröffentlicht worden sind. Es handelt sich um Mitschriften zu Heideggers Seminar über Hegels Rechtsphilosophie, das er im Wintersemester 1934/35 an der Universität Freiburg teilweise zusammen mit Professor Erik Wolf (1902-1977) unterrichtet hat. In den Mitschriften war erkennbar, dass sich Heidegger intensiv mit Carl Schmitt beschäftigt hatte. Dankenswerterweise nahm das Faye zum Anlass, ideologische Nähen Heideggers zu Carl Schmitt und auch zu Erich Rothacker zu entdecken und darzustellen.
Erneut verdankt die Öffentlichkeit es der Arbeit eines nicht-deutschen Wissenschaftlers in deutschen Archiven, das wichtige Primärdaten aus der Zeit des »Dritten Reichs« gefunden und ausgewertet wurden. Nebenbei sei erwähnt, dass Faye (2005/09) das Manuskript Heideggers zu seinem Seminar über Hegels Rechtsphilosophie nicht ausgewertet hat, da er es nicht kannte. Es ist zusammen mit den beiden studentischen Mitschriften in Band 86 erst im Jahr 2011 veröffentlicht worden. Wie zuverlässig Veröffentlichungen in dieser Ausgabe sind, kann ich nicht beurteilen. Das angebliche Manuskript Heideggers ist, soweit ich sehe, bislang nicht wirklich zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung gemacht worden. Da die ersten Schwarzen Hefte Heideggers erst 2014 veröffentlicht worden sind, ist das durch sie erzeugte Aufsehen kein ausreichender Erklärungsgrund für die fehlende Auseinandersetzung mit dem angeblichen Manuskript Heideggers zum Seminar über Rechtsphilosophie des Wintersemesters 1934/35.
Mit Blick auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie bietet die Monographie Fayes keinen Erkenntniszuwachs über Farías (1987/89) hinaus, da Faye sich mit Blick auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie ausschließlich auf den Quellenbericht von Farías stützt. Leider gibt Faye sogar zwei Punkte falsch wieder, die Farías korrekt dargestellt hatte, und wiederholt den Fehler von Farías bezüglich einer Mitgliedschaft von Julius Streicher im Ausschuss für Rechtsphilosophie. Ich zitiere zunächst und mache dann auf die Fehler aufmerksam:
Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird offiziell während einer Veranstaltung vom 3. bis zum 5. Mai 1934 im Nietzsche-Archiv in Weimar gegründet. Er wurde von Hans Frank zusammengesetzt. Mitglieder sind »Philosophen« wie Martin Heidegger, Erich Rothacker und Hans Freyer | S. 277 ein Jurist, der in der Akademie für Deutsches Recht hinter Frank der zweite Mann am Ruder ist, Carl Schmitt, außerdem Parteigrößen wie Alfred Rosenberg oder der Agitator Julius Streicher, Chefredakteur des Stürmer.
(Faye 2009), S. 276 f.
Faye verwechselt Hans Freyer, der kein Jurist gewesen ist, mit Carl August Emge oder mit Wilhelm Kisch, die er beide unerwähnt lässt, obwohl sie Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind. Emge und Kisch waren darüber hinaus zu verschiedenen Zeitpunkten stellvertretende Präsidenten der AfDR. Emge war nachweislich zumindest anfänglich und im Zeitraum von 1941 bis 1943 stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
Da Faye (2009) weder die Dissertationen von Anderson (1982/87) und Pinter (1994) noch die Aufsätze von Günzel (2000) oder Tilitzki (2003) erwähnt, glaube ich nicht, dass er nur vergessen hat, einen Beleg für seine Behauptung, dass Carl Schmitt Mitglied dieses Ausschusses gewesen ist, anzugeben. Ich glaube, dass Faye die Schreibweise „Staatsrat Schmidt“ für einen simplen Schreibfehler hielt, den er stillschweigend korrigiert hat.
Da Faye anhand der von ihm entdeckten Mitschriften der Studenten wusste, dass Heidegger sich spätestens während des Wintersemesters 1934/35 mit Schriften Carl Schmitts beschäftigt hat, war die Vermutung, dass tatsächlich Carl Schmitt – und nicht ein „Staatsrat Schmidt“ – Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gut begründet. Tatsächlich zeigt die Akte Emges, dass Carl Schmitt einer von 18 Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist (siehe Abschnitt 3).
Die wichtige Entdeckung der studentischen Mitschriften nahm Faye wissenschaftlich wohlbegründet zum Anlass, sich kritisch mit Heidegger, Carl Schmitt und Erich Rothacker seit den zwanziger Jahren zu befassen. Ich zitiere Faye:
Unsere Analysen beziehen sich nicht nur auf Heideggers Schriften, sondern auch auf die Schriften einiger anderer im Nationalsozialismus höchst engagierter intellektueller Persönlichkeiten, mit denen Heidegger im Briefverkehr stand oder denen er besonders nah war. So sind wir zu einer ganz neuen Einschätzung der intellektuellen Beziehungen zwischen Martin Heidegger und Carl Schmitt und ihres wechselseitigen Einflusses aufeinander gelangt, und zwar auf der Grundlage expliziter Verweise auf Schmitt, die wir in den unveröffentlichten Seminaren Heideggers gefunden haben. Wir haben uns dabei auch auf ihre jeweiligen Konzeptionen des polemos und des Kampfes gestützt, denen man diejenige Alfred Baeumlers zur Seite stellen muss – im Zusammenhang mit der Interpretation von Heraklits Fragment 53. Zudem haben wir die Schriften von Gelehrten wie Erich Rothacker, Rudolf Stadelmann, Erik Wolf oder Oskar Becker studiert, die bisher im Dunkeln belassen worden sind. Durch die mitunter sehr engen Beziehungen, die diese Autoren zu Heidegger gepflegt haben, klären ihre Texte entscheidend über die rassische Dimension auf, die im Fundament der Konzeptionen Heideggers zu finden ist. Denn wenn man beobachtet, was Autoren wie Heidegger, Rothacker, Becker und Clauß seit den zwanziger Jahren – und vor dem Hintergrund der zu jener Zeit im Umkreis des Begriffes der Umwelt sich artikulierenden Rassenlehre — miteinander verbindet, dann begreift man, dass Heideggers Werk keinesfalls einer »Philosophie« entspricht, die sich bereits ausgebildet hätte, be- │ S. 19 vor sie auf ihrem Weg dem Nationalsozialismus begegnete, sondern ganz im Gegenteil einer Lehre, die seit den zwanziger Jahren auf einer Konzeption der »geschichtlichen Existenz« und der »Umwelt« fußt, die mit der Rassenlehre des Nationalsozialismus übereinstimmt, wie sie damals unter zum Teil transponierten und maskierten Formen im intellektuellen Leben Gestalt annahm.
(Faye 2009), S. 18
Meine Recherchen in Teil II werden nachweisen, dass zumindest wichtige Teilgruppen der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie einander schon (lange) vor 1933 kannten. Anders als Faye konzentriere ich mich auf Erich Jung, dem ältesten Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Insgesamt betrachtet werde ich zu einem deutlich schärferen Ergebnis als Faye kommen: Heidegger und andere Professoren haben nicht nur „den Nazismus“ in die Philosophie (und andere Wissenschaften) eingeführt. Diverse Akademiker haben zunächst die »Weltanschauung des Nationalsozialismus« hergestellt und dann geholfen, die NSDAP an die Regierungsmacht zu bringen.
2.7.2. Fayes Wiedergabe von Inhalten aus der konstituierenden Rede Hans Franks
Dem Ausschuss für Rechtsphilosophie selbst widmet Faye nur wenige Seiten (275-278), da er im Wesentlichen nur Farías Darstellung wiedergibt. Nachdem er aus Farías Namensliste der Gäste und Ausschussmitglieder einige Namen weggelassen hat, beschränkt Faye seine Auskunft über die Gründungsfeierlichkeiten auf folgendes. In seinen Fußnoten verweist er auf Farías (1987/89) und nur auf Farías (1987/89).
In seiner Eröffnungsrede formuliert Frank den Anspruch, welchem der Ausschuss gerecht zu werden hat, nämlich dass er »sich als ein Kampfausschuß des Nationalsozialismus« versteht. Es handelt sich darum, Begriffe wie »Rasse«, »Staat«, »Führer«, »Blut« miteinander zu verbinden. Tatsächlich sagt er:
»Der Durchbruch der Rechtsphilosophie heißt daher: Feierlich Abschied nehmen von der Entwicklung einer Knechtsphilosophie im Dienste undeutscher Dogmen: Lebensrecht und nicht Formalrecht soll unser Ziel sein. (…) Es soll aber ein Herrenrecht und nicht ein Sklavenrecht sein. Der Staatsbegriff des Nationalsozialismus wird von uns neugebaut auf Einheit und Reinheit des deutschen Menschentums, formuliert und verwirklicht im Recht und im Führerprinzip.«
Zum Fundament des nationalsozialistischen Rechts macht Frank eine Unterscheidung Nietzsches aus der Genealogie der Moral, die er grob entstellend übernimmt und auf das Recht überträgt, was ihn nicht daran hindert, sich dennoch ausdrücklich auf Nietzsche zu berufen. Wenn Frank auf diese Weise zwischen Herrenrecht und Sklavenrecht unterscheidet, dann läuft dies darauf hinaus, eine der Hauptaufgaben des Ausschusses für Rechtsphilosophie in aller Deutlichkeit den Ausschussmitgliedern in Erinnerung zu rufen: an der weiteren Ausbildung des nationalsozialistischen Staates zu arbeiten, und zwar auf der Grundlage des nationalsozialistischen Rechts und des Führerprinzips. Genau dieser Aufgabe widmet sich Heidegger ganz ausdrücklich in seinen beiden unveröffentlichten Seminaren.[96]
Allerdings bleibt der politische Auftrag des Ausschusses seinem rassischen Zweck untergeordnet. Hans Frank hat keinerlei Grund, dies den über zweihundert Journalisten – darunter vierzig Vertreter der Auslandspresse – auf der Pressekonferenz am 5. Mai anlässlich der Einrichtung des Ausschusses zu verheimlichen. Er verkündet im Gegenteil, dass »das Fundament unserer Gesetzgebung die Erhaltung der rassischen Wertsubstanz unseres Volkes ist«.[97]
(Faye 2009), S. 277
Die unterstrichene Information ist nicht ganz korrekt. Die Pressekonferenz am 5. Mai 1934 war ein „Presseempfang“ der gesamten AfDR in Berlin, bei dem u.a. Hans Frank das Wort ergriff und beiläufig erwähnte, dass er
vorgestern […] den Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie, dessen Vorsitz ich persönlich übernehmen, in Weimar zum ersten Zusammentreten gebracht habe.
Hans Franks Presseansprache am 5. Mai 1934, S. 175
Ich habe übrigens auch keine Information gefunden, dass die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie zwei Tage andauerte. Alle Datumsangaben nennen den 3. Mai 1934. Richtig ist, dass die Zeitungsberichterstattung häufig auf zwei Daten verteilt wurde. Das sagt ja aber nichts über die Dauer der Veranstaltung, über die berichtet wurde.
Faye schließt seine knappe Darstellung des Ausschusses für Rechtsphilosophie folgendermaßen ab:
So ist es also um den Ausschuss bestellt, in dem Heidegger mehrere Jahre lang mitgewirkt hat. Bis heute ist nicht bekannt, worum es bei den Arbeitssitzungen ging, an denen Heidegger teilgenommen hat. Und auch | S. 278 nicht, was er dort geäußert haben mag.
(Faye 2009), S. 277 f.
Auch ich weiß nicht, was Heidegger auf den Sitzungen des Ausschusses für Rechtsphilosophie bis in den Januar 1943 geäußert hat, da ich kein Sitzungsprotokoll dieses Ausschusses kenne. Sitzungsprotokolle von Ausschüssen der AfDR waren durchaus üblich. Viele Protokolle haben sich erhalten. Viele sind in 22 dicken Bänden seit 1986 von Werner Schubert als Herausgeber im Peter Lang Verlag veröffentlicht worden. Die Reihe ist abgeschlossen. Kein Band enthält Protokolle jenseits des Jahres 1942. Protokolle des Ausschusses für Rechtsphilosophie sind nicht veröffentlicht worden: https://www.peterlang.com/view/serial/ADR.
Da Faye (2009) die Dissertation von Anderson (1982/87) nicht kennt, wusste er nicht, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie bis 1943 existierte. Hätte Faye das gewusst, hätte er dem Ausschuss für Rechtsphilosophie vermutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Dass Faye in Unkenntnis dieser Tatsache enge, ideologische Verbindungen Heideggers nicht nur zu Carl Schmitt, sondern auch zu Erich Rothacker vor 1934 entdeckt hat, macht seine Ergebnisse wichtiger, da sie methodisch unabhängig von meinem Vorgehen in Teil II gewonnen wurden.
2.8. Adlberger (2007) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Susanne Adlbergers Monographie Wilhelm Kisch – Leben und Wirken (1874-1952). Von der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg bis zur nationalsozialistischen Akademie für Deutsches Recht ist 2007 in der „Rechtshistorischen Reihe“ als Band 354 im Peter Lang Verlag Frankfurt am Main erschienen. Es handelt sich zugleich um ihre Dissertationsschrift, die im selben Jahr von der Juristischen Fakultät der LMU angenommen wurde. Erstgutachter war Prof. Dr. Hermann Nehlsen.
Über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet Adlberger nur folgendes:
2.3. Vizepräsident und „Graue Eminenz“ der Akademie
Kischs Stellung als eine Art organisatorisch-wissenschaftlicher Berater bzw. Verantwortlicher manifestierte sich auch in den folgenden Monaten des Aufbaus. […] Mit der von Frank angestrebten nationalen Etablierung der Akademie durch die Erhebung zur Reichskörperschaft, verbunden allerdings mit der Unterstellung unter die Aufsicht des Reichsjustiz- und des Reichsinnenministeriums, mit Gesetz nebst neuer Satzung vom 11. Juli 1934 wurde Kisch dann Vizepräsident.254 In dieser Eigenschaft wurde er zu den Sitzungen des Führerrates eingeladen255 bzw. war automatisch Mitglied von dessen Nachfolgeorgan Präsidium, das den Präsidenten bei seinen Aufgaben unterstützen und beraten sollte.256 Darüber hinaus übernahm Kisch auch den Vorsitz im Ausschuss für Bürgerliche Rechtspflege257 und im Unterausschuss Vergleichsrecht258 und wurde Mitglied des Versicherungsrechtsausschusses.259 Seine Teilnahme im von Frank gegründeten, stark rassenideologisch geprägten Ausschusses für Rechtsphilosophie, der allerdings nur unregelmäßig zusammentrat und nach einigen Jahren wieder eingestellt wurde260, ist ungeklärt.261
254 RGBl. 1, 1934, 605f.
255 Einladung KERRL an KISCH vom 19.12.1933 für Führerratssitzung am 21.12.1933, BAB AkDR R 61, DZA Bestand Potsdam 30.13, 15.
256 KISCH, Verteidigungsschrift S. 6, SpKA KISCH, StAM SpK K 880’Verwaltungsanordnung vom 1.4.1937; in: ZAkDR, 4. Jg. (1937) S. 405f
257 Gliederung der Akademie für Deutsches Recht, in: Deutsches Recht, 3. Jg. (1933) 205f.
258 Die erste Jahrestagung der Akademie für Deutsches Recht, in: ZAkDR, 1. Jg. (1934) S. 119 ff. [122].
259 SCHUBERT, WERNER (Hrsg.), Akademie für deutsches Recht 1933 – 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. XIII, Ausschüsse für Versicherungswesen- und für Versicherungsagenten- und Versicherungsmaklerrecht 1934 – 1943, Frankfurt am Main 2002.
260 ANDERSON, DENNIS LEROY, The Academy for German Law, 1933 – 1944, New York 1987, S. 347. Eingestellt wurde der Ausschuss 1938, vgl. BAB AkDR R 61, 29.
261 KISCHS Name findet sich im Ausschussverzeichnis Rechtsphilosophie, BAB [Bundesarchiv Berlin; mw] AkDR R 61, 106. Allerdings wird er von CARL EMGE in dessen Beitrag „Das Problem einer deutschen Rechtsphilosophie“, in: FRANK, HANS, (Hrsg.), Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung, München 1935, S. 29-32, der über den Ausschuss berichtet und die Mitglieder aufführt, nicht mitaufgezählt. Von einer Tätigkeit KISCHS in diesem Ausschuss ist nichts bekannt, so dass allenfalls von einer als Vizepräsident vielleicht rein nominellen oder nur sehr kurzen Mitgliedschaft in diesem FRANK so wichtigen Ausschuss auszugehen ist.
(Adlberger 2007), S. 178
Adlberger behauptet im Haupttext, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie nach „einigen Jahren“ „eingestellt“ wurde. In der Fußnote 260 wird sie genauer: Der Ausschuss sei 1938 „eingestellt“ worden. Sie führt zwei Belege für ihre Behauptung an: 1. die Akte Nummer 29 der AfDR („R 61“) enthalte einen entsprechenden Beleg; 2. Anderson habe das auf S. 347 seiner Dissertationsschrift nachgewiesen.
Ad 1.) Ich habe im Bundesarchiv-Lichterfelde die komplette Akte Nr. 29 der AfDR an einem Lesegerät für Mikrofiche durchgesehen und mir Notizen gemacht. Ich suchte nach einer Erwähnung Gadamers. Von vielen, aber nicht von allen Blättern dieser Akte habe ich mir Kopien gemacht. In der AfDR-Akte mit der Nummer 29 ist mir kein Blatt aufgefallen, das eine „Einstellung“ oder ähnliches des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Jahr 1938 dokumentieren würde. Mindestens ein anderes Blatt aus der AfDR-Akte mit der BArch-Signatur R 61/29 dokumentiert stattdessen, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie bis in den Januar 1943 existierte (siehe Abschnitt 9.1.2.).
Ad 2.) Es ist nicht richtig, dass Anderson auf S. 347 seiner Dissertation behauptet, der Ausschuss für Rechtsphilosophie sei 1938 eingestellt worden. Anderson behauptet auf S. 347, dass der Ausschuss mit der „class one of the division of legal research“ „merged“. „x merged with y“ darf nicht mit „x ist eingestellt worden“ übersetzt werden. Seine Behauptung belegt Anderson mit einem protokollierten Kommentar, den Julius Binder am 9. Dezember 1938 auf einem Treffen der Klasse I gemacht habe. Das Protokoll des Treffens sei im Schriftgut mit der BArch-Signatur R 61/77 vorhanden. Adlberger verweist nicht auf diese Akte. Sie einzusehen war für mich nicht nötig, da Anderson in seinem Appendix B mitgeteilt hat, dass gemäß der Aktenlage der AfDR der Ausschuss für Rechtsphilosophie erst 1943 aufgelöst wurde. Den Appendix B von Anderson hat Adlberger nicht berücksichtigt.
In der Fußnote 261 verweist Adlberger auf eine Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie, mittels einer veralteten Signatur: „AkDR R 61, 106“.
(Werhan und Fensch 1976), S. 12
Ich kenne diese Mitgliederliste nicht. Ich vermute, es ist dieselbe Mitgliederliste, auf die sich Anderson in seiner Fußnote 16 bezogen hat.
In order not to neglect theoretical work within the committee structure, Frank formed a committee on legal philosophy, which he personally chaired. The committee consisted of a number of ADR and Nazi luminaries, including legal historian Julius Binder, international law expert Viktor Bruns, philosopher Martin Heidigger [so im Original; mw], Carl Schmitt and Alfred Rosenberg. It held its inaugural meeting on May 3, 1934, appropriately enough in the Nietzsche archives in Weimar, with Frank delivering an address, which stressed the element of race more pointedly than was the case in many ADR committees.16 In spite of the fact that Frank and Rosenberg took an active role in setting the tone and program of this committee, it met only infrequently with no tangible results and merged with class one of the division for legal research in 1938.17
16 On the opening session of the committee for legal philosophy, see “Lebensrecht, nicht Formalrecht,” Deutsches Recht, IV (1934), 231-234. For a membership list of the committee in the mid-1930’s. see NA, T-82, roll 23, ADR 5.
17 See Binder’s comments at the Dec. 9, 1938 meeting of class one, protocol of the meeting, ADR files, R 61/77, BK
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 347
In der Fußnote 261 verweist Adlberger zusätzlich auf den 1935 veröffentlichten Text Emges, auf den bereits Tilitzki (2003) in seiner Fußnote 90 hingewiesen hat (siehe Abschnitt 2.6.). Es ist richtig, dass Emge weder Wilhelm Kisch noch Viktor Bruns in diesem Text erwähnt. Da Adlberger selbst aber auf eine Akte verweist, die den Zeitraum 1937-1939 dokumentiert, ist ihre Vermutung, dass Wilhelm Kisch nur anfänglich Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sei, bezogen auf die von ihr selbst angegeben Quellen nicht haltbar.
Und da durch meinen Fund der Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Jahre 1941 bis 1943 nun nachgewiesen ist, dass Kisch sogar noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, wäre nun für drei Zeiten nachgewiesen, dass Kisch Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist: Er war 1934, zwischen 1937 und 1939 sowie nach dem 17. Juli 1941 Mitglied dieses Ausschusses. Ob die AfDR-Akte mit der veralteten Signatur R 61/106 tatsächlich eine Mitgliederliste des Ausschusses für den Zeitraum 1937-1939 enthält, weiß ich nicht. Aufgrund der mir derzeit zugänglichen Informationen kann ich gesichert nur behauptet, dass Wilhelm Kisch 1934 und zwischen 1941 und 1943 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
2.9. Alfred Denker und Holger Zaborowski (Hg.): Heidegger und der Nationalsozialismus. Teil 1: Dokumente, Teil 2: Interpretationen (2009)
Bei dieser zwei-bändigen Publikation handelt es sich um eine Reaktion auf Fayes Buch von 2005. Ich habe den Text von Alfred Denker und Holger Zaborowski nur daraufhin geprüft, ob und wenn ja, wie in ihm auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR Bezug genommen wird.
2.9.1. Alexander Hollerbach (2009) über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Teil 1 enthält Dokumente zum Thema „Heidegger und der Nationalsozialismus“. Auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie wird hier nur einmal Bezug genommen, und zwar in einem Abschnitt mit folgender Überschrift:
VIII. Zum Verhältnis von Erik Wolf und Martin Heidegger. Ein nicht abgeschickter Brief Erik Wolfs an Karl Barth (herausgegeben und kommentiert von Alexander Hollerbach)
(Denker und Zaborowski, Heidegger und der Nationalsozialismus. Teil 1; 2009), S. 284-347
Erik Wolf (1902-1977) war ein Professorenkollege Heideggers in Freiburg, der an einigen Sitzungen von Heideggers Seminar über Hegels Rechtsphilosophie im WiSe 34/35 leitend teilgenommen hat. Faye hat zwei Mitschriften von Studenten gefunden, die Teilnehmer dieses Seminar waren. Diese Mitschriften und dieses Seminar waren der Ausgangspunkt für Fayes Recherchen, die ihn zu dem Ergebnis brachten, Heidegger habe den „Nazismus“ in die Philosophie eingeführt.
Ich zitiere nun die einzige Bezugnahme auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie in Band I von Denker und Zaborowski vollständig:
Im folgenden kann es nun nicht darum gehen, anhand der verfügbaren Mitschrift-Texte [zweier Studenten des Seminars über Hegels Rechtsphilosophie, die Faye entdeckt hatte; mw] über Verlauf und Inhalt des Seminars insgesamt zu berichten. Vielmehr ist es – auch aus Raumgründen [Band 1: 362 + Band 2: 476 Seiten; mw] – geboten, sich im wesentlichen darauf zu beschränken, über den Anteil Erik Wolfs an dieser Lehrveranstaltung zu informieren. Es ist indes unerläßlich, vorweg zu drei Punkten der Darstellung von Faye Stellung zu nehmen:
1. Wie schon Victor Farias mißt Emmanuel Faye Heideggers Mitgliedschaft in der Akademie für Deutsches Recht, speziell in deren „Ausschuß für | S. 333 Rechtsphilosophie“, erhebliches Gewicht bei und meint, Heidegger habe dort mindestens bis 1936 mitgearbeitet. Nun ist zwar richtig, daß Heidegger an der konstituierenden Sitzung des genannten Ausschusses, die vom 3.-5. Mai 1934 im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand, teilgenommen hat. Durchmustert man aber die offiziellen Berichte und Verlautbarungen der Akademie, so gewinnt man den Eindruck, daß der betreffende Ausschuß keine weitere Aktivität entfaltet hat. „It met only infrequently with no tangible result“, weiß Dennis L. Anderson zu berichten199. Offenbar verschwand der Ausschuß für Rechtsphilosophie stillschweigend von der Bildfläche. 1937 kam es statt dessen zur Gründung einer „Abteilung für Rechtsforschung“, bei deren Aktivitäten aber die Rechtsphilosophie keine Rolle spielte. Insgesamt bleibt zu betonen, daß der Name Heidegger in den offiziellen Listen der Mitglieder der Akademie nicht erscheint200. Letzteres gilt übrigens auch für Erik Wolf.
199 Dennis LeRoy Anderson, The Academy for German Law, 1933-1944, New York/London 1987, 347.
200 Siehe Jahrbuch Akademie für Deutsches Recht, 1. J. 1933/34, 252-258, und zum Ganzen – mit für den vorliegenden Zusammenhang negativem Ergebnis – Hans-Rainer Pichinot, Die Akademie für deutsches Recht. Aufbau und Entwicklung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft des Dritten Reiches, Diss. iur. Kiel 1981. Zur weiteren Klärung der Zusammenhänge, in denen Carl August Emge eine bedeutsame Rolle spielte, siehe auch Christian Tilitzki, „Der Rechtsphilosoph Carl August Emge. Vom Schüler Hermann Cohens zum Stellvertreter Hans Franks“, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 89 (2003), 459-496, hier einschlägig 484 f.
(Denker und Zaborowski, Heidegger und der Nationalsozialismus. Teil 1; 2009), S. 332 f.
Ich kommentiere der Reihe nach die Darstellung von Alexander Hollerbach, einem Schüler von Erik Wolf, in Denker&Zaborowski (2009):
- Die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie hat an nur an einem Tag, nämlich am 3. Mai 1934 in Weimar stattgefunden. Am 5. Mai 1934 fand ein Presseempfang der AfDR in Berlin statt.
- Mir ist nicht klar, ob Hollerbach behaupten möchte, dass er selbst „die offiziellen Berichte und Verlautbarungen der Akademie“ „durchmustert“ hat. Wenn er das getan haben sollte, hätten er vermutlich in einer Fußnote seine Leser darüber informiert, welche Veröffentlichungen der AfDR er eingesehen hat. Ich selbst habe die Veröffentlichungen der AfDR und anderer NS-Institutionen durchgesehen. Über meine Ergebnisse berichte ich in den Abschnitten 7 und 8.
- Es ist nicht richtig, dass Anderson berichtet, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie sich nur unregelmäßig und ohne greifbare Ergebnisse traf. Anderson gibt nur eine Behauptung von Julius Binder wieder.
- Die Wahl des Adjektivs „offenbar“ ist unangebracht, wenn eine Nicht-Berichterstattung fürs angeblich Offenbarte verantwortlich gemacht wird.
- Es ist nicht richtig, dass 1937 die Abteilung für Rechtsforschung an Stelle des Ausschusses für Rechtsphilosophie gegründet worden ist. Anderson hat das auch nicht behauptet. Anderson sprach von „merged into“.
- Die Behauptung von Hollerbach, dass bei den Aktivitäten der Abteilung für Rechtsforschung „die Rechtsphilosophie keine Rolle spielte“ ist unbelegt und höchstwahrscheinlich unbelegbar, da nicht alle Aktivitäten der Abteilung für Rechtsforschung dokumentiert worden sind.
- Obwohl Hollerbach sich auf Anderson bezieht, teilt er nicht mit, dass Anderson (1982/87) auf Seite 347 behauptet, einen Beleg dafür gefunden zu haben, dass „Heidigger“ und Carl Schmitt Mitte der 30-er Jahre Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen seien.
- Stattdessen teilt er nur mit, dass Heidegger kein Mitglied der AfDR gewesen ist. Er macht seine Leser aber nicht darauf aufmerksam, dass bei weitem nicht jedes Mitglied eines Ausschusses auch ordentliches Mitglied der AfDR gewesen ist.
- Vor allem aber teilt er seinen Lesern nicht mit, dass Anderson (1982/87) in seinem Appendix behauptet hat, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie bis 1943 existierte. Hätten er das seinen Lesern mitgeteilt, wäre seine Behauptung offenkundig unplausibel geworden, der Ausschuss für Rechtsphilosophie sei 1937 „stillschweigend von der Bildfläche verschwunden“.
Der erste Band von Denker und Zaborowski (2009) bietet demnach keine neuen Informationen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Wie Adlberger (2007) gibt Hollerbach (2009) an seine Leser die Information von Anderson (1982/87) nicht weiter, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie erst im Januar 1943 aufgelöst worden ist.
2.9.2. Virgilio Cesarone: Hans Frank und Heidegger trugen Anfang April 1936 in Rom vor
Bei der dürftigen Bezugnahme auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie in Band I hat es mich nicht überrascht, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie im gesamten Zweiten Band „Interpretation“ nicht ein einziges Mal erwähnt wird, obwohl in diesem Band insgesamt 26 Beiträge verschiedener Autoren versammelt sind. Nur ein Autor erwähnt beiläufig Hans Frank. Ich zitiere diese Bezugnahme:
Nun ist zu untersuchen, auf welche Resonanz Heideggers römischer Vortrag von Anfang April 1936 stieß. Wäre die Einladung an den ehemaligen Freiburger Rektor nicht nur ein übliches akademisches, sondern ein „politisches“ Ereignis gewesen, dann könnte man erwarten, dass die wichtigsten damaligen Zeitungen, der Mailänder Corriere della Sera und das römische II Giornale d ’Italia, darüber berichtet hätten. Beide Zeitungen informieren jedoch mit detaillierten Artikeln über einen anderen Vortrag in Rom, der von dem Justizminister und Vorsitzenden der „Akademie für Deutsches Recht“, Hans Frank, gehalten wurde.28 Informationen über Heidegger [so im Original; mw] Romaufenthalt kann man nur den Erinnerungen seines ehemaligen Schülers Karl Löwith entnehmen,29 der von einem „normalen“, d. h. überhaupt nicht institutionellen Aufenthalt erzählt. Nach dem ersten Vortrag entsprach Heidegger dem Wunsch, einige Tage später vor einem kleineren Kreis in der Bibliotheca Hertziana einen weiteren Vortrag zu halten. Am 8. April 1936 sprach er in Anwesenheit des deutschen Botschafters über Europa und die deutsche Philosophie.30 Bei diesem Vortrag durfte Löwith als Jude nicht anwesend sein.
28 Hans Frank legte am 3. April vor den wichtigsten Exponenten der faschistischen Partei „Die neue Richtung des deutschen Rechts“ dar. Gentile nahm an dieser Veranstaltung teil und hielt eine Einführungsrede. Die beiden Zeitungen berichteten in den folgenden Tagen darüber, dass der deutsche Justizminister Capri, Genua und Mailand besucht hatte. Sogar das Telegramm, mit dem Hans Frank sich nach der Heimkehr bedankte, fand Erwähnung. „II Giornale d’Italia“ kündigt am 1.4. einen Vortrag des Religionshistorikers Karl Kerenyi an der Universität Rom an; am 2.4. erscheint die gründliche Rezension eines Buches von Goebbels, aber von Heideggers Vortrag ist nicht die Rede.
29 Vgl. Karl Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 1933, Stuttgart 1986, 56-58.
30 Vgl. Martin Heidegger, „Europa und die deutsche Philosophie“, in: Hans-Helmuth Gander (Hrsg.), „Europa und die Philosophie“, Frankfurt am Main 1993, 31-41 . Manfred Riedel interpretiert diesen Vortrag Heideggers als Antwort auf Croces Kritik an der Rektoratsrede und als Zeichen einer neuen, auf Europa gerichteten, Aufmerksamkeit (vgl. Manfred Riedel, „Heideggers europäische Wendung“, in: Hans-Helmuth Gander [Hrsg.], „Europa und die Philosophie“, 43-66).
(Cesarone 2009), S. 278
Dass nicht nur Heidegger Anfang April 1936, sondern auch Hans Frank einen Vortrag in Rom hielt, ist ein bemerkenswertes Rechercheergebnis, dem weiter nachgegangen werden sollte. Ich selbst bin dieser Spur aus Zeitmangel noch nicht gefolgt. Mir ist aber aufgefallen, dass Andreas Koenen in seinem umfangreichen Buch über Carl Schmitt von 1995 nebenbei mitteilt, dass auch Carl Schmitt im April 1936 in Rom vortrug.[98] Vielleicht waren sogar weitere Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie im April 1936 in Rom. Eine Prüfung, ob das der Fall gewesen, könnte unser Wissen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie und seine Tätigkeiten erweitern.
Cesarone charakterisiert Hans Frank zweimal als „Justizminister“. Das ist 1936 nicht mehr richtig. Hans Frank war Reichsminister ohne Geschäftsbereich.
Da Hans Frank Reichsminister und Präsident der AfDR gewesen ist, war sein Besuch „politisch“ und „akademisch“. Cesarones Entgegensetzung von „akademisch“ zu „politisch“ passt nicht zu den Rängen Hans Franks, die er selbst angibt.
Dass man Informationen über Heideggers Romaufenthalt nur dem Bericht Löwith entnehmen könne, widerlegt Cesarone – erfreulicherweise – selbst, da Löwith das Datum des Vortrags Heideggers nicht mitteilt. Umgekehrt ist es nicht richtig, dass Löwith Heideggers Aufenthalt als „normal“ bezeichnet hat. Und selbst dann, wenn Löwith das getan hätte, folgt aus einer „Normalität“ ja nicht, dass der Aufenthalt „nicht institutionell gewesen“ ist. Löwith teilt mit, Heidegger habe seinen Vortrag über Hölderlin „im italienisch-deutschen Kulturinstitut“ gehalten. Ein „Kulturinstitut“ ist zumindest dem Anschein nach eine „Institution“.
2.10. Die Forschung zu Carl Schmitt weiß nichts über Carl Schmitts Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie
Anderson (1982/87) hat behauptet, dass gemäß einer Mitgliederliste, die sich in einer archivierten Akte der AfDR befindet, Carl Schmitt und Martin Heidegger gemeinsam Mitte der 30-er Jahre Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind.Pinter (1994) hat behauptet, dass der Name Carl Schmitts auf „einer“ Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie festgehalten sei, die sich in einer Akte befinde, die Emge über den Ausschuss für Rechtsphilosophie geführt habe. Günzel (2000) hat aufgrund derselben Akte ebenfalls behauptet, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sei. Tilitzki (2003) hat anhand eines Textes Emges, der im Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung 1935 erschienen ist, ebenfalls behauptet, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Nicht eine einzige Sekundärliteratur zu Carl Schmitt, die ich überprüft habe, informiert ihre Leser darüber, dass Carl Schmitt zu irgendeinem Zeitpunkt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gewesen ist.
2.10.1. Joseph W. Bendersky (1983) erwähnt den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht
Bendersky teilt 1983 in Carl Schmitt. Theorist of the Reich korrekt mit, dass Carl Schmitt Mitglied verschiedener Ausschüsse der AfDR gewesen ist.[99] Er erweckt dabei den Eindruck, dass er dieses Wissen durch eigene Sichtung der Akten der AfDR gewonnen hat:
With the office of Prussian state councillor and his association with Göring, who enjoyed playing patron to artists and intellectuals, Schmitt soon moved into other areas of Third Reich law. Nazi legal theoreticians had so far paid him little attention. Although he had received perhaps more publicity in legal journals than any other constitutionalist throughout the Weimar Republic, particularly during the crisis of 1932, the Nazi [journal; mw] Deutsches Recht had never mentioned his name.35 Now Schmitt seemed to attain some distinction in Nazi legal institutions, accepting membership in the recently organized Academy of German Law, serving on many │ S. 206 of its committees, and delivering lectures at its major conferences.36
35 Deutsches Recht, Monatsschrift des Bundes N-S Deutscher Juristen, ed. Hans Frank, Jg. 1-2 (1931-1932)
36 Akademie für Deutsches Recht, Records of Nazi Cultural and Research Institutes, U.S. National Archives, No. T-82, Roll 23, Serial 23, Reel 806.[100] See also Hermann Weinkauff, Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus: Ein Überblick, Teil 1 (Stuttgart, 1968), pp. 80-81.
(Bendersky 1983), S. 205
Trotz seines Wissens um Carl Schmitts Mitgliedschaft in der AfDR und ihren Ausschüssen zieht Bendersky folgende Bilanz über Carl Schmitts angeblich Einflusslosigkeit im »Dritten Reich«:
Publicity and titles notwithstanding, Schmitt had acquired neither great influence nor popularity within the party. Apart from his association with Göring and Hans Frank, the Nazi upper echelons were closed to him, a fact born out by the SS and Academy of German Law files.3 He had no contact with Goebbels, Hess, Himmler, or Alfred Rosenberg; and because Hitler despised intellectuals, Frank had warned Schmitt to avoid any possible contact with the Führer.4 „Besides, what would I say to him?“ Schmitt later said in jest. “I would have to sit him in a chair and deliver a lecture.“ Göring patronized Schmitt as a prominent jurist and member of the Prussian State Council, in the same way that he patronized certain artists. But though this relationship was crucial for Schmitt’s survival in the Third Reich, it never provided him with the opportunity to exert │ S. 221 influence.
3 Akademie für Deutsches Recht, Reichskanzlei (1933-1945), R-43-II, 1509; Schmitt File, Sicherheitsdienst des RFSS SD Hauptamt (1936), PA 651C, Wiener Library, London, copies in Institut für Zeitgeschichte, Munich, AKZ 4062/68, Fa 503, Nos. 1-2.
4 Carl Schmitt, Beantwortung der Frage: Wieweit haben Sie die theoretische Untermauerung der Hitlerschen Grossraumpolitik gefördert? Nuremberg, April 18, 1947, p. 2, Schmitt, Personal Papers.
(Bendersky 1983), S. 220
Dass Carl Schmitt u.a. zusammen mit Alfred Rosenberg Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, teilt Bendersky nicht mit. Da ich die Akte „No. T-82, Roll 23“ als solche nicht kenne, weiß ich nicht, ob Bendersky ein Wissen, über das er verfügte, seinen Lesern vorenthalten hat.
Benderskys Schlussfolgerung, dass Carl Schmitts Beziehungen zu Hans Frank und Göring zu keinem Zeitpunkt eine Gelegenheit für Schmitt bot, Einfluss auszuüben, ist jedenfalls nicht gerechtfertigt. Wer engen Kontakt zu Hans Frank und Hermann Göring hatte, hatte selbstverständlich Gelegenheit, Einfluss auszuüben.
Neben Hans Frank und Alfred Rosenberg erwähnt Bendersky von den Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Jahre 1941 bis 1943 noch Martin Heidegger und Viktor Bruns, aber in anderen Zusammenhängen.[101]
2.10.2. Bernd Rüthers (1989, 1990) erwähnt den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht
Das Buch von Bernd Rüthers über Carl Schmitt mit dem Titel Carl Schmitt im Dritten Reich. Wissenschaft als Zeitgeist-Verstärkung erschien in zwei Auflagen 1989 und 1990. In beiden Auflagen erwähnt Rüthers den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht ein einziges Mal. Er erwähnt nur die Mitgliedschaft Carl Schmitts in der AfDR. Dieser Mitgliedschaft schreibt Rüthers aber keine Bedeutung zu, da er die AfDR als „mehr dekorativ als mächtig“ charakterisiert. Diese Behauptung begründet und belegt Rüthers nicht.
Ich zitiere nun die drei Bezugnahmen Rüthers auf die AfDR. In den runden Klammern habe ich die Seitenangaben der Erstauflage angegeben.
Es geht daher im Folgenden auch um eine notwendige Vorklärung für eine realistische Sicht dieses umstrittenen │ S. 46 Autors in seiner Rolle als einer der führenden Staatsrechtler zu Beginn des Dritten Reiches. Die NS-Zeit gehört zum Zenith seiner akademischen Karriere und seiner rechtspolitischen Aktivitäten zwischen seinem 45. und 57. Lebensjahr. Er war Professor in Berlin, Preußischer Staatsrat, Herausgeber der Deutschen Juristenzeitung, Reichsgruppenwart der Reichsgruppe Hochschullehrer im NS-Rechtswahrerbund, Mitglied der Akademie für Deutsches Recht, Protegé von Göring und Hans Frank. Es geht also um eine – so oder so – fesselnde und (mindestens zeitweilig) politisch einflußreiche Person und einen wirkungsmächtigen Autor. Aber: Das alles sind Teilaspekte.
(Rüthers 1990), S. 45 f. (= S. 35 f.)
Wer so schrieb, hatte berufliche und politische Karriere-Chancen. Schmitt wurde noch 1933 von Köln an die damals angesehenste deutsche Universität in Berlin berufen. Göring berief ihn zum Preußischen Staatsrat. Er wurde als Vertrauter des Reichsrechtsführers Hans Frank Herausgeber der bedeutenden «Deutschen Juristenzeitung», Mitglied der Akademie für Deutsches Recht und «Reichsgruppenwalter» der «Reichsgruppe Hochschullehrer im NS-Rechtswahrerbund».
(Rüthers 1990), S. 81 (= S. 58)
Nach diesen beiden Erwähnungen der Tatsache, dass Carl Schmitt Mitglied der AfDR gewesen ist, stellt Rüthers die angebliche Entmachtung Carl Schmitts 1936 so dar:
Das gegen Schmitt verwendete Material erweist sich als Mischung aus den Aufsätzen W. Gurians in der Schweiz und aus den Vorwürfen seiner professoralen Karriere-Konkurrenten. Trotz einer Intervention Görings bei der SS, der sich schützend vor «seinen» (Preußischen) Staatsrat stellte,196 hatten die Angriffe in dem SS-Blatt [»Das Schwarze Korps«; mw] für Schmitts weitere Karriere nachhaltige Folgen. Seine Führungsposition als «Reichsgruppenwart» der Reichsgruppe Hochschullehrer im NSRWB mußte er noch im Dezember 1936 «aus gesundheitlichen Gründen» abgeben.197 Im selben Monat legte er – ebenfalls unfreiwillig – sein Amt als Her- │ S. 106 ausgeber der «Deutschen Juristenzeitung» nieder. Die schönfärberischen Presseerklärungen seines zweiten Protektors, des Reichsrechtsführers Hans Frank198 und seiner selbst199 täuschen nicht darüber hinweg, daß die sorgfältig vorbereiteten Angriffe seiner Gegner ihn aus allen politisch einflußreichen Funktionen verdrängt hatten. Er saß von einem Tag auf den anderen zwischen allen Stühlen der rivalisierenden NS-Oligarchie, soweit es um konkrete persönliche Einfluß- und Machtchancen ging. Seine Gönner und Protektoren (Göring und Frank) hatten ihn zwar persönlich vor Verfolgung bewahrt, politisch aber nicht halten können.
Aus einem gefeierten und gefürchteten Spitzenrepräsentanten der NS-Rechtshierarchie war über Nacht ein beinahe Ausgestoßener geworden. Lediglich seine (politisch unbedeutende) Mitgliedschaft und Mitarbeit in der mehr dekorativen als mächtigen «Akademie für Deutsches Recht» und sein Lehrstuhl in Berlin blieben ihm erhalten. Er wandte sich, nach dem Scheitern seines staatsrechtlichen Führungsehrgeizes, neuen Themenfeldern zu.
196 Vgl. J. W. Bendersky, Carl Schmitt, Theorist for the Reich, Princeton University Press 1983, S.241; G. Maschke, Zum «Leviathan» von Carl Schmitt, in: C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes – Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Köln 1982, S. 179 (192).
197 Mitteilungsblatt des NS-Rechtswahrerbundes 1936, 248
198 «Zum Abschluß», DJZ 1936, Sp. 1449.
199 «Schlußwort des Herausgebers», DJZ 1936, Sp. 1453.
(Rüthers 1990), S. 105 f. (= S. 79 f.)
Rüthers (1989, 1990) erwähnt weder Pichinots (1981) noch Andersons (1982/87) noch Hans Hattenhauers (1986) Texte über die AfDR. Er hätte die Texte Pichinots und Hattenhauers als Sekundär-Autoritäten für seine Behauptungen angeben könne, die AfDR sei „mehr dekorativ als mächtig“ gewesen.
Dass Rüthers den Ausschusses für Rechtsphilosophie in seiner Monographie über Carl Schmitt in den Jahren 1989 und 1990 nicht erwähnt, ist durchaus überraschend, da inzwischen Andersons Dissertation über die AfDR 1987 in einem renommierten Reihe herausragender Dissertationen verlegt worden war. Ebenfalls 1987 war Farías Buch über Heidegger im Original und 1989 in deutscher Übersetzung erschienen. Anders als im Fall der Dissertation von Anderson erwähnt Rüthers (1989) mehrfach Farías Buch. Da Farías aber nicht behauptet hat, dass Carl Schmitt, sondern „Staatsrat Schmidt“ Mitglied des Ausschuss für Rechtsphilosophie gewesen ist, musste Rüthers nicht annehmen, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Da mit „Staatsrat Schmidt“ aber auch Carl Schmitt hätte bezeichnet worden sein können, hätte Rüthers aber durch Lektüre von Farías Buch Anlass gehabt, den Sachverhalt zu überprüfen. Falls er das getan hat, hat er seine Leser nicht über seine Prüfung informiert.
2.10.3. Andreas Koenen (1995) erwähnt den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht
Die fast 1.000 Seiten lange Monographie von Andreas Koenen über Carl Schmitt trägt den Titel Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum »Kronjuristen des Dritten Reiches«. Sie ist 1995 veröffentlicht worden. 1994 ist sie von der Philosophischen Fakultät der Universität Münster als Dissertation angenommen worden. Erstgutachter ist Prof. Dr. Gerhard W. Wittkämper gewesen.
Koenen (1995) möchte nachzuweisen, dass Carl Schmitt ein konservativer Verteidiger des christlichen Abendlandes gewesen sei, der vorübergehend im Deckmantel eines Nationalsozialisten aufgetreten sei. Schmitt sei aber im letzten Quartal des Jahres 1936 durch die SS entmachtet worden. Ja, die gesamte Akademie für Deutsches Recht sei zum Ende des Jahres 1936 von der SS übernommen worden. Nachdem die Widersacher Carl Schmitt aus der SS, insbesondere Reinhard Höhn, seinerseits entmachtet worden seien, habe seit Anfang der 1940-er Jahre Alfred Rosenberg durch das Amt Rosenberg Carl Schmitt weiter klein gehalten.
Andreas Koenen erwähnt nicht ein einziges Mal den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Koenen kennt die beiden Texte von Pichinot und Hattenhauer zur AfDR. Er bezieht sich aber nicht auf die Monographie von Anderson über die AfDR, obwohl Hattenhauer sie erwähnt hat. Hätte Koenen die Dissertation von Anderson berücksichtigt, hätte er seinen Lesern mitteilen müssen, dass gemäß einer Primärquelle der AfDR Carl Schmitt und Martin Heidegger Mitte der 1930-er Jahre gemeinsam Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind.
Von den sehr umfangreichen Akten der AfDR, die das Bundesarchiv verwaltet, hat Koenen gemäß seines Quellenverzeichnisses folgende Akten berücksichtigt: R 61 (Akademie für Deutsches Recht), Nr. 3, 5, 64, 78, 80, 84, 88, 104. Die Akte Nr. 30, in der ich die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie des Zeitraums 1941 bis 1943 gefunden habe, erwähnt Koenen nicht.
2.10.3.1. Koenen berichtet über Kontakte Schmitts, Kisch und Bruns vor 1933
Koenen präsentiert interessante Informationen über frühe Kontakte zwischen den Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie Carl Schmitt, Wilhelm Kisch und Viktor Bruns, die ich gleich ausführlicher zitieren werde.
Dass Carl Schmitt auch Erich Jung lange vor und nach 1933 kannte, erwähnt Koenen nicht. Ernst Heymann und Erich Rothacker werden von Koenen jeweils nur zweimal beiläufig erwähnt. Max Mikorey wird nicht erwähnt.
Emge wird von Koenen ebenfalls nur beiläufig erwähnt: In einem Briefwechsel zwischen dem Herausgeber der Zeitschrift Der Ring und Carl Schmitt beziehen sich beide 1934 auf Emge. Ich zitiere das, da die Bezugnahmen auf Emge den Eindruck erwecken, dass Carl Schmitt Emge noch im November 1934 kaum kannte. Dieser Eindruck wird aber von einem Dritten, dem Herausgeber der Zeitschrift „Ring“, Heinrich von Gleichen, zuerst erweckt. Es können sehr viele Gründe ausgedacht werden, weshalb Carl Schmitt den Herausgeber nicht darüber informierte, dass er und Emge sich über die AfDR und den Ausschuss für Rechtsphilosophie näher kannten.[102]
Aber nicht nur Schmitt, sondern auch der „Ring“, der nach der vermeintlich konservativen Revolution nicht weniger vom Geist Carl Schmitts getragen war als zuvor – auch noch im November 1934 bekannte die Zeitschrift sich mit einem Bild Schmitts auf der Titelseite und dem bezeichnenden, mit diesem abgesprochenen Unterschrift „Der neue Staat und sein Recht“86 zu dieser Verbindung – , […]
86 Heft 47/1934 („Der Wirtschafts-Ring“). Nachdem die Einzelheiten zuvor mit „Ring“ Mitarbeitern telefonisch abgesprochen worden waren, hatte sich der Herausgeber der „konservativen Wochenschrift“, HEINRICH VON GLEICHEN, am 20.11.1934 mit der Bitte um die Abdruckgenehmigung für das Foto an SCHMITT gewandt und auf dessen Anfrage nach einem dazugehörigen Untertitel geantwortet: „Ich begrüsse sehr, dass ich Ihr Bild im nächsten Heft bringen darf […] Außer der im Druck vorgesehenen Bezeichnung: Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt wollte ich wie aus der Anlage ersichtlich unterzeichnen: ,Der neue Staat und sein Recht‘. Ich hoffe Sie damit ganz einverstanden. Sehr begrüssen würde ich, wenn wir uns gelegentlich einmal Wiedersehen würden. Mein alter Freund Emge hat mir wiederholt erzählt, dass er sich über das gedeihliche Zusammenarbeiten mit Ihnen freut. Darf ich Gelegenheit nehmen, Ihnen zu Ihrer geschichtlich so bedeutungsvollen Mitarbeit am neuen Staat und seinem Recht meine aufrichtigen Glückwünsche zu sagen. In der Hoffnung auf baldiges Wiedersehen…“. Schmitt antwortete darauf am 24.11.1934, ohne auf den vorgeschlagenen Untertitel einzugehen: „Hoffentlich ist das Bild von mir passabel. Ich habe mich sehr darüber gefreut, daß Sie sich meiner erinnern und würde mich noch mehr freuen, wenn wir uns gelegentlich Wiedersehen würden. Herr Emge war leider immer nur 1 oder 1 1/2 Tage der Woche in Berlin; hoffentlich siedelt er bald über. Es wäre besonders schön, wenn wir uns dann einmal zu Dritt unterhalten könnten.“ Beide Briefe befinden sich in HStA D/RW 265[103]-472; dort ist auch die Antwort V.GLEICHENS vom 11.12.1934 auf Schmitts Brief vom 24.11.1934 vorhanden, in der V.GLEICHEN den Termin für ein Treffen zwischen Emge, v. Gleichen und Schmitt für den 14.01.1935 bestätigte. – In diesem ,,Ring“-Heft befand sich des weiteren auch ein Bericht über SCHMITTS Schrift „Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches“ (1934SZ): Heft 47/1934, S.684f.
(Koenen 1995), S. 616
Koenen berichtet folgendes über die AfDR, Wilhelm Kisch und Carl Schmitt:
Soeben erst zum Staatsrat ernannt, fuhr Schmitt nun zur Klärung der Lage nach München, was er Ahlmann verabredungsgemäß mitteilte7, und erklärte dort dem Dekan der Juristischen Fakultät, Geheimrat Wilhelm Kisch, bei dem er schon in Straßburg studiert hatte8, daß er aufgrund seiner „Dankespflicht“ Preußen gegenüber wenn überhaupt nur dann den Ruf nach München annehmen könne, wenn Göring sich rückhaltlos mit der Erfüllung des Münchener Begehrens einverstanden erkläre. Erwartungsgemäß wandte sich Hans Frank daraufhin an den Preußischen Ministerpräsidenten und bat diesen, den Wechsel Schmitts, der „zur Zeit als eine der ersten staatsrechtlichen Autoritäten des Nationalsozialismus anzusprechen“ sei, zu befürworten und damit München, den vorläufigen Sitz der Akademie für Deutsches Recht, zu stärken.9 │ S. 451
Das Interesse Bayerns setzte Preußen unter Druck. Schmitt jedoch konnte diese Situation nur recht sein, denn vor dem Hintergrund des Machtkampfes zwischen dem Berliner Regierungszentrum und der Münchener Parteizentrale rückte die Verwirklichung seines höchsten beruflichen Zieles – ein Lehrstuhl an der Berliner Universität – immer näher10.
6 Schmitt an Ahlmann vom 25.06.1933 (HStAD/RW 265-398).
7 Vgl. ebd.
8 In einem Brief an Schmitt schrieb Wilhelm Kisch, daß er „stolz“ darauf sei, Schmitt „als Schüler wenigstens in dem Sinne ansehen zu dürfen“, daß SCHMITT bei ihm „die eine oder andere Vorlesung gehört“ habe (KISCH an Schmitt vom 18.12.1934; HStAD/RW 265-93).
9 Hans Frank an Hermann Göring vom 29.08.1933 (GHStA/Rep. 90, Nr. 1767, B1.323f.; der Brief ist teilw. abgedruckt in: Tommissen 1988a, S.87). Hans Frank schickte SCHMITT einen Durchschlag des Briefes an GÖRING und fügte ihm gegenüber hinzu: „Ich hoffe, mit diesem Schreiben in Ihrem Sinne gehandelt zu haben“ (FRANK an SCHMITT vom 29.08.1933 {HStAD/RW 265-398}).
10 SCHMITTS Antwort vom 04.09.1933 an RUSTS Ministerialrat JOHANN DANIEL ACHELIS (1898-1963) auf dessen Schreiben vom 01.09.1933 (beide Briefe in: HStAD/RW 265- 398): „Ich empfinde diese Berufung auf einen Berliner Lehrstuhl als die höchste Auszeichnung, die mir in meinem Beruf zu teil werden kann.
(Koenen 1995), S. 450 f.
Es gibt eine zweite Bezugnahme Koenens auf Wilhelm Kisch und Carl Schmitt. Ich zitiere auch diese:
│ S. 501 […] Wer aber sollte die „Lücke“ füllen und die „Tradition der Staatsrechtslehrervereinigung mit den durch die Zeitverhältnisse bedingten Änderungen“ fortführen: intensiv bemühte sich zum einen der BNSDJ, der als Vorkämpfer der „Bewegung“ alle übrigen juristischen Vereinigungen ersetzen und integrieren wollte, zum anderen die Akademie für deutsches Recht (AfDR)246, die ebenfalls Ansprüche auf eine Übernahme der renommierten Staatsrechtslehrervereinigung erhob. […]
246 Zur Geschichte der AfDR vgl. Pichinot 1981; Hattenhauer 1986
Die von Hans Frank als Präsident geführte Akademie mit Sitz in München, der es in besonderem Maße um Einfluß auf die Gesetzgebung ging, hatte sich nicht nur bereits sehr frühzeitig um die Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer, sondern auch um Carl Schmitt, einen ihrer führenden Exponenten, bemüht. Der stellvertretende Präsident Wilhelm Kisch, Gründungsmitglied und staatsrechtlicher Lehrer sowohl Franks als auch Schmitts, hatte nicht nur – wenn auch vergeblich – versucht, den „Kronjuristen“ an die Münchener Universität zu locken, sondern │ S. 502 auch alles daran gesetzt, Schmitt in der AfDR zu verankern250 – und das mit Erfolg251. Schmitt gehörte neben Reichsjustizminister Franz Gürtner, Popitz und BNSDJ-Geschäftsführer Wilhelm Heuber zum „Führerrat“, dem Präsidium der Akademie, und leitete zudem als Vorsitzender den Ausschuß für Staats- und Verwaltungsrecht.252
250 So bedankte sich WILHELM KISCH am 29.12.1933 mit folgenden Worten bei SCHMITT für die Übersendung von „Staat, Bewegung, Volk“: „Die Lektüre Ihrer bedeutsamen Ausführungen war mir, wie die jeder Ihrer Schriften, ein wahrhaft hoher Genuss. Ihre, dem Inhalte nach zwingend eindrucksvollen, zugleich aber auch in klassische Prägungen gekleideten Darlegungen stellen geradezu eine grundlegende programmatische Kundgebung dar, die in der deutschen Juristenwelt und weit darüber hinaus die Aufmerksamkeit finden wird, wie jeder Aeusserung des führenden Publizisten unseres neuen Staates gebührt. Durch sie wird die Stimme der Wissenschaft zur rechtlichen Formung des neuen Staates in wesentlicher Weise beitragen. Und Etwas von der dankbaren Anerkennung, die Sie finden werden, wird zurückstrahlen auf die Akademie, die stolz ist, Sie zu ihren Mitgliedern zu zählen.“ KISCH beendete den Brief mit dem Ausdruck der „Hoffnung, in dieser Organisation noch recht lange mit Ihnen Seite an Seite wirken und kämpfen zu dürfen“ (HStAD/RW 265- 421; Hervorh. A.K.)
251 Vgl. u.a. den Vortrag Schmitts gleich auf der ersten Arbeitstagung am 05.11.1933 über die „Neugestaltung des öffentlichen Rechts“ (1933/34a). Dazu hieß es in einem ausführlichen „DJZ“-Bericht des Oberlandesgerichtspräsidenten a.D., Staatsrat KARL Meyer (zu ihm vgl. oben S.223, und unten S.566), u.a.: „Er gab die Richtlinien für die Aufgliederung und Bearbeitung dieses umfangreichen und wichtigen Rechtsgebietes innerhalb der Akademie“ (Meyer 1933b, Sp.1532).
252 Schmitts Einfluß zeigte sich auch in der Rezeption seiner Formel vom „totalen Staat“. „Die Aufgaben, die des Juristen im neuen Staate harren, sind ungewöhnlich bedeutsam“, hieß es in einem Typoskript über „Die Aufgaben der Akademie für Deutsches Recht“. „Wie der totale Staat das Ziel hat, in der begeisterten Hingabe jedes Deutschen verwurzelt zu sein, so muss auch die Rechtsordnung dieses Staates den Volksgenossen näher gebracht werden“ (BA/R 61 Nr. 5, Bl. 8 ff. {9}; vgl. auch das Typoskript über die „Dogmatische Behandlung des nationalsozialistischen Staatsrechtes“, in dem der Begriff des „totalen Staates“ auf seine Brauchbarkeit geprüft wurde {BA/R 61 Nr. 104, Bl.5 ff.}. -„Ebenso hohe wie berechtigte Erwartungen“ brachte die Akademie dem von SCHMITT geleiteten Ausschuß für Staats- und Verwaltungsrecht entgegen, der sich als erstes Problem „das Recht der öffentlichen Körperschaften vornehmen [werde], welches wohl für das künftige Schicksal der Selbstverwaltung wie auch für den ständischen Aufbau schwierige und bedeutsame Einzelfragen aufwirft“ (BA/R 61 Nr.5, Bl. 28).
(Koenen 1995), S. 501 f.
Im nächsten Druckabsatz berichtet Koenen dann folgendes über einen Kontakt Carl Schmitts mit Viktor Bruns aus der Zeit vor 1933:
Kaum daß Schmitt in die Reichshauptstadt zurückgekehrt war, setzte die in personeller Hinsicht mit der Berliner Universität und der AfDR eng verbundene Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) alle Hebel in Bewegung, um den nun an der renommierten Friedrich-Wilhelms-Universität lehrenden Schmitt auch für den erlesenen Juristen-Kreis des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zu gewinnen253. Nachdem Schmitt dann am 15. November 1933 auf │ S. 503 Vorschlag des Institutsdirektors Victor Bruns254 auch tatsächlich vom Institutskuratorium mit Wirkung zum 1. Dezember 1933 zum wissenschaftlichen Berater gewählt worden war und niemand anders als der mit Schmitt – ebenso wie Bruns – längst bekannte Kuratoriumsvorsitzende Friedrich Saemisch den Vertrag unterschrieben hatte, konnte Schmitt nun auch im Berliner Schloß, in dem das Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht residierte, an die Stelle rücken, die bis dahin Erich Kaufmann innegehabt hatte.255
253 Zur Geschichte der KWG im „Dritten Reich“ vgl. Henning/Kazemi 1988, S.69 ff., sowie die Beiträge von H. Albrecht und A. Hermann in dem von Vierhaus und Brocke herausgegebenen Sammelband (1990). Im Hinblick auf das „Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“ (KWI), dem Schmitt als wissenschaftlicher Berater angehörte, vgl. die Tätigkeitsberichte der KWG. Darüber hinaus sei auf die Personalakte Schmitts verwiesen, deren Daten ich der freundlichen Mitteilung von DR. MARION KAZEMI vom Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft (Schreiben vom 13.12.1989 und vom 19.01.1990 an den Verf.) entnehme. – Zur Funktion des KWI: „Die Arbeitsmöglichkeiten des Institutes haben neben der Förderung zahlreicher wissenschaftlicher Aufgaben in immer wachsendem Maße dazu geführt“, so heißt es in einer Gedenkschrift aus dem Jahre 1936, „daß es zur Erstattung von Denkschriften und Gutachten und zur Ausarbeitung von Materialzusammenstellungen von zahlreichen Reichs- und Länderministerien, Parteidienststellen, Behörden und Gerichten ersucht wurde. Dazu hat sich in den letzten Jahren seine Mitarbeit im Völkerrechtsausschuß der Akademie für Deutsches Recht gesellt,“ (M. Planck 1936, S. 139). – Der Institutsdirektor Viktor Bruns wurde zum Mitglied der Akademie für Deutsches Recht und zum Vorsitzenden des Ausschusses für Völkerrecht ernannt.
254 Zur Beziehung zwischen Victor BRUNS und Schmitt in der Weimarer Republik vgl. oben S.97.[104]
255 Am 21.06.1937 wurde die Institution des „wissenschaftlichen Beraters“ per Senatsbeschluß in die des „Wissenschaftlichen Mitgliedes“ umgewandelt (so auch bei SCHMITT). Zu den „Wissenschaftlichen Beratern“ gehörten auch Rudolf Smend (später als auswärtiges „Wiss. Mitglied“) und Heinrich Triepel. Eine Neuberufung Schmitts in die 1948 gegründete Max-Planck-Gesellschaft erfolgte nicht.
(Koenen 1995), S. 502 f.
Da Koenen nichts über den Ausschuss für Rechtsphilosophie mitteilt, zieht Koenen auch keinen Schlüsse aus den von ihm präsentierten Informationen über Kontakte Carl Schmitts mit Wilhelm Kisch und Viktor Bruns.
Ich zitiere im Weiteren einige Passagen aus Koenens Buch, aus denen das Darstellungsziel Koenens erkennbar wird. Koenens Darstellungsziel wird durch meine Archivfunde unerreichbar: da Carl Schmitt noch nach dem 17. Juli 1941 bis in den Januar 1943 unter Hans Frank zusammen mit Alfred Rosenberg Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie unter der Präsidentschaft Otto Thieracks gewesen ist, ist es nicht richtig, dass Carl Schmitt im letzten Quartal 1936 seinen politischen Einfluss im Dritten Reich andauernd verloren hat.
Dass Koenens Kontrast zwischen Christentum und Rassismus keine relevante Teilmengenbildung erlaubt, belegt übrigens bereits das 25-Punkte Programm der NSDAP vom Februar 1920. In Punkt 24 verpflichtet sich die NSDAP ausdrücklich „den Standpunkt des positiven Christentums“ zu vertreten.
2.10.3.2. Die SS übernahm 1936 die AfDR und entmachtete Carl Schmitt
Ich beginne mit Zitaten aus Koenen (1995):
Letztlich waren die Artikel im „Schwarzen Korps“ aber nicht nur gegen Carl Schmitt, sondern auch an die Adresse zweier führender Nationalsozialisten gerichtet, die noch immer an dem „Kronjuristen“ festhielten, jedoch alleinig die Macht hatten, den konservativen Revolutionär im Gewande des Nationalsozialisten seiner Ämter zu entheben: Reichs- │ S. 737 rechtsführer Hans Frank und der Preußische Ministerpräsident Hermann Göring.
Bei ersterem war den Plänen der SS entgegengekommen, daß dieser mit seiner „Akademie für Deutsches Recht“ auf neue Bündnispartner angewiesen war, nachdem alle bisherigen Versuche, an der Ausarbeitung von Gesetzesvorhaben beteiligt zu werden, gescheitert waren.
In diese Situation hinein hatte der mächtige Heinrich Himmler – Himmler war gerade erst zum Chef der deutschen Polizei ernannt worden – sein Angebot unterbreitet, mit Franks „Dienerin des nationalsozialistischen Rechtswollens“, so der Präsident über das Wesen der von ihm 1933 gegründeten Einrichtung477, zusammenzuarbeiten. Räumlich betrachtet waren die Voraussetzungen mehr als günstig, da Frank erst im Jahr zuvor für die Akademie ein im „überladenen Barockstil“478 der achtziger Jahre gehaltenes Patrizierhaus am Leipziger Platz erstanden, aufwendig renoviert479 und sich damit zwischen die im nördlichen Teil der Wilhelmstraße gelegene Ministerialverwaltung und den in ihrem südlichen Teil sich ausbreitenden „Prinz-Albrecht-Komplex“480 begeben hatte, die Schaltzentrale der SS, die sich mehr und mehr zum heimlichen Regierungszentrum zu entwickeln begonnen hatte.
477 Hans Frank im Eröffnungsheft der „Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht“ vom Juni 1934 (S. 1).
478 Pichinot 1981, S.58.
479 Vgl. a.a.O., S.57ff. Nach „anerkennenswertem Entgegenkommen“ der von der – mittlerweile im Ausland lebenden – Eigentümerin eingesetzten Treuhandgesellschaft hinsichtlich des Kaufpreises hatte die AfDR das Gebäude nach einem Zwangsvollstreckungsurteil des Berliner Amtsgerichts (vom 07.06.1935) für 1,25 Millionen Reichsmark erwerben können (vgl. a.a.O. 1981, S.58).
480 Vgl. hierzu oben S.701.
Auf der konstituierenden Sitzung des Ausschusses für Polizeirecht der „Akademie für Deutsches Recht“ am 11. Oktober 1936481 war das neue Bündnis offensichtlich geworden: Eingerahmt von den schwarzen Uniformen von Reichsführer-SS, SS-Oberführer Werner Best als Ausschußvorsitzendem, SS-Obersturmbannführer Reinhard Höhn als dessen Stellvertreter, SS-Standartenführer Wilhelm Stuckart und SD-Chef Reinhard Heydrich war Frank als Präsident der Akademie nur noch Galionsfigur des unter der „Akademie“-Flagge operierenden SS- „Schlachtschiffes“. […]│ S. 738 […]484
481 Zwischen FRANKS „Haus der Akademie des Deutschen Rechts“ und dem „Prinz-Albrecht-Komplex“ lag lediglich noch der von Göring beherrschte Gebäudekomplex (vgl. unten S.752f.).
[…]
484 Himmler 1936, S. 12. – Daß diese Ausschußsitzung den Auftakt zur Besetzung der AfDR durch die SS darstellte, wird, wohl nicht zuletzt aufgrund fehlender Berücksichtigung der Quellen (vgl. FN 493[105]), bis heute übersehen: zuletzt von Gruchmann 1988 (S.562) und Neliba 1992 (S.263), ganz zu schweigen von der Dissertation Pichinots (ders. 1981) über die Geschichte der AfDR, der HIMMLERS Ansprache überhaupt nicht berücksichtigt, obwohl sie in dem ihm bekannten Werk von Bracher/Schulz/Sauer (Bd. 2.: Schulz 1974, S.371, 550) schon erwähnt worden ist.
(Koenen 1995), S. 736-738
Nach allem, was ich bisher weiß, ist der Kontrast, den Koenen zwischen Himmler und Frank machen möchte, nicht gerechtfertigt. Hans Frank ist im Vergleich zu Heinrich Himmler nicht bemerkenswert harmloser gewesen. Auch nicht 1936.
Wichtiger ist, dass Koenen mit seinen Hinweisen auf den Ausschuss für Polizeirecht die Forschungsmeinung widerlegt, dass die AfDR eine Akademie eines nach 1933 bald entmachteten Hans Frank mit einem Häuflein Professoren gewesen sei. Das war die AfDR sicherlich nicht. Pichinot und Hattenhauer haben absichtlich das Bild der Akademie für Deutsches Recht weich gezeichnet. Ausdrücklich macht Koenen (1995) in der Fußnote 484 seine Leser auf eine Verharmlosung der AfDR durch Pichinot (1981) aufmerksam.
Im weiteren Verlauf argumentiert Koenen dafür, dass bis zum Ende des Jahres 1936 die SS erfolgreich die AfDR übernommen habe und dass die Entmachtung des Konservativen Carl Schmitt, der kein Nationalsozialist gewesen sei, ein letzter Erfolg in dieser Übernahme der AfDR durch die SS gewesen sei.
Mit seinen Ämtern in NSRB und [in der; mw] AfDR verlor Schmitt auch „seine“ „DJZ“, die ihr Erscheinen im Zuge der von Frank als „notwendig erkannten Neuformierung des gesamten juristischen Zeitschriftenwesens“513 mit Heft 24 für immer einstellte. „Ihre Aufgaben werden in Zukunft von der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht mit übernommen“, hieß es abschließend lapidar in einem kurzem „Dankwort“ des Beck-Verlages, der mit keinem Wort erwähnte, daß er den Verlust der „DJZ“ durch die gleichzeitige Übernahme der „Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht“ für sich hatte ausgleichen können514.
513 Frank: „Zum Abschluß“ („DJZ“ 1936, Sp. 1449 ff.)
514 Vgl. „DJZ“ 1936, Sp. 1511 f, und NSRB-Mitteilungsblatt 1937, S.14. Bis dahin war die Akademie-Zeitschrift vom Münchner J. Schweitzer-Verlag verlegt worden.
(Koenen 1995), S. 743
Koenen (1995) hat nicht gewusst, dass Carl Schmitt noch 1941 bis 1943 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Es ist nicht richtig, dass Carl Schmitt 1936 alle seine Ämter in der AfDR verloren hat.
2.10.3.3. Ab 1940 drohte Carl Schmitt von Alfred Rosenberg und dem „Amt Rosenberg“ Gefahr
Im letzten Teil seiner Darstellung betont Koenen, dass Carl Schmitt nach seiner angeblichen Entmachtung durch die SS im letzten Quartal des Jahres 1936 entmachtet blieb. Es habe zwar ab 1937 einige Rezeptionserfolge von neuen völkerrechtlichen Schriften Schmitts durch Nationalsozialisten gegeben. Ab den frühen 1940-er Jahren habe aber Alfred Rosenberg dafür gesorgt, dass Carl Schmitt keinen politischen Einfluss ausüben konnte.
Die Begründung für diese Behauptung ist sehr dünn, ja eigentlich gar nicht vorhanden. Hier war sehr wahrscheinlich ein bloßer Wunsch Vater des Gedankens. Wer, wie Andreas Koenen, einen Dualismus zwischen dem konservativen Christen Carl Schmitt und dem biologischen Rassisten, Neuheiden und Feind des römischen Katholizismus Alfred Rosenberg vertreten möchte und wer nach einem Widersacher für den völkerrechtlichen Großraumlehrer Carl Schmitt nach 1937 sucht, der hofft auf Alfred Rosenbergs Macht.
Da Schmitt und Rosenberg nach Ernennung Rosenbergs zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete am 17. Juli 1941 gemeinsam Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind, ist es aber nicht richtig, dass Alfred Rosenberg ab 1940 die Rolle des mächtigen Widersachers Carl Schmitts ausübte.
Ich zitiere nun Koenen:
Daß es dem 1936 vermeintlich „kaltgestellten“ „Reaktionär“ Carl Schmitt doch tatsächlich wieder gelungen war, erneut von sich reden zu machen – dieses Mal im Hinblick auf die Mitgestaltung der „konkreten Ordnung ,Völkerrechtsgemeinschaft‘“306 –, begegnete man im „Prinz-Albrecht-Komplex“ mit großem Argwohn. Noch immer galt das von Schmitt zugrundegelegte Christentum dort – mehr denn je – als Widersacher des zu schaffenden germanischen Reiches, womit es ganz offenkundig der dort anvisierten völkischen Großraumtheorie entgegenstand, die nicht am Abendland, sondern an der „biologischen Substanz“ der Völker als dem bestimmenden Faktor dieses „Großraumes“ orientiert war307. Schon während der Recherchen zum „Fall Carl Schmitt“ hatte der SD zwar bereits ein mögliches Ausweichmanöver Carl Schmitts vom staatsrechtlichen auf völkerrechtliches Gebiet gefürchtet und dabei mißtrauisch die Vorbereitungen zur Gründung eines deutsch-italienischen Völkerrechtsinstituts registriert308. Da ihm der abendländisch-reichstheologische Schlüssel zu Schmitts Person und │ S. 817 Werk jedoch verborgen geblieben war, hatte man die wahre Bedeutung dieses Positionswechsels verkannt und ihn lediglich als Ausweis des auch in anderer Hinsicht vermeintlich nachweisbaren Opportunismus interpretiert309.
306 1939 GO, S.77.
307 Für HITLER war Europa kein christlich-kulturell bedingter, kein geographischer, sondern ein „blutsmäßig bedingter Begriff“ (so HITLER in seinen „Monologen im Führerhauptquartier“; ders. 1980, S.55 {08.-11.08.1941}; zu HITLERS rassebiologischem Europa-Begriff, der „Biologisierung“ des „Großraum“-Begriffs, der „biologischen Monroe-Doktrin“ sowie dem nationalsozialistischen Eroberungsdrang vgl. Kluke 1955, S.264 f.; 272 ff; Loock 1960; Gruchmann 1962). Zu der damit eng verbundenen Propaganda „Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus“ sowie der manipulativen Absicht, die mit der Propaganda für ein europäisches Zusammenstehen gegen diesen Weltfeind verfolgt wurde, vgl. Boog 1991, S.1081 ff.; zu den Europa-Konzepten von SS und NSDAP vgl. darüber hinaus Gruchmann 1962, S.80 ff, und Ackermann 1970.
308 Vgl. oben FN 92.
309 „Nachdem der Staatsrat Carl Schmitt aus der Akademie für Deutsches Recht und nunmehr auch aus dem Rechtswahrerbund ausgeschaltet ist, glaubt er bereits neue Betätigungsmöglichkeiten erkannt zu haben.“ So hatte es in einem SD-Bericht vom Dezember 1936 geheißen. „Nachdem schon vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass er sich in Zukunft besonders mit völkerrechtlichen Fragen befassen will … wird dies neuerdings bestätigt durch eine Meldung aus seiner nächsten Umgebung. Er plant neuerdings ein Völkerrechtsinstitut zusammen mit dem berühmten italienischen Völkerrechtsprofessor Costa Magna in Rom, der die besondere Gunst Mussolinis geniesst. Schmitt hat ihn bei seiner vor einiger Zeit durchgeführten Reise nach Rom kennen gelernt, und zwar über den Zweigstellenleiter des Deutsch-Akademischen Austauschdienstes in Rom, Blahut. Blahut ist zwar Träger des goldenen Parteiabzeichens, ist aber Katholik und wird als ein Vertreter der katholischen Kirche bezeichnet. Blahut war vorgestern abend zusammen mit dem Zweigstellenleiter des Deutsch-Akademischen Austauschdienstes in Madrid, Adams bei Carl Schmitt zu Gast. Schmitt kennt Adams von einer früheren Reise nach Madrid. Schmitt will seinen Plan auf dem Wege verwirklichen, dass er erneut eine Reise nach Rom macht, wo Blahut ihn über Costa Magna einen erneuten Besuch beim Duce vermitteln soll. Auf diese Weise (vielleicht schon früher) soll dann das geplante Institut Wirklichkeit werden. Dieses Institut soll die Völkerrechtsfragen im italienisch-deutschen Sinne gegen Genf, Locarno, Versailles, die Auffassung der Westmächte in der Abessinienfrage usw. behandeln. Es handelt sich hier wieder um einen ganz raffinierten Plan Carl Schmitts. Nachdem er sieht, dass er innenpolitisch aus der Gestaltung des nationalsozialistischen Rechtslebens in jeder Weise ausgeschaltet ist, sucht er sich jetzt ein neues Betätigungsfeld, durch das er seine völlige Kaltstellung vermeiden möchte und evtl. wieder neuen Auftrieb zu bekommen hofft“ (BA/R 58 Nr. 854, B1.88f.; die Hervorh. der Namen ist nicht berücksichtigt; vgl. auch a.a.O., S.281, sowie oben FN 92).
Um so ärgerlicher war es für die SS-Führer, daß sie nun eingestehen mußten, daß es dem konservativen Rivalen im richtigen Augenblick trotz aller Vorkehrung gelungen war, den von ihm eingeführten Begriff des „Großraums“ – zumindest zeitweilig – zu besetzen310 und darüber hinaus mit dem Hinweis auf die amerikanische „Monroe-Doktrin“ das verbale Instrumentarium der nationalsozialistischen Europapolitik – Hitler und Ribbentrop hatten ausdrücklich von einer „deutschen Monroe-Doktrin“ für Europa gesprochen – zu prägen311.
310 Zur dominierenden Bedeutung SCHMITTS bei der Begriffsbildung des „Großraums“ vgl. Hedemann 1941; Höhn 1941, S.260 f., sowie Gruchmann 1962, S. 11 ff. (jeweils mwN).
311 Daß man lediglich Begriffliches von Schmitts und nicht auch dessen Positionen übernommen hatte, man darüber hinaus mit dem Urheber der Begriffe auch nicht in Zusammenhang gebracht werden wollte, hatte sich bereits am 28. April 1939, kurz nach Schmitts Vortrag in Kiel (vgl. oben S.795) gezeigt, als am Abend dieses Tages, an dem HITLER in seiner an den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt gerichteten Reichstagsrede – bezogen auf die „Monroe-Doktrin“ – „die gleiche Doktrin … für Europa, auf alle Fälle aber für den Bereich und die Belange des Großdeutschen Reiches“ gefordert hatte, Hans Frank bei Schmitt anrief und diesen darauf hinwies, daß „der Führer …. die Originalität seiner eigenen Gedanken und Ausführungen in dieser Rede“ schätze (vgl. Kaiser 1968, S. 543; Bendersky 1983, S.258 f. {jeweils mwN}; zum Einfluß Schmitts auf die Formel von der „deutschen Monroe-Doktrin“ für Europa vgl. bes. Gruchmann 1962, S. 11 ff). Darüber hinaus hatte Schmitt bereits in seiner ersten Ausgabe von 1939 GO ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er „nicht eine .deutsche Monroedoktrin‘ vorschlagen, sondern nur den berechtigten Kerngedanken der ursprünglich Monroe-Botschaft freimachen“ wolle (a.a.O., S.35 f.).
│ S. 818 Zu Beginn der 40er Jahre drohte Schmitt nun jedoch weniger Gefahr von seiten des SD – Höhn war wie Best312 und Eckhardt mittlerweile selbst entmachtet worden313 – , sondern vielmehr von Alfred Rosenberg, der sich seit 1934 bemüht hatte, den Einfluß des „Kronjuristen“ zunichte zu machen314. Rosenberg hatte seine auf einem gut funktionierenden Überwachungsapparat basierende Macht mittlerweile immer weiter ausbauen können. Auch das „Amt Rosenberg“ hatte sich in seinem vertraulichen Informationsdienst – die „Mitteilungen zur weltanschaulichen Lage“315 – mit dem „Fall Carl Schmitt“ befaßt, das jedoch zu einem Zeitpunkt, als der „Fall“ andererorts bereits zu den Akten gelegt worden war.
312 Vgl. FN 186.
313 Vgl. Heiber 1966, S.874 f. 934 ff.
314 Vgl. oben S.517 ff.
315 „Mitteilungen zur weltanschaulichen Lage. Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehung der NSDAP“ vom 08.01.1937 (u.a. in IfZ/MA 603 sowie – mit Einleitung und kommentierenden Anmerkungen – veröffentlicht von G. Maschke 1988c[106]); vgl. auch den Artikel des NSDAP-Reichsamtsleiters, Gustav Berger, in der „Bücherkunde“, dem Organ der „Dienststelle für Schrifttumspflege bei dem Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP und der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums“ (ders. 1939; zur Person BERGERS vgl. Quaritsch 1991, S.15).
(Koenen 1995), S. 816-818
Als Beleg für die Behauptung, dass das Amt Rosenberg noch gegen Carl Schmitt tätig war, nachdem der „Fall Carl Schmitt“ „andererorts“ – bei der SS – zu den Akten gelegt worden war, verweist Koenen in der Fußnote 315 auf eine Mitteilung Rosenbergs vom 8. Januar 1937. Das ist gegebenenfalls richtig, aber irreführend, da die SS ihre Akte über den Fall Schmitt ja nur wenige Tage vorher geschlossen hat. Vor allem belegt die ggf. dokumentierte Zeitfolge um den Jahreswechsel 1937 nicht, dass zu Beginn der 40-er Jahre Carl Schmitt von Alfred Rosenberg und dem Amt Rosenberg Gefahr drohte. Wenn ich nichts überlesen habe, liefert Koenen auch auf den Folgeseiten keinen Beleg für seine Behauptung über die „frühen 40-er Jahre“. Falls Koenen tatsächlich keinen Beleg für die „frühen 40-er Jahre“ hat, dann handelt es sich eindeutig um einen Fall von „Wunschdenken“.
2.10.3.4. Andres Koenen im Nachwort über Heidegger und Schmitt: Der Atheist Heidegger vs. der christliche Reichstheologe Carl Schmitt
Nachdem Koenen eine Feindschaft zwischen Alfred Rosenberg und Carl Schmitt ab 1940 konstatiert hat, benutzt er denselben Kontrast, um zumindest eine Gegnerschaft zwischen Martin Heidegger und Carl Schmitt zu behaupten, die bereits im August 1933 von Seiten Schmitts wirksam gewesen sei. Koenens Beleg für diese Behauptung ist erneut zu schwach:
Koenen führt als Beleg eine Behauptung Carl Schmitts an, dass Heideggers Existentialismus atheistisch sei. Diese Behauptung Schmitts stammt – frühestens– vom 11. Januar 1948. Ob Carl Schmitt im August 1933 dieser Meinung gewesen ist, belegt Koenen nicht. Selbst dann, wenn belegt werden würde, dass Carl Schmitt Heideggers Existentialismus im August 1933 für atheistisch gehalten hat, folgt daraus nicht, dass Carl Schmitt sich deshalb der erbetenen Zusammenarbeit mit dem Rektor Heidegger, Juristische Fakultäten von innen her neu aufzubauen, nicht anschloss. Es folgt nicht einmal, dass Carl Schmitt sich dieser Zusammenarbeit nicht anschloss. Als spätere Mitglieder des Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR haben Heidegger und Schmitt u.a. auch an einer Neuausrichtung der Juristischen Fakultäten mitgewirkt. In Unterabschnitt 7.9.2. belege ich, dass solche „Neuausrichtungen“ Aufgabe des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind.
Vorab möchte noch auf Koenens Hinweise auf Martin Grimm und Karl Vossler hinweisen. Sie sind interessant, auch weil sie seiner eigenen Kontrastierung zwischen Schmitt und Heidegger entgegenstehen. Wie bereits erwähnt, hat Faye (2005/09) nachgewiesen, dass sich Heidegger vor 1934 intensiver ideologisch mit Carl Schmitt befasst hatte.
Ich zitiere nun Koenen:
Nachvollziehbar wird nun [nach Koenens Sichtbarmachung der reichstheologischen Achillesferse Carl Schmitts; mw] auch, warum sich an Martin Heideggers Brief vom 22. August 1933, in dem dieser seinen Kölner Kollegen zur „entscheidenden Mitarbeit“ aufgerufen hatte, wenn es gelte, „die juristische Fakultät im Ganzen nach ihrer wissenschaftlichen und erzieherischen Ausrichtung von Innen her neu aufzubauen“14, nicht die von dem für Schmitt „zutiefst atheistischen“15 Freiburger Philosophen erhoffte Zusammenarbeit anschloß. Denn auch wenn damals die „merkwürdige Verwandtschaft“16 zwischen Schmitt und Heidegger bereits gesehen und vor ihnen als den „beiden geistigen Katastrophen des │ S. 832 neuen Deutschland“ gewarnt worden war17: Heidegger zählte nicht zu den „legitimen Erben“ Moeller van den Brucks, des mehr als nur „eher zufälligen Namensgebers des NS-Staates“18 [Koenen meint, Moeller van den Brucks habe den Namen „Drittes Reich“ geprägt; mw], war niemals „Kronphilosoph“ des „Dritten Reiches“ und wollte es – nach heutigem Forschungsstand – auch niemals werden.
14 Heidegger hatte Schmitt am 22.08.1933 u.a. folgendes geschrieben: „Heute möchte ich Ihnen nur sagen, daß ich sehr auf Ihre entscheidende Mitarbeit hoffe, wenn es gilt, die juristische Fakultät im Ganzen nach ihrer wissenschaftlichen und erzieherischen Ausrichtung von Innen her neu aufzubauen. Hier ist es leider sehr trostlos. Die Sammlung der geistigen Kräfte, die das Kommende heraufführen sollen, wird immer dringender. Für heute schließe ich mit freundlichen Grüßen. Heil Hitler! Ihr Heidegger“ (HStAD/RW 265-400). – Auf dem im NL existierenden Original dieses Briefes befindet sich das Konzept von Schmitts Antwort vom 27.08.1933, die weder bisher voll entziffert werden konnte noch sich als fertiger Brief im NL Heideggers befindet. Der Brief Heideggers an Schmitt ist der vermutlich bekannteste des Nachlasses, der durch einen Lesefehler des Amerikaners J. Bendersky noch „verdoppelt“ wurde: seinen Angaben zufolge soll es neben dem vom 22.08.1933 im NL noch einen weiteren Brief vom 22.04.1933 geben, was aber nicht zutrifft. – Abgedruckt ist der Heidegger-Brief u.a. in „Telos“ Nr. 72 (Summer 1987), S. 132, sowie im ,,FAZ-Magazin“ vom 08.01.1988, S. 15. Erwähnt wird der Brief auch von Bendersky 1979, S. 314; ders. 1983, S. 203; Rüthers 1990, S. 24; v. Waldstein 1989, S.214; Lauermann 1990, S.126, und H . Meier im „Spiegel“ (ders. 1991, S.171).[107]
15 Im „Glossarium“ schrieb Schmitt: ,,L’ existentialisme de Heidegger avec toutes se derivations est profondement atheiste“ (1991G, S. 80). [Der Existenzialismus von Heidegger mit all seinen Ableitungen ist zutiefst atheistisch; mw]
16 Diese hatte Martin Grimm in seinem „Ring“-Beitrag zur „Politischen Theologie“ bereits 1930 entdeckt (ders. 1930, S. 904)[108]
17 So schrieb Karl Vossler am 25.08.1933 aus Spanien an Benedetto Croce: „Heidegger und neben ihm Carl Schmitt, Verfasser öffentlichrechtlicher und staatsrechtlicher Schriften und bis zu einem gewissen Grade Schüler von George Sorel, entpuppen sich als die beiden geistigen Katastrophen des neuen Deutschland, Schmitt scheint mir sogar noch gefährlicher“ (Briefwechsel 1955, S.343).[109]
18 So aber Reichel 1991, S.73.
(Koenen 1995), S. 831-832
Aus der rückblickenden Distanzierung des christlichen Reichstheologen Carl Schmitt vom atheistischen Existentialisten Heidegger des Jahres 1948 folgert Koenen, dass die Gemeinsamkeit zwischen den Fällen Heidegger und Schmitt geringer als angenommen ausfalle. Da beide nachweislich über viele Jahre hinweg Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren, Koenen das aber nicht wusste, ist spätestens jetzt erkennbar, dass seine Datenbasis für seine Behauptungen nicht ausreicht.
Insofern hat sich die Bedeutung der Gemeinsamkeiten zwischen dem „Fall Heidegger“ und dem „Fall Schmitt“ als zwei „exemplarischen Fällen“ von „Schreibtischtätern“ und Intellektuellen im Nationalsozialismus verringert, ebenso wie die paradigmatische Bedeutung des „Falles Carl Schmitt“ im Hinblick auf den „furchtbaren“19 Juristen20 und Staatsrechtler Schmitt. Denn sein „Fall“ ist vor allem der Fall des konservativen Revolutionärs, sein Schicksal unauflösbar mit dem Scheitern der Konservativen Revolution, letztlich mit der verhängnisvollen Entwicklung des „Dritten Reiches“ insgesamt verknüpft.
19 I. Müller 1989.
20 Den „exemplarischen Fall“ des Juristen hat vor allem immer wieder Bernd Rüthers herauszuarbeiten versucht. So spricht er beispielsweise in seiner Schrift „Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich“ von Schmitts „möglicherweise für erhebliche Teile der damaligen Rechtswissenschaft exemplarischen Um- und Irrwegen“ (ders. 1989a, S. 159)
(Koenen 1995), S. 832
Koenens Meinung, nicht der Jurist, sondern der Reichstheologe und konservative Theologe Carl Schmitt sei 1933 in die Irre gegangen, überzeugt mich nicht. Auch weil sie mich zu sehr an die vielen Versuche erinnert, Heideggers Philosophie von Heideggers Engagement für den Nationalsozialismus zu trennen.
2.10.3.5. Die geistige Intimität des konservativen Revolutionärs Hans Freyer mit Carl Schmitt
Schließen möchte ich meine Skizze des Buches von Koenen (1995) mit dessen emphatischer Darstellung des Verhältnisses von Carl Schmitt und Hans Freyer. Hans Freyer habe Carl Schmitt verstanden – so wie Koenen Carl Schmitt verstehe.
[…] Die wohl bedeutendste dieser Besprechungen war die Hans Freyers über Schmitts „Positionen und Begriffe“, einer Aufsatzsammlung, die 1940 bei der HAVA – der Hamburger Verlag hatte sich offenbar an seinen einstigen Bündnispartner erinnert – erschienen war und alle wesentlichen „Reichs“-Artikel enthielt, die Schmitt in den vorangegangenen │ S. 793 mehr als zehn Jahren veröffentlicht hatte: angefangen vom Barcelona-Vortrag über die Kölner Antrittsvorlesung, die Steding-Besprechung bis zu den Arbeiten zum Begriff des „Reiches“, die Schmitt Ende der 30er Jahre verfaßt hatte.
Die besondere Bedeutung dieser Rezension lag darin, daß Freyer – als bewußter konservativer Revolutionär ebenfalls in Rohans „Kulturbund“ engagiert169 und auch nach seinem Wechsel von Leipzig nach Budapest im Jahre 1938 noch immer Kontakt zu Schmitt haltend170 – offenbar um das reichstheologische Fundament Carl Schmitts wußte: Der Begriff „Reich“ sei das „Ziel … , auf das hin sich die einzelnen Stücke des Buches zur Einheit zusammenschließen“171. „Von Jahr zu Jahr … – das tritt durch den verkürzten Maßstab, in dem die Aufsatzsammlung den Zeitraum von 1923 bis 1939 darbietet, anschaulich hervor – wächst das Denken, wachsen die einzelnen Begriffe ins Positive hinein. Bis in den inneren Rhythmus des Carl Schmittschen │ S. 794 Denkens hinein ist die Wandlung zu spüren. Aus dem „dezisionistischen“ Denken, das immer auf die anstehenden Entscheidungen … und auf die realiter entscheidenden Instanzen … hindrängt, hebt sich schrittweise – durch viele Vorausdeutungen vorbereitet – ein ,konkretes Ordnungsdenken‘ heraus. Ein solches wäre unmöglich oder gefährlich gewesen, solange in der politischen Wirklichkeit ,konkrete Unordnung‘ tatsächlich herrschte; es wird möglich in dem Grade, wie eine deutsche Ordnung geschaffen worden ist und eine europäische sich anbahnt; es wird notwendig, wenn … ,die Sonne des Reichsbegriffs aufgeht‘. Mit dem Wirklichwerden des Reichs tritt das Politische in eine neue Phase; es darf und muß nun in neuer Weise gedacht werden. […] Carl Schmitts Werk ist … nicht Krisenliteratur, sondern in allen seinen Stücken das Gegenteil davon, weil es in entschiedener Richtung durch die Krise hindurch- und zu der neuen Ordnung der Zukunft hinüberführt. Ab integro nascitur ordo: Dieses Wort steht zweimal an betonter Stelle, so daß es beinahe wie ein verschwiegenes Motto des Werkes wirkt. Das Integre ist nicht das Primitive, erst recht nicht das Einfältige; es ist (objektiv gesehen) dasjenige, was geschichtliche Substanz in sich hat, und (subjektiv gesehen) dasjenige, was aus natürlichen Quellen die sittliche Kraft aufbringt, diese Substanz in der Wirklichkeit zu bewähren.“172
169 Vgl. oben S.772 (FN 48) sowie den „ER“-Bericht über Freyers Vortrag auf der 9. Jahrestagung des „Kulturbundes“ in Budapest (ders. 1934), gehalten am 04.01.1934: „Karl Anton Rohan, der Gründer und Generalsekretär des Verbandes, begründete … in einer kurzen Ansprache die Wahl des Themas und deutete dessen innere Problematik an, indem er auf die Tatsache hinwies, daß die Überlieferung des 19. Jahrhunderts noch bis vor kurzem Revolution gegen ältere Mächte und Traditionen war, während die Revolution der Gegenwart, wenigstens in ihrer antimaterialistischen Prägung, ihrerseits wieder an älteste europäische Traditionen anknüpfe, weshalb wir mit Recht von einer ,konservativen Revolution‘ zu sprechen pflegten. ,Beide Aspekte weisen auf den Tatbestand hin, der den einzigartigen Charakter dieser Revolution des 20. Jahrhunderts ausmacht, daß sie nämlich, indem sie jung und leidenschaftlich in die Zukunft stürmt, altes und ältestes Erbgut Europas als Element der Neugestaltung wieder lebendig macht.“ Mit diesem Prolog waren dem Thema die weitesten Grenzen gesteckt worden, innerhalb derer nun zunächst der Vortrag Prof. Freyers meisterhaft den deutschen Standort bezeichnete“ („ER“ 1934, S. 100; Hervorh. A.K.). In seinem Vortrag hatte Freyer als „verbindendes Glied“ zwischen dem „echten Revolutionär“ und dem „echten Konservativen“ den „Glauben an die unverbrüchliche Kraft des Anfangs“ vorgebracht, der sie zu „Verbündeten sowohl gegen die liberale Welt wie gegen die Restauration“ mache. „In dem revolutionären Willen, der uns heute beseelt, fühlen wir in neuer Form die Kräfte wirksam werden, aus denen seit Jahrtausenden unsere Geschichte geschehen ist. So neu die Aufgabe sein mag, so lebendig fühlen wir die Kontinuität mit den alten Formen unseres Reiches. Das ist nicht Historismus. Das ist auch nicht bloß historisches Bewußtsein. Sondern das ist lebendige Tradition: existentielle Verankerung des gegenwärtigen Lebens in den Ursprüngen seiner selbst“ (Freyer 1934, S.73f.). Zum Reichs-Ideologen FREYER vgl. auch oben S.179 f.
170 So holte FREYER seinen Kollegen beispielsweise am 05.11.1943 anläßlich einer Vortragsreise nach Ungarn (vom 09.11. bis 11.11.1943) in Budapest ab und verbrachte offenbar mehrere Tage mit ihm vor Beginn der Vortragsreise (vgl. Schmitts Reisebericht in: HUB/Schm 159a II, Bl. 74 ff.[110]).
171 Freyer 1940, S.265.
(Koenen 1995), S. 793 f.
Wie ich in Teil IV zeigen werde, wirkten Hans Freyer und Carl Schmitt 1943 und 1944 in Budapest so zusammen, dass man ihr Tun so beschreiben kann, dass sie den Morgen des neuen Reichs durch eine Vernichtungstat am Abend des NS-Staates erzwingen wollten.
2.10.4. Dirk Blasius (2001) und (2009) erwähnt den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht
2001 erschien eine 250 Seiten lange Monographie von Dirk Blasius über Carl Schmitt mit dem Titel Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich. In ihr wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht erwähnt. Die Akademie für deutsches Recht wird nur beiläufig erwähnt. Blasius folgt der Darstellung von Andres Koenen aus dem Jahr 1995, ohne die Texte von Pichinot, Anderson und Hattenhauer über die AfDR oder Viktor Farías Buch über Heidegger oder die drei Texte von Pinter (1994), Günzel (2000) oder Tilitzki (2003) über Emge auch nur ein einziges Mal zu erwähnen.
Ich zitiere das Wenige, das Blasius über Carl Schmitt und die AfDR zu berichten weiß:
Im Sommer 1933 trat Schmitt dem 1928 gegründeten »Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen« (BNSDJ) bei, der Fachorganisation der NSDAP, die auf dem Juristentag 1936 in den »National-Sozialistischen Rechtswahrer-Bund« (NSRB) umbenannt wurde.3 Hans Frank, der Reichsrechtsführer, berief Schmitt noch 1933 in den »Führerrat« des BNSDJ, ernannte ihn zum Reichsfachgruppenleiter der Fachgruppe Hochschullehrer, übertrug ihm in dieser Funktion ab 1. Januar 1934 die Herausgabe der »Deutschen Juristen-Zeitung« und machte ihn 1935 zum Leiter der »Wissenschaftlichen Abteilung« des nationalsozialistischen Juristenbundes. Der BNSDJ war für Schmitt »eine Art Hausmacht«; keine das Rechtsleben betreffende Entscheidung lief an ihm vorbei; es gab kein Gremium, in dem er nicht vertreten war. So gehörte Schmitt auch dem »Führerrat« der im Juni 1933 von Frank ins Leben gerufenen »Akademie für Deutsches Recht« (AfDR) an und leitete als Vorsitzender den Ausschuß für Staatsund Verwaltungsrecht.4
3 Koenen, S. 499, Anm. 238.
4 Ebd., S. 502; Schmoeckel, Ortung und Ordnung, S. 37
(Blasius 2001), S. 72
Auch die Darstellung der angeblichen Entmachtung Carl Schmitts durch die SS im letzten Quartal des Jahres 1936 übernimmt Blasius von Andreas Koenen:
Frank wollte Schmitt aus persönlichen und politischen Gründen halten. Seine Charakterisierung Schmitts erfaßt präzise die historische Rolle, die dieser in den Anfangsjahren des Nationalsozialismus spielte. Für die SS freilich zählten Argumente, mochten sie auch noch so zutreffend sein, nicht. Sie hatte die Oberhoheit über die Machtstrukturen im »Dritten Reich« und machte Carl Schmitt als Störfaktor aus. Frank wußte, daß er gegen Himmler keine Chance hatte. Er sandte eine Abschrift seines an d’Alquen gerichteten Briefes dem Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei zu und vermerkte in einem handschriftlichen Zusatz: »Ich habe Staatsrat Schmitt ohnedies zum 1. Januar aller Ämter enthoben!«77 Am 5. Januar 1937 bestätigte Himmler Franks Meldung. Er wisse wohl zu würdigen, so schrieb er, daß Frank »einen langjährigen engen Mitarbeiter in der Öffentlichkeit nicht angreifen lassen« wolle, im übrigen aber sei er der Ansicht des »Schwarzen Korps«.78
Carl Schmitt verlor seine Ämter im NS-Rechtswahrerbund und seine Mitgliedschaft im Führerrat der Akademie für Deutsches Recht. Die »Deutsche Juristen-Zeitung«, der Schmitt als Herausgeber seinen Stempel aufgedrückt hatte, wurde eingestellt. Ihre Aufgaben übernahm die Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht. Im NSRB-»Mitteilungsblatt« stand am 15. Dezember 1936 die Notiz, Schmitt habe den Reichsrechtsführer aus »gesundheitlichen Gründen« gebeten, »ihn aus seinen Ämtern im NSRB zu entlassen«.79
77 Bundesarchiv, R 58, Nr. 854, S. 69.
78 Ebd., S. 68.
79 Vgl. Koenen, S. 743.
(Blasius 2001), S. 175
Blasius schließt seine Darstellung des einflussreichen Carl Schmitts so:
Politische Ambitionen, die er gehabt haben mag, hatten die in den Ämtern der SS sitzenden Gegner Schmitts durchkreuzt. Der Titel eines Preußischen Staatsrats freilich sicherte Carl Schmitt die Weiterführung seiner wissenschaftlichen Existenz. Seine engsten Mitarbeiter, zu denen Eberhard von Medern als Referent der NSRB-Reichsfachgruppe Hochschullehrer gehörte, blieben ihm verbunden und hielten für ihn die relevanten juristischen Publikationsorgane, etwa die Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht oder die zur AfDR-Vierteljahresschrift umgestaltete Deutsche Rechtswissenschaft, offen.88 Carl Schmitt hatte die deutschen Juristen an den NS-Staat herangeführt und sie für die Durchführung seiner Weltanschauungspolitik gewinnen können. Das wurde ihm auch weiterhin als Verdienst angerechnet. In einer Gemeinschaftspublikation der Reichsgruppen des NS-Rechtswahrerbundes blickte von Medern 1939 auf fünf erfolgreiche Jahre zurück.89 Noch niemals │ S. 180 habe »der Rechtslehrer eine so weitgehende Möglichkeit der Mitarbeit an der Gestaltung des Rechtslebens des Volkes besessen.« Carl Schmitt nutzte bis 1936 sämtliche Möglichkeiten der Einflußnahme auf das nationalsozialistische Staatsleben. Auch stellte er seine Fähigkeiten als Rechtslehrer bereitwillig zur Verfügung, wenn es um die rassistische Modellierung des »Volkskörpers« ging. Nach dem Verlust seiner Funktionen im NS-Staat freilich griff Schmitt neue Inhalte auf. Er entwickelte in den Jahren 1937 und 1938 Positionen, die nicht unbedingt Spiegelbilder nationalsozialistischer Herrschaftsideologie waren; auch führte er nicht mehr die Sprache, derer sich von Medern noch 1939 bediente. Dieser feierte in seinem Rückblick die Judentagung vom Herbst 1936 als Kampftag gegen das Judentum in der Rechtswissenschaft. »Der Einfluß des Judentums, der jahrzehntelang durch tausend seiner Kanäle in das deutsche Rechts- und Wirtschaftsleben eindringen konnte«, habe aufgedeckt und bekämpft werden müssen, »da man es hier mit einem ungeheuren Netz von Tarnungen zu tun hat, die sich auch noch heute in der gefährlichsten Weise auswirken.«90
88 Vgl. Koenen, S.750f.
89 Eberhard von Medem, Hochschullehrer und Rechtsstand, in: Der Deutsche Rechtsstand. Eine Gemeinschaftsarbeit der Reichsgruppen des NS-Rechtswahrerbundes, hg. v. der Wissenschaftlichen Abteilung des NS-Rechtswahrerbundes, Berlin 1939, S. 316-326; hier zitiert nach Koenen, S. 750 f., Anm. 558
90 Ebd., von Medem, S. 322
(Blasius 2001), S. 179 f.
Der Eberhard von Medem, der noch 1939 seinem Judenhass öffentlich Ausdruck verlieh, ist übrigens dieselbe Person, wie der Eberhard von Medem, der das „Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947 – 1951“ nach Carl Schmitts Tod im Jahre 1991 als Herausgeber veröffentlicht hat. Postume Veröffentlichungen sind grundsätzlich weniger zuverlässig als Veröffentlichungen zu Lebzeiten von Autoren. Bei Autoren, die im Verdacht stehen, an Verbrechen als Autoren beteiligt gewesen zu sein, gilt das verstärkt. Wenn dann noch die Herausgeber körperliche oder geistige Verwandte des verstorbenen Autors sind, ist ein noch größerer Grad an Skepsis bezüglich der Authentizität der veröffentlichten Texte geboten. Wenn noch dazu Jahrzehnte zwischen den etwaigen Taten oder/und dem angeblichen Entstehungszeitpunkten der angeblichen Primärtexte und der postumen Veröffentlichung vergangen sind, ist die Skepsis noch einmal zu erhöhen.
Im folgenden Kapitel über die Großraumlehre Carl Schmitts erwähnt Blasius die AfDR nicht mehr.
Von den Ausschussmitgliedern des Zeitraums 1941 bis 1943 erwähnt Blasius beiläufig einmal Hans Freyer (S. 208) und Alfred Rosenberg. Die Erwähnung von Hans Freyer ist uninteressant: Schmitt habe sich notiert, dass er u.a. mit Hans Freyer über Lorenz von Stein gesprochen habe (Blasius 2001, S. 208). Die Erwähnung Alfred Rosenbergs ist hingegen interessant. Ich zitiere:
Das politische Vorleben des Preußischen Staatsrats Schmitt sowie die aktuellen Vorbehalte, auf die er stieß, boten ein umfangreiches Material, das man im Spiel um Macht und Einfluß einsetzen konnte. 1936 hatte sich zudem der »Weltanschauungskampf« gegen die katholische Kirche verschärft. Sonderkommandos der Geheimen Staatspolizei gingen gegen Priester und katholische Ordensangehörige vor, um, wie es der Parteiideologe Alfred Rosenberg formulierte, eine »Atmosphäre« zu schaffen, in der die Menschen einen Bogen um alles Katholische machen.73 Ohne jegliches stichhaltige Verdachtsmoment wurden katholische Geistliche in rund 250 Sittlichkeitsprozesse verwickelt. Dieser ebenso gewalttätige wie spektakuläre »Propagandafeldzug« gegen die Kirche sollte deren Autorität untergraben und eine »innerkirchliche Loyalitätskrise« hervorrufen.74
73 Vgl. Thamer, S. 442 f. [Thamer, Hans-Ulrich, Verführung und Gewalt. Deutschland 1933- 1945, Berlin 1986; mw]
74 Hockerts, S. 218 f. [Hockerts, Hans Günter, Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester 1936/1937. Eine Studie zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik und zum Kirchenkampf, Mainz 1971; mw]
(Blasius 2001), S. 173
In meinem Bericht über Koenens Schmitt-Buch habe ich deutlich gemacht, dass Koenens Behauptung, ab 1940 habe Carl Schmitt von Seiten Alfred Rosenbergs und seines Amtes Gefahr gedroht, schlecht belegt worden ist. Vielleicht ist das auch Blasius aufgefallen. Ersatzweise behauptet Koenen, dass ab 1936 Alfred Rosenberg den Weltanschauungskampf gegen die katholische Kirche verschärft habe. Das ist richtig. Der Anteil von Katholiken im Ausschuss für Rechtsphilosophie ist aber nicht klein. Auch müssen die „Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester“ in den Jahren 1936/37 nicht per se ungerechtfertigt sein, wie die Skandale der letzten 20 Jahre gezeigt haben.
Dass Dirk Blasius Max Mikorey nicht erwähnt, ist bedauerlich. Mich hat das nicht überrascht, da ich bereits zuvor festgestellt hatte, dass Blasius in seinem Buch von 1994 „»Einfache Seelenstörung«. Geschichte der deutschen Psychiatrie 1800-1945“ Mikorey nicht erwähnt hat.[111]
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Dirk Blasius auch in seinem zweiten Buch über Carl Schmitt aus dem Jahr 2009 den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht ein einziges Mal erwähnt hat.[112]
2.10.5. Reinhard Mehring (2009) erwähnt den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht, obwohl er Pinters Dissertation erwähnt
Auch Reinhard Mehring erwähnt in seiner Biographie Carl Schmitt. Aufstieg und Fall von 2009 den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht ein einziges Mal.
Mit Carl Schmitts Beziehung zu Hans Frank und der AfDR befasst sich Mehring in einem eigenen Unterabschnitt mit dem Titel „Hans Frank (1900-1946) und die «Akademie für Deutsches Recht»“, der drei Seiten lang ist. Der Gesamttext umfasst 578 Seiten.
Ich beginne meinen Bericht über Mehrings Schmitt-Biographie mit seiner Darstellung der angeblichen Distanzierung Schmitts vom Nationalsozialismus, die laut Mehring werkgeschichtlich bereits Ende 1934 erfolgt sei. Mehring schließt sich der Sekundärmeinung an, dass Schmitt Ende 1936 politisch entmachtet worden sei.
2.10.5.1. Mehrings Darstellung der angeblichen Distanzierung Carl Schmitts vom Nationalsozialismus zwischen 1934 und 1936
In seiner Schmitt-Biographie befasst sich Mehring ausführlicher als die anderen Sekundärliteraten, die ich bereits vorgestellt habe, mit rechtsphilosophischen Motiven Carl Schmitts. Darauf werde ich kurz zum Ende meines Berichts über Mehrings Schmitt-Biographie eingehen.
Der vermeintliche Gewinn der Berücksichtigung der gesamten Werkgeschichte Schmitts ist eine Vordatierung des Zeitpunkts, zu dem »das Werk Schmitts« sich angeblich distanziert habe. Mehring kommt zu dem Ergebnis, dass Schmitt bereits Ende 1934 mit seinem rechtstheoretischen Latein am Ende gewesen sei. Ab 1935 gäbe es keine Schrift Schmitts mehr, in der er eine „juristisch-institutionelle Sinngebung“ des „Normalzustandes“ des NS-Staates betrieben habe. Nach dem 30. Juni 1934 habe Schmitt gemeint, sich in einer „apokalyptisch-endgeschichtlichen Lage“ zu befinden. Diese Einschätzung habe ihn dazu bewegt, zu einer antisemitischen Rechtfertigung der Gewalt – vermutlich des deutschen Staates und Reiches gegen Menschen jüdischen Herkommens in Europa – überzugehen. Ich zitiere:
4. Die antisemitische Sinngebung
Rechtstheoretische Neuansätze
Anfang 1934 rekapituliert Schmitt ein Jahr nationalsozialistischer Verfassung noch zuversichtlich. Doch während Huber sich dann auf den Weg der Ausarbeitung einer nationalsozialistischen Verfassungslehre macht – vom «Staatsoberhaupt» und dem «Sinn» der Verfassung bis zum «Grundriss»1 treibt Schmitt die Disjunktion von Gesetzes- und Gerechtigkeitsstaat auf die Spitze des «unmittelbar gerechten Staates». Dieser Staat ist ein totalitärer Leviathan. Der Abbau wird zum Rechtsprinzip.2 Die Krise des Werkes wird meist mit einer Gefährdungslage 1936 verbunden, zeigt sich aber schon früher und ist Ende 1934 bereits mit dem «unmittelbar gerechten Staat» markiert. Die Zeit der Programmschriften ist vorbei. Schmitt publiziert bis 1938 keine Monographie mehr und zieht sich auch aus der Analyse der innenpolitischen «Verfassungslage» zurück. Nach dem 30. Juni 1934 wäre für ihn nun der Zeitpunkt gewesen, seinen Abschied vom Nationalsozialismus zu nehmen. Seine Hoffnungen auf eine größere verfassungspolitische Wirksamkeit als «Staatsrat» waren mit der Institution verklungen. Seine Initiative der Schaffung eines «Führerrats» wurde gar nicht erst diskutiert. Der Nationalsozialismus hatte sich vor aller │ S. 359 Welt als Gewaltherrschaft gezeigt. Der Versuch, ihn in einen Normalzustand zu heben, war gescheitert. Auch Schmitt bezweifelt nun die «Verfassungsfähigkeit» des Nationalsozialismus und zieht sich aus der juristisch-institutionellen Sinngebung zurück. Doch er zieht die falsche Konsequenz. Nachdem sein Einfluss über Göring erlahmt ist, könnte er nun auch seinen Abschied von Hans Frank nehmen und dem bösen Spuk seines nationalsozialistischen Engagements ein Ende bereiten. Seine Kollaboration wäre damit zwar länger und einflussreicher gewesen als etwa Heideggers Belastung als Rektor der Freiburger Universität, aber doch ein erkennbar bereuter Irrtum, dem man einige gute Absichten zubilligen konnte. Zwar lässt sich aus einer Räuberbande nicht beliebig aussteigen: Ein Rückzug auf die Rolle des Gelehrten wäre dennoch damals vermutlich irgendwie möglich gewesen. Fast schwerer noch als die Entscheidung für den Nationalsozialismus nach dem 23. März 1933 wiegt deshalb das fortdauernde Engagement nach dem 30. Juni 1934 trotz Einsicht in den Gewalt- und Ausnahmecharakter des «Systems». Jenseits des Normalzustands sieht Schmitt sich in einer apokalyptisch-endgeschichtlichen Lage und geht von der juristisch-institutionellen Sinngebung zu einer antisemitischen Rechtfertigung der Gewalt über. Seine gegenrevolutionäre «Entscheidungsschlacht» führt er dabei nicht mehr, wie in Weimar, primär mit dem längst zerschlagenen Marxismus und Anarchismus, sondern er interpretiert das Szenario nun offen antisemitisch als «Kampf gegen den jüdischen Geist». Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt ganz auf der organisatorischen Intervention. Bis Ende 1936 wird er zu einem politischen Wanderredner an der Seite Hans Franks. Die biographischen Zeugnisse dieser Jahre sind spärlicher. Schmitts stenographische Terminkalender sind zwar von 1934 bis 1945 (und darüber hinaus bis in die 70er Jahre) fast lückenlos erhalten; die Tagebücher brechen aber ab.3 Die Korrespondenzen mit Huber, Forsthoff und Jünger versickern. Schmitt taucht jenseits der Universität in die Funktionärsclique ab.
1 Ernst Rudolf Huber, Vom Sinn der Verfassung, Hamburg 1935; ders., Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, Hamburg 1935; ders., Verfassung, Hamburg 1937
2 Dazu vgl. Oliver Lepsius, Gibt es ein Staatsrecht im Nationalsozialismus?, in: ZNR 26 (2004), 102-116; zum «Objektverlust» der Staatsrechtslehre vgl. Horst Dreier, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, in: VVDStRL 60 (2001), 10-72
3 Im Rundfunkgespräch mit Dieter Groh und Klaus Figge sagt Schmitt (transkribierte Langfassung, 23), dass er einen «großen Teil» der Tagebücher «nach dem 30. Juni» in den Kamin geworfen habe. Es fehlen aber nur die Tagebücher von 1935 bis etwa 1939. Eine evtl. Gefährdungslage nach dem 30. Juni 1934 war also nicht entscheidend. Wahrscheinlicher ist es, dass Schmitts Damnatio memoriae vor allem die Kollaboration mit Hans Frank betrifft.
(R. Mehring 2009), S. 358 f.
Die Auskunft Mehrings in Fußnote 3, dass nur die Tagebücher 1935 bis etwa 1939 fehlen, ist so zu verstehen, dass Mehring nur etwas über den Zeitraum 1933 bis 1945 aussagen möchte, da es für die Jahre 1917 bis 1921 angeblich ebenfalls keine Tagebücher Carl Schmitts gibt.[113] Wie ich in Teil II zeigen werde, fällt in diesen frühen Zeitraum wahrscheinlich der Beginn einer Zusammenarbeit Carl Schmitts u.a. mit Hans Frank. Da Hans Frank erst 1900 geboren ist, wird eine Zusammenarbeit Carl Schmitts mit dem Jüngling Hans Frank kaum der Hauptgrund für eine platonisch-augustinische Purgatio Carl Schmitts gewesen sein, die sich in einer damnatio memoria durch Verbrennung von Tagebüchern ausgedrückt haben mag.
Wahrscheinlich ging es Carl Schmitt in beiden Fällen fehlender Tagebücher profaner um ein Entgehen vor einer irdischen Strafe und um den Versuch, »dem Werk« die Chance auf eine Renaissance zu schenken. Beides ist Schmitt jedenfalls gelungen. Beides wäre ihm vielleicht nicht gelungen, wären seine Tagebücher der Jahre 1917-1921 und 1935-1939 veröffentlicht worden.
2.10.5.2. Mehrings Unterabschnitt über Hans Frank und die AfDR
Ich zitiere und kommentiere nun Mehrings drei Seiten über Hans Frank und die AfDR vollständig.
Hans Frank (1900-1946) und die «Akademie für Deutsches Recht»
[1] Im Frühling 1933 gerät die Zunft in einen neuen Ausnahmezustand. «Ideen von 1933» werden propagiert. Die Zeit der Programmschriften ist wieder da, Antrittsvorlesungen markieren Startpositionen. Zwar sehen viele den destruktiven Charakter des Nationalsozialismus. Viele täuschen sich aber auch gerne über die nationalsozialistische Zukunft des «Funktionsmodus» Recht. Ihr «Schöpfungsrausch» (Stolleis) hat den Folgeeffekt des Karrieregewinns. Seit April ist Schmitt bestrebt, Machtpositionen aufzubauen und nationalsozialistische Politik zu machen. Den Einstieg fand er in der Konsequenz des Preußenschlags. Für seinen weiteren Aufstieg wird nun vor allem eine Person wichtig: der «Parteijurist» Hans Frank. Bisher hatte Schmitt mit seinen Mentoren Glück. Fritz van Calker, Hugo am Zehnhoff, Moritz Julius Bonn und Rudolf Smend stellten positive Weichen. Hans Frank wäre Schmitt besser nicht begegnet.31 Dabei ist er [Hans Frank; mw] ein Schüler van Calkers. Calker betreibt über Frank Schmitts Berufung nach München. Darüber lernen beide sich kennen.
31 Biographische Ausführungen nach der etwas reißerischen Darstellung von Dieter Schenk, Hans Frank. Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur, Frankfurt 2006; vgl. auch Christian Schudnagies, Hans Frank. Aufstieg und Fall des NS-Juristen und Generalgouverneurs, Frankfurt 1988
(R. Mehring 2009), S. 325
Wäre Mehrings Darstellung korrekt, hätten sich Carl Schmitt und Hans Frank erst nach 1933 anlässlich des Berufungsversuches Carl Schmitts an die Juristische Fakultät der Universität München kennengelernt.
Zurück zu Mehrings Unterabschnitt über Hans Frank und die AfDR. Im zweiten Absatz skizziert Mehring Hans Franks Leben vor 1933. Ich zitiere den Absatz auch, weil Mehring in seiner Mitte einen Ausruf einstreut, der einen Einblick in die Überzeugungen von Mehring bietet. Das, was der Ausruf sichtbar macht, ist nur ein weiteres Beispiel für das nahezu ubiquitäre pro-akademische Vorurteil akademischer Autoren. Die Ergebnisse dieser hermeneutischen Vorurteilshaftigkeit zu Gunsten der akademischen Nationalsozialisten überraschen mich nicht.
[2] Hans Frank wurde im Oktober 1939 «Generalgouverneur» von Polen. Sein Name ist deshalb unauslöschlich mit der nationalsozialistischen Polenpolitik und dem Holocaust verknüpft. Anders als Schmitt ist er ein altgedienter Parteigenosse. Er wuchs in München als Sohn eines Rechtsanwalts auf. Seine Abiturszeit fällt in die Münchner Revolution, gegen die sich Frank engagiert. Er ist ein guter Schüler und studiert zügig. 1923 legt er in München die erste Staatsprüfung ab. 1924 wird er von Walter Jellinek │ S. 326 in Kiel promoviert. Er wird in München einige Zeit Assistent bei van Calker und legt dort 1927 sein Assessorexamen ab. Schon früh ist Frank Mitglied der Thule-Gesellschaft, der auch Hitler angehörte. Er tritt, noch vor dem «Hitlerputsch», am 3. Oktober 1923 in die NSDAP ein, nimmt am «Marsch auf die Feldherrnhalle» teil und gehört somit zu den alten Parteigenossen, auf die Hitler setzt. Der strafrechtlichen Verfolgung entzieht er sich ins fascistische Italien. Aus Protest gegen die Italienpolitik der NSDAP, vielleicht auch um seiner Karriere willen tritt er 1926 vorübergehend aus der NSDAP aus. Im September 1927 tritt er wieder ein und übernimmt nun zahlreiche Prozessvertretungen. Er lebt nicht nur für, sondern auch von der Partei. Franks weitschweifige und vage Plädoyers sind berüchtigt. Der sozialdemokratische Anwalt Philipp Loewenfeld trifft ihn als Gegner wiederholt vor Gericht. «Wenn er am Richtertisch mit einem jüdischen Anwalt zusammentraf», erinnert sich Loewenfeld, «murmelte er beispielsweise minutenlang leise vor sich hin: <Jud, Jud, Jud, Jud, Jud, Jud …>. Wenn der Anwalt dann etwa sagte: <Herr Vorsitzender, hören Sie nicht, was dieser Herr da flüstert?>, dann erhob er sich in seiner ganzen <Größe> und schrie mit Stentorstimme: <Jüdische Verleumdung!>«32 Mit einem solchen Typ arbeitet Schmitt nun zusammen![114] Frank ist maßgeblich für die Gründung des «Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen» (BNSDJ) verantwortlich und wird Ende 1928 «Rechtsbeistand der Parteileitung», Chefjurist der Partei. Nach den Wahlen vom 14 . September 1930 wird er Reichstagsabgeordneter. Er hat ein Büro im Braunen Haus in der Brienner Straße, ist dem «Führer» hörig und gehört zur Parteiführung, wenn er auch niemals zu Hitlers engsten Vertrauten zählt. Frank veranlasst Hitler 1930 im Ulmer Reichswehrprozess zum sog. Legalitätseid, der von erheblicher strategischer Bedeutung wurde. Er pflegt einen verschwenderischen Lebensstil und ein chaotisches Privatleben mit einer ihrerseits notorisch prunksüchtigen und untreuen Frau. Frank ist ein verquaster Schöngeist und Poltergeist, ein Aufschneider und charakterloser Prasser.
32 Recht und Politik in Bayern zwischen Prinzregentenzeit und Nationalsozialismus. Die Erinnerungen von Philipp Loewenfeld, hrsg. v. Peter Landau und Rolf Rieß, Ebelsbach 2004, 562
(R. Mehring 2009), S. 325 f.
Dass die Ehefrau von Hans Frank sehr wahrscheinlich auch mit Carl Schmitt (und Karl Lasch) noch Jahre nach 1933 „untreu“ gewesen ist, erwähnt der Schmitt-Biograph Mehring nicht, obwohl er ansonsten von Carl Schmitts außerehelichen Betätigungen immer wieder berichtet.
Ich halte es übrigens für sehr wahrscheinlich, dass Schmitts Dauerberichterstattung über seine ehelichen und außer-ehelichen Orgasmen in den Tagebüchern nur dem Zweck einer augustinische Selbst-Inszenierung dient.
Nun der dritte Absatz Mehrings über Hans Frank und die AfDR:
[3] Das Reichsjustizministerium erhält er [Hans Frank; mw] 1933 nicht, weil Hitler es der DNVP und Franz Gürtner33 belässt. Dafür wird er im März bayerischer Justizminister und zeichnet sich sogleich durch antisemitische Aktionen aus. Auf Initiative Gürtners wird Frank am 22. April 1933 zum «Reichskommissar (Reichsjustizkommissar) für die Gleichschaltung der Justiz in den Ländern und für die Erneuerung der Rechtsordnung» ernannt. Im Juni ruft er eine «Deutsche Rechtsfront» aus. Bald gründet er die «Akademie für Deutsches Recht». Vizepräsident wird Wilhelm Kisch, ein alter Straßburger Lehrer, der schon an Schmitts Promotionsverfahren beteiligt │ S. 327 war.34 Die Aufgabe der Akademie ist es, «die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern».35 Es ist keine reine Gelehrtenakademie. Viel politische Prominenz, aber auch Industrielle gehören dazu. Im Januar bezieht die Akademie ihr «Berliner Büro» im einstigen «Preußenhaus». Mit Mitteln der Wirtschaft erwirbt Frank ihr dann ein prächtiges Gebäude am Leipziger Platz 15 und eröffnet später neben dem kleineren «Büro München» noch ein großes «Haus des Rechts» in der Münchner Ludwigstraße. Die Akademie veranstaltet «Vollsitzungen» und «Arbeitstagungen», meist in Berlin, sowie repräsentative Jahrestagungen in München. Sie gibt ein Jahrbuch, eine Schriftenreihe sowie die Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht und das Deutsche Recht heraus, in denen Schmitt zahlreiche Artikel veröffentlicht. Mit der Rechtswissenschaft wird aber auch die Akademie immer mehr zur bloßen Fassade und Kulisse. Als die Justizministerien der Länder an die Reichsleitung übergehen, wird Frank am 19. Dezember 1934 zwar zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich ernannt. Doch der Titel ist weitgehend Makulatur. Hitler regiert nicht im Kabinett. Nur selten nimmt Frank an Sitzungen teil. Vor allem sind seine Hoffnungen gescheitert, über die Akademie gesetzgeberischen Einfluss zu nehmen. Die Entscheidungen fallen weiterhin primär im Ministerium. Zwar ist ein indirekter Einfluss der Akademiearbeit über die Diskussionen, Entwürfe und Berichte da. Ein solcher externer Beratungseinfluss ist aber meist nur marginal. Die anfänglichen Hoffnungen auf eine maßgeb- │ S. 328 liche Mitwirkung bei der Gesetzgebungstätigkeit, wie Schmitt sie nach dem Reichsstatthaltergesetz hegen konnte, werden enttäuscht. Frank kompensiert zunehmend durch Personenkult.
33 Dazu die magistrale Arbeit von Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, 1988,3 . Aufl., München 2001
34 Dazu Wilhelm Kisch am 18.12.1934 an Schmitt (RW 265-7645); vgl. Susanne Adlberger, Wilhelm Kisch. Leben und Werk (1874-1952). Von der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg bis zur nationalsozialistischen Akademie für Deutsches Recht, Frankfurt 2007
35 Satzung der «Akademie für Deutsches Recht» § 2, in: Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1 (1933/34), 249; eingehend Hans Rainer Pichinot, Die Akademie für Deutsches Recht. Aufbau und Entwicklung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft des Dritten Reiches, Kiel 1981; Hans Hattenhauer, Die Akademie für Deutsches Recht (1933-1944), in: Juristische Schulung 26 (1986), 680-684
(R. Mehring 2009), S.326 -328
Die von mir durch Fettdruck hervorgehobenen Behauptungen Mehrings am Ende wären wichtig, wären sie wahr. Mehring bietet seinen Lesern für diese Behauptungen aber keinen Beleg an. Er hätte problemlos erneut auf die beiden Texte von Pichinot und Hattenhauer verweisen können. Dass er das unterlassen hat, ist vermutlich nur einer redaktionellen Schludrigkeit geschuldet: Der erste Teilsatz der Fußnote 35 ist ein passender Beleg für den Satz des Haupttextes, dem das Fußnotenzeichen 35 zugeordnet ist. Der zweite Teilsatz der Fußnote 35 wäre besser zum Inhalt einer eigenen Fußnote gemacht worden, deren Fußnotenzeichen hinter „Personenkult“ gesetzt hätte werden können.
Mehrings Wiedergabe der Aufgabe der AfDR ist hingegen unvollständig. Diese Unvollständigkeit führt den Leser in die Irre. Und sie verdankt sich keiner redaktionellen Schludrigkeit, da Mehring selbst im ersten Teilsatz der Fußnote 35 korrekt angibt, wo der Text der Satzung der AfDR veröffentlicht worden ist. Ich zitiere erneut § 2 der ersten Satzung der AfDR:
§ 2 Aufgabe der Akademie für Deutsches Recht ist, die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechtes und der Wirtschaft zu verwirklichen.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934)
Das zweite Konjunkt erwähnt Mehring in seiner Wiedergabe der Aufgabe der AfDR nicht. Satzungsimmanent ist es offenkundig das wichtigere der beiden Konjunkte.
Wenn Mehring § 2 der Satzung selbst gar nicht gelesen haben sollte, wäre das bedenklich. Wenn er § 2 der Satzung gelesen hat und absichtlich das wichtige Konjunkt nicht mitgeteilt hat, wäre das bedenklicher. Hätte er § 2 der Satzung vollständig zitiert, wäre seinen Lesern aufgefallen, dass nicht das Reichstatthaltergesetz Quelle für Carl Schmitts Hoffnung gewesen sein muss, Einfluss auf den NS-Gesetzgeber nehmen zu können. Als Gründungsmitglied der AfDR des Jahres 1933 hatte Carl Schmitt ja die satzungsgemäße Aufgabe, „in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechts und der Wirtschaft zu verwirklichen“. Ja, Carl Schmitt gehörte seit 1933 dem Führerrat der AfDR an. Es war seine Aufgabe, das nationalsozialistische Programm in enger Verbindung mit dem NS-Gesetzgeber zu verwirklichen.
Die Dissertation von Anderson (1982/87) erwähnt Mehring nicht. Da Mehring den sehr kurzen Text von Hattenhauer aus dem Jahre 1986 kennt, hatte er auch Kenntnis von der Existenz der Dissertation von Anderson. Gleich in der ersten Fußnote verweist Hattenhauer nämlich auf die Dissertation von Anderson: eine Kopie sei im Institut für Zeitgeschichte in München vorhanden. 1987 ist die Dissertation von Anderson in einer renommierten Reihe eines Verlages erschienen. Seit 1987 war sie über Universitätsbibliotheken und den Buchhandel problemlos beziehbar. Hätte Mehring die Monographie von Anderson zur Kenntnis genommen, hätte er seinen Lesern mitteilen müssen, dass Carl Schmitt zusammen mit Martin Heidegger Mitte der 1930-er Jahre Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gewesen ist.
Im vierten und letzten Druckabsatz von Mehrings Unterabschnitt über Hans Frank und die AfDR fände ich die Nebeninformation interessant, dass Carl Schmitt wiederholt Gast auf dem bayerischen Landsitz Hans Franks am Schliersee war, wenn das auch noch für die Zeit nach dem 8. Mai 1945 gelten würde. Leider habe ich nicht verstanden, ob Mehring das behaupten möchte. Da Mehring keinen Beleg für diese Behauptung angegeben hat, kann ich selbst die Quelle nicht konsultieren, um den Sachverhalt zu prüfen. Niklas Frank (1987) berichtet von keinem Besuch Carl Schmitts am Schliersee nach 1945.
Ohne Angabe eines Belegs behauptet Mehring ferner, dass Himmler Hans Frank 1942 „beinahe“ wegen Misswirtschaft und Korruption zu Fall gebracht habe. In anderen Sekundär-Darstellungen ist Hans Frank hingegen wegen seiner Reden an westdeutschen Universitäten zu Gunsten irgendeiner Form eines Rechtsstaates 1942 von Hitler persönlich entmachtet worden. Ich halte es für möglich, dass Hans Frank mit seinem Einverständnis 1942 von vielen seiner Aufgaben entbunden wurde, damit er sich auf die Erfüllung seiner Vernichtungsaufgaben als Generalgouverneur – zusammen mit dem neuen Reichsminister für die besetzten Ostgebiete und Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Alfred Rosenberg – konzentrieren konnte.
Die Behauptung Mehrings, dass die AfDR nach dem Wechsel zu Thierack und Rothenberger im August 1942 „gänzlich bedeutungslos“ wurde, ist ebenfalls nicht belegt.[115] Wenn man nur den Unterabschnitt Mehrings zu Hans Frank und der AfDR liest, weiß man eigentlich auch nicht, welcher angebliche „Aktivismus“ der AfDR durch den neuen Präsidenten Thierack „massiv“ eingeschränkt wurde. Hat die AfDR ihren „externen Beratereinfluss“ auf den NS-Gesetzgeber nach dem August 1942 „massiv“ eingeschränkt, aber vorher ausgedehnt – vermutlich aber erst nach Entmachtung Carl Schmitts?
Ich zitiere nun den vierten Absatz Mehrings:
[4] 1937 gibt es organisatorische Veränderungen. Carl August Emge36 übernimmt das Amt des Vizepräsidenten. Als Frank dann mit Kriegsbeginn «Generalgouverneur» von Polen wird, erhält Emge die Befugnisse des Präsidenten kommissarisch übertragen. Frank hält nun auf der alten Königsburg von Krakau verschwenderischen Hof. Er ist – wie Göring – ein skrupelloser Kunsträuber und entfaltet ein breites «Kulturleben». Leonardo da Vincis «Dame mit dem Hermelin» hängt in seiner Burg. Ständig ist er unterwegs. Gerne pflegt er den Rechtsbegriff. Die Macht im Generalgouvernement muss er sich mit der SS teilen. Himmler bringt ihn 1942 über Misswirtschaft und Korruption beinahe zu Fall. Hitler hält ihn zwar im Amt des Generalgouverneurs, entzieht ihm aber im August 1942 den Posten des Akademiepräsidenten. Thierack wird sein Nachfolger. Emge legt daraufhin das Amt des Stellvertreters nieder. Die Akademie reduziert nun massiv ihren Aktivismus37 und wird gänzlich bedeutungslos. Das Kriegsende erlebt Frank auf seinem bayerischen Landsitz am Schliersee, wo auch Schmitt wiederholt war. In der Nürnberger Haft schreibt er – Im Angesicht des Galgens38 – noch eine verlogene Selbstapologie, bekehrt sich zum Katholizismus und wird am 16. Oktober 1946 gehängt. Das ist der Mann, der bis Ende 1936 Schmitts wichtigster nationalsozialistischer Mentor wird. Schmitt macht sich nicht nur zum Komplizen eines skrupellosen Nationalsozialisten, sondern setzt auch aufs falsche Pferd. Sein «Etatismus» hätte ihm raten können, dass die Macht in den Reichsministerien verbleibt. Aber vielleicht ist er im Nationalsozialismus gar nicht «Etatist»?
36 Dazu vgl. Stefan K. Pinter, Zwischen Anhängerschaft und Kritik. Der Rechtsphilosoph C. A. Emge im Nationalsozialismus, Berlin 1996
37 Dazu vgl. Dr. Thierack, Zehn Jahre Akademie für Deutsches Recht, in: ZAkDR 10 (1943), 121 f.
38 Hans Frank, Im Angesicht des Galgens. Deutung Hitlers und seiner Zeit aufgrund eigener Erkenntnisse und Erlebnisse, München 1953
(R. Mehring 2009), S. 328
Dass Schmitt ein christlicher Reichstheologe spätestens nach seiner angeblichen Entmachtung Ende 1936 wurde, hatte bereits Andreas Koenen 1995 behauptet. In Teil IV werde ich darauf aufmerksam machen, dass nach 1939 in mindestens einem Fall in einem Text, der unter dem Namen Hans Franks veröffentlicht wurde, systematisch das Wort „Reich“ durch das Wort „Staat“ ersetzt worden ist. Es spricht einiges dafür, dass nicht nur Carl Schmitt es für geschickt erachtete, den tatsächlich wirkenden NS-Staat von einem kommenden Reich nachträglich begrifflich zu trennen: Die Ankunft des Reiches wurde verschoben.
Dass Mehring in der Fußnote 36 auf Pinters Dissertation über den Rechtsphilosophen Emge im Nationalsozialismus verweist, ist sehr irritierend, da Pinter auf Seite 59 mitgeteilt hat, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, Mehring das seinen Lesern aber nicht mitteilt. Es gibt vermutlich nur zwei Erklärungen für diesen Sachverhalt: Entweder hat Mehring Pinters Dissertation inhaltlich gar nicht zur Kenntnis genommen, täuscht aber eine Kenntnisnahme vor, oder er verschweigt seinen Lesern absichtlich, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Wieder ist die zweite Alternative bedenklicher.
2.10.5.3. Mehring über Kontakte Schmitts zu den anderen Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie nach 1934
In meinem Bericht über Koenens umfangreiches Schmitt-Buch von 1995 habe ich mitgeteilt, dass Koenen behauptet, dass Carl Schmitt eine christliche Reichstheologie nach seiner angeblichen Entmachtung 1936 durch die AfDR entwickelt habe. Ab 1940 habe Carl Schmitt Gefahr von Alfred Rosenberg gedroht. In seinem Nachwort hatte Koenen den Kontrast »christlicher Schmitt vs. anti-christlichen Schmitt-Feinden« noch um das Paar »Schmitt vs. Heidegger« ergänzt. Eine Notiz aus Schmitts Glossarium über Heidegger war die Grundlage dafür. Mehring entfaltet diesen angeblichen Kontrast zwischen dem Christen Schmitt und dem Nicht-Christen Heidegger weiter:
Anders als Heidegger geht er [Carl Schmitt; mw] aber hinter Hölderlin auf das Christentum zurück und lehnt letztlich die gesamte neuere «Ich-Philosophie»[116], den Idealismus und «Genialismus» ab.
(R. Mehring 2009), S. 50
Schmitt folgt dagegen der christlichen Sicht. Zwar mag man ein existentialphilosophisches Pathos heraushören: Heideggers «Sorge» um die Endlichkeit und das «Vorlaufen» in den Tod. Schmitts Sorge, seine Öffnung der Gegenwart für eine kontingente Zukunft, bindet die Möglichkeit der Offenheit aber an die Absage an fixe Berechenbarkeit unter der Idee der «Ewigkeit» und des «Gerichts». Diese Umstellung der Gegenwartswahrnehmung von der Vergangenheitsorientierung auf Zukunft wird in den folgenden Jahren [nach 1917; mw] rechtspolitische Konsequenzen haben.
(R. Mehring 2009), S. 100
Interessant ist auch folgende Auskunft Mehrings über Carl Schmitt und Viktor Bruns:
Schmitt entfaltete keinen extensiven Dissertationsbetrieb. Gleichwohl ist er in einen umfangreichen Prüfungsbetrieb eingespannt, zumal er auch die Volkswirte im öffentlichen Recht prüfen muss2 und seit Ende 19333? – mit dreimonatiger Pause nach dem Dezember 19364 – erneut nebenamtlich, auch in den Semesterferien, an Palandts Justizprüfungsamt des Kammergerichts5 – manchmal unter Freislers Vorsitz – als Mitglied tätig ist. Dutzende von Gutachten Schmitts betreffen nur diese zweite Staatsprüfung. Seine Promovenden sind oft scharfe Nationalsozialisten, die es bis in die «Kanzlei des Führers»6 bringen. Im Bereich der universitären Lehre ist der hohe Anteil ausländischer Studenten auffällig7 Auch thematisch schlägt sich das insbesondere in der Zusammenarbeit mit Viktor Bruns nieder: Viele Arbeiten sind geopolitischer oder auslandskundlicher Art. Einige ausländische Promovenden sind Diplomaten. Mladen Lorkovic wird später Innenminister des faschistischen Ustascharegimes [in Kroatien; mw].
22 Schreiben des Vorsitzenden des Prüfungsamtes für Volkswirte an der Universität Berlin vom 30.5.1934 an Schmitt (RW 265 -21545 Bl. 260)
3 Anna-Maria Gräfin von Lösch, Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933, Tübingen 1999, 189; Schreiben Palandts vom 29 .9.1934 an Schmitt (RW 265 -21545).
4 Schreiben des Justizministers vom 15.3.1937 an Schmitt (RW 265-21545 Bl. 98); die vorläufige Befristung auf fünf Jahre wird am 3.2.1942 über 1942 hinaus verlängert (RW 265-21545Bl. 2).
5 Umfangreiche Akten in: RW 265 -21545
6 So Gerichtsreferendar Horst Wolters (1913-?) im Lebenslauf seiner Promotion Der Rechtsbegriff Soldat, Diss. Berlin 1938; Wolters gibt im Lebenslauf an, dass sein Vater beim Volksgerichtshof arbeitet, dass er freiwillig Soldat wurde und inzwischen «in der Kanzlei des Führers tätig» ist; Promotion 1.12.1938; Erstgutachten Schmitt (4.4.1938); Schmitt übernimmt auch das Korreferat für den Höhn Schüler Justus Beyer, der 1941 als SS Sturmbannführer «zur Reichsleitung der NSDAP» abkommandiert ist (so Beyer im Lebenslauf seiner Dissertation Die Ständeideologien der Systemzeit und ihre Überwindung, Darmstadt 1941).
7 So dankt der siamesische Kapitänleutnant Pravis Sribibadhana im Sommer 1939 aus dem «Thai-deutschen Gemeinschaftslager in Kiel» dem Staatsrat. – Karte und Fotos RW 265 -21420; eine nachträgliche Promotion lehnt Schmitt am 15.1.1940 eingehend ab (RW 265-21421); Sribibadhana besuchte ihn in den 60er Jahren wiederholt (Briefe RW 265-1559 9/609). Weitere ausländische Studenten nach 1936 sind Wei Ren Feng (China), Cholam Reza Bahrami, Luciano Conti, Jaim e Quijano Caballero, Hsi Ming-Wang, Dr. Ancevicius (Litauen), Farhad Arasteh (Teheran). Kurzgutachten in: RW 265-21498
(R. Mehring 2009), S. 398
Dass Schmitt – zusammen mit Viktor Bruns – nach seiner angeblichen Entmachtung Promotionen betreute, die die erfolgreichen Promovenden sogar bis in die Kanzlei des Führers brachten, ist sehr interessant.
Trotzdem könnte es richtig sein, dass Carl Schmitt „an der Universität“ kritische Distanz zur „Höhn“-Schule wahrte, wie Mehring – Tilitzki folgend – behauptet:
Ende 1934 schon sieht Schmitt die juristisch-institutionelle Rechtfertigung des Nationalsozialismus an ein Ende gelangt. Von einem Rückzug aus der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft kann aber keine Rede sein. Schmitt konzentriert sich vielmehr auf die organisatorische Tätigkeit. Verschiedene Bühnen stehen ihm hier zur Verfügung: die Universität, die Akademie, der BNSDJ. So kann er seine Schüler in diversen Netzen unterbringen und fördern. Bis 1944 betreut er als Erstgutachter immerhin vier Habilitationen (Daskalakis, Franzen, Suthoff-Groß, Maiwald) und über │ S. 362 20 Dissertationen. An der Universität steht er in «kritischer Distanz» zur «Höhn-Schule» und kooperiert eng mit dem Völkerrechtler Viktor Bruns.13 Huber und Forsthoff rücken 1933 in wichtige Lehrstühle ein. Werner Weber wird 1935 Schmitts Nachfolger an der Handelshochschule und bleibt in Berlin – ab 1942 in Leipzig – in enger Verbindung.
13 So Christian Tilitzki, Carl Schmitt – Staatsrechtler in Berlin. Einblicke in seinen Wirkungskreis anhand der Fakultätsakten 1934-1944, in: Siebte Etappe, hrsg. v. Heinz-Theo Homann, Bonn 1991, 62-117
(R. Mehring 2009), S. 362
Dass Carl Schmitt und Viktor Bruns in der AfDR eng miteinander kooperierten, werde ich mehrfach belegen können.
Folgendes teilt Mehring über Kontakte zwischen Schmitt und Emge mit:
1937 verlegt er [Carl Schmitt; mw] die staatstheoretische Debatte in die Geschichte. Das Descartes-Jubiläum wurde international breit begangen. Man positionierte sich zum neuzeitlichen Rationalismus. Aus Anlass des 300. Jahrestages von Descartes’ Discours de la méthode hält Schmitt in Berlin einen Vortrag Der Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes und initiiert8 ein Themenheft des Archivs für Rechts- und Sozialphilosophie, das von Carl August Emge herausgegeben und von Otto von Schweinichen, dem Rechtsstaat-Disputanten, redaktionell betreut wird. Emge ist damals der engste Gesprächspartner und Gefährte in der Fakultät. Schmitt bezeugt ihm «Freundschaft und Verehrung»,9 dankt ihm «viele Gespräche schönsten Lichtes».10
8 Carl August Emge, Das Gedächtnis an Rene Descartes, in: ARSP 30 (1937), 465-466, hier: 465 Fn.
9 Widmung Schmitts Weihnachten 1937 an Emge; vgl. auch Schmitts Brief vom 19.4.1936 zum 50. Geburtstag Emges (Kopien erhielt ich freundlich aus dem Privatarchiv des Sohnes Prof. Martinus Emge)
10 Schmitt zum 21.4.1938 an Emge.
(R. Mehring 2009), S. 381
Günzel (2000) hatte behauptet, Schmitt und Emge seien keine Freunde gewesen. In Abschnitt 2.5. habe ich deswegen auf die Nähe zwischen beiden hingewiesen. Sie hatten höchsten eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob nach Erreichen des »braunen Paradieses« der Freund-Feind-Kontrast überwunden sein werde oder nicht.
Über Kontakte zwischen Carl Schmitt und Hans Freyer berichtet Mehring folgendes: Angeblich im Mai 1929 lernt Carl Schmitt Hans Freyer auf einer Tagung der Kant-Gesellschaft kennen:
Am 17 . April reist er [Carl Schmitt; mw] nach Berlin zurück. Dort trifft er seinen Tölzer Freund Krause mit Tochter Iser sowie Feuchtwanger. Am 22. April hält er einen Vortrag vor «Hoheiten» und lernt den jungen Theodor Eschenburgs59 kennen. Ende April ist er bei Eislers in Hamburg. Die Schulden belasten ihn: «Angst vor den Juden, Angst vor meinen Schulden» (29.4.1929). Im Sommersemester liest Schmitt über Staatslehre, Rechtswissenschaft und Völkerrecht. Er leidet unter seiner Sexualität und geht zu Huren, weil er die Wiederaufnahme der Beziehung zu Margot meidet. Er beginnt mit Studien zum «Pluralismus» und diktiert Annie Kraus seinen Vortrag Staatsethik und pluralistischer Staat für eine Tagung der Kant-Gesellschaft │ S. 234 in Halle.60 Schmitt lernt den Soziologen Hans Freyer kennen, dem er fortan verbunden sein wird. Über die Pfingsttage reist er nach Plettenberg und sucht ein Grab für Duška aus. Schmitt kehrt dann nach Halle zurück, wo er bei Bilfinger wohnt, und hält am 22. Mai seinen Eröffnungsvortrag zum Tagungsthema Staat und Sittlichkeit in der Aula der Universität. Es ist die Jubiläumsveranstaltung (zum 25. Geburtstag) der Kant-Gesellschaft.61 Bei der Festveranstaltung sitzt Schmitt neben dem alten Rudolf Stammler, dem Doyen der neueren Rechtsphilosophie.
59 Theodor Eschenburg, Also hören Sie mal zu. Geschichte und Geschichten 1904-1933 , Berlin 1995, 246 f.
60 Eine rumänische Übersetzung veranstaltete Corina Sombart.
61 Die Einladung erfolgte wahrscheinlich durch den Handelshochschul-Kollegen Arthur Liebert.
(R. Mehring 2009), S. 233 f.
1938 zog Freyer nach Budapest um. Zweimal habe Carl Schmitt dort Vorträge auf Einladung Freyers gehalten:
Am 30. April [1942; mw] fährt Schmitt per Nachtzug nach Budapest und hält dort auf Einladung Hans Freyers,78 des Präsidenten des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts, Vorträge über Verwaltung und Verwaltungsrecht sowie Völkerrechtliche Großraumordnung, um – laut Bericht – die «rechtsnihilistische Auffassung der heutigen Verwaltungsentwicklung» zu bekämpfen. Am 8. Mai fährt er zurück.79
78 Einladung Freyers vom 2.4.1942 an Schmitt (RW 265-4317); dazu Einladung des Dekans der Universität vom 22.4.1942 an Schmitt (RW 265-16112)
79 Seit dieser Zeit sind wieder stenographische Tagebücher erhalten: Tagebuch Mai 1942 bis März 1943 (RW 265-19602); Tagebuch Juli 1944 bis April 1945 (RW 265-19601)
(R. Mehring 2009), S. 412
Vom 5. bis 13. November [1943; mw] ist er erneut in Budapest. Er spricht auf Einladung Freyers107 im Deutschen Institut über die Wandlungen des völkerrechtlichen Kriegsbegriffs und dann in der Universität über Die heutige Lage der europäischen Rechtswissenschaft.108
107 Einladungsschreiben Hans Freyers vom 16.9.1943 an Schmitt (RW 265-2856), das sich auf eine Absprache bei einem Berliner Treffen im Juli bezieht. Bericht Schmitts vom 2.12.1943 in: Universitätsarchiv der HUB PA Carl Schmitt 159/a Bl. 74/77
108 Einladungsschreiben und stenographische Disposition des LERW-Vortrags in: RW 265-21554
(R. Mehring 2009), S. 415
Auch nach der Endniederlage habe Carl Schmitt (1952) in Hans Freyer (1948) einen Verwandten im Geiste gesehen:
Er [Carl Schmitt; mw] betont dann [in (Schmitt, Die Einheit der Welt 1952), S. 5; mw], dass die urchristliche «Erwartung» nicht in «eschatologische Lähmung» führen musste, weil Paulus die Vorstellung einer Kraft kannte, den «Kat-echon», der «das Ende aufhält und den Bösen niederhält» (HBCS[117] 164). Selbst Luther noch habe im alten «Reich» diese Kraft gesehen; erst Calvin verschob sie auf die bloße «Predigt des Wortes Gottes». Im neueren Konservatismus sei die «Vorstellung haltender und aufhaltender Kräfte und Mächte» dann fast gänzlich säkulari- │ S. 477 iert, doch immerhin sei sie in Hans Freyers Weltgeschichte Europas116 noch wirksam. Ein wirklich christliches – epimetheisches und «marianisches» – Geschichtsbild findet Schmitt als dritte Möglichkeit damals bei seinem katholischen Dichter Konrad Weiß.
116 Hans Freyer, Weltgeschichte Europas, Wiesbaden 1948
(R. Mehring 2009), S. 476 f.
Obwohl Mehring die Dissertation von Pinter (1994) kennt, teilte er 2009 seinen Lesern nicht mit, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Mehring (2009) verharmloste die AfDR durch Halbierung ihrer satzungsgemäßen Aufgabe. Mehring behauptet, die Distanzierung des »Werks Schmitt« vom Nationalsozialismus habe bereits 1934 stattgefunden.
2.10.6. Stefan Breuer: „Carl Schmitt im Kontext. Intellektuellenpolitik in der Weimarer Republik“ (2012)
Da sich Stefan Breuer mit Carl Schmitt während der Weimarer Republik befasst, muss er eine Mitgliedschaft Schmitts im Ausschuss für Rechtsphilosophie, der erst im Mai 1934 konstituiert worden ist, nicht thematisieren. Breuer tut das auch nicht. Hätte er es getan, hätte er einen interessanten Leitfaden gehabt, Kontakten Schmitts zu den anderen Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie, insbesondere zu den 12 Mitgliedern der Jahre 1941 bis 1943, nachzuspüren. Ich bin dieser Spur gefolgt und habe so interessante Ergebnisse erzielt (siehe Teil II).
Von den mich besonders interessierenden elf anderen Personen des Ausschusses für Rechtsphilosophie nach dem 17. Juli 1941 hat Stefan Breuer nur Hans Freyer als Kontaktperson Schmitts vor 1933 behandelt. Die von Breuer präsentierten Informationen über den Kontakt Schmitt-Freyer in der Weimarer Republik sind für meine Aufklärung über de akademischen Nationalsozialismus nicht interessant. Zitierwürdig ist, dass Carl Schmitt Hans Freyer für einen »Hegelianer« gehalten hat:
Noch 1932, in Legalität und Legitimität, erinnerte er mit deutlicher Zustimmung an „die Formel des großen Verfassungskonstrukteurs Sieyes: Autorität von oben, Vertrauen von unten“.27 Kein Zweifel, in Sieyes sah Carl Schmitt, der jedes Buch auf einen Schlüsselsatz abzuklopfen pflegte, einen maître penseur, in dessen Werken sich das Zauberwort finden ließ, auf das die moderne Revolution hörte. Die Revolution gewinnen, das hieß demgemäß: Sieyes lesen und so zu wenden, daß daraus eine andere Revolution resultierte. Mit Blick auf Hans Freyer hat der späte Schmitt einmal von der ,anderen Hegellinie‘ gesprochen, für die Freyers Werk stehe.28 Seine eigene kontinuierliche Beschäftigung mit Sieyes läßt sich als Bemühung um eine , andere Sieyeslinie‘ verstehen. Um ihr folgen zu können, bedarf es zunächst einer Rekapitulation der wichtigsten Ideen von Sieyes.
27 Vgl. Schmitt, Legalität und Legitimität (1932), in: Schmitt 1973, S. 340 f.
28 Vgl. Schmitt, Die andere Hegel-Linie. Hans Freyer zum 70. Geburtstag, in: Christ und Welt 10, Nr. 30 vom 25.7.1957. – Schmitt kannte Freyer seit der Tagung der Kant-Gesellschaft in Halle 1930. In seinem Vortrag nahm Freyer Bezug auf Schmitts Bestimmung des Politischen über die Gebietskonzeption und das Freund-Feind-Verhältnis und bescheinigte ihr „Treffsicherheit“ und „Gegenwartsgültigkeit“ (Freyer, Ethische Nonnen und Politik, S. 108, 105), was Schmitt erfreut registrierte (Tagebücher 1930 bis 1934 (2010], S. 44, Eintrag vom 13.7.1930). Weniger erfreut dürfte er darüber gewesen sein, daß Freyer dieses Verhältnis als „Wertgegensatz“ deutete und Schmitts Definition unterstellte, sie setze „offensichtlich und mit vollem Bewußtsein“ einen „geistigen Gehalt, den es zu vertreten gelte , voraus. Politik sei die „geschichtliche Verwirklichung eines Kulturgehalts“, der Staat habe seinen „Sinn in der geschichtlichen Vertretung eines geistigen Wertganzen.“ (Freyer, Ethische Normen und Politik, S. 105). Wie sehr solche Formeln in der Tradition des deutschen Idealismus standen, entging Schmitt nicht. Der Aufnahme einer Gelehrtenfreundschaft hat diese Differenz allerdings nicht im Weg gestanden. Ein Jahr später war Schmitt in Freyers soziologischem Seminar zu Gast und wurde auch später mehrmals von ihm eingeladen (vgl. die Hinweise bei Mehring, Carl Schmitt, S. 233 f., 412, 415, 477 f., 489 u. ö.). In der Revolution von rechts übernahm Freyer die Gegenwartsdiagnosen aus dem Hüter der Verfassung (der Staat als Selbstorganisation der in sich pluralistischen Gesellschaft), wofür Schmitt sich im Gegenzug die Freyersche Formel zu eigen machte, derzufolge nicht die Planenden herrschen, sondern die Herrschenden planen sollten. Vgl. Freyer, Revolution von rechts, S. 60; Herrschaft und Planung, S. 22; Schmitt, Machtpositionen des modernen Staates (1933), in; Schmitt 1973, S. 371
(Breuer 2012), S. 49
Die anderen zehn Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie werden von Breuer nicht ein einziges Mal erwähnt.
2.10.7. Volker Neumann (2015) erwähnt den Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht
Erstmalig hat Volker Neumann 1980 eine Monographie über Carl Schmitt veröffentlicht. Es handelt sich um seine Gießener Dissertationsschrift im Fachbereich Rechtswissenschaft: (Neumann, Der Staat im Bürgerkrieg; 1980). Trivialerweise konnte Neumann 1980 die Dissertationen von Pichinot (1981) und Anderson (1982/1987) über die AfDR noch nicht kennen.
2015 befasst sich Neumann mit Schmitt als Juristen – ausdrücklich u.a. in Absetzung von Carl Schmitt als Rechtsphilosophen.[118] In seinem Haupttext geht Neumann dann aber auch auf die Texte in Schmitts Gesamtwerk ein, die wesentlich auch rechtsphilosophisch sind.[119] Deswegen ist es bedauerlich, dass Neumann nicht wusste, dass Carl Schmitt Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Die Sekundärtexte Anderson (1982/87), Pinter (1994), Günzel (2000) und Tilitzki (2003) erwähnt Neumann (2015) nicht. Die Dissertation Pichinots über die AfDR erwähnt Neumann 2015 allerings auf zwei verschiedenen Seiten. Bei seiner zweiten Bezugnahme übernimmt Neumann aus Pichinot (1981) den Wortlaut eines Briefes von Koellreutter an Werner Weber vom 12. Juni 1937, der gegen Carl Schmitt gerichtet ist: es mangle Schmitt an Fronterfahrung, so Koellreutter.[120] Ich zitiere nun Neumanns erste Bezugnahmen auf Pichinot:
Die kurze Amtszeit als bayerischer Justizminister war kein gleichwertiger Ersatz [für Hans Frank; mw], auch nicht die Berufung zum „Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz in den Ländern und für die Erneuerung der Rechtsordnung“.15 Im Sommer 1933 gründete er die „Akademie für Deutsches Recht“, deren Präsident er wurde und in der Schmitt alsbald Karriere machen sollte.16 Frank häufte Ämter an und sammelte Titel, ohne aber eine wirkliche Machtposition in der Führungsriege der Nazis zu erlangen.17 Das änderte sich 1939, als ihn Hitler zum Generalgouverneur von Polen ernannte.
15 Frank verlor diese staatlichen Ämter mit der Überleitung der Justizverwaltung auf das Reich Ende 1934. Pichinot, Akademie, S. 45 f.
16 Zur Gründung der Akademie, Pichinot, Akademie, S. 7-15; Schenk, Frank, S. 97f. Zur Abgrenzung der „Akademie“ vom „Reichsrechtsamt der NSDAP“ und dem „Nationalsozialistischem Rechtswahrerbund“ Schenk, Frank, S. 117.
17 „Die Größe des gesamten aufgeblähten Apparats stand im Widerspruch zu seiner Effizienz, diente Franks Selbstbestätigung und seinem fast suchtartigen Drang, sich an die Spitze von Institutionen zu setzen“. Schenk, Frank, S. 117. Skeptisch zur Arbeit der Akademie auch Pichinot, Akademie, S. 150.
(Neumann 2015), S. 307
Volker Neumann hat sich bezüglich der Ämter, die Carl Schmitt nach 1933 inne hatte, auf eine Sekundärdarstellung aus dem Jahr 1988 verlassen, die ich noch nicht eingesehen habe:
25 Lauermann, Versuch (1988), S. 37 hat die Ämter, die Schmitt nach 1933 erhalten hat, aufgelistet: Preußischer Staatsrat 1933-1945; Mitglied der Akademie für Deutsches Recht; Mitglied des „Führerrats“ der Akademie, Ausschuss-Vorsitzender Staats- und Verwaltungsrecht (bis 1936); Mitglied im BNSDJ; Reichsfachgruppenleiter Fachgruppe Hochschullehrer (bis 1936); Mitglied der NSDAP; Mitglied der Hochschulkommission des Stellvertreters des Führers (1934-36); im BNSDJ ab 1935 Leiter der Wissenschaftlichen Abteilung; Herausgeber der DJZ 1934-1936; ab 1933 Herausgeber der Schriftenreihe „Der Deutsche Staat der Gegenwart“, in der 20 Bände erschienen sind.
(Neumann 2015), S. 308
Bezüglich der vermeintlichen Entmachtung Carl Schmitts im letzten Quartal des Jahres 1936 schließt Neumann sich grundsätzlich dem Forschungsstand an. Er folgt der Auffassung, die meines Wissens erstmalig Andreas Koenen (1995) vertreten hat, dass im letzten Quartal 1936 die SS erfolgreich eine (Teil-)Übernahme der AfDR bewerkstelligt habe. Neumann verweist auf weitere Primärquellen und andere Sekundärmeinungen. Den Sekundärtext kenne ich, die Primärquelle nicht:
Hans Frank hatte bereits am 5.12.1936 im SD anrufen und mitteilen lassen, dass Schmitt künftig „in keinerlei amtlicher Stellung, weder im Rechtswahrerbund noch in der Akademie verwendet“ werde.638 Auf den zweiten Artikel [gegen Schmitt, der im Dezember 1936 in der SS-Zeitschrift „Das Schwarze Korps“ erschien; mw] reagierte er sofort. Am 11. Dezember 1936 schrieb er an d’Alquen, dass die im „Schwarzen Korps“ vorgetragenen Angriffe nur das wiederholen, was jüdische Emigranten wie Waldemar Burian (!) und Fiala seit langem in der „Hetzpresse des Auslandes“ vortragen.639 Er, Frank, halte es für seine „kameradschaftliche Anstandspflicht“ gegenüber Schmitt, ihn, also d’Alquen, darauf hinzuweisen. Der Brief ist sehr zurückhaltend, ja fast schon devot formuliert. Frank schickte am gleichen Tag eine Abschrift dieses Briefes an den „lieben Parteigenossen Himmler“, wobei er auf die maschinenschriftliche Anschrift handschriftlich hinzufügte: „Ich habe Staatsrat Schmitt ohnedies zum 1. Januar aller Ämter entbunden“.640 Das war eine Kapitulationserklärung641, auf die Himmler erst am 5.1.1937 mit der süffisanten Erklärung antwortete, dass er die Ansicht des │ S. 414 „Schwarzen Korps“ teile und sich um so mehr freue, dass Frank wohl aus ähnlichen Erwägungen Schmitt seiner Ämter enthoben habe. Im Übrigen wisse er zu würdigen, dass Frank einen langjährigen Mitarbeiter in der Öffentlichkeit nicht angreifen lassen wolle.642 Ganz anders reagierte Göring. In scharfem Ton forderte er die Schriftleitung zur Einstellung der Angriffe auf, ohne auf ihre Berechtigung einzugehen, und verlangte eine geeignete Notiz in der nächsten Nummer der Zeitschrift.643
638 BArch R 58/854, fol. 11. Dass Frank schon auf den ersten Artikel im „Schwarzen Korps“ so scharf reagiert, lässt sich nicht nur mit den darin geäußerten Vorwürfen erklären. Aus der SD-Akte ergibt sich, dass Schmitt nach der Tagung über das „Judentum in der Rechtswissenschaft“ versuchte, sich aus dem Streit Gürtner – Frank herauszuhalten, was Frank nicht verborgen geblieben sein kann und was er als Treuebruch gewertet haben könnte. BArch R 58/854, fol. 259, 263.
639 BArch R 58/854, fol. 70 f.
640 BArch R 58/854, fol. 69.
641 Lösch, Geist, S. 463 f. erklärt das Verhalten Franks mit seiner Absicht, über die Errichtung eines „Ausschusses für Polizeirecht“ ein Bündnis der Akademie für Deutsches Recht mit der SS zu schmieden. Belegt ist dieses Bündnis in einem Vermerk von Höhn: BArch R 58/854, fol. 258 (!). [Koenen hatte in seiner Fußnote 401 auf folgenden Beleg verwiesen: „Vgl. den Aktenvermerk über die Mitteilung aus Abteilung II/2 vom 07.11.1936: BA/R 58 Nr. 854, Bl. 279.“; mw]
642 BArch R 58/854, fol. 68.
643 BArch R 58/854, fol. 61 als Abschrift.
(Neumann 2015), S. 413
Da Neumann von der Existenz des Ausschusses für Rechtsphilosophie nichts weiß, schätzt er die Beziehung zwischen Viktor Bruns und Carl Schmitt und auch einen Text von Viktor Bruns vom Mai 1942 wahrscheinlich falsch ein. Ich selbst kenne weder die Darstellung Huecks noch dessen Primärbeleg.
Nach dem Wechsel an die Berliner Juristenfakultät wurde er [Carl Schmitt; mw] auf Vorschlag von Viktor Bruns zum wissenschaftlichen Berater des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht gewählt und firmierte als Mitherausgeber der renommierten Institutszeitschrift. Allerdings hatte er nach eigener Aussage ab 1936 auf diese Zeitschrift keinen Einfluss mehr genommen und auch keinen Aufsatz veröffentlicht. In den Jahren der Etablierung des NS-Regimes war Schmitt mit staatsrechtlichen Hilfsdiensten ausgelastet und publizierte nur selten zum Völkerrecht; die einzige nennenswerte Ausnahme ist die 1934 erschienene Broschüre „Nationalsozialismus und Völkerrecht“. Das änderte sich mit seinem Karriereknick im Jahre 1936. Erstaunlich ist, dass er auch weiterhin die Zeitschrift des KWI als Publikationsort mied und sich auch nicht erkennbar an der Arbeit des Instituts beteiligte. Vielleicht lag diese Abneigung an der Präsenz seines Intimfeindes Kaufmann, der bis zu seiner Emigration in die Niederlande im Jahre 1939 einen Arbeitsplatz im KWI hatte. Vielleicht lag es aber auch daran, dass die „in der Wolle gefärbten“ Völkerrechtler des KWI Schmitt spüren ließen, dass er ein Außenseiter war, der eigentlich nicht zu ihnen gehörte. Dafür spricht, dass Viktor Bruns im Mai 1942 eine Art wissenschaftspolitisches Testament verfassen wird, in dem er „Staatsrat Schmitt“ als seinen Nachfolger ausschließen wird.18
18 Text und Fundstelle bei Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 523: „Im Falle meines Ablebens kommen m. E. als Nachfolger in der Leitung des Instituts nur Professor Bilfinger, Graf Stauffenberg oder Professor Scheuner in Frage. … Meines Erachtens kommen nicht in Frage Professor Walz, der weder nach der persönlichen noch nach der sachlichen Seite den Aufgaben des Instituts gewachsen ist, noch Professor Ritterbusch oder Staatsrat Schmitt“.
(Neumann 2015), S. 420
Es ist schade, dass Volker Neumann in Carl Schmitt als Jurist (2015) noch nicht wusste, dass Carl Schmitt und Viktor Bruns Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind.
2.11. Ergebnis: Forschungsstand über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Die Dissertation von Anderson über die Akademie für deutsches Recht hat bereits 1982 zwei wichtige Erkenntnisse über den Ausschuss für Rechtsphilosophie anhand nicht-veröffentlichter Archivquellen ermittelt:
- Mitte der 1935-er Jahre waren Carl Schmitt und Martin „Heidigger“ zusammen mit Alfred Rosenberg Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, dessen Vorsitzender Hans Frank gewesen ist.
- Der Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR existierte von 1934 bis 1943.
Seitdem die Dissertation von Anderson 1987 verlegt worden ist, sind diese wichtigen Forschungsergebnisse für die akademischen Fachwelten problemlos zugänglich gewesen.
Viktor Farías (1987/89) ist es zu verdanken, dass ein deutlich größerer Leserkreis Kenntnis vom Ausschuss für Rechtsphilosophie und seinen prominenten Mitgliedern erhielt. Farías gab an seine Leser Informationen aus der zeitgenössischen Zeitungsberichterstattung über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Mai 1934 wieder. Dank dieser Wiedergabe erfuhren seine Leser, welche Personen Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren. Farías gab dabei den Schreibfehler („Schmidt“ statt „Schmitt“) der Zeitungsberichterstattung an seine Leser weiter:
An der konstituierenden Sitzung dieses Ausschusses, die im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand, nahmen (als Gründer und Vorsitzender) der Reichsjustizkommissar Dr. Hans Frank sowie Vertreter der Verwaltung und der nationalsozialistischen Intelligenz teil. Geschäftsführender Vorsitzender war Prof. Emge (Jena). Anwesend waren außerdem Geheimrat Kisch (München), Reichsleiter Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai und Staatsrat Schmidt. Dem Ausschuß gehörten ferner an die Professoren Heidegger (Freiburg), Rothacker und Naumann (Bonn), Freyer (Leipzig), Baron von Uexküll (Hamburg), Geheimrat Stammler (Berlin), Binder (Göttingen), Geheimrat Heymann (Berlin), Jung (Marburg), Bruns (Berlin) sowie Dr. Mikorey (München).
(Farías 1989), S. 277
Erstmalig erfuhren Leser auch etwas über die Inhalte der nationalsozialistischen Rechtsphilosophie, die der Ausschuss entwickeln sollte, da Farías aus der Eröffnungsrede Hans Franks zitierte:
»Wir in unserem engen Kreis […] wollen die Sammlung der volksbetonten allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln. […] Der Durchbruch der Rechtsphilosophie heißt daher: Feierlich Abschied nehmen von der Entwicklung einer Knechtsphilosophie im Dienste undeutscher Dogmen. Lebensrecht und nicht Formalrecht soll unser Ziel sein. […] Wir machen deshalb Schluß mit dem Begriff des Gelehrtentypus, dessen Wert darin lag, daß er weltfremd war. […] In │ S. 279 diesem Sinne bitte ich, daß der Ausschuß sich als ein Kampfausschuß des Nationalsozialismus konstituiert.«
(Farías 1989), S. 278 f.
Die unverlegte Dissertation von Stefan K. Pinter über den Rechtsphilosophien Emge aus dem Jahr 1994 informierte einen kleinen Kreis von Akademikern beiläufig darüber, dass der Name von Carl Schmitt auf irgendeiner Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie in einer Akte Emges auftauche. Pinter bezog sich nicht korrigierend auf Farías. Auch fügte er seiner Dissertationsschrift keine Kopie dieser Mitgliederliste bei. Leser durften es deswegen für möglich halten, dass Pinter und nicht Farías den Namen Schmi?? falsch wiedergegeben hatte.
In einem Aufsatz aus dem Jahr 2000 über einen rechtsphilosophischen Text Emges behauptet Stephan Günzel beiläufig, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Sein Versuch, das anhand der Akte Emges, die bereits Pinter (1994) berücksichtigt hatte, zu belegen, war aufgrund einer hohen Fehlerquote nicht erfolgreich.
Erst Christian Tilitzki ist es 2003 mit wissenschaftlichen Methoden gelungen nachzuweisen, dass Carl Schmitt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie vor 1935 gewesen ist.
Keine einzige Sekundärliteratur zu Carl Schmitt, die ich überprüft habe, informiert ihre Leser darüber, dass Carl Schmitt zu irgendeinem Zeitpunkt Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR gewesen ist. Auch nicht die Schmitt-Sekundärliteratur, die nach 2003 erschien.
Dank der Forschungsarbeit von Emanuel Faye (2005/2009) wissen wir, dass Heidegger sich spätestens im Wintersemester 1934/35 mit nationalsozialistischen Schriften Carl Schmitts und Ernst Forsthoffs auf dem Boden des Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat. Das geht aus zwei Mitschriften von Studenten aus dem Seminar Heideggers über Hegels Rechtsphilosophie vom Wintersemester 1934/35[121] hervor, die Faye im Literaturarchiv Marbach gefunden hatte. Leser von Faye (2005/2009) erhielten einen Einblick in die »weltanschauliche« Arbeit Heideggers, die dieser anfänglich für den „Kampfausschusses des Nationalsozialismus“ geleistet hat. Diesen Erkenntnisgewinn nahm Faye als Wissenschaftler zum Anlass, nach Spuren einer Kooperation Heideggers mit Schmitt vor 1933 zu suchen. Seine Suche ergab zusätzlich Kontakte zu Erich Rothacker, der ebenfalls noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Mit den Ursprüngen des akademischen Nationalsozialismus beschäftige ich mich selbst in Teil II.
3. Die Gründungsphase des Ausschusses für Rechtsphilosophie von März bis Mitte Juni 1934 gemäß einer Akte Emges (GSA 72/1588)
Tilitzki (2003) gehört der Ruhm, als erster wissenschaftlich nachgewiesen zu haben, dass Carl Schmitt vor 1935 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Tilitzki hatte die Information in einem Text von Emge gefunden, der im „Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung“ 1935 veröffentlicht worden ist.
Pinter (1994) und Günzel (2000) waren vor Tilitzki zu einem ähnlichen Ergebnis anhand einer Akte Emges gekommen, die dieser während seiner Zeit als wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs über den Ausschuss für Rechtsphilosophie angelegt hatte. Sie haben dieses Ergebnis aber nicht ausreichend belegt.
Die Akte Emges, die Pinter (1994) und Günzel (2000) herangezogen haben, ist im Besitz des Goethe- und Schiller-Archivs (GSA). Ihre Signatur lautet: GSA 72/1588.
Ich werde nun zeigen, dass diese Akte Emges zweifelsfrei belegt, dass Carl Schmitt vor dem 19. Mai 1934 zu den Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehört hat: Am 19. Mai 1934 übermittelte Professor Emge als stellvertretender Vorsitzende des Ausschusses für Rechtsphilosophie dem Generaldirektor der AfDR Dr. Lasch eine Namensliste von achtzehn Personen, für die Berufungsurkunden ausgestellt werden sollten. Die Übergabe der Urkunden sollte auf der zweiten Sitzung des Ausschusses am 26. Mai 1934 erfolgen. Carl Schmitts Name ist auf dieser Liste aufgeführt.
Darüber hinaus ist es sehr wahrscheinlich, dass Carl Schmitt bereits vor der Eröffnungssitzung am 3. Mai 1934 zu den Mitgliedern des Ausschusses gehörte, denen vorab von Emge mitgeteilt worden ist, dass sie in den Ausschuss für Rechtsphilosophie berufen worden seien. Da Carl Schmitt in seinem Antwortschreiben vom 21. April 1934 das Wort „Berufung“ nicht verwendet, ist es jedoch denkbar, dass er zur Eröffnungssitzung nur als Gast eingeladen worden ist. Eine dreiseitige, handschriftliche Planung der Eröffnungssitzung führt den Namen Carl Schmitt aber unter der Charakterisierung „Berufungsschreiben an“ auf, so dass man davon ausgehen darf, dass auch Carl Schmitt im März 1934 ein Berufungsschreiben in den Ausschuss für Rechtsphilosophie erhalten hat.
Unter dieser Annahme darf folgendes aufgrund der Informationen der Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie gefolgert werden: Alle zwölf Personen, die nach dem 17. Juli 1941 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren, gehörten 1934 zu seinen Gründungsmitgliedern.
Anfänglich hatte der Ausschuss für Rechtsphilosophie 18 Mitglieder, wenn man Hans Frank und Carl August Emge als Mitglieder zählt. Um die sechs Personen vorzustellen, die 1941 nicht mehr dabei waren, nutze ich wieder das Senioritätsprinzip. Zwei der sechs Personen sind vor 1941 gestorben. Das kann, muss aber nicht erklären, weshalb sie 1941 nicht mehr dabei waren.
- Prof. Dr. Rudolf Stammler (1856-1938)
- Jakob Johann Baron von Uexküll (1864-1944)
- Rechtsanwalt Walter Luetgebrune (1879-1949)
- Prof. Dr. Julius Binder (1870-1939)
- Prof. Hans Naumann (1886-1951)
- Ministerialdirektor Dr. jur. Helmut Nicolai (1895-1955)
Das mir bekannte Drittel der Akte Emges bietet darüber hinaus Indizien, wie Emge als stellvertretender Vorsitzender sich selbst und den Ausschuss für Rechtsphilosophie im Konflikt zwischen Röhm und Hitler wenige Tage vor dem »Röhm-Putsch« im Juni 1934 positionierte.
Was immer genau geschehen ist, eines ist bereits jetzt klar: kein Dauermitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie ist einer der mindestens zwei »inneren Säuberungswellen« (1934 und 1944) des Nationalsozialismus zum Opfer gefallen.
3.1. Basisinformationen über die Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie:
Die Akte Emges, die Stefan K. Pinter 1994 berücksichtigt hat, ist im Besitz des Goethe- und Schiller-Archivs (GSA). Sie wird von diesem Archiv unter der Signatur „GSA 72/1588“ geführt und so charakterisiert: „Tätigkeit Emges im Ausschuß für Rechtsphilosophie an der Akademie für deutsches Recht“.
Laut schriftlicher Auskunft vom 7. Januar 2019 von Frau Christiana Herrgott, die für den Benutzerdienst des Goethe- und Schiller-Archivs arbeitet, umfasst die Akte 160 Blatt. Teilweise seien beide Seiten des Blattes beschrieben. Erst nachdem Stefan K. Pinter die Akte eingesehen habe, seien die Blätter foliiert, d.h. mit Seitenzahlen versehen worden. Laut schriftlicher Auskunft von Frau Herrgott vom 9. Januar 2019 erfasst die Akte GSA 72/1588 den Zeitraum von 1934 bis 30. Juli 1934.
3.2. Informationen zur Eröffnungssitzung am 3. Mai 1934
Nach Auskunft von Frau Herrgott befinden sich mehrere Mitgliederlisten des Ausschusses für Rechtsphilosophie in dieser Akte Emges:
Mitgliederlisten befinden sich erst handschriftlich dann maschinenschriftlich auf Blatt Nr. 12, 27, 35-38, 80-83 und 126-129. Teilweise ist das jeweilige Datum auf der Liste vermerkt, teilweise durch den zuvorliegenden Brief ersichtlich.
(Herrgott 2019)
Ich bin seit Januar 2019 in Besitz von Kopien all dieser Blätter und kann deswegen über sie berichten. Über die Gesamtakte kann ich nicht abschließend berichten, da ich nur im Besitz von Kopien von 50 der 160 Blätter der Akte Emges bin. Da in den mir bekannten Blättern auf das Beilegen von Zeitungsberichten hingewiesen wird, vermute ich, dass sehr viele der mir unbekannten Blätter die Zeitungsartikel über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie sind. Diese Zeitungsartikel kenne ich zumindest teilweise und stelle sie in meinem Abschnitt 4 vor.
3.2.1. Das getippte Berufungsschreiben vom 26. März 1934
Die grundsätzlich chronologisch geordnete Akte Emges beginnt mit einem maschinenschriftlichen Schreiben vom 26. März 1934, das einem namentlich nicht genannten Doktor dessen Berufung in den Ausschuss für Rechtsphilosophie und eine Einladung zur Eröffnungssitzung am 3. Mai 1934 mitteilt. Oben in der Mitte ist handschriftlich der Ausruf „Berufungsschreiben“ notiert worden.
Max Mikorey war Arzt und 1934 eindeutig noch kein Professor. Das zweite Blatt der Akte ist ein Antwortschreiben Mikoreys. Demnach ist Blatt 1 mit großer Wahrscheinlichkeit eine Zweitausfertigung des Berufungsschreibens von Emge an Mikorey, das zu Aktenführungszwecken erstellt worden ist.
Ich zitiere nun das Berufungs- und Einladungsschreiben Emges.
Berufungsschreiben!
Stiftung
Nietzsche-ArchivWeimar, d. 26.3.34
Hochgeehrter Herr Doktor!
Im Namen von Herrn Reichsjustizkommissar Minister Dr. Hans Frank habe ich die Ehre, Sie hiermit zum Mitglied des in der Akademie für Deutsches Recht errichteten Ausschusses für Rechtsphilosophie zu berufen. Gleichzeitig lade ich Sie zu der Eröffnungssitzung am 3. Mai nachmittags 4 Uhr in den Räumen des Nietzsche-Archivs zu Weimar ein. Die Tagesordnung füge ich bei.
Mit deutschem Gruß und Heil Hitler!
Stellvertretender Vorsitzender des
Ausschusses für Rechtsphilosophie in der
Akademie für Deutsches Recht
Um Verzögerungen zu vermeiden, erbitte ich alle Antworten unter der Anschrift „an das Büro des Nietzsche-Archivs, Weimar, Luisenstr. 36, betr. Akademieausschuss für Rechtsphilosophie“●
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 1
3.2.2. Die handschriftliche Planung für den 3. Mai 1934 (Blätter 35 und 36)
Im unteren Drittel von Blatt 35 der Akte Emges gibt es einen handschriftlichen Entwurf des soeben präsentierten getippten Berufungsschreibens. Diesem Entwurf des Berufungsschreibens geht eine Liste von 16 Namen unter der Überschrift „Berufungsschreiben an“ vorher. Das Blatt beginnt mit einer vorläufigen Tagesordnung.
Ich gebe den Text von Blatt 35 wieder, der sich vor dem Entwurf des Berufungsschreibens wieder – soweit ich den Text entziffern konnte.
1. Vorläufige Tagesordnung:
Eröffnungssitzung des rph. Ausschusses der Akad. f. Deutsches Recht im Nietzschearchiv zu Weimar, Luisenstr. Donnerstag den 3. Mai 1934 nachm. 4 Uhr
Vorläufige Tagesordnung.
1. Begrüßung ????????????????? Elis. F. N.
2. Eröffnungsrede durch den Reichsjustizkommissar Minister Hans Frank
3. ??? des Reichsführers Alfred Rosenberg
4. Referat des stellvertretenden Vorsitzenden Prof. C. A. Emge über das Thema „welche Aufgabe stellt die n.s. Bewegung der Rechtsphilosophie“
5. Bildung der Arbeitsgemeinschaft in Anwesenheit des Reichsführers
6. Reflexion über die akadem. Bedeutung der
Philos.(ersetzt durch: Rphi) im dritten ReichVorsitzender: Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank
Stellver. Vorsitzender: […] Prof. Emge
2. Berufungsschreiben an
Mitglieder
1 1. Reichsleiter Rosenberg, Berlin, Völkischer Beobachter, Zimmerstr. 4 2. Prof. Dr. Heidegger, Rektor d. Univ. Freiburg 5 3. Prof. Dr. Erich Rothacker, Bonn 6 4. Geh. Rat Stammler, Wernigerode-Harz 7 5. Prof. Binder – Göttingen 2 6. Minist. Direktor Dr. Nicolai[122], Reichsinnenministerium Berlin 3 7. Staatsrat Prof. Carl Schmitt – Berlin, Universität 8 8. Geheimrat Prof. Dr. Ernst Heymann, Berlin [+ Adressangabe] 9 9. Professor Dr. Erich Jung – Marburg 10 10. Professor V. Bruns, Leiter des …, Berlin; Mitglied … in Haag 11 11. Prof. Dr. Hans Freyer, Leiter des …., Leipzig 12 12. Professor Baron v. Uexküll – Hamburg 13 13. Professor Hans Naumann, Bonn Buttmann 14 14. Mikorey München Sigmundstr. 3 15 Justizrat Gruppenführer Luetgebrune 16 Geh. Rat Prof. Dr. W. Kisch, München Kriegk!
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 35
Die Namen von Luetgebrune und Kisch sind später ergänzt worden. Luetgebrunes Name ist sogar zweimal an verschiedenen Stellen des Blattes jeweils als Nr. 15 ergänzt worden. Einmal ist er Gruppenführer, das andere Mal ist er Obergruppenführer. Im mir bekannten Drittel der Akte wird kein einziges Mal genauer bestimmt, ob er bei der SA oder bei der SS Gruppenführer gewesen ist.[123]
Unterhalb der Liste mit den 14 Eintragungen werden unter Bezugnahme auf die Zählung 1 bis 14 den so identifizierten Personen Anredeformen zugeordnet: „[…] Kollege“, „[…] Reichsführer“, „[…] Geheimrat“, „[…] Ministr. Direktor“, „[…] Staatsrat“.
Im Anschluss an diese Liste ist ein bearbeiteter Entwurf des Berufungstextes notiert:
Im Namen des Herrn Reichskommissars d. Justiz Minister Dr. Hans Frank habe ich die Ehre, Sie hiermit zum Mitglied des in der Akademie für D. R. errichteten Ausschusses für Rechtsphilosophie zu berufen. Gleichzeitig lade ich Sie zur der Eröffnungssitzung am 3. Mai nachm. 4 Uhr in den Räumen des NArchivs zu Weimar ein.
Die Tagesordnung füge ich bei.
Alle Antworten […]
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 35
Da Blatt 1, das Musterberufungsschreiben, auf den 26. März 1934 datiert ist und Blatt 35 einen handschriftlichen Entwurf des Berufungsschreibens von Blatt 1 enthält, ist Blatt 35 sehr wahrscheinlich vor dem 26. März 1934 verfasst worden. Da zusätzlich auf Blatt 35 eine „Vorläufige Tagesordnung“ und eine Namenliste unter der Überschrift „Berufungsschreiben an“ in derselben Handschrift niedergeschrieben worden ist, belegen die Blätter 1 und 35 zusammen genommen, dass Carl Schmitt zu den berufenen Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehörte. Da das Antwortschreiben von Wilhelm Kisch (Blatt 9) auf den 30. März 1934 datiert ist, ist die Ergänzung von Kisch und Luetgebrune auf Blatt 35 sehr wahrscheinlich auch noch im März 1934 vorgenommen worden.
Die Namen „Buttmann“ und „Kriegk“ sind mit Bleistift auf Blatt 35 ergänzt worden. Vermutlich zu einem späteren Zeitpunkt.
Da Ernst Kriecks Name falsch geschrieben worden ist, glaube ich nicht, dass Emge persönlich die Namen „Buttmann“ und „Kriegk“ später ergänzt hat. Unklar ist insoweit, ob und wenn ja, wann Buttmann und Krieck berufen worden sind. Aktenintern kann das zum Glück geklärt werden. Ich tue das umgehend:
Blatt 125 dieser Akte Emges ist ein Schreiben von Krieck an Emge vom 8. Juni 1934. Unter Nutzung des Briefkopfs der von Krieck herausgegebenen Zeitschrift Volk im Werden teilt Krieck Emge folgendes mit:
Hochverehrter Herr Kollege!
Ergebensten Dank für Ihre sehr freundliche Einladung, an der nächsten Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie teilzunehmen. Da ich nicht Mitglied der Akademie für Deutsches Recht und auch nicht des Ausschusses für Rechtsphilosophie bin, kann ich mir indessen von einer solchen sporadischen Teilnahme an Ihrer Arbeit nichts versprechen und bitte daher, vor einer förmlichen Einladung Abstand nehmen zu wollen.
Heil Hitler!
Ihr sehr ergebener
Krieck
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 125
Krieck ist demnach nicht – nachträglich – zum Mitglied des Ausschusses berufen worden, sondern nur – informell – zu einer Sitzung als Gast eingeladen worden. Das Schreiben Kriecks erklärt vermutlich, was der Anlass für Kriecks Sammlung der Zeitungsberichterstattung vom 4. und 5. Mai über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist: Krieck informierte sich auf diesem Wege über den Ausschuss. Hätte Emge Krieck nicht zu einer informellen, sporadischen Teilnahme eingeladen, hätte Krieck sich nicht informiert, hätte Farías in der Akte Kriecks nicht die Zeitungsberichte über die Gründung des Ausschusses gefunden, hätte ich mich 2016 nicht an die Existenz des Ausschusses für Rechtsphilosophie mit Hans Frank und Martin Heidegger erinnert …
Blatt 126 ist ein Schreiben von Emge an den Verwaltungsmitarbeiter der AfDR in München namens Gaeb vom 12. Juni 1934. In ihm bezieht sich Emge auf Rudolf Buttmann (1885-1947)[124], so dass auch die handschriftliche Ergänzung „Buttmann“ auf Blatt 35 aktenintern ausgelegt werden kann. Auf das Gesamtschreiben komme ich noch zurück. Hier zitiere ich nur den Satz über Buttmann:
[…] Ich füge noch eine Liste der ständigen Mitglieder bei und bemerke hierzu, daß eine Ergänzung durch Herrn Ministerialdirektor Buttmann (Grundlagen des konfessionellen Rechts) und durch einen Vertreter des Reichsbildungsministeriums in Aussicht genommen ist.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 126
Anscheinend sind die Namen Kriecks und Buttmanns im Juni 1934 auf Blatt 35 der Akte Emges ergänzt worden.
Zurück zur handschriftlichen Planung der konstituierenden Sitzung vom 3./4. Mai 1934 in Weimar. Blatt 35 enthält die vorläufige Tagesordnung (Punkt 1) und eine Namensliste fürs Verschicken von Berufungsschreiben (Punkt 2). Das Blatt 36 enthält drei weitere Planungspunkte. Ich habe mir noch nicht die Mühe gemacht, das alles zu entziffern.
Punkt 3 ist ein Briefentwurf an den Akademiedirektor Lasch. Hans Frank habe den rechtsphilosophischen Ausschuss gebilligt. Vorsitzender sei Frank, stellvertretender Vorsitzender Emge. In anderer Sortierung sind dieselben Namen notiert. Die abweichende Sortierung ergab sich aus dem Umstand, dass einige Mitglieder des Ausschusses bereits Mitglieder der AfDR waren, andere nicht. Der Briefentwurf endet mit einer Bemerkung über die Mitgliedschaft im BNSDJ.
Punk 4 ist ein kurzer Briefentwurf an den stellvertretenden Präsidenten der AfDR, Geheimrat Professor Dr. Wilhelm Kisch. Emge teilt auch Kisch mit, dass Frank den Ausschuss gebilligt habe. Es folgen ein Satz und eine Grußformel, die ich noch nicht entziffert habe.
Punkt 5 ist ein Briefentwurf an Hans Frank, der wegen einer erhöhten Krakeligkeit und mehreren Durchstreichungen schwieriger zu entziffern ist.
Auf die handschriftliche Planung der Eröffnungssitzung, welche die Blätter 35 und 36 einnimmt, folgt eine getippte Mitgliederliste.
3.2.3. Eine getippte „Mitgliederliste des Rechtsphilosophischen Ausschusses“ (Blatt 37)
Auf die handschriftliche Planung folgt in der Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie eine ordentlich getippte Liste der Mitglieder und der Vorsitzenden dieses Ausschusses. Erkennbar ist, dass die handschriftlichen Änderungen der Nennungsreihenfolge der Mitglieder auf Blatt 35 weitgehend umgesetzt worden sind. Neu mit Blick auf Blatt 35 ist, dass Wilhelm Kisch in der Hierarchie noch deutlich weiter oben positioniert worden ist. Insgesamt ist eine Hierarchisierung gemäß der Ränge im NS-Staat gewählt worden. Diese Regel wird ergänzt durch eine akademische Hierarchisierung.[125]
Abbildung 4: „Mitgliederliste des rechtsphilosophischen Ausschusses“; in: Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 37 – von Miriam Wildenauer erstellte Projektion aller semiotischen Informationen
Blatt 38 ist eine weitere Kopie dieser Mitgliederliste. Links der Namen von Nicolai, Schmitt, Kisch und Naumann sind kleine Kreise mit Bleistift gezeichnet worden. Mit diesen Kreisen sind Abwesenheiten auf der Eröffnungssitzung markiert worden. Das geht aus dem Protokoll Emges über die erste Sitzung hervor, das ich nun vorstellen werde.
3.2.4. Emges Bericht über die Eröffnungssitzung vom 3. Mai 1934 – verschickt am 12. Juni 1934
Die Blätter 127 bis 129 sind ein getipptes Protokoll der ersten Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie, das von seinem stellvertretenden Vorsitzenden verfasst worden ist. Auf dem ersten Blatt ist oben handschriftlich ergänzt worden:
„An Hr. Gaeb (oder Gaede?), Berlin, Preußenhaus, Prinz Albrechtsr. 5 vom 13.6.34 gefunkt“ .
Ich könnte mich bei der Entzifferung des Wortes „gefunkt“ geirrt haben. Das korrekte Wort ist dem Linienverlauf von „gefunkt“ aber sehr ähnlich. Dieser Bericht ist einem Brief von Emge an Herrn Gaeb vom 12. Juni 1934 beigegeben. Inzwischen kann Emge offizielles Briefpapier nutzen – auch das widerlegt seine Darstellung von 1960, direkt nach der Eröffnungssitzung habe Alfred Rosenberg dem Ausschuss für Rechtsphilosophie den Todesstoß versetzt.
Abbildung 5: Offizieller Briefkopf des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR, den Prof. Dr. Dr. C. A. Emge in einem Brief am 12. Juni 1934 nutzte; in: Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie (GSA 72/1588), 1934), fol. 126 – von Miriam Wildenauer erstellte Projektion der semiotischen Informationen des Briefkopfes
Ich zitiere nun den gesamten Briefinhalt. Den Satz über Buttmann hatte ich bereits zitiert.
Sehr geehrter Herr Dr. Gaeb!
Anliegend überreiche ich Ihnen den Bericht über die Eröffnungssitzung unseres Ausschusses. Wie Sie aus anliegenden Schreiben des Stenographen ersehen, müssen sich die stenographierten Reden in Berlin befinden. Ich füge noch eine Liste der ständigen Mitglieder bei und bemerke hierzu, daß eine Ergänzung durch Herrn Ministerialdirektor Buttmann (Grundlagen des konfessionellen Rechts) und durch einen Vertreter des Reichsbildungsministerium in Aussicht genommen ist.
Mit ergebenen Heil-Grüßen
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 126
Hintergrund der Übermittlung des Berichts ist die Erfüllung einer Berichtspflicht von Ausschussvorsitzenden gegenüber dem Präsidenten der AfDR. Da im Völkischen Beobachter am 4. und 5. Mai 1934 die Reden von Hans Frank und Alfred Rosenberg ausführlich wiedergegeben worden sind (siehe meinen Unterabschnitt 4.3.), haben stenographische Mitschriften der Reden anscheinend tatsächlich ihren Weg von Weimar nach Berlin gefunden.
Hier nun Emges Bericht über die Eröffnungssitzung:
An Hr. Gaeb, Berlin, Preußenhaus, Prinz Albrechtsr. 5 vom 13.6.34 gefunkt
Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie
am 3. Mai 1934.
In den Räumen des Nietzsche-Archivs fand nachmittags 4 Uhr unter Leitung des Präsidenten der Akademie, Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank, und unter Mitwirkung des Reichsleiters Alfred Rosenberg die Eröffnungssitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie statt.
Anwesend waren, ausser Mitgliedern des Stabs der beiden Reichsleiter, Akademiedirektor Dr. Lasch, der Pressechef des NSBDJ. Dr. Freiherr du Prel, der Pressechef der Akademie Dr. Gaeb, der hiesige Kreisleiter Minister Dr. Weber, Vertreter des hiesigen Juristengaues, folgende Mitglieder des Ausschusses:
Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank (Vorsitzender)
Professor Dr. Dr. Emge (stellvertretender Vorsitzender)
Reichsführer Rosenberg
Professor Dr. Heidegger
Professor Dr. Erich Rothacker
Geheimrat Stammler
Professor Binder
Geheimrat Professor Dr. Ernst Heymann
Professor Dr. Erich Jung
Professor Dr. Bruns
Professor Dr. Hans Freyer
Professor Baron v. Uexküll
Dr. Mikorey
Justizrat Gruppenführer Luetgebrune │ fol. 128
Leider waren am Erscheinen verhindert:
Ministerialdirektor Dr. Nicolai
Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt
Geheimrat Professor Dr. Kisch
Professor Dr. Hans Naumann.
In Gegenwart der Hausherrin, Fr. Dr. h.c. Förster-Nietzsche, fand zunächst eine kleine Feier statt, über deren Verlauf anliegender Zeitungsausschnitt berichtet.
Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank und Reichsleiter Rosenberg hielten längere Ansprachen von grundsätzlicher Bedeutung über die Aufgabe der Rechtsphilosophie im neuen Staat und die des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Beide Reden wurden schriftlich niedergelegt und durch die Presse weitergegeben. Der Inhalt ergibt sich gleichfalls aus der Anlage.
Alsdann begann die eigentliche geschäftliche Sitzung in dem Bibliotheksraum des Archivs. Zunächst forderte Minister Dr. Frank die Mitglieder des Ausschusses zu einer kurzen Stellungnahme zu den gehörigen Ausführungen auf. Zweck dieser Aussprache war, die einzelnen Mitglieder, von so verschiedenartigen Interessengebieten, einmal kennenzulernen. Danach hielt Professor Dr. Emge ein Referat über die die verschiedenartigen Arbeitsgebiete des Ausschusses. Sein Inhalt ergibt sich aus anliegenden [im Original; mw] Zeitungsausschnitt.
Am Schluß der Sitzung gab Minister Dr. Frank den Mitgliedern des Ausschusses folgende Fragen zur Beantwortung auf:
- Was ist überhaupt das Recht?
- Wie verhält sich der Begriff des Rechts zu dem des Deutschen? │ fol. 129
Es wurde vorgesehen, daß bei der nächsten Sitzung des Ausschusses, vermutlich anläßlich der Akademietagung, die Mitglieder über ihre Antworten referieren sollten.
gez. Dr. Emge
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 127-129
Stefan K. Pinter, der für seine Dissertationsschrift von 1994 die Akte Emges vollständig eingesehen hat, berichtet folgendes über den Akteninhalt, das hier hilfreich ist:
Die gestellten Fragen wurden von Binder, Uexküll, Rothacker, Jung, Stammler und Lasch brieflich zwischen dem 9.5.1934 und dem 1.6.1934 prompt beantwortet.1
1 Nietzsche-Archiv Weimar Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie
(Pinter 1994), S. 63 f.
Frau Herrgott vom Goethe- und Schiller Archiv hat mir am 9. Januar 2019 die Korrektheit dieser Behauptung Pinters mit einer Ausnahmen bestätigt. Der „Bericht von Lasch“ befinde „sich nicht oder nicht mehr in der Akte“. Noch kenne ich die Antworten, die in der Akte Emges überliefert sind, nicht. Sobald ich sie kenne, ergänze ich diesen Abschnitt.
Bemerkenswert ist ferner, dass Maximilian Freiherr du Prel (1904-1945) anwesend war. Er gehörte zum engsten Kreis um Hans Frank, auch noch als dieser Generalgouverneur wurde. [126]
Die Eintragungen in den Tagebüchern Carl Schmitts der Jahre 1930 bis 1934, die 2010 veröffentlicht worden sind, bestätigen die Abwesenheit von Carl Schmitt am 3. Mai 1934:
3. [Mai 1934; mw] Donnerstag
Morgens bei Popitz. Herumgelegen, Vorlesung schlecht vorbereitet. Weimar 4 Uhr, Weimar
abgesagt, Nietzsche Archiv <diese Eintragung durchgestrichen>. Abends Wein <?> kommen lassen, etwas mehr getrunken, aufgeregt über die Justiz.
4. [Mai 1934; mw] Freitag
Schnell an Höhn <?> geschrieben, traurig und deprimiert. Herumgelegen, Vorlesung
schlecht vorbereitet, müde und traurig. Mittags geschlafen, Abends Verwaltungsjuristentagung, Frank und Nikolai sprechen, aber früh nach Hause.
(Schmitt, Tagebücher 1930-1934; 2010), S. 343
Falls Carl Schmitt am 4. Mai 1934 tatsächlich Reinhard Höhn geschrieben haben sollte, würde ich diesen Brief gerne lesen.
3.2.5. Eine handgeschrieben Namensliste vom 23.4.34
Auf Blatt 12 befindet sich eine weitere, handgeschriebene Namensliste. Sie ist auf den „23.4.34“ datiert. Es handelt sich aber nicht um eine Liste der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Es handelt sich um eine Liste von Personen, die an die Eröffnungssitzung erinnert werden sollen. 15 Namen sind aufgelistet. Die meisten kann ich entziffern:
- Gonella, NSBDJ
- Heuber
- Noack, NSDBJ
- ???, NSDBJ
- ???, NSDBJ
- Hedemann (?)
- Frank
- Direktor der AfDR, Lasch
- Nicolai
- ???
- Rosenberg
- Staatssekretär Freisler
- ???, Reichspropagandaministerium
- Göbbels
- ???
Im mir bekannten Drittel der Akte Emges aus der Gründungsphase des Ausschusses für Rechtsphilosophie ist das die einzige Bezugnahme auf Roland Freisler.
3.3. Informationen zur zweiten Sitzung des Ausschusses am 26. Mai 1934 auf der Arbeitstagung der AfDR in Berlin (Blätter 79-86)
Diese Blättergruppe der Akte Emges besteht aus einem Briefwechsel vom 18. und 19. Mai 1934 zwischen dem Geschäftsführenden Direktor der AfDR, Dr. Karl Lasch, dem stellvertretenden Vorsitzendes des Ausschusses für Rechtsphilosophie Emge und dem Archivar des Nietzsche-Archivs, Max Oehler (1875-1946)[127].
Es geht ums kurzfristige Einladen der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu einer Arbeitstagung der AfDR, die am Samstag, den 26. Mai 1934 stattfand. Auf dieser Tagung sollten die Berufungsurkunden den Mitgliedern ausgehändigt werden. Die Mitgliederliste ist unverändert.
Zunächst der Brief von Dr. Lasch unter Nutzung des Briefkopfes der AfDR vom 18. Mai 1934 an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für Rechtsphilosophie Emge:
Sehr geehrter Herr Professor, da der Akademie für deutsches Recht bisher eine Liste Ihrer Ausschuss-Mitglieder nicht vorliegt, bitten wir Sie ergebenst, beiliegenden Einladungen an Ihre Mitglieder zu versenden und uns die Namen und Adressen der Herren mitzuteilen, die Sie zu der Veranstaltung am 26. Mai ds. Js. eingeladen haben. erledigt Sofern Sie wünschen, daß Ihre Ausschuß-Mitglieder Urkunden am Samstag erhalten, bitten wir, uns Namen, Vornamen und Stand eines jeden Mitgliedes umgehend mitteilen zu wollen, da es sonst nicht möglich sein wird, die Urkunden auf den Namen auszustellen. Mit ergebenen Heil-Grüßen Dr. Lasch
15 Einladungen!
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 79
Ich zitiere auch den Brief von Emge/Oehler an Lasch vom 19. Mai 1934 vollständig:
19. Mai 1934
Herrn Akademiedirektor Dr. Lasch,
Berlin
Hochverehrter Herr Akademiedirektor!
Unsere Briefe haben sich gekreuzt. Ich nehme natürlich gern an der Arbeitstagung [am 26. Mai 1934; mw] teil und habe dazu auch die in der Anlage verzeichneten Mitglieder der Akademie für Rechtsphilosophie geladen, und sie wegen der Kürze der Zeit gebeten, die Teilnahme Ihnen unmittelbar mitzuteilen.
Hoffentlich bringt diese Arbeitstagung wieder vollen Erfolg!
Mit den besten Wünschen zum Pfingstfest und
Heil Hitler
(gez.) Prof. Dr. Emge
Stellv. Vors. des Rechtsphilosophischen Ausschusses
Ihr M. Oeh.
i.A.Archivar des Nietzsche-Archivs
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 80
Wer mag, erinnere sich an Emges lügenhafter Darstellung von 1960, dass Alfred Rosenberg dem Ausschuss für Rechtsphilosophie bereits am Abend des 3. Mai 1934 den Todesstoß versetzt habe.
Dem Brief vom 19. Mai 1934 ist folgende Mitgliederliste beigegeben:
Abbildung 6: Von Miriam Wildenauer erstellte Projektion der Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie vom 19. Mai 1934 (GSA 72/1588, fol. 81)
Die handschriftliche Notiz von Oehler links unten kann ich entziffern: „Die Veränderungen auf der an Dr. Lasch gesendeten Liste nachgetragen.“ Die Streichung von „Orts“ beim „Ortsgruppenführer“ Luetgebrune ist auf jeden Fall korrekt. Es bestand nur Unsicherheit, ob und ggf. wann Luetgebrune zum Obergruppenführer befördert worden ist.[128]
Die Blätter 82 und 83 sind weitere, inhaltsidentische Exemplare der „Mitgliederliste des Rechtsphilosophischen Ausschusses“. Es fehlt nur die handschriftliche Notiz Oehlers.
Blatt 84 ist eine Kopie der Anschreiben an die Mitglieder des Ausschusses, mit dem diese zur Arbeitstagung der gesamten AfDR und einer Tagung des Einzelausschusses am 26. Mai 1934 eingeladen wurden. Bereits hier wurde der offizielle Briefkopf des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR genutzt. Ich zitiere den Haupttext:
An die Herren Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht.
Ich lade Sie hiermit zu der am 26. Mai 1934 vorm. 10 Uhr im großen Saal des Preußenhauses, Prinz Albrechtstr. 5, stattfindenden Arbeitstagung ergebenst ein.
Es werden sprechen, der Präsident der Akademie, Reichsjustizkommissar Dr. Franck [so im Original; mw], sodann die Vorsitzenden der Ausschüsse. Um 1 Uhr findet gemeinsames Mittagessen im Restaurant statt (RM 1,50); um 3 Uhr ist ein Vortrag des Sachverständigen für Rasseforschung, Dr. Gercke. Ab 4 Uhr tagen die einzelnen Ausschüsse.
Die Spesen können wie immer danach bei der Geschäftsstelle der Akademie, München, Prinz Regenten Str. 8 liquidiert werden. Antwort über die Teilnahme erbitte ich nicht an mich, sondern unmittelbar an Akademiedirektor Dr. Lasch, Berlin S.W. 11, Preußenhause, Prinz Albrechtstr. 5.
Heil Hitler!
(gez. Prof. Dr. Emge
Stellv. Vors. des Rechtsphilosophischen Ausschusses
i.A. Archivar des Nietzsche-Archivs, Weimar.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 84
Im ersten Jahrbuch der AfDR wurde ein Bericht über diese Arbeitstagung abgedruckt. Ich komme deswegen in Abschnitt 7.10. auf die Arbeitstagung zurück. Insbesondere der Vortrag des „Sachverständigen für Rasseforschung, Dr. Gercke“ hat es in sich (7.10.3.).
3.4. Informationen zur geplanten dritten Sitzung des Ausschusses auf der ersten Jahrestagung der AfDR am 25. und 26. Juni 1934
Am 13. Juni 1934 hatte Emge seinen Bericht über die Eröffnungssitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie an die Geschäftsführung der AfDR geschickt. Diese Sitzung habe mit dem Arbeitsauftrag Franks an die Mitglieder geendet, folgende Fragen zu beantworten: „Was ist überhaupt Recht? Wie verhält sich der Begriff des Rechts zu dem des Deutschen?“
An diesen Arbeitsauftrag knüpft Emge sachlich in einem weiteren Brief vom 13. Juni 1934 an. Adressat des Briefes ist der Reichsjustizkommissar Hans Frank. Emge nutzt den offiziellen Briefkopf des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR.
Weimar, d. 13.VI.34
Hochverehrter Herr Reichsjustizkommissar!
Ihre den Ausschussmitgliedern für Rechtsphilosophie gestellte Frage nach dem Verhältnis von Deutschtum und Recht und die Zusammensetzung des Ausschusses gibt uns die Möglichkeit, die Jubiläumstagung der Akademie in München zu einer besonderen Veranstaltung des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu benutzen. Zwei Mitglieder des Ausschusses, Professor Rothacker in Bonn (Philosoph) und Professor Naumann in Bonn (Deutsche Literatur) wären bereit, in Verbindung mit Professor Mitteis[129] in München (Rechtshistoriker) vier kurze Referate zu halten unter dem Titel „Was ist deutsch?“ Die deutsche Notgemeinschaft würde sich dabei gern, auch mit einem Kostenbeitrag, beteiligen. Das Bestreben, in unseren Ausschuß für das Recht entscheidend wichtige kulturelle Dinge zu gewinnen, würde also hier schon in bemerkenswerter Weise Früchte tragen. Es ist ja höchst merkwürdig, daß die anderen hierzu berufenen Stellen bisher noch nicht auf die Idee einer solchen Veranstaltung gekommen sind. Um so erfreulicher, wenn Ihr Ausschuß für Rechtsphilosophie diese Gelegenheit aufgreift. Ich werde mich, der Eiligkeit wegen, sogleich mit Herrn Dr. Lasch in Verbindung setzen. Diese Veranstaltung des Ausschusses für Rechtsphilosophie (etwa am 25. ds. Mts.), die natürlich dem weiteren Kreise der Akademie zugänglich wäre │ Blatt 131 müßte dann rechtzeitig in das Programm aufgenommen werden.
Bei einem kurzen Aufenthalt, vorgestern in Berlin, bin ich zur Ueberzeugung [so im Original; mw] gekommen, daß es für die jetzige Situation wünschenswert wäre, wenn wir auch einen Vertreter des Reichswehrministeriums in unseren Ausschuß bekämen. Da der Nationalsozialismus im Sinne Nietzsches den militärischen Geist pflegt, ergäben sich dadurch wertvolle Möglichkeiten zu einer Zusammenarbeit. Sollte ich nichts gegenteiliges [so im Original; mw] hören, so werde ich mir erlauben, an das Reichswehrministerium, zu dem ich Beziehungen besitze, in Bälde heranzutreten.
Hoffentlich sind Sie, hochgeehrter Herr Reichsjustizkommissar, von Ihrer Krankheit wieder hergestellt.
In höchster Verehrung mit den besten Grüßen von Frau Dr. h.c. Förster-Nietzsche und Heil-Gruß
Ihr ergebenster
Gez. Emge
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 130 f.
Am 13. Juni 1934 plante Emge demnach eine dritte „Veranstaltung“ des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Sie sollte Teil des öffentlichen Rahmenprogramms zum ersten Jahrestag der AfDR am 26. Juni 1934 in München sein. Im dritten Heft des ersten Jahrgangs der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht ist über diese Jahrestagung berichtet worden (S. 119-123). In diesem Bericht wird der Ausschusses für Rechtsphilosophie nicht erwähnt. Auch wird nichts über die anvisierten Referate Rothackers, Naumanns und Mitteis berichtet. Da in diesem Bericht aber über andere Ausschüsse berichtet wurde, ist es sehr wahrscheinlich zu keiner öffentlichen oder zumindest zu einer öffentlich angekündigten Sitzung oder/und Veranstaltung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gekommen. Das mag schlicht daran gelegen haben, dass Emge mit seiner Planung spät dran war.
Vorsichtshalber habe ich im ersten und zweiten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht überprüft, ob vielleicht dort etwas über den Ausschuss für Rechtsphilosophie im Zuge der Berichterstattung über die erste Jahrestagung mitgeteilt worden ist. Das ist nicht der Fall. Irritierenderweise ist gar nichts über die erste Jahrestagung berichtet worden.
An dem Brief Emges an Hans Frank vom 13. Juni 1934 ist ferner bemerkenswert, dass Emge eine Vertreter des Reichswehrministeriums für den Ausschuss für Rechtsphilosophie gewinnen wollte. Zusätzlich ist bemerkenswert, dass Emge mitteilte, dass er „in Bälde“ seine Beziehung zu Reichswehrministerium nutzen werde, um das zu erwirken.
Zwischen dem 13. Juni 1934 und dem ersten Jahrestag der AfDR am 26. Juni 1934 sind bekanntlich die Entscheidungen getroffen worden, die zu den Morden im Zuge der »Niederschlagung des Röhm-Putsches« führten.[130]
3.5. Schreiben von Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Viele der Blätter der Akte Emges, von denen ich Kopien habe, sind Antwortschreiben der angeschriebenen »Persönlichkeiten« auf die Berufungsschreiben oder Einladungsschreiben zur Eröffnungssitzung am 3. Mai 1934. Da es anscheinend nur noch sehr wenige Originaldokumente des Ausschusses für Rechtsphilosophie und seiner Mitglieder gibt, präsentiere ich die Antwortschreiben der Dauermitglieder des Ausschusses ausführlich.
3.5.1. Mikorey lobt Emges Hebammenkunst in der Geburt des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Ich zitiere nun den handschriftlichen Antwortbrief Max Mikoreys. Aus ihm geht hervor, dass Emge und Mikorey schon länger in engerem Kontakt bezüglich der Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie standen und dass Mikorey beabsichtigte, seine Kenntnisse als Arzt in den Ausschuss einzubringen.
Dr. med. Max Mikorey
München, den 27.3.34
Zusagen[131]
Hochverehrter Herr Professor!
Besten Dank für Ihre liebenswürdigen beiden letzten Mitteilungen. Bitte zu entschuldigen, daß ich den vorletzten Brief nicht gleich beantwortete, ich hatte eine scheußliche Grippe und war ganz aktionsunfähig. Ich bin glücklich, daß es Ihrer μαιευτική τέχνη[132] nun endlich gelungen ist, den Ausschuss zur Welt zu bringen.
Die Bedeutung dieser Sache ist nun ja allen klar und ich kann Sie versichern, daß ich mich mit Begeisterung und wie ich hoffe auch mit einigen ganz nützlichen Kenntnissen zur Verfügung gestellt halten werden.
Ich werde mir bis zur Sitzung alles, was von mir aus geschehen kann, sehr genau überlegen, damit ich mit präzisen Vorschlägen in die Arbeitsgemeinschaft eintreten kann. Es ist für mich eine große Ehre als einziger Arzt in einer so wichtigen Gesellschaft mitwirken zu dürfen, die eine Art Universitas im neuen Sinn einer neuen Zeit darstellen wird. Ich danke Ihnen also nochmals für die Berufung und die liebenswürdige Einladung nach Weimar zur Eröffnung.
Falls Sie auf Ihrer Mussolini Reise in München Station machen sollten, wäre ich sehr erfreut, Sie hier begrüßen zu dürfen. Telefon 53189 Psychiatrische Klinik.
Mit deutschem Gruß und Heil Hitler!
Ihr ganz ergebener
M. Mikorey●
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 2
Bemerkenswert ist ferner, dass Mikorey eine geplante Reise Emges zu Mussolini anspricht.
3.5.2. Freyers Einladung an Emge und andere »Persönlichkeiten« zu einer Sitzung des Rates der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am 15. April 1934
Blatt 3 und 4 sind zwei Schreiben von Hans Freyer.
Auf Blatt 4 dankt Freyer mit Schreiben vom 28. März 1934 „verbindlichst für die Berufung in den in der Akademie für Deutsches Recht errichtete den Ausschuss für Rechtsphilosophie“ und sagt seine Teilnahme an der Eröffnungssitzung zu. Dazu nutze er den Briefkopf des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte „bei der Universität Leipzig“.
Blatt 3 ist eine Kopie einer Einladung Freyers an Emge und andere Personen im Rahmen der »Deutschen Gesellschaft für Soziologie«. Ich zitiere den Anfang dieses Briefes:
Deutsche Gesellschaft für Soziologie
Leipzig, den 28. März 1934.
Universitätsstr. 11.
An die
Herren Böhm, Emge, Ipsen, Krieck, Rothacker, Rumpf, Walther
Ich lade zu einer Sitzung des Rates der Deutschen Gesellschaft für Soziologie für
Sonntag, den 15.IV. 11 Uhr vormittags
nach Weimar, Hotel Elefant
ein. […]
Heil Hitler!
Hans Freyer
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 3
Die Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, die Professoren Emge, Freyer und Rothacker waren demnach zusätzlich über den Rat der „Deutsche Gesellschaft für Soziologie“ miteinander verbunden und hatten mit Max Hildebert Böhm[133], Gunther Ipsen[134], Max Rumpf[135] und Andreas Walther[136] völkische Soziologen und mit Ernst Krieck[137] einen völkischen Erziehungswissenschaftler zu Ratsgenossen.[138]
3.5.3. Julius Binders Antwort vom 28. März 1934
Blatt 5 ist das Antwortschreiben von Professor Julius Binder vom 28. März 1934, in dem sich Binder ausdrücklich für seine „Berufung zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie“ bedankt. Binder teilt ferner mit, er werde versuchen, am 3. Mai 1934 in Weimar zu sein. Das sei schwierig, da für ihn eine Vortragsreise nach Bulgarien vom 16. bis 30. April geplant sei, „die für unsere Propaganda von Bedeutung sein wird“. Ferner möchte Binder wissen, ob seine Berufung in den Ausschuss bedeute, dass er „damit persönliches Mitglied der Akademie geworden“ sei. Die Frage ist berechtigt, da die im relevanten Zeitraum geltende Satzung der AfDR nicht zwischen Mitgliedern von Ausschüssen der AfDR und Mitgliedern der AfDR unterschied.
3.5.4. Erich Jungs Antwort vom 29. März 1934
Blatt 6 ist das Antwortschreiben von Professor Erich Jung vom 29. März 1934. Da das Schreiben grammatisch nicht wohlgeformt ist, hat der Aktenbearbeiter nur den Teilsatz unterstrichen, dass Erich Jung zur Sitzung vom 3. Mai kommen werde. Jung verwendet aber den Ausdruck „Berufung“ und datiert das erhaltene Schreiben auf den 26.3., so dass gesichert ist, dass er ein Berufungsschreiben erhalten hat:
Marburg, den 29. 3. 1934
An das Büro des Nietzsche-Archivs
Ich bestätige den Empfang des Schreibens vom 26.3. Mit meiner Berufung in den Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht und der Ladung zur Sitzung vom 3. Mai in Weimar zu der ich kommen werde .
Mit deutschem Gruß und Heil Hitler
Ihr Erich Jung
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 6
3.5.5. Erich Rothackers Antwort vom 30. März 1934
Blatt 7 ist das Antwortschreiben von Professor Erich Rothacker vom 30. März 1934. Rothacker dankt „verbindlichst für die ehrenvolle Berufung zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie“ und teilt mit, dass er Emge „zur Mitarbeit mit grosser Freude zur Verfügung“ stehe. Er werde an der Eröffnungssitzung am 3. Mai „gerne“ teilnehmen. Der Brief weist zwei handschriftliche Informationen auf. Die eine ist die Unterschrift Rothackers. Die andere ist nach meiner Laienmeinung von derselben Hand verfasst worden. Ich meine, da steht „herzl. pers. Grüsse!“. Wenn tatsächlich Rothacker auf diese flüchtige Weise herzliche Grüße an Emge übermittelt haben sollte, belegt das eine Vertrautheit zwischen beiden.
3.5.6. Baron von Uexkülls Antwort vom 2. April 1934
Blatt 8 ist das Antwortschreiben von Baron von Uexkülls. Ich zitiere es vollständig, da es von den bisherigen Antwortschreiben abweicht. Baron von Uexküll erbittet Auskunft über die Aufgaben des Ausschusses. In keinem anderen Antwortschreiben auf ein Berufungsschreiben hat sich ein Berufener nach den Aufgaben erkundigt. Mikoreys Antwortschreiben offenbarte sogar ausdrücklich eine Vertrautheit mit Emges Hebammenkunst bezüglich dieses Ausschusses.
z. Zt. Stretense bei Anklam (Pommern)
den 2. April 1934
Sehr geehrter Dr. Emge!
Ihre freundliche Aufforderung mich am Rechtsphilosophischen Ausschuss der Akademie für Deutsches Recht zu beteiligen fand ich verspätet hier vor, wo ich bis Mitte April verbleibe.
Ich bitte um freundliche Auskunft über die Aufgaben des Rechtsphilosophischen Ausschusses. Da ich kein Jurist sondern Biologe bin, kämen für mich solche Fragen in Betracht, die sich auf das Studium der Biologie des Staates beziehen.
Da der Staat meiner Überzeugung nach ein lebendes Wesen ist, würde ich die Begründung einer Akademie, die sich der Gesundheitspflege des Staates widmet, ganz besonders freudig begrüßen. Als Naturforscher kann es sich für mich nur um eine Erforschung der Lebensgesetze des Staates und um ihre Nutzanwendung handeln – nicht aber um ein Dekretieren von Gesetzen, was dem Politiker und Juristen so nahe liegt.
Es ist mir immer als ein Zeichen von Weisheit erschienen, daß Mohamed zum Berge ging ohne die Ausführung seines Befehls an den Berg abzuwarten.
Unseres Zusammentreffens bei unserem alten Freund Stael erinnere ich mich sehr wohl.
Hoffentlich erreicht Sie dieser Brief trotz seiner ungenügenden Adresse.
Heil Hitler
J Baron Uexküll
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 8
Wer der gemeinsame alte Freund Stael ist, konnte ich noch nicht ermitteln.
Blatt 23 der Akte Emges ist ein zweites Schreiben von Baron von Uexküll an den Kollegen Emge. Es ist auf den 28. April 1934 datiert. Er sagt sein Kommen für den 3. Mai nachmittags 4 Uhr zu und teilt folgenden Wunsch mit:
Ich würde gerne einen Vortrag über: „Der Staat und die Universitäten“, der ca. 20 Min. dauern wird, anmelden. Dies scheint mir ein brennendes Thema zu sein, das grundsätzlich dargestellt werden muss.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 23
Da Emge 1960 behaupten wird, dass es am Abend des 3. Mai 1934 zu einem Streit zwischen Alfred Rosenberg und Baron von Uexküll gekommen sei, der dem Ausschuss für Rechtsphilosophie den Todesstoß versetzt habe, stelle ich nun in einem Exkurs Uexkülls »Staatsbiologie« (1933) vor. Wenn es zu einem Streit zwischen beiden gekommen ist, dann nur bezüglich der Frage, wie denn nun der Geistesadel verfahren müsse, um vom Hitler-Staat zur Restitution einer Adelsherrschaft zu gelangen.
3.5.7. Exkurs: Auszüge aus Baron von Uexkülls zweiter, stark erweiterter Auflage seiner Monographie „Staatsbiologie. Anatomie, Physiologie, Pathologie des Staates“ (1933)
Baron von Uexküll informiert seine Leser so über die Zweitauflage seiner Monographie:
„Dem Andenken meines lieben langjährigen Freundes Karl von der Heydt gewidmet.“
„Vorwort zur zweiten Auflage
Im Jahr 1920 erschien die Staatsbiologie in erster Auflage. Soweit sie sich auf die Anatomie und Physiologie des Staates bezieht, habe ich keinen Anlaß gefunden, Änderungen vorzunehmen. Nur das Kapitel über die Pathologie habe ich z. T. neu geschrieben, weil heute andere, z. T. völlig neue Krankheiten des Staates im Mittelpunkt des Interessen stehen. […]
(Uexküll, 1933)
Karl von der Heydt (1858-1922) war u.a. Vorsitzender des Alldeutschen Verbandes, dem auch Erich Jung seit den 1890-er Jahren angehörte (siehe Teil II, Abschnitt 2).
Im Weiteren stelle ich nur das Kapitel über die Pathologie des Staates vor. Es beginnt auf S. 59 mit der Hauptüberschrift „Die Krankheiten des Staates“. In den ersten, einleitenden Absätzen stellt Baron von Uexküll die „Amerikanisierung“ der Gesellschaft, „das heißt die Anerkennung des Geldes als einzigen Maßstab für die Verkehrswürdigkeit“, und die „Freiheit der Presse“ als den „größten Feind“ seines Idealstaates dar:
Das festeste Band der Gesellschaft bildete das Bedürfnis nach einem gegenseitigen Nachrichtenaustausch. Von den wirklich ausschlaggebenden Geschehnissen erfuhr damals die Öffentlichkeit gar nichts. Um auf dem Laufenden zu bleiben und etwas zu erfahren, was in der politischen oder höfischen Welt vorging, war man auf einen regen und ausführlichen Briefwechsel mit seinen Freunden angewiesen, deren Meinung man über alle Dinge einzuholen suchte, um sich selbst ein Urteil zu bilden.
Durch den Nachrichtenaustausch von Freund zu Freund entstand eine überallhin verbreitete Genossenschaft, die mit Wärme aneinander hing, auf gute Formen sah und sich gegen Ungeschliffene und Ungebildete stets ablehnend verhielt.
(Uexküll, 1933), S. 60
Unter der ersten Zwischenüberschrift „Das Verwachsen der Staatsgewebe“ attackiert Baron von Uexküll die Gewerkschaften und deren Prinzip der Solidarität:
Sobald sich die Mitglieder der gleichen Berufe für solidarisch erklärten und sich von den Mitgliedern der zugehörigen Menschenketten [gemeint: Menschen, die aneinander und an ihren Beruf durch die Adelsfamilien gekettet werden; mw] absonderten, konnten sie mit einem Ruck die Lebensbedingungen eines ganzen Organwaldes in Frage stellen [durch Streik; mw].
(Uexküll, 1933), S. 62
Unter der nächsten Zwischenüberschrift „Die Auflösung des Staatsgewebes“ beschreibt Baron von Uexküll, welche Bedrohungen von den Arbeitern ausgehen: Individualismus, Materialismus, Chaos, Verlust der Herrschaft des Gehirns über den Leib:
Es ist […] durchaus nicht selbstverständlich, daß die einzelnen Individuen, die die Glieder einer Menschenkette bilden, sich der überpersönlichen Regel des Staatsbetriebes beugen und ihre Handlungen der Funktion des Organes einfügen. […] | S. 63
Gewissenschaftigkeit gegen Gott und Pflichtgefühl dem Staat gegenüber sind die einzigen Motive, die das entsagungsvolle Arbeiten innerhalb eines Staatsorganes überhaupt verständlich machen. […]
Eines Tages werden die Arbeiter innerhalb einer Menschenkette sich von ihrer Menschenkette freimachen und auf eigene Faust versuchen, ob sie nicht auf andere Weise schneller und erfolgreicher die Befriedigung ihrer Wünsche erreichen können.
Dieser Tag ist herangebrochen, und das Weltideal der Materialisten, das Chaos, hat sich auf den Staat übertragen.
(Uexküll, 1933), S. 62 f.
Unter der nächsten Zwischenüberschrift „Die politische Blindheit“ disqualifiziert Baron von Uexküll die politischen Philosophien des modernen Staates von Rousseau und Kant als pathologisch:
Im modernen Staat wird niemand zur Arbeit gezwungen, sondern erhält für seine Arbeit eine Entlohnung im allgemeinen Tauschmittel. Dadurch tritt er in ein Rechtsverhältnis zum Staat, das vertraglich festgelegt ist.
Dieser Umstand, der für das Bestehen und Funktionieren des Stoffwechsels [der Adligen als Staatseigentümer; mw] völlig nebensächlich ist, ist aber für den einzelnen die Grundlage zu seiner Bewertung des Staates geworden. Und als die | S. 66 Lehre vom „contrat social“ aufkam, nach der jeder Staat durch die freiwillige Übereinkunft seiner Mitbürger entstanden sei, stimmte ihm ein jeder aus eigener Erfahrung bei.
In dieser Lehre nun wird das Mittel mit dem Zweck verwechselt. Die in der Menschenkette vertraglich zusammengebundenen Individuen sind nur das Mittel, um den Stoffwechsel zu ermöglichen. Jetzt wurde die Menschenkette Selbstzweck, und der Stoffwechsel mit seiner Funktionsregel verschwand völlig aus dem Gesichtskreis. […] | S. 67
Diese Auffassung des Staates als eines einfachen Vertragsverhältnisses innerhalb seiner Mitglieder zeigte aber noch weitere unselige Folgen. Man stellte das Dogma auf, daß ein Vertrag sich immer nach dem Willen der Mehrheit der Vertragsschließenden zu richten habe.
Nur die vollkommene politische Blindheit gegenüber den Naturgegebenheiten, auf die sich der Staat aufbaut, und die sowohl die Gestalt seiner Erzeugungsorgane, des Tauschmittelorgans und der Ordnungsorgane sowie der übrigen Staatsorgane bedingen, machen es verständlich, daß man zur Wahl von Volksvertretern schritt und die Macht des Staates in die Hände der durch sinnloses Zusammenzählen der Stimmen erwählten Staatsbürger legte.
Wer noch ein Auge für die Wirklichkeit besaß, schlug die Hände über den Kopf zusammen angesichts dieses hahnebüchenen Unsinns. Ein kunstreiches Staatswabenwerk, das auf die eiserne Notwendigkeit des Stoffwechsels begründet war, sollte nun nach dem Gutdünken der Mehrzahl seiner Insassen, von denen keiner die Möglichkeit hatte, die Folgen seiner Handlung zu übersehen, umgeformt werden.
(Uexküll, 1933), S. 65-67.
Am letzten Absatz erkennt man sehr gut, welchen Interessen welcher Personen die philosophische Position dieses Konsequentialismus dient: dem »Geistesadel«, der von sich glaubt, er sei zu Herrschaft über andere berufen, die nur Elemente in Ketten sind, weil er und nur er in der Lage sei, die Konsequenzen des Tuns und Lassens aller zu übersehen. Ein »Geistesadel« kann das höchstens dann, wenn er über völlig entrechtete »Menschenketten« herrscht. Über Menschen, die ein Leben führen als seien sie in einem Gefängnis: »Insassen« – wie Baron von Uexküll passend sagt.
Befreien die Bauern oder die Arbeiter oder die Sklaven oder die Frauen sich durch Solidarisierung wird tatsächlich das Geschehen so komplex, dass grundsätzlich niemand die Konsequenzen des Tuns und Lassens vorab berechnen kann. Kants anti-konsequentialistische Lösung für das vermeintliche Problem ist so bekannt, dass ich sie hier nicht vorstellen muss. Hinweisen möchte ich stattdessen darauf, dass Uexküll allem Anschein nach derjenige ist, der Heideggers »Ungeist des Rechenhaften« exemplifiziert: Uexküll will die Restitution eines Staates, in dem der Geistesadel berechnen kann, was die Konsequenzen seiner politischen und ökonomischen Entscheidungen sind.
Kants anti-konsequentialistische Lösung gipfelt in seiner Lehre vom öffentlichen Recht, zu der eine Idee der Republik mit Gewaltenteilung, souveränem Parlament mit Mehrheitsprinzip und allgemeinem und gleichem Wahlrecht gehört. Die Weimarer Republik war eine Verwirklichung von Kants Idee der Republik. Uexküll schimpft sie „Blödsinn“:
Die Staatsfunktionen, die durch jahrhundertelange Arbeit der besten Köpfe aller Generationen festgelegt waren, wurden durch beliebige Regeln ersetzt, die blinde Ignoranten für passend hielten.
[…] Wenn wir eines Tages nur noch eine Horde frierender und hungernder Wilder geworden sind, ist es freilich gleichgültig, wer die Herrschaft ausübt.
Es ist somit ein Zustand eingetreten, der auch in unserem Körper eintreten würde, wenn an Stelle der Großhirnzellen die Mehrzahl der Körperzellen zu beschließen hätte, welche Impulse den Nerven zu übermitteln sind. Einen solchen Zustand nennt man „Blödsinn“. […] | S. 68 […]
Diese Krankheit ist von allen die schlimmste und eingewurzelteste. Nur wo sie herrscht, können sich die anderen Krankheiten, die Gewebsverwachsungen und Gewebsauflösungen, entwickeln. Wenn sie nicht weicht, gehen alle europäischen Staaten zugrunde.
(Uexküll, 1933), S. 65-67.
Unter der nächsten Zwischenüberschrift „Die Herrschaft des Tauschmittelorgans“ lobt Baron von Uexküll den Kauf von Parlamentariern durch „Großkapitalisten“ und die Bildung „einer geheimen Regierung aus Großkapitalisten“ (S. 70) als Zwischenlösung im Kampf gegen die Republik und für die Restitution eines Eliten-Staates (S. 69). Letztlich plädiert er für eine Monarchie mit adligen Beamten als Staatsideal (S. 71). Besonders beachtenswert ist der Volksbegriff, den Baron von Uexküll nebenbei verwendet:
Im Gegensatz zu den kleinen Staatsrepubliken des klassischen Griechenlands, in denen sich das ganze Volk (von dem die Fabrikarbeiter als Sklaven ausgeschlossen waren) auf dem Markte versammeln konnte, um unmittelbar Beschlüsse zu fassen – ist diese Möglichkeit für die großen modernen Staaten technisch ausgeschlossen.
(Uexküll, 1933), S. 69
Für Baron von Uexküll gehören die Fabrikarbeiter nicht zum Staatsvolk. Auch dann nicht, wenn sie – in irgendeinem Sinne – Deutsche sind. Auch diese Position, dass die »eigene« Unter- und Mittelschicht nicht zum »wahren Volk« gehört, das allein politisch tätig ist, nenne ich »Adelsrassismus«. Die meisten Wähler der DNVP und der NSDAP galten den Herren beider Parteien als rassisch minderwertig.
Zum Abschluss seines Abschnittes behauptet Baron von Uexküll, dass die Zwischenlösung im Restitutionsprozess der gesunden Feudalmonarchien – scheinbare Republik, die tatsächlich von Großkapitalisten beherrscht wird – auf Dauer nicht funktioniere. Das Großkapital fördere sogar die »Volksblindheit«. Da zum »Volk« für Baron von Uexküll nur Geistesadlige gehören, meint er mit dieser Behauptung, dass die Geheimherrschaft der Großkapitalisten den Geistesadel selbst blind mache. Sie würden durch diese Zwischenlösung zur wahren Herrschaft in einem wahren Staat unfähig gemacht. Großkapitalisten sind halt keine Feudalherren. Es drohe deswegen der „Untergang der europäischen Staaten“. Für Deutschland sei die Gefahr gebannt worden … durch Hitler und seine Bewegung:
Von dem wirklichen Staatsideal, das darin besteht, jede einzelne Familie [des »Geistesadels«; mw] auf die höchstmögliche Stufe der Lebensführung zu heben, ist in diesen Staaten [mit Geheimregierung aus Großkapitalisten; mw] natürlich nicht die Rede. Und deshalb stellen sie einen empfindlichen Rückschritt dar gegenüber den Staaten, in denen Monarch und Beamte ausschließlich auf das Staatsinteresse [Hebung der Familien des »Geistesadels«; mw] eingestellt sind, mögen im einzelnen noch so große Fehler gemacht werden.
Da aber Monarchen und Beamte den Staat gegen die Volksblindheit [erzeugt durch die Philosophien Rousseaus und Kants; mw] nicht zu schützen verstanden, war das Eingreifen des Kapitals immerhin zunächst eine Rettung.
Nun fragt man sich: „Auf wie lange?“
Da das Großkapital den Forderungen der Volksblindheit in jeder Weise Vorschub leistete, ist die Volksblindheit zu einer schweren Krankheit geworden. Gegen die beiden schweren Krankheiten der Neuzeit, das Verwachsen und die Auflösung der Staatsgewebe, besitzt das Kapital kein Heilmittel und auch kein Machtmittel, um sie auf die Dauer niederzuhalten.
Daher ist der Untergang der europäischen Staaten nur eine Frage der Zeit.
Für Deutschland ist die Gefahr nur durch Adolf Hitler und seine Bewegung gebannt worden.
(Uexküll, 1933), S. 71
Unter der nächsten Zwischenüberschrift „Die parasitären Erkrankungen (Die inneren Parasiten)“ offenbart Baron von Uexküll zunächst seine Version eines biologischen Rassismus, dessen primärer Anwendungsfall offensichtlich die deutschen Juden waren. Baron von Uexküll billigt beiläufig das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Auch hier nicht der Hauch eines Grundes, mit Alfred Rosenberg in Streit zu geraten. Ganz im Gegenteil:
Die bei der Verwachsung der Gewebe entstehenden selbständigen Lebewesen, die im Staatskörper schmarotzen, kann man nicht als echte Parasiten bezeichnen, da sie ihren Ursprung aus dem eigenen Volke genommen haben. | S. 72
Echte Parasiten können dagegen die im Staate lebenden Angehörigen einer fremden Rasse genannt werden, wenn sie dem Staate schädlich sind. Sind sie dagegen dem Staate nützlich, so spricht man nicht von Parasitismus, sondern von Symbiose.
Alle diejenigen fremdrassigen Einwohner eines Staates, die durch ein starkes Rassengefühl miteinander verbunden bleiben, werden sich leicht zu einer gemeinschaftlichen Organisation zusammenfinden, die als ein fremdes Lebewesen im Staate ein selbständiges Dasein führt. […]
Wird der Staat von äußeren Feinden angegriffen, so werden sich die Symbionten in den Dienst der nationalen Bewegung stellen, schon um äußerlich kund zu tun, wie sehr sie sich mit dem Staate verwachsen fühlen. Sie werden ganz besonders stark ihren Abscheu gegen die Feinde, die den Staat zu vernichten drohen, an den Tag legen und| S. 73 selbst die größten Opfer an Gut und Leben nicht scheuen, um den Staat zu retten, mit dem sie auf Gedeih und Verderb verbunden sind.
Anders die Parasiten. Sie gedeihen besser in einem kranken Staate, der nur noch schwach auf ihre Eingriffe reagiert. Sie werden es daher versuchen, das Nationalgefühl auf jede Weise zu untergraben und immer wieder auf die Mängel des eigenen Staates hinweisen […]
Niemand wird es daher einem Staatsleiter verübeln, wenn er der Überfremdung der Staatsorgane durch eine fremde Rasse Einhalt gebietet.
(Uexküll, 1933), S. 72-73
Nachdem Baron von Uexküll, der „Gelehrte aus alter Kulturschicht“ (Emge 1960), seine »wissenschaftliche Expertise« zu Gunsten eines biologistischen Rassismus eingesetzt hat, zu der die Charakterisierung von Menschen als Parasiten gehört, wendet er sich im nächsten Schritt den biologischen Rasseneigenschaften des »Volkes« zu. Unklar ist, ob zum »Volk« in diesem Kontext auch die „Fabrikarbeiter“ gehören, die er zuvor mit den alt-griechischen Sklaven gleichgestellt hatte.
Was genau Baron von Uexküll meint, ist aber nicht so wichtig. Wichtig ist, dass er die feudale Seinspyramide rassistisch durch eine biologistische Kausalerklärung zu legitimieren versucht: Hochstehende Menschen seien inzestuös veranlagt, tiefstehende nicht. Das führe zur Rassenmischung tiefstehender Menschen. So entstünden rassisch minderwertige Mischvölker. Das sei eine Auslese zum Nachteil der sich Verbindenden („Auslese in pejus“).[139] Hier die Grundposition:
Soweit es sich um eine Rassenerkrankung des Staates handelt, liegen die Verhältnisse ganz klar. Viel undurchsichtiger liegen die Dinge bei der Rassenerkrankung des Volkes. […] | S. 74 […]
Die Behauptung, daß die Mischlinge verschiedener Menschen- | S. 75 rassen minderwertig ausfallen, stützt sich auf ein wenig beweiskräftiges Material. Die Hemmung sich mit Fremdrassigen zu verbinden, ist bei hochstehenden Personen schwer zu überwinden, während sie bei minderwertigen Personen gar nicht vorhanden ist. Die minderwertigen Mischvölker verdanken ihr Dasein minderwertigen Individuen verschiedener Rassen und stellen somit eine Auslese in pejus dar.
(Uexküll, 1933), S. 73-75
Und nun geht Baron von Uexküll dazu über, seinen Adelsrassismus zu entfalten: Die hochstehenden Persönlichkeiten jeder Rasse sind umwelt- und traditionsgebundener als die Individuen in den ihnen nachgeordneten „Menschenketten“, die nur Mittel zum Zweck der Lebenssteigerung der Adelsfamilien sind. Diese stärkere Umwelt- (Raum) und Traditionsgebundenheit (Zeit) des Geistesadels könnte man zusammenfassend vereinfachen, indem man davon sprechen würde, sie hätten einen intensiveren Grad von Da-sein. Ihr Ort in Raum und Zeit ist bestimmter als der Ort der tiefstehenden Elemente von Menschenketten:
[…] Es gibt aber noch einen tiefer begründeten Einwand gegen die Mischehen, und dieser ist es gerade, der sich bei hochstehenden Persönlichkeiten als Hemmung auswirkt. Das ist die verschiedene Umwelt. Hochstehende Personen, besonders wenn sie traditionsgebunden an den Sitten und Anschauungen ihrer Heimat hängen, besitzen eine stark ausgeprägte Umwelt, die sich nur schwer einer andersartigen Umwelt angleicht.
(Uexküll, 1933), S. 75
Äußere Zeichen der starken Umweltgebundenheit des Adels der verschiedenen Völker seien die Unterschiede in der Architektur der Götterkultstätten. Der Nestor des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Erich Jung, wird hoch erfreut über diese Auskunft des weltberühmten Gelehrten gewesen sein. Für Degeners „Wer ist’s?“ des Jahres 1935 gab er als besondere Lieblingsbeschäftigung „Denkmalkunde“ an (siehe Unterabschnitt 6.2.1.). 1922 hatte er seinem Hass auf das »System« Philosophie Kants und der Weimarer Republik in einem umfangreichen Buch „Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit“ Ausdruck verliehen.[140] Aus den noch erhaltenen „germanischen Götterkultstätten“ versuchte er einen Begriff des Deutschen zu bestimmen. Erich Jung und Baron von Uexküll werden einander im Ausschuss für Rechtsphilosophie viel zu sagen gehabt haben:
Wie tief die Kluft zwischen den Umwelten verschiedener Völker ist, darüber belehren uns am sichersten ihre dem Götterkult dienenden Bauwerke. […]
Fast ebenso unüberbrückbar ist der Gegensatz zwischen einem griechischen Tempel und einem gotischen Dom. Auf der einen Seite die steingewordene Sehnsucht nach einem unerreichbaren Gott hoch droben im Himmel; überrieselt sind die hochragenden Türme der gotischen Dome von grotesken dämonischen Figuren als Ausdruck der Beziehungen zu einer magischen Welt. Der tiefe Zwiespalt der gotischen | S. 76 Seele spiegelt sich wieder im Zwiespalt ihrer Umwelt. Auf der anderen Seite wirkt der griechische Tempel wie der Zusammenklang einer tiefempfundenen Harmonie zwischen Gott und Welt, zwischen Seele und Leib.
Der fromme Christ, der sich in einer Barockkirche der Andacht hingibt, wird von einer jüdischen Synagoge ebenso abgestoßen werden, wie der fromme Jude von einer Barockkirche.
(Uexküll, 1933), S. 75 f.
Der Adel der Griechen, der Christen und der Juden (wie der Inder und Ägypter) ist demnach so verschieden, dass sie einander abstoßen würden. Trotzdem verlangt Baron von Uexküll ein „gegenseitiges Verstehen“ dieser rassisch verschiedenen Adelsgruppen.
Das ist nicht besonders überraschend. Eine Restitution der vormodernen Feudalmonarchien, die er anstrebt, kann ja bestenfalls nur dann handelnd erreicht werden, wenn die an verschiedenen Orten und verschiedenen Traditionen gebundenen Adligen gegen die modernen europäischen Staaten zusammenarbeiten. Eine Verständigung ist schwierig, weil die jeweiligen Adelsgruppen stark ans jeweilige Da-Sein in der Welt und in der Zeit gebunden sind. Eine Verständigung ist leicht, weil jede Adelsgruppe rassisch hochstehend ist. Eine Verständigung ist geboten, da Gott gewollt habe, dass eine Pluralität in Raum und Zeit von geistesadligen »Persönlichkeiten« ex-istiert.
Hier treten die wahren Schwierigkeiten eines gegenseitigen Verstehens zu Tage, die nur von solchen Menschen überwunden werden können, die einen Einblick in das Wesen der Persönlichkeit gewonnen haben. Solange man an der rein materiellen Vorstellung verhaftet bleibt, daß eine Persönlichkeit nichts anderes sei als eine Summe verschiedener Eigenschaften, wird man jeden Menschen, der anders handelt als man selbst, für minderwertig ansehen, weil man seine eigene Umwelt als allein maßgeblich ansieht für alle Menschen. Erst wenn man erkannt hat, daß die Umwelt nichts anderes ist als die Resonanz einer Person und daß jede Person aus der Schöpferkraft der Gott-Natur frei und sicher entspringt wie das Lied aus der Seele des Sängers – dann wird man auch den festen Boden gewonnen haben, von dem aus gesehen sich die Mißverständnisse lösen.
Nicht die Summe von Tönen macht die Melodie und nicht die rassenmäßig gegebene Summe der Eigenschaften macht die Persönlichkeit, sondern der Plan, der sie verbindet, und der wird für jede menschliche Persönlichkeit neu geschaffen.
Die Achtung vor der fremden Persönlichkeit und ihrer Umwelt ist die einzige Grundlage, auf der sich menschenwürdige Umgangsformen entwickeln können. Von diesem Standpunkt aus ist es auch leicht zu verstehen, warum Christus nicht gelehrt hat: Liebe ein abstraktes Gedankengebilde wie die Menschheit, sondern ganz einfach: Hilf Deinem Nächsten, und der Nächste ist immer gerade der, der Deine Hilfe bedarf, welchen Stand oder welcher Rasse er auch angehöre. Damit hat er uns den Schlüssel in die Hand gegeben, um alle rein menschlichen Fragen zu lösen*.
* Als Herausgeber des Nachlasses H. St. Chamberlains möchte ich betonen, daß die obigen Darlegungen sich Punkt für Punkt mit den Lehren Chamberlains decken.[141]
(Uexküll, 1933), S. 76
Baron von Uexkülls Auslegung des Liebesgebots muss man selbstverständlich im Rahmen seines Lobs einer rassistisch-biologischen Weiterentwicklung der Feudalmonarchien deuten. Nur wenigen Menschen hatten gemäß der mittelalterlichen „Ständeordnung“ einen »Stand«.[142] Das Liebesgebot schließt nicht diejenigen Menschen ein, die ohne »Stand« sind. Dass Baron von Uexküll für eine »rasse«-übergreifenden Auslegung des Gebots der Nächsten-Liebe plädieren kann und muss, habe ich bereits erklärt. Zusätzlich möchte ich nun darauf aufmerksam machen, dass im Rahmen dieser Daseins-Lehre in einer Seins-Ordnung die raum-zeitliche Nähe einer eingewanderten „Seinspyramide“ aus Fremdadligen mit zugehöriger Unterschicht die Harmonie der alteingesessen Pluralität von »rasse«-bedingten Herr-Knecht-Gruppen gefährdet. Ggf. könnte man sehr gut mit einer »Daeins-Fremden« »Herr-Knecht-Gruppe« klar kommen, wäre sie an ihrem Ort und in ihre Traditionsgeschichte geblieben.
Im vorletzten Abschnitt, der mit „Die technische Krankheit“ überschrieben ist, betrachtet Baron von Uexküll „eine neue, bisher unerhörte Krankheit in allen Ländern mit ausgesprochenem Maschinenbetrieb“ (S. 77). Zur Kontrastierung lobt Baron von Uexkülls eingangs eine angebliche Entscheidung des Hamburger Senates im 19. Jahrhundert, eine technische Neuerung des Webstuhls vernichten zu lassen, da durch sie Arbeitsplätze verloren gegangen seien. Die Rationalisierung der Produktion durch technische Neuerungen der letzten Jahrzehnte sei abzulehnen:
„Die Technik frißt die Wirtschaft auf“, so lautet kurz gefaßt die Kennzeichnung dieses Zustandes.
[…]
Die Berechnungen der sog. „Technokraten“ in Amerika haben ergeben, daß zur Erzeugung der für den Verbrauch ausreichenden Industrieprodukte eine Arbeitszeit von nur 4 Stunden ausreichend wäre, wenn alle Industriearbeiter wieder beschäftigt würden. Dies wäre ein Geschenk der Technik an die Menschheit, wenn die Arbeiter in 4 Stunden Arbeitszeit ihren vollen Lebensunterhalt auch für ihre Familien erwerben könnten.
Das Geschenk der Technik hat sich aber als ein wahres Danaer-Geschenk erwiesen, denn aus dem Bauch dieses modernen Trojanischen Pferdes der Maschinen-Erzeugungs-Maschine ergießt sich das Arbeitslosenelend über die ganze Welt.
Nur ein Gesinnungswandel im Sinne des vom Hamburger Senat ausgesprochenen Grundsatzes kann hier Wandel schaffen.
(Uexküll, 1933), S. 78
Baron von Uexküll vertritt hier offensichtlich die Position, dass das Hauptprodukt einer adelsrassistisch geführten Ökonomie nicht etwa Lebensmittel, Kleidung, Stahlbleche, Autos oder Panzer sind. Das Hauptprodukt einer adelsrassistisch geführten Ökonomie sind Arbeitsplätze mit einer Wochenarbeitszeit, die dafür sorgt, dass die Elemente der »Menschenketten« allein schon aus Zeitmangel ihr Leben in Ketten weiterführen müssen.
Der letzte Abschnitt des »Staatsbiologie« des Barons ist mit „Die Staatsmedizin“ überschrieben. Ich zitiere ihn komplett, da im letzten Absatz erkennbar wird, welche These Baron von Uexküll auf der Eröffnungssitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie vertreten wollte:
Der deutsche Volks- und Staatskörper gleicht heute einem schwerkranken Patienten, der voll gläubigen Vertrauens sein Schicksal in die Hände eines berühmten Chirurgen gelegt hat, in der Hoffnung, daß dieser ihn durch eine Operation auf Tod und Leben von seinem Leiden befreien werde.
Nun wird auch der genialste Arzt es als einen Übelstand empfinden, wenn ihm kein anatomischer Atlas zur Verfügung steht, in dem die Lage und die gegenseitigen Beziehungen der Körperorgane eingezeichnet sind.
Wir besitzen heute weder Staatskarten noch eine Staatsmedizinschule, deren Aufgabe es wäre, Staatskarten zu entwerfen und Staatsärzte heranzubilden, denen wir die Gesundheitspflege des Staates anvertrauen könnten. Daher wird überall der Ruf nach politischen Fakultäten lebendig. Wirklichen Nutzen werden solche Fakultäten nur dann stiften, wenn sie sich um eine naturwissenschaftliche betriebene Staatsbiologie gruppieren, die auf der Anschauung fußt.●
(Uexküll, 1933), S. 79
Die zweite Auflage der Schrift »Staatsbiologie« Baron von Uexkülls erschien übrigens in derselben Reihe wie Carl Schmitts Zweitauflage seiner Schrift „Begriff des Politischen“, Ernst Forsthoffs „Der totale Staat“, Georg Weipperts „Das Prinzip der Hierarchie“, Hans Bogners „Die verwirklichte Demokratie“, A. Bergsträssers „Nation und Wirtschaft“, Hans Freyers „Herrschaft und Planung“ und Walther Classens „Das Werden des deutschen Volkes“. Darüber wurde der Leser von Uexkülls »Staatsbiologie« auf der letzten Seite vom Verlag informiert.
Baron von Uexküll hat sich fraglos durch seine »Staatsbiologie« eine Berufung in den Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR verdient. Der einzige mögliche Streitpunkt zwischen von Uexküll und Rosenberg, den ich erkennen kann, betrifft tatsächlich Uexkülls These zur Universitätsreform unter der neuen Herrschaft: Mehrheitlich wurde von den akademischen Nationalsozialisten des Ausschusses für Rechtsphilosophie und seines engeren Umkreises eine naturwissenschaftliche Herangehensweise abgelehnt. Die »Geisteswissenschaften« sollten dominieren. [143]
Zurück zu meiner Berichterstattung über die Antwortschreiben der im März 1934 in den Ausschuss für Rechtsphilosophie berufenen »Persönlichkeiten«.
3.5.8. Wilhelm Kischs Antwort vom 30. März 1934: Erich Jung war bereits vor 1914 ein Nationalsozialist!
Blatt 9 der Aktes Emges über die Gründungszeit des Ausschusses für Rechtsphilosophie ist das Antwortschreiben von Professor Wilhelm Kisch vom 30. März 1934. Aus ihm allein geht nicht eindeutig hervor, dass Kisch zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie berufen worden ist. Ausdrücklich bedankt sich Kisch nur „für die Einladung zur Eröffnungssitzung Ihres Ausschusses, von dessen Tagesordnung ich mit besonderem Interesse Kenntnis genommen habe.“ Anschließend teilt Kisch mit, dass er noch nicht wisse, ob er der Einladung, „dieser Sitzung beizuwohnen“, nachkommen können werde: „bejahenden Falles wird es mir natürlich eine wirkliche Freude sein, Ihrer Einladung Folge zu leisten.“ Er benutzt drei Mal das Wort „Einladung“, aber kein einziges Mal das Wort „Berufung“. Aufgrund anderer, bereits dargestellter Informationen aus der Akte wissen wir aber, dass auch Kisch zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehörte.
Das Antwortschreiben von Wilhelm Kisch umfasst einen weiteren Druckabsatz, den ich gleich vollständig zitieren werde. Er ist sehr wichtig, da er etwas über die frühen Anfänge des akademischen Nationalsozialismus mitteilt. In meinem Teil II werde ich die Auskunft von Wilhelm Kisch über Erich Jung ausführlich bestätigen. Hier nun der wichtige Druckabsatz des Briefes von Wilhelm Kisch an C. A. Emge:
z. Zt. Baden-Baden, Europäischer Hof, 30. März 1934
[…] Hochverehrter Herr Kollege!
[…] Schon lang beschlossen! Darf ich bei dieser Gelegenheit noch die Frage stellen, ob mein Kollege Prof. Dr. phil., jur. und rer. pol. Erich Jung in Marburg in Ihren Ausschuß berufen worden ist. Ohne Ihren Entschließungen vorgreifen zu wollen, sollte ich meinen, daß der genannte Gelehrte eine gewisse Anwartschaft auf Zuziehung hätte, da er schon seit vielen Jahren, nämlich schon in der Zeit unserer gemeinsamen Straßburger Wirksamkeit vor dem Krieg, die Gedanken vertreten hat, die der nationalsozialistischen Idee zugrunde liegen. Mit den verbindlichsten Grüßen und Osterwünschen[144] Heil Hitler
Ihr sehr ergebener
W. Kisch
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 9
Die sachliche Kerninformation des Absatzes ist es, dass Erich Jung vor dem August 1914 „die Gedanken vertreten hat, die der nationalsozialistischen Idee zugrunde liegen.“[145] Ich werde in Teil II bestätigen, dass Wilhelm Kisch die Sachlage genau richtig dargestellt hat. Seit 1893 veröffentlichte Erich Jung Texte, in denen zentrale Dogmen des akademischen Nationalsozialismus nach und nach entwickelt wurden.
Da Erich Jung (1866-1950) von allen zwölf Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie der älteste Mensch gewesen ist, könnten aus diesem Kreis höchstens Ernst Heymann (1870-1946) oder Wilhelm Kisch (1874-1952) Erich Jung den Rang streitig machen, so etwas wie der geistige Vater des akademischen Nationalsozialismus gewesen zu sein. In seinem Brief an Emge vom 30. März 1934 macht Wilhelm Kisch diesen Rang Erich Jung nicht streitig. Ganz im Gegenteil: er informiert das Büro des Nietzsche-Archivs darüber, dass Erich Jung dieser Rang gebührt. 1936 erschien eine Sammlung von Aufsätzen Erich Jungs unter dem Titel „National – völkisch – sozial“. Erstmalig waren diese Ausätze in den Jahren 1918 bis 1927 veröffentlicht worden.[146] Es ging Wilhelm Kisch vermutlich darum, für die nachwachsende Generation des neuen deutschen Reiches die Bedeutung von Erich Jung erkennbar zu machen.
Die sachliche Nebeninformation, die auch Wilhelm Kisch selbst betrifft, ist mehrdeutig formuliert. Das war vermutlich Absicht. Eindeutig ist noch die Information, dass es gemeinsame Straßburger Jahre vor dem August 1914 gab. Das ist richtig, da Kisch und Jung vor dem August 1914 beide Professoren der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Straßburger Universität gewesen sind. Als Fakultätskollegen haben sie dienstlich gemeinsam gewirkt. Die Bezugnahme von Kisch auf „unsere gemeinsame Straßburger Wirksamkeit“ könnte sich aber auch auf eine gemeinsame Wirksamkeit im Vertreten der Gedanken beziehen, die der nationalsozialistischen Idee zugrunde liegen. Ich habe Belege dafür gefunden, dass die Behauptung von Kisch über Erich Jung und ihn selbst auch in dieser zweiten Deutung sachlich korrekt ist (siehe Teil II).
Ein Mitarbeiter des Büros des Nietzsche-Archivs, der den Satz von Kisch über Erich Jung und Wilhelm Kisch vor 1914 gelesen hat, wird jedenfalls die Meinung ausgebildet haben, dass mit Erich Jung und Wilhelm Kisch zwei Kenner und mindestens ein Kämpfer für die nationalsozialistische Idee in den Ausschuss für Rechtsphilosophie berufen worden sind.
1941 wird übrigens Erich Jung auf die gemeinsame Zeit mit Wilhelm Kisch und Fritz van Calker an der Straßburger Universität zurückblicken. 1941 war Elsass-Lothringen von der Wehrmacht des Dritten Reiches besetzt:
Von Ordinarien der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät in Straßburg aus damaliger Zeit leben noch außer dem Verfasser dieses der Strafrechtler und Rechtsphilosoph Fritz van Calker und der Prozessualist und Zivilrechtler Wilhelm Kisch, Altelsässer von Abstammung. Kisch hat trotz einer riesig umfangreichen schriftstellerischen Betätigung — u. a. ist sein Lehrbuch im Patentrecht führend — immer auch neben der Forscheraufgabe die Lehraufgabe, die enge geistige Verbundenheit mit seinen Hörern betont und gepflegt; ich glaube man kann sagen, er war zu seiner Zeit [gemeint: vor seiner Pensionierung[147]; mw] der wirksamste und gesuchteste juristische Lehrer an deutschen Hochschulen.
(Jung, Die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Straßburg; 1941), S. 467
Wie es aussieht, war Erich Jung der Entwickler der Gedanken, die der nationalsozialistischen Idee zu Grund lagen, und Wilhelm Kisch ein wirksamer Verbreiter dieser Gedanken und einer zahlreichen Schülerschaft, zu der in den Münchener Jahren von Prof. Wilhelm Kisch eben auch Hans Frank zählte.
Nun zur handschriftlichen Randbemerkung „schon lang beschlossen!“ Sie bedeutet, dass bereits „lange vor“ dem Schreiben von Wilhelm Kisch an Emge vom 30. März 1934 beschlossen worden ist, Professor Erich Jung zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu berufen. Die relevante Beschlussfähigkeit war im relevanten Zeitraum durch die erste Satzung der AfDR in § 4 geregelt:
Dem Führer obliegen […] 3. Die Entscheidung über die Aufnahme und das Ausscheiden der Mitglieder.
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934)
Der Führer der AfDR war Hans Frank. Man darf demnach annehmen, dass Hans Frank „lange vor“ dem April 1934 beschlossen hatte, Erich Jung zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie in der AfDR zu berufen. Der Beschluss Hans Franks, einen Ausschuss für Rechtsphilosophie zu gründen, kann frühestens gleichzeitig mit der Berufungsentscheidung getroffen worden sein.
Ich werde in Unterabschnitt 7.7.3. zeigen, dass im ersten Jahrbuch der Akademie für deutsches Recht, das im Sommer 1934 fertiggestellt worden ist, die Geschichte der Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie beiläufig so dargestellt wird, dass Wilhelm Kisch am 29. Januar 1934 den Gründungsbeschluss mitteilte, nachdem Hans Frank auf der 2. Vollsitzung der AfDR einen Vortrag von einem „Fräulein“ Prof. Lea Meriggi (Mailand) mit dem Titel „Faschismus und Recht“ gehört hatte.
Blatt 22 der Akte Emges ist ein weiteres Schreiben von Wilhelm Kisch an Professor Emge. Es ist auf den 20. April 1934 datiert. Er bedankt sich für die erneute Einladung zum 3. Mai 1934: „Es wäre mir eine besondere Freude gewesen, derselben beizuwohnen. Er werde aber „leider“ in München auf einer Konferenz festgehalten werden.
3.5.9. Rudolf Stammlers Antwort vom 5. April 1934
Blatt 10 ist das Antwortschreiben von Prof. Dr. Dr. Rudolf Stammler vom 5. April 34. Abgesehen vom Briefkopf ist es vollständig handgeschrieben. Mit ein wenig Mühe konnte ich folgenden Haupttext entziffern:
Ihren liebenswürdigen Brief v. 26. [März?] mit der darin enthaltenen [???] Berufung und Einladung habe ich mit herzlichem Dank erhalten. Ich gedenke, mich am Donnerstag 3. Mai in Weimar einzufinden.
Mit herzlichen Grüßen
Heil Hitler!
Rudolf Stammler●
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 10
In seinem Nachruf auf Stammler teilt Emge 1938 seinen Lesern nicht mit, dass Stammler Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Er sagt nur, dass Stammler bei der Gründungssitzung anwesend war:
[18] Es befriedigt, zu wissen, daß sich Rudolf Stammler nach dem Umbruch sofort und gern zur Verfügung stellte. Es mag ferner als Symbol für geistige Verantwortung gelten, daß Stammler bei der Gründungssitzung des rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht seinerzeit im Nietzsche-Archiv zu Weimar anwesend war und sogleich ein echtes rechtsphilosophisches Gespräch gestalten half. Der Vorsitzende dieses Ausschusses, Reichsminister Dr. Frank, hatte mit der Frage begonnen: „Was ist Recht?“—●
(C. A. Emge, Rudolf Stammler zum Gedächtnis; 1938), S. 335
Emges Nachruf werde ich in Unterabschnitt 8.3.1. ausführlicher vorstellen.
3.5.10. Carl Schmitts Antwort vom 21. April 1934
Blatt 11 ist das Antwortschreiben von Carl Schmitt vom 21. April 1934. Ich zitiere das Antwortschreiben von Carl Schmitt vollständig.
Preußischer Staatsrat Berlin-Steglitz Professor Carl Schmitt Schillerstr. 2 21. IV. 1934. Sehr geehrter Herr Kollege!
Vielen herzlichen Dank für Ihre freundliche Einladung, ich werde gern erscheinen.
Mit deutschen Gruß und Heil Hitler!
Carl Schmitt
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 11[148]
Aus dem Wortlaut des Antwortschreibens allein kann nicht auf die Tatsache geschlossen werden, dass Carl Schmitt vor Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai1934 zum Mitglied des Ausschusses berufen worden ist. Der Gesamtzusammenhang der Akte beweist das aber.
3.5.11. Dr. Helmut Nicolais Antwort vom 26. April 1934
Blatt 18 ist das Antwortschreiben von Helmut Nicolai (1895-1955). Im Briefkopf stellt er sich als Ministerialdirektor des Reichsministeriums des Inneren vor. Nicolai sagt ab. Hauptsächlich wegen einer Tagung von Verwaltungsbeamten in Berlin, auf die sich auch Carl Schmitt in seinem Tagebucheintrag vom 4. Mai1934 bezogen hat.
Ich zitiere nun den Haupttext des Schreibens, der mit einer Schreibmaschine getippt worden ist:
Sehr geehrter Herr Professor!
Da ich am 2. Mai d. J. in Kiel zu reden habe und am 4., 5. und 6. Mai hier die grosse Fachgruppentagung der Verwaltungsbeamten ist, kann ich leider am 3. Mai nicht auch noch fortfahren. So unendlich gern ich an der Akademiesitzung gerade bei Ihnen teilnehmen wollte, lässt sich dies einfach nicht ermöglichen und ich bitte, mich deshalb entschuldigen zu wollen. Ich werde versuchen, Ihnen Herrn Dr. Röder als meinen Vertreter zu senden.
Mit verbindlichsten Grüssen und Heil Hitler bin ich
Ihr sehr ergebener
Nicolai
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 18
Der Dienstvorgesetzte von Helmut Nicolai, Wilhelm Frick, war anscheinend der Meinung, dass Nicolai am 3. Mai problemlos von Berlin nach Weimar fahren konnte, da er ja am 3. Mai noch keine Dienstpflichten zu erfüllen hatte. Dafür spricht, dass auf der Rückseite von Blatt 22 nur drei Namen handschriftlich unter der Überschrift „Absagen“ notiert sind: Kisch, Hedemann, Rust. Dafür spricht auch, dass in der Zeitungsberichterstattung über den 3. Mai behauptet wird, Nicolai sei anwesend gewesen.
Ich nutze die Gelegenheit zu einem weiteren Exkurs, durch den ich Helmut Nicolai in einem Kontext vorstellen werde, der auch seinen Zeitgenossen zugänglich war und in dem es um die Gründung der AfDR und Hans Franks und Adolf Hitlers Rechtsanschauungen geht. Das ist vermutlich interessant genug.
3.5.12. Exkurs: Helmut Nicolais Rede „Rasse und Recht“, die Proklamation der Akademie für Deutsches Recht und die Abschlussreden Hans Franks und Adolf Hitlers über Rasse und Recht auf dem Juristentag in Leipzig 1933
Da nach Aktenlage Helmut Nicolai (1895-1955) Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, sollte ich ihn kurz vorstellen. Ich tue das durch Wiedergabe eines ausführlichen Berichts eines Georg Bayerles über den „Juristentag in Leipzig“ vom 30. September bis zum 3. Oktober 1933, der in der Zeitschrift des BNSDJ „Deutsches Recht“ abgedruckt worden ist. Das Motto des Juristentages lautete: „Durch Nationalsozialismus dem deutschen Volk das deutsche Recht“. In dem Bericht wird ein Vortrag Nicolais kurz zusammengefasst:
„Rasse und Recht“ war der Gegenstand des Vortrages von Reg.-Präsident Dr. Nicolai, Grundlage des Nationalsozialismus sei das Rassedenken. Erhaltung der Rasse, der Eigenart, sei der Grundgedanke gewesen, auf dem das Denken der nordischen Vorzeit aufgebaut war. Die Rassenmischung habe Auflösung des Gemeingeistes gebracht. Das spätrömische Reich sei nur noch ein Juristenstaat gewesen.
(Bayerle 1933), S. 196
Ich erinnere erneut an Punkt 19 des Parteiprogramms der NSDAP vom 20. Februar 1920:
19. Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemein-Recht.
http://www.documentarchiv.de/wr/1920/nsdap-programm.html
Helmut Nicolai knüpft in seiner Rede 1933 offensichtlich an Punkt 19 an. Im nächsten Absatz verbindet er die rechtsphilosophische Auslegung des primären »Substanzwertes der Rasse« mit einer religionsphilosophischen Legitimation für diesen »Wert«:
Eine der wichtigsten Aufgaben sei der Rasseschutz. Er sei die richtige Abgrenzung der völkischen Einheit von anderen Völkern. Wenn auch jedes Volk auf die Erhaltung seiner eigenen Besonderheiten Wert lege, sei es doch sinnlos, die Eigenarten fremder Völker verachten und vernichten zu wollen. Mit dem Rassegedanken müsse der Rechtsgedanke verbunden sein. Weil das Recht im Rassegedanken wurzle, sei es Gottes heilige Ordnung.
(Bayerle 1933), S. 196
Es fehlt eine Prämisse. Sie lautet: Mindestens ein Gott hat mindestens zwei Völker geschaffen, denen es verboten ist, die jeweils andere Besonderheit zu vernichten. Das passt hervorragend zur Position, die Baron von Uexküll in seinem Buch „Staatsbiologie“ entwickelt hat und die ich in Unterabschnitt 3.5.7. vorgestellt habe.
Die Position von Nicolai und Baron von Uexküll schließt selbstverständlich nicht aus, dass ein anderer Gott oder ein »Anti-Gott« ein oder mehrere andere Völker geschaffen hat, deren ursprüngliche Andersartigkeit sie nicht unter den Schutz des Vernichtungsverbots stellt, ja vielleicht sogar einem göttlichen Vernichtungsgebot unterwirft. Wie ich noch zeigen werde, gehörte die Schöpfung einer rassistischen Religionsphilosophie zu den Aufgaben des Ausschusses für Rechtsphilosophie (vgl. Unterabschnitt 4.4.2.).
Zurück zu Bayerles Bericht über den Juristen-Tag In Leipzig 1933. Am Abend des Tages, an dem Nicolai seinen Vortrag hielt, wurde die AfDR „proklamiert“:
Der Abend brachte ein Ereignis, das in der Geschichte der Universität Leipzig besondere Beachtung verdient. Die Aula der Universität stellte den Rahmen für die Proklamation der „Akademie für deutsches Recht“. Das Leipziger Symphonie-Orchester spielte die 5. Fuge von J. S. Bachs „Die Kunst der Fuge“, worauf der Rektor der Universität Geheimrat Achelis[149], die hohe Festversammlung willkommen hieß.
(Bayerle 1933), S. 197
Das, was der Bericht im nächsten Schritt über die proklamierenden Worte Hans Franks wiedergibt, ist bis auf einen Satz weiter nicht spannend:
„Kraft der mir vom Führer der N.S.D.A.P. erteilten Vollmacht erkläre ich hiermit feierlich die Akademie für Deutsches Recht als eröffnet.“
(Bayerle 1933), S. 197
Dieser Satz ist bemerkenswert, da Hans Frank öffentlich bekannt gab, dass die AfDR eine Akademie von Führers Gnaden war.
Am nächsten und letzten Tag des Leipziger Juristentags sprach u.a. Carl Schmitt „über den Neubau des Staats- und Verwaltungsrechtes“. Schmitt beginnt seine Rede mit der Lüge, die vielleicht seine berühmteste ist: Die „deutsche Revolution“ des Jahres 1933 sei legal gewesen. Er präsentiert diesen Satz als Folgerungssatz. Eine seiner Prämissen ist die Lüge, dass die „Wahl des 5. März 1933“ eine Volksabstimmung gewesen sei. Tatsächlich sind am 5. März 1933 Wahlen zur Besetzung des Reichstags durchgeführt worden. Reichstagswahlen waren nach der Weimarer Reichsverfassung keine Volksabstimmungen. Auch war die Wahl vom 5. März nicht mehr frei: das passive Wahlrecht war bereits massiv eingeschränkt. Das »Ermächtigungsgesetz« vom 24. März wurde infolge nicht von einem verfassungsmäßig legitimierten Reichstag beschlossen. Anders Carl Schmitt:
„Zwar gilt die Weimarer Verfassung, soweit sie nicht der neuen Rechtslage widerspricht, weiter, sie ist aber nicht die Grundlage und verfassungsmäßige Legitimierung des heutigen Staates. – Die Wahl des 5. März 1933 war in Wirklichkeit eine Volksabstimmung. Die vorläufige Verfassung vom 24. März 1933 trägt alle Merkmale einer Übergangsregelung. – Die deutsche Revolution war legal, d.h. gemäß der früheren Verfassung formell korrekt. Sie war es aus Disziplin und deutschem Sinn für Ordnung.
(Bayerle 1933), S. 198
Carl Schmitts Hinweis auf den Übergangscharakter ist mit Blick auf das Ende des Intervalls korrekt, da sie ausdrücklich und unbedingt am 1. April 1937 außer Kraft trat.
Es war und blieb die satzungsgemäße Aufgabe der AfDR, mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen zusammenzuarbeiten. Nach dem rechtswidrigen Selbstermächtigungsdiktat der NSDAP und DNVP vom 24. März 1934 war das wichtigste Gesetzgebungsorgan die Reichsregierung. Im Dezember 1934 wurde der Präsident der AfDR Reichsminister. Er war damit Mitglied des wichtigsten Gesetzgebungsorgans des NS-Staates.
Abbildung 7: Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933, Seite 1[150] | Abbildung 8: Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933, Seite 2[151] |
Über Schmitts Vortrag berichtet Bayerle zusätzlich nur noch folgendes:
Die Gesetzgebung und das Verhältnis von Reich und Ländern ist klar und einfach geordnet. Eine völlig neue Fragenreihe betrifft die rechtlichen Beziehungen von Staat und Partei. Trotz mancher Ähnlichkeit des nationalsozialistischen Staates mit dem faschistischen gibt es auf diesem Gebiet große Verschiedenheiten. Die nationalsozialistische Organisation hat eine Vormachtstellung. Die politische Einheit des nationalsozialistischen Staates ist eine dreigliedrige Zusammenfassung von Staat, Bewegung und Volk.“
(Bayerle 1933), S. 198
Sollte Bayerles Referat vollständig und korrekt sein, hat Carl Schmitt in seiner Rede offen gelassen, wie das Verhältnis zwischen NS-Partei und NS-Staat zu denken ist. Er legt sich nur auf eine Vormachtstellung der „Organisation“ fest.
Nach weiteren Vorträgen und einen Ortswechsel in die Messehalle erschien …
Endlich der Führer. Unendlicher Jubel der Versammelten dankt ihm für sein Kommen und für seine unermüdliche Tätigkeit.
(Bayerle 1933), S. 198
In Anwesenheit des Führers Adolf Hitler hielt dann Hans Frank erneut eine Rede. Ich zitiere die dogmatisch zentralen Aussagen Hans Franks:
Da betritt der Führer des Juristenbundes die Rednertribüne: „[…] Wir haben in diesen Tagen die Grundfragen des Deutschen Lebens unter dem Gesichtspunkt des Rechts erörtert und sind zu dem machtvollen Ergebnis gekommen, daß unsere Macht nicht nur aufgebaut ist auf äußeren Faktoren, wie sie anderen Systemen zur Verfügung standen, sondern daß die Macht des Nationalsozialismus über Deutschland auf jenen naturgesetzlichen Machtfaktoren aufgerichtet ist, die niemand antasten darf. – Wir sind ein Volk des Rechts, und unsere Macht ist eine Rechtsmacht. […] – Wie man früher Recht aufgebaut hat auf vergängliche Worte, etwa auf die Skala des Profits, je nach den unterschiedlichen Zeitläufen, so wird künftig überhaupt kein anderer Wert im Recht mehr maßgebend sein als jener, der auf den ewigen Gesetzen des nationalen Werdens und Vergehens beruht. Wir haben in den Mittelpunkt unserer Betrachtung in diesen Tagen den Begriff der Rasse gestellt. Es war mir eine hohe Genugtuung, daß dieser Gedanke bereits in so vollgültiger Form in das Recht eingebürgert werden konnte, daß er für alle Zeiten der wesentliche Grundbegriff der allgemeinen Rechtslehre in Deutschland bleiben wird.[152] Neben den Begriff der Rasse haben wir in den Mittelpunkt den Schutz der Ehre gestellt. Es handelt sich um Ehre in dem Sinn, daß jeder bei sich verantwortlich ist für die Ehre der Gesamtheit der Nation. Die Ehre der Nation kann in einem einzelnen gewahrt und in einem einzelnen verloren werden.
Der Richter soll der große Richterkönig, der Herrscher über das Leben der Nation sein, soweit dieses Leben sich in der Helle des Tages offenbart.
[…] Es ist ein Mißbrauch der Gläubigkeit des Volkes an das Recht, wenn Sie ihm den Glauben beibringen wollen, daß das, was schon ein Richter nicht entscheiden kann, von dreien in Mehrheitsabstimmung entschieden werden könnte. Wir wünschen diesen Richterkönig, der entscheidet, nach den Gesetzen der Nation, den Richterkönig allerdings, der dann gerade deshalb die Achtung beanspruchen kann, weil er, unabhängig und frei, nur dem Gewissen der Nation unterworfen ist, das sich in ihm zu verkörpern hat.
(Bayerle 1933), S. 198
Wer wissen will, was Hans Frank mit seiner Forderung nach unabhängigen und freien Richtern meinte, lese auch noch die folgenden Absätze:
Dulden Sie nie, daß Gewalten, die dem Deutschtum und dem gemeinen Interesse schädlich sind, auf dem Umwege deutscher Rechtsanwendung sich Vorteile erschleichen gegenüber dem gutmeinenden, ehrlichen, deutschen Volksgenossen.
Es wäre nicht mehr lange so fortgegangen, daß man in den Mittelpunkt des Mitleids den Verbrecher und nicht die Gemeinschaft stellte. Kein Volk kann mehr Recht in der Welt verlangen, als es seinen eigenen Helden zu geben bereit ist. Deutschland hat das heldische Prinzip wieder auf seine Fahne geschrieben. Man soll nur wissen, daß wir, die friedliebende Nation, in jedem Fall gewillt sind, unser Recht in Rechtsform gegenüber jedermann in der Welt zu vertreten. In dem nunmehr begonnenen historischen Abschnitt hat das deutsche Volk Adolf Hitler zu seinem Gottesstreiter gewählt. Möge ihm der Sieg beschieden sein.
Deutsche Juristen, wir schwören dem Führer die Treue und die Hingabe bis zur letzten Kraft in diesem Gottesstreit um das Recht, das ewige Recht des deutschen Volkes. Über die Gräber der Toten des Krieges hinweg, grüßen wir deutsche Juristen Dich, mein Führer, in ewiger Treue und Hingabebereitschaft.
Sie können sich auf Ihre deutschen Juristen verlassen! Heil!“●
(Bayerle 1933), S. 199
Der »Gottesstreiter Adolf Hitler« beglückte anschließend seine Juristen mit folgenden Worten – in der Wiedergabe durch Georg Bayerle:
Dann sprach der Führer.
In tiefgründiger Weise erläuterte er die weltanschaulichen Grundlagen des Rechts und zeigte den Wandel auf, dem in der Entwicklung der Völker auch die Rechtsauffassungen unterliegen. Die rassische Bedingtheit des Rechtsbegriffs führt zu Erkenntnissen, die für die Zukunft von entscheidender Bedeutung seien und besonders auch im internationalen Rechtsleben eine Rolle spielen werden.
Gerade der rassisch bedingte Staat kenne keine Unterdrückung fremder Völker. Nur auf dem Boden dieser Erkenntnis könne eine wahrhaft organische Völkergemeinschaft als Weltordnung entstehen. Aus der Einheit von Volk und Staat ergebe sich die klare und eindeutige Aufgabe der Staatsführung: Volkserhaltung, Rasseschutz und Rassenpflege. Die Rechtsauffassung des liberalen Staates ende im Zerfall eines Volkes, das am Staat und seiner Justiz in wachsendem Maße irre werde. Der totale Staat kenne keinen Unterschied zwischen Recht und Moral. Nur im Rahmen der Weltanschauung könne und müsse eine Justiz unabhängig sein.
Die deutschen Juristen sollen im Sinn der Einheit von Rechtsauffassung und Staatsauffassung sich der Verpflichtung gegenüber dem Volke bewußt sein.
Mit dieser einzigartigen Kundgebung hatte der Juristentag seinen Abschluß erreicht.
Es war der bisher größte Tag der Juristen gewesen, der jemals stattfand. Seine Kundgebungen haben ebenso wie die sachlichen Darbietungen einen so bleibenden und tiefen Eindruck auf die Teilnehmer gemacht, daß sein Gewinn ein bleibender sein wird.
Georg Beyerle●
(Bayerle 1933), S. 199
Bemerkenswert ist, dass der Gottesstreiter Adolf Hitler bereits am 3. Oktober 1933 das Hauptaxiom von Carl Schmitts Großraumlehre (1943/44) einer „wahrhaft organischen Völkergemeinschaft als Weltordnung“ durch rassisch bedingte Staaten/Reiche vertrat. 1933 war es allerdings strategisch geboten, öffentlich nicht mitzuteilen, dass zu dieser Weltordnung „natürlich“ die „Unterdrückung fremder Völker“ durch die Herrenrasse des jeweiligen Großraums und „ausnahmsweise“ auch die „Vernichtung einer fremden Rasse in ihrer ganzen lebendigen Substanz“ gehöre (vgl. Teil IV).
Auch Hitlers Bezugnahme auf eine rassistische Rechtsgeschichte lässt vermuten, dass er durch exzellente Juristen unterstützt wurde. In Teil II werde ich zeigen, wer die Fähigkeiten, wer die Gelegenheit und wer das Motiv hatte, Hitler rechtsphilosophisch und rechtsgeschichtlich zu beraten.
Zurück zur Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Helmut Nicolais Antwort deutet zumindest an, dass er mit seiner Aufgabe überfordert war. Am 26. Mai 1934 trug dann nicht Nicolai, sondern Achim Gercke (1902-1997) auf der Arbeitstagung der AfDR vom 26. Mai 1934 über „Rasse und Recht“ vor (siehe Unterabschnitt 7.10.3.) zu der Emge alle 18 Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie eingeladen hat (siehe Abschnitt 3.3.).
3.5.13. Viktor Bruns Antwort vom 27. April 1934
Blatt 20 ist ein Brief des Direktors des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht e.V., Prof. Viktor Bruns, vom 27. April 1934. Er teilt seinen „wärmsten Dank“ für die „Berufung in den Ausschuss für Rechtsphilosophie an der Akademie für Deutsches Recht“ mit. Er „begrüsse es mit besonderer Freude, gerade an diesem Ausschuss mitarbeiten zu dürfen; ich verspreche mir von dieser Tätigkeit eine reiche Förderung meiner eigenen Arbeiten.“ Da Professor Bruns sich zusätzlich für die „Verzögerung“ seiner Antwort entschuldigt, gehe ich davon aus, dass auch er bereits Ende März ein Berufungsschreiben von Emge erhalten hat. Emge hatte seine Berufungsschreiben ja kurz vor den Osterferien des Jahres 1934 verschickt.
3.5.14. Alfred Rosenbergs Antwort vom 2. Mai 1934 (Blatt 30)
Blatt 30 ist ein Brief von Gotthard Urban (1905-1941) an Professor Emge. Urban gehörte über viele Jahre zum engsten Kreis um Alfred Rosenberg. [153] Für seinen Brief vom 2. Mai 1934 an Emge benutzte er den Briefkopf des „Kampfbundes für Deutsche Kultur e.V.“, dessen Reichsleiter Alfred Rosenberg war. Ich zitiere diesen Brief vollständig, da Emge 1960 suggeriert hat, Alfred Rosenberg sei uneingeladen und überraschend auf der konstituierenden Sitzung des Ausschusses erschienen und habe einen Vortrag gehalten. Ich zitiere diese Behauptung Emges von 1960 erneut:
Als wir uns an die Arbeit begaben, erschien Alfred Rosenberg und trug │ S. 75 sein bekannt unreifes Zeug vor. Die Folge davon war, daß ihn nach der Sitzung Uexkull im Hotel aufsuchte, um auf die Unmöglichkeit seiner Auffassungen aufmerksam zu machen. Eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem berühmten Gelehrten aus alter Kulturschicht von hohem wissenschaftlichen [im Original; mw] Rang mit dem homo novus und Dilettanten! Damit war jener Arbeitsgruppe der Todesstoß versetzt. Sie konnte nie mehr zusammen kommen.
(Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 74 f.
Nun der Originalwortlaut von Gotthard Urban vom 2. Mai 1934:
Sehr geehrter Herr Professor!
Ich kann im Augenblick nicht feststellen, ob Ihnen von Herrn Rosenberg schon direkt durch sein Sekretariat eine Mitteilung zugegangen ist. Ich möchte Ihnen auf jeden Fall mitteilen, dass Herr Rosenberg morgen zwischen 15 und 15,30 Uhr in Weimar eintreffen und im Hotel Elefant Wohnung nehmen wird. Er erscheint alsdann pünktlich zur Sitzung im Nietzsche-Archiv.
Ich komme gern Ihrer Aufforderung mitzukommen nach und hoffe, dass wir alsdann die Möglichkeit haben, die schon vorbesprochenen Pläne zu einem gewissen Abschluss zu bringen.
Falls Ihre Zeit morgen durch die Ereignisse in Weimar zu sehr in Anspruch genommen ist, stehe ich Ihnen auch noch am Freitag Vormittag zur Verfügung.
Mit den besten Grüßen und Heil Hitler
Ihr sehr ergebener
Urban
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 14
Damit ist erneut zweifelsfrei nachgewiesen, dass Emge vor dem 2. Mai 1934 Rosenberg zusammen mit Urban zur Eröffnungssitzung am 3. Mai eingeladen hat. Auf der handschriftlich verfassten Planung für den 3. Mai 1934 (Blatt 35) war ebenfalls ein Vortrag Rosenbergs vorgesehen, so dass auch keine wahrhafte Rede davon sein kann, dass Rosenberg am 3. Mai 1934 überraschend einen Vortrag gehalten hat. Professor C. A. Emge hat 1960 nachweislich auch in diesem Punkt gelogen.
3.5.15. Hans Naumanns undatierte Antwort (Blatt 39)
Blatt 39 ist ein kurzer, handgeschriebener Brief ohne Datumsangabe an Emge von Hans Naumann. Ich kann nicht alles entziffern:
Lieber Herr Emge,
mit vielem Dank nehme ich ??? unverdienten Ehrungen an. Komme gerade von Vortragsreisen in Oxford, Cambridge, Rom, daher die Verzögerung. Hoffe am 3. Mai zur Stelle sein zu können.
Heil Hitler Ihr Hans Naumann
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 39
Hans Naumann (1886-1951) hatte bereits 1929 in zweiter Auflage seine Version des Adelsrassismus des akademischen Nationalsozialismus vertreten.[154] Matthes Ziegler (1911-1992) griff ihn genau dafür im Augustheft der Nationalsozialistischen Monatshefte des Jahres 1934 an: Es gäbe keine wesentliche Unterscheidung zwischen der deutschen Unter- und Oberschicht. Wenn es Unterschiede geben würde, dann wären »die deutschen Bauern« wesenhaft »arteigener« als alle anderen Deutschen.[155] Falls Naumann tatsächlich den »Stand der (freien) Bauern« anders als Baron von Uexküll aus der »Seinsordnung« ausgeschlossen hat und sie »weltanschaulich« proletarisiert hat, wäre das ein hinreichender Grund dafür gewesen, weshalb er »weltanschaulich« nicht tragbar gewesen ist.
Ziegler war kurz zuvor Schriftleiter dieser „zentralen politischen und kulturellen Zeitung“ (Titelblätter der Nationalsozialistischen Monatshefte des Jahres 1934) und Leiter des „Archivs für kirchenpolitische Fragen“ im »Amt Rosenberg« geworden.[156]
In dem mir bekannten Drittel der Akte Emges gibt es keine weiteren Schreiben von Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie an Emge. Die weiteren Blätter, die ich kenne, sind vor allem Antwortschreiben auf Einladungen, die Emge an »maßgebende Persönlichkeiten« verschickt hatte.
Es fehlen demnach in der Akte Antwortschreiben von Martin Heidegger, Ernst Heymann und Walter Luetgebrune. Da der Präsident der AfDR nicht antworten musste, wäre es in seinem Fall falsch davon zu sprechen, dass sein Antwortschreiben in der Akte fehlte.
3.6. Emge umwirbt Goebbels am 24. April 1934
Emges Anschreiben an die »maßgebende Persönlichkeit« Goebbelsist mir bekannt. Es ist interessant. Ich zitiere das Schreiben deswegen vollständig:
Stiftung
Nietzsche-ArchivWeimar, d. 24.4.34
Hochverehrter Herr Reichsminister!
Es ist lange her, daß ich Sie sprechen durfte, aber Ihr so freundlicher Dankesbrief auf meine Gratulation zu Ihrer Ernennung gibt mir den Mut, mich mit folgender sachlicher Bitte an Sie zu wenden.
Minister Frank hat mich mit den Geschäften des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Akademie für deutsches Recht betraut. Die Eröffnungssitzung wird am 3. Mai nachmittags 4 Uhr im Nietzsche-Archiv zu Weimar stattfinden. Persönlichkeiten wie Heidegger, Rothacker, Stammler, Binder, Karl Schmi
dtt [so im Original; mw], Hans Freyer, Hans Naumann, Erich Jung, Bruns werden anwesend sein. Eine der wichtigsten Angelegenheiten des Ausschusses wird es sein, sozusagen fide vel moribus, den geistigen Gehalt der Bewegung nach Seiten des Jurisprudenz zu interpretieren. Es scheint mir unumgänglich, daß ich dabei in enger Fühlung mit der maßgeblichen Persönlichkeit stehe, die sich über die Problematik dieser Angelegenheit gewiß am klarsten ist. Ich darf nur an die große Bedeutung der Angelegenheit mit Rücksicht auf einen möglichen Kulturkampf erinnern.
Ich wäre daher glücklich, wenn Sie in Erneuerung der alten Beziehungen uns die Freude machen würden zur Eröffnungssitzung zu erscheinen. Wenn sich das nicht machen läßt, so darf ich Sie bitten, mir einen Termin anzugeben an dem ich (vielleicht in Ihrer außerdienstlichen Zeit) Ihnen einmal ausführlich über diese Dinge berichten kann. Ich möchte hinzufügen, daß ich bei solcher Gelegenheit auch als wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs gern einige Wünsche hören würden.
Mit dem Ausdruck alter Verehrung und Heil Hitler
Ihr ergebenster Emge
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 13
Ich wüsste gerne, wann Emge wie Goebbels kennengelernt hat.
3.7. Wilhelm Arendts an Hans Frank am 2. Mai 1934
Wilhelm Arendts war der Schatzmeister der AfDR. Er und Wilhelm Kisch gehörten zu den weinigen Personen, die anwesend waren, als Hans Frank am 26. Juni 1933 die AfDR gründete (siehe Abschnitt 7.3.). Er und Wilhelm Kisch tätigten im Herrschaftsgebiet Hans Franks während des Krieges „schmutzige Geschäfte“ (siehe Unterabschnitt 6.2.4.). Er und Wilhelm Kisch waren noch nach dem Wechsel von Hans Frank zur Otto Thierack im Amt des Präsidenten der AfDR im September 1942 Mitglieder des kleinen Präsidiums der AfDR (siehe Unterabschnitt 9.3.2.).
Gemäß der Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie war Wilhelm Arendts auch zur Eröffnungssitzung am 3. Mai 1934 eingeladen worden. In seinem Antwortschreiben vom 2. Mai 1934 an Emge präsentierte Arendts folgende Informationen über sich durch einen Absenderstempel:
Kommerzienrat
Wilhelm Arendts
Generaldirektor
der Bayerischen Versicherungsbank A.-G.
vormals Versicherungsanstalten der Bayerischen
Hypotheken- und Wechselbank
München, Ludwigstr.12
Telephon:
Büro: 26314 Wohnung: 22920
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 33
Ich zitiere das, da die „Ludwigstr. 12“ in den Anfangsjahren der AfDR gelegentlich als Postanschrift der AfDR genutzt wurde.
Ich zitiere nun den Briefinhalt:
Sehr geehrter Herr Professor!
ich bedauere es ausserordentlich, dass es mir nicht möglich ist, bei der morgen 4 Uhr Nachmittag angesetzten Eröffnungsfeier des Ausschusses für Rechtsphilosophie teilzunehmen, da ich die Einladung erst in den letzten Tagen erhalten habe und schon durch eine anderweitige Sitzung in Berlin gebunden bin.
Ich hoffe, Herrn Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank heute Abend im Zug zu treffen und ihn auch unmittelbar unterrichten zu können.
Heil Hitler!
Arendts
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 33
Wilhelm Arendts war anscheinend so vertraut mit Hans Frank, dass ein unangemeldetes Gespräch des Kommerzienrats Arendts mit einer der führenden »Persönlichkeiten« der NS-Partei und des NS-Staates in einem Abendzug von München Richtung Berlin und Weimar problemlos möglich war.
3.8. Tabellarischer Überblick über weitere Blätter der Akte GSA 72/1588
Blatt 21 ist ein Schreiben eines Mitarbeiters des Verwaltungsdienstes der AfDR namens Gaeb vom 28. April 1934 an Professor Emge.
Das Schreiben enthält zwei interessante Informationen:
Ferner möchte ich Sie bitten, für die Tagung perfekte Stenographen (wenn möglich, Landtagsstenographen) zu besogren, damit wir die grundlegenden Ausführungen der Reden anlässlich der Tagung sogleich bereit haben und sie pressetechnisch verwenden können.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), Blatt 21
Links von diesem Absatz ist handschriftlich etwas notiert worden, das vielleicht mit „Photogr Kopf 9/2“ korrekt entziffert wäre. Dass wahrscheinlich tatsächlich Stenographen die Reden von Hans Frank, Alfred Rosenberg und Carl August Emge für eine Verwendung in der Presse niedergeschrieben haben, belegen die ausführlichen Wiedergaben dieser Rede in Zeitungen und Zeitschriften im Mai 1934 (siehe Abschnitt 4).
Der folgende Absatz aus diesem Schreiben von Gaeb an Emge hilft, viele der weiteren Schreiben vom Anfang der Akte Emges einzuordnen:
Die Einladungen an die massgebenden [so im Original; mw] Persönlichkeiten, vor allem an die Mitglieder des Präsidiums der Akademie für Deutsches Recht, haben Sie – wenn ich mir recht entsinne – wohl selbst liebenswürdiger Weise übernommen.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), Blatt 21
Bl.nr. | Datum | Wer | Was |
12 | 23.4.34 | Handschriftliche Namensliste, vermutlich der einzuladenden Persönlichkeiten (u.a. Roland Freisler) | |
27 | Kein | Handschriftliche Namensliste der Personen, die zugesagt haben | |
14 | 24.4.34 | Emge an Frank | Erinnerung an die Eröffnungssitzung |
15 | 24.4.34 | Emge an Hess | Bitte „um Entsendung eines Vertreters zu den Ausschusssitzungen“ zwecks Herstellung eines „unmittelbaren Konnex … mit der Reichsleitung“ |
16 | 26.4.34 | Erwin Noack an Emge | Der Generalinspekteur des BNSDJ Noack bedankt sich für die Einladung zum 3. Mai |
17 | 26.4.34 | Gonella an Emge | Über die Reichsgeschäftsstelle der BNSDJ bedankt sich Gonella für die Einladung zum 3. Mai |
19 | 27.4.34 | Hedemann an Emge | Der Vorsitzende des Ausschusses für Personen-, Vereins- und Schuldrecht der AfDR, Prof. Justus W. Hedemann, bedankt sich für die Einladung, sagt seine Teilnahme zu und wünscht, „als ein sehr interessierter und ernster Zuhörer gewürdigt zu werden“. |
22 R | Rück- seite | N.N. | Absagen: Kisch, Hedemann, Rust (handschriftliche Notiz) |
24 | 30.4.34 | Gürtner an Emge | Absage für den 3. Mai |
25 | 30.4.34 | Rust an Emge | Absage für den 3. Mai |
26 | 30.4.34 | Thierack an Emge | Zusage für den 3. Mai |
28 | 30.4.34 | Frick durch Mößmer an Emge | Absage für den 3. Mai |
29 | 2.5.34 | Goebbels an Emge | Absage für den 3. Mai |
31 | 2.5.34 | Röhm an Emge | Absage für den 3. Mai |
32 | 2.5.34 | Fritz Reinhardt an Emge | Absage des Staatssekretärs im Reichsfinanzministerium für sich selbst für den 3. Mai |
33 | 2.5.34 | Arendts an Emge | Absage für den 3. Mai |
34 | 2.5.34 | Hans Severus Ziegler[157] an Major Oehler | Der Staatskommissar für die Thüringer Landestheater, Ziegler, teilt Major Oehler vom Nietzsche-Archiv u.a. mit, dass er für die „kleine Feier der Rechtsphilosophen“ ein „Streichtrio ins Archiv bestellt“ habe, bestehend aus den Herren Ehlers, Frede und Kötscher. Er hatte Mozart vorgeschlagen. Am Rand war stattdessen Beethovens Name vermerkt. Tatsächlich wurde Mozart gespielt (siehe Abschnitt 4.4.2.). |
3.9. Ergebnissicherung:
Anhand des mir bekannten Drittels der Akte Emges mit der Signatur GSA 72/1588 (160 Blatt, bis 30. Juli 1934) konnte ich folgendes nachweisen:
1. Carl Schmitt gehörte nach Aktenlage zu den achtzehn Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie, dessen Vorsitzender Hans Frank gewesen ist. Am 26. März 1934 verschickte der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses über das Büro des Nietzsche-Archivs die Berufungsschreiben. Die sechzehn Gründungsmitglieder waren:[158]
- Reichsleiter Alfred Rosenberg
- Ministerialdirektor Dr. Helmut Nicolai
- Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt
- Geheimrat Prof. Dr. Wilhelm Kisch
- Professor Dr. Martin Heidegger
- Professor Dr. Erich Rothacker
- Geheimrat Rudolf Stammler
- Professor Julius Binder
- Geheimrat Prof. Dr. Ernst Heymann
- Professor Dr. Erich Jung
- Professor Dr. Viktor Bruns
- Professor Dr. Hans Freyer
- Professor Baron v. Uexküll
- Professor Dr. Hans Naumann
- Dr. Max Mikorey
- Justizrat Gruppenführer Luetgebrune
2. Durch Fettdruck habe ich die wenigen Namen hervorgehoben, die dem Ausschuss für Rechtsphilosophie nach der Ernennung Alfred Rosenbergs zum Reichsminister am 17. Juli 1941 nicht mehr angehörten. Stammler und Binder sind vor 1941 gestorben. Nach Beendigung seiner Tätigkeit als Ministerialdirektor im Reichsinnenministerium 1935 und einem eingestellten Ermittlungsverfahren wegen § 175 StGB (Homosexualität) wurde Helmut Nicolai 1936 Nachfolger des vorhin erwähnten Hans Severus Ziegler im Amt des Staatskommissars für die Thüringer Landestheater. Ich vermute, dass Nicolai mit diesem Wechsel ins Kunstphilosophische seine Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie beendete.
3. Die erhebliche Konstanz der »Persönlichkeiten« im Ausschuss für Rechtsphilosophie ist zweifellos das wichtigste Ergebnis meiner Auswertung des mir bekannten Drittels der Akte Emges.
4. Dass Carl Schmitt zu den berufenen Gründungsmitgliedern gehörte, ist das zweite wichtige Ergebnis.
Weitere Ergebnisse sind bemerkenswert:
5. Wilhelm Kisch behauptete am 30. März 1934 (Blatt 9 der Akte), dass Erich Jung in der gemeinsamen Straßburger Zeit vor dem August 1914, „die Gedanken vertreten hat, die der nationalsozialistischen Idee zugrunde liegen“. Diese Behauptung werde ich in Teil II ausführlich bestätigen.
6. Aus dem Antwortschreiben Mikoreys und einer Randnotiz zum ersten Antwortschreiben von Wilhelm Kisch geht hervor, dass über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie „schon lange“ vor dem 26. März 1934 (Blatt 1 der Akte) entschieden worden war. Im Unterabschnitt 7.7. werde ich zeigen, dass damals so berichtet worden ist, dass am 29. Januar 1934 der Entschluss gefasst worden ist, dass ein Ausschuss für Rechtsphilosophie in der AfDR unter Vorsitz von Hans Frank gebildet werden solle. Zwei Monate sind für meinen Wortgebrauch zu kurz, um mich mit „schon lange“ auf den Anfangszeitpunkt zurückzubeziehen.
7. Es gab in dem kurzen Zeitraum, den diese Akte dokumentiert, drei Sitzungen des Ausschusses für Rechtsphilosophie:
- Konstituierende Sitzung am 3. Mai 1934 in Weimar
- Sitzung am 26. Mai 1934 um 4 Uhr nachmittags im direkten Anschluss an eine Arbeitstagung der AfDR in Berlin, auf der den Mitgliedern die Berufungsurkunden überreicht werden sollten.
- Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie nach dem 8. Juni 1934, da Ernst Krieck seine Teilnahme für die „nächste Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie“ am 8. Juni absagte (Blatt 125)
Für die dritte Sitzung war eine öffentliche „Veranstaltung“ im Rahmen der ersten Jahrestagung der AfDR Ende Juni 1934 geplant: Emge berichtete Hans Frank von dieser „Veranstaltung“ (Blatt 130). Ich konnte bislang keinen Beleg dafür finden, dass es am 25. oder 26. Juni 1934 tatsächlich zu der öffentlichen Veranstaltung des Ausschusses für Rechtsphilosophie in München gekommen ist. Ich vermute, dass es zwar zu einer dritten, nicht-öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 25. und 26. Juni in München gekommen ist, die öffentliche Veranstaltung mit den Vorträgen von Rothacker, Naumann und Mitteis aber nicht stattgefunden hat.
Jedenfalls habe ich mehrfach nachgewiesen, dass wichtige Teilbehauptungen der Aussage von Professor C. A. Emge aus dem Jahr 1960 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie falsch sind:
- Emge hat 1960 behauptet, dass es nur zur ersten Sitzung des Ausschusses gekommen ist. Das ist falsch: Es gab nachweislich mindestens eine zweite Sitzung am 26. Mai 1934. Und eine dritte Sitzung hat er im Juni 1934 für den Juni 1934 zumindest geplant.
- Emge hat 1960 behauptet, jenseits der anwesenden Presse sei es am Abend des 3. Mai 1934 im Hotel zwischen Rosenberg und Uexküll derart zu einem Streit gekommen, dass es zu keiner weiteren Sitzung gekommen sei. Auch das ist falsch.
- Emge hat 1960 behauptet, Rosenberg sei unangekündigt zur Eröffnungssitzung gekommen. Das ist falsch. Blatt 35 belegt, dass Rosenbergs Vortrag auf der Eröffnungssitzung seit März 1934 geplant gewesen ist. Von Emge selbst.
Emge wusste um 1960 herum, dass er Falsches behauptete, es sei denn, er litt unter irgendeiner Form von Gedächtnisverlust. Einige seiner Leser wussten nicht, dass er Falsches behauptete. Sie wurden von ihm absichtlich getäuscht. Emge hat sie belogen. Einige seiner Leser wussten, dass er Falsches behauptete. Sie hat er nicht belogen. Sie hat er darüber (erneut) in Kenntnis gesetzt, wie er die Verbrechen des akademischen Nationalsozialismus verbergen wollte: Die Täter waren nicht „die berühmten Gelehrten aus alter Kulturschicht von hohem wissenschaftlichen Rang“. Täter war allein der „homo novus“ und „Dilettant“ Alfred Rosenberg – und seinesgleichen. Ich zitiere erneut Emges Aussage von 1960:
[…]. Das war auch das Schicksal einer Arbeitsgruppe für Rechtsphilosophie. Zusammengesetzt nicht in erster Linie von sozusagen approbierten Rechtsphilosophen, sondern als eine Diskussionsgruppe für übersehene rechtsphilosophische Probleme gemeint, hatte sie als Mitglieder unter anderen zwei heute noch sehr wirksame Philosophen, die Rechtsphilosophen Stammler und Binder, wohl auch Werner Sombart, den Biologen Baron Jacob Uexküll. Als wir uns an die Arbeit begaben, erschien Alfred Rosenberg und trug │ S. 75 sein bekannt unreifes Zeug vor. Die Folge davon war, daß ihn nach der Sitzung Uexküll im Hotel aufsuchte, um auf die Unmöglichkeit seiner Auffassungen aufmerksam zu machen. Eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem berühmten Gelehrten aus alter Kulturschicht von hohem wissenschaftlichen Rang mit dem homo novus und Dilettanten! Damit war jener Arbeitsgruppe der Todesstoß versetzt. Sie konnte nie mehr zusammen kommen. […]
(C. A. Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 74 f.
Wie eingangs mitgeteilt, kenne ich nur ein Drittel der 160-seitigen Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie, die im Besitz des Goethe- und Schiller-Archivs ist. Ich weiß aber, dass viele der mir unbekannten Blätter dieser Akte aus Zeitungsberichten über die Eröffnungssitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie besteht. Auf einige dieser Zeitungsberichte hatte bereits Farías in seinem sehr wichtigen Buch Heidegger und der Nationalsozialismus hingewiesen. Dank seines Hinweises konnte ich mir einige Zeitungsberichte beschaffen. Im nächsten Abschnitt stelle ich nun u.a. diese Quellengruppe vor.
4. Die Berichterstattung in Zeitungen und Fachzeitschriften über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934
Ich stelle in diesem Abschnitt die Zeitberichterstattung über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie vom Mai 1934 ausführlich vor. Dafür sprechen zwei Gründe. Zum einen ist diese Quellengruppe besonders ergiebig. Zum anderen ist es eine Quellengruppe, die nicht erst uns oder wenige Zeitgenossen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie informierte. Sie ist eine Quellengruppe durch die wir wissen, was die Zeitungsleser des Jahres 1934 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie gewusst haben. Sie ist darüber hinaus eine Quellengruppe, mittels derer die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie wussten, was ihre Zeitgenossen über sie als Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie wissen konnten.
Dank des Buches von Viktor Farías über Heidegger und den Nationalsozialismus (1987/89) wissen seit 30 Jahren wieder viele Menschen ein wenig von dem, was die deutschen Zeitungsleser des Mais 1934 erfahren haben.
Farías gab aber bei weitem nicht alle Informationen aus der ihm bekannten zeitgenössischen Zeitungsberichterstattung wieder. In seiner Widergabe konzentrierte er sich auf den Artikel der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934. Aus ihm gab er Informationen über anwesende Personen und aus der Rede Hans Franks wieder. Er beginnt so:
[1] Bei der Durchsicht des Nachlasses von Ernst Krieck im Generallandesarchiv Karlsruhe fand sich ein Ausschnitt aus der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934, worin über die Bildung eines Ausschusses für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht berichtet wird.
(Farías 1989), S. 277
Weshalb Ernst Krieck Zeitungsberichte über diesen Ausschuss der AfDR gesammelt haben könnte, hat sich beiläufig in Abschnitt 3.5. ergeben: Emge hatte ihn als Gast zu geplanten 3. Sitzung des Ausschusses eingeladen. In seiner Eitelkeit gekränkt hat Krieck das abgelehnt.
An der konstituierenden Sitzung dieses Ausschusses, die im Nietzsche-Archiv in Weimar stattfand, nahmen (als Gründer und Vorsitzender) der Reichsjustizkommissar Dr. Hans Frank sowie Vertreter der Verwaltung und der nationalsozialistischen Intelligenz teil. Geschäftsführender Vorsitzender war Prof. Emge (Jena). Anwesend waren außerdem Geheimrat Kisch (München), Reichsleiter Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai und Staatsrat Schmidt. Dem Ausschuß gehörten ferner an die Professoren Heidegger (Freiburg), Rothacker und Naumann (Bonn), Freyer (Leipzig), Baron von Uexküll (Hamburg), Geheimrat Stammler (Berlin), Binder (Göttingen), Geheimrat Heymann (Berlin), Jung (Marburg), Bruns (Berlin) sowie Dr. Mikorey (München).
(Farías 1989), S. 277
Durch Fettdruck habe ich die Informationen hervorgehoben, die es den Lesern dieses Absatzes zumindest schwierig, gar unmöglich machten, zu verstehen, welche Personen Mitglieder des Ausschusses und welche Personen vielleicht nur Gäste der konstituierende Sitzung waren.
In einer Fußnote verweist Farías auf weitere Zeitungsberichte über die Konstituierung am 3. Mai 1934:
21 »Rechtsphilosophie als Waffe«, in: Berliner Tageblatt, 4. Mai 1934; vgl. ferner »Deutsche Rechtsmoral aus Blut und Boden«, in: Weimarische Zeitung, Nr. 103, 4. Mai 1934, und »Ausschuß für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht gegründet«, in: Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland, Nr. 121, 4. Mai 1934.
(Farías 1989), S. 425
Ich werde in diesem vierten Abschnitt alle vier Zeitungsberichte, auf die Farías aufmerksam gemacht hat, ausführlich vorstellen. Zusätzlich zitiere und kommentiere ich den Bericht über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie aus dem Völkischen Beobachter.
Es gab weitere Zeitungsberichte gab. Durch Fettdruck hebe ich die hervor, die ich nicht vorstellen werde:
Unbekannte Verfasser, Mitteilungen über die Tagung des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Nietzsche-Archiv am 03.05.1934, Hauptredner Hans Frank, Alfred Rosenberg und Carl August Emge, „Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland“, 04.05.1934, Weimar.- „Völkischer Beobachter“, 04.05.1934, Berlin. – „Düsseldorfer Nachrichten“, 04.05.1934. – „Kölnische Zeitung“, 04.05.1934. – „Münchner Neueste Nachrichten“, 04.05.1934. – „Frankfurter Zeitung“, 04.05.1934, Frankfurt am Main. – „Stuttgarter Neues Blatt“, 04.05.1934. – „Leipziger Neueste Nachrichten“, 04.05.1934. – „Thüringer Allgemeine Zeitung“, 04.05.1934, Erfurt. – „Dresdner Neueste Nachrichten“, 05.05.1934 u. a.
Goethe- und Schiller-Archiv / Klassik Stiftung Weimar; Bestand Weimar / Nietzsche-Archiv Zeitungsausschnittsammlung
Signatur: GSA 165/948
Unbekannt [Verfasser]
1934. – 45 Stück, 45 Blatt
Weimar / Nietzsche-Archiv Zeitungsausschnittsammlung, GSA 165/948
Ich glaube nicht, dass in den mir noch unbekannten Zeitungsberichten neue, wichtige Informationen stehen. Erkennbar ist, dass über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie reichsweit berichtet wurde.
4.1. Die Berichte der „Frankfurter Zeitung“ vom 4. und 5. Mai 1934 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Erstmalig 2017 habe ich versucht, ein Exemplar der Originalberichterstattung aus der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 zu erhalten.[159] In drei Exemplaren des Jahrgangs 1934 der Frankfurter Zeitung, die von deutschen Bibliotheken verwahrt werden, waren die Ausgaben der Frankfurter Zeitung vom 4. und 5. Mai herausgerissen. Erst in dem Exemplar, das der Universitätsbibliothek Oslo gehört, waren sie enthalten. Ich danke der Fernleihe der Universitätsbibliothek Heidelberg und der Universitätsbibliothek Oslo sehr dafür, mir das unversehrte Exemplar zu Verfügung gestellt zu haben. Wie bereits erwähnt, hat Farías den Bericht der Frankfurter Zeitung in der Personalakte Ernst Kriecks gefunden, den Emge zur dritten Sitzung des Ausschusses als Gast eingeladen hatte.
Ein Vernichten der Ausgaben der Frankfurter Zeitung vom 4. und 5. Mai 1934 war auch noch nach Veröffentlichung von Farías Buch taktisch klug, da Farías nicht alle personenidentifizierende Daten aus dem Bericht an seine Leser wiedergegeben hatte. Wer war mit „Jung (Marburg)“ gemeint? Edgar Julius Jung (1894-1934)? Mir wurde das von Menschen, die deutlich älter sind als ich, noch in den letzten Jahren suggeriert. Tatsächlich identifizierte der Originalbericht der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 zweifelsfrei Erich Jung (1866-1950), den Nestor des akademischen Nationalsozialismus, der damals als solcher bekannt gewesen ist. Nach 1945 wurde anscheinend durch angestrengtes und andauerndes Unterlassen, Erich Jungs Namen zu erwähnen, dafür gesorgt, dass Erich Jung inzwischen nahezu unbekannt geworden ist.
4.1.1. Der Bericht vom 4. Mai 1934: Der Ausschuss, seine Mitglieder, geplante Unterausschüsse und Alfred Rosenbergs Rechtsphilosophie
Ich beginn meine Darstellung mit dem vollständigen Zitieren des Anfangs des Zeitungsberichts. Durch Fettmarkierungen hebe ich die Informationen hervor, die Farías (1989) nicht an seine Leser weitergegeben hat.[160]
Voraussetzungen deutscher Rechtsphilosophie.
Ein Vortrag Alfred Rosenbergs.
(Privattelegramm der „Frankfurter Zeitung“)
[1] Weimar, 3. Mai. Dem Ausschuß für Rechtsphilosophie der Akademie für deutsches Recht, der heute Nachmittag im Nietzsche-Archiv in Weimar zu seiner ersten großen Tagung zusammengetreten ist, gehören an als Vorsitzender der Reichsjustizkommissar Dr. Frank, als dessen geschäftsführender Vertreter Prof. Dr. Emge (Jena), ferner Geheimrat Kisch (München), Reichsleiter Alfred Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai [so im Original; mw], Staatsrat Schmidt [so im Original; mw], Prof. Heidegger (Freiburg), Prof. Erich Rothacker und Prof. Hans Naumann (beide Bonn), Prof. Hans Freyer (Leipzig), Prof. Baron v. Uexküll (Hamburg), Geheimrat Stammler (Berlin), Prof. Binder (Göttingen), Geheimrat Heymann (Berlin), Prof. Erich Jung (Marburg), Prof. Dr. Bruns (Berlin) und Dr. Mikorey (München).[161] Bei der Zusammensetzung des Ausschusses war das Bestreben maßgebend, Vertreter verschiedener Fachgebiete heranzuziehen, Rechtsphilosophen (Neuhegelianer, Neukantianer, Verfechter von Ideen Nietzsches), Vertreter der Existenzialphilosophie, der Philosophie der Geisteswissenschaften, der Literaturgeschichte, Soziologie, Rechtsgeschichte, des Völkerrechts, der Biologie und der Medizin. Sie sollen die Aufgabe haben, ohne Einseitigkeit in gemeinsamer Arbeit die Rechtsphilosophie der Zeit aufzubauen.
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Folgende Informationen des Zeitungsberichts möchte ich besonders hervorheben:
- Im Zeitungsbericht sind mehr Informationen enthalten, durch welche die Ausschussmitglieder eindeutig identifiziert werden können. Bei Farías war z.B. nur zu lesen „Jung (Marburg)“. Im Zeitungsbericht steht aber „Prof. Erich Jung (Marburg)“. Das ist eindeutig. Eine Verwechslung mit Edgar Julius Jung (1894-1934) ist nicht möglich. Auch alle anderen Mitglieder sind durch Nennung des Vornamens, des Ortes, des Amtes und des akademischen Grades eindeutig identifiziert.
- Der Zeitungsbericht gibt eindeutig Auskunft über die Zusammensetzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie: Hans Frank und Carl August Emge sind die Vorsitzenden. Die anderen gehören ihm an. Er ist durch die Personen „zusammengesetzt“. In Farías Widergabe war nicht klar, wer Mitglied und wer vielleicht nur Gast der Eröffnungsveranstaltung gewesen ist.
- Den Freunden von „Sein und Zeit“ Heideggers wird nicht gefallen, dass ein Mitglied ausdrücklich als Existenzialphilosoph in den nationalsozialistischen Ausschuss für Rechtsphilosophie berufen worden ist. Diese Charakterisierung ist im Kontext nämlich eine definite Beschreibung, die nur auf Heidegger zutrifft. Heidegger soll als Existenzialphilosoph die Rechtsphilosophie des akademischen Nationalsozialismus mitaufbauen. Seitdem 2011 Heideggers Manuskript zu seinem Seminar über Hegels Rechtsphilosophie aus dem Wintersemester 1934/35 veröffentlicht worden ist[162], kann jeder problemlos nachlesen, wie Heidegger zu Beginn seiner Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie mit Hilfe seiner Terminologie aus „Sein und Zeit“, in An- und Ablehnung von Carl Schmitts „Staat, Bewegung, Volk“ (1933)[163] und Ernst Forsthoffs „Der totale Staat“ (1933)[164] und unter Vernutzung von Hegels Lehre vom Staat eine rassistische Rechtsphilosophie und Metaphysik des Führerstaats zu entwickeln begann.
- Der Mediziner im Ausschuss ist Max Mikorey, der Biologe Baron von Uexküll. Rudolf Stammler ist der Neukantianer, Julius Binder und Hans Freyer sind die Neuhegelianer, Carl August Emge der Verfechter der Ideen Nietzsches.[165] Erich Rothacker ist ein Philosoph der Geisteswissenschaften gewesen, Hans Naumann ein Literaturwissenschaftler, Hans Freyer war auch Soziologe, Erich Jung und Ernst Heymann betrieben auch die Rechtsgeschichte, Viktor Bruns war ein Experte für Völkerrecht.
Im Rückblick auf die Akte Emges (Abschnitt 3) sind die Informationen, die der Zeitungsbericht über die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gibt, korrekt und nahezu vollständig. Es fehlt nur RA Dr. Walter Luetgebrune. Sein Name war erst nachträglich auf die Blätter mit der handschriftlichen Planung der Eröffnungssitzung ergänzt worden (3.2.2.). Ich vermute, dass erst zwischen dem 3. Mai und 5. Mai einschließlich entschieden wurde, auch Luetgebrune in den Ausschuss zu berufen. Jedenfalls gab Luetgebrune bereits am 5. Mai auf einer Pressekonferenz der Gesamtakademie Auskunft über den Ausschuss für Rechtsphilosophie (siehe 7.9.2.). Und wie auch Emges Bericht über die Eröffnungssitzung dokumentiert, war Luetgebrune am 3. Mai 1934 anwesend (3.2.4.).
Anfang Mai 1934 konnten die Zeitungsleser wissen, dass folgende Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu den ersten hundert ordentlichen Mitgliedern der AfDR gehörten:
- Prof. Dr. jur. phil. Erich Jung, Marburg (Mitgliedsnummer 28)
- Prof. Dr. Bruns (Nr. 32),
- Alfred Rosenberg, Berlin (Nr. 34),
- Geheimrat Prof. Dr. Ernst Heymann, Berlin (Nr. 54),
- Prof. Dr. Carl Schmitt, Köln (Nr. 88)
- Geheimrat Prof. Dr. Kisch, München (Nr. 90) [166]
Aus der Quelle geht auch hervor, dass RA Dr. Luetgebrune zu den hundert ersten Mitgliedern der AfDR gehörte.
- Rechtsanwalt Dr. Luetgebrune, (Nr. 92).
Aufgrund welcher fachlichen Expertise Hans Frank, Geheimrat Kisch, Alfred Rosenberg, Helmut Nicolai und Carl Schmitt in den Ausschuss für Rechtsphilosophie berufen worden sind, wurde informierten Lesern durch den zweiten Absatz des Berichts vom 4. Mai aus der Frankfurter Zeitung teilweise deutlicher:
[2] Wie verlautet, ist für die Bearbeitung besonderer Fragen, so u.a. des Volksgemeinschaftsgedankens, der Deutung der nationalsozialistischen Bewegung im Sinne der sich vollziehenden geschichtlichen Entwicklung, ferner die Erneuerung germanischen Rechtsgedanken sowie des rechtsphilosophischen Problems der Rasse und des Lebens, der philosophischen Grundlagen des Völkerrechts und der Rechtsphilosophie als Ausbildungsfach die Bildung von Unterausschüssen in Aussicht genommen.
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
1939 trat Wilhelm Kisch mit einer Schrift über die Ausbildung deutscher Rechtslehrer hervor, in der er auch bestimmte, dass in den juristischen Fakultäten „Rechtsphilosophie als Ausbildungsfach“ weiterhin anzusehen sei.[167]
Nach diesen allgemeinen Informationen über den Ausschuss wechselt der Berichterstatter der Frankfurter Zeitung zu einer Wiedergabe des Vortrags, den Alfred Rosenberg am 3. Mai 1934 in Weimar gehalten hat. Dass Emge geplant hatte, dass es diesen Vortrag geben solle, geht aus seiner Akte hervor (siehe 3.2.2.). Dass Emge 1960 suggerierte, Alfred Rosenberg habe uneingeladen einen Vortrag gehalten, hatte ich bereits erwähnt. Ich zitiere das erneut:
Als wir uns an die Arbeit begaben, erschien Alfred Rosenberg und trug │ S. 75 sein bekannt unreifes Zeug vor. Die Folge davon war, daß ihn nach der Sitzung Uexküll im Hotel aufsuchte, um auf die Unmöglichkeit seiner Auffassungen aufmerksam zu machen. Eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem berühmten Gelehrten aus alter Kulturschicht von hohem wissenschaftlichen [im Original; mw] Rang mit dem homo novus und Dilettanten! Damit war jener Arbeitsgruppe der Todesstoß versetzt. Sie konnte nie mehr zusammen kommen.
(C. A. Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 75
Hier nun die Wiedergabe des Vortrags in der Frankfurter Zeitung.
*
[3] In der Sitzung des Ausschusses sprach Alfred Rosenberg über die Voraussetzungen einer deutschen Rechtsphilosophie. Er führte u.a. aus:
[4] Wenn wir mit den liberalistisch zersetzenden Mächten im Kampf stehen, so ergibt sich doch zugleich, daß die Neugestaltung Deutschlands, je tiefer sie an die Wurzeln greift, auch jene geistigen Machtgruppen untersucht, die sich noch als typenschaffend und ‑erhaltend gezeigt haben. Da ist es vor allem Dingen das Rechtsdenken, um das heute erbittert und zugleich begründet gestritten wird. „Recht und Unrecht gehen nicht umher und sagen: Da sind wir. Recht ist das, was arische Menschen für Recht befinden. Unrecht ist das, was sie verwerfen,“ so lautete einer der weisesten Sprüche der indischen Philosophie. Er besagte weiter nichts als das hohe Bewußtsein, daß ein bestimmter Rechtscharakter mit einem bestimmten Rassen- und Volkscharakter geboren werde und mit seinem Untergang gleichfalls verschwindet.
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Mit dem letzten Satz verkündet Rosenberg den rassistischen Kern des Rechtsverständnisses des akademischen Nationalsozialismus. Das Sein, das die Rasse ist, bestimmt das Bewusstsein. Und nicht nur das Rechts-, sondern auch das Kunst‑, Geschichts- und Religionsbewusstsein.
[5] Von diesem Gesichtspunkt aus wird die nationalsozialistische Bewegung keinen großen Wert auf eine Rechtsphilosophie an sich legen, sondern wird von den berufenen Bearbeitern dieses Gebietes zunächst die Klarstellung fordern, welcher Charakter der germanisch-deutsche Mensch gewesen ist, welche Begabungen und Begrenzungen sein Wesen ausmachten, welche Werke und in welcher Stärke sie für sein Leben bezeichnend waren, als er schöpfungsmächtig dastand. Das ganze deutsche Rechtsleben beruht seit dem Auftreten des Germanentums eigentlich auf einem einzigen Werte, auf dem Werte der Ehre. Auf dem germanischen persönlichen Ehrbewußtsein ruhen die beiden Epen der deutschen Geschichte, später die Ritter- und Zunftordnung. Auf ihr beruhen die Rechtsnormen schließlich auch der deutschen Städte von Magdeburg, Lübeck usw. Diese Rechtsauffassung hat ihre typenbildende Kraft überall bewiesen. Viele Staaten Europas sind gerade auf ihr aufgebaut worden. Das persönliche Ehrbewußtsein wurde später überholt vom Stammesbewußtsein, bis dann an seine Stelle Staat und Kirche traten. In einer verhängnisvollen Zeit wurde diese Entwicklung vom persönlichen zum völkischen Ehrbegriff durch das Eindringen des rein privatkapitalistischen spätrömischen Rechts unterbrochen, bis es schließlich möglich war, jedem Schädling in einer Nation sogenannte „berechtigte Interessen“ zuzusprechen, ohne die schlimmsten Beschimpfungen des Ansehens eines ganzen Volkes ahnden zu können. Hier war die Rechtsnorm überhaupt, die Voraussetzung für alles Uebrige einfach nicht vorhanden, und das Grundlegende einer nationalsozialistischen Rechts- und Staatsauffassung wird darin bestehen müssen, die Wahrung der Ehre der Nation an die Spitze aller Rechtserneuerung zu stellen.
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Mit diesem letzten Satz verkündet Rosenberg sein erstes Axiom des nationalsozialistischen Rechts. Bereits im „Mythus des 20. Jahrhunderts“ waren der Begriff der Ehre und der Begriffe der Rasse die beiden Kernbegriffe.[168] Und auch Rosenberg wiederholt Punkt 19 des Programms der NSDAP vom 20. Februar 1920: gegen das Römische Recht, für ein deutsches Gemeinrecht.
Der Zeitungsbericht über Rosenbergs Rede geht lückenlos so weiter:
Erst nach dieser alles entscheidenden Erneuerung des Denkens und Fühlens werden sich die übrigen Normen und Begriffe organisch einfügen lassen. Erst mit der Anerkennung dieser alles überhöhenden Höchstwerte wird es möglich sein, auch eine Wirtschaftsethik zu begründen. Von diesem Gesichtspunkt aus wird es Aufgabe einer deutschen Rechtsphilosophie sein, das Verhältnis zwischen Volk und Staat, zwischen Recht und Politik einer tiefgehenden Untersuchung zu unterziehen und gemeinsam mit den Vertretern der deutschen Rassenkunde und Rassenhygiene gefühlsmäßig und theoretisch eine geistige und charakterliche Höherwertigkeit als Voraussetzung jeder rechtlichen Bewegung vorzubereiten.
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Dass in der ersten Satzung der AfDR vom Sommer 1933 gestanden hatten, dass es ihre Aufgabe sei, dass nationalsozialistische Programm auf dem Gebiet des Rechts und der Wirtschaft zu verwirklichen, habe ich bereits dargestellt (siehe 1.4.1). Rosenbergs Rede passt auch dazu.
Mit Helmut Nicolai, Max Mikorey und Baron von Uexküll waren im Ausschuss für Rechtsphilosophie mindestens drei der achtzehn Gründungsmitglieder „Vertreter der deutschen Rassenkunde und Rassenhygiene“.
Der Bericht über Rosenbergs Rede geht lückenlos so weiter:
Mit dem ich-bedingten Staatsgedanken des 19. Jahrhunderts bricht das vorwiegend ich-bedingte Recht zusammen. Heute entsteht eine organische starke Staatsgewalt unserer Zeit, somit auch eine im Charakter, Boden und Geschichte wurzelnde Rechtsnorm als typenschaffende Kraft für kommende Jahrhunderte. Ein Kämpfer unerschrockenen Sinnes dafür war Friedrich Nietzsche. Wir Nationalsozialisten jedenfalls wollen in der heutigen Zeit des Kampfes einen derartig wahrhaftigen Streiter wie Friedrich Nietzsche nicht missen, aus seinem funkelnden Gedanken das einfügen in den Leben erzeugenden Strom unserer Zeit, was diesem neuen Antrieb und Kraft geben kann. Wir wollen die Einheit der großen deutschen Geschichte als Verpflichtung empfinden, tätig zu sein an einem neu werdenden Leben und jene Fundamente des Rechts zu legen, auf denen die kommende Zeit als unerschütterliche Grundlage ruhen kann.●
(Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Soweit der Bericht vom 4. Mai 1934 aus der Frankfurter Zeitung. Die Leser der Frankfurter Zeitung sind sehr gut über den Ausschuss für Rechtsphilosophie, seine Mitglieder und seine Aufgaben informiert worden. Auffällig ist aber, dass nichts über Hans Franks Rede berichtet wurde. Emge hatte doch geplant, dass vor Alfred Rosenberg und ihm selbst der Vorsitzende des Ausschusses für Rechtsphilosophie die Eröffnungssitzung durch eine Rede beginnen solle (3.2.2.). Hat Hans Frank abgesagt? Nein. Tatsächlich ist planungsgemäß verfahren worden. Die Frankfurter Zeitung berichtet aber erst am Folgetag über Hans Franks Rede
4.1.2. Der Bericht vom 5. Mai 1934: Hans Franks Rechtsphilosophie
Da auch die Ausgabe vom 5. Mai 1934 der Frankfurter Zeitung aus drei Jahresbänden herausgerissen worden ist, zitiere ich auch diesen Bericht vollständig. Die meisten Informationen aus diesem Bericht haben bereits Farías und Faye an ihre Leser weitergegeben. Sie haben sie aber kaum kommentiert. Ich tue das etwas ausführlicher.
Gleich zu Anfang wird Hans Frank irrtümlich als Reichsjustizminister vorgestellt. Dieser Irrtum mag mitverantwortlich dafür gewesen sein, dass der Berichterstatter Alfred Rosenbergs Vortrag für bemerkenswerter hielt. Ein promovierter Jurist, der Reichsjustizminister ist, hält eine Eröffnungsrede bei der Konstituierung eines Ausschusses für Rechtsphilosophie. Das ist deutlich weniger spannend.
Dr. Frank über Rechtsphilosophie.
Die Weimarer Tagung
[1] Weimar, 4. Mai. Bei der Gründung des Ausschusses für deutsches Rechtsphilosophie bei der Akademie für deutsches Recht knüpfte Reichsjustizminister Dr. Frank in einer großen Rede an Nietzsche an, den Künder jenes autoritären Empfindens, das unserem Volke durch den Weltkrieg hindurch bewahrt geblieben sei, und das damit diesem Volke gleichzeitig eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt unter Adolf Hitler übertragen habe. Wir in unserem engen Kreis, so sagte Dr. Frank u.a. weiter, wollen die Sammlung der volksbetonten allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln. Wir wollen uns nicht irgend welchen Dogmen sklavisch unterwerfen. Der Durchbruch der Rechtsphilosophie heißt daher: Feierlich Abschied nehmen von der Entwicklung einer Knechtsphilosophie im Dienste undeutscher Dogmen. Lebensrecht und nicht Formalrecht soll unser Ziel sein. Des weiteren soll unsere Rechtsphilosophie Volksprimat sein, ein Recht, aufgebaut auf Anschauungen des Volkes und nicht Recht eines vom Volk abgesplitterten Sonderstandes.
(Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934: Hans Frank; 1934)
In späteren Rede Hans Franks ist die Informationen, dass bestimme Begriffe dem deutschen Recht als Unterlage dienen sollen, verdichtet worden. Er spricht dann von »Substanzwerten«. Besonders beachtenswert ist, dass sogar die „Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit“ nicht hinreichend sind, sondern zusätzlich noch „der Ernst verantwortlicher Volksführer“ erforderlich ist, um »das deutsche Recht« herzustellen. Jeder der achtzehn Gründungsmitglieder war demnach ein »Volksführer«. Das waren noch Zeiten, als eine starke Professorenmehrheit »das deutsche Recht« machte.
Der »Substanzwert Wehr« gehörte bereits Anfang Mai 1934 zu den »Substanzwerten des deutschen Rechts«. Dass Emge Mitte Juni 1934 versuchte, Kontakte zum Reichswehrministerium zu Gunsten des Ausschusses für Rechtsphilosophie nutzbar zu machen, ist demnach kaum eine ad hoc Entscheidung gewesen.
Auf die anderen Punkte des Absatzes werde ich bei anderen Wiedergaben der Rede Hans Franks zu sprechen kommen.
[2] Ein weiterer fundamentaler Grundsatz soll sein: Deutsches Recht und nicht fremdes Recht . Die Seele unseres Rechtslebens soll endlich wieder zurückgeführt werden auf die Gemüts- und Geistesbasis der deutschen Volksüberzeugung. Sie soll sich frei machen von übernommenen Normen fremder Rechtsordnungen . Es soll das der Fundamentalsatz unseres Zieles sein, ein unabhängiges Recht des Nationalsozialismus zu schaffen, d.h. die Rechtsentwicklung des nationalsozialistischen Staates von der geistigen Erkenntnis der Notwendigkeiten des deutschen Volkes ausgehen zu lassen und nicht ein freies Recht im Sinne des Liberalismus zu dulden. Unser Recht soll der Allgemeinheit dienen und nicht dem Individuum , es soll aber sein ein Herrenrecht und nicht Sklavenrecht . Der Staatsbegriff des Nationalsozialismus wird von uns neugebaut auf der Einheit und Reinheit des deutschen Menschtums, formuliert und verwirklicht im Recht und im Führerprinzip. Wir bejahen weiter die Verantwortlichkeit des einzelnen für sein Geschick und seine Entwicklung, damit wir wieder ein Volk von Kämpfern und Soldaten und wehrbereiten geistigen Ringern um diese Freiheit werden. Wir machen deshalb Schluß mit dem Begriff eines Gelehrtentypus , dessen Wert darin lag, daß er weltfremd war. Als weiteres Begriffsfundament wollen wir den Begriff des Gemeinnützigen im Recht aufstellen. Wir wollen gerade diesen Grundsatz schon in der ersten Sitzung des Ausschusses in den Vordergrund rücken, denn man versucht auf Seiten der Gegner unsere Revolution gegenüber eine Methode der Bagatellisierung, um die fundamentale Wandlung, die der Nationalsozialismus durch seine Revolution hervorgerufen hat, beiseite schieben zu können. In diesem Sinne bitte ich, daß der Ausschuß sich als ein Kampfausschuß des Nationalsozialismus konstituiert.
(Ueber den Vortrag Alfred Rosenbergs vor dem Ausschuss wurde bereits berichtet).●
(Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934: Hans Frank; 1934)
Dass die nationalsozialistische Rechtsphilosophie anti-liberal und anti-individualistisch sein sollte, ist nicht überraschend und auch nicht weiter erläuterungsbedürftig.
Dass Hans Frank ausdrücklich von einem „Herrenrecht“ spricht, weist auf einen zentralen Schwachpunkt der nationalsozialistischen Rechtsphilosophie hin: soll wirklich jeder Deutsche ein Herr sein oder werden? Wer macht dann aber die Drecksarbeit? Fremdvölkische oder fremdrassige Sklaven? Ist man dann aber nicht von denen abhängig? Was ist, wenn die streiken? Sollen auch Frauen Herren sein? Wie ich nach und nach in allen vier Teilen zeigen werde, kreisen nicht wenige Debatten innerhalb des akademischen Nationalsozialismus um den Versuch, diese Frage zu beantworten.
Das, was Hans Frank über den Neubau des Staatsbegriff des Nationalsozialismus sagt, ist interessant, da es das Kerngebiet Carl Schmitts des Jahres 1934 betrifft. Dass der Begriff des deutschen Staats durch die Einheit des deutschen Menschtums definiert werden soll, stellt den akademischen Nationalsozialismus vollumfänglich in die Tradition des Alldeutschen Verbandes.[169] Erich Jung, der Nestor des Ausschusses für Rechtsphilosophie, war auch ein Gründungsmitglied des Alldeutschen Verbandes (Unterabschnitt 6.2.1.). Das Schlagwort »Einheit des deutschen Menschtums« wurde zur Rechtfertigung eines Teils der Expansionspolitik des NS-Staates benutzt. Das Schlagwort »Reinheit des deutschen Menschtums« war bereits durch das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 teilweise positiviert worden. Die gesetzliche Positivierung wurde durch die Nürnberger Rassegesetze im Herbst 1935 fortgesetzt. Ende 1938 war dann das »Gesetzgebungswerk der Entjudung der deutschen Wirtschaft« abgeschlossen (Abschnitt 10.1.). Im Sommer 1943 konnte ein führendes Mitglied der AfDR stolz berichten, dass die AfDR sogar während des Krieges an der Positivierung der „Zwölften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. April 1943“ (siehe Unterabschnitt 8.1.2.) mitgewirkt habe. Mit dieser zwölfte Verordnung war positiv-rechtlich der Rahmen gesetzt, innerhalb dessen die Deportation der Juden sowie der Sinti und Roma aus dem Gebiet des Deutschen Reiches rechtsförmig vollzogen werden konnte.
Neben der »Formulierung« dessen, was »Einheit und Reinheit des deutschen Menschentums« bedeutet, verlangt der „Staatsbegriff des Nationalsozialismus“ auch das „Führerprinzip“ – sei’s in der NS-Partei, sei’s im NS-Staat, sei’s in der AfDR. Das alles steckt in dem einen Satz von Hans Frank. Entweder war Hans Frank nicht so dumm, wie er in der Sekundärliteratur dargestellt wird oder er hatte einen guten Ghostwriter oder beides.
Der Begriff des Gemeinnützigen war bereits im Februar 1920 zu einem Programmpunkt der NSDAP gemacht worden, und zwar im Kontext des Bekenntnisses zu einem positiven und ökumenischen Christentums:
24. Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen.
Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage:
Gemeinnutz vor Eigennutz
Das 25-Punkte-Programm der NSDAP (vom 24.2.1920)[170]
Wie „weltnah“ einige der »Gelehrte« des akademischen Nationalsozialismus in seiner vernichtenden Politik gewesen sind, werde ich in Teil IV nachweisen. Hans Franks Bestimmung des Ausschusses für Rechtsphilosophie als „Kampfausschuss des Nationalsozialismus“ ist keine rhetorische Übertreibung gewesen.
Eines ist klar: Die gelehrten Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie wussten spätestens nach Hören dieser Rede von Hans Frank, was sie sein sollten, nämlich Kämpfer des Nationalsozialismus, die Schluss machen sollten, mit dem Begriff eines weltfremdem Gelehrtentypus, und was sie tun sollten, nämlich eine rassistische Philosophie arischen Herrenrechts in der Welt aufbauen und kämpfend verwirklichen.
Dank des Protokolls von Emge der Eröffnungssitzung wissen wir auch, wer von den gelehrten Mitgliedern anwesend war. Ich zitiere erneut:
Anwesend waren, ausser Mitgliedern des Stabs der beiden Reichsleiter, Akademiedirektor Dr. Lasch, der Pressechef des NSBDJ. Dr. Freiherr du Prel, der Pressechef der Akademie Dr. Gaeb, der hiesige Kreisleiter Minister Dr. Weber, Vertreter des hiesigen Juristengaues, folgende Mitglieder des Ausschusses:
Reichsjustizkommissar Minister Dr. Frank (Vorsitzender)
Professor Dr. Dr. Emge (stellvertretender Vorsitzender)
Reichsführer Rosenberg
Professor Dr. Heidegger
Professor Dr. Erich Rothacker
Geheimrat Stammler
Professor Binder
Geheimrat Professor Dr. Ernst Heymann
Professor Dr. Erich Jung
Professor Dr. Bruns
Professor Dr. Hans Freyer
Professor Baron v. Uexküll
Dr. Mikorey
Justizrat Gruppenführer Luetgebrune │ Blatt 128
Leider waren am Erscheinen verhindert
Ministerialdirektor Dr. Nicolai
Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt
Geheimrat Professor Dr. Kisch
Professor Dr. Hans Naumann.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 127-129
Nachdem ich nun beide Berichte aus der Frankfurter Zeitung vom 4. und 5. Mai komplett zitiert und kommentiert habe, dürfte klar sein, dass über Jahrzehnte hinweg nicht wenige Menschen Gründe dafür hatten, die Ausgaben der Frankfurter Zeitung von 4. und 5. Mai aus den Jahresbänden herauszureißen. Hätten das die »versifften 68-er« gemacht, hätte eine breite Öffentlichkeit schon viel früher wieder von der Existenz des Ausschusses für Rechtsphilosophie, seinen Gründungsmitglieder und seiner Aufgabe gewusst.
4.2. „Berliner Tageblatt und Handelszeitung“ vom 4. Mai 1934
Im Rahmen meiner Darstellung ist an dem Zeitungsbericht der Berliner Tageblatt und Handelszeitung vom 4. Mai 1934 über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie bemerkenswert, weil er deutlich weniger informativ war. Leser dieser Zeitung erfuhren nicht, wer zu den Gründungsmitgliedern gehörte, und auch nicht, dass Alfred Rosenberg eine rechtsphilosophische Rede gehalten hat.
Rechtsphilosophie als Waffe
Im Kampfe des Nationalsozialismus
[1] Bei der Gründung des Ausschusses für deutsche Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht knüpfte Reichsjustizkommissar Dr. Frank in einer grossen Rede an Nietzsche an, dem Künder jenes autoritären Empfindens, das unserem Volk durch den Weltkrieg hindurch bewahrt geblieben sei und das damit diesem Volke gleichzeitig
eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt unter Adolf Hitler übertragen habe.
Man beachte diese Mal den Weltherrschaftsanspruch »des deutschen Volkes unter Adolf Hitler«. Nach und werde ich nachweisen können, wer alles zu den »jungen arischen Völkern« gehörte:
[2] Wir in unserem engeren Kreis, so sagte Dr. Frank u. a. weiter, wollen die Sammlung der volksbetonten allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus in der Form durchführen, dass wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus, nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln wollen. Wir wollen uns nicht irgendwelchen Dogmen sklavisch unterwerfen. Unsere Rechtslehre soll nicht Befriedigung suchen in einem Positivismus. Wir wünschen ein Dauerrecht und nicht nur ein Augenblicksrecht. Des weiteren soll unsere Rechtsphilosophie Volksprimat sein, ein Recht, aufgebaut auf Anschauungen des Volkes und nicht Recht eines vom Volk abgesplitterten Sonderstandes. Ein weiterer fundamentaler Grundsatz soll sein: Deutsches Recht und nicht fremdes Recht. Die Seele unseres Rechtslebens soll sich frei machen von übernommenen Normen fremder Rechtsordnungen. Als weiteres Begriffsfundament wollen wir den Begriff des Gemeinnützigen im Recht aufstellen.
[3] Wir wollen gerade diesen Grundsatz schon in der ersten Sitzung unseres Ausschusses in den Vordergrund rücken,
denn man versucht, auf Seiten der Gegner, unserer Revolution gegenüber eine Methode der Bagatellisierung, um die fundamentale Wandlung, die der Nationalsozialismus hervorgerufen hat, bei Seite schieben zu können: „In diesem Sinne bitte ich, dass der Ausschuss sich als ein Kampfausschuss des Nationalsozialismus konstituiert.“●
(Berliner Tageblatt vom 4. Mai 1934: Hans Frank; 1934)
4.3. Der „Völkischer Beobachter“ am 4. und 5. Mai 1934 über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Der Völkische Beobachter (VB) war seit 1920 das „Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands“. Von 1923 bis 1938 war Alfred Rosenberg sein Chefredakteur. Am 4. und 5. Mai berichtet der VB zuerst über die Rede Alfred Rosenbergs und dann über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie mit Wiedergabe der Rede von Hans Frank. Damit kehrte auch der VB die tatsächliche Zeitreihenfolge um. Weshalb? Ich vermute, die Chefredakteure meinten, dass in weltanschaulichen Fragen Alfred Rosenberg einen höheren Rang als Hans Frank innehatte. Und „Rechtsphilosophie“ hörte sich stark nach »Weltanschauung« an:
Die weltanschauliche Durchdringung des politischen Kampfes blieb auch nach der »Machtergreifung« ein Thema. Denn, »um die Macht zu behaupten, mußte das, was politisch erobert worden war, weltanschaulich gesichert werden«2. Niemand war mehr von diesem Gedanken durchdrungen als Rosenberg. Die Gegner des Nationalsozialismus, ihrer politischen Mittel beraubt, setzten ihren Kampf nun »unter geistiger Maske«3 fort. Deshalb hieß Rosenbergs »große grundlegende Rede«4 vom 22. Februar 1934 »Der Kampf um die Weltanschauung«5. Mit ihr inaugurierte er seine Tätigkeit als »Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP«. Diesen in seiner Umständlichkeit kaum zu überbietenden Titel hatte der Reichsleiter sich selbst verliehen. Der zugrunde liegende »Führerauftrag« stammte vom 24. Januar 1934.6
(Piper 2015), S. 290
Beide Reden beider NS-Größen wurden im VB ausführlicher vorgestellt als in allen anderen Zeitungsberichten, die ich gelesen habe. Das muss keine sachlichen, das kann finanzielle Gründe gehabt haben. Durch Kürzungen wurde die Berichterstattung billiger. Deswegen ist es weiter nicht erklärungsbedürftig, dass in der Ausgabe des VB vom 4. und 5. Mai 1934 ausführlicher über Alfred Rosenbergs Rede berichtet wurde als in den anderen Zeitungsberichten über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
4.3.1. VB vom 4. Mai 1934: Rosenbergs „Die Ehre – Grundlage der Rechtserneuerung“
Ich zitierte auch den Bericht des VB vollständig.
Alfred Rosenberg in Weimar:
Die Ehre – Grundlage der Rechtserneuerung
„Wir wollen Friedrich Nietzsche nicht missen!“
Reichsleiter Rosenberg vor dem Ausschuss für deutsche Rechtsphilosophie.
Weimar, 3. Mai
[1] Heute fand im Nietzsche-Archiv zu Weimar eine Sitzung des Ausschusses für deutsche Rechtsphilosophie statt, an der Reichsjustizkommissar Dr. Frank und der Beauftragte der Führers für die Überwachung der weltanschaulichen Erziehung der NSDAP, Reichsleiter Alfred Rosenberg teilnahmen.
[2] Alfred Rosenberg führte in seiner längeren Ansprache aus:
[3] „Vier Mächte sind es innerhalb des völkisch-staatlichen Lebens, die vor allem berufen erscheinen, entgegen rein subjektivistischen Bestrebungen in sich geschlossene Menschentypen zu schaffen und zu erhalten: Das Heer, die Kirche, die Justiz und die Schule.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Bemerkenswert ist an Absatz 3, dass Rosenberg „die Kirche“ als eine von vier Mächten innerhalb des „völkisch-staatlichen Lebens“ vorstellt. Das Bekenntnis der NSDAP vom 20. Februar 1920 zum ökumenischen und positiven Christen fordert das. Es forderte aber keine „Kirche“. Tatsächlich gab es Bestrebungen im akademischen Nationalsozialismus, eine »Kirche deutscher Christen« zu etablieren. In Teil III werde ich auf diese Thema ausführlicher eingehen.
In den nächsten Absätzen macht Alfred Rosenberg deutlich, dass alle vier Mächte »einzudeutschen« sind: Heer, Kirche, Justiz und Schule sollen gleichgerichtet Deutschheit exemplifizieren, erhalten und fördern:
[4] Das Ideal eines gesunden Volkes und Staates müßte sein, daß ungeachtet der verschiedenen Aufgabengebiete und wissenschaftlichen Inhalte doch die Voraussetzungen des Denkens für alle diese Kräfte die gleichen sind.
[5] Denn von einer einzigen Wendung der Seele und des Charakters hängen Gehalt und Form aller kulturellen und staatlichen Institutionen ab. Katastrophal muß es werden, wenn die Voraussetzungen des Denkens und somit auch des praktischen Handelns innerhalb einer einzigen Nation bei den zur Erhaltung der Gesamtheit berufenen Mächten sich voneinander trennen oder gar in offene Feindschaft zueinander geraten.
[6] Die nationalsozialistische Bewegung hat die große Sendung zu erfüllen, die Voraussetzungen aller formenden Mächte des Volkes und Staates zu überprüfen und aus ihrem Instinkt und Bewußtsein heraus gemeinsam jene Umschmelzung vorzunehmen, die notwendig ist, um die Gesamtheit der 65 Millionen zu erhalten und sie, auf das gemeinsame Schicksal bezogen, gleichgerichtet in das Ringen der Zukunft zu stellen.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Wer oder was soll fähig sein zu dieser Gleichschaltung der vier Mächte? Ein Bund von Männern, wie Nietzsche bereits meinte:
[7] Es ist klar, daß, wenn diese Forderung von uns heute angemeldet wird, sie etwas voraussetzt, was der Genius dieses Hauses einmal von einem Philosophen forderte. „Unbeugsame und rauhe Männlichkeit.“
[8] Wenn wir mit den liberalistisch-zersetzenden Mächten im Kampfe stehen, so ergibt sich doch zugleich, daß die Neugestaltung Deutschlands, je tiefer sie an die Wurzeln greift, auch jene geistigen Machtgruppen untersucht, die sich noch als typenschaffend und ‑erhaltend gezeigt haben.
[9] Da ist es vor allem das Rechtsdenken, um das heute erbittert und zugleich tief-begründet gerungen wird.
[10] Auf der einen Seite wird eine Rechtsphilosophie „an sich“ verkündet, gleichsam als eine geistige Hülle, in die sich alle Rechtsauffassungen der Nationen einfügen lassen müßten. In verwandtem Gleichklang dazu erleben wir ein anderes Hochkommen sogenannter universalistischer Gedanken, die von einem abstrakten Menschheitsbegriff ausgehen , aus ihm einen rein theoretischen Kulturkreis sich entwickeln lassen, um dann allerdings eine reiche „Ausgliederungsfülle“ der Nationalismen[171] zuzugestehen, wobei allerdings nicht verständlich wird, auf welche organischen Grundlagen der blutbedingte Nationalismus zurückgehen könne, wenn ihm nur eine blasse universalistische Ganzheitsthese als Ausgangspunkt verkündet wird. Das neue Denken unserer Zeit geht hier diametral entgegengesetzte Wege.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Der letzte Druckabsatz ist eindeutig gegen Hegels Rechtsphilosophie gerichtet. Genauer gegen Hegels berühmte Anmerkung zum ersten Paragraphen seiner Lehre von der Rechtspflege; ich zitiere:
Es gehört der Bildung, dem Denken als Bewußtsein des Einzelnen in Form der Allgemeinheit, daß Ich als allgemeine Person aufgefaßt werde, worin Alle identisch sind. Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist. Dies Bewußtsein, dem der Gedanke gilt, ist von unendlicher Wichtigkeit, – nur dann mangelhaft, wenn es etwa als Kosmopolitismus sich dazu fixiert, dem konkreten Staatsleben gegenüberzustehen.
(Hegel 1821), § 209, Anmerkung
Die Auskunft, es seien „Neuhegelianer“ in den Ausschuss für Rechtsphilosophie berufen worden, ist irreführend. Kein Hegelianer war Dauermitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Freyer war, wie Alfred Rosenberg, ein Anti-Hegelianer.[172]
Mit dem nächsten Absatz setzt ein neuer Abschnitt der Rede Alfred Rosenberg ein. Gleich zu Beginn wird deutlich, dass Rosenberg keinen Rassismus vertrat, nach dem nur Deutsche als wertvoll anerkannt wurden. Nicht nur Deutsche sind Arier, auch Inder … waren es früher einmal. Ich kenne bislang keinen Satz von Alfred Rosenberg, in dem er einen Nicht-Arier als wertvoll anerkannt hätte. In Rosenbergs Rassismus gibt es sogar eine »Gegenrasse«. Das sind die Juden.[173]
*
[11] „Recht und Unrecht gehen nicht umher und sagen: Da sind wir. Recht ist das, was arische Menschen für Recht befinden. Unrecht ist das, was sie verwerfen,“ so lautete einer der weisesten Sprüche der indischen Philosophie.
[12] Er besagte weiter nichts als das hohe Bewußtsein, daß ein bestimmter Rechtscharakter mit einem bestimmten Rassen- und Volkscharakter geboren werde und mit seinem Untergang gleichfalls verschwindet.
[13] Er besagt, daß jede Menschenart nur in ihrer Form leben möchte, daß nur diese Entwicklung der Eigenart ihrer schöpferischen Kräfte zur Gestaltung zu bringen vermag und daß das Eindringen ganz entgegengesetzter Rechtsauffassungen den Bestand einer Nation gefährden müsse.
[14] Diese Erkenntnis geht weit über die langweilige Menschheitsformel von gut und böse hinaus, verkündet ein Sichbeugen vor ewig waltenden Naturgesetzen und seelischen Geboten und birgt in sich zugleich die Erkenntnis, warum das arisch-indische Volk einmal in der Um- | S. schlingungen des vielgestaltigen Ostens vergehen mußte. Dieser altindische Grundsatz erscheint jedem nicht von einer unfaßbaren Ganzheit kommenden Denken sicherlich als subjektivistisch-relativistisch. In Wirklichkeit ist gerade die abstrakte, angeblich für alle gültige Rechtsnorm eine schwankende, durchaus relative Erscheinung, die in einem von allem losgelösten Individualismus geboren wurde und sich anmaßte, allgemein gültige Rechte zu besitzen. Das altindische Bekenntnis birgt vielmehr die ewige Weisheit, daß jede körperliche und seelische Gestalt zwar plastisch beweglich ist, aber doch nur ihre Möglichkeiten der Erfüllung besitzt und nicht alles werden, nicht alle Formen annehmen kann.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Mit dieser rassistischen Begründung gegen Hegels individualistische Menschenrechte und für die angeblich „ewige Weisheit“ der Arier-Inder, dass es nur besondere Rassenrechte gibt, fordert Rosenberg im nächsten Schritt eine philosophische Anthropologie des Wesens des germanisch-deutschen Menschen als Grundlagenwissenschaft für eine deutsche Rechtsphilosophie. Seher dieses Denkens sei Friedrich Nietzsche gewesen:
[15] Von diesem Gesichtspunkt aus wird die nationalsozialistische Bewegung keinen großen Wert auf eine Rechtsphilosophie an sich legen, sondern wird von den berufenen Bearbeitern dieses Gebiets zunächst die Klarstellung fordern,
welcher Charakterart der germanisch-deutsche Mensch gewesen ist,
welche Begabungen und Begrenzungen sein Wesen ausmachten,
welche Werte und in welcher Stärke sie für sein Leben bestimmend waren, als es schöpfungsmächtig dastand. Mit dieser Forderung ist ein tiefes Bekenntnis zu jenem Denken verbunden, dessen Auferstehung erst in den heutigen Tagen beginnt, zu Friedrich Nietzsche.
[16] Entgegen einer verkrusteten Scholastik, entgegen einer dem Nihilismus zutreibenden Zeit der alles verflachenden Demokratie kämpfte er als einsamer für eine neue Rangordnung der Werte.
[17] Er griff damit ins Zentrum nicht nur einer allgemeinen Philosophie, sondern namentlich in den Mittelpunkt alles Rechtsdenkens, denn vor allen anderen Normen der Gesellschaft beruht das Recht auf Werten und auf rücksichtslosem Staatsschutz ganz bestimmter von diesen Werten.
[18] Im Kampfe gegen eine materialistische Welt ist Nietzsche gewiß scharf gewesen, er hat oft bewußt verletzt, um überhaupt ein Echo bei seinen Zeitgenossen hervorzurufen, und doch, wenn wir das Zeitbedingte seiner Gestalt der Zeit übergeben, so bleibt für immer erhalten jener heroische Kampf um die Erfüllung des Lebens eines Einzelnen und einer Gemeinschaft, das Ringen um die höchsten Werte ihres Daseins.
[19] Entgegen der ganzen blutleeren Schulwissenschaft forderte Nietzsche „die Partei des Lebens“ und damit die Unterstützung alles dessen, was dieses Leben läutert und stärkt.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Absatz 19 ist wichtig. So wichtig, dass ich ihn im nächsten Exkurs erläutere.
[20] Er haßte deshalb aus tiefster Seele alle jene Werte, die nicht den Kampf des Lebens, sondern die Unterwürfigkeit und Knechtseeligkeit forderten, und schrieb auf seine Gesetzestafel die Worte von der Vornehmheit des Geistes und vom Stolz des Charakters.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Mit dem Ausdruck „Knechtseeligkeit“ bezeichnet – sprachlich durchaus gekonnt, da inhaltlich passend – Rosenberg eine Position des von ihm gehassten liberalistisch-universalistischen Philosophen Kant und Hegel: Kant lehrte, dass das Streben, glücklich zu sein, ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund des Willens ist[174], das im diesseitigen Leben verwirklicht werden darf und soll, wenn es mit dem Sittengesetz vereinbar ist. Das so definierte höchste Gut, das eben aus dem „pursuit of happiness“ und der Autonomie besteht, bezeichnet Kant als „Glückseeligkeit“, wenn er sich auf seine Verwirklichung in einem einzelnen Menschen beziehen möchte. Und Hegel war dann etwas später mit Blick auf die noch immer herrschende Feudalgesellschaft so frech, zu behaupten, dass die phänomenologisch erfassbare Entwicklung des Geistes durch die Befreiungstätigkeiten nicht der Herren, sondern der Knechte erkämpft werde. Als Kegelianerin werde ich zukünftig immer mal wieder dieses Kerndogma Kants und Hegels mit Rosenbergs Ausdruck „Knechtseeligkeit“ bezeichnen.
[21] Diesem Gedanken hat er sein Leben lang gedient und ist ihm ohne Kompromisse bis an sein schweres Ende gefolgt.
[22] Es wurde immer einsamer um ihn, alle jene Freunde und scheinbaren Mitstreiter, die in die Pfründen ihrer Zeit einrückten, fielen von ihm ab, und so überschlug sich der übersteigerte Wille eines großen Sehers. Und es ist das Tragische an ihm, dann in die Hände dadaistischer Philosophen gefallen zu sein. Diese schöpften aus Nietzsches Werk einzelne scheinbar rein subjektivistische Aussprüche, nahmen ihn als den ihrigen im Kampf gegen alle Form und Norm in Anspruch, so daß das Bild Nietzsches jahrzehntelang mit jenen Gestalten der Unterwelt zusammenging, gegen die zu kämpfen gerade er als seine Sendung fühlte.
[23] Heute ist die Zeit gekommen, um Nietzsche aus den Krallen dieses würdelosen Geistes zu retten und ihn einzufügen in die große Mission der deutschen neuen Bewegung unserer Tage.
[24] Wir begreifen ihn heute zwar auch als Stürmer gegen eine ganze Welt, zugleich aber auch als Verkünder einer neuen Rechtsordnung der Werte.
[25] An ihrer Spitze steht, aufs Große gesehen, der tiefe Stolz, die das ganze Volk umfassende Vornehmheit des Denkens und Handelns und der Mut zu jeder, aber auch jeder Wahrhaftigkeit vor sich selbst.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Ich vermute, dass Alfred Rosenberg hier den antiken Volksbegriff seines rechtsphilosophischen Kollegen Baron von Uexküll verwendet, nach dem nur eine Elite von erwachsenen Männern »das Volk« sei (3.5.7.). Vermute ich richtig, dann können wir Untervölkischen und die Andersvölkischen keine Auskunft darüber geben, ob das »Volk der akademischen Nationalsozialisten« mutig oder feige gewesen ist, da die Rosenbergsche Tugendethik ja die allumfassende Wahrhaftigkeitspflicht nur volksintern verlangt.
[26] Das ganze deutsche Rechtsleben beruht seit dem ersten Auftreten des Germanentums eigentlich auf einem einzigen Werte, auf dem Werte der Ehre.
[27] Das äußerte sich in den ersten Kampfzeiten zunächst in dem Freiheitsbewußtsein jedes einzelnen freien Mannes, gleich, ob er sich seinen umfriedeten Hof baute, ob er jeden Eingriff in sein persönliches Leben abwehrte oder ob er rein menschliche Beziehungen seiner Handlungsweise von diesem Standpunkt aus beurteilte.
[28] Auf dem germanisch persönlichen Ehrbewußtsein ruhen die beiden großen Epen der deutschen Geschichte, das Nibelungen– und das Gudrunlied. Dann das Lied von Meister Hildebrand.
[29] Aus diesem Begriff entstanden später die Ritter- und Zunftordnungen, in denen gefordert wird, daß die Zunft rein sein müsse, als sei sie von Tauben gelesen; auf ihr beruhen die Rechtsnormen schließlich auch der deutschen Städte von Magdeburg, Lübeck usw. Diese Rechtsauffassung hat ihre typenbildende Kraft überall bewiesen, viele Staaten Europas sind gerade auf ihr aufgebaut worden.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Bemerkenswert, dass auch Alfred Rosenberg den »Bauernstand« vergisst zu erwähnen. Vermutlich hatte Walter Darré diese »moderne« Blindheit im Denken von Alfred Rosenberg (und Hans Naumann) entdeckt, und erfolgreich darauf bestanden, dass in den Nationalsozialistischen Monatsheften, dieser Fehler korrigiert wurden (siehe Unterabschnitt 3.5.5.).
In den nächsten beiden Absätze charakterisiert Alfred Rosenberg zunächst das Erreichen des mittelalterlichen Staats und der mittelalterlichen Kirche, um dann den Beginn des Übels beim Namen zu nennen, der den Untergang des »Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation« 1806 bewirkte:
[30] Das persönliche Ehrbewußtsein wurde später überhöht vom Stammesbewußtsein, bis dann an seine Stelle Staat und Kirche traten.
[31] In einer verhängnisvollen Zeit wurde diese Entwicklung vom persönlichen zum völkischen Ehrbegriff durch das Eindringen des rein privatkapitalistischen spätrömischen Rechts unterbrochen, bis es schließlich möglich war, jedem Schädling in einer Nation sogenannte „berechtigte Interessen“ zuzusprechen, ohne die schlimmsten Beschimpfungen des Ansehens eines ganzen Volkes ahnden zu können.
[32] Hier war die Rechtsnorm überhaupt, die Voraussetzung für alles Uebrige einfach nicht vorhanden, und das Grundlegende einer nationalsozialistischen Rechts- und Staatsauffassung wird darin bestehen müssen, die Wahrung der Ehre der Nation an die Spitze aller Rechtserneuerung zu stellen.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Dass im Wechsel vom Mittelalter zur Neuzeit eine „Rezeption des spätrömischen Rechts“ in Deutschland stattfand, ist nicht nur eine Lehrmeinung Alfred Rosenbergs. Carl Schmitt hat das immer wieder behauptet. Aber auch Henry Sidgwick (1838-1900) hatte das deutlich vor ihm behauptet.[175]
[33] Erst nach dieser alles entscheidenden Erneuerung des Denkens und Fühlens werden sich die übrigen Normen und Begriffe organisch einfügen lassen. Erst mit dieser Anerkennung dieser alles überhöhenden Höchstwerte wird es möglich sein, auch eine Wirtschaftsethik[176] zu begründen.
[34] Durfte man früher sagen, alles sei erlaubt, was nicht direkt mit dem Zuchthaus zu tun habe, so wird eine neue Auffassung des nationalen Ehrbegriffs durch eine Ergänzung mit dem Begriff einer sozialen Ehre erst die Grundlage für eine kommende Rechtsgestaltung Deutschlands schaffen.
[35] Von diesem Gesichtspunkt aus wird es Aufgabe einer deutschen Rechtsphilosophie sein, das Verhältnis zwischen Volk und Staat, zwischen Recht und Politik einer tiefgehenden Untersuchung zu unterziehen und gemeinsam mit den Vertretern der deutschen Rassenkunde und Rassenhygiene gefühlsmäßig und theoretisch eine geistige und charakterliche Höherwertigkeit als Voraussetzung jeder rechtlichen Bewegung vorzubereiten.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Weil die akademischen Nationalsozialisten ein neues Fühlen herstellen wollten, brauchten sie die Dichter. Deswegen wird Hölderlin zu einer Autorität »des deutschen Seins«. Die Spätfolgen dieser »Herstellung der inneren Verfassung der Menschen als solcher«[177] sind in den Spätschriften der Kindergeneration des Dritten Reichs erkennbar. In der folgenden Endnote zitiere ich ein Gedicht von Max Kommerell, das beispielhaft vorführt, wie die akademischen Nationalsozialisten versuchten Gefühle herstellten.[178]
[36] Es ist klar, daß sich aus dieser einen einzigen Umkehr sich tausend Fragen und Probleme ergeben werden, ebenso sicher aber ist es, daß es nicht darauf ankommt, heute täglich neue Gedanken zu produzieren, als vielmehr überhaupt ein neues Denken zu gestalten. Diese Abwendung von früheren Vorstellungen wird viel Schmerzhaftes mit sich bringen und so manche gelehrte Schrift über die Philosophie des Rechts wird neu geschrieben werden müssen. Aber das ist nicht als Nachteil, sondern nur als Vorteil zu bewerten.
[37] Wenn ein altes Staatsgefüge zusammenbricht, so muß damit auch die Rechtsauffassung als Grundlage eines Staates verschwinden.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Der Versuch zu einer Sentenz in Absatz 36 geschieht in Abwandlung einer Sentenz Hegels vom Ende seiner Vorrede zu den „Grundlinien der Philosophie des Rechts“:
Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.
(Hegel 1821), vorletzter Druckabsatz der Vorrede
Rosenbergs Wort „Staatsgefüge“ kommt in Hegels Werken nicht vor. Insgesamt ist es selten gebraucht worden. 1934 ist ein Text von Carl Schmitt mit dem Titel „Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reichs“[179] erschienen. Ich kann nicht ausschließen, dass Carl Schmitt der Autor von Absatz 36 war. Wem auch immer der Dichterkranz für Absatz 36 gebührt, die geschichtsphilosophische These ist wieder klar erkennbar: 1918 ist ein altes Staatsgefüge zusammengebrochen. Die Rechtsauffassung, die ihm zu Grund lag, müsse verschwinden. Daraus folgt: Der neue NS-Staat braucht eine neue Rechtsauffassung. Es gibt einen Adressat für diese Forderung: Der Ausschuss für Rechtsphilosophie müsse die alte Rechtsaufassung zum Verschwinden bringen und eine neue Rechtsauffassung machen.
[38] Mit dem ich-bedingten Staatsgedanken des 19. Jahrhunderts bricht das vorwiegend ich-bedingte Recht zusammen.[180]
[39] Heute entsteht eine organische starke Staatsgewalt unserer Zeit, somit auch eine im Charakter, Boden und Geschichte wurzelnde Rechtsnorm als typenschaffende Kraft für kommende Jahrhunderte.
[40] Ein Kämpfer unerschrockenen Sinnes dafür war Friedrich Nietzsche, und wenn ich das Glück hatte, vor einigen Tagen in der Marienburg eine Persönlichkeit als besonders heroisch hervorzuheben in ihrem unerbittlichen Verteidigungswillen auch in Stunden allgemeiner Hoffnungslosigkeit, so glaube ich, daß es nicht zu sehr gewagt ist, einen großen vereinigenden Geistesbogen zu spannen vom einsamen Heinrich von Plauck[181] zu dem anderen Einsamen von Sils Maria.
[41] Wir Nationalsozialisten jedenfalls wollen in der heutigen Zeit des Kampfes einen derartig wahrhaftigen Streiter wie Friedrich Nietzsche nicht missen, aus seinem funkelnden Gedanken das einfügen in den Leben erzeugenden Strom unserer Zeit, was diesem neuen Antrieb und Kraft geben kann. Wir wollen die Einheit der großen deutschen Geschichte als Verpflichtung empfinden, tätig zu sein an einem neu werdenden Leben und jene Fundamente des Rechts zu legen, auf denen die kommende Zeit als unerschütterliche Grundlage ruhen kann!●
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Soweit die Wiedergabe der Rede Alfred Rosenbergs zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 im Nietzsche-Archiv. Emges Behauptung von 1960, dass Rosenberg „unreifes Zeug“ vortrug, ist auch fachlich falsch. Rosenberg Vortrag muss sich fachlich nicht vor den Verlautbarungen des Professors für Rechtsphilosophie Emge verstecken. In Teil III werde ich einige Texte Emges vorstellen:
Als wir uns an die Arbeit begaben, erschien Alfred Rosenberg und trug │ S. 75 sein bekannt unreifes Zeug vor. Die Folge davon war, daß ihn nach der Sitzung Uexküll im Hotel aufsuchte, um auf die Unmöglichkeit seiner Auffassungen aufmerksam zu machen. Eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem berühmten Gelehrten aus alter Kulturschicht von hohem wissenschaftlichen [im Original; mw] Rang mit dem homo novus und Dilettanten! Damit war jener Arbeitsgruppe der Todesstoß versetzt. Sie konnte nie mehr zusammen kommen.
(C. A. Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 75
Wie bereits erwähnt, gehört es nicht zum Forschungsstand über Alfred Rosenberg, dass er Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Piper (2015) nimmt in seine Darstellung einen Reisebericht von Winterbotham auf[182], der behauptet, er sei 1934 mit Alfred Rosenberg nach Weimar gefahren und sie hätten dort das Nietzsche-Haus besucht. Ich zitiere Pipers Widergabe, da das, was Winterbotham über Rosenbergs Werbung für Züchtungsexperimente mitteilt, eine gute Überleitung zum folgenden Exkurs ist. Winterbotham muss sein Wissen natürlich nicht aus einem persönlichen Kontakt zu Rosenberg bezogen haben. Eine Lektüre des Völkischen Beobachters vom 4. Mai 1934 hätte genügt. Ein Blick ins „politische Tagebuch“ Alfred Rosenbergs nicht:
1934 begann Alfred Rosenberg nach jahrzehntelanger Pause wieder Tagebuch zu führen. Der erste Eintrag stammt vom 14. Mai. Er beginnt mit der Feststellung des Autors, er fühle sich an zwei für die Zukunft entscheidenden Fragen beteiligt: »Das ist das Ringen um England und die Durchsetzung unserer Weltanschauung gegen alle Gegner.«365 Bei dem zweiten Punkt hätte ihm wohl niemand widersprochen. Wenn die erste Feststellung nicht als reine Selbsttäuschung abzutun ist, so deshalb, weil die britische Regierung, jedenfalls die │ S. 283 Auslandsaufklärung, vertreten durch Winterbotham, dem de Ropp assistierte, noch bis 1938 mit Rosenberg Kontakt hielt, wobei diese Kontakte nun nur noch auf deutschem Boden stattfanden. (David Irving und mit ihm verbundene alte Nazis pflegen deshalb bis heute die Legende, Rosenberg habe bis zuletzt den Ausbruch eines Krieges zwischen Deutschland und England zu verhindern gesucht.) Winterbotham arbeitete als Air Intelligence Officer im Secret Service (SIS); in Deutschland trat er als Repräsentant des Luftfahrtministeriums auf, an dessen Spitze damals der als deutschfreundlich geltende Marquess of Londonderry stand.366 Auch Archibald Boyle, der Auslandsbeauftragte des Luftfahrtministeriums, spielte bei den Kontakten eine Rolle. Wie Winterbotham trat er in der Rolle des Deutschlandfreundes auf und war ebenfalls für den SIS tätig.367
365 Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs, 1956, S. 17
1934 fuhr Winterbotham gemeinsam mit Alfred Rosenberg in dessen schwarzem Mercedes nach Weimar.368 Herr Schmidt, der Chauffeur, und Baron de Ropp waren mit von der Partie. Winterbotham begleitete den Reichsleiter zu einer Parteiversammlung, sie besuchten auch eine Schule der HJ und das Nietzsche-Haus. Nebenbei versuchte Rosenberg, seinen Gast, der sich als höflicher Brite sogar des Hitlergrußes befleißigte, davon zu überzeugen, dass die nordischen Rassen, einschließlich der Engländer, sich zusammenschließen müssten, und warb andererseits für die Idee der Zwangssterilisation und Züchtungsexperimente mit blonden Frauen nordischen Typs, was bei seinem Gesprächspartner eher Alpträume als Begeisterung auslöste.369
368 Winterbotham, 1978, S. 68 ff.
369 Ebd., S. 69f.
(Piper 2015), S. 283
Um die Züchtungsabsichten der „Partei des Lebens“ umzusetzen, gründete kein geringerer als der Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, Ende 1935 den »Lebensborn e.V.«
4.3.2. Exkurs: Erste Informationen zur »Partei des Lebens«, zur „Höherzüchtung der Menschheit“ und zu Himmlers »Lebensborn e.V.«
Ich zitiere erneut Absatz 19 aus Alfred Rosenbergs Rede zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie vom 3. Mai 1934:
[19] Entgegen der ganzen blutleeren Schulwissenschaft forderte Nietzsche „die Partei des Lebens“ und damit die Unterstützung alles dessen, was dieses Leben läutert und stärkt.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Rosenberg hat den Inhalt folgender Textstelle Nietzsches korrekt wiedergegeben. Vielleicht hat er sich das selbst erarbeitet. Vielleicht haben ihm die Professoren Heidegger[183] oder Emge zu diesem Wissen verholfen. Als Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Nietzsche-Archivs waren beide fraglos qualifiziert.
Aus dieser Schrift redet eine ungeheure Hoffnung. Zuletzt fehlt mir jeder Grund, die Hoffnung auf eine dionysische Zukunft der Musik zurückzunehmen. Werfen wir einen Blick ein Jahrhundert voraus, setzen wir den Fall, dass mein Attentat auf zwei Jahrtausende Widernatur und Menschenschändung gelingt. Jene neue Partei des Lebens, welche die grösste aller Aufgaben, die Höherzüchtung der Menschheit in die Hände nimmt, eingerechnet die schonungslose Vernichtung alles Entartenden und Parasitischen, wird jenes Zuviel von Leben auf Erden wieder möglich machen, aus dem auch der dionysische Zustand wieder erwachsen muss. Ich verspreche ein tragisches Zeitalter: die höchste Kunst im Jasagen zum Leben, die Tragödie, wird wiedergeboren werden, wenn die Menschheit das Bewusstsein der härtesten, aber nothwendigsten Kriege hinter sich hat, ohne daran zu leiden.
Friedrich Wilhelm Nietzsche: Ecce homo, Kapitel 6 Die Geburt der Tragödie, Abschnitt 4
Der akademische Nationalsozialismus hat sich mit der NSDAP diese „Partei des Lebens“ gemacht, die nach 1933 mit beidem begann: Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN) vom 14. Juli 1933 war der Auftakt der „schonungslosen Vernichtung alles Entarteten“. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (BBG) vom 7. April 1933 war der Auftakt der „schonungslosen Vernichtung alles Parasitischen“. Das ist die eine Hälfte des Programms der »Partei des Lebens«, ihr Programm des produktiven Vernichtens. Die zweite Hälfte des nationalsozialistischen Programms der Partei des Lebens, ihr Programm des produktiven Belebens, ist weniger bekannt.[184]
Bevor ich Indizien dafür präsentiere, dass akademische Nationalsozialisten sich persönlich in den »Lebensborn«-Heimen an der „Höherzüchtung der Menschheit“ aktiv beteiligten, stelle ich kurz anhand des Buches von Georg Lilienthal über den »Lebensborn«-Verein ein paar Hintergründe und konkrete Beteiligungen der AfDR an den Rechtsänderungen zu Gunsten der Unehelichen vor.
4.3.2.1. Erste Hinweise Lilienthals (2003) aufs »Menschenzüchterische« in Rechtsform
Lilienthal (2003) behauptet nicht, dass in den »Lebensborn«-Heimen SS-Männer Frauen geschwängert haben, um den „Adel der Zukunft“ herzustellen. Dafür gebe es nicht genug Belege. Insbesondere gäbe es keine Zeugenaussagen (Stand: 2002). Er konzentriert sich deswegen auf eine Darstellung der Rechtsänderungen, die nach 1933 zu Gunsten der Unehelichen gemacht worden sind. Es gab Vorarbeiten der AfDR zu diesen Rechtsänderungen. Ohne Angabe von Gründen und Belegen behauptet Lilienthal (2003), dass das zuständige Ministerium der entscheidende Faktor gewesen ist. Ich habe nicht versucht, das zu überprüfen. Für einen ersten Einblick in die Aktivitäten der AfDR für ein „produktives Beleben“ taugen Lilienthals Hinweise auf jeden Fall. Hilfreich sind auch seine allgemeinen Auskünfte über Rosenbergs, Franks und Himmlers Meinungen zu den Unehelichen und zur menschenzüchterischen Aufgabe der SS. Mit diesen allgemeinen Auskünften beginne ich:
Alfred Rosenberg, Chefideologe der Partei, setzte sich in seinem Mythus des 20. Jahrhunderts ebenfalls mit der Unehelichenfrage auseinander. […] Unmißverständlich erklärte Rosenberg, wohin »ein kommendes Reich« in der Unehelichenpolitik zu steuern habe. »Es wird bei Beibehaltung der Einehe den Müttern deutscher Kinder auch außerhalb der Ehe die gleiche Achtung entgegenbringen und die Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen gesellschaftlich und gesetzlich durchzuführen wissen.«24 Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn Reichsminister Hans Frank kurz nach der Machtergreifung in der Akademie für Deutsches Recht »den Anspruch │ S. 24 der unehelichen Mutter auf besonderen Schutz« verteidigte, da »ethisch gesehen […] die Mutterschaft schlechthin als Fundament der Gemeinschaft zu betrachten« sei.25
23 Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit. 9. Aufl. München 1943, S. 594.
24 Ebenda, S. 593.
25 Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt 26 (1935), S. 363
Zu den »Beschützern« der ledigen Mutter zählte sich auch der Reichsführer-SS Himmler. Da er der zweitmächtigste Mann im Dritten Reich und – seinem Führer blind ergeben – entschlossen war, den von Hitler verkündeten weltanschaulichen Auftrag gegen jeden Widerstand zu erfüllen, ist es notwendig, auf den Zusammenhang zwischen seinen eigenwilligen Vorstellungen von den unehelich Geborenen und seiner ausgeprägten Rassenideologie näher einzugehen. 1937 grenzte Himmler in einer Rede die NSDAP von der SS ab: Die Aufgabe der Partei liege im Bereich der politischen Führung, während die Aufgabe der SS »ins Menschenzüchterische« gehe.26 Wie er später seinem Leibarzt und Masseur Felix Kersten auseinandersetzte, war er davon überzeugt, daß Menschenzucht genauso möglich sei wie Tierzucht.27
26 Rede vor SS-Gruppenführern am 18.2.1937. Heinrich Himmler. Geheimreden 1933 bis 1945 und andere Ansprachen. Hrsg. v. Bradley F. Smith und Agnes F. Peterson. Frankfurt a. M., Berlin, Wien 1974, S. 100.
27 Felix Kersten: Totenkopf und Treue. Heinrich Himmler ohne Uniform. Hamburg 1952, S. 99
(Lilienthal 2003), S. 23
Über die konkrete Beteiligung der AfDR an den Rechtsänderungen zu Gunsten der Unehelichen berichtet Lilienthal folgendes:
Mit dem Herrschaftsantritt der Nationalsozialisten erwarteten daher die Befürworter einer Förderung der Unehelichen eine Änderung des Unehelichenrechts. Infolgedessen wurden in den nächsten Jahren von staatlicher und parteiamtlicher Seite mindestens vier Gesetzesentwürfe dazu vorgelegt. Der erste wurde im Herbst 1934 von Rudolf Bechert und Friedrich Cornelius aus der Rechtsabteilung der Reichsleitung der NSDAP veröffentlicht.
(Lilienthal 2003), S. 40
Der Leiter dieser Reichsleitung der Rechtsabteilung der NSDAP war Hans Frank.
Er betraf die Neufassung der §§ 1705-1714 BGB.2 Zur gleichen Zeit wurden im Nationalsozialistischen Deutschen Juristenbund Vorschläge zu einer Änderung der Rechtsstellung unehelicher Kinder erörtert.3
Der Führer dieses Juristenbundes war Hans Frank.
Ende 1936 wurden vorläufige Beratungsergebnisse des Familienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht bekannt gemacht, der in mehreren Sitzungen das Recht des unehelichen Kindes behandelt hatte.4
Der Präsident der AfDR war Hans Frank.
Nach weiteren Besprechungen wurden die Ergebnisse im nächsten Jahr dem Reichsjustizministerium »zur weiteren gesetzgeberischen Auswertung« │ S. 41 übergeben.5 Unabhängig von dieser Vorlage der Akademie erarbeitete das Reichsjustizministerium einen eigenen Gesetzentwurf, der das Recht des unehelichen Kindes zusammen mit der Frage der Adoption und der Ehelichkeitserklärung zum Inhalt hatte.6
(Lilienthal 2003), S. 40 f.
Der Reichsjustizminister war nicht Hans Frank, sondern Franz Gürtner. Ich zitiere weiter aus demselben Absatz:
Dieser kurze Überblick zeigt bereits, wie mühsam es trotz der gemeinsamen ideologischen Überzeugung auch für die Nationalsozialisten war, das Problem der Unehelichkeit rechtlich zu klären, d.h. die miteinander konkurrierenden Vorschläge in eine praktikable Form zu bringen.
2 Der Text ist abgedruckt in: Deutsches Recht 4 (1934), Nr. 17, S. 422, und der Kommentar S. 442-444. Vgl. die Besprechung von Heinrich Webler: Bemerkungen zu einem Gesetzentwurf über das Unehelichenrecht. In: Zentralblatt f. Jugendrecht u. Jugendwohlfahrt26 (1934/35), Nr. 7, S. 188-191.
3 Vgl. Fraeb: Nationalsozialistische Volkswohlfahrt und der Fluch der Unehelichkeit. In: Zeitschrift d. Akademie f. Deutsches Recht 2 (1935), H. 9, S. 637-643, hier S. 641.
4 Zum Inhalt siehe Rudolf Bechert: Die Akademie und das Unehelichenrecht. In: Deutsches Recht 6 (1936), Nr.23/24, S. 475-477. Vgl. Heinrich Webler: Schutz dem unehelichen Kind! In: Deutsche Jugendhilfe 29 (1938), Nr. 2, S. 43-49.
5 Jahrbuch d. Akademie f. Deutsches Recht5 (1938), S. 241.
6 Protokoll der Sitzung des »Sachverständigenbeirats für Bevölkerungs- und Rassenpolitik« vom 15.6.1937. BA: R 18/5518, Bl. 50.
Man begnügte sich nicht mit Gesprächen und Plänen. Da eine umfassende Rechtsreform zugunsten der Unehelichen ausblieb und in allernächster Zukunft nicht zu erwarten war, gingen die Behörden dazu über, Einzelregelungen vorzunehmen. […]
Die bevölkerungspolitische Sorge um die ledige Mutter erschöpfte sich nicht in einzelnen ministeriellen Erlassen. Ohne die Klärung der theoretischen Diskussion abzuwarten, ging man frühzeitig dazu über, die ledige Mutter und ihr Kind in eine überwiegend von der Partei organisierte Hilfe einzubeziehen. Neben dem Lebensborn e. V. sind zwei weitere Einrichtungen in diesem Zusammenhang zu nennen. Einmal das Deutsche Institut für Jugendhilfe e. V. Es wurde 1933 aus zwei älteren, ähnlichen Organisationen gegründet und stand unter der Leitung von Heinrich Webler. […] │ S. 42 […]
Eine wesentlich größere Bedeutung für die Bevölkerungspolitik und speziell auch für den Lebensborn hatte das Hilfswerk »Mutter und Kind«, das von der NSV im März 1934 eingerichtet wurde als »Ausdruck des Willens der deutschen Volksgemeinschaft, das lebendige Leben des Volkes zu erhalten und zu schützen«.
(Lilienthal 2003), S. 41 f.
Das zur ersten Orientierung über den organisierten Wettstreit (ἀγών, agṓn), den die »Partei des Lebens« in ihrer ersten Olympiade führte, um einen rechtlichen Rahmen für das Projekt einer »Höherzüchtung der Menschheit« zu „formulieren“ und durch „die Tat“ zu verwirklichen.
4.3.2.2. Lilienthal (2003): Die erste (1935)und die zweite (1938) Satzung des »Lebensborn«-Vereins
Über die erste Satzung des »Lebensborn«-Vereins berichtet Lilienthal folgendes:
Sicherlich mit Wissen und Billigung Hitlers wurde der Lebensborn e. V. am 12. Dezember 1935 »auf Veranlassung des Reichsführers-SS« von zehn SS-Führern, deren Namen unbekannt sind, in Berlin gegründet.16 Obwohl er organisatorisch in die SS eingegliedert wurde, gab man ihm die rechtlich selbständige Form eines eingetragenen Vereins. Als juristische Person konnte er somit Eigentümer von Heimen und anderem Besitz werden. Mit Gründungsdatum wurde auch eine Satzung verabschiedet, die Zweck und Organisation des Vereins festlegte.17 Demnach waren seine Aufgaben:
»1. Rassisch und erbbiologisch wertvolle, kinderreiche Familien zu unterstützen,
2. Rassisch und erbbiologisch wertvolle werdende Mütter unterzubringen und zu betreuen, bei denen nach sorgfältiger Prüfung der eigenen Familie und der Familie des Erzeugers durch das Rasse- und Siedlungshauptamt-SS anzunehmen ist, daß gleich wertvolle Kinder zur Welt kommen;
3. für diese Kinder zu sorgen;
4. für die Mütter der Kinder zu sorgen.«18
16 »Jahresbericht« Ebners für die Zeit vom 12.12.1935 bis 31.12.1939. Ebenda, Bl. 98-131, hier Bl. 99. Organisatorische Vorbereitungen waren anscheinend schon früher getroffen worden. Am 10.4.1935 gab Darré den »Stabsbefehl 19/35« heraus, der eine Neugliederung seines Amtes mit sofortiger Wirkung anordnete. Darin wurde im Sippenamt unter der Hauptabteilung III »Blutsgemeinschaft« mit SS-Obersturmführer Haidn, dem späteren nominellen Leiter des »Lebensborn«, als Chef eine Unterabteilung »Eheberatung«, »Mütterheime« und »Kinderheime«, sämtlich mit noch unbesetzten Personalstellen, aufgezählt. BA: NS2/104.
17 Satzung des »Lebensborn« e. V. vom 12.12.1935. BA: NS 19/329.
18 Ebenda, § 2.
Soweit sind die Statuten eindeutig: Sie banden die Tätigkeit des Vereins │ S. 44 grundsätzlich an den Rassengedanken. Welches Ziel aber mit seiner Tätigkeit verfolgt und mit welchen Mitteln es erreicht werden sollte, verrät die Satzung nicht. Demgemäß ist auch der Personenkreis, der angesprochen werden sollte, nur ungenau beschrieben. Erst in den SS-internen Befehlen und Verlautbarungen bekannte man sich zu der Absicht, den Lebensborn in den Dienst der Bevölkerungspolitik zu stellen.
(Lilienthal 2003), S. 43
In der zweiten Satzung von 1938 wurde das dann auch deutlich klarer zum Ausdruck gebracht:
Die wahren Motive für die Einrichtung des Lebensborn lagen in Himmlers Weltanschauung, die Machtpolitik und Rassenideologie zueinander in Beziehung setzte, begründet: Rettung der nordischen Rasse vor dem drohenden Untergang durch Sammlung aller Germanen in einem »Reich« als Etappe auf dem Weg zur Weltherrschaft. Der Aufbau des »germanischen Reiches« erforderte die gewaltsame Eroberung fremden Territoriums und die Schöpfung einer rassischen Elite. Beides war auf Dauer nur zu sichern, wenn der Nachwuchs vermehrt und qualitativ verbessert würde. Der Lebensborn sollte hierzu nach dem Willen Himmlers seinen besonderen Beitrag leisten.
Es zielte auf eine züchterische Elitenbildung ab, wenn Ebner in einem Vereinsprospekt verkündete und in die Präambel der 1938 geänderten Satzung geschrieben wurde, aus dem Lebensborn werde eine auserlesene Jugend hervorgehen, »wertvoll an Körper und Geist, der Adel der Zukunft«34.
34 Illustrierter Prospekt des »Lebensborn e.V.«, verfaßt im Frühjahr 1938 von Ebner, S. 6. BA: NS 37/1030, und Satzung vom 10.2.1938. BA: NS 2/vorl. 99.
(Lilienthal 2003), S. 47
Ich zitiere die Präambel der zweiten Satzung vollständig:
Lebensborn e. V.
Gegründet 1936 in Berlin, verdankt seine Entstehung dem Willen des Reichsführers-SS.
„Lebensborn“ e.V. ist ein Teil der SS, wird vom Reichsführer-SS persönlich geführt und erhält von ihm seine weltanschauliche Ausrichtung.
Seine Aufgaben liegen auf bevölkerungspolitischem Gebiet. „Lebensborn“ hat den Kinder-Reichtum in der SS zu unterstützen, jede Mutter guten Blutes zu schützen und zu betreuen und für hilfsbedürftige Mütter und Kinder guten Blutes zu sorgen.
Möge aus dieser Arbeit eine auserlesene Jugend hervorgehen, gleich wertvoll an Körper und Geist, der Adel der Zukunft.
Präambel der zweiten Satzung des Lebensborn e.V. von 1938; BArch: NS 2/vorl. 99
Vor 1942 konnten Frauen nicht Mitglied der SS werden.[185] Deswegen konnte der Verein den Kinderreichtum in der SS nur vaterrechtlich unterstützen. Neben einer Unterstützung von Geburten innerhalb von Ehen ist es auch zweifelsfrei zu einer Unterstützung von Adoptionen außerehelich Geborener in SS-Ehen gekommen.
Wie konnte gewährleisten werden, dass diese Adoptivkinder den strengen Kriterien der »Reinrassigkeit« genügten? Ging das, wenn der Vater unbekannt war? Im Fall der Mütter konnte die SS die »Reinrassigkeit« prüfen, weil sie in den Heimen des »Lebensborn«-Vereins die Geburtsbetreuung übernommen hatte. In § 2 der Satzung von 1938 wird deswegen festgesetzt, dass nur solchen Müttern geholfen wird, die „in rassischer und erbbiologischer Hinsicht alle Bestimmungen erfüllen, welche in der Schutzstaffel allgemein gelten.“
Auch Lilienthal behauptet, dass nicht die Adoption, sondern die Betreuung werdender Mütter die Hauptaufgabe der »Lebensborn«-Heime gewesen sei. Er vergisst zu erwähnen, dass auch eine mehr-monatige, gar mehr-jährige Betreuung junger Mütter in den »Lebensborn«-Heimen angeboten wurde. Wenn die männlichen Vereinsmitglieder dann im Rahmen von Exkursionen in die Heime bei gemeinsamen Feiern ungeplant eine dort lebende Mutter schwängerten, war das gewiss nicht unerwünscht.
In einem Rundschreiben vom 13. September 1936 an alle SS-Führer,19 mit dem Himmler die Gründung des Vereins bekanntgab, wies er auf die Notwendigkeit eines ausreichenden Geburtenaufkommens hin. Viele Kinder zu haben, sei nicht Privatangelegenheit des einzelnen, sondern Pflicht gegenüber seinen Ahnen und seinem Volk. Einen ersten Schritt in diese Richtung habe die SS mit dem Heirats- und Verlobungsbefehl vom Dezember 1931 schon getan. Die Schließung von Ehen sei aber zwecklos, wenn nicht zahlreiche Nachkommenschaft aus ihnen hervorgehe. Er erwarte, daß die SS beispielgebend vorangehe und die an eine »gute und gesunde Ehe« gestellte Mindestforderung von vier Kindern erfülle. Falls ein unglückliches Schicksal der Ehe eigene Kinder versage, solle jeder SS-Führer »rassisch und erbgesundheitlich wertvolle Kinder« annehmen und sie »im Sinne des Nationalsozialismus« erziehen und ausbilden lassen. Für die Auswahl geeigneter Kinder stehe der Lebensborn zur Verfügung. Demnach waren die SS-Familien aufgefordert, ihre eheliche Fruchtbarkeit zu steigern, um als bevölkerungspolitische Schrittmacher der Nation zu fungieren. Dem Lebensborn schien die Aufgabe zugefallen zu sein, den gewünschten Kinderreichtum zu fördern, indem er solche Musterfamilien, wenn notwendig, unterstützte und unfruchtbaren Ehen durch Vermittlung von Pflege- oder Adoptivkindern zu Familienglück verhalf. Satzung und das genannte Schreiben erweckten den Eindruck, als habe Himmler den Verein in erster Linie zu diesem Zweck geschaffen und als spiele die Betreuung werdender Mütter demgegenüber nur eine nachgeordnete Rolle. In Wirklichkeit waren aber die Gewichte der Aufgaben umgekehrt verteilt.
19 Rundschreiben des RF-SS »an alle SS-Führer« vom 13.9.1936. BA: Slg. Schumacher 433. Häufig wird in der Literatur diese Bekanntmachung irrtümlich mit der Gründung des Vereins gleichgesetzt.
(Lilienthal 2003), S. 44
Soweit Lilienthal. Nun zu weiteren Indizien, dass in den »Lebensborn«-Heimen geplant rassisch-passende Kinder von SS-Führern hergestellt worden sind.
4.3.2.3. Zeugten SS-Führer in »Lebensborn«-Heimen einen Teil des »Adel der Zukunft«?
In der Illustrierten Broschüre des »Lebensborn«-Vereins aus dem Jahr 1938 wurde ausdrücklich Eigenwerbung mit der Behauptung betrieben, dass der Verein die Verbindung zwischen „Kindsvater“ und Mutter aufrechterhalte:
Abbildung 9: Illustrierte Broschüre des (Lebensborn e.V. 1938), S. 16[186]
In den Fällen, in denen bereits schwangere und unverheiratete Frauen in ein »Lebensborn«-Heim kamen, konnte dieser Verein selbstverständlich nicht gewährleisten, dass ein Kontakt zwischen Kindsvater und Mutter aufrechterhalten wurde. Zum einen galt vor 1945 grundsätzlich noch „Der Vater ist immer unsicher“. Zum anderen gab es keine rechtliche Handhabe gegen Kindsväter, die keinen Kontakt zur Mutter aufrechterhalten wollten. Jedenfalls dann nicht, wenn der Kindsvater kein Mitglied der SS war.
Haben innerhalb der SS »dienstrechtliche« Verpflichtungen zu erneuten »Verbindungen« bestanden haben? Ja! § 4 der zweiten Satzung des »Lebensborn«-Vereins von 1938 regelt das. § 4 ist eine Generalvollmacht des Vereines „alle ihm notwendig erscheinenden Maßnahmen“ zu ergreifen. Das gilt natürlich insbesondere gegenüber den Vereinsmitgliedern, die ja immerhin in Kenntnis dieser Satzung freiwillig Mitglied geworden sind. Für andere Menschen, die „Gegenstand“ dieser Generalvollmacht geworden sind, galt das nicht.
§ 2 Der Verein dient ausschließlich gemeinnützigen und wohltätigen Zwecken mit dem Ziel:
1. rassisch und erbbiologisch wertvolle, kinderreiche Familien zu unterstützen,
2. rassisch und erbbiologisch wertvolle, werdende Mütter zu betreuen, bei denen nach sorgfältiger Prüfung der eigenen Familie und der Familie des Erzeugers durch den Verein anzunehmen ist, daß gleich wertvolle Kinder zur Welt kommen,
3. für diese Kinder zu sorgen,
4. für die Mütter der Kinder zu sorgen,
5. gemäß § 47 RJWG[187] die Vereinsvormundschaft jeweils nach eigenem Ermessen zu übernehmen.
│ S. 8
[…]
§ 3 Die weltanschaulichen Richtlinien erhält der Verein durch den Reichsführer-SS, Rasse- und Siedlungshauptamt.
§ 4 Zur Erfüllung dieser Aufgaben kann der Verein alle ihm notwendig erscheinenden Maßnahmen ergreifen. Er kann andere Vereine, die ähnliche Zwecke verfolgen, in sich aufnehmen oder zur Mitarbeit heranziehen.
[…]
│ S. 10
§ 8 Mitglied des Vereins kann jeder Deutsche arischer Abstammung werden. […]
Die Mitgliedschaft erlischt:
1. durch freiwilligen Austritt, welcher spätestens am 30. Juni des Kalenderjahres für das Ende des Jahres schriftlich anzuzeigen ist,
2. durch den Tod,
3. durch Ausschluß, welcher durch den Vorstand erfolgen kann.
(Lebensborn e.V., Satzung des „Lebensborn e.V.“ 1938)
Ausnahmen vom Grundsatz „Der Vater ist immer unsicher“ waren damals nur dann denkbar, wenn Frauen in kontrollierten Umgebungen geschwängert wurden. Und die »Lebensborn«-Heime wurden geographisch und architektonisch so gestaltet, dass sie solche kontrollierten Umgebungen waren.
Wenn dann noch der Zugang von Männern zu den so gehaltenen Frauen von Dritten kontrolliert wurde, dann hätte der »Lebensborn«-Verein grundsätzlich das Wissen erwerben können, das nötig ist, um gewährleisten zu können, dass die Verbindung zwischen Kindesvater und Mutter „aufrechterhalten“ wurde.
In den »Lebensborn«-Heimen kam es auch zu Eheschließungen. Für die Zeit nach dem Endsieg hatten Himmler und Bormann geplant, das deutsche Familienrecht so zu ändern, dass Vielehen erlaubt worden wären. Innerhalb der SS-Großsippe war bereits vor eine Anpassung des allgemeinen Familienrechts durch § 4 der Satzung des »Lebensborn«-Vereins geregelt, dass und wie für in den Heimen gezeugte Kinder und deren Mütter gesorgt werden konnte.
Vorsichtshalber zitiere ich erneut Lilienthals berechtigte Warnung, vorschnell vom »weltanschaulichen« Bedarf, dem rechtliche geregeltem Erlaubnisspielraum und den faktischen vorhandenen Gelegenheiten auf den tatsächlichen Vollzug zu schließen:
Sämtliche Verfasser einschließlich der Drehbuch-Autoren [von 1961 bis 1974; mw] gingen von der unbewiesenen Annahme aus, daß der Lebensborn eine Zuchtanstalt gewesen sei. Schon vor 1945 kursierten Gerüchte, der Verein habe zur rassischen Aufzucht ausgesuchte Frauen und Männer verkuppelt. Nachkriegsberichte besagten dasselbe. So ließ sich Louis Hagen die abenteuerliche Geschichte eines BDM-Mädchens erzählen, das 1936 als fanatische Nationalsozialistin in einem Lebensborn-Heim ein Kind für »Volk und Führer« gezeugt haben wollte.7 Eine englische Journalistin interviewte im Mai 1945 in einem Lebensborn-Heim anwesende Mütter, die sich freimütig zu ihrer Rolle als angebliche »Zeugungshelferinnen« bekannt hätten.8 Diese Mitteilungen, die sämtlich aus zweiter und dritter Hand stammen, sind von zweifelhaftem Wert, denn ihre Aussagen sind nicht kontrollierbar. Überprüfbare Angaben zu Einzelheiten erwiesen sich als falsch. Schon in den Prozessen in Nürnberg und München gelang es der Anklage nicht zu beweisen, daß im Lebensborn die »gelenkte Fortpflanzung« betrieben worden sei. Und bis heute haben sich weder ehemalige Angestellte noch Mütter und Väter in diesem Sinn geäußert.
(Lilienthal 2003), S. 8
Neben »weltanschaulichen Bedarf«, rechtlichem Rahmen und tatsächlich vorhanden »Heimen« gab es demnach auch noch entsprechende Gerüchte. Trotzdem reichen diese Beweismittel, so Lilienthal, nicht hin, zu behaupten in den »Lebensbornheimen« habe es Akte »gelenkter Fortpflanzung« gegeben.
Wenn ich nichts übersehen habe, hat Lilienthal ein objektives Beweismittel nicht berücksichtigt, das ebenfalls dafür spricht, dass in den »Lebensborn«-Heimen nach rassischen Kriterien Frauen von SS-Männern geschwängert worden sind. Dieses Beweismaterial stelle ich nun vor.
Das Bundesarchiv-Lichterfelde verwaltet auch die „SS-Führer Personalakten“. Für viele dieser Personalakten gibt es einen Vordruck, der als Deckblatt genutzt wurde. Auf ihm wurden personen-identifizierende und ‑charakterisierende Informationen erfasst, die für die SS wichtig waren. Mitglied der SS konnte man nur werden, wenn man besonders »reinrassig« war. Deshalb war der „Ahnennachweis“ besonders wichtig und wurde entsprechend auf Deckblättern durch einen eigenen Bereich erfragt.
Die Personalakten der SS-Führer und Brüder Dr. jur. Werner Best (1903-1989) und Walter Best (1905-1984)[188] sind interessant.[189] In der Rubrik „Ahnennachweis“ auf den Deckblättern ist bei beiden die Zeichenkette „Lebensborn“ handschriftlich eingetragen worden.
Das lege ich so aus, dass die erforderlichen Unterlagen für den Ahnennachweis beim »Lebensborn«-Verein lagen. Weshalb das? Auf demselben Deckblatt ist vermerkt, dass Werner Best am 13. November 1931 Mitglied der SS geworden ist (Nr. 23.377). Ein Jahr zuvor, im November 1930 ist er Mitglied der NSDAP geworden (Nr. 341.338).
Wäre der »Lebensborn«-Verein seinen Aufgaben ohne »gelenkte Fortpflanzung« nachgekommen, hätte für die Entscheidung des Vereins über ein Mitgliedschaftsgesuch Werner Bests die Auskunft genügt, er sei Mitglied der SS. Nur dann, wenn Vereinsmitglieder – im Zuge der Generalvollmacht des § 4 – zu »Fortpflanzungsmaßnahmen« herangezogen werden sollten, um die Vereinsaufgaben zu erfüllen, benötigte der Verein die „rassischen und erbbiologischen Daten“ seiner Mitglieder.
Wäre der »Lebensborn«-Verein nur zu Betreuung bereits schwangerer Frauen zuständig gewesen, wäre es nicht erforderlich gewesen, Informationen über die Ahnen von SS-Führer bei diesem Verein zu verwalten. Eine Verwaltung der „erbbiologischen“ Daten von SS-Führern durch den »Lebensborn«-Verein war trivialerweise nur dann erforderlich, wenn diese Männer zur Züchtung des „Adels der Zukunft“ (Präambel der zweiten Satzung von 1938) eingesetzt werden sollten.
Ich sehe keinen Grund anzunehmen, dass ausgerechnet in diesem besonders zentralen Bereich der »Weltanschauung« des akademischen Nationalsozialismus es nicht zu entsprechenden Aktversuchen gekommen ist. Wer oder was hätte die SS-Führer hindern können. Die Frauen mit ihren Neugeborenen und Kleinkindern? Die Angestellten der »Lebensborn«-Heime? Die Bewohner der Dörfer, in deren Nähe diese Heime gebaut wurden? Wohl kaum! Am ehesten noch eine ideologisch konkurrierende Gruppe innerhalb des akademischen Nationalsozialismus.
Lilienthal berichtet über solche Debatten innerhalb des akademischen Nationalsozialismus. Ich bitte aber beim Lesen gleich zu beachten, dass die Einwände sich zumindest primär nur gegen die rechtliche Gleichstellung unehelicher Kinder richten. Die „Adoptionslösung“ entkräftete einige dieser Argumente. Und sobald sich die »Idee der Vielehe« durchgesetzt hätte, wären weitere Gründe weggefallen:
Aber auch innerhalb der Partei gab es Stimmen, die gegen eine Förderung der Unehelichen polemisierten, weil sie nationalsozialistischen Anschauungen widerspreche. Die Argumente, die angeführt wurden, legen die Willkür und die Unhaltbarkeit rassischer Werturteile bloß.
So konstatierte der Völkische Beobachter, daß das uneheliche Kind dem ehelichen rassisch nicht »ebenbürtig« sei.50 Eine Publikation der Deutschen Arbeitsfront schätzte die ledige Mutter als vorwiegend schwere Trinkerin, Psychopathin oder sogar Geisteskranke ein.51 In einem Beitrag von Else Vorwerck zu einem NS-Frauenschaftsbuch hieß │ S. 30 es, daß der Staat, der nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ vermehrten Nachwuchs wünsche, sich gegen die Unehelichkeit wenden müsse. »Eine gesetzliche und das würde bedeuten wertmäßige Gleichsetzung der unehelichen mit der ehelichen Mutterschaft ist deshalb unmöglich, weil damit das Ansehen, die Würde und die Anerkennung der volklichen Bedeutung des Ehe- und Familienlebens herabgesetzt und untergraben würden.«52 In dieselbe Kerbe schlug der Oberste Parteirichter der NSDAP und Schwiegervater Martin Bormanns, Walter Buch, als er die Pflege der Ehe und Familie als eine der wichtigsten Aufgaben des nationalsozialistischen Staates beschrieb. Zeugung außerhalb der Ehe lehnte er auf das schärfste ab: »Nicht in einer Zuchtanstalt läßt sich deutsche Art, deutsches Wesen und Volkstum erhalten, sondern nur an den Stätten seines Wachstums, nur im Schöße seiner Familien.«53
50 Anonymus: Das uneheliche Kind in der neuen Gesetzgebung. In: Völkischer Beobachter. Münchener Ausgabe, Nr. 328 vom 24.11.1934.
51 Anonymus: »Klarheit!« In: Der Deutsche v. 11.8.1934.
52 Else Vorwerk: Gedanken über die Ehe im nationalsozialistischen Staat. In: N.S. Frauenbuch. Hrsg. v. d. N.S. Frauenschaft. Zusammengest. und bearb. v. E . Semmelrath und R. v. Stieda. München 1934, S. 143-148, hier S. 147 f.
53 Walter Buch: Gedanken um das Familienrecht. In: Deutsches Recht 4 (1934), S. 145-148, hier S. 147. Wenige Jahre später hatte er seine Meinung aber geändert. Vgl. Walter Buch: Des nationalsozialistischen Menschen Ehre und Ehrenschutz. In: Deutsche Justiz, Ausgabe A 100 (1938), S. 1660.[190]
(Lilienthal 2003), S.29 f.
Beachtenswert ist ferner, dass die Ablehnungen, über die Lilienthal berichtet, alle aus dem Jahr 1934 stammen. Auch könnte der Gesinnungswandel von Walter Buch im Jahr 1938 repräsentativ für die akademischen Nationalsozialisten sein. Lilienthal ist anderer Meinung:
Auch das Rassenpolitische Amt der NSDAP, das für die einheitliche Ausrichtung und Überwachung der bevölkerungs- und rassenpolitischen Schulung und Propaganda in der Partei verantwortlich war, verhielt sich in der Unehelichenfrage distanziert. Sein Leiter Prof. Dr. Walter Groß erklärte in einer persönlichen Stellungnahme, daß er von der bevorzugten Behandlung unehelicher Kinder keine Lösung der bevölkerungspolitischen Probleme erwarte und für ihn nur die Familie Gegenstand einer aussichtsreichen Bevölkerungspolitik sein könne.54 Selbst die von der SS dirigierte Zeitschrift Volk und Rasse55 schenkte Gegnern einer forcierten Unehelichenpolitik Beachtung. In Heft 3 von 1937 versuchte der Rassenhygieniker Fritz Lenz die erbbiologische Begründung für eine Ablehnung der Gleichstellung unehelicher und ehelicher Kinder zu liefern.56 Zustimmung erfuhr er in derselben Zeitschrift von einem Autor, der den erbbiologischen »Wert« mehrfach gebärender lediger Mütter bestritt und eben‑ │ S. 31 falls vor einer Beeinträchtigung der Familie durch Gleichsetzung der Unehelichen warnte.57
54 Walter Gross: Das Wesen nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik. In: Die Gesundheits-Führung. Ziel und Weg Jg. 1939/40, S. 40-51, hier S. 51. Die Bemerkung Gross‘ wurde von der »Lebensborn«-Führung mit Mißfallen registriert und deshalb sofort an den Reichsführer-SS gemeldet. Schreiben Ebners an den Pers. Stab RFSS v. 15.11.1939. ITS: L-Ordner26, Bl. 14.
55 Schriftleiter war Bruno K. Schultz, SS-Sturmbannführer und Abteilungsleiter im Rasse- und Siedlungsamt, später Rasse- und Siedlungshauptamt der SS. Als Herausgeber werden u. a. genannt der Reichsführer-SS und Reichsminister Darre.
56 Fritz Lenz: Zur Frage der unehelichen Kinder. In: Volk und Rasse 12 (1937), S. 91-95.
57 Wilhelm Lange: Der erbbiologische Wert der unehelichen Mütter mit drei und mehr unehelichen Kindern. In: Ebenda, S. 376-379, hier S. 379.
(Lilienthal 2003), S. 30 f.
Da es sich nur um eine persönliche Stellungnahme von Walter Groß, nicht das Rassenpolitischen Amtes der NSDAP handelt, ist sie nicht bedeutend. Das Amt wurde durchaus im Sinne Himmlers tätig, wie Roger Uhle in seiner sehr hilfreichen Dissertation über Walter Groß bereits 1999 mitgeteilt hat:
Auch eine Zeitungsnotiz bezüglich Gross’ öffentlicher Äußerungen zu unehelichen Kindern brachten Dr. Gregor Ebner, bekannt als langjähriger Hausarzt der Familie Himmler und Lebensborn-Geschäftsführer, zu folgender Klage: „Abschließend betonte Dr. Groß u.a., daß wohl der nationalsozialistische Staat auch dem unehelichen Kind sein Recht habe zuteil werden (lassen, R.U.), daß aber keineswegs das uneheliche Kind etwa als erfreuliche Tatsache einer Bevölkerungsvermehrung angesehen werden durfte. Das war nicht im Sinne Himmlers, der, wie übrigens auch Bormann – nicht zuletzt durch eigene Erfahrungen animiert – sogar über eine zu gründende Institution Vielehe für die │ S. 96 Zeit nach dem Kriege nachdachte, dadurch sollten die bevölkerungspolitischen Aderlässe des Krieges sogar überkompensiert werden. Dieser Zeit sollte auch die Abrechnung mit der Kirche Vorbehalten sein, derzuliebe man die bürgerliche Einrichtung Ehe hauptsächlich beibehielt. Wegen der desaströsen Kriegsentwicklung wurden sehr bald – unter Gross’ Mitwirkung – auch Fernehen, Leichentrauungen, sogar Totenscheidungen vorgenommen.
74 Ebner bezog sich auf einen Bericht in der Niedersächsischen Tageszeitung vom 22.3.1939
(Uhle, 1999), S. 95 f.
Zurück zu Lilienthals Berichterstattung über die Gegner einer rechtlichen Gleichstellung unehelicher mit ehelichen Kindern:
Die Mahnrufe verstummten keineswegs mit Kriegsbeginn. Lenz selbst wies 1940 noch einmal auf die »Minderwertigkeit« der Unehelichen hin.58 Im selben Jahr warnte das Neue Volk, eine Schrift des Rassenpolitischen Amtes, Soldaten vor dem leichtfertigen Umgang mit Mädchen.59 1942 wurde in der vierten Auflage des Deutschen Frauenbuchs60 der Artikel von Else Vorwerck zum wiederholten Mal abgedruckt.
58 Fritz Lenz: Über Fortpflanzung und Ehehäufigkeit in Berlin. In: Volk und Rasse 15 (1940), S. 125-128, hier S. 128.
59 Anonyma: Eine Mutter an ihren Jungen im Quartier. In: Neues Volk 8 (1940), S. 26. 60 Hrsg. v. Oskar Lukas. Karlsbad und Leipzig 1942, S. 181-186
60 Hrsg. v. Oskar Lukas. Karlsbad und Leipzig 1942, S. 181-186.
(Lilienthal 2003), S. 31
Und trotz dieser überschaubaren Gegnerschaft gegen die Unehelichenpolitik Himmlers meint auch Lilienthal, dass sich Himmler von ihnen kaum hat bremsen lassen.[191] Direkt im Anschluss an das soeben zitierte, fährt er fort:
Wenn es auch keinen organisierten Widerstand gegen die intendierte Unehelichenpolitik gab, so war die Abneigung gegen sie immerhin so groß, daß die angestrebte Reform des Unehelichenrechts bis Kriegsende Makulatur blieb. Durch diesen Umstand ließ sich Himmler aber nicht daran hindern, seine rassenideologisch motivierte Unehelichenförderung mit Hilfe des Lebensborn massiv zu betreiben.
(Lilienthal 2003), S. 31
Und da durch eine „Höherzüchtung der Menschheit“ durch die „Partei des Lebens“, von der Nietzsche und Alfred Rosberg am 3. Mai 1934 gesprochen hatten, nicht die angeblichen Bevölkerungsprobleme gelöst werden sollten, die durch Minderung der Geburtenanzahl pro Frau oder durch Krieg entstehen können, sondern das angebliche Problem eines Mangels an »arischen Persönlichkeiten« ist der Streit im akademischen Nationalsozialismus über die Unehelichenpolitik schlicht irrelevant. Irrelevant für die Beantwortung der Frage, ob in den »Lebensborn«-Heimen hochrangige SS-Führer wissentlich und willentlich Frauen und vielleicht Mädchen geschwängert haben, um einen „Adel der Zukunft“ herzustellen.
In der SS-Personalakte von Werner Best ist auch der von ihm ausgefüllte „Fragebogen zur Ergänzung bzw. Berichtigung der Führerkartei und der Dienstalterliste“ enthalten, der bis zum 20. August 1937 zurückzugeben war. Werner Best bejahte die Fragen „Mitglied des Vereins »Lebensborn«?“ und „Im Besitz des Julleuchters?“:
Abbildung 10: SS-Führerpersonalakte von Dr. jur. Werner Best (1903-1989); R 9361-III/516995 – Anfang der Akte
Da der »Julleuchter« Teil des »deutsch-christlichen Kultus der Weihnacht« der SS gewesen ist und zum christlichen Weihnachtsfest unverzichtbar die Geburt eines Kindes gehört, vermute ich, dass SS-Führer von Himmler erst dann einen Julleuchter geschenkt bekommen haben, wenn sie in einem Lebensborn-Heim ein Kind gezeugt haben, das auch geboren wurde.
Wäre die Frage „Im Besitz eines Julleuchters?“ an einer anderen Stelle des Fragebogens abgedruckt worden, wäre ich nicht zu dieser Vermutung gelangt.
Wenn ich nichts überlesen habe, hat (Lilienthal 2003) diese Informationen nicht berücksichtigt.
Nach 1945 hat der Germanist Walter Best anscheinend seine Leidenschaft fürs Züchtungspolitische professionalisiert. Jedenfalls gab er folgende Bände heraus:
Die Förderung der Familie als Aufgabe der Gesundheitspolitik: Kongressbericht 1962; 25. und 26. Oktober 1962; Frankfurt a.M.: Dt. Zentrale f. Volksgesundheitspflege e.V., 1963.
Probleme der Frauenteilzeitbeschäftigung in sozialpolitischer, arbeitsrechtlicher und sozialrechtlicher Sicht: Bericht der Arbeitskonferenz des Ausschusses für soziale und medizinische Frauenfragen am 19. u. 20. November 1962 in Frankfurt a.M.: Dt. Zentrale f. Volksgesundheitspflege e.V., 1963.
Die beiden Bände habe ich mir noch nicht angesehen. Vermutlich werde ich das auch nicht tun. Das, was ich hier wiedergegeben habe, dürfte genügen, um ansatzweise zu verstehen, was aus Alfred Rosenbergs Bezugnahme am 3. Mai 1934 auf Nietzsches „Partei des Lebens“ und Nietzsche „Höherzüchtung der Menschheit“ wurde. Zurück zur Berichterstattung im Völkischen Beobachter über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
4.3.3. Der VB vom 5. Mai 1934: „Das Recht im Dienst des nationalsozialistischen Lebens“
Am 4. Mai hatte der Völkische Beobachter über Rosenbergs Rede berichtet. Es war nichts über die Mitglieder des Ausschuss für Rechtsphilosophie mitgeteilt worden. Am Folgetag berichtete der VB über die Rede von Hans Frank zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Wieder wird nicht mitgeteilt, wer die Mitglieder des Ausschusses gewesen sind. Es werden nur einige Namen von Personen genannt, die anwesend waren. Damit gilt bezüglich der bis hierher betrachten Zeitungsberichterstattung, dass nur die Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 mitgeteilt hat, wer Ausschussmitglied gewesen ist. Ich zitiere nun den Artikel im VB vom 5. Mai 1934:
Das Recht im Dienst des nationalsozialistischen Lebens
Die Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht im Nietzsche-Archiv – Die Rede des Reichsjuristenführers Dr. Frank in Weimar
Eigener Drahtbericht
Weimar, 4. Mai
[1] Im würdigen Rahmen fand im Nietzsche-Archiv in Weimar in Anwesenheit der Schwester des großen deutschen Philosophen, Frau Dr. h.c. Förster-Nietzsche, die konstituierende Sitzung des Rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht statt.
[2] In Anwesenheit des Thüringischen Justizministers Dr. Weber[192], Pg. Gruppenführer Luetgebrune, Prof. Dr. Bruns = Berlin, Geheimrat Dr. Heymann = Berlin, Prof. Dr. Jung = Marburg, Prof. Dr. Dreyer[193] = Leipzig, Prof. Dr. Uexküll = Hamburg, Geheimrat Stammler = Berlin, Professor Günther = Göttingen, Dr. Mikorey = München, Prof. Heidecker[194] = Freiburg, Prof. Rothacker = Bonn, Prof. Naumann = Bonn, Dr. Häuber[195], Reichsgeschäftsführer des B.N.S.D.J., Dr. Lasch, Direktor der Akademie für Deutsches Recht, eröffnete der Reichsleiter der N.S.D.A.P., Reichsjustizkommissar Dr. Hans Frank, den Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht. In einer grundlegenden Ansprache führteReichsjustizkommissar Dr. Frank
folgendes aus:
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Die Aufzählung der Anwesenden ist in einem Fall besonders spannend: Wir wissen nun, dass auch Rasse-Günther als Gast zum Umkreis des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehörte. Die Zeitgenossen bezeichneten Professor Hans F. K. Günther (1891-1968) als „Rasse. Günther“, weil er der Rassenlehrer des akademischen Nationalsozialismus war und so Verwechslungen mit anderen Nationalsozialisten verhindert werden konnten. „Günther“ ist ein häufiger Nachname im Deutschen. In Teil II habe ich Gelegenheit zu zeigen, wann und wie Rasse-Günther in den Umkreis der Personen kam, die später Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie wurden.
Bemerkenswert ist ferner, dass auch der Völkische Beobachter von einer Anwesenheit Hans Naumanns berichtet. Das hatte auch die Frankfurter Zeitung getan. Der VB erwähnt aber nicht, dass Julius Binder anwesend gewesen ist. Im Abschnitt 4.8. gibt es eine Tabelle, in der ich die verschiedenen Namenslisten der verschiedenen Quellen abgebildet habe.
[1] Hochverehrte Herrin dieses Hauses! Meine Herren! Ich habe die Ehre, als Präsident der Akademie für Deutsches Recht sowie als Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht Ihnen im Namen der hier Anwesenden unseren herzlichsten Dank zum Ausdruck zu bringen für die Gastfreundschaft, die Sie unserem geistigen Beginnen heute hier gewähren. Seien Sie überzeugt, verehrte gnädige Frau, daß es uns den, jungen Kämpfern, für des deutschen Geistes Größe uns Stärke, eine symbolische Hervorhebung bedeutet, gerade hier an dieser Stätte der deutschen Öffentlichkeit den Beginn einer Arbeit aufzuzeigen, die berufen ist, die gesamte soziale Begriffsgebung des Nationalsozialismus vom rechtlichen Standpunkt aus zu erforschen und fundamental festzulegen. Die Anknüpfung an Nietzsche ist für uns eine Pflicht. Wie alle großen Ereignisse der Weltgeschichte ihre Sendboten in das Bewußtsein der Erlebnisträger vorausschicken, so sandte auch der werdende Nationalsozialismus im deutschen Volke lange vor seinem Durchbruch zur großen Beherrschung des deutschen Volkes seine Boten ins Land.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Die ersten drei Punkte der vorläufigen Tagesordnung, die sich auf einem Blatt der Akte Emges befindet, sind demnach eingehalten worden (siehe 3.2.2.):
1. Vorläufige Tagesordnung:
Eröffnungssitzung des rph. Ausschusses der Akad. f. Deutsches Recht im Nietzschearchiv zu Weimar, Luisenstr. Donnerstag den 3. Mai 1934 nachm. 4 Uhr
Vorläufige Tagesordnung.
1. Begrüßung ?? Elis. F. N.
2. Eröffnungsrede durch den Reichsjustizkommissar Minister Hans Frank
3. ??? des Reichsführers Alfred Rosenberg
4. Referat des stellvertretenden Vorsitzenden Prof. C. A. Emge ??? über das Thema „welche Aufgabe stellt die n.s. Bewegung der Rechtsphilosophie
5. Bildung der Arbeitsgemeinschaft in Anwesenheit des Reichsführers (?)
6. Reflexion (?) über die akadem. Bedeutung (?) der
Philos.(ersetzt durch: Rphi) im dritten Reich
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 35
Zurück zur Wiedergabe der Rede Hans Franks im VB vom 5. Mai 1934:
[2] Unerkannt und unbekannt mit der letzten Lösung all dieser Strömungen der geistigen Entwicklung des deutschen Volkes, wie sie der Nationalsozialismus in seiner grandiosen Vereinigung der beiden Strömungen Sozialismus und Nationalismus unter Adolf Hitler geben konnte, waren sie doch die Träger einer Erneuerung des deutschen Volkes.
[3] Und hierbei war neben Richard Wagner, neben all den großen Männern, die die Rasseerkenntnis des deutschen Volkes erforschten, neben all den Ergebnissen auf den verschiedenen Gebieten, die in den Wurzeln des eigenen Volles auch die Wurzeln aller geistigen Möglichkeiten sehen wollten, vor allem Nietzsche der Künder jenen stolzen Lebenssicherung, der Künder jenes autoritären herrischen Empfindens, die unser Volk durch die Eisenglut des Weltkrieges bewahrten und diesem Volk damit auch gleich eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt unter Adolf Hitler übertrug.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Hatte ich schon erwähnt, dass der Herrschaftsanspruch des akademischen Nationalsozialismus offensichtlich nicht auf Europa beschränkt war, sondern die ganze Welt umfasste? Im Weiteren kommentiere ich nur dann Äußerungen Hans Franks, wenn sie in der der bereits vorgestellten Berichterstattung nicht erwähnt wurden und mir besonders aufgefallen sind:
[4] Wir danken Ihnen, verehrte gnädige Frau, und ich als Vertreter der deutschen Juristen darf diesen Dank im Namen der zehntausend deutschen Juristen aussprechen, daß sie das Werk ihres großen Bruders dem Deutschtum und der arischen Menschheit erhalten haben und daß über alle Widerstände hinweg Sie die Fahne dieses einzigartigen Kämpfers hochgehalten haben. Wir danken Ihnen auch gerade dafür, daß Sie in ihrem eigenen Lebenswerk den Mut einer deutschen Frau so sinnvoll erfüllt haben, daß auch die deutschen Frauen mit Stolz auf sie blicken können.
[5] Wir in unserem engeren Kreise unseres Ausschuss für Rechtsphilosophie wollen die Sammlung der volksbetonten allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus als volksbetonter Autoritätslehre in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus, alle die Bausteine des nationalsozialistischen Werdens, nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln wollen.
[6] Dabei gehen wir aus von dem Nationalsozialismus sowohl als politischer Wirklichkeitserscheinung, wie vor allem auch als Weltanschauungsbasis der künftigen deutschen Volksentwicklung. Daher ist es für uns alle eine hohe Ehre, daß unser Parteigenosse Rosenberg, der vom Führer die große Aufgabe der Herausarbeitung der weltanschaulichen Fundamentierung des Nationalsozialismus erhalten hat, uns in diesem Ausschuss seine Anwesenheit schenkt. Die deutschen Juristen werden stets für diese Fundamentierung in ihrer eigenen geistigen und begrifflichen Entwicklung in bezug auf das Recht dankbar und treu sein.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
In Absatz 6 anerkannt Hans Frank ausdrücklich nicht nur Alfred Rosenbergs Status als Beauftragter für Weltanschauungsfragen. Er freut sich ausdrücklich darüber, dass Alfred Rosenberg in dieser Eigenschaft dem Ausschuss seine Anwesenheit schenkt.
Zu Beginn des nächsten Absatzes dankt Hans Frank Professor Emge für die Vorbereitung der Eröffnungssitzung. Anhand der Akte Emges, die ich in Abschnitt 3 auszugsweise vorgestellt habe, kennen wir bereits einen Teil dieser Arbeiten Emges für den Ausschuss:
[7] Ihnen, Prof. Emge, gebührt mein besonderer Dank für die Vorbereitung der heutigen Sitzung. Anschließend möchte ich Ihnen, meine Herren, kurz einiges zu den fachlichen Aufgaben sagen, die sich dieser Ausschuss gestellt hat. In der weiteren Geschichte der Philosophie spielt die Scholastik die Rolle einer abgeleiteten philosophischen Entwicklung. Das scholastische System mußte schon zuerst daran scheitern, daß ein freier Geist wagte, die Philosophie als Eigenes darzustellen. Die ganzen Begriffe der Scholastiken waren ja nichts anderes als Hilfsbegriffe der Dogmatik.
In diesem Sinne lehnt der Nationalsozialist die Scholastik ab.
[8] Die Aufgabe dieses Ausschusses ist nicht etwa, die Grundsätze des Nationalsozialismus als unbesiegbare Dogmen unserer philosophischen Entwicklung auf dem Wege des Rechts derart | S. 2 umzusetzen, daß wir uns irgendwelchen Dogmen sklavisch unterwerfen müßten.
Der Nationalsozialismus kündet dem deutschen Menschen die geistige Freiheit
deshalb, weil er mit dem Mittelalter Schluß macht auf allen Gebieten und vor allem auf dem Gebiete dieser philosophischen Entwicklung.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
In dieser ausführlichen Darstellung der Rede von Hans Frank wird etwas verständlicher, was Hans Frank meinte. Klar ist, dass die nationalsozialistische Philosophie keine Hilfswissenschaft der mittelalterlichen Theologie oder der katholischen Kirche sein soll. Sie soll nicht wieder Scholastik sein. Da Hans Frank für das »Deutsche Führerlexikon 1934/35« angab, dass er von der altkatholischen Konfession zur »arischen Konfession« gewechselt sei (vgl. Unterabschnitt 6.2.15), ist seine Positionierung nicht so überraschen.
[9] Der Durchbruch der Rechtsphilosophie heißt nichts anderes, als freiwillig und gern Abschied nehmen von den vergänglichen Entwicklungen einer Knechtsphilosophie im Dienste undeutscher Dogmen. Man mag uns darüber und deshalb verfemen, man mag uns auch da und dort in undeutschen Kreisen sagen: ihr seid unkirchlich und antigläubig.
[10] Es ist an dem, daß der Nationalsozialismus seine geistige Berufung in der deutschen Geistesgeschichte dauerhaft bewahrt, daß er jetzt den großen Gedanken unserer deutschen Denker Wirklichkeitsrechte auf deutschem Boden verschafft und sie herausholt aus der Verstaubung in Bücherregalen, um sie in den weltanschaulichen Besitz der deutschen Volksgenossen überhaupt hineinzutragen.
[11] Diese deutschen Denker sollen nicht umsonst gedacht, gewirkt und den deutschen Geist freigehalten haben. Kant, Schopenhauer und Nietzsche, sie sollen uns beschäftigen, daß wir aus der freien geistigen Entwicklung des deutschen Menschen soviel Reservoir an Schöpferkraft haben, daß wirAnleihen aus fremden geistigen Bereichen nicht nötig
haben. Das deutsche Volk so wie das deutsche Geistesleben werden daher im nationalsozialistischen Rechtsdenken sich methodisch freimachen von der Überkommenheit leerer mechanischer Begriffe.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Dass Nietzsches Name genannt wird, ist nicht überraschend. Der Nestor des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Erich Jung, war u.a. ein Anhänger Schopenhauers. Das skizziere ich in Teil II. Erich Jung war aber ein ausgesprochener Feind Kants. Auch das zeige ich in Teil II. Ich werde ferner in Teil II zeigen, wie durch geschickte Verzerrungen der Philosophie Kants durch Mitglieder des Alldeutschen Verbands eine Kant-Verständnis hergestellt wurde, dass in den Folgegenerationen dazu führte, dass man meinen konnte, man sei Neu-»Kantianer« und akademischer Nationalsozialist. Ähnliches ist mit Zeitverzögerung auch für Hegel versucht worden. Deswegen ist es bemerkenswert, dass Hans Frank in seiner Rede zur Konstituierung des Ausschuss für Rechtsphilosophie Hegel nicht erwähnt.
Die Kontraste, die Hans Frank im nächsten Absatz zu machen versucht, zeigen seinen Anti-Kantianismus deutlich, wenn man Kants Texte selbst gelesen hat – und nicht nur ein Buch eines Alldeutschen über Kant. – Bemerkenswert ist ferner die Verwendung des Worts „Firmung“. Es bezeichnet ein Sakrament der katholischen Kirche. Niklas Franks Abrechnung mit seinem Vater Hans Frank zeigt nebenbei an vielen Stellen, dass Hans Frank bis zu seinem Tod Zeichen einer starken katholischen Erziehung aufwies.
Erich Jung und Carl Schmitt vertraten einen Anti-Positivismus. Gegen einen »Positivismus«, der sich unmittelbar auf das eigene Gefühl deutscher Lebendigkeit gründete, hatten beide nichts. Aus diesen Gefühlen konnten dann ewige Sätze über „unsere völkische Notwendigkeit“ mittelbar gefunden werden. Dass die Herren sich als Elite der »Partei des Lebens« fühlten, deren Berufung es war, die Höherzüchtung der Menschheit zu treiben, habe ich ja schon gezeigt. Dass aus diesem unmittelbar Wurzelhaften ein materielles Lebensrecht grundsätzlich entwickelt werden kann, lag in ihrer Hand als Rechtsgeber. Die zweite Satzung des »Lebensborn«-Vereins von 1938 ist ein Beispiel dessen:
[12] Den Typ, den wir aufstellen, heißt Lebensrecht, und nicht Formalrecht soll das Ziel sein. Der Positivismus unserer Rechtslehre soll die Firmung des Lebens bedeuten und nicht Befriedigung suchen in einem Positivismus, der sich wiederum aufbaut auf mittelbar gefundenen Sätzen.
[13] Wir wünschen das Dauerrecht und nicht ein Augenblicksrecht. Wir bauen auf auf den ewigen Sätzen unserer völkischen Notwendigkeiten und nicht auf den Beschlüssen einer gegenwärtigen äußeren Macht-, Wirtschafts- oder Staatslage.
[14] Die Seele unseres Rechtslebens soll wieder zurückgeführt werden auf die Gemüts- und Geistesbasis der allgemeinen deutschen Volksüberzeugung und soll sich frei machen von all den Einsplitterungen und Anhängseln übernommener fremder Rechtsordnungen.
[15] Es soll das der Fundamentalsatz unseres Zieles seinein unabhängiges Rechts des Nationalsozialismus
zu schaffen, d.h. die Rechtsentwicklung des nationalsozialistischen Staates von der geistigen Erkenntnis der Notwendigkeiten des deutschen Volkes ausgehen zu lassen und nicht ein freies Recht im Sinne des Liberalismus zu dulden. Unser Recht soll der Allgemeinheit dienen und nicht dem Individuum, es soll aber sein ein Herrenrecht und nicht Sklavenrecht.
[16] Es soll Voraussetzung der ethischen Werte haben den höchsten Wert: Charakter des Volksgenossen und als Maßstab wählen nicht den Schutz des Minderen im Volkes.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Hier hätte den Lesern des Völkischen Beobachters ein Licht aufgehen können, dass der Rassismus der akademischen Nationalsozialisten kein »Volksrassismus«, sondern ein »Adelsrassismus« war. Fachlich haben die Adelsrassisten Baron von Uexküll und Hans Naumann durchaus in den Ausschuss für Rechtsphilosophie gepasst.
In den nächsten beiden Absätzen wird Hans Frank noch deutlicher. Keine Frage: Im Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR saß mit Hans Frank mindestens eine Person, die 1934 bereits die rechtsphilosophische Position vertrat, die man für Krankenmorde benötigte (vgl. die sog. »T4-Aktion«[196]):
[17] Stärker der Starke, freier der Freie, das sind die Zieles unseres Rechts
und unserer Rechtsentwicklung und nicht Schutz des Schwachen auf Kosten des Starken, heraus aus einer leeren Humanitätsduselei verklingender müder Epochen![197] Und letztens soll der Schutz der Substanz in allen Dingen im Recht gewährleistet sein. Der Schutz des ewigen Gehalts der Ereignisse des Lebens, des Staates und des Volkes und nicht etwa der Schutz von vergänglichen Aeußerlichkeiten. Eine Sicherung der Staatsform im Rechtssinne wäre nach nationalsozialistischer Rechts- und Staatsauffassung ein Widerspruch in sich selbst.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Der letzte Satz ist erläuterungsbedürftig: Rechtsicherung kann nur innerhalb eines Staates bewirkt werden. Die Staatsform legt fest, wie das innerhalb des Staates geschehen soll. Wird die Staatsform angegriffen, existiert zwischen dem Feind dieser Staatsform und dem Freund dieser Staatsform kein Rechtsverhältnis, das für eine Rechtssicherung der Form sorgen könnte. Es gibt dann einen Kampf auf Leben und Tod. Der Sieger ist der Herr über die neue oder die alte Staatsform. – Das wäre die korrekte Erläuterung, wenn Carl Schmitt oder/und Erich Jung Verfasser des letzten Satzes gewesen wären. Ich glaube nicht, dass Hans Frank seine inhaltsreicheren Reden selbst verfasst hat.
Im nächsten Absatz wird deutlicher, weshalb Hans Frank – oder sein Ghostwriter – meinten, dass ein Bruch mit dem Katholizismus und der Scholastik nötig sei: Im Mittelalter sei in Deutschland – durch die (nicht-deutsche) Christianisierung – der Schutz der Schwachen zur deutschen Kultur geworden. Diese Kultur sei aber »entartet«. Trotzdem möchte Hans Frank auch die „großen deutschen Kämpfer“, die für diese Kulturentartung fraglos mitverantwortlich waren, ehren. Das kann prima facie nur dann gelingen, wenn man das hermeneutische Prinzip annimmt, dass jede Zeit aus sich selbst heraus beurteilt werden müsse.
[18] Wenn wir aufgrund dieser Thesen uns feierlich abkehren von allen Schädigungen, die das Mittelalter als weiten Begriff einer Kulturentartung auf allen Gebieten mit sich brachte, so soll das nicht bedeuten, daß wir nicht den größten Stolz hätten auf die großen deutschen Kämpfer aller Epochen, vor allem der großen deutschen Kunst- und Kulturepoche. Die Schlußfolgerungen aus unserem kulturellen Erlebnis ziehen wir in der Anerkenntnis des großen deutschen Gedankens in der Welt überhaupt.
[19] Der Staatsbegriff des Nationalsozialismus wird von uns neu gebaut auf der Einheit und Reinheit des deutschen Menschtums, formuliert und verwirklicht im Recht und im Führerprinzip.
[20] Recht soll uns als ewiges, aus den Notwendigkeiten des deutschen Volkes hervorgehendes Sicherungsbedürfnis der Nation gehen vor dem formalen Gesetz. Das Fundament unserer Gesetzesschöpfung sollen die naturgesetzlichen Notwendigkeiten des Deutschtums sein.
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Wer in einem Absatz die »Ariosophie« des akademischen Nationalsozialismus in einem Originalwortlaut kennenlernen möchte, wird im nächsten Absatz fündig. Hans Franks Bekenntnis zum Liberalismus der Gemütswallungen ist nach meinem Zitieren von Walter Buchs „Sexualehre“ inhaltlich nicht überraschend. Wer die Abrechnung von Niklas Frank gelesen hat, wird auch nicht überrascht sein:
[21] Wir bejahen dabei und setzen voraus die Willensfreiheit des Menschen. Wir wollen in die letzten Gedanken des einzelnen und in die Verantwortungssphäre der Gemütswallungen des einzelnen nicht zerstörend eindringen. Der starke, herrische, autoritäre Führerstaat ist ein Mittel zum Zweck der Sicherung des deutschen Volkes in dem großen geistigen Ringen, das uns bevorsteht. Die Vernichtungskräfte der Menschheit werden an diesem Herrenwillen unserer Überzeugung zuschanden werden. Und der arische Mensch wird sich über die Niederungen dieser Dekadenzen aus allen Bereichen der westlichen Demokratie oder des östlichen Bolschewismus, des asiatischen Judentums oder des liberalistischen Imperialismus erheben als der entscheidende Kulturfaktor unserer Rasse überhaupt.
[22] Wir bejahen ferner die Verantwortlichkeit des einzelnen für sein Geschick und seine Entwicklung. Wir wollen den deutschen Menschen wieder stark machen, damit wir wieder ein Volk von Kämpfern und Soldaten und wehrbereiten geistigen Ringern um diese Freiheit erhalten. Wir machen deswegen Schluß mit diesem Begriff eines Gelehrtentyps, dessen Wert darin lag, daß er weltfremd war.
[23] Als weiteres Begriffsfundament wollen wir den Begriff des Gemeinnützigen im Recht aufstellen.Gemeinnutz geht vor Eigennutz, das muß der Fundamentalsatz unserer Betrachtungen sein.
[24] Unser Ziel ist das deutsche Recht und die Vereinigung von deutscher Rechtsseele und deutscher Volksseele. Möge von dem Wirken dieses Ausschusses ausstrahlen eine neue deutsche Rechtsgeschichte.
*
[25] Nach der Rede des Reichsjuristenführers Dr. Frank sprach Reisleiter Alfred Rosenberg, dessen Rede wir in der letzten Ausgabe veröffentlichten.
[26] Im Anschluß an diese beiden Referate trat der Ausschuss zu einer Arbeitstagung zusammen, an der auch der thüringische Justizminister Dr. Weber und der Gruppenführer der SA Pg. Dr. Luetgebrune außer sämtlichen Ausschußmitgliedern teilnahmen.●
(VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934)
Da im Bericht des Völkischen Beobachters zuvor keine Information darüber gegeben worden ist, welche der anwesenden Personen Ausschussmitglied war, kann aus dem letzten Satz nicht erschlossen werden, wer Mitglied und wer nur Gast war. Dass neben Otto Weber auch Walter Luetgebrune namentlich gesondert erwähnt wird, spricht dafür, dass der Verfasser des Berichts für den Völkischen Beobachter nicht annahm, dass Luetgebrune Mitglied des Ausschusses gewesen ist. Das muss kein Irrtum dieses Berichterstatters gewesen sein. Wie bereits ausgeführt, ist es möglich, dass Luetgebrune erst am 3. oder 4. Mai in den Ausschuss nachberufen worden ist. Erwähnenswert ist ferner, dass der Völkische Beobachter Luetgebrune der SA zuordnet. Auch das kann, muss aber nicht richtig gewesen sein. Er war auf jedenfalls Gruppenführer und arbeitete 1934 im Umkreis von Ernst Röhm.
4.4. „Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland“ vom 3. und 4. Mai 1934
Die Berichterstattung der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie ist die qualitativ spannendste. Hier und nur hier wird wiedergegeben, dass Hans Frank von einem „Richterkönig“ und von einem „ewigen deutschen Gott“ sprach. Und erst hier, aber nicht nur hier, wird auch über Emges Rede zur Eröffnung des Ausschusses für Rechtsphilosophie berichtet. Die Berichterstattung über Alfred Rosenbergs Rede ist etwas informativer als in der Frankfurter Zeitung und im Berliner Tageblatt. Sie ist aber nicht ausführlicher als die Wiedergabe im Völkischen Beobachter. Deswegen ist es nicht nötig, dass ich auf diese Berichterstattung über Rosenbergs Rede eingehe.
4.4.1. Die Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland vom 3. Mai 1934
Dieser Zeitungsbericht erschien einen Tag vor den anderen Zeitungsberichten. Es handelt sich um eine Darstellung aufgrund einer Pressemitteilung des Thüringischen Staatsministeriums, die vor der Konstituierung verteilt worden ist. Bei der Landtagswahl vom 31. Juli 1932 war die NSDAP in Thüringen mit 42,5 % die stärkste Fraktion geworden. Der Vorsitzende Staatsminister war Fritz Sauckel (1894-1946).
Akademie für Deutsches Recht im Nietzsche-Archiv
Grundlegende Ausführungen des Reichsjustizkommissars Dr. Hans Frank und des Reichsleiters A. Rosenberg über die Rechtsphilosophie.
Die Pressestelle des Thür. Staatsministeriums teilt mit: Am 3. Mai findet die erste Sitzung des Ausschusses „Rechtsphilosophie“ der Akademie für Deutsches Recht im Nietzsche=Archiv in Weimar statt. Der Ausschuss steht unter dem Vorsitz des Präsidenten der Akademie für Deutsches Recht, Reichsjustizkommissar Staatsminister Dr. Hans Frank, der im Rahmen der Ausschusssitzung einen grundlegenden Vortrag über Rechtsphilosophie halten wird. Reichsleiter Pg. Alfred Rosenberg, Mitglied der Akademie für Deutsches Recht, wird ebenfalls zu längeren Ausführungen das Wort ergreifen. Ferner der wissenschaftliche Leiter des Nietzsche=Archivs, Universitätsprofessor Dr. Emge.●
(Thüringische Landeszeitung vom 3. Mai; 1934)
Abbildung 11: Thüringische Landeszeitung vom 3. Mai 1934
Beachtenswert ist, dass ausdrücklich behauptet wird, am 3. Mai 1934 habe die erste Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie stattgefunden. Dass auch Emge einen Vortrag halten würde, ist öffentlich bekannt gegeben worden. Alfred Rosenberg wird auch als Mitglied der AfDR vorgestellt.
4.4.2. Die Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland vom 4. Mai 1934: Franks Richterkönig, Franks ewiger deutscher Gott und Emges neun Unterausschüsse
Die Ausgabe vom 4. Mai 1934 berichtet auf der Titelseite und auf der zweiten Seite ausführlich über die Vorträge von Alfred Rosenberg und Hans Frank. Die Überschrift lautet: „Voraussetzungen der deutschen Rechtsphilosophie. Alfred Rosenberg und Dr. Frank in Weimar“. Auf Seite 3 wird dann über die Eröffnungsfeier, die Mitglieder des Ausschusses und über die dritte Rede Professor Emges berichtet. Die Überschrift dieses Teils des Berichts lautet „Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für deutsches Recht gegründet. Tagung im Nietzsche-Archiv in Weimar“.
Ich zitiere die Wiedergabe der Rede Hans Franks vollständig, damit Leser Unterschiede zur Berichterstattung im Völkischen Beobachter, die ich vielleicht übersehen habe, identifizieren können.
Die Rede des Reichsjustizkommissars Dr. Frank
[1] Reichskommissar Dr. Frank dankte zunächst für die Gastfreundlichkeit und knüpfte in seiner Rede an Nietzsche an, den Künder jenes autoritären Empfindens, das unserem Volk durch den Weltkrieg bewahrt blieb, und damit ihm auch gleich eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker [im VB: der Welt; mw] unter Adolf Hitler übertrug. Wir, in unserem engeren Kreise, wollen die Sammlung der volksbetonten allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln wollen. Dabei gehen wir aus von dem Nationalsozialismus sowohl als politischer Wirklichkeitserscheinung wie vor allem aber auch als Weltanschauungsbasis der künftigen deutschen Volksentwicklung.
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), Titelseite
Der letzte Satz dieses Druckabsatzes stand nicht im Bericht der Frankfurter Zeitung über diese Rede von Hans Frank. Er stand aber auch im Völkischen Beobachter.
[2] Nach Dankesworten an Reichsleiter Alfred Rosenberg und Professor Emge fuhr Minister Frank fort: Die Begriffe der scholastischen Welt waren nichts als Hilfsbegriffe der Dogmatik. In diesem Sinne lehnen wir eine nationalsozialistische Scholastik ab.
[3] Wir wollen uns nicht irgendwelchen Dogmen sklavisch unterwerfen.
[4] Der Durchbruch der Rechtsphilosophie heißt daher: freiwillig Abschied nehmen von den vergänglichen Entwicklungen einer Knechtsphilosophie im Dienste undeutscher Dogmen. Wir Nationalsozialisten werden endlich einmal dem großen Gedanken unserer großen Denker Wirklichkeitsrecht auf deutschem Boden verschaffen. Sie sollen nicht umsonst gedacht, gewirkt und den deutschen Geist freigehalten haben. Das deutsche geistige Leben wird im nationalsozialistischen Rechtsdenken vor allem methodisch sich frei machen von der Ueberkommenheit leerer, mechanischer, mystischer [nur hier; mw] Begriffe. Lebensrecht und nicht Formalrecht soll unser Ziel sein. Unsere Rechtslehre soll nicht Befriedigung suchen in einem Positivismus, der aufbaut auf mittelbar gefundenen Sätzen. Wir wünschen das Dauerrecht und nicht das Augenblicksrecht. Wir bauen auf auf den ewigen Sätzen unserer völkischen Notwendigkeiten und nicht auf den Beschlüssen einer gegenwärtigen äußeren Macht-, Wirtschafts- oder Staatslage. Des weiteren soll unsere Rechtsphilosophie m. E. Volksprimat sein, im Recht ausgedrückt als allgemeines Recht, aufgebaut auf Anschauungen des Volkes und nicht Recht eines vom Volke abgesplitterten Sonderstandes.
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), Titelseite
Der durch Fettdruck hervorgehobene Satz ist im Völkischen Beobachter nicht abgedruckt worden. Das Schlagwort vom „Volksprimat“ findet sich aber auch in der Berichterstattung der Frankfurter Zeitung und des Berliner Tageblatts. Ich zitiere weiter die Allgemeine Thüringische Landeszeitung Landeszeitung:
Ein weiteres Fundamentalziel soll sein: Deutsches Recht und nicht Fremdrecht. Die Seele unseres Rechtslebens soll endlich wieder zurückgeführt werden auf die Rechts- und Geistesbasis der deutschen Volksüberzeugung und soll sich frei machen von erzwungen übernommenen Rechtsordnungen. Es soll weiter ein Fundamentalsatz unser Ziel sein: Unabhängiges Recht des Nationalsozialismus, das ausgeht von der geistigen Erkenntnis der Notwendigkeiten des deutschen Volkes und soll nicht sein ein Freirecht im Sinne des Liberalismus, es soll dienen der Allgemeinheit und nicht dem Individuum, es soll Herrenrecht und nicht Sklavenrecht sein. Stärker der Starke, Freier der Freie und nicht Schutz des Schwachen auf Kosten des Starken. [Im VB stand an dieser Stelle etwas über eine leeren Humanitätsduselei; mw]. Es soll letztens der Schutz der Substanz in allen Dingen sein, der Schutz des ewigen Gehaltes der Ereignisse des Lebens, des Staates, des Volkes und nicht irgendwie der Schutz von vergänglichen Aeußerlichkeiten. Die Schlußfolgerungen aus unserem kulturellen Erlebnis sehen wir in der endlichen Anerkennung der großen deutschen Gedanken in der Welt überhaupt. Der Staatsbegriff des Nationalsozialismus wird von uns neugebaut auf der Einheit und Reinheit des deutschen Menschentums, formuliert und verwirklicht im Reichs- [im VB: Rechtsprinzip; mw] und Führerprinzip. So wie Nationalismus und Sozialismus sich im Nationalsozialismus zusammengefunden haben, so wird sich der naturgesetzliche Rechtspositivismus [neue Formulierung; mw] des Nationalsozialis- | S. 2 mus wesentlich unterscheiden von den beiden Kampfgebieten der rechtsphilosophischen Entwicklung, die sich bisher gegenüber gestanden haben. Wir bejahen dabei und setzen voraus die Willensfreiheit des Menschen. Aber der starke, herrische, autoritäre Führerstaat ist nur ein Mittel zum Zweck der Sicherung des deutschen Volkes in dem Ringen, das uns bevorsteht. Wir bejahen weiter die Verantwortlichkeit des einzelnen für sein Geschick und seine Entwicklung, damit wir wieder ein Volk von Kämpfern und Soldaten und wehrbereiten geistigen Ringern um diese Freiheit werden. Wir machen deswegen Schluß mit diesem Begriff eines Gelehrtentyps, dessen Wert darin lag, daß er weltfremd war. Als weiteres Begriffsfundament wollen wir den Begriff des Gemeinnützigen im Recht aufstellen.
[5] Wir werden gerade dies grundsätzlich schon in den ersten Sitzungen unseres Ausschusses in den Vordergrund zu rücken haben, denn man versucht auf Seiten der Gegner unserer Revolution gegenüber eine Methode der Bagatellisierung, um die fundamentale Wandlung, die der Nationalsozialismus durch seine Revolution hervorgerufen hat, beiseiteschieben zu können. In diesem Sinne bitte ich, dass der Ausschuss als ein Kampfausschuss des Nationalsozialismus sich konstituiert, der betont, daß die nationalsozialistische Revolution schon um deswillen nicht bagatellisiert werden kann, weil der Nationalsozialismus in Adolf Hitler einen Mann und einen Schöpfer besitzt, der auch in dem geistigen Bereich des deutschen Lebens und der deutschen Lebensentwicklung die letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschentums überhaupt bedeutet, noch einmal mit dem Schicksal fertig zu werden. Unsere Ueberzeugung darf nicht gebunden sein an unser Leben, darf nicht gebunden sein an dieses kurze Schicksal, das dem einzelnen bestimmt ist. Wir sind hier eine Gemeinschaft, die beschlossen hat, die soziale Grundlage des Nationalsozialismus für das deutsche Rechtsleben frei aufzubauen und sie dem Führer zu übergeben als fundamentale Substanz unseres Widerstandes gegen die Niedermächte.[198]
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 1 f.
Das Fettgedruckte ist im Vergleich zur bereits vorgestellten Zeitungsberichterstattung neu. Die heilsgeschichtliche Überhöhung Adolf Hitlers als „letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschentums überhaupt“ ist durchaus zitierwürdig. Ich weiß nicht, weshalb die anderen Berichterstatter diesen Satz nicht wiedergegeben haben. Hans Franks Wortwahl „Niedermächte“ ist ungewöhnlich. Sie mag helfen, Texte oder Personen zu identifizieren, die Hans Frank stark beeinflusst haben. In Verbindung mit der heilsgeschichtlichen Überhöhung Hitlers zum Heiland des »deutschen arischen Menschtums« bezeichnet das Wort „Niedermächte“ vermutlich »den Teufel mit seinen Helfern«.
Der nächste Absatz ist komplett neu. Ich hebe ihn deswegen nicht durch Fettdruck hervor. Er ist brisant, da er 1. ein Glaubensbekenntnis Hans Franks zu einem ewigen deutschen Gott dokumentiert, 2. Bezug nimmt auf ein „wir“, das die Bewegung hin zum Deutschglauben „von ihren ersten Anfängen an miterlebt“ hat und 3. als Ziel dieser Bewegung den „Richterkönig“ nennt:
[6] Ein weiteres Fundament ist die Disziplin des deutschen Volkes in dem großen Sinne des soldatischen Erlebnisses unserer Nation. Wir werden mit dem Liberalismus, dem Marxismus und den anderen Niedermächten nicht fertig werden, wenn es geduldet werden könnte, daß irgendwo in dem weiten Volksbereich immer wieder die Zersetzungskeime sich ansetzen. Hier wird der beste Begriff der Verteidigung der Sturmangriff auf die Bastionen unserer geistigen Gegner sein. Und sie sollen es spüren, daß wir siegen werden im Kampfe um die geistige Erneuerung des deutschen Volkes. Als weiteres Fundament der Weltanschauung werden wir den großen deutschen Glauben haben. Wir sind frei vom Konfessionalismus irgendwelcher Art und wir halten doch treu zu dem ewigen Gott, der das Schicksal der Völker in seinen Händen trägt. Wenn man so Großes plant, wie unsere schöpferische Zeit, dann müssen wir auch die Demut vor diesem ewigen Gott in uns tragen, und wir, die wir diese Bewegung von ihren ersten Anfängen an miterlebt haben,
Tatsächlich hat Hans Frank die Anfänge der NS-DAP in München 1918 und 1919 miterlebt. Dass dies auch auf andere Anwesende zutrifft, werde ich in Teil II zeigen.
wir sind in diesem Glauben an den ewigen deutschen Gott immer wieder bestärkt worden,
Ich habe den Zeitungsbericht mehrfach überprüft. Da steht tatsächlich „den ewigen deutschen Gott“. Hans Franks Bezugnahme auf einen „ewigen deutschen Gott“ ist es Wert in einem Exkurs erläutert zu werden (4.9.).
sonst hätten wir diesen Kampf nicht bestanden. Wir werden auch daran zu denken haben, daß unsere Arbeit nicht nur dienen soll der Gesetzgebung, sondern daß sie vor allem schaffen soll den neuen Typ des deutschen Juristen. Wenn es schon Priester gibt, dann soll es auch Priester der deutschen Weltanschauung geben. Unser Ziel: der Richterkönig der deutschen Kämpfer am Recht, das deutsche Recht und die Vereinigung von deutscher Rechtsseele und deutscher Volksseele.●
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 2
Das ist nicht das erste Mal, dass Hans Frank, »den Richterkönig« verehrt. Ich zitiere erneut aus der Rede von Hans Frank auf dem Leipziger Juristentag vom Herbst 1933, die er in Anwesenheit des Führers Adolf Hitler gehalten hatte:
Da betritt der Führer des Juristenbundes die Rednertribüne: „[…] Wir haben in diesen Tagen die Grundfragen des Deutschen Lebens unter dem Gesichtspunkt des Rechts erörtert und sind zu dem machtvollen Ergebnis gekommen, daß unsere Macht nicht nur aufgebaut ist auf äußeren Faktoren, wie sie anderen Systemen zur Verfügung standen, sondern daß die Macht des Nationalsozialismus über Deutschland auf jenen naturgesetzlichen Machtfaktoren aufgerichtet ist, die niemand antasten darf. – Wir sind ein Volk des Rechts, und unsere Macht ist eine Rechtsmacht. […] – Wie man früher Recht aufgebaut hat auf vergängliche Worte, etwa auf die Skala des Profits, je nach den unterschiedlichen Zeitläufen, so wird künftig überhaupt kein anderer Wert im Recht mehr maßgebend sein als jener, der auf den ewigen Gesetzen des nationalen Werdens und Vergehens beruht. Wir haben in den Mittelpunkt unserer Betrachtung in diesen Tagen den Begriff der Rasse gestellt. Es war mir eine hohe Genugtuung, daß dieser Gedanke bereits in so vollgültiger Form in das Recht eingebürgert werden konnte, daß er für alle Zeiten der wesentliche Grundbegriff der allgemeinen Rechtslehre in Deutschland bleiben wird. Neben den Begriff der Rasse haben wir in den Mittelpunkt den Schutz der Ehre gestellt. Es handelt sich um Ehre in dem Sinn, daß jeder bei sich verantwortlich ist für die Ehre der Gesamtheit der Nation. Die Ehre der Nation kann in einem einzelnen gewahrt und in einem einzelnen verloren werden.
Der Richter soll der große Richterkönig, der Herrscher über das Leben der Nation sein, soweit dieses Leben sich in der Helle des Tages offenbart.
[…]
Es ist ein Mißbrauch der Gläubigkeit des Volkes an das Recht, wenn Sie ihm den Glauben beibringen wollen, daß das, was schon ein Richter nicht entscheiden kann, von dreien in Mehrheitsabstimmung entschieden werden könnte. Wir wünschen diesen Richterkönig, der entscheidet, nach den Gesetzen der Nation, den Richterkönig allerdings, der dann gerade deshalb die Achtung beanspruchen kann, weil er, unabhängig und frei, nur dem Gewissen der Nation unterworfen ist, das sich in ihm zu verkörpern hat.
(Bayerle 1933), S. 198
Damit endete die Wiedergabe der Rede Hans Franks in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung auf Seite 2. Die Wiedergabe ist kürzer als die Wiedergabe im Völkischen Beobachter. Trotzdem ist das Ende der Rede Hans Franks, so wie es der Thüringischen Zeitung wiedergegeben wird, nicht Teil der Wiedergabe im Völkischen Beobachter.
Ich folge zunächst der Berichterstattung in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Mai 1934, die auf Seite 3 fortgesetzt wurde. Dass in einer Zeitung des Landes Thüringens über Emge berichtet wird, hat vielleicht seinen Grund darin, dass Emge als Professor in Jena und als Leiter des Nietzsche-Archivs in Weimar doppelt lokalpatriotisch relevant war.
Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für deutsches Recht gegründet
Tagung im Nietzsche-Archiv in Weimar
[1] Der Nationalsozialismus ist eine politische Bewegung. Er wirkt sich daher entscheidend in rechtlichen Dingen aus. Er ist ferner eine begründete Bewegung; daher ist es seinem Sinne entsprechend, daß er weltanschauliche Vertiefung gerade auf dem Gebiete in Anspruch nimmt, auf dem seine charakteristischsten und spürbarsten Auswirkungen liegen, eben dem des Rechts. Es war daher der geniale Gedanke vom Reichsjustizkommissar Dr. Frank,
im Rahmen der Akademie für Deutsches Recht einen Ausschuss zu schaffen, dem er durch die eigene Uebernahme des Vorsitzes ein ganz besonderes Gewicht verschafft.
Für die Geschichte der Rechtswissenschaft ein Ereignis, daß nunmehr seit über 100 Jahren juristischen Positivismus sich in der Rechtsphilosophie die Rechtswissenschaft auf sich selbst besinnt und in Anknüpfung an die großen Ziele deutschen Geisteslebens gleichzeitig mit der schöpferischen Tat verantwortliche Besinnung auf die weltanschaulichen Grundlagen erfolgt. Es ist selbstverständlich, daß ein solcher Ausschuß in engster Fühlungnahme mit allen Instanzen stehen muß, die sich mit der Grundlegung der nationalsozialistischen Gesittung befassen.
Die Zusammensetzung des Ausschusses ist:
Vorsitzender: Reichsjustizkommissar Dr. Frank, als sein geschäftsführender Vertreter: Professor Dr. Emge, der wissenschaftliche Leiter des Nietzsche-Archivs und einziger Ordinarius für Rechtsphilosophie in Deutschland, Mitglied der Akademie; Mitglieder: Geheimrat Kisch=München, stellvertr. Präsident der Akademie, Reichsleiter Rosenberg, Ministerialdirektor Nikolai, Staatsrat Schmidt, sämtlich Mitglieder der Akademie, Prof. Dr. Heidegger, Rektor von Freiburg, Professor Erich Rothacker=Bonn, Professor Hans Neumann [so im Original; mw] =Bonn, Professor Hans Freyer, Leiter des Institutes für Kulturgeschichte und Soziologie in Leipzig, Professor Baron von Uexküll=Hamburg, Geheimrat Heymann, Sekretär der Akademie der Wissenschaften, Berlin, Professor Erich Jung=Marburg, Professor Dr. Bruns, Mitglied des Internationalen Schiedsgerichtshofes im Haag, Berlin, Professor Mikorey=Bonn[199].
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 3
Erfreulich eindeutig charakterisiert die Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung den Status der namentlich genannten Personen: der Ausschusses ist aus ihnen zusammengesetzt. Es sind seine Mitglieder. Auffällig ist, dass Julius Binder und Rudolf Stammler nicht als Mitglieder erwähnt werden. Da nicht behauptet wird, dass Professor Naumann anwesend war, ist diese Darstellung mit dem Protokoll der ersten Sitzung von Emge problemlos vereinbar. Nur drei der hier genannten Personen werden nach dem 17. Juli 1941 keine Mitglieder mehr sein: Nicolai, Naumann und von Uexküll. Ihre Namen habe ich durch Fettdruck hervorgehoben. Bemerkenswert ist ferner die Wiederholung des Schreibfehlers „Staatsrat Schmidt“. Wegen der Wiederholung vermute ich, dass die Ursache des Fehlers auf Seiten der Presseabteilung des Nietzsche-Archives oder/und der Pressestelle des „Thüringischen Staatsministeriums“ zu suchen ist.
[2] Wie ersichtlich, ist bei der Zusammensetzung des Ausschusses nicht der einfache Weg eingeschlagen worden, abgestempelte „Rechtsphilosophen“ zu nehmen, sondern man hat der Auffassung des Nationalsozialismus genügt, die bedeutendsten Vertreter der verschiedenartigsten Gebiete heranzuziehen, um so ohne jede Einseitigkeit, die Rechtsphilosophie der Zeit in gemeinsamer Arbeit aufzubauen. Wie finden in diesem Ausschuss neben den anerkannten Rechtsphilosophen (Neu-Hegelianer, Neu-Kantianer, Verfechter von Nietzsches Ideen) den Vertreter der Existentialphilosophie, der Philosophie der Geisteswissenschaften, den deutschen Literaturhistoriker, Soziologen, deutschen Rechtshistoriker, Völkerrechtler, ja sogar den Biologen und Arzt.
Das Nietzsche-Archiv
bot sich als Stätte, in der die Ruhe philosophischer Betrachtung mit der Tendenz zum Aktuellen und unmittelbar Bedeutsamen zu Hause war. Gleichzeitig sollte mit der Wahl dieses Ortes dem Führer eine besondere Freude bereitet werden. So versammelte sich gestern Nachmittag in den historischen Räumen des Nietzsche-Archivs der Ausschuss unter Anwesenheit geladener Gäste.
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 3
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Formulierung „mit der Tendenz zum Aktuellen und unmittelbar Bedeutsamen“ von Emge stammt. Als stellvertretender Vorsitzender wäre er auch derjenige gewesen, der verantwortlich für die Presseerklärungen gewesen wäre, falls es solche gegeben haben sollte. Der kurze Artikel aus der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung vom 3. Mai 1934 belegt, dass es eine Erklärung einer Pressestelle gab. Vermutlich hat Emge per Telefon die Information weiter geben lassen. So würden sich die zahlreichen Schreibfehler bei den Namen erklären.
[3] Der Raum zeigte ein ehrwürdiges Gepräge. Neben der Klingerschen Nietzsche-Büste steht die Büste des Führers. Kränze und Lorbeeren des verstorbenen Philosophen werden umrahmt von den Farben der neuen Bewegung. Frau Dr. h. c. Förster-Nietzsche hat es sich nicht nehmen lassen, die Teilnehmer zu begrüßen, während aus dem Nebenraum die Klänge eines Trios von Mozart erklangen. Nachdem der Kreisleiter von Weimar Staatsminister Dr. Weber[200], Begrüßungsworte gesprochen hatte, nahm zunächst der Präsident der Akademie,
Reichsjustizminister Dr. Frank
das Wort zu grundsätzlichen Ausführungen, die noch in einer besonderen wissenschaftlichen Veröffentlichung in erweiterter Form der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. (Die Rede Franks findet der Leser im politischen Teil dieser Ausgabe.[201])
[4] Nach ihm sprach
Reichsleiter Rosenberg,
Mitglied der Akademie für Deutsches Recht, als der Schulungsleiter für weltanschauliche Fragen der Bewegung. (Die Rede Rosenbergs befindet sich gleichfalls im politischen Teil dieser Ausgabe.)
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 3
Soweit das Bekannte. Nun das Unbekannte.
[1] Danach sprach
Professor Dr. Emge,
der stellvertretende Vorsitzende, über Aufgaben und konkrete Ausgestaltung des Ausschusses: Der Versuch ist neu, so verschiedene wissenschaftliche Köpfe zu aktuell politischer Tätigkeit zusammenschließen zu wollen. Dieses Ziel bedeutet ein tiefes Verständnis unserer Bewegung bei dem Rechtsdenken der anderen, sowohl der fremden Nationen als auch der eigenen Volksgenossen, zu schaffen. Zwei Momente charakterisieren die Aufgabe: das erste, Rationales und Irrationales miteinander in Verbindung zu bringen, ist typisch deutsch; das zweite, Objektives und Subjektives zur Synthese zu bringen, ebenso typisch nationalsozialistisch. Dies wurde vom Redner philosophisch eingehend begründet.[202] Als erste Aufgabe des Ausschusses muß sich, wenn er nicht eine liberale Instanz sein will, Klarheit über die Bedeutung und Tragweite seiner Feststellungen ergeben. Im Vordergrund steht hierbei der Anspruch auf sogenannte Weltanschauung die Frage: Was ist bei dieser Bewegung der geistige Gehalt, das Lehrbare, Verstehbare?
[2] Es geht um die Erfassung der Gesittung, die sich politisch auszuwirken hat.
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 3
So schrieb Emge, wenn er meinte, zu philosophieren. Der „der wissenschaftliche Leiter des Nietzsche-Archivs und einziger Ordinarius für Rechtsphilosophie in Deutschland, Mitglied der Akademie“ – wie die Leser kurz zuvor erfahren haben. Das Folgende ist interessanter. Emge skizziert neun Unterausschüsse des Ausschusses für Rechtsphilosophie:
Der erste Unterausschuss skizziert eine Führer- und Bewegungs-Hermeneutik. Der zweite Unterausschuss sucht nach Übersetzungen einer »Wesensschau« »der Bewegung« ins Juristische. Der dritte Unterausschuss befasst sich mit der Herstellung der »Volksgemeinschaft« anhand von kunstphilosophischen Äußerungen Nietzsches zu Stil und Stillosigkeit[203] sowie zum Apollinischen und Dionysischen.[204]
[3] Diese erste Aufgabe: Taten, Geschehnisse einerseits, Programme, Worte, gelegentliche Äußerungen unseres Führers und seiner Vertrauensleute andererseits begrifflich zu fassen, die Bewegung also im Sinne der vollziehenden Geschichtsentwicklung zu deuten, wird die Aufgabe des ersten Unterausschusses sein. Es ist dabei ins Bewußtsein zu rufen, daß der Nationalsozialismus folgende Momente in sich trägt: 1. Volksgemeinschaft als Ziel und Substanz, 2. Bewegungsmoment, 3. Deutschheit, 4. hohes Niveau. Ueberall aber, wo Realitäten ins Juristische zu übertragen sind, besteht die Möglichkeit fiktiver Behandlungsweise. Die Aufgabe ist, in die Sphäre juristischen Seins das rein zu projizieren, was die Substanz der nationalsozialistischen Ideen ausmacht. Ein zweiter Ausschuss wird dabei einen Januskopf haben. Er wird einmal nach dem Substantiellen und Wesenhaften der Bewegung sehen, wie andererseits die juristischen Möglichkeiten zu durchforschen haben, jene Wesenheiten möglichst rein zu erhalten. Ein dritter Unterausschuss gilt dem Problem der Volksgemeinschaft. Gemeinschaft als Einheit des Stiles im Sinne von Nietzsche ergänzt durch die Prinzipien des Dionysischen und Apollinischen, um von bloßer Gemeinschaft zu bedeutender Gemeinschaft zu kommen. Gegenstand dieses Ausschusses wäre auch das Erleben der Volkstümlichkeit, ähnlich gelagert wie das Problem von Gerechtigkeit und Rechtssicherung. Hier hat der Ausschuss ganz neue Wege zu suchen.
[4] Es geht um Rechtsgefühl, Popularität, Geltung, Billigung, Zumutbarkeit.
[5] Ein vierter Ausschuss hat zum Gegenstand Deutschheit, nationale Eigentümlichkeit, die gemäßen Entwicklungsgesetze des deutschen Urphänomens[205]. Davon abhängig ein fünfter Unterausschuss mit dem rechtsphilosophischen Problem der Erneuerung germanischen Rechtsgedankens. Hier als besondere Aufgabe der Wiedererweckung der deutschen Auffassung der Rechtsquellen, die Frage nach der Stellung des sogenannten königlichen Richters gegenüber dem sogenannten Gesetz. Ein sechster Unterausschuss für das rechtsphilosophische Problem der Rasse und des Lebens. Der [sic] Biologische hat für den Nationalsozialismus drei Seiten: eine seelische, eine geistige und eine körperliche. Frei von Rückfällen in eine mechanische und atomistische Betrachtung, gilt es, die Notwendigkeit des Gegebenen in ständiger Beziehung zur Freiheit eigener Entfaltung zu halten (Goethes Urworte[206]). Der Organismusgedanke ist in seiner Bedeutung für das Recht fruchtbar zu machen. […]
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 3
Zum vierten Unterausschuss passt die zweite Frage, die laut dem Sitzungsprotokoll Hans Frank den Ausschussmitgliedern zur Bearbeitung aufgab:
Am Schluß der Sitzung gab Minister Dr. Frank den Mitgliedern des Ausschusses folgende Fragen zur Beantwortung auf:
1. Was ist überhaupt das Recht?
2. Wie verhält sich der Begriff des Rechts zu dem des Deutschen?
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 128
In dem mir unbekannten Teil der Akte Emges sind Antworten von Ausschussmitgliedern enthalten. Pinter hatte in seiner Dissertation über den Rechtsphilosophien Emge von 1994 über sie folgendes mitgeteilt:
Die gestellten Fragen wurden von Binder, Uexküll, Rothacker, Jung, Stammler und Lasch brieflich zwischen dem 9.5.1934 und dem 1.6.1934 prompt beantwortet.1
1 Nietzsche-Archiv Weimar Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie
(Pinter 1994), S. 64
Auch damit ist natürlich erneut bewiesen, dass Emge 1960 gelogen hat, als er behauptete, am Abend des 3. Mai sei dem Ausschuss für Rechtsphilosophie der Todesstoß versetzt worden.
Dass der fünfte Unterausschuss besonders wichtig war, ist nach dem Glaubensbekenntnis von Hans Frank zum ewigen deutschen Gott und zum Richterkönig unzweifelhaft. Wilhelm Kisch und Roland Freisler thematisieren in den Anfangsjahren der AfDR das Thema des königlichen Richters und des Richterrechts in Aufsätzen. Ich werde die Aufsätze in Teil III vorstellen. Die Geschichte des germanischen Rechts war ferner ein Lieblingsthema von Erich Jung und Ernst Heymann.
Der sechste Unterausschuss ist der zentrale Unterausschuss fürs Erzeugen einer nationalsozialistischen Rechts-, Geschichts- und Religionsphilosophie, kurz: der nationalsozialistischen »Weltanschauung«. Wichtig ist es, dass der Begriff der Rasse biologisch, aber nicht nur biologisch verstanden wird. Es gibt einen biologischen, einen psychologischen und einen geistphilosophischen Begriff der Rasse in diesem elitären Kreis akademischer Nationalsozialisten.
Emge stellt noch drei weitere Unterausschüsse vor. Den siebten noch im fünften Absatz:
[5] […] Ein siebenter Unterausschuss gilt den
philosophischen Grundlagen des Völkerrechts,
[6] An Stelle der Kontraktauffassung des Westens muß eine teleologische Geschichtsbetrachtung, in letzter Linie religiös-philosophisch begründet treten. Bei diesem Ausschuss wird, da das Völkerrecht einen überstaatlichen Geltungsbereich beansprucht, die Frage der Verständlichmachung gegenüber anderen Auffassungen im Vordergrund stehen (nationalsozialistische Friedensidee). Der achte Unterausschuss beschäftigt sich mit der Rechtsphilosophie als Ausbildungsfach. An Stelle der weggefallenen Pandektenvorlesung tritt sie als eigentliches Bildungsfach. Der Nationalsozialismus ermöglicht heute eine Rechtsschule, wie wir sie nie gekannt haben. Damit knüpft er in seinen Tendenzen an die Bestrebungen des alten Naturrechts an, das, von Deutschland ausgehend, zwei Jahrhunderte lang nicht nur Rechtswissenschaft, sondern auch Ethik und Philosophie befruchtet hat. Es wird vorgeschlagen, später einen neunten Unterausschuss zu bilden, der das konfessionelle Rechts zum Gegenstand hat.
[7] Es wurde dann zur Beratung der Vorschläge über die zu gründenden Ausschüsse geschritten. ●
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 3
Der siebte Unterausschuss ist nicht nur Viktor Bruns zuzuordnen. Auch Erich Jung und Carl Schmitt hatten sich schon längst mit solchen Fragen befasst. Ohne solche Vorarbeiten hätte Hans Frank auch nicht zum Ende seiner Rede vom 3. Mai 1934 den „ewigen deutschen Gott“ und sein Erscheinen in der Geschichte in einem Richterkönig preisen können.
Dass Wilhelm Kisch 1939 ein Buch veröffentlicht hat, in dem er sich u.a. mit „Rechtsphilosophie als Ausbildungsfach“ beschäftigte, habe ich bereits gezeigt. Er war vermutlich der Vorsitzende des achten Unterausschusses. Vermutlich arbeite er dabei mit Johannes Popitz zusammen. Ob und inwieweit das BGB durch Abschaffung der Pandektenvorlesung[207] ausgehöhlt werden sollte, war innerhalb der AfDR strittig. Ich habe das bislang nur am Rande beobachtet. Ich vermute, man hat sich am Ende darauf geeinigt, dass BGB für den Geistesadel in Kraft zu lassen, fürs »untervölkische« »Volk« aber ein eigenes »Volksgesetz« neu zu erfinden. Für Rechtskonflikte zwischen Neuadel und »untervölkischem Volk« wären vermutlich Feudalnormen reaktiviert worden.
Für den neunten Unterausschuss ist nach der Eröffnungssitzung Rudolf Buttmann (1885-1947) als Zusatzmitglied in Aussicht genommen worden. Ich zitiere erneut den Brief Emges an Gaeb vom 12. Juni 1934:
Sehr geehrter Herr Dr. Gaeb!
Anliegend überreiche ich Ihnen den Bericht über die Eröffnungssitzung unseres Ausschusses. Wie Sie aus anliegenden Schreiben des Stenographen ersehen, müssen sich die stenographierten Reden in Berlin befinden. Ich füge noch eine Liste der ständigen Mitglieder bei und bemerke hierzu, daß eine Ergänzung durch Herrn Ministerialdirektor Buttmann (Grundlagen des konfessionellen Rechts) und durch einen Vertreter des Reichsbildungsministerium in Aussicht genommen ist.
Mit ergebenen Heil-Grüßen
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 126
Diese Informationen über die geplanten Unterausschüsse helfen nicht nur besser zu verstehen, was die Akteure unter nationalsozialistischer Rechtsphilosophie verstanden haben. Sie könnten auch helfen, Dokumente wiederzufinden, in denen die Arbeit dieser Unterausschüsse dokumentiert wurde.
4.5. Weimarische Zeitung vom 4. Mai 1934: „Deutsche Rechtsmoral aus Blut und Boden“
In einer weiteren Zeitung des Landes Thüringens ist ein weiterer Bericht über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie enthalten. Der Name der Zeitung lautet Weimarische Zeitung. Der Bericht erschien am 4. Mai 1934 unter der Überschrift „Deutsche Rechtsmoral aus Blut und Boden“. Es gibt kleiner Abweichungen, die ich mit zwei Ausnahmen aber für unwichtig halte. Hier die beiden Ausnahmen:
1. Mit Blick auf die Rede von Hans Frank wird den Lesern angekündigt, dass seine „grundsätzlichen Ausführungen“ „in einer besonderen wissenschaftlichen Veröffentlichung in erweiterter Form der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden“ sollen. Das ist geschehen. Auch diese Variante der Rede Hans Franks werde ich vorstellen (Unterabschnitt 4.7.1.).
2. Bei der Wiedergabe von Hans Franks Äußerungen über Glauben und Gott fehlt im Vergleich zur Wiedergabe aus der Thüringischen Landeszeitung das Adjektiv „deutsch“ im komplexen Ausdruck „ewigen (deutschen) Gott“.
Auch in dieser Zeitung wird über die Rede Emges berichtet. Wieder mag ein Lokalpatriotismus eine Rolle gespielt haben. Vielleicht aber auch nur die räumliche Nähe, die es Redakteuren erlaubten, länger anwesend zu bleiben als den Berlinern und Frankfurtern. Diesen Teil des Berichts zitiere ich vollständig:
Als erste Aufgabe des Ausschusses muß sich, wenn er nicht eine liberale Instanz sein will, Klarheit über die Bedeutung und Tragweite seiner Feststellungen ergeben. Es geht um die Erfassung der Gesittung, die sich politisch auszuwirken hat. Diese erste Aufgabe: Thaten, Geschehnisse einerseits, Programme, Worte, gelegentliche Äußerungen unseres Führers und seiner Vertrauensmänner andererseits begrifflich zu fassen, die Bewegung also im Sinne der vollziehenden Geschichtsbewegung zu deuten, wird die Aufgabe des 1. Unterausschusses sein.
Ein zweiter Ausschuss wird einmal nach dem Substantiellen und Wesenhaften der Bewegung sehen und die juristischen Möglichkeiten durchforschen, jene Wesenheiten möglichst rein zu erhalten. [Auch im Original fehlt hier ein Satz zum dritten Ausschuss; mw] Ein vierter hat zum Gegenstand Deutschheit, nationale Eigentümlichkeit. Davon abhängig ein fünfter Ausschuss mit dem rechtsphilosophischen Problem der Erneuerung germanischen Rechtsgedankens. Ein sechster Ausschuss für das rechtsphilosophische Problem der Rasse und des Lebens; ein siebter gilt den philosophischen Grundlagen des Völkerrechts. Der achte Unterausschuss beschäftigt sich mit Rechtsphilosophie als Ausbildungsfach.
Es wird vorgeschlagen später einen neunten Unterausschuss zu bilden, der das konfessionelle Recht zum Gegenstand hat.
Es wurde dann zur Beratung der Vorschläge der zu gründenden Ausschüsse geschritten.●
(Weimarische Zeitung vom 4. Mai 1934)
Abgesehen vom irrtümlichen Nichterwähnen des dritten Ausschusses stimmt diese Liste mit der Charakterisierung der neun Ausschüsse überein, die in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland wiedergegeben wurde. Sie ist nur deutlich weniger informativ. Im nächsten Abschnitt präsentiere ich einen Überblick über die neun Unterausschüsse aus den Zeitungsberichten aus Thüringen.
4.6. Überblick über Emges Unterausschüsse des Ausschusses für Rechtsphilosophie
In der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland und in der Weimarischen Zeitung wurde auch über die dritte Rede berichtet, die zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehalten wurde. Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses, Prof. C. A. Emge, hielt sie. Damit war der Ablauf des 3. Mai 1934 genauso, wie Emge ihn geplant hatte (3.2.2.). In seiner Rede skizzierte Emge vor allem neun Unterausschüsse, die der Ausschuss für Rechtsphilosophie bilden solle. Ich biete im folgenden eine Übersicht über diese neun Unterausschüsse. Für den Originalwortlaut verweise ich aber auf die Abschnitte 4.4. und 4.5.
Emges Skizze der neun Unterausschüsse (UA) des Ausschusses für Rechtsphilosophie | |
1. UA: | Auslegung von Taten und Worten der Der Elite der NS-Bewegung im Sinne einer „vollziehenden Geschichtsbewegung“; kurz: Führer-Hermeneutik. |
2. UA: | Erfassung des Substantiellen und Wesenhaften der Bewegung und dessen möglichst reine Abbildung ins Juristische; kurz: Metaphysische Anfangsgründe des nationalsozialistischen Führerrechts. |
3. UA: | Erzeugung der deutschen Volksgemeinschaft als einer bedeutenden Volkgemeinschaft; kurz: Stiftung der Religion „Deutschglauben“. |
4. UA: | Feststellung der vorhandenen nationalen Eigentümlichkeiten; kurz: „Deutschheit von 10.000 v. Chr. bis 1933“. |
5. UA: | Wiederentdeckung der deutschen Auffassung der Rechtsquellen, die Stellung des germanischen Richterkönigs zum Gesetz; kurz: Das ewige Recht des deutschen Richterkönigs. |
6. UA: | Mittels des Biologischen der Seele, des Geistes und des Körpers ist das rechtsphilosophische Problem der Rasse und des Lebens zu lösen; kurz: Rechtsphilosophie der Rasse und des Lebens. |
7. UA: | Statt der westlichen Vertragsauffassung des Völkerrechts ist eine teleologische, philosophisch-religiöse Geschichtsbetrachtung als Legitimationsquelle des Völkerrechts zu etablieren, die in einer nationalsozialistischen Friedensidee kulminiert; kurz: heilsgeschichtliche Philosophie des Völkerrechts zum ewigen Frieden – des Kirchhofs unter deutscher Friedhofswacht. |
8. UA: | Rechtsphilosophie als Bildungsfach der Studierenden der Rechtswissenschaft, der Ethik und der Philosophie; kurz: Rechtsphilosophie als universitäres NS-Weltanschauungspflichtfach. |
9. UA: | Grundlagen des konfessionellen Rechts |
aus: Allgemeine Thüringische Landeszeitung Deutschland und Weimarische Zeitung vom 4. Mai 34 |
4.7. Die Berichte der Fachzeitschriften über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie
In diesem Unterabschnitt stelle ich zwei Berichte über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie dar, die in der Fachzeitschrift der »Bewegung« namens „Deutsches Recht“ einerseits und in der Fachzeitschrift des »Staates« namens „Deutsche Justiz“ veröffentlicht worden sind. Sie sind am 10. und 11. Mai 1934 veröffentlicht worden. Die Berichte in den Zeitungen waren bereits am 4. und 5. Mai 1934 veröffentlicht worden. Je mehr Zeit zwischen einem Ereignis und seiner Berichterstattung vergeht, desto höher ist die grundsätzlich Chance, dass auf die Berichterstattung Einfluss genommen wurde.
4.7.1. Das Zentralorgan des BNSDJ „Deutsches Recht“ vom 10. Mai 1934
Die Zeitschrift Deutsches Recht, die halbmonatlich erschien, war eine Zeitschrift der NS-Bewegung, nicht des NS-Staates. Sie war genauer das „Zentralorgan“ des „Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ)“, der 1928 gegründet und im Laufe des Jahres 1936 in „NS-Rechtswahrerbund“ umbenannt wurde. Führer dieses Teils der »Bewegung« war Hans Frank. Er blieb das bis in den August 1942 hinein. Dann erfolgte auch hier der Wechsel zu Otto Thierack.
Ich habe folgende Jahrgänge dieser Zeitschrift durchgesehen: 1931 bis 1938 und 1943 bis 1945.
Wenn ich nichts überlesen habe, dann wurde in diesen Jahrgängen auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie ausdrücklich nur im Jahrgang 1934 Bezug genommen. Und zwar wurde über die Konstituierung und nur über sie berichtet.
Das geschah in zwei Heften des Mais 1934. Am 10 Mai 1934 wurde über die Gründung berichtet. Diesen Bericht zitiere ich gleich. Am 25. Mai 1934 wurden die Reden von Hans Frank und Alfred Rosenberg in Langversionen abgedruckt.
Da mir keine erheblichen Unterschiede zu den Langversionen im Völkischen Beobachter und in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland aufgefallen sind, werde ich diese Langversionen erst zu Beginn von Teil III vorstellen. Irgendwann werde ich auf meiner Internetseite eine Synopsis der drei Langversionen zugänglich machen.
Nun zum Kurzbericht des Zentralorgans des BNSDJ über die Gründungsveranstaltung vom 10. Mai 1934. Ich gebe diesen Bericht vollständig wieder:
Lebensrecht und nicht Formalrecht
Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses der
Akademie für deutsches Recht in Weimar[1] In würdigem Rahmen fand in Weimar die Eröffnung des rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für deutsches Recht statt. Die beiden Reichsleiter der NSDAP, Pg. Dr. Frank und Pg. Alfred Rosenberg standen Pate bei dem feierlichen Akt, der sich am Donnerstag, dem 3. Mai 1934, im Nietzsche-Archiv zu Weimar vollzog. Der geistige Wahrer des Volksrechtsgedankens der eine, der auch diesen rechtsphilosophischen Ausschuss ins Leben rief; der geistige Wahrer der unverfälschten nationalsozialistischen Idee der andere, der ihm die Weihe gab; beide im Banne der geschichtlichen Mission der Stunde des Nationalsozialismus; beide unter dem tiefen Eindruck der Oertlichkeit, die den Geist des großen deutschen Denkers Nietzsche unmittelbar vermittelte.
(„Deutsches Recht“ (BNSDJ) vom 10. Mai 34 über den 3. Mai; 1934), S. 217
Dass die Parteimitgliedschaften von Hans Frank und Alfred Rosenberg in einer Fachzeitschrift eines Bundes der NSDAP besonders hervorgehoben wird, ist nicht erklärungsbedürftig. Und da im Mai 1934 noch die erste Satzung der AfDR galt, war auch sie eine Akademie der Partei: Der Führer Adolf Hitler bestimmte als Führer der NSDAP – und nicht als Reichskanzler – den Führer der AfDR.
Auffällig ist, dass Hans Frank und Alfred Rosenberg nur als „Paten“ nicht auch als Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie vorgestellt werden. Mikorey hatte in einem Brief an Emge dessen „Hebammenkunst“ bezüglich der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gelobt (siehe 3.5.1.) Zwei Paten, eine Hebamme – aber weder Vater noch Mutter. Merkwürdig. Die Metaphorik wird im nächsten Absatz fortgesetzt und heilsgeschichtlich überhöht:
[2] So bot sich dem kleinen Kreis von Ausschussmitgliedern und wenigen Gästen, die sich im Hause Frau Förster-Nietzsches versammelt hatten, in der mit dem Standbild des Führers und dem Symbol des Dritten Reiches geschmückten Bibliothek, die Geburtsstunde der nationalsozialistischen Rechtsphilosophie als eine der ganz großen Offenbarungen, wie nur die Bewegung Adolf Hitlers vermitteln kann.
(„Deutsches Recht“ (BNSDJ) vom 10. Mai 34 über den 3. Mai; 1934), S. 217
Ich kann auch dieser Berichterstattung nicht entnehmen, dass es in Weimar zu einer Presse-Konferenz gekommen ist.
[3] Hierbei drückte sich gleichzeitig die grundlegende Harmonie aus, die diesen beiden Mitkämpfer des Führers, jeder aus seinem weiten Gebiet, schöpften: Rechtsphilosophie im Sinne des Nationalsozialismus bedeutet nicht normativistische Festlegung einer Lehre;
– „normativistisch“ ist zur selben Zeit auch eines der Lieblingsschimpfwörter Carl Schmitts –
sie kann nur bedeuten Ueberprüfung der Voraussetzung, der Grundbegriffe, um sie vor Verfälschung und Mißbrauch durch Unberufene zu schützen. Ein Lebensrecht zu schaffen und kein Formalrecht; den Primat des Volkes und nicht des Apparates zu wahren; kein Recht als Standesrecht einer vom Volk abgesplitterten Juristengilde mehr zuzulassen; ein Recht zu setzen, das dienen soll der Allgemeinheit, der Stärkung eines ewigen Staatswertes und nicht der Fixierung wechselnder Staatsformen. Und wenn Alfred Rosenberg die Wahrung der Rechte der Nation an die Spitze stellte und die Verbindung des Rechts mit der Soziallehre als den wesentlichen Unterbau eines stolzen Volkes bezeichnete, so kennzeichnete er damit ebenso sehr das Aufbauwerk des soeben abgeschlossenen ersten Jahres des Nationalsozialismus wie den Grundgedanken aller zukünftigen Volksgestaltung. Daß es sich nicht um die Produzierung möglichst vieler Gedanken, als vielmehr um die Gestaltung eines neuen Denkens handle, war dieselbe Erkenntnis, die Frank mit der Forderung der Gestaltung eines völlig neuen Juristentyps vertrat.
(„Deutsches Recht“ (BNSDJ) vom 10. Mai 34 über den 3. Mai; 1934), S. 218
Erkennbar wird in dieser Berichterstattung das »Volksprimat« in den Vordergrund gerückt. Das verdankt sich dem Adressatenkreis dieses Zentralorgans. So erkläre ich mir auch, dass die vielen »Bürgerlichen« des Ausschusses für Rechtsphilosophie gar nicht erst erwähnt werden.
[4] Die Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für deutsches Recht hat für die geistige Führung der Lebensrechte der Nation ein wesentliches Fundament geschaffen; sie wird sich auswirken auf allen Gebieten, auf denen der Nationalsozialismus kämpferisch und streitbar die Fahne Adolf Hitlers aufgepflanzt hat.
*
(„Deutsches Recht“ (BNSDJ) vom 10. Mai 34 über den 3. Mai; 1934), S. 218
Da Adolf Hitlers „Mein Kampf“ gespickt ist mit rechtsphilosophische und rechtsgeschichtlichen Äußerungen und die Herausgeber des Zentralorgan des BNSDJ verlangen durften, dass ihre Leser „Mein Kampf“ kannten, erschien diesen Lesern dieser Berichterstattung Adolf Hitler als Vater der Offenbarung, die die nationalsozialistische Rechtsphilosophie sei. Vermutlich meinten sie, es handele sich um eine Kopfgeburt. Ich wüsste jedenfalls nicht, welche Frau im Gründungsmystizismus des akademischen Nationalsozialismus vorkommen könnte.
[5] Wir bringen im nächsten Heft einen ausführlichen Auszug der Reden der Reichsleiter Dr. Frank und Alfred Rosenberg bei der Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für deutsches Recht.●
(„Deutsches Recht“ (BNSDJ) vom 10. Mai 34 über den 3. Mai; 1934), S. 218
Tatsächlich erschienen dann im nächsten Heft am 25. Mai 1934 Langversionen beider Reden. Ich stelle sie ausführlich erst zu Beginn meines dritten Teils vor.
4.7.2. Das Amtsblatt „Deutsche Justiz“ des Reichsjustizministeriums vom 11. Mai 1934
Auch im Amtsblatt Deutsche Justiz des Reichsjustizministeriums wurde über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie berichtet. Der Bericht ist in Heft 19 des Jahrgangs am 11. Mai 1934 veröffentlicht worden. Im Amtsblatt gab es eine Rubrik „Was den Juristen interessiert“. In den Anfangsjahren gab es regelmäßig eine Unterrubrik „Aus der Akademie für Deutsches Recht“.
In dieser Unterrubrik wurde in Heft 19 vom 11. Mai 1934 des Jahrgangs zunächst über den „Presseempfang der Akademie“ (nicht des Ausschusses) vom 5. Mai 1934 in Berlin (S. 619) und dann erst über die „Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses“ (S. 619 f.) berichtet.
Die Darstellung der Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie in der Zeitschrift „Deutsche Justiz“ weicht nicht ab von den bereits referierten und zitierten Darstellungen:
Gründung des rechtsphilosophischen Ausschusses
[1] Am Donnerstag, 3, Mai, fand in Weimar in den historischen Räumen des Nietzsche-Archivs in Anwesenheit von Frau Dr. Elisabeth Förster-Nietzsche, der Schwester des großen Philosophen, die konstituierende Sitzung des Rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht statt.
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Im nächsten Absatz unterscheidet sich die Berichterstattung von der im Zentralorgan des BNSDJ. Lesern des Amtsblattes des Reichsjustizministeriums wurde mitgeteilt, dass es „maßgebende“ Rechtsphilosophien gab, die nicht identisch mit Hans Frank und Alfred Rosenberg waren. Sie waren aber nur dabei, als Hans Frank und Alfred Rosenberg redeten. Ihre Namen erfahren die Leser nicht. Erst recht nicht, dass vielen von ihnen Alfred Rosenberg als schlichte Mitglieder gleichgestellt waren.
[2] Im Beisein maßgebender Rechtsphilosophen und hervorragender Vertreter der Partei eröffnete Reichsjustizkommissar Staatsminister Dr. FRANK den Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht. Nach ehrenden Worten des Dankes an Frau Förster-Nietzsche für die Lebensarbeit, die sie dem Werke ihres großen Bruders und damit | S. 620 dem Deutschtum und der arischen Menschheit gewidmet habe, führte Reichsjustizkommissar Dr. Hans Frank u.a. folgendes aus:
[…][5] Im Anschluß an den Vortrag des Reichsjustizkommissars Dr. Frank ergriff der Reichsleiter Alfred ROSENBERG das Wort zu folgenden Äußerungen:
[…][11] Nach diesen beiden Referaten trat der Ausschuß zu einer Arbeitstagung zusammen.●
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Wie bereits im Zentralorgan des BNSDJ wurden auch die Leser des Amtsblattes des Reichsjustizministeriums nicht darüber informiert, dass Professor Emge eine dritte Rede gehalten hat.
Was berichtete das Amtsblatt Deutsche Justiz über Hans Franks Rede? Auffällig wenig und nichts Neues im Vergleich zu den anderen Wiedergaben.
[3] „Die Anknüpfung der Arbeit des Rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht an Nietzsche ist für uns eine Pflicht. Er vor allem war einer der Künder jenes autoritären herrischen Empfindens, das unser Volk durch den Weltkrieg hindurch aufrecht erhielt und diesem Volk damit gleichzeitig eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt unter Adolf Hitler übertrug.
[4] Wir im engeren Kreis unseres Ausschusses für Rechtsphilosophie wollen die Sammlung der allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus als volksbetonter Autoritätslehre in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus, alle die Bausteine des nationalsozialistischen Werdens nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln. Der Nationalsozialismus kündet dem deutschen Menschen die geistige Freiheit, weil er mit dem Mittelalter Schluß macht auf allen Gebeiten und vor allem auf dem Gebiet der philosophischen Entwicklung des Rechts. Der Nationalsozialismus verschafft jetzt den großen Gedanken unserer deutschen Denker Wirklichkeitsrechte auf deutschem Boden und macht sie zum weltanschaulichen Besitz der deutschen Volksgenossen überhaupt.“
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Auch hier wurde Franks Rede vom »ewigen deutschen Gott«, von den »Niedermächten« und vom »Richterkönig« als dem Ziel des Nationalsozialismus nicht wiedergegeben.
Was berichtete das Amtsblatt Deutsche Justiz über die Rede von Alfred Rosenberg? Auffällig wenig und nichts Neues im Vergleich zu den anderen Wiedergaben.
[6] „Vier Mächte sind es innerhalb des volklich-staatlichen Lebens, die vor allem berufen erscheinen, entgegen rein subjektivistischen Bestrebungen in sich geschlossene Menschentypen zu schaffen und zu erhalten. Das Heer, die Kirche, die Justiz und die Schule. Die nationalsozialistische Bewegung hat die große Sendung zu erfüllen, die Voraussetzungen aller dieser formenden Mächte des Volkes und des Staates zu überprüfen und sie, auf das gemeinsame Schicksal bezogen, gleichgerichtet in das Ringen der Zukunft zu stellen, damit nicht innerhalb einer einzigen Nation bei den zur Erhaltung der Gesamtheit berufenen Mächte Trennung oder gar offene Feindschaft entsteht. Deshalb müssen auch jene geistigen Machtgruppen untersucht werden, die sich noch als typenschaffend und erhaltend gezeigt haben. Da ist es vor allen Dingen das Rechtsdenken, um das heute erbittert und zugleich tief begründet gestritten wird.
[7] Es gibt kein Recht an sich, sondern das Recht ist das, was arische Menschen für recht befinden, Unrecht ist das, was sie verwerfen. Von diesem Gesichtspunkt aus wird die nationalsozialistische Bewegung keinen großen Wert auf eine Rechtsphilosophie an sich legen, sondern wird von den berufenen Bearbeitern dieses Gebietes zunächst die Klarstellung fordern, welcher Charakterart der germanische deutsche Mensch gewesen ist, welche Begabungen und Begrenzungen sein Wesen ausmachten, welche Werte für sein Leben bezeichnend waren, als er schöpfungsmäßig[208] dastand. Mit dieser Forderung ist ein tiefes Bekenntnis zu jenem Denker verbunden, dessen Auferstehung erst in den heutigen Tagen beginnt, zu Friedrich Nietzsche.
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Leser dieser Berichterstattung würden die Frage nach »dem Vater« der nationalsozialistischen Rechtsphilosophie vermutlich mit „Friedrich Nietzsche“ beantworten.
[8] Entgegen einer dem Nihilismus zutreibenden Zeit der alles verflachenden Demokratie kämpfte er als Einsamer für eine neue Rangordnung der Werte. Das ganze deutsche Rechtsleben beruht aber seit dem ersten Auftreten des Germanentums eigentlich auf einem einzigen Werte, auf dem Werte der Ehre.
[9] Das persönliche Ehrbewußtsein wurde später überhöht vom Stammesbewußtsein, bis dann an seine Stelle Staat und Kirche traten. In einer verhängnisvollen Zeit wurde diese Entwicklung vom persönlichen zum völkischen Ehrbegriff durch das Eindringen des rein privatkapitalistischen spätrömischen Rechts unterbrochen.
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Habe ich bereits erwähnt, dass die Betonung, dass nur das spätrömische, nicht aber das römische Recht als Ganzes zur Quelle des Niedergangs des Germanentums gemacht wird, eine wichtige Korrektur an Punkt 19 des Programms der NSDAP vom Februar 1920[209] ist? Wie immer die Antwort auf die Frage lautet, diese Betonung ist wichtig. Denn nur so war der akademische Nationalsozialismus grundsätzlich bündnisfähig mit Italien. Ich zitiere weiter Absatz 9.
Hier war die Rechtsnorm überhaupt, die Voraussetzung für alles Übrige, einfach nicht vorhanden, und das Grundlegende einer nationalsozialistischen Rechts- und Staatsauffassung wird darin bestehen müssen, die Wahrung der Ehre der Nation an die Spitze aller Rechtserneuerung zu stellen.
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Denn dadurch würde die »unheilvolle« Unterbrechung der geistesgeschichtlichen Entwicklung des Germanentums vom »persönlichen Ehebegriff« zum »völkischen Ehrbegriff« durch die »Heilslehre« des Nationalsozialismus überwunden. Ich zitiere weiter Absatz 9:
Von diesem Gesichtspunkt aus wird es Aufgabe einer deutschen Rechtsphilosophie sein, das Verhältnis zwischen Volk und Staat, zwischen Recht und Politik einer tiefgehenden Untersuchung zu unterziehen und gemeinsam mit den Vertretern der deutschen Rassenkunde und Rassenhygiene gefühlsmäßig und theoretisch eine geistige Höherwertigkeit als Voraussetzung jeder rechtlichen Bewegung vorzubereiten.
[10] Heute erreicht eine organisch starke Staatsgewalt unserer Zeit, somit auch eine in Charakter, Boden und Geschichte wurzelnde Rechtsnorm als typenschaffende Kraft für kommende Jahrhunderte. Ein Kämpfer unerschrockenen Sinnes dafür war Friedrich Nietzsche. Deshalb wollen wir Nationalsozialisten in der heutigen Zeit des Kampfes einen Streiter wie Friedrich Nietzsche nicht missen.“
(Bericht im Amtsblatt des RJM „Deutsche Justiz“ vom 11. Mai 34 über den 3. Mai; 1934)
Soweit die Wiedergabe der Rede von Alfred Rosenberg vom 3. Mai 1934 im Amtsblatt des Reichsjustizministeriums. Mir ist nichts Bedeutendes aufgefallen, das nur hier mitgeteilt worden wäre.
Das wichtigste Ergebnis meines Abschnitts 4.7. ist es, dass in den beiden Berichterstattungen des Fachzeitschriften der BNSDJ und den Reichsjustizministeriums vom 10. und 11. Mai 1934 nicht mitgeteilt wurde, wer Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Die Leser erfuhren nicht einmal, dass Hans Frank Ausschussvorsitzender und Rosenberg Mitglied des Ausschusses gewesen sind. Sie erfuhren nur, dass die beiden Reden anlässlich der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehalten worden sind.
4.7.3. Das Zentralorgan des BNSDJ „Deutsches Recht“ vom 25. Mai 1934
Wie bereits erwähnt, erschienen Im Zentralorgan des BNSDJ Deutsches Recht am 25. Mai 1934 Langversionen der beiden Reden von Hans Frank und Alfred Rosenberg. Da sich inhaltlich nichts Neues ergibt, stelle ich sie erst zu Beginn meines Teils III vor. Wer so lange nicht warten möchte, findet sie im Quellenverzeichnis / Quelle 3.
Ich zitiere nur die erläuternde Bemerkung der Schriftleiters „R. Schraut“, der laut Titelseite des ersten Heftes des Jahres 1934 Oberregierungsrat im Reichsjustizministerium gewesen ist:
Lebensrecht, nicht Formalrecht
Am 3. Mai 1934 wurde in Weimar der Rechtsphilosophische Ausschuß der Akademie für Deutsches Recht gegründet (vgl. Heft 9, Seite 217). Es sprachen Reichsjustizkommissar Dr. Frank und Reichsleiter Alfred Rosenberg. Wir lassen die beiden Ansprachen folgen. Schriftleitung.
“Deutsches Recht“ (BNSDJ) vom 25. Mai 1934, S. 231
Am 10. Mai 1934 waren noch „ausführliche Auszüge“ angekündigt worden. Nun erweckte die Schriftleitung den Eindruck, es würden die Gesamtansprachen veröffentlicht werden. Wie bereits im Völkischen Beobachter wurden auch im Zentralorgan des BNSDJ Deutsches Recht die letzten Ausführungen Hans Franks zum »ewigen deutschen Gott« und dem »Richterkönig« als Ziel des Nationalsozialismus nicht wiedergegeben.
Falls es 1934 Pläne gegeben haben sollte, bereits in näherer oder ferner Zukunft zu einer Erbmonarchie zurückzukehren, dann wollten die Schriftleitungen des VB und des Zentralorgans des BNSDJ diese Pläne lieber nicht öffentlich machen.
Ich zitiere erneut das Ende der Rede Hans Franks, das nur in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschlands am 4. Mai 1934 öffentlich gemacht worden ist: Dieses Mal unterbreche ich die Lektüre nicht durch Erläuterungen:
[5] […] In diesem Sinne bitte ich, dass der Ausschuss als ein Kampfausschuss des Nationalsozialismus sich konstituiert, der betont, daß die nationalsozialistische Revolution schon um deswillen nicht bagatellisiert werden kann, weil der Nationalsozialismus in Adolf Hitler einen Mann und einen Schöpfer besitzt, der auch in dem geistigen Bereich des deutschen Lebens und der deutschen Lebensentwicklung die letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschentums überhaupt bedeutet, noch einmal mit dem Schicksal fertig zu werden. Unsere Ueberzeugung darf nicht gebunden sein an unser Leben, darf nicht gebunden sein an dieses kurze Schicksal, das dem einzelnen bestimmt ist. Wir sind hier eine Gemeinschaft, die beschlossen hat, die soziale Grundlage des Nationalsozialismus für das deutsche Rechtsleben frei aufzubauen und sie dem Führer zu übergeben als fundamentale Substanz unseres Widerstandes gegen die Niedermächte.
[6] Ein weiteres Fundament ist die Disziplin des deutschen Volkes in dem großen Sinne des soldatischen Erlebnisses unserer Nation. Wir werden mit dem Liberalismus, dem Marxismus und den anderen Niedermächten nicht fertig werden, wenn es geduldet werden könnte, daß irgendwo in dem weiten Volksbereich immer wieder die Zersetzungskeime sich ansetzen. Hier wird der beste Begriff der Verteidigung der Sturmangriff auf die Bastionen unserer geistigen Gegner sein. Und sie sollen es spüren, daß wir siegen werden im Kampfe um die geistige Erneuerung des deutschen Volkes. Als weiteres Fundament der Weltanschauung werden wir den großen deutschen Glauben haben. Wir sind frei vom Konfessionalismus irgendwelcher Art und wir halten doch treu zu dem ewigen Gott, der das Schicksal der Völker in seinen Händen trägt. Wenn man so Großes plant, wie unsere schöpferische Zeit, dann müssen wir auch die Demut vor diesem ewigen Gott in uns tragen, und wir, die wir diese Bewegung von ihren ersten Anfängen an miterlebt haben, wir sind in diesem Glauben an den ewigen deutschen Gott immer wieder bestärkt worden,sonst hätten wir diesen Kampf nicht bestanden. Wir werden auch daran zu denken haben, daß unsere Arbeit nicht nur dienen soll der Gesetzgebung, sondern daß sie vor allem schaffen soll den neuen Typ des deutschen Juristen. Wenn es schon Priester gibt, dann soll es auch Priester der deutschen Weltanschauung geben. Unser Ziel: der Richterkönig der deutschen Kämpfer am Recht, das deutsche Recht und die Vereinigung von deutscher Rechtsseele und deutscher Volksseele.●
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 2
4.8. Ergebnissicherung
Das wichtigste Ergebnis aus meiner Darstellung dieser Quellengruppe zum Ausschuss für Rechtsphilosophie ist so offensichtlich, dass Gefahr droht, man könne es nicht bemerken. Deshalb formuliere ich es ausdrücklich als ersten Punkt:
1. Es gab eine ausführliche, weitgehend korrekte, informative Berichterstattung mehrerer – bürgerlicher und nationalsozialistischer – Zeitungen am 3., 4. und 5. Mai 1934 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Weite Teile der lesenden Bevölkerung Deutschlands hatten somit Zugang zu dem Wissen, wer (ungefähr) zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehörte und dass Hans Frank und Alfred Rosenberg »weltanschauliche« Eröffnungsreden hielten, die deutlich machten, dass in diesem Ausschuss eine nationalsozialistische Rechtsphilosophie entwickelt werden sollte, in denen die Begriffe „Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus“ zentral sein sollten.
2. Bezüglich der Mitglieder war die Zeitungsberichterstattung weitgehend korrekt, wenn auch nicht immer klar wurde, wer Mitglied und wer vielleicht nur Gast gewesen ist. Mit Blick auf die zwölf Personen, die nachweislich noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind, war für die Zeitungsleser des Mais 1934 nur unklar, ob mit „Staatsrat Schmidt“ Staatsrat Professor Carl Schmitt oder Geheimrat Professor Richard Schmidt (1862 – 1944) gemeint gewesen ist.
Folgende Tabelle hilft hoffentlich, eine Übersicht über die Mitgliederinformationen zu erhalten. Die Datumsangaben bezeichnen den Zeitpunkt der Erstellung der Information. Die Quelle, die ich in der Spalte „Franks Handbuch“ auswerte, werde ich in Abschnitt 6 vorstellen.
Akte Emges, fol. 35 + 37; Mai 34 | Frankfurter Zeitung 4.5.34 | Völkischer Beobachter 5.5.34 | All. Thüringische Landeszeitung Dt. 4.5.34 | Protokoll Emges fol. 127 f. ≤ 12.6.34 | Franks Handbuch „Mitglieder“ ≥ 13.6. + ≤ 25.6.34 | BArch R 61/30, 171 (> 17.7.1941-Jan. 1943) | |
Hans Frank | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja |
C. A. Emge | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja |
Rosenberg | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja |
Helmut Nicolai | Ja | Ja | Nein | Ja | Ja[210] | Ja | Nein |
Carl Schmitt | Ja | Schmidt | Nein | Schmidt | Ja | Ja | Ja |
W. Kisch | ergänzt | Ja | Nein | Ja | Ja | Nein | Ja |
Heidegger | Ja | Ja | Heidecker | Ja | Ja | Ja | Ja |
E. Rothacker | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja |
R. Stammler | Ja | Ja | Ja | Nein | Ja | Ja | Nein |
Julius Binder | Ja | Ja | Nein | Nein | Ja | Ja | Nein |
E. Heymann | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja |
Erich Jung | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja |
Viktor Bruns | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Nein | Ja |
Hans Freyer | Ja | Ja | Dreyer | Ja | Ja | Ja | Ja |
von Uexküll | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Nein | Nein |
H. Naumann | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Nein |
Max Mikorey | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja[211] | Ja |
Luetgebrune | ergänzt | Nein | Ja | Nein | Ja | Nein | Nein |
R. Buttmann | ergänzt | Nein | Nein | Nein | Nein | Ja | Nein |
Ernst Krieck | ergänzt | Nein | Nein | Nein | Nein | Nein | Nein |
Otto Weber | Nein | Nein | Ja | Gast | Nein | Nein | Nein |
Rasse-Günther | Nein | Nein | Ja | Nein | Nein | Nein | Nein |
W. Heuber | Nein | Nein | Ja | Nein | Nein | Nein | Nein |
Karl Lasch | Nein | Nein | Ja | Nein | Nein | Nein | Nein |
W. v. Blomberg | Nein | Nein | Nein | Nein | Nein | Ja | Nein |
Curt Liebmann | Nein | Nein | Nein | Nein | Nein | Jein (Vrtr.) | Nein |
Einige Leser wurden auch darüber informiert, dass Walter Luetgebrune und Rasse-Günther anwesend waren, als der Ausschuss für Rechtsphilosophie konstituiert wurde. Luetgebrune und Rasse-Günther waren damals deutlich bekannter als heute. Die Nennung ihrer Namen hat vielen Leser zusätzlich deutlich gemacht, dass es sich um einen nationalsozialistischen und rassistischen Ausschuss für Rechtsphilosophie handelte.
3. Im Völkischen Beobachter vom 4. Mai 1934 wird die Rede von Rosenberg am ausführlichsten wiedergegeben. Alfred Rosenbergs Zustimmung zur Forderung von Nietzsche nach einer Partei des Lebens war Anlass für einen Exkurs zur „Höherzüchtung der Menschheit“ und zu Himmlers „Lebensborn e.V.“. Ich zitiere Rosenbergs Bezugnahme auf Nietzsches „Partei des Lebens“ erneut:
[19] Entgegen der ganzen blutleeren Schulwissenschaft forderte Nietzsche „die Partei des Lebens“ und damit die Unterstützung alles dessen, was dieses Leben läutert und stärkt.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
4. Den Leser des Völkischen Beobachters und den Leser der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland wurde der Eindruck vermittelt, sie würden die Rede Hans Franks vollständig lesen. Die Langversion des VB ist aber deutlich länger als die der Thüringischen Landeszeitung. Trotzdem gibt die Thüringischen Landeszeitung Verlautbarungen Hans Franks wieder, die im VB nicht zu finden sind:
Nur in der Version der Rede Hans Franks, die in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland veröffentlicht wurde, behauptet Hans Frank, dass Hitler die „letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschentums“ sei, nur hier schreibt er »dem ewigen Gott« das Attribut der Deutschheit zu und nur hier wird als das Ziel der nationalsozialistischen Rechtsphilosophie »der Richterkönig« verkündet. Das zitiere ich deswegen erneut:
[6] […] In diesem Sinne bitte ich, dass der Ausschuss als ein Kampfausschuss des Nationalsozialismus sich konstituiert, der betont, daß die nationalsozialistische Revolution schon um deswillen nicht bagatellisiert werden kann, weil der Nationalsozialismus in Adolf Hitler einen Mann und einen Schöpfer besitzt, der auch in dem geistigen Bereich des deutschen Lebens und der deutschen Lebensentwicklung die letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschentums überhaupt bedeutet, noch einmal mit dem Schicksal fertig zu werden.
[7] […] Wir sind frei vom Konfessionalismus irgendwelcher Art und wir halten doch treu zu dem ewigen Gott, der das Schicksal der Völker in seinen Händen trägt. Wenn man so Großes plant, wie unsere schöpferische Zeit, dann müssen wir auch die Demut vor diesem ewigen Gott in uns tragen, und wir, die wir diese Bewegung von ihren ersten Anfängen an miterlebt haben, wir sind in diesem Glauben an den ewigen deutschen Gott immer wieder bestärkt worden, sonst hätten wir diesen Kampf nicht bestanden. Wir werden auch daran zu denken haben, daß unsere Arbeit nicht nur dienen soll der Gesetzgebung, sondern daß sie vor allem schaffen soll den neuen Typ des deutschen Juristen. Wenn es schon Priester gibt, dann soll es auch Priester der deutschen Weltanschauung geben. Unser Ziel: der Richterkönig der deutschen Kämpfer am Recht, das deutsche Recht und die Vereinigung von deutscher Rechtsseele und deutscher Volksseele.●
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 2
Dass diese Formulierungen einer Selbst- oder Fremdzensur zum Opfer fielen, lässt sich leicht erklären: Wie sollte mit dem faschistischen Italien ein – vorübergehendes – Bündnis geschlossen werden, wenn öffentlich bekannt gegeben wurde, dass die akademischen Nationalsozialisten glaubten, der ewige Gott sei ein Deutscher? Und wie sollte 1934 einer »Massenpartei« wie der NSDAP schmackhaft gemacht werden, dass sie sich selbst – in näherer oder fernerer Zukunft – zu Gunsten einer ewigen Erbmonarchie deutscher Richterkönige abschaffen sollte? Und wie sollte 1934 ggf. den akademischen Nationalsozialisten der AfDR schmackhaft gemacht werden, dass womöglich »der Führer« Stammvater dieser ewigen, neuen Erblinie von deutschen Richterkönigen sein sollte?
Gerade weil diese Verlautbarungen Hans Frank – »der ewige deutsche Gott«, »Hitler, die letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschtums« und »die Krönung eines ewigen deutschen Richterkönigtums« – taktische Schwierigkeiten bewirken mussten, Hans Frank sie aber trotzdem äußerte, sind sie hilfreich, das strategische Ziel des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu identifizieren. Klug war es aber, dieses Ziel 1934 nicht öffentlich bekannt zu geben. Und falls der Ausschuss für Rechtsphilosophie keine tagestauglichen Ergebnisse produzieren konnte, wäre es klüger, seine Existenz in Vergessenheit geraten zu lassen. Das ist dann auch gemacht worden.
Es gibt eine weitere Veröffentlichung der Langversionen der Reden von Hans Frank und Alfred Rosenberg. Und zwar sind sie in Heft 10 vom 25. Mai 1934 der Zeitschrift „Deutsches Recht. Zentral-Organ des Bundes Nationalsozialistischer Juristen“ abgedruckt worden. Führer des BNSDJ und Herausgeber der Zeitschrift war Hans Frank. In dieser Veröffentlichung kommen die Äußerungen von Hans Frank über den »ewigen deutschen Gott«, von »Hitler, die letzte große Möglichkeit des deutschen arischen Menschtums« und dem »Richterkönig« ebenfalls nicht vor. Das bestätigt meine Erklärung, dass erkannt worden ist, dass diese »konfessionellen Bekenntnisse« des Vorsitzenden des Ausschuss für Rechtsphilosophie nichts für die Öffentlichkeit des Jahres 1934 waren.
5. Nur in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland und in der Weimarischen Zeitung wird berichtet, dass es eine dritte Rede gab. Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Professor Carl August Emge, hielt sie. In ihr skizzierte Emge neun Unterausschüsse, die innerhalb des Ausschusses für Rechtsphilosophie gebildet werden sollten.
6. Durch die Langversionen der Reden von Alfred Rosenberg und Hans Frank und der Wiedergabe der Rede Professor Emges existierte eine öffentlich zugängliche und ausführliche Darstellung dessen, was der Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR inhaltlich wie leisten sollte.
7. In den Fachzeitschriften der NS-Bewegung („Deutsches Recht“) und des NS-Staates („Deutsches Justiz“) ist ebenfalls über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie berichtet worden. Und zwar am 10. Mai („Deutsches Recht“) und am 11. Mai 1934 („Deutsche Justiz“). Es werden Auszüge aus den Reden von Hans Frank und Alfred Rosenberg wiedergegeben. Die Wiedergaben enthalten keine neue Information. Wichtig ist, was in diesen Berichterstattungen über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie nicht mitgeteilt wird:
Die Leser dieser beiden nationalsozialistischen Fachorgane erfahren am 10. bzw. 11. Mai 1934 nicht mehr, wer Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Die Leser erfuhren nicht einmal, dass Hans Frank Ausschussvorsitzender und Rosenberg Mitglied des Ausschusses gewesen sind. Sie erfuhren nur, dass die beiden Reden anlässlich der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai im Nietzsche-Archiv in Weimar gehalten worden sind.
Ich stelle in den nächsten beiden Abschnitten zwei weitere zeitgenössische Bezugnahmen auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie vor, die vermutlich für die Ewigkeit gedacht waren. Das ist zum einen das „Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung“, dessen Herausgeber Hans Frank war und das seine Imprimatur von der NSDAP am 15. Dezember 1934 erhielt (Abschnitt 5). Die Bezugnahmen auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie sind quantitativ und qualitativ weder auffällig ausführlich noch auffällig sparsam. Im dem Nachschlagewerk „Das Deutsche Führerlexikon 1934/35“ wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie nur ein einziges Mal erwähnt. Emge erwähnt, dass er stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie sei. Das ist auffällig sparsam (Abschnitt 6).
Vorab noch der Exkurs, für den Hans Franks Rede von einem »ewigen deutschen Gott« den Anlass geboten hat.
4.9. Exkurs: Siegfried Blaas „Der Rassengedanke“ von 1940
Anlass für diesen Exkurs ist ein Absatz, der in der Allgemeinen Thüringischer Landeszeitung Deutschland am 4. Mai 1934 als Wiedergabe aus der Rede von Hans Frank abgedruckt worden ist. Ich zitiere diesen Absatz erneut:
[13] Ein weiteres Fundament ist die Disziplin des deutschen Volkes in dem großen Sinne des soldatischen Erlebnisses unserer Nation. Wir werden mit dem Liberalismus, dem Marxismus und den anderen Niedermächten nicht fertig werden, wenn es geduldet werden könnte, daß irgendwo in dem weiten Volksbereich immer wieder die Zersetzungskeime sich ansetzen. Hier wird der beste Begriff der Verteidigung der Sturmangriff auf die Bastionen unserer geistigen Gegner sein. Und sie sollen es spüren, daß wir siegen werden im Kampfe um die geistige Erneuerung des deutschen Volkes. Als weiteres Fundament der Weltanschauung werden wir den großen deutschen Glauben haben. Wir sind frei vom Konfessionalismus irgendwelcher Art und wir halten doch treu zu dem ewigen Gott, der das Schicksal der Völker in seinen Händen trägt. Wenn man so Großes plant, wie unsere schöpferische Zeit, dann müssen wir auch die Demut vor diesem ewigen Gott in uns tragen, und wir, die wir diese Bewegung von ihren ersten Anfängen an miterlebt haben, wir sind in diesem Glauben an den ewigen deutschen Gott immer wieder bestärkt worden, sonst hätten wir diesen Kampf nicht bestanden. Wir werden auch daran zu denken haben, daß unsere Arbeit nicht nur dienen soll der Gesetzgebung, sondern daß sie vor allem schaffen soll den neuen Typ des deutschen Juristen. Wenn es schon Priester gibt, dann soll es auch Priester der deutschen Weltanschauung geben. Unser Ziel: der Richterkönig der deutschen Kämpfer am Recht, das deutsche Recht und die Vereinigung von deutscher Rechtsseele und deutscher Volksseele.●
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 2
Nimmt man Hans Franks Zielbestimmung ernst, und ich kenne keinen Grund, sie nicht ernst zu nehmen, dann plante der akademische Nationalsozialismus die Schöpfung einer neuen Dynastie, einer Dynastie eines neuen Typs deutscher Juristen geführt von einem Richterkönig.
Auch sollte man Hans Franks Anbetung eines „ewigen deutschen Gottes“ ernst nehmen. Wenige Jahre nach seiner Rede werden SS-Anwärter auf den Personalbögen der SS im Kästchen „Religion“ gerne handschriftlich „deutsch-gläubig“ eintragen. Auf späteren Personalbögen ist dann durch Vordruck diese Option bereits als ein Normalfall anerkannt, ja vorgegeben worden.
Erich Jung und Erich Rothacker werden für Degeners „Wer ist’s?“ (1935) angeben, sie seien von der „evangelischen“ zur „arischen“ Konfession gewechselt. Hans Frank wird dort mitteilen, er sei von der „altkatholischen“ zu „arischen Konfession“ gewechselt (siehe Abschnitt 6.2.).
1940 erschien ein Buch mit dem Titel „Der Rassegedanke. Seine biologische und philosophische Grundlegung“ im einflussreichen Berliner Verlag Junker und Dünnhaupt. Als Verfasser wird Siegfried Blaas genannt.[212]
Carolina Pertoll hat die Krypotonachlässe der österreichische Schriftstellerin Erna Blaas (1895-1990) ausgewertet und die Ergebnisse in ihrer Wiener Diplomarbeit veröffentlicht. Das Buch „Der Rassegedanke“ von 1940 ist sehr wahrscheinlich eine überarbeitete Fassung der Grazer Dissertation ihres Sohnes:
Erna Blaas’ Sohn Siegfried Blaas verfasste darüber hinaus in den frühen 1930er Jahren eine Dissertation mit dem Titel Der Rassegedanke, seine biologische und philosophische Grundlegung, die scheinbar erste nationalsozialistische der Universität Graz, betreut von einem Professor, der sich nach dem ‚Anschluss Österreichs‘ als illegaler S.A.-Mann entpuppte. (Vgl. E.B. an Cäcilie Schrems, 14.5.1938; NL E.B. u. vgl. Universitätsbibliothek Graz an E.B., 30.4.1959; NL E.B.)
Ich weiß nicht, wer dieser Professor war, der sich nach dem »Anschluss Österreichs« als illegaler S.A.-Mann entpuppte.
Bei der Erstellung der Arbeit stand Siegfried Blaas im regen Austausch mit seinem Onkel Richard über die scheinbar wissenschaftliche Annäherung an die nationalsozialistische Rassentheorie. (Vgl. etwa Richard Schrems an Siegfried Blaas, 7.1.1930, 19.5.1937, 9.11.1937 u. 9.2.1938; NL E.B.) Nicht zuletzt war Blaas’ Sohn Bruno bereits vor der Herrschaftserweiterung Hitlers im März 1938 Mitglied der Hitler-Jugend. […]
(Pertoll 2014), S. 91, Fußnote 533
Die Quellenangaben beziehen sich auf Dokumente der Kryptonachlässen von Leo, Josef, Erich, Erika und Siegfried Blaas, die in der Diplomarbeit von Pertoll ausgewertet werden.
Ich zweifle daran, dass der Sohn von Erna Blaas den Text „Der Rassegedanke“ selbständig verfasst hat, da er erst 1934[213] in Salzburg am dortigen Akademischen Gymnasium Abitur gemacht hat[214] und der Text für einen so jungen Mann in einem zu gelehrten Tonfall verfasst ist.
Folgt man dem Hinweis von Pertoll, wäre Richard Schrems, ein Bruder von Erna Blaas, der wahre Urheber dieses Textes. Bislang konnte ich aber noch nicht ermitteln, dass Richard Schrems über die erforderliche akademische Bildung verfügte, diesen Text zu verfassen.
Neben biologischem Fachwissen mittlerer Qualität brauchte es vor allem profunde Kenntnisse der Philosophie, insbesondere der Philosophie Martin Heideggers und seines Textes „Was ist Metaphysik?“. 1940 existierten drei Auflagen dieses Textes von Martin Heidegger. Die Erstauflage war 1929, die zweite 1930 und die dritte 1931 erschienen.
Im Buch „Der Rassegedanke“ wird auf Seite 124 erstmalig auf diesen Text Heideggers Bezug genommen:
Hier ist der Ort, auf Martin Heideggers17) große und fast religiöse Offenbarung zu hören: sie hat die letzte überhaupt mögliche Aussage gewagt – eine Aussage, die das verschüttete urarische Grundmotiv in reinster, abstraktester Form vor das deutsche Zeitgewissenstellt – wie „Licht“ und „Finsternis“ – so: Sein und Nichts.
17) Vgl. die tiefsinnige Antrittsvorlesung: „Was ist Metaphysik?“
Indem nämlich, so lehrt Heidegger, das Seiende im Ganzen sich selbst setzt, wird – nicht, weil das Denken es fordert, sondern aus einer metaphysischen Notwendigkeit heraus, die ihrerseits erst jede Verneinung im Denken möglich macht – die Negation des Seienden mitgesetzt.
Dieser im Grunde Fichtesche Gedanke ist nur deshalb so bemerkenswert, weil er sich im Gegensatz zu allem Früheren dieser Art auf den höchsten kategorialen Gegensatz bezieht, der überhaupt möglich ist. Die scheinbare Paradoxie jedoch, welche in einer Lehre vom „Nichts“ als einem gleichsam – aber eben nur gleichsam – Seienden gelegen ist, hat Heidegger in vollem Bewußtsein der Logik gegenüber auf sich genommen, um den noch höheren Anforderungen metaphysischen Denkens gerecht zu werden. Seine Lehre ist keineswegs ein leeres Wortspiel, sie ist vielmehr beladen mit Weltgehalt. Sie enthält den einzigen echten Dualismus, von dem jeder andere nur abgeleitet ist, und übrigens zugleich auch den einzigen echten Monismus, da sie als „seiend“ ja in der Tat nur eines anerkennt. Ihr „Nichts“ ist | S. 125 wirklich „nichts“, es ist kein zweites Sein neben dem ersten, und „ist“ in einer eigentümlich schwebenden Art von „Seinsweise“ doch. Dieser – wie wir sagen könnten – „monistische Dualismus“, überaus selten rein erfaßt, ist als abstrakte Weltidee eine Grundeingebung des arischen Geistes und darum Unterbau fast aller großen Religionen und Philosophien, die wir als „nordisch“ anzusprechen haben. Die Gegenüberstellung von „Licht“ und „Finsternis“, ja sogar von „Geist“ und „Materie“ als ontologischer Prinzipien besagen letzten Endes nichts anderes als Heideggers Begriffspaar und ist in Wahrheit von den großen Denkern immer so erlebt worden.
(Blaas 1940), S. 124 f.
Nach dieser Darstellung der „urarischen Weltidee“ im Metaphysischen folgt eine Skizze ihrer Erscheinung in der Philosophiegeschichte. Darauf folgt eine Skizze ihrer Erscheinung in den neuesten Gestalten ihrer dichterischen Erfassung. Dabei wird auch Hans Carossas Dichtung erwähnt. Die 5. Auflage des Textes „Was ist Metaphysik?“ wird Heidegger 1949 Hans Carossa zu dessen 70. Geburtstag widmen. Ich zitiere Blass:
Wir begegnen der urarischen Weltidee durchaus nicht so selten auch in unserer Zeit, so bei Oswald Spengler, dessen leider gänzlich verfahrene Kulturphilosophie im Einzelnen doch viel Tiefsinn und echtestes arisches Erleben verrät; so wenn er von der „Weltsehnsucht“ seiner „Kulturpsychen“, die ihm metaphysische Wesenheiten sind, und wenn er von deren „Weltangst“ spricht und diese beiden Urerlebnisse symbolhaft mit „Zeit“ und „Raum“ in Beziehung setzt. Ganz wunderbar aber hat Rilke den Urgedanken aller arischen Metaphysik in seinem „Stundenbuch“ zum Ausdruck gebracht:
„Gott, wie begreif ich deine Stunde,
als du, daß sie im Raum sich runde,
die Stimme vor dich hingestellt;
dir war das Nichts wie eine Wunde,
da kühltest du sie mit der Welt.
Jetzt heilt es leise unter uns.
Denn die Vergangenheiten tranken
die vielen Fieber aus dem Kranken,
wir fühlen schon in sanftem Schwanken
den ruhigen Puls des Hintergrunds.
Wir liegen lindernd auf dem Nichts,
und wir verhüllen alle Risse;
du aber wächst ins Ungewisse
im Schatten deines Angesichts.“| S. 129
Auch die zeitnahe Dichtung Hans Carossas19) umschließt unfehlbar ihr „Lichtgeheimnis“ und Josef Weinheber20) steht „zwischen Göttern und Dämonen“ mit derselben wissenden Grundhaltung. –
19) Siehe Ernst Bertrams Aufsatz in „Das innere Reich“, Jg. 1937
20) Bei Langen-Müller, München.
(Blaas 1940), S, 128 f.
Kurz: Ich vermute, dass letztlich nicht jener Richard Schrems, der der Bruder der Mutter von Siegfried Blaas gewesen ist, sondern Martin Heidegger persönlich geistiger Urheber großer Teile des Textes „Der Rassegedanke“ (1940) gewesen ist.
Neben dem Zitierten sprechen dafür weitere Gründe:
1. Heidegger und Erna Blaas kannten einander,
2. sie veröffentlichten beide nach 1933 in der Zeitschrift Das Innere Reich,
3. sie könnten miteinander verwandt gewesen sein (ich habe eine Todesanzeige einer „Anna Blaas, geboren Heidegger“ (1848-1876), Bäckermeisterin in Obermais (Südtirol) gefunden, die eine gemeinsame Verwandte von Erna Blaas und Martin Heidegger sein könnte[215],
Abbildung 12: Todesanzeige Anna Blaas, geborene Heidegger (1848-1876)
4. im Sommer 1938 hatte Heidegger ein Forschungsfreisemester, von dem meines Wissens nicht mehr gewusst wird, wozu er es nutzte[216],
5. der Text „Der Rassegedanke“ (1940) erschien in einer sehr renommierten Reihe des akademischen Nationalsozialismus, die von Franz Alfred Six herausgegeben wurde, und vor allem
6. der Text „Der Rassegedanke“(1940) wurde mehrfach über mehrere Jahre von führenden NS-Rassisten rezensiert. Und zwar von Prof. Dr. Johann von Leers (1902-1965)[217], Kurt Hildebrandt (1881-1866)[218] und von Lothar Stengel-v. Rutkowski. Die Rezension von Stengel-v. Rutkowski erschien noch 1944 in Alfred Rosenbergs Nationalsozialistischen Monatsheften[219].
7. Siegfried Blaas, der vermeintliche oder tatsächliche »Held dieses wissenschaftlichen Erfassens des Rassegedankens«, war laut Pertoll an der Ostfront stationiert und gilt seit 1945 als vermisst.[220] Auch das spricht selbstverständlich gegen seine Autorschaft. Hervorragende Nachwuchswissenschaftler wurden von den akademischen Nationalsozialisten nicht an der Ostfront verheizt. Zeugen dubioser Machenschaften akademischer Nationalsozialisten schon eher, vielleicht sogar regelmäßig.
In Teil III werde ich den Inhalt des Textes „Der Rassegedanke“ ausführlich kommentieren. Wer immer sein geistiger Urheber war, der Text selbst ist sicherlich eine wichtige Erscheinung des Rassismus des akademischen Nationalsozialismus. Als Zusatzbeleg aus dem seltenen Text zitiere ich bereits hier die letzten beiden Absätze des kurzen Vorwortes:
[3] Oft – und fast in allen europäischen Kriegen der Gegenwart – ist freilich „Feind“ und „Angreifer“ nicht mehr dasselbe. Einer Staatsführung mit rassenkundlicher Einsicht bleibt dies auch keinesfalls verborgen und so nimmt Deutschland unter Adolf Hitler den Kampf gegen Polen und England nicht auf, ohne dahinter seines ärgsten – schon metaphysischen – Widersachers gegenwärtig zu sein.
[4] Mann gegen Mann vollzieht sich nun die Auseinandersetzung, die letzten Endes eine solche zwischen der arischen Artidee ist und ihrem unversöhnlichen Widerpart: der jüdischen Rasse. In der vorliegenden Arbeit soll derselbe Kampf noch einmal auf der theoretischen Ebene ausgefochten sein. Der Verfasser hofft, neben der rassenkundlichen Erkenntnis auch die Gewißheit zu vermitteln, daß unser Ringen um die Wahrheit schon ein Anfang des künftigen Sieges war.
Salzburg, am 15. September 1939●
Siegfried Blaas
(Blaas 1940), Vorwort
5. Nationalsozialistisches Handbuch-Wissen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie: Juni 1934
Adlberger (2007) und Tilitzki (2003) haben vor mir auf die Primärquelle, die ich in diesem Abschnitt auswerte, Bezug genommen.
Susanne Adlberger (2007) hat in einer Fußnote auf eine Nennung von Mitgliedern des Ausschusses durch Emge hingewiesen. Kisch werde nicht mehr erwähnt. Deswegen vermutete sie, dass Wilhelm Kisch nur kurzfristig Mitglied des Ausschusses gewesen sei.
Tilitzki hat 2003 fast alle Namen, die Emge. seinen Lesern mitgeteilt. Nur Max Mikorey wird von Tilitzki (2003) nicht erwähnt. Deswegen gebührt Tilitzki die Ehre, als erster wissenschaftlich korrekt nachgewiesen zu haben, dass Carl Schmitt bereits vor 1935 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Anderson (1982/87) hatte zuvor nur unbestimmt von „Mitte der 30-er Jahre“ als Zeitraum einer gemeinsamen Mitgliedschaft von Schmitt und Heidegger gesprochen.
In diesem kurzen Abschnitt präsentiere ich Emges Text (5.2.) unter einer ersten Berücksichtigung seines Veröffentlichungskontextes. In derselben Publikation findet sich auch eine Vorstellung der Ausschüsse der AfDR. Auch der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird vorgestellt. Wie ich noch zeigen werde, gilt das für spätere Publikationen nicht mehr: Über andere Ausschüsse der AfDR wird weiterhin häufig öffentlich berichtet. Aber nicht mehr über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Wegen des Seltenheitswerts berücksichtige ich auch diese zweite Bezugnahme im Handbuch auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie (5.3.). Zuvor stelle ich kurz das Handbuch Publikation vor (5.1.).
5.1. Dr. Hans Franks »Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung«
Emges Vorstellung des Ausschusses für Rechtsphilosophie findet sich in einem nazi-braunen, sehr dicken und deswegen sehr gewichtigen Buch mit dem Titel „Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung“, dessen Herausgeber Hans Frank war. Dieses Handbuch erhielt seine Imprimatur vom „Vorsitzenden der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS.-Schrifttums“ Philipp Bouhler (1899-1945) am 15. Dezember 1934. Sein redaktioneller Teil ist deswegen vor dem 15. Dezember 1934 fertig gestellt worden.
Der Hauptteil des Handbuchs beginnt mit der Rubrik „Nationalsozialistische Grundideen über Recht und Staat“, in der sechs Texte zusammengefasst sind. Im vierten dieser Texte findet sich Emges Charakterisierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
Der ersten Text dieser Rubrik trägt den Titel „Der Rechtsstaat“ (S. 3-10) und ist von Carl Schmitt verfasst worden. Im Text gibt es einen Abschnitt „Rechtsstaat als rechtsphilosophischer Begriff“ (S. 5 f.). In diesem Abschnitt kontrastiert Carl Schmitt Kant als Philosophen des liberalen Rechtsstaates, der keinen Krieg führen könne, mit Hegel, Lorenz von Stein und Otto Gierke, die einen Staatsbegriff verträten, der eine Kriegführung erlaube. Die Darstellung ist sachlich schlecht, da auch Kant ein „Recht zum Kriege“ für Staaten kennt.[221]
Der zweite Text „Rasse und Recht“ (S. 11-16) ist von Achim Gercke, dem Sachverständigen für Rasseforschung des Reichinnenministeriums, verfasst worden. Gercke hielt auch auf der „Arbeitstagung vom 26. Mai 1934“ der AfDR einen rassistischen Vortrag. Diesen Vortrag thematisiere ich ausführlich in meinem Abschnitt 7.10.3.
Der dritte Text „Volk, Rasse und Staat“ (S. 17-28) ist von einem eher unbekannte Herbert Kier[222] verfasst worden.
Der vierte Text, in dem Emges den Ausschuss für Rechtsphilosophie beiläufig erwähnt, trägt den Titel „Deutsche Rechtsphilosophie“ (S. 29-70). Er ist von zwei Autoren verfasst worden. Die vergleichsweise kurze Einleitung ist von Carl August Emge (Vorwort, S. 29-32) und der lange Hauptteil (S. 32-70) von Erich Jung verfasst worden.[223]
Im Handbuch wird mindestens zweimal ausdrücklich auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie Bezug genommen. Einmal tut das Emge in den einleitenden Partien des Beitrages „Deutsche Rechtsphilosophie“ (4.2.). Das andere Mal tut das Karl Lasch in seiner Darstellung der Akademie für deutsches Recht als einem der vier Organe der nationalsozialistischen Rechtsreform (4.3.).
5.2. C. A. Emges Kurzbericht über den Ausschuss für Rechtsphilosophie
Emges Nennung der Mitglieder des Ausschuss für Rechtsphilosophie ist eingebettet in sein Vorwort des Handbuchartikels „Deutsche Rechtsphilosophie“.[224] Der Großteil des Textes hat Erich Jung verfasst. Falls ich diesen Text Erich Jungs vorstelle, werde ich das in Teil III tun.
Emges Vorwort ist durch römische Ziffern in Abschnitte eingeteilt. Abschnitt 5 zieht angeblich die Konsequenz aus den ersten vier Abschnitten. Ich beginne deswegen mit Abschnitt 5. Ich könnte den Abschnitt interpretieren. Werde das vielleicht auch in meinem Teil III tun. Hier genügt es, dass meine Leser einen authentischen Eindruck von Emges Vorwort erhalten.
V.
Das Problem einer „deutschen“, d.h. nationalen Rechtsphilosophie ließe sich also in folgende Fragen scharf fassen:
A. Rechtsphilosophie im objektiven Sinne des rationalen Koordinatensystems für jede mögliche Rechtserfahrung:
1. Was ist das Eigentümliche, welches das „deutsche Wesen“ bisher jener objektiven Sphäre zugeführt hat?
Man denke an die Entdeckung wichtiger Unterscheidungen, die als „allgemein gültig“ in den allgemeinen Teil aller Rechtssysteme eingegangen sind und als typisch deutsche Funde zu betrachten sind.
2. Wie läßt sich deutsche Wesensart „hegen“, so daß der Anteil deutschen Wesens an Beiträgen für jene objektive Sphäre gesteigert wird? An den Beiträgen zu solcher objektiven Sphäre mißt sich ja notwendig die „Höhe der Kultur eines Volkes“. Insofern dient also der schöpferische Denker stets seinem Volke, und zwar auf die ihm gemäße Art.
B. Rechtsphilosophie im subjektiven Sinne radikaler Gedankenbewegung:
1. Was ist das Eigentümliche, wodurch sich jene philosophische Gedankenbewegung gerade als deutsch ausweist?
Es ist gewiß, daß einerseits eine Tendenz zum „Sachlichen“ („Sache selbst“, „Rechtfertigung“), andererseits ein nicht um seiner negativen, sondern um der durch jene vorbereiteten positiven Momente willen vorhandener „Radikalismus“ („Tiefe“, „Unbefriedigtsein an bloß Tradiertem“) hier wie auf anderen Gebieten charakteristisch ist.
2. Inwieweit erfüllt jenes radikale Nachdenken über das Recht eine Funktion im Ganzen, ist es „belangvoll aktuell“? Inwieweit ist es Ausdruck deutscher Wesensart, Kritik, Anregungsmoment, realschöpferisch als Anstoß für positives Recht?
(C. A. Emge, Vorwort: Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie 1935), S. 31
Es kann helfen, diesen Abschnitt Emges gelesen zu haben, wenn man Heideggers Manuskript für sein Seminar des Wintersemesters über Hegels Rechtsphilosophie interpretieren möchte.[225] Beide Texte sind ungefähr gleichzeitig entstanden. Beide Autoren arbeiteten nachgewiesenermaßen vom Mai 1934 an zusammen im Ausschuss für Rechtsphilosophie. – Die vorangegangenen Abschnitte Emges sind übrigens ungefähr genau so lang wie der der soeben zitierte Abschnitt V.
Ich zitiere nun den sechsten Abschnitt:
VI.
Man sieht, daß Thema „deutsche Rechtsphilosophie“ ungeheure Vorarbeiten fordert, die z. B. erst in Anfängen vorliegen und deren Fortführung von den typischen Bedingungen wissenschaftlicher Arbeit und Einfühlung in konkret Angehendes abhängen:
1. Arbeiten über das Wesen des deutschen Urphänomens, das sich im Ein- und Ausatmen des durch die Geschichte gebotenen Stoffs doch stets als dasselbe erweist.
2. Arbeiten über die Verträglichkeit oder Unverträglichkeit von Aufgenommenem („Fremden“) und Ausgestoßenem für die sinnvolle Entfaltung des deutschen Urphänomens.
(C. A. Emge, Vorwort: Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie 1935), S. 31
Auch Hans Frank bezieht sich in seiner Rede zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 auf Goethes Urphänomen. Ich vermute, dass eher Emge Frank und nicht Frank Emge »angeregt« hat[226]. Ich zitiere weiter:
3. Aufbau eines sich stetig entwickelnden rationalen Koordinatensystems von (logischer!) Weltgeltung für jedes positive Recht. Erst hierdurch erlangte vergleichende Rechtswissenschaft ihre wissenschaftliche Sicherung.
(C. A. Emge, Vorwort: Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie 1935), S. 31
Hans Franks geschichtsphilosophische Auskunft in seiner Rede vom 3. Mai 1934, dass dem deutschen Volk „eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt unter Adolf Hitler“ übertragen worden sei, ist wegen Emges Streben nach „Weltgeltung für jedes positive Recht“ nicht als bloßer rhetorischer Überschwang abzutun. – Für Hegel-Kenner offensichtlich, plante Emge einen nationalsozialistischen Ersatz für Hegels „Wissenschaft der Logik“ zu schaffen, der die Grundlage für einen braunen Logos der Welt, einen brauner Weltgeist abgeben sollte. Das ist Emge nicht gelungen. Und auch sonst niemandem. – Emges Hinweis auf die vergleichende Rechtswissenschaft ist eine Positionsbestimmung für den vergleichenden Rechtswissenschaftler Ernst Heymann im Ausschuss für Rechtsphilosophie.[227]
4. Untersuchungen über den Beteiligungsgrad des Nationalen an der sog. „objektiven“ Kultur („Wissenschaft“!)
5. Untersuchungen über die Bedeutung und Aktualität philosophischen, insbesondere rechtsphilosophischen Denkens für den sinnvollen Bestand eines nationalen Urphänomens überhaupt, insbesondere des deutschen metaphysischen Denkens (und „Denkers“!) für das Deutsche!
(C. A. Emge, Vorwort: Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie 1935), S. 31
Ich denke mir, dass Heidegger für den Einschub „(und Denkers!)“ verantwortlich gewesen ist.
Nun zum nächsten Abschnitt des stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für Rechtsphilosophie. In ihm stellt Emge den Lesern des „Nationalsozialistischen Handbuchs für Recht und Gesetzgebung« den Ausschuss für Rechtsphilosophie kurz vor. Die
VII.
Deutsche Geisteswissenschaft, Geschichte, apriorische Soziologie und Rechtssystematik, vergleichende Rechtswissenschaft, Soziologie und Völkerpsychologie, Rassen- | S. 32 theorie, Kulturphilosophie und Geschichtsphilosophie und viele andere Disziplinen müßten zusammenwirken, damit das hier gestellte Problem einmal eine dem deutschen Geiste würdige Förderung finden könnte. Es darf an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß für die Tiefe des Problems selbst in dem Nachlaß Nietzsches (große Oktavausgabe Bd. IX-XVI) ungeheures Material vorliegt, das noch immer der gründlichen wissenschaftlichen Bewertung und damit angemessener Aktualisierung harrt. Es ist daher ein bemerkenswertes Ereignis in der Geschichte dieser Bemühungen, daß der Reichsjustizkommissar des neuen Reichs, Minister Dr. Frank einen besonderen Ausschuss im Rahmen der Akademie für deutsches Recht ins Leben rief, welcher der Rechtsphilosophie gewidmet ist. Schon die ersten Fragen, die ihm Minister Frank vorlegte, zeigen die Gründlichkeit, die man von seiner Arbeit verlangt: „Was ist überhaupt das Recht?“ und „wie verhält sich der Deutsche zum Recht?“ Sie machten es nötig, daß Vorträge von Rothacker, Pinder, Naumann über das Thema „Problem der Erneuerung deutschen Geistes“ stattfandenalsbald anläßlich der Tagung der Akademie in München in Verbindung mit der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft Vorträge von Rothacker, Pinder, Naumann über das Thema „Problem der Erneuerung deutschen Geistes“ stattfanden. In Kürze wird der Ausschuss ein Referat über „soldatischen Geist“ im Auftrag des dem Ausschuß angehörigen Reichswehrministers Frhr. v. Blomberg durch seinen Vertreter Erz. Liebmann hören. Dem Ausschuß, dem Minister Frank persönlich vorsitzt und der Verfasser dieser Einleitung als sein geschäftsführender Vertreter, gehören Reichsminister von Blomberg, Reichsleiter Rosenberg, Ministerialdirektoren Dr. Buttmann und Nicolai, Staatsrat Prof. C. Schmitt, die Professoren Geh. Rat Stammler und Heymann, Bruno Binder, E. Jung, Heidegger, Rothacker, Freyer, H. Naumann und Dr. Mikorey an. Er ist also ebensosehr politisch wie wissenschaftlich ausgestaltet, ist nicht konventionell ein Gremium von Rechtsphilosophen, sondern ein solches für die genannten Aufgaben. Diese Aufgaben werden nach dem Willen von Minister Frank um so bedeutsamer werden, je mehr die Bewegung das ganze Volk erfaßt, je mehr also ihr Schwergewicht auf die juristisch-politische Seite fällt, so daß sich das sogen. „Weltanschauliche“ hier konkretisieren muß.
Emge
(C. A. Emge, Vorwort: Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie 1935), S. 31 f.
Im Abschnitt habe ich die Informationen unterstrichen, durch die der Zeitpunkt, zu dem dieser Text verfasst worden ist, ziemlich genau bestimmt werden kann. Ich zitiere dazu erneut aus dem Brief von Emge an Frank vom 13. Juni 1934, in dem Emge vorschlägt, dass die erste Jahrestagung der AfDR am 26. Juni 1934 in München zu einer „besonderen Veranstaltung des Ausschusses für Rechtsphilosophie“ genutzt werden könnte.
[…] Zwei Mitglieder des Ausschusses, Professor Rothacker in Bonn (Philosoph) und Professor Naumann in Bonn (Deutsche Literatur) wären bereit, in Verbindung mit Professor Mitteis[228] in München (Rechtshistoriker) vier kurze Referate zu halten unter dem Titel „Was ist deutsch?“ Die deutsche Notgemeinschaft würde sich dabei gern, auch mit einem Kostenbeitrag, beteiligen. […]. Diese Veranstaltung des Ausschusses für Rechtsphilosophie (etwa am 25. ds. Mts.), die natürlich dem weiteren Kreise der Akademie zugänglich wäre │ fol. 131 müßte dann rechtzeitig in das Programm aufgenommen werden.
Bei einem kurzen Aufenthalt, vorgestern in Berlin, bin ich zur Ueberzeugung [so im Original; mw] gekommen, daß es für die jetzige Situation wünschenswert wäre, wenn wir auch einen Vertreter des Reichswehrministeriums in unseren Ausschuß bekämen. Da der Nationalsozialismus im Sinne Nietzsches den militärischen Geist pflegt, ergäben sich dadurch wertvolle Möglichkeiten zu einer Zusammenarbeit. Sollte ich nichts gegenteiliges [so im Original; mw] hören, so werde ich mir erlauben, an das Reichswehrministerium, zu dem ich Beziehungen besitze, in Bälde heranzutreten.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 130 f.
Emges Beitrag im Handbuch kann demnach auf den kleinen Zeitraum zwischen dem 13. Juni 1934 und dem 25. Juni 1934 datiert werden.
Im dritten Heft des ersten Jahrgangs der Zeitschrift der AfDR wurde ausführlich über die erste Jahrestagung der AfDR berichtet.[229] Über eine Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie wurde nicht berichtet, obwohl über Sitzungen anderer Ausschüsse durchaus berichtet wurde. Hauptereignis der Tagung war eine Rede von Hans Frank am Abend des 25. Juni vor ausländischen Gästen, in der Hans Frank ausdrücklich anerkennt, dass „das römische Recht […] die Mutter der Rechtsentwicklung Europas“ und „eine der größten Kulturtaten des menschlichen Geistes und der arischen Rasse“ sei. Im Parteiprogramm der NSDAP vom Februar 1920 war noch ganz anders über das römische Recht geurteilt worden: „19. Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemein-Recht.“ Ich vermute, dass die klügeren Strategen des Ausschusses für Rechtsphilosophie entschieden hatten, dass eine Umsetzung von Emges Plan für eine öffentliche Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Verwirklichung des nationalsozialistischen Programms nicht zuträglich gewesen wäre. Da die Rede Hans Franks ganz interessant ist, berichte ich einem Exkurs über sie (5.4.).
Ich weiß nicht, ob der Reichswehrminister Werner von Blomberg (1878-1946) tatsächlich persönlich berufenes Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Da sein Name auf keiner Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie in der Akte Emges (GSA 72/1588) auftaucht, der Handbuchartikel Emges aber vor dem 25. Juni 1934 verfasst worden ist, vermute ich, dass Emges Behauptung Ausdruck eines Übereifers gewesen ist. Vermutlich hatte das Reichwehrministerium nur von der Entsendung eines Vertreters des Reichswehrministers gesprochen. Beim „Vertreter Erz. Liebmann“ handelt es sich um Curt Liebmann (1881-1960)[230]. Da von Blomberg zu den Gründungsmitgliedern der AfDR gehörte (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 1) und es einen Ausschuss für Wehrrecht in der AfDR gab, kann es aber auch sein, dass Werner von Blomberg Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Ich weiß auch nicht, ob Emges Behauptung, „Ministerialdirektor Dr. Buttmann“ (1885-1947) sei Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie, korrekt gewesen ist oder nicht. Der als Kunsthistoriker bekannte Wilhelm Pinder (1878-1947) veröffentlichte 1934 zwei Aufsätze im zweiten Jahrgang der Zeitschrift „Völkische Kultur. Monatsschrift für die gesamte geistige Bewegung des neuen Deutschlands“, die von Rudolf Buttmann und Wolfgang Nufer im Wilhelm Limpert Verlag Dresden herausgegeben wurde.[231] Der Jahrgang 1934 der Zeitschrift „Völkische Kultur“ wurde mit Huldigungen des im Dezember 1933 gestorbenen Stefan George eröffnet. Mittelalterliches ist in dieser Zeitschrift ubiquitär: überläse man das Rassistische könnte man meinen, eine katholische Zeitschrift vor sich zu haben. Hermann Glockner veröffentlicht hier. Kolbenheyer wird verehrt. Hölderlin wird bereits behandelt. Nietzsche sowieso. Grundsätzlich wird das Methodendogma des akademischen Nationalsozialismus befolgt, dass die Rassenseele am besten erkannt werden könne durch Auslegung der Kunstwerke einer Rasse. Martin Staemmler (1890-1974), ein Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP[232], darf in zwei Teilen „Einiges über rassenkundliches Schrifttum berichten“ (S. 464-470; S. 524-526).
Im relevanten Zeitraum gab es zwar einen „Dr. Bruno Binder“. Er war von 1925 bis 1945 Stadtarchivar der Stadt Frankfurt am Main.[233] Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass dieser Binder Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Julius Binder wird gemeint gewesen sein. Der Schreibfehler „Bruno Binder“ mag aber einen Hinweis auf Kontakte des Büros des Nietzsche-Archivs zum Stadtarchivar der Stadt Frankfurt geben.
Aus mir unbekannten Gründen erwähnt Emge nicht, dass Viktor Bruns und Wilhelm Kisch Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind. Auch erwähnt Emge nicht, dass SA-Gruppenführer und Justizrat Walter Luetgebrune Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
Die große Oktavausgabe von Schriften Nietzsches, auf die Emge Bezug nimmt, erschien in Leipzig ab 1894. Die von Emge gelobten Bände sind Bänden in denen Fragmente aus Nietzsches Nachlass veröffentlicht worden sind. In den Bänden XV und XVI des Jahres 1911 ist u.a. die Kompilation „Willen zur Macht“ wieder abgedruckt, die zuerst in einer Taschenbuch-Ausgabe von Peter Gast und der Schwester Nietzsches, Elisabeth Förster-Nietzsche, erstellt und veröffentlicht worden ist.[234] Die Schwester Nietzsche war, wie bereits mitgeteilt, bei der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Nietzsche-Archiv persönlich anwesend. Heidegger war ab 1936 Mitglied des Nietzsche-Archivs und hat an der Neuausgabe des Fragment-Nachlasses Nietzsches mitgearbeitet. Ende 1942 hat er ohne Angabe von Gründen und von sich aus die Mitarbeit eingestellt. Näheres findet man vermutlich in: (Heinz und Kisiel 1996). Ich bin noch nicht dazu gekommen, diesen Text zu lesen.
Ich konnte keine zweite Bezugnahme auf das Referat über den „soldatischen Geist“ des Vertreters Liebmann des Reichswehrministers Blomberg finden. Bemerkenswert ist aber auch so, dass dieses Thema ein Thema war, dass jedenfalls auch im Ausschuss für Rechtsphilosophie behandelt wurde. Da Hans Frank in seiner Rede zur Konstituierung dieses Ausschusses mehrfach ein Loblied des Soldaten gesungen hatte („Wir bejahen weiter die Verantwortlichkeit des einzelnen für sein Geschick und seine Entwicklung, damit wir wieder ein Volk von Kämpfern und Soldaten und wehrbereiten geistigen Ringern um diese Freiheit werden“), ist das nicht überraschend. Auch Carl Schmitt hatte sich 1934 im „Schluß“ seiner Schrift „Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten“ öffentlich zum Sieg des Soldaten über den Bürger 1933 bekannt:
Schluß
Darin, daß im letzten Stadium des Weimarer Systems ein prozeßförmig entscheidender Gerichtshof als höchste politische Instanz des Deutschen Reiches auftrat und in den Verzerrungen eines politischen Prozesses überhaupt Recht und Unrecht, Ehre und Unehre des Reichspräsidenten und der Reichsregierung zu Gericht saß, vollendete sich der bürgerliche Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts [, insbesondere der Hegelschen Philosophie; mw]. In der Weimarer Verfassung von 1919 hatte er sein von allen „nichtkonstitutionellen“ Elementen gereinigtes System gefunden. Nach dem Versagen der parlamentarischen Regierung entwickelte er sich von selbst zur politischen Unterwerfung unter die Neutralität unpolitischer Richter, die nicht nur nicht beanspruchten, politisch zu führen oder zu regieren, sondern im Gegenteil ihre Zuständigkeit und ihr Entscheidungsrecht gerade darauf stützten, daß sie jeden politischen Führungsanspruch entrüstet von sich abwiesen. So fand der folgerichtig zu Ende gedachte bürgerliche Konstitutionalismus seinen Gipfelpunkt eben dort, wo der Nullpunkt des Willens zur politischen Führung lag. Das war die Vollendung und Krönung des bürgerlichen Verfassungsdenkens.
Die Rettung Deutschlands konnte nicht aus dem System einer solchen Legalität kommen, sie kam aus dem deutschen Volke selbst, aus der nationalsozialistischen Bewegung, die im Widerstand gegen die Mächte des Zusammenbruchs von 1918 entstanden war. Bereits jener Preußenschlag vom 20. Juli 1932 war nur dadurch möglich geworden, daß die nationalsozialistische Bewegung unwiderstehlich vordrang. Am 30. Januar 1933 hat dann der Generalfeldmarschall des deutschen Weltkriegsheeres einen deutschen Soldaten, aber eben einen politischen Soldaten, Adolf Hitler, zum deutschen Reichskanzler ernannt. Daß der Führer einer mit Totalitätsanspruch auftretenden Bewegung deutscher Reichskanzler wurde, lag bereits außerhalb der Bergriffe eines liberal-demokratischen Verfassungssystems. Dadurch, daß einem solchen Führer die ganze staatliche Macht des Deutschen Reiches in die Hand gegeben wurde, war demnach der erste Schritt auf einem neuen Verfassungsboden getan. Jetzt öffnete sich ein Weg, um klare innenpolitische Entscheidungen zu treffen, das deutsche Volk von der hundertjährigen Verwirrung des bürgerlichen Konstitutionalismus [Schmitt bezieht sich auf die Juli-Revolution von 1830, die Hegel gerade noch miterlebt und bejubelt hatte; mw] zu befreien und, statt normativer Verfassungsfassaden, das revolutionäre Werk einer deutschen Staatsordnung in Angriff zu nehmen.
(Schmitt, Zusammenbruch des zweiten Reiches; 1934), S. 49
Ich beende meinen Bericht über Emges Beitrag zum „Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung“ mit dem Hinweis, dass Emges Hinweise auf die anstehende Jahrestagung der AfDR nicht in einen Handbuchartikel gehören. Auch das spricht dafür, dass Emge und das Büro des Nietzsche-Archivs nicht optimal organisiert waren. Vermutlich hat das Büro eine Version des Textes von Emge an die Herausgeber des Handbuchs geschickt, die noch hätte überarbeitet werden sollen. Zu unserem Glück ist das nicht geschehen.
Tilitzkis (2003) Forschungsergebnis, dass im Handbuchbeitrag Emges Carl Schmitt als Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie genannt wird, konnte ich bestätigen. Tilitzki (2003) hat die Behauptung Emges nicht genauerer datiert, so dass seine Leser nur wussten, dass Carl Schmitt vor dem Veröffentlichungsdatum des Handbuchs 1935 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
5.3. Karl Laschs stellte die AFDR und den Ausschuss für Rechtsphilosophie im »braunen Rechts-Handbuch (1934)« vor
Karl Lasch (1904-1942) war der Direktor der AfDR. Wie Niklas Frank, der Sohn von Hans Frank, berichtet, waren Karl Lasch, Hans Frank und Carl Schmitt eng miteinander befreundet. Sie verkehrten auch privat in der Familie Hans Franks. Niklas Frank spricht sogar von seinen drei Vätern.[235]
Es gibt diverse Darstellungen von Ausschüssen der AfDR, die damals veröffentlicht wurden. Ich kenne aber nur eine, in der auch der Ausschuss für Rechtsphilosophie vorgestellt wird. Diese einzige Ausnahme findet sich in Karl Laschs Beitrag zum „Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung“. Das Handbuch endet mit der Rubrik „Organe nationalsozialistischer Rechtsreform“ (S. 1555-1585). Es werden vier Organe vorgestellt:
- Das Reichsrechtsamt der NSDAP
- Der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen und die die Deutsche Rechtsfront
- Die Akademie für Deutsches Recht, S. 1572-1580
- Das Reichsjustizkommissariat
Karl Lasch hat den Text über die AfDR verfasst. Ich zitiere aus diesem Text über die AfDR nicht nur die Vorstellung des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Ich zitiere auch die Vorstellung anderer Ausschüsse, wenn Informationen über Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie angeboten werden. Zusätzlich gebe ich auch Laschs Vorstellung des Strafrechtsausschusses wieder, da Roland Freisler ins Umfeld des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehört.
Bürgerliche Rechtspflege. Vorsitzender: Geheimrat Prof. Dr. Kisch, München
Behandelt werden Fragen, welche sich aus der Organisation der Gerichte ergeben. Das Problem der Herabsetzung der Zuständigkeitsgrenze der Amtsgerichte und der Stellung des Alleinrichters beim Landgericht, ferner die Schaffung von Rechtspflegeämtern für die erstmalige Behandlung aller Zivilrechtsstreitigkeiten, die Beschleunigung des Verfahrens und das wichtige Kapitel der Zwangsvollstreckung sind zum Teil schon zum Abschluß gebracht worden. Ein besonderer Unterausschuß beschäftigt sich zur Zeit mit dem Entwurf einer Vergleichsordnung zur Abwendung des Konkurses.
(Lasch, Akademie für Deutsches Recht; 1935), S. 1576
Auf der nächsten Seite werden dann die Ausschüsse von Freisler und Schmitt vorgestellt.
Strafrecht und Strafprozeßrecht. Vorsitzender: Staatssekretär Dr. R. Freisler, Berlin
Die Beratungen sind bereits zu einem gewissen Abschluß gebracht und eine Denkschrift zum Allgemeinen Teil des allgemeinen Strafrechts herausgegeben worden. Unterausschüsse für Strafprozeßrecht und Strafvollzug werden ebenfalls in Kürze ihre Arbeiten zum Abschluß bringen und das Ergebnis in Form einer Denkschrift niederlegen.
Staats- und Verwaltungsrecht. Vorsitzender: Staatsrat Prof. Dr. C. Schmitt, Berlin
Der erste Teil der Arbeit wird demnächst mit einer Denkschrift über die Gesamtlage der Körperschaften des Öffentlichen Rechts und mit dem Entwurf eines Reichsverwaltungsgerichtsgesetzes abgeschlossen werden.
(Lasch, Akademie für Deutsches Recht; 1935), S. 1577
Bereits in der Weimarer Republik ist die Schaffung eines Reichsverwaltungsgerichts geplant worden. Die Errichtung fand aber nicht statt. Im Dritten Reich richtete Hitler am 3. April 1941 durch Führererlass ein Reichsverwaltungsgericht ein.[236] § 7 des Erlasses lautet:
Die Mitglieder des Reichsverwaltungsgerichts sind bei den Sachentscheidungen keinen Weisungen unterworfen. Sie haben ihre Stimme nach ihrer freien, aus dem gesamten Sachstand geschöpften Überzeugung und nach der von nationalsozialistischer Weltanschauung getragenen Rechtsauslegung abzugeben.
(RGBl. I 1941, Nr. 40, S. 201 ff.)
Ob und wie Carl Schmitt und sein Ausschuss an der Einrichtung dieses nationalsozialistischen Verwaltungsgerichts beteiligt waren, weiß ich noch nicht. Im Unterabschnitt 7.5.3. werde ich aus einem Vortrag von Carl Schmitt auf der ersten „Vollsitzung“ der AfDR vom 5. November 1933 die Absätze vollständig zitieren, in denen er die Aufgaben des Ausschusses für Staatsrecht und des Ausschusses für Völkerrecht näher bestimmt hat.
Non Karl Lasch werden der Ausschuss für Völkerrecht und der Ausschuss für Rechtsphilosophie in direkter Aufeinanderfolge als letzte vorgestellt.
Völkerrecht. Vorsitzender: Professor Dr. Bruns, Berlin
Da das Recht im politischen Kampf die stärkste Waffe bedeutet, hat dieser Ausschuss wichtigste Aufgaben zu erfüllen. Er beschäftigte sich zu Beginn seiner Arbeit mit den dringendsten Fragen unserer Außenpolitik, Saargebiet und Völkerbund-Problem. Weiter mit der Frage, ob die Aberkennung der Staatsangehörigkeit völkerrechtlich zulässig ist oder nicht.
(Lasch, Akademie für Deutsches Recht; 1935), S. 1579
In einem weiteren Exkurs in diesem Abschnitt werde ich skizzieren, wie Viktor Bruns die Frage beantwortet hat, ob eine Aberkennung der Staatsangehörigkeit völkerrechtlich zulässig ist (5.5.).
Rechtsphilosophie. Vorsitzender: Reichsjustizkommissar Dr. H. Frank; stellvertretender Vorsitzender: Professor Dr. Emge, wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs, Weimar.
Der Ausschuß soll eine Sammlung der allgemeinen sozialen Lehre des Nationalsozialismus durchführen, in der Form, daß die Begriffe Blut, Boden, Rasse, Glauben, Idealismus, Wehr, Autorität, Staatsführung und alle die Bausteine des nationalsozialistischen Werdens dem deutschen Recht als Unterlagen vermittelt werden.
(Lasch, Akademie für Deutsches Recht; 1935), S. 1579
Mir ist an dieser Charakterisierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie nichts besonders aufgefallen.
5.4. Exkurs: Hans Franks Rede vom 25. Juni 1934 auf der ersten Jahrestagung der AfDR vor ausländischen Gästen
Ich stelle hier exkursweise die Rede von Hans Frank vom Vorabend des ersten Jahrestages der AfDR aus mehreren Gründen vor. Vorab möchte ich auf vier Gründe aufmerksam machen:
- In Abschnitt 3.5. konnte ich bereits berichtet, dass Emge am 13. Juni 1934 geplant hatte, die dritte Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Rahmenprogramm dieser ersten Jahrestagung der AfDR öffentlich anzukündigen und durchzuführen. Falls diese Sitzung stattgefunden haben sollte, wurde nicht über sie öffentlich berichtet. Jedenfalls nicht in dem ausführlichen Bericht in der Zeitschrift der AfDR über diese erste Jahrestagung. Die Ausschusssitzungen, über die in der ZAfDR berichtet wurde, fanden am 25. Juni 1934 statt. Am Abend trug dann Hans Frank zum Thema „Volk, Staat und Recht vor“. Zumindest einige Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie werden an der ersten Jahrestagung der AfDR teilgenommen haben und könnten dieser Rede von Hans Frank den letzten Schliff gegeben haben (siehe 3.5.).
- Ferner hatte Emge in demselben Brief an Frank vom 13. Juni 1934 mitgeteilt, er werde demnächst seine Kontakte ins Reichswehrministerium nutzen, um ein Vertreter des Reichswehrministeriums für den Ausschuss für Rechtsphilosophie zu rekrutieren.
- In Abschnitt 5.2. habe ich Emges Beitrag über »deutsche Rechtsphilosophie« für das „Nationalsozialistische Handbuch für Recht und Gesetzgebung vorgestellt. Ich konnte die Erstellung dieses Beitrags auf den kleinen Zeitraum zwischen dem 13. Juni 1934 und dem 25. Juni 1934 bestimmen, da Emges seinen Beitrag mit Angaben zur seiner Planung für die dritte Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie schloss. In seinem Beitrag behauptete Emge, der Reichswehrminister von Blomberg sei Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Und erwähnte dessen Vertreter „Erz. Liebmann“ namentlich.[237]
- Am 25. Juni 1934 hielt nicht nur Hans Frank seine Rede in München. Am 25 Juni 1934 informierte Hitler den Reichswehrminister von Blomberg, er werde am 30. Juni 1934 gegen Röhm vorgehen.[238] Röhm war Mitglied des kleinen „Führerrates“ der AfDR (siehe 6.1.1.) Auch gehörte er zu den ersten hundert Mitgliedern der AfDR (Mitgliedsnummer. 23; siehe Quellenverzeichnis / Quelle 1).
Wo stand Hans Frank, die AfDR und ggf. der Ausschuss für Rechtsphilosophie im Juni 1934?
Ich zitiere nun Auszüge aus der Rede Hans Franks mit dem Titel „Volk, Staat und Recht“, die er am Abend des 25. Juni 1934 in München auf der ersten Jahrestagung der AfDR gehalten hat.
Aus 14 europäischen Ländern waren Vertreter zur Tagung erschienen, so u. a .: […]
Daraufhin hielt der Präsident der Akademie, Dr. Hans Frank, seine Festansprache über das Thema: Volk, Staat und Recht:
[1] Die Akademie für Deutsches Recht ist ein Instrument zur Fortsetzung der nationalsozialistischen geistigen Revolution auf dem Gebiete des Rechtsdenkens, der Rechtsgestaltung und des Rechtslebens. Sie ist aber dabei zugleich Garant dafür, daß die Methode dieser revolutionären Gestaltung in stetem Einklang mit den bewährten Grundsätzen wissenschaftlicher Arbeitsweise steht. Die Akademie für Deutsches Recht geht daher aus von Universalität und Totalität des nationalsozialistischen Anspruches auf Führung des deutschen Volkes.
[…][4] Daher war es nötig, daß der Nationalsozialismus zunächst einmal brach mit dem Begriffe des bürgerlichen Juristentums . Die Zeit, da man die Doctores juris als große Feinde des deutschen Geschlechts einmal bezeichnen konnte, ist vorbei in Deutschland. Es wurde uns gerade auch im Auslande sehr oft zum Vorwurf gemacht, daß wir einen Kampf gegen das römische Recht führen würden. Es ist mir ein Bedürfnis, an dieser Stelle zu sagen, daß ein stolzes Volk und die stolzen Juristen des stolzen italienischen Volkes es zu meiner großen Freude erkannt haben, daß wir Deutsche auch unseren Stolz und unser stolzes deutsches Rechtsgefühl haben, und daß es daher Pflicht ist, daß wir anerkennen, daß das römische Recht, die Mutter der Rechtsentwicklung Europas, von uns deutschen Juristen auch in diesem neuen Abschnitt der deutschen Rechtsentwicklung stets als eine der größten Kulturtaten des menschlichen Geistes und der arischen Rasse anerkannt, ja bewundert werden wird. Wir haben aber die Aufgabe, dem Deutschen Volke ein Recht zu schenken, das aus dem eigenen sittlichen Empfinden dieser Nation, aus der Rassenseele unseres Volkes selbst emporsteigt
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 121
Wie man sieht, hatte der Rechtsphilosoph Hans Frank eine Lösung für das Problem gefunden, wie man zugleich Kämpfer für das deutsche Recht und friedlicher Nachbar eines anderen »arischen Rechtsstaates« sein konnte. Baron von Uexküll hatte diese Lösungsstrategie in seiner »Staatsbiologie« vertreten (siehe Unterabschnitt 3.5.7.).
[5] Volkseinheit ist das weitere Fundament. Wir legen unserer Rechtsordnung zugrunde den Begriff des blutmäßig rassisch einheitlichen Volkstums.
[6] Wir haben neben dieser Volkseinheit dann des weiteren den Staatseinheitsbegriff in Deutschland rechtlich verankert, eine große historische Tat, die unser Führer hier dem Deutschen Volk schenkt dadurch, daß er aufräumte mit den Möglichkeiten einer Zerreißung unseres Staatsganzen durch irgendwelche Sonderinteressen irgendwelcher Sonderstämme. […] Es ist ein Wunder in der Geschichte, daß der Schöpfer einer Revolution zugleich der Beherrscher dieser Revolution ist.
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 121
Mit diesem letzten Satz bekundete Hans Frank seine persönliche Loyalität zu Hitler. Insider wussten nun, dass er sich gegen Röhm entschieden hatte. Da Hans Frank auch Herausgeber des „Nationalsozialistischen Handbuchs für Recht und Gesetzgebung“ war, in dem Professor Emge behauptete, dass der Reichswehrminister Werner von Blomberg Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie vor der Niederschlagung der angeblichen »Röhm-Putsches« unter dem Vorsitzenden Hans Frank gewesen ist, ist nach der persönlichen, auch die institutionelle Loyalität Hans Franks und seiner AfDR mit Hitler für die Zeitgenossen und für Ewigkeit dokumentiert worden.
Falls das Reichswehrministerium Kenntnis von Emges Handbuchdarstellung hatte und die Darstellung nicht dementiert hat, wäre der Reichwehrminister vor dem 30. Juni 1934 vielleicht nicht satzungsgemäß, aber politisches Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen. „Politisch“ im Sinne von Carl Schmitts Begriff des Politischen.
Dass auch das Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie Carl Schmitt die Morde des 30. Juni 1934 am 1. August 1934 guthieß, ist bekannt. Er tat das im Organ der „Reichsfachgruppe Hochschullehrer des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ Deutsche Juristen-Zeitung.[239] Carl Schmitt war als Reichsfachgruppenleiter Herausgeber dieser NS-Zeitschrift. Unterstützt wurde er u.a. von Viktor Bruns, C. A. Emge und Wilhelm Kisch:
Abbildung 13: Titelblatt der Deutschen Juristen Zeitung (DJZ) vom 1. August 1934
Zurück zur Rede Hans Franks, die er am Abend des 25. Juni in München als Führer der AfDR vor ausländischen Gästen hielt:
[7] Es wird daher nunmehr in dem zweiten Jahre des Bestehens Aufgabe der Akademie für Deutsches Recht sein, die Rechtsentwicklung des Nationalsozialismus zu fördern und zu führen. Die Gesetze des Kabinetts │ S. 122 Hitler vom letzten Jahre könnten fast Mustergesetze sein für alle jene Völker und Staaten, die so wie das Deutsche Volk gegenüber den zersetzenden Strömungen einer unterweltsmarxistischen Bewegung ihren letzten Widerstand suchen.
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 121 f.
Eine Gestalt der »Niedermächte«, von denen Hans Frank am 3. Mai 1934 gemäß der Darstellung aus der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschlands, war offensichtlich die „unterweltsmarxistische Bewegung“, die in der Auffassung des akademischen Nationalsozialismus in Deutschland vor der Sozialdemokratie angeführt werde (siehe Teil II).
Der Boden des deutschen Volkes wurde im Erbhofrecht geschützt, ein fundamentales Gesetz von größtem historischem Ausmaß. Die Rasse des deutschen Volkes wurde in der Rassengesetzgebung geschützt, die Gesundheit des deutschen Volkes wurde dadurch geschützt, daß wir nicht zurückschreckten davor, die minderwertigen Teile aus unserem Volksganzen, soweit es irgendwie geht, allmählich auszuschalten. Die Arbeit als Inbegriff des menschlichen Glücks wurde in den Mittelpunkt einer großen Gesetzgebung gestellt. Die Wehrkraft der Nation wurde im friedlichen Wettstreit um die Friedensbereitschaft aller Länder der Erde in Deutschland gesetzlich verankert. So wurde auf allen Gebieten, wo es nicht um die formalen Gesichtspunkte, sondern um die Substanzwerte der Volkserhaltung geht, in kühnen Strichen und in kühnen Gesetzen eine neue Rechtswirklichkeit in Deutschland aufgebaut.
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 122
Der Präsident der AfDR, deren satzungsgemäße Aufgabe es dauerhaft war, in enger Verbindung mit den gesetzgebenden Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem Gebiet des Rechts zu verwirklichen, lobt die Gesetze des Kabinetts Hitlers, dem er sechs Monate später selbst als Reichsminister angehören wird.
[8] Wir stehen im Laufe dieses Jahres noch vor dem Abschluß des neuen deutschen Strafgesetzbuches. Wir werden dafür sorgen, daß die Rechtsordnung dem deutschen Volke das Gefühl der Sicherheit des Lebens auf diesem Boden gibt und die Sicherheit des Lebens für kommende Generationen gewährleisten wird; denn nur das allein ist die Aufgabe allen Rechts, Mittel zur Erhaltung des Volkes zu sein, und deshalb sind wir hier vielleicht eines der stolzesten Ergebnisse der nationalsozialistischen Politik, deshalb, weil sich in der Akademie für Deutsches Recht die Zusammenarbeit von Geist, die Zusammenarbeit von Erfahrungen wissenschaftlicher Art mit dem elementaren Willen des Nationalsozialismus zur höheren Steigerung unseres Volkes darstellt.
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 122
Im nächsten Absatz vergleicht Hans Frank die angeblichen Entwicklungslinien »der deutschen Philosophie« mit »dem deutschen Rechtsdenken«. Die »deutsche Philosophie« befinde sich in einer zumindest relativen Talfahrt, während »das deutsche Rechtsdenken« durch den akademischen Nationalsozialismus aus einer dreihundert-jährigen Talsohle nun zu einem neuen Höhepunkt geführt werde.
[9] Die Akademie für Deutsches Recht ist sich darüber völlig klar, daß das deutsche Rechtsleben und das deutsche Rechtsdenken die Kulmination noch vor sich hat. Die deutsche Philosophie, die deutschen anderen Geistesformen mögen vielleicht den höchsten Punkt ihrer Entwicklung schon hinter sich haben, das deutsche Rechtsdenken war drei Jahrhunderte verschüttet und erst in den letzten Jahrzehnten langsam beginnend steigt nunmehr durch den nationalsozialistischen revolutionären Aufbruch die Möglichkeit empor, dem deutschen Rechtsdenken noch eine Spitze vor sich zu schaffen.
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 122
Da es nicht plausibel gewesen wäre, dass auf einer Tagung der AfDR, auf der Hans Frank »der deutschen Philosophie« dieses schlechte Zeugnis ausgestellt hat, zugleich ein Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR öffentlich tagte, wird irgendjemand entschieden haben, dass Emges Planung für die dritte Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie kontraproduktiv war.
Mit dem nächsten Satz bekundet Hans Frank noch einmal seine Loyalität mit Hitler gegen Röhm. Seine inländischen Hörer werden seinen Appell als Äußerung des Ländergleichschaltungsministers verstanden haben:
[10] Der Appell, der von dieser Akademie in die weiten deutschen Lande hinausgeht, ist der: Achtet die Autorität des Rechts, Ihr könnt niemals an sie heran! Der Führer hat diese Autorität des Rechts verkündet und von dieser Akademie aus möchte der Geist des deutschen Volksrechtes wieder das Bewußtsein, daß jeder Diener am Recht in jeder Amtsstube des Deutschen Reiches den Schutz des Nationalsozialismus genießt, wenn er dem Rechte dient, ebenso ausstrahlen wie jedem deutschen Volksgenossen das Gefühl geben: Es gibt hier die vom Führer geschaffene, von seiner Autorität und Anerkennung getragene Stelle, wo er auch seinen eigenen Rechtshunger geborgen weiß.
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 122
Im letzten Absatz spricht Hans Frank die Kernaufgabe des Ausschusses für Völkerrecht an, dessen Vorsitzender zugleich Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist:
[11] Das Recht ist aber nicht nur eine Angelegenheit unseres Zusammenlebens nach innen, es ist auch das Fundament der deutschen Politik nach außen. Der Anspruch auf Gleichberechtigung mit anderen Nationen kann einem Volke wie dem deutschen nicht abgesprochen werden. Damit wird man sich in Deutschland und außerhalb Deutschlands abfinden. Aber wir wollen und wünschen, daß der Appell an das Rechtsleben, der Appell an die Rechtserkenntnis, der Appell an die Rechtsautorität, den wir deutsche Juristen dem Deutschen Volke entgegenrufen, nicht haltmachen möchte an unseren Grenzen, daß auch die Welt einsieht, daß man niemals ein stolzes Volk der Gleichberechtigung mit anderen Nationen beraubt halten kann.●
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 122
Damit endete die Rede Hans Franks. Der Bericht über die erste Jahrestagung geht ohne Auslassung so weiter:
Die Festsitzung wurde mit dem 4. Satz aus der 1. Symphonie in C-Moll von Johannes Brahms beschlossen, nachdem der Präsident der Akademie, Dr. Hans Frank, auf „ unser ewiges Deutsches Volk, unser ewiges deutsches Recht und unseren geliebten Führer Adolf Hitler’“ ein dreifaches ,,Sieg-Heil!“ ausgebracht hatte. Bei dem anschließenden Mittagessen begrüßte der stellvertretende Präsident, Geheimrat Professor Dr. Kisch, die ausländischen Gäste […]
(H. Frank, Volk, Staat und Recht; 1934), S. 122
5.5. Exkurs: Viktor Bruns Ausschuss für Völkerrecht
Ich zitiere erneut die Information von Karl Lasch aus dem »Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung« über den Ausschuss für Völkerrecht:
Völkerrecht. Vorsitzender: Professor Dr. Bruns, Berlin
Da das Recht im politischen Kampf die stärkste Waffe bedeutet, hat dieser Ausschuss wichtigste Aufgaben zu erfüllen. Er beschäftigte sich zu Beginn seiner Arbeit mit den dringendsten Fragen unserer Außenpolitik, Saargebiet und Völkerbund-Problem. Weiter mit der Frage, ob die Aberkennung der Staatsangehörigkeit völkerrechtlich zulässig ist oder nicht.
(Lasch, Akademie für Deutsches Recht; 1935), S. 1579
In dieser Darstellung wird nicht mitgeteilt, wie die Antwort auf die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Aberkennung der Staatsangehörigkeit lautet. In anderen Veröffentlichungen wurde die Antwort mitgeteilt.
So hatte Viktor Bruns auf der Arbeitstagung der AfDR am 26. Mai 1934 in seinem Bericht als Vorsitzender über den Ausschuss für Völkerrecht[240] die Frage, ob die Aberkennung der Staatsangehörigkeit völkerrechtlich zulässig ist oder nicht, bereits bejaht. Da Viktor Bruns zu den zwölf Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehört und ich noch keine Gelegenheit hatte, ihn im Originalton zu Wort kommen zu lassen:
Als weiteren Verhandlungsgegenstand haben wir die Frage vorgesehen, ob die Aberkennung der Staatsangehörigkeit völkerrechtlich zulässig ist oder nicht. Unsere neuen deutschen Vorschriften sind namentlich von französischer Seite auch einer im Ton außerordentlich gehässigen Kritik unterzogen worden. Das Referat wird zu prüfen haben, ob die Bestimmungen völkerrechtlich zulässig sind – meiner Auffassung [Viktor Bruns; mw] nach ohne Zweifel –, sodann, ob und welche Bestimmungen ähnlicher Art andere Staaten erlassen haben. Es ist zu berichten, daß die Ausführungen zu dieser letzteren Frage den Nachweis einer beschämenden Unkenntnis unserer Ankläger erbringen werden. Diese Beispiele [Saarfrage, Völkerbundproblem, Aberkennung der Staatsangehörigkeit; mw] mögen genügen, um zu zeigen, welcher Art die Aufgaben sind, die sich der Ausschuss gesetzt hat, und welche Weise und mit welcher Methode er bestrebt ist, sie zu lösen.│ S. 241
Der Ausschuss will keine Theorie um der Theorie willen machen; er will den Lebensinteressen des deutschen Volkes dienen. Es ist nicht seine Aufgabe, den politischen Entscheidungen vorzugreifen, wohl aber will er mithelfen, die Grundlagen für diese politischen Entscheidungen zu unterstützen. Alle Politik geht von der gegebenen Rechtssatzung aus und strebt danach, sie entweder zu erhalten oder zu ersetzen. Alle Politik strebt weiter dahin, das einmal erkämpfte Resultat wieder in einer Rechtssatzung für die Zukunft festzulegen. Das ungeschriebene, aber darum nicht minder positive und bindende Recht ist Maßstab und Urteil über alle Politik und Satzung. So wird sich das politische Handeln nie dem Recht entziehen. Darum ist es nicht erstaunlich, daß das Recht im politischen Kampf die stärkste Waffe bedeutet. Eine Akademie für Deutsches Recht hat hier eine ihrer wichtigsten Aufgaben zu erfüllen.
(Lebhafter Beifall)
(Bruns 1934), S. 240 f.
Im Anschluss an diesen Vortrag von Viktor Bruns auf der Arbeitstagung der AfDR vom 26. Mai 1934 antwortete Wilhelm Kisch als Stellvertreter Hans Franks:
Geheimrat Professor Dr. Kisch:
Sehr verehrter Herr Kollege! Diejenigen von uns, die der ersten Vollversammlung der Akademie beizuwohnen Gelegenheit hatten, haben den starken Eindruck nicht vergessen, den Ihre damaligen Ausführungen über das Recht Deutschlands auf Gleichbehandlung, auf Gleichberechtigung allgemein hervorgerufen haben. Sie, Herr Kollege, sind ja ein alter völkerrechtlicher Kämpfer für Deutschlands Rechte und für Deutschlands Unabhängigkeit. Sie haben die undankbare, aber überaus wichtige Aufgabe übernommen, vor den sogenannten internationalen Gerichten unseren Rechtsstandpunkt zu vertreten, – mit Gewissenhaftigkeit und mit dem Grad des Erfolges, der überhaupt in solchen Fällen erhofft werden konnte. Dieser Tradition sind Sie treu geblieben, indem Sie sich für den völkerrechtlichen Ausschuß der Akademie zur Verfügung gestellt haben. […]
(Bruns 1934), S. 241
In der Zeitschrift „Deutsche Justiz“ (Heft Nr. 25 vom 22. Juni 1934) wurde in der Rubrik „Was den Juristen interessiert“ und der Unterrubrik „Aus der Akademie für Deutsches Recht“ über eine weitere Sitzung des Ausschusses für Völkerrecht am 14. Juni 1934 unter dem Vorsitz von Prof. Viktor Bruns berichtet (S. 808 f.). Nachdem Hans Frank und dann Viktor Bruns eine Rede gehalten hatten, habe Franz von Papen das Wort ergriffen.[241] Ab hier zitiere ich, da es wieder um die Frage der Aberkennung der Staatsangehörigkeit geht.
Nachdem Vizekanzler von Papen im Namen der Reichregierung zum Ausdruck gebracht hatte, daß der Völkerrechtsausschuß der Akademie für Deutsches Recht berufen sei, die Arbeit des Führers um die Befreiung des deutschen Volkes wissenschaftlich und rechtlich zu untermauern, wurden folgende Referate erstattet: Prof. Freiherr von Freytagh-Loringhoven „Kritische Bilanz des Völkerbundes“, Prof. Bilfinger „Zum Problem der Staatengleichheit im Völkerrecht“, Graf Mandelsloh „Die Großmöchte im europäischen Konzert 1815/1918“, Prof. Walz „Das deutsche Recht am Saargebiet und die Volksabstimmung“, und Graf Stauffenberg „Verlust der Staatsangehörigkeit durch Aberkennung“.
Deutsche Justiz (Heft Nr. 25 vom 22. Juni 1934), S. 809
Da bereits am 14. Juli 1933 das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“ in Kraft getreten war, ging es im Ausschuss für Völkerrecht im Sommer 1934 nicht mehr um ein Rückgängigmachen von Einbürgerungen, die nach der Novemberrevolution 1918 erfolgt sind.[242] Es ging sehr wahrscheinlich bereits um das »Reichsbürgergesetz« und seine dreizehn Verordnungen (vgl. meinen Unterabschnitt 8.1.2.)
1934 erschien in der Lieblingszeitschrift von Viktor Bruns, der „Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“, der Aufsatz von Berthold Graf Schenk von Stauffenberg „Die Entziehung der Staatsangehörigkeit und das Völkerrecht. Eine Entgegnung“[243]. Zu Beginn des Aufsatzes wird er als „Referent am Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“ vorgestellt. Viktor Bruns war Direktor dieses KWI. In den Folgejahren erschienen immer wieder Texte dieses Grafen Schenk von Stauffenbergs in dieser Zeitschrift.
Der Referent, Berthold Graf Schenk von Stauffenberg war noch 1942 Mitglied des Ausschusses für Völkerrecht, dessen Vorsitzender immer noch Viktor Bruns war. Carl Schmitt war einer der ständigen Mitarbeiter.[244]
Im Sommer 1934 konnten die Experten für die „Entziehung der Staatsangehörigkeit“ bereits stolz auf die Entrechtung u.a. von Emil Gumbel zurückblicken.[245]
In meinen TEIL III werde ich darstellen, dass sich Carl Schmitt mit eherechtlichen Folgen der Nürnberger Rassegesetze im internationalen Privatrecht (Ist eine deutsche Frau noch eine deutsche Frau, wenn sie im Ausland einen Juden heiratet?) befasst hat und dabei seine grundsätzliche Zustimmung zur Rassengesetzgebung und ihrer Ideologie sehr deutlich und eben auch öffentlich gemacht hat.[246]
5.6. Ergebnissicherung
1. Das „Nationalsozialistische Handbuch für Recht und Gesetzgebung“ war ein Handbuch von Akademikern für Akademiker, das seine Imprimatur am 15. Dezember 1934 erhielt. In ihm gab es einen Artikel mit dem Titel „Deutsche Rechtsphilosophie“. Er besteht aus wie Teilen: einem kurzen Vorwort und einem sehr langen Hauptteil. Das kurze Vorwort hat Emge geschrieben. Den langen Hauptteil Erich Jung.
2. Zum Ende seines kurzen Vorwortes nennt Emge die Namen der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Erstmalig erfuhren zeitgenössische Leser ohne Schreibfehler, dass Carl Schmitt Mitglied dieses Ausschusses gewesen ist. Das hatte bereits Tilitzki (2003) mitgeteilt.
3. Sein Vorwort hat Professor C. A. Emge nachweislich zwischen dem 13. Juni 1934 und dem 25. Juni 1934 verfasst. Mit dieser Erkenntnis kann gefolgert werden, dass Carl Schmitt vor dem 26. Juni 1934 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist.
4. Gemäß des Vorwortes von Emge gab es neue Mitglieder im Ausschuss für Rechtsphilosophie: der Reichswehrminister von Blomberg persönlich und der Ministerialdirektor Robert Buttmann werden nun als Mitglieder aufgezählt.
5. Einige Gründungsmitglieder werden nicht erwähnt. Das traf auf SA-Gruppenführer Walter Luetgebrune sowie die Professoren Viktor Bruns und Wilhelm Kisch zu. Bruns und Kisch waren nachweislich nach dem 17. Juli 1941 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
6. In der letzten Rubrik des sehr umfangreichen „Nationalsozialistischen Handbuchs für Recht und Gesetzgebung“ werden die „Organe nationalsozialistischer Rechtsreform“ (S. 1555-1585) vorgestellt. Eines dieser Organe ist die AfDR. Sie wird von Kurt Lasch vorgestellt. Lasch war Direktor der AfDR und einer enger Vertrauter von Hans Frank und Carl Schmitt.
7. Zu seiner Vorstellung der AFDR gehört eine inhaltliche Charakterisierung einiger, aber nicht aller Ausschüsse der AfDR. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird inhaltlich vorgestellt. An der inhaltlichen Charakterisierung durch Lasch ist mir nichts aufgefallen. Zu den anderen Ausschüssen, die Lasch vorstellt, gehören auch die Ausschüsse für Bürgerliche Rechtspflege (W. Kisch), für Staats- und Verwaltungsrecht (C. Schmitt) und für Völkerrecht (V. Bruns). Die inhaltliche Vorstellung des Ausschusses für Rechtsphilosophie bot Anlass für einen Exkurs.
8. Im Exkurs zum Ausschuss für Völkerrecht konnte ich nachweisen, dass Viktor Bruns persönlich und Berthold Graf Schenk von Stauffenberg 1934 an der rechtsförmigen Aberkennung der Staatsangehörigkeit arbeiteten. Das nächste Gesetz, das zu dieser Frage Stellung bezog, war das „Reichsbürgergesetz“, das Teil der Nürnberger Rassegesetze ist, die am 15. September 1935 in Kraft traten. Die weitere Entfaltung dieses Gesetzes durch Verordnungen bildete die rechtsförmige Grundlage für die Entrechtung und spätere Ermordung deutscher Staatsbürger, die unter die ausgrenzenden Definitionen der Nürnberger Rassengesetze von 1935 fielen. Der Ausschuss für Völkerrecht existierte auch noch 1942: Bruns war sein Vorsitzender, Carl Schmitt einer seiner ständigen Mitarbeiter.
9. In einem ersten Exkurs habe ich aus der Rede Hans Franks vom 25. Juni 1934 auf der ersten Jahrestagung der AfDR in München zitiert. Er hatte diese Rede vor vielen ausländischen Gästen gehalten. In ihr distanzierte sich Hans Frank ausdrücklich vom Gehalt des 19 Punktes des Programms der NSDAP vom Februar 1920: Eine Kampfansage an das Römische Recht war im Sommer 1934 strategisch nicht klug, da es ums Schmieden einer Achse mit dem faschistischen Italien ging.
10. In derselben Rede hat Hans Frank an mindestens zwei Stellen seine Loyalität zu Hitler gegen Röhm zum Ausdruck gebracht. Am selben Tag hatte Hitler dem Reichswehrminister Werner von Blomberg mitgeteilt, er werde am 30. Juni 1934 gegen Röhm vorgehen.
Es ist möglich, dass der Reichswehrminister Werner von Blomberg zusammen mit Hans Frank in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 25. Juni 1934 diskutiert hat, wie sie auf Hitlers Ankündigung vom 25. Juni 1934 reagieren werden. Die beiden Stellungnahmen zu dieser Frage in der Rede von Hans Frank, die er am Abend des 25. Juni 1934 gehalten hat, könnte Wirkung einer Besprechung im Ausschuss für Rechtsphilosophie gewesen sein.
11. Bemerkenswert ist ferner Hans Franks Aufzählung der „Gesetze des Kabinetts Hitlers“ in seiner Rede vom Abend des 25. Juni 1934 in München. Hans Frank bezog sich u.a. auf das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933“, durch das in einer ersten Anwendungsrunde u.a. Emil Julius Gumbel (1891-1966) entrechtet worden ist. Gumbel war einer der mächtigsten Gegner des akademischen Nationalsozialismus vor 1933.
6. Zeitgenössische Kurzbiographien des Jahres 1935 der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Wer waren die zwölf Männer, die noch nach Ernennung Alfred Rosenbergs zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete am 17. Juli 1941 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren? Was konnten ihre Zeitgenossen über sie wissen?
Vier der zwölf Männer sind noch heute weltberühmt. Deswegen müsste ich die beiden zum Tode verurteilten NS-Verbrecher Alfred Rosenberg und Hans Frank hier weiter nicht vorstellen. Dasselbe gilt grundsätzlich auch für Martin Heidegger und Carl Schmitt. Da bislang aber auch von diesen vier Männern öffentlich nicht gewusst wurde, dass sie noch nach dem 17. Juli 1941 in institutionellem Kontakt zueinander standen, beziehe ich auch diese vier in diesem Abschnitt ein.
Ich stelle hier jedes Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie anhand mindestens einer Kurzbiographie des Jahres 1935 vor.
Für die Gruppendynamik innerhalb dieses Männerbundes ist die Altersstruktur sicherlich relevant gewesen. Deswegen stelle ich sie einzeln nacheinander vor und beginne beim Ältesten (Erich Jung) und ende beim Jüngsten (Hans Frank).
Ich habe zwei zeitgenössische Nachschlagewerke benutzt, die ich zunächst näher charakterisiere. Die erste Quelle bietet jenseits der Kurzbiographien weitere Informationen, die interessant sind, da ich mit ihnen den braunen Faden etwas weiterspinnen kann, den ich in meinen Abschnitten 3 und 5 begonnen habe: Reagierte Emge mit seiner angeblichen Nachberufung des Reichswehrministers Werner von Blomberg Mitte Juni 1934 auf die Ereignisse um den sog. »Röhm-Putsch« herum?
6.1. Die Quellen:
6.1.1. „Das Deutsche Führerlexikon 1934/35“, Berlin: Verlagsanstalt Otto Stollberg 1934/35
Das Exemplar des »Deutschen Führerlexikons 1934/35«, das ich eingesehen habe, ist das sekretierte Exemplar der Universitätsbibliothek Heidelberg. Ich bedanke mich an dieser Stelle herzlich für die Unterstützung meiner Forschungen durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der UB Heidelberg.
Da dieses Lexikon meines Wissens nicht nur in Heidelberg sekretiert ist und bislang nur von Experten als Informationsquelle genutzt wurde, nicht selten ohne öffentlich auf sie Bezug zu nehmen, ist es wissenschaftlich geboten, es hier zunächst vorzustellen.
Es besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist bedeutend umfangreicher als der zweite. Er umfasst die Seiten 16 bis 552. Er präsentiert in alphabetischer Reihenfolge Kurzbiographien der »deutschen Führer«, häufig unter Beigabe eines Passfotos. Aus diesem ersten Teil werde ich in 6.2. alle diejenigen Kurzbiographien präsentieren, in denen eines der 12 Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie vorgestellt werden.[247] Das sind: Carl August Emge, Hans Frank, Martin Heidegger, Ernst Heymann, Erich Jung, Wilhelm Kisch, Helmut Nicolai und Alfred Rosenberg (8 Personen). Im »Führerlexikon« fehlen: Viktor Bruns, Max Mikorey, Erich Rothacker und Carl Schmitt (4 Personen).
Der zweite Teil des »Deutsche Führerlexikon 1934/35« stellt die Organisationen der »Bewegung«, des »Staates« und des »Volkes« vor.
Beide Teile weisen mehrere Bearbeitungsschichten auf, die jedenfalls auch dem Zweck dienen, Informationen über Ernst Röhm, die in der Schicht vorhanden waren, zu beseitigen.
Die erste Bearbeitungsschicht ist eine Druckversion, für welche die Imprimatur durch die NSDAP am 15. Juni 1934 erfolgte (Titelblatt des Lexikons). Der Zeitraum vom 13. Juni 1934 bis zum 26. Juni 1934 ist bereits mehrfach in meiner Darstellung relevant geworden: Emge plante die dritte Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie (3.5.), Emge holte (angeblich) den Reichswehrminister Werner von Blomberg als Mitglied in den Ausschuss für Rechtsphilosophie (5.2.) und Hans Frank hielt eine Rede am 25. Juni 1934, in der er für »den deutschen Rechtsstaat Adolf Hitlers« und gegen Ernst Röhm Stellung bezog (5.4.). Die erste Bearbeitungsschicht des »Deutsche Führerlexikon 1934/35« ist so früh erstellt worden, dass in ihr noch keine Stellungnahme bezüglich der Alternative „Hitler vs. Röhm“ enthalten ist. Die weiteren Bearbeitungsschichten ändern das:
Es sind jedenfalls mehrere Informationen, die auf verschiedene Weise eingearbeitet worden und die Ereignisse betreffen, die erst nach dem 15. Juni 1934 stattgefunden haben. So wird Bezug genommen auf
1.) das Gesetz vom 1. August 1934, das festlegte, dass der Reichskanzler Adolf Hitler im Fall des Todes des Reichspräsidenten auch Reichspräsident werden würde,
2.) den Tod des Reichspräsidenten Hindenburg am 2. August 1934[248] und
3.) die Folgen der Aktion Hitlers gegen den sog. „Röhm-Putsch“, der Ende Juni, Anfang Juli stattfand[249].
In Folge des »Röhm-Putsches« sind diversen Posten umbesetzt worden, so dass die – namentlich nicht genannten – Herausgeber des »Deutschen Führerlexikons« vor dem Problem standen, dass in den bereits gedruckten Exemplaren Personen in führenden Positionen genannt wurden, die inzwischen ihre Posten, häufig ihr Leben verloren hatten. Die Herausgeber lösten dieses Problem so, dass sie die betreffenden Zeilen überkleben ließen. Gab es eine Ersatzinformation, war diese auf dem überklebenden Zettel in derselben Schrifttype, in der die Erstexemplare gedruckt worden waren, aufgedruckt. Gab es keine Ersatzinformation, enthielt die leserzugewandte Seite des überklebenden Zettels keinen Aufdruck. Die aufgeklebten Zettel sind nicht durchsichtig, so dass man die unter ihnen gedruckte Information nicht erkennen kann.
Das sah exemplarisch z.B. so aus:
Abbildung 14: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 52
Die Information „Polizeidirektion München […] zur Zeit unbesetzt“ ist die Information auf der leserzugewandten Seite des Überklebezettels. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit steht unter dem Zettel der Name Ludwig Schneidhubers (1887; † 30. Juni 1934 in München-Stadelheim). Es gibt mehr Überklebungen. Auf ein paar werde ich aufmerksam machen.
Wie erwähnt, beginnt der Organisationsteil des »Deutschen Führerlexikon 1934/35« mit der Darstellung der Führer der »Bewegung«, gefolgt von den Führern des »Reiches« (und nicht etwa des „Staates“), gefolgt von den Führern des »Volkes«.
Die Spitze der Bewegung ist selbstverständlich »Der Führer«. Unterstützt durch seinen Adjutanten Wilhelm Brückner und der „Privatkanzlei Adolf Hitlers“. Es folgt »Der Stellevertreter des Führers« Rudolf Heß. Unterstützt durch den Stabsleiter Martin Bormann und den Adjutanten Alfred Leitgen. Darauf folgt die »Reichsleitung«, die aus »Reichsleitern« besteht. Gleich beim ersten Eintrag der Reichsleiter war eine Überlebung erforderlich. Röhm, der Stabschef der SA musste unsichtbar gemacht werden. Sein Nachfolger wurde Viktor Lutze.[250] Das sah dann so aus:
Abbildung 15: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 5
Natürlich fehlt in der Darstellung der »Bewegung« auch nicht eine Nennung der SA. Die sah dann so aus:
Abbildung 16: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 8
Die beiden Überklebungen des Namens Röhms sind die einzigen beiden Überklebungen im Bereich der »Bewegung«. Dem Exemplar, das der Universitätsbibliothek Heidelberg gehört, ist tatsächlich ein Nachtrag beigegeben. In ihm findet sich aber nicht die angekündigte Information. Auf der ersten Seite des tatsächlich beigegeben Textes ist zu lesen: „Nachträge und Berichtigungen zum 2. Teil (Die nachstehend aufgeführten Nachträge und Berichtigungen gingen nach Ausdruck des Buches ein.)“. Weder die SA noch die SS werden in diesem Nachtrag auch nur ein einziges Mal erwähnt.
In der zweiten Rubrik »das Reich« gibt es einige Überklebungen. Eine große Überklebung ist beim Preußischen Staatsrat vorgenommen worden:
Abbildung 17: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 40 f.
Von „Dietrich, Reichspressechef“ bis „Reinhart, Bankdirektor“ reicht die Überklebung. Zu den Personen, deren Namen überklebt worden sind, gehören sehr wahrscheinlich u.a. folgende Personen:
- Ernst Röhm (1887; † 1. Juli 1934 in München-Stadelheim)
- Georg von Detten (1887-1934); 2. Juli 1934 (offiziell 4.00 Uhr vormittags) in Berlin-Lichterfelde, SS-Kaserne Lichterfelde; Eintrag auf der offiziellen Todesliste der Geheimen Staatspolizei
- Karl Gustav Ernst (*1904; † 30. Juni 1934 Berlin-Lichterfelde)
- Edmund Heines (1897-1934); 30. Juni 1934 in München, Gefängnis Stadelheim, Eintrag auf der offiziellen Todesliste der Geheimen Staatspolizei[251]
- Fritz Ritter von Krausser, SA-Obergruppenführer, ständiger Stellvertreter des Stabschefs Röhm, Mitglied des Reichstags und des Preußischen Staatsrat
Dass folgende Personennamen nicht überklebt worden sind, ist bemerkenswert:
- Kurt Schmitt ist am 30. Juni 1934 von seinem Amt als Mitglied des Preußischen Staatsrats beurlaubt worden. Er ist aber nicht ermordet worden. Und sein Name ist im »Deutschen Führerlexikon 1934/35« nicht überklebt worden.
- Wilhelm Karpenstein (1903-1968). Er wurde erst am 21. Juli 1934 als Gauleiter von Pommern abgesetzt und aus der NSDAP ausgeschlossen. Die Gründe für seine Entmachtung scheinen nichts mit den Gründen zu tun zu haben, die anderen Personen zu Mordopfern machten.
Dass Karpensteins Name nicht überklebt worden ist, spricht dafür, dass der überklebende Zettel vor dem 21. Juli 1934 hergestellt und eingeklebt worden ist. Es gibt demnach folgende Schichten:
- Schicht: Da das Vorwort auch auf den 1. Mai 1934 datiert ist, wähle ich diesen Datum als Datum für die erste Schicht
- Schicht: Die Überklebungen, die Ernst Röhm, einige Polizeidirektoren und einige Mitglieder des Preußischen Staatsrates betrafen. Wegen Karpenstein datiere ich die Beendigung der Arbeit an dieser Schicht auf den 21. Juli 1934.
- Schicht: da eine gedruckte Information des Verlages zum Vorwort vom 1. Mai 1934 auf den 2. August 1934 datiert ist und auch den Tod Hindenburgs Bezug genommen wird, datiere ich die dritte Bearbeitungsschicht auf die Zeit nach dem 2. August 1934 datiert ist.
Da die Schicht mit den Überklebungen sichtbar unprofessionell ist, vermute ich, dass letztlich entschieden worden ist, die Gesamtauflage des »Führer-Lexikons« zu vernichten. Ein paar Exemplare sind der Vernichtung entgangen. Eines befindet sich im Besitz der Universitätsbibliothek Heidelberg. Weshalb wurde entschieden die Gesamtauflage zu vernichten. Das ist ziemlich offensichtlich: Viele der vorgestellten »deutschen Führern« gehören nicht dem Kreis oder näheren Umkreis der NSDAP an, sondern dem Kreis oder näherem Umkreis der DNVP an. Diese Nähe zwischen NSDAP und DNVP sollte verborgen werden.[252]
Nun zur Darstellung der AfDR in Teil 2 des »Deutschen Führerlexikons 1934/35« interessant. Die AfDR ist in diesem merkwürdigen Lexikon weder eine Organisation »der Bewegung« noch »des Staates«, sondern »des Volkes«. Ich habe mir keine Mühe gegeben, mir darauf einen Reim zu machen. Müsste ich raten, würde ich sagen, diese Zuordnung verdankt sich dem Team Frank&Kisch. Frank betonte im wieder öffentlich »das Volksprimat«. Kisch charakterisierte mindestens einmal die AfDR als „das juristische Gewissen des deutschen Volkes“.[253]
Auch im Bereich der Darstellung der AfDR sind Überklebungen vorgenommen worden. Sie werden nach dem 15. Juni 1934 und vor dem 21. Juli 1934 (Karpenstein) gemacht worden sein.
Zunächst werden die Mitglieder des Präsidiums der AfDR vorgestellt. Hier gibt es zwei Überklebungen:
Abbildung 18: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; Zweiter Teil, Seite 78
Wessen Name stand zwischen den Namen von Kißkalt und Popitz und wessen Namen zwischen den Namen von Reinhardt und Schlegelberger? In der Zeitschrift „Deutsches Recht. Zeitschrift des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ ist 1933 ein Überblick über die „Gliederung der Akademie für Deutsches Recht“[254] veröffentlicht worden. Dabei ist auch ihr Führerrat vorgestellt worden. In folgender Tabelle stelle ich die Informationen einander gegenüber:
Führerrat der AfDR („Deutsches Recht“ vom15. Dezember 1933) | Präsidium der AfDR »Deutsches Führerlexikon« Sommer 1934[255] |
Hans Frank | Hans Frank |
Wilhelm Kisch (stellvertretender Führer) | Wilhelm Kisch (stellvertretender Präsident) |
Hanns Kerrl | Preußischer Justizminister Hanns Kerrl |
Roland Freisler | Staatssekretär Dr. Roland Freisler |
RJM Franz Gürtner | RJM Franz Gürtner |
Ernst Röhm | |
Johannes Popitz | Preuß. Staats- und Finanzminister Johannes Popitz |
Otto Thierack | Staatsminister Otto Thierack |
Franz Schlegelberger | Franz Schlegelberger, Staatssekretär im RJM |
Wilhelm Heuber | Wilhelm Heuber, „Reichsgeschäftsführer des BNSDJ“ |
Walter Luetgebrune | |
Carl Schmitt | Staatsrat Professor Carl Schmitt |
Wilhelm Arendts | Wilhelm Arendts (Schatzmeister der AfDR) |
„Bankier August von Finck“ | |
Reichsminister des Inneren Wilhelm Frick | |
Reichsminister Joseph Goebbels | |
Dipl.-Ing. Wilhelm Keppler[256] (1882-1960) „Wirtschaftsbeauftragter des Führers“ | |
Wilhelm Kißkalt (1873-1958) | |
Staatssekretär Fritz Reinhardt (1895-1969) | |
Dr. Karl Lasch, Direktor der AfDR |
Ich vermute, dass die Namen von Ernst Röhm und Walter Luetgebrune überklebt worden sind. Da Walter Luetgebrune im Mai 1934 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie war, ist das bemerkenswert. Mit Luetgebrune werde ich mich in einem eigenen Exkurs noch in Abschnitt 7 beschäftigen. Dass Luetgebrune im Sommer 1934 nicht völlig in Ungnade gefallen ist, könnte der Umstand belegen, dass sein Name in der Vorstellung des Ausschusses für Straf- und Prozessrecht nicht überklebt worden ist. Vorsitzender dieses Ausschusses war Roland Freisler, Luetgebrune sein Stellvertreter.[257]
Es werden 25 Ausschüsse der AfDR angegeben. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird nicht erwähnt. Carl Schmitt wird als Vorsitzender des Ausschusses für Staats- und Verwaltungsrecht genannt. Viktor Bruns als Vorsitzender des Ausschusses für „Internationales Recht“. Hier gibt es keine Überklebungen.
Die Akademie für deutsches Recht wird von dem Präsidenten, Herrn Reichsjustizkommissar Staatsminister Dr. Frank geleitet. Ein Präsidium, zusammengesetzt aus hervorragenden Persönlichkeiten der Parteiführung und der Reichsregierung, aus namhaften wissenschaftlichen und praktischen Vertretern des Rechts und der Wirtschaft, steht dem Präsidenten beratend und stützend zur Seite. Alle Rechtsgebiete werden im Rahmen der großen Rechtsreform durch Ausschüsse der Akademie für Deutsches Recht bearbeitet.
Solche Ausschüsse bestehen für:
[…]
Bürgerliche Rechtspflege
Vorsitzender: Geheimrat Prof. D. W. Kisch
München, Leopoldstr. 7 II
Strafrecht und Strafprozeßrecht
Vorsitzender: Staatssekretär Dr. R. Freisler
Berlin W 8, Wilhelmstr. 65
Stellvertretender Vorsitzender: Justizrat Dr. W. Luetgebrune
Berlin W 9, Bellevuestr. 8
Staats- und Verwaltungsrecht
Vorsitzender. Staatsrat Prof. Dr. C. Schmitt
Berlin-Stieglitz, Schillerstr. 2
[…]
Polizeirecht
Vorsitzender: Staatssekretär Grauert,
Berlin, Preußisches Innenministerium
Wehrrecht
Vorsitzender: Oberführer Binz
Berlin, Reichsinnenministerium
[…]
Internationales Recht
Vorsitzender: Prof. Dr. V, Bruns
Berlin-Zehlendorf-West, Sven-Hedinstr. 19
[…]
Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlicher Nachwuchs
Vorsitzender: Preuß. Finanzminister Prof. Dr. Popitz
Berlin-Steglitz, Brentanostr. 50
[…]
(Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; 1934), Zweiter Teil, Seite 78 f.
Das Nichterwähnen des Ausschusses für Rechtsphilosophie muss kein Indiz dafür sein, dass zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Überblicks über die Ausschüsse der AfDR bereits entschieden worden ist, seine Existenz öffentlich nicht mehr bekannt zu geben. Es kann sich auch um ein Versehen handeln. Dass der Ausschuss von Viktor Bruns hier Ausschuss für „Internationales Recht“ und nicht für „Völkerrecht“ heißt, könnte auch ein Fehler sein. Es könnte aber auch sein, dass das Nichterwähnen des Ausschusses für Rechtsphilosophie tatsächlich bereits Wirkung einer Entscheidung gewesen ist, ihn geheim werden zu lassen.
Abschließend werden die ordentlichen und die korporativen Mitglieder der AfDR aufgelistet. Die korporativen Mitglieder sind vor allem Hochschulen und Teile von Hochschulen, die je nach dem durch ihre Rektoren, Dekane oder Direktoren in der AfDR vertreten sind. Ordentliche Mitglieder sind natürliche Personen. Auch hier gibt es Überklebungen.
Abbildung 19: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 78
Vermutlich steht unter dem Überklebezettel der Name von Walter Luetgebrune. Es könnte dort aber auch der Name von Werner Mansfeld[258] stehen. In der Mitgliederlist der AfDR, die im ersten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht im Sommer 1934 veröffentlicht worden ist (Quellenverzeichnis / Quelle 1), stehen nämlich die Namen Luetgebrunes und Mansfeld zwischen Luer und Meißner. Vielleicht sind auch beide Namen überklebt worden.
Der nächste Überklebezettel bei den Mitgliedern der AfDR ist zwischen Reinhardt und Roselius platziert:
Abbildung 20: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 82
In der Mitgliederliste, die im ersten JAfDR veröffentlicht worden ist, konnte man die Namen von Ernst Röhm und Wilhelm Römer lesen.
Es gibt keine weiteren Überklebungen bei den ordentlichen Mitgliedern der AfDR.
Von den Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie werden als ordentliche Mitglieder der AfDR genannt: Viktor Bruns, C. A. Emge, Ernst Heymann, Erich Jung, Wilhelm Kisch, Max Mikorey und Carl Schmitt.
Mit Rückblick auf die Fehlinterpretation der Heidegger-Forschung, Julius Streicher sei Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen, nenne ich hier Namen von Personen, die ähnlich prominent sind wie Julius Streicher und die als ordentliche Mitglieder der AfDR aufgelistet sind. Julius Streicher ist nicht unter ihnen. Sein Name ist mir auf keiner Liste der AfDR oder einer ihrer Ausschüsse aufgefallen. Hier nun die Namen prominenter ordentlicher Mitglieder der AfDR des Jahres 1934: Walther Darré, Rudolf Heß, Heinrich Himmler, Dietrich Klagges, Hans Heinrich Lammers, Robert Ley, Franz von Papen, Johannes Popitz, Curt Rothenberger, Bernhard Rust, Hjalmar Schacht, Hans Schemm, Baldur v. Schirach, Franz Schlegelberger, Kurt Schmitt (Reichswirtschaftsminister), Wilhelm Stuckart, Georg Thierack, Fritz Thyssen, „Erbprinz zu Waldeck und Pyrmont, Josias, SS-Gruppenführer“[259]. Das »Deutsche Führerlexikon 1934/35« kann demnach nicht Quelle für Karl Löwiths Annahme gewesen sein, Julius Streicher hätte etwas mit der AfDR so zu tun gehabt, dass Martin Heidegger ihm dort begegnet sei.
Wie gezeigt, wurde der Name von Ernst Röhm im zweiten Teil des Führerlexikons überklebt. Teil I umfasst viele Kurzbiographien von »deutschen Führern«. Ist der Eintrag zu Ernst Röhm auch in Teil I überklebt worden? Nein! Ist das vergessen worden? Nein. In Teil I gibt es weder einen Eintrag zu Ernst Röhm noch ist an der fraglichen Stelle der alphabetischen Vorstellung ein Überklebung eingefügt worden. Dasselbe gilt für Walter Luetgebrune. Ich nehme deshalb an, dass Teil I nach dem sog. »Röhm-Putsch« komplett neu gesetzt und gedruckt worden ist.
Dass Carl Schmitt mit keinen Artikel im biographischen Teil I vertreten ist, ist vielleicht ein Missgeschick. Falls es einen Grund dafür gab, könnte er mit einem Konflikt zwischen Carl Schmitt und Alfred Rosenberg im Jahr 1934 zu tun haben. Das skizziere ich in folgendem Exkurs.
6.1.2. Exkurs: Alfred Rosenberg contra Carl Schmitt 1934?
Der zweite Teil des »Deutschen Führerlexikons 1934/35« beginnt mit einer neuen Seitenzählung und umfasst die Seiten 3 bis 148. Der zweite Teil präsentiert den „gesamten Aufbau von Bewegung, Staat und Volk in weitgehender Untergliederung zusammengestellt. Bei jeder Stelle wird die mit der Führung beauftragte Persönlichkeit angegeben.“[260]
6.1.2.1. Bewegungsprimat vs. Staatsprimat
Der zweite 2 beginnt mit einem Text „Zur Einführung“. Seine Verfasser wenden sich sachlich, aber nicht namentlich, gegen Carl Schmitts Hierarchisierung von „Staat, Bewegung, Volk“ in dessen gleichnamiger Schrift von 1933. Da das gesamte Lexikon schwer zugänglich ist, zitiere ich den Einführungstext vollständig:
Zur Einführung
Aus dem schöpferischen Willen des Nationalsozialismus und unter seiner Führung vollzieht sich seit dem 30. Januar 1933 in Deutschland eine völlige Neugestaltung des Staates und der Gemeinschaft des Volkes.
Ihre einheitliche Anlage und Durchführung erfährt diese Neugestaltung aus dem Führergedanken, der wieder seine geistige und praktische Erprobung aus der Bewegung herleitet. In ihm werden Bewegung, Staat und Volk zu einer Einheit zusammengefaßt, deren Zusammenhalt durch die Bewegung für alle Zeit gewährleistet ist.
Die Bewegung ist also die Kraft, die den Staat erhält und ihn mit neuem Leben erfüllt.[261]
In ihr verkörpert sich der Freiheit- und Erneuerungswillen des deutschen Volkes, und durch sie erhält die erhält staatliche Tätigkeit und Entwicklung ihren Sinn und ihre Bedeutung.
Wir glauben deshalb nicht nur dem Sinne nach, sondern auch aus Gründen größten Übersichtlichkeit und der Berücksichtigung aller Zusammenhänge, das Richtige zu treffen, wenn wir im nachfolgenden den Aufbau des neuen Deutschlands in der Reihenfolge
Bewegung Staat Volk zur Darstellung bringen. Der Aufbau ist so angelegt, daß er sich ausdrücklich auf alle wichtigen Aufgaben beschränkt. Nur dadurch ist es uns möglich gewesen, ein allgemeines Nachschlagewerk in wirklich übersichtlicher Anordnung zu schaffen. Bei jeder Angabe wird das Amt und die mit seiner Führung beauftragte Persönlichkeit angegeben, und zwar nach dem Stand vom 15. April bis 1. Mai 1934. Diese Angaben sind sämtlich von den zuständigen Stellen nachgeprüft.
(Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; 1934), Teil 2, S. 3
In der von mir fettgeduckten Folgerung des Einführungstextes wird sehr deutlich gemacht, dass die Bewegung und nicht der Staat das wichtigere Element in der Dreier-Menge „Volk, Staat, Bewegung“ sei. Carl Schmitt hatte das Machtverhältnis in seiner Schrift von 1933 „Staat, Bewegung, Volk“ anders bestimmt. Hier dominierte der Staat. Ein weiterer Fall des Konfliktes von Rosenbergs Dynamismus und Schmitts konkretem Ordnungsdenken? Von Röhm und Hitler? Ich glaube schon.
Nebenbei sei bemerkt, dass damit Hans Franks persönliches Plädoyer fürs »Volksprimat« in seiner Eröffnungsrede vom 3. Mai 1934 (vgl. Unterabschnitt 4.4.2.) im doppelten Gegensatz stand.
Wer verfasste die Einführung? Das wird namentlich nicht angegeben. Anhand anderer Informationen ist aber klar, dass Alfred Rosenberg und Martin Bormann das Bewegungsprimat gegen Carl Schmitt vertraten. Ich zitiere aus Heft 21 vom 25. Mai 1934 des Amtsblatts „Deutsche Justiz“ des Reichsjustizministeriums die Darstellung der Position Alfred Rosenbergs auszugsweise:
Blick in die Presse
[…]
„Wir wollen nicht den totalen Staat, sondern die Totalität der Bewegung im totalen Staat“
Alfred Rosenberg bei Eröffnung des Sommersemesters der Universität Leipzig
[1] Bei der feierlichen Eröffnung der Leipziger Universität hielt Alfred Rosenberg eine Ansprache, in der er, wie der V. B. berichtet, u.a. ausführte:
[…] | S. 685 […]
[5] Eine Revolution besteht nicht in Machtakten, sondern in der Umwandlung des Geistes und der Seele eines ganzen Volkes. Revolution war nicht nur a, 30. Januar des vergangenen Jahres, Revolution war auch im Februar des Jahres 1920, als die Thesen der Bewegung proklamiert wurden. Revolution ist seit 14 Jahren.
[6] Und nur die erste Etappe der Revolution hat jetzt ihren Abschluß gefunden.
[7] Eine Kultur sei nur so stark, wie der Wille ihrer Träger, sie zu verteidigen. Das Deutschland von gestern war geistig unterhöhlt, und alle wirklich echten Fundamente des deutschen Wesens waren vergiftet. Es stellte sich dabei heraus, daß der bürgerliche Nationalsozialismus der Sturmflut nicht standhalten konnte. Genau so schwach war auch das Christentum der bolschewistischen Sturmflut gegenüber.
[8] Die nationalsozialistische Idee allein war es, die diesen Vergiftungserscheinungen trotzen, ja mehr noch, sie überwinden konnte.
[…]
[10] Der Nationalsozialismus geht genau von umgekehrten Voraussetzungen aus: Er sagt: erst wenn es dem ganzen Volk gut geht, dann kann es auch dem einzelnen gut gehen.
[…]
[13] Die Rassenkunde, die jetzt im deutschen Volk weitesten Eingang findet, bedeutet einen Versuch der Selbstbesinnung. Und wenn sie auf den Schulungskursen gelehrt wird, so ist das das Zeichen einer großen Sehnsucht, einig mit sich selbst zu werden auf politischem Gebiet sowohl wie auf wissenschaftlichem sowohl wie auf religiösem.
[14] Bisher war es leider so, daß der Student in dem einen Hörsaal das Gegenteil von dem hörte, was er im anderen Hörsaal lernte.
[15] Abschließend prägte Alfred Rosenberg die Worte: Nicht den totalen Staat wollen wir, sondern die Totalität der nationalsozialistischen Bewegung, nicht den Ständestaat wollen wir, sondern ein politisches Machtgebilde mit ständischer Gliederung.●
(Pressebericht: Rosenbergs Rede zur Eröffnung der Leipziger Universität 1934)
Zurück zum zweiten Teil des »Deutsche Führerlexikon 1934/35«. Auf Seite 5 des zweiten Teils wird die Spitze der Bewegung in ihrer gesamten Breite namentlich genannt. Unter Änderung des Layouts und unter Hinzuführung von Aufzählungsnummer zitiere ich die Liste vollständig:
Der Führer Adolf Hitler mit seinem Adjutanten Wilhelm Brückner und der Privatkanzlei Adolf Hitlers […]. Der Stellvertreter des Führers Rudolf Heß mit seinem Stabsleiter Martin Bormann und dem Adjutanten Alfred Leitgen. Die Reichsleiter: 1. Stabschef der SA: Viktor Lutze [durch überklebenden Zettel nachgetragen; mw]; 2. Reichsführer SS: Heinrich Himmler mit dem Adjutanten Karl Wolff; 3. Reichsschatzmeister: Frz. Xaver Schwarz mit Stabsleiter Hans Saupert; 4. Reichsgeschäftsführer: Philipp Bouhler mit Stabsleiter Viktor Brack; 5. Vorsitzender des Obersten Parteigerichts: Walter Buch mit Beisitzer Ludwig Schneider; 6. Vorsitzender der 2. Kammer des Obersten Parteigerichts: Wilhelm Grimm mit Beisitzer: Konrad Hofer; 7. Stabsleiter der PO: Dr. Robert Ley mit Adjutant Rudolf Schmeer; 8. Leiter des agrarpolitischen Amtes: Walther Darré mit Adjutant Harro v. Zeppelin; 9. Reichspropagandaleiter: Dr. Josef Goebbels mit Stellvertreter Hugo Fischer; 10. Leiter der Rechtsabteilung: Hans Frank mit Stellvertreter Dr. Ludwig Fischer; 11. Reichspressechef Dr. Otto Dietrich mit Stellvertreter Adolf Dresler; 12. Amtsleiter für die Presse: Max Amann mit Stabsleiter Hans Franke; 13. Leiter des Außenpolitischen Amtes: Alfred Rosenberg; 14. Reichsjugendführer: Baldur von Schirach mit Adjutant Horst Krutschinna; 15. Schriftführer der NSDAP e.V.: Karl Fiehler; 16. Leiter des wehrpolitischen Amtes: Franz v. Epp mit Stellvertreter Oberst Haselmayer; 17. Stabsleiter des Stellvertreter des Führer: Martin Bormann; 18. Führer der Reichstagsfraktion: Dr. Wilhelm Frick.
(Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; 1934), Teil 2, S. 5
Durch Fettdruck habe ich die Namen der beiden Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie hervorgehoben und den Namen Martin Bormanns, da er gleich vorkommen wird.
Da ein Regest, das von Helmut Heiber in seiner sehr hilfreichen „Rekonstruktion eines verloren gegangenen Bestandes“ der „Akten der Parteikanzlei der NSDAP“ 1983 herausgegeben wurde, belegt, dass ungefähr in dem Zeitraum, in dem dieser Einführungstext des »Deutschen Führerlexikons 1934/35« verfasst wurde, Alfred Rosenberg Carl Schmitt noch misstraute, halte ich es für wahrscheinlich, dass Martin Bormann und Alfred Rosenberg sowohl die Einführung verfasst haben, als auch entschieden haben, Carl Schmitt nicht in das „Deutsche Führerlexikon 1934/35“ aufzunehmen.
Das von Heiber herausgegebene Regest fasst den Inhalt mehrerer Schriftstücke zusammen, die der Stab des Stellvertreter des Führers, dessen Leiter Martin Bormann war, mit Alfred Rosenberg zwischen dem 12. und 21. Juni 1934 gewechselt hat. Diese Tage im Juni Jahres 1934 sind bereits mehrfach relevant gewesen.
In meinen Abschnitten 3 und 5 hatte ich den Zeitraum vom 13. Juni bis zum 25. Juni 1934 als den Zeitraum bestimmen können, zu dem Emge es für angemessen erachtete, den Reichswehrminister von Blomberg und Carl Schmitt als Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie für eine Veröffentlichung in Hans Franks „Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung“ zu nennen. In diesem Zeitraum viel aber auch die Entscheidung, auf der ersten Jahrestagung der AfDR in München keine öffentliche Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie durchzuführen.
Hier nun das Regest:
12.-21.6.34 Rosenberg 20578[262]
Mitteilung des Stabs StdF [Bormanns; mw] über den Plan Heß’, eine von Bouhler zu leitende Hochschulkommission zu bilden, und über die in Aussicht genommenen Mitglieder; dabei Anfrage wegen einer Mitgliedschaft auch Rosenbergs. Dessen [Rosenbergs; mw] Stellungnahme: Hinweis auf ein mit Rust geschlossenes Abkommen über die Zusammenarbeit u. a. bei der Berufung von Hochschullehrern und auf eine in diesem Zusammenhang gemachte Mitteilung H. (ein schon vor der Betrauung Rosenbergs mit der weltanschaulichen Überwachung unternommener ähnlicher Vorstoß auf Widerstände unterer Stellen gestoßen, keine Einwände gegen die Leitung einer für diese Fragen zu bildenden Kommission durch Rosenberg); Reklamierung der eigenen [Rosenbergs; mw] Zuständigkeit und Bezweiflung der Befähigung B.s; Ablehnung einer Berufung des Prof. Carl Schmitt (früher sehr deutlich für die Weimarer Verfassung eingetreten) und des Pg. v. Kloeber („reichlich junger Mensch“ ohne genügenden Überblick). Daraufhin Übernahme des Vorsitzes der Kommission durch H. selbst. Bitte Rosenbergs an H., mit ihm noch einmal über die ganze Angelegenheit zu sprechen.
W 126 00869 f., 874 f„ 877 f, 881 f. (177)
(Heiber 1983), Regest 20578
Über die Hochschulkommission, für die Alfred Rosenberg eine Berufung Carl Schmitts Mitte Juni 1934 ablehnte, informiert das »Deutsche Führerlexikon 1934/35« unter der Eingangsrubrik »die Bewegung« folgendermaßen:
Abbildung 21: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, S. 8
Ein weiteres Regest Heibers belegt mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass das Misstrauen Alfred Rosenbergs gegen Carl Schmitt wenige Monate später bereits verschwunden war. Inzwischen war Schmitt Mitglied genau dieser „Hochschulkommission der NSDAP“ geworden. Er sollte in dieser Eigenschaft nur nicht in Erscheinung treten.[263] Auch hier wirkte sich vermutlich eine Entscheidung zur Geheimhaltung aus, die bald nach der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie auch für diesen getroffen worden ist:
2.10.34 Rosenberg-1 20739
Unter Bezugnahme auf die Verfügung Hitlers über die Zuleitung von Gesetzentwürfen an die Partei zur Stellungnahme Bitte Rosenbergs, in seinem Amtsbereich außenpolitische Entwürfe ihm persönlich, Entwürfe zur Außenhandelspolitik seinem Amt für Außenhandel zuleiten zu lassen, hinsichtlich seiner anderen Dienststelle die Zuleitung von Entwürfen des Reichserziehungsministers an die Hochschulkommission ausreichend; in diesem Zusammenhang Kritik an der Versendung von Schreiben zwecks Errichtung von Weltanschauungsprofessuren durch den auch von Heß abgelehnten v. Kloeber und Forderung, Prof. Karl Schmidt (gemeint wahrscheinlich: Carl Schmitt) in der Hochschulkommission nicht in Erscheinung treten zu lassen.
W 126 00817 (177)
(Heiber 1983), Regest 20739
6.1.2.2. Reinhard Höhn – der Mittler zwischen den beiden Extremen?
Wer hätte Alfred Rosenbergs weltanschauliches Misstrauen gegen Carl Schmitt wie zerstreuen können? Ich vermute, Reinhard Höhn hat das (1904-2000) gemacht hat. Wie bereits in I.3.2.4. zitiert, hat Carl Schmitt die Eröffnungssitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 geschwänzt. Nach seiner Tagebucheintragung hat er am 4. Mai 1934 einen Brief geschrieben. Die Herausgeber vermuten an Höhn. Die Zeichenkette ist nicht sicher entzifferbar: Ich zitiere erneut:
4. [Mai 1934; mw] Freitag
Schnell an Höhn <?> geschrieben, traurig und deprimiert. Herumgelegen, Vorlesung
schlecht vorbereitet, müde und traurig. Mittags geschlafen, Abends Verwaltungsjuristentagung, Frank und Nikolai sprechen, aber früh nach Hause.
(Schmitt, Tagebücher 1930-1934; 2010), S. 343
Reinhard Höhn, der von manchem Schmitt-Experten in den letzten Jahrzehnten zum Strippenzieher bei der angeblichen Entmachtung Carl Schmitts Ende 1936 gemacht worden ist, war 1934 eher noch unbekannt. Jedenfalls hat er weder im »Deutsche Führerlexikon 1934/35« noch in Degeners „Wer ist‘s“ (1935) einen Eintrag. In Kürschners-Gelehrten Kalender von 1940/41 gibt es dann einen Eintrag. Den Anfang dieses Eintrags zitiere ich:
Höhn, Reinhard. Staats- und Verwaltungsrecht, Dr. jur., oö. UO., Dir. d. Inst. f. Staatsforschung. Berlin-Zehlendorf, Gobineaustr. 6. (Gräfenthal/Thür. 29. VII 04) Heidelberg UDoz. 34, ao. UP 35, Berlin ao. UP u. Dir. d. Inst. f. Staatsforschung 35, o. UP. 39.
(Lüdtke, Kürschers Gelehrten-Kalender; 1941), S. 744
Im Mai 1932 wurde ein Text von Reinhard Höhn über Carl Schmitt veröffentlicht, der vor Verehrung für Schmitt nur so strotzt. Anlass für die Veröffentlichung ist das „Neuerscheinen“ von Carl Schmitts „Der Begriff des Politischen“ als selbständiger Publikation bei Dunker & Humblot im Jahr 1932. 1927 war Schmitts Text unselbständig in der Zeitschrift „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ erschienen[264].
Höhn behauptet, dass der Begriff des Politischen der Zentralbegriff des Denkens von Carl Schmitt sei, von dem aus dessen bisherige Schriften aus den Weimarer Jahren verstanden werden könnten. Genau diese Schriften hatten ja das Misstrauen Rosenbergs geweckt. Das galt insbesondere für Cal Schmitts Buch „Verfassungslehre“ von 1928.[265] Und da noch 1943 Alfred Baeumler auf einen Konflikt zwischen Rosenbergs Dynamismus und Schmitts Ordnungsdenken im Jahr 1928 anspielt,[266] bin ich mir sehr sicher, dass Höhns Text vom Mai 1932 als Friedensstifter zwischen Rosenberg und Schmitt hätte fungieren können. Ich glaube, ich weiß, was Schmitt Höhn am 4. Mai 1934 morgens geschrieben hat. Schmitt hat Höhn gebeten, dieser möge seinen Text vom Mai 1932 auf möglichst vertrauenswürdige Weise Rosenberg zukommen lassen.
Da Höhns Rezension nicht lang, aber schwer zugänglich ist, zitiere ich sie vollständig. Sie erschien in der Zeitschrift „Gegner. Für neue Einheit“.[267] Der Herausgeber war Franz Jung (1888-1963), der Schriftleiter Harro Schulze-Boysen (1909-1942). Da Reinhard Höhn zweifelsfrei ein mächtiges Mitglied des akademischen Nationalsozialismus war, ist die Lektüre seines Textes auch dann hilfreich, wen ich mich über seine Vermittlerrolle irren sollte.
[1] Derjenige Staatsrechtslehrer, der heute maßgebenden Einfluß auf weite politische Kreise, vor allem auch auf Kreise der Jugend ausübt, ist Carl Schmitt. Das liegt nicht nur an seiner glänzenden Formulierungsgabe, die das Wort meisterhaft zu gebrauchen versteht, es liegt vor allen Dingen daran, daß er, mitten im Leben stehend, der Zeit zu sagen weiß, was ihr Not tut und woran sie krankt. Dem Liberalismus im Denken und Handeln setzt Carl Schmitt die souveräne Entscheidung entgegen, die wiederum auf seiner Unterscheidung von Freund und Feind beruht. Auf der Unterscheidung von Freund und Feind basiert auch sein Begriff des Politischen1), der Zentralbegriff seines ganzen Denkens, aus dem allein seine „Verfassungslehre“, seine „Krisis des Parlamentarismus“, überhaupt alle seine Schriften der neueren Zeit zu verstehen sind. Der Feind ist nicht moralisch böse und nicht ästhetisch häßlich; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft erscheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist, eben der Andere, der Fremde.
1) Vgl. dazu: Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, 1932 neuerschienen bei Dunker & Humblot, von dem die vorliegenden Skizze ausgeht.
(Höhn, Carl Schmitt als Gegner der liberalen Politik; 1932), S. 6
Im nächsten Absatz stellt Höhn korrekt Carl Schmitt als Anti-Liberalen dar. Spannend sind die letzten drei Kontraste, wenn in jedem Fall Schmitt das zweite Element vertreten hätte. Mit leichten Präzisierungen sähe die weltgeschichtliche Lage des Politischen dann so aus: Absolutismus, Monarchie und Entscheidung einer »peer group«. Der Feind Schmitts stünde für: Rechtsstaat, Republik und der Souveränität jedes einzelnen Menschen. Der strittige Punkt ist der zwischen „Absolutismus und Rechtsstaat“. Ich werde in Teil III darlegen, welche Position Carl Schmitt tatsächlich 1934 in dieser Frage vertreten hat.
[2] Dem Liberalismus liegt es, den Begriff des Feindes zu verwischen. Er spricht am liebsten nur vom Konkurrenten, dem wirtschaftlichen Gegner. Er faßt den Feind von der Geschäftsseite aus als Konkurrenten auf, von der geistigen Seite aus versucht er, ihn in einen Diskussionsgegner aufzulösen. Das ist von diesem Standpunkt auch berechtigt. Im Bereich des Ökonomischen gibt es keine Feinde, sondern nur Konkurrenten, und in einer restlos moralisierten Welt nur noch Diskussionsgegner. Einer solchen ethisierenden Auffassung setzt Carl Schmitt die scharfe Unterscheidung der Wirklichkeit entgegen und zeigt im einzelnen, wie diese Freund- und Feindgruppierung sich überall, auch da, wo sie schamhaft verwischt wird, eben doch durchsetzt. Das Bewußtsein des Ernstfalls ist noch nicht verloren gegangen. Dies Bewußtsein des Ernstfalls hat aber nichts zu tun mit irgendwelchen privaten Neigungen des einzelnen, sondern es liegt in der Sphäre der Öffentlichkeit. Carl Schmitt zeigt uns im einzelnen, daß ja alle unsere politischen Begriffe und Vorstellungen einen polemischen Sinn haben. Sie sind an eine konkrete Gegensätzlichkeit gebunden, deren letzte Konsequenz eben die Freund- und Feindgruppierung ist. Der Rechtsstaat steht dem Absolutismus gegenüber, die Republik der Monarchie, die Souveränität des einzelnen, der allein entscheidet, der Entscheidung der Genossen in der Gemeinschaft, in der es eine Souveränität nicht gibt.
(Höhn, Carl Schmitt als Gegner der liberalen Politik; 1932), S. 6
Die Folgerung, die Höhn zu Beginn des nächsten Absatzes zieht, wird Alfred Rosenberg zusätzlich davon überzeugt haben, dass Carl Schmitt keinen Verteidiger der Weimarer Republik gewesen ist. Wenn Höhns Auslegung von Carl Schmitt korrekt ist, dann gibt es erst dann „das Politische“, wenn ein Freund-Feind-Kontrast so scharf ist, dass jeder der beiden Kontrahenten willens ist, den anderen „existentiell zu vernichten“.
[3] Freund- und Feindgruppierung bedeutet also einen Gegensatz, der so stark werden kann, daß er für die Frage des Ernstfalles den Gegner existentiell zu vernichten gewillt ist. In diesem Augenblick rückt der Freund- und Feindbegriff in die Sphäre des Politischen ein. Es ist zweifellos keineswegs für ein Land sehr günstig, wenn die Freund- und Feindgruppierungen statt an die | S. 7 Grenzen verlegt zu werden, sich im Inneren des Landes auswirken. Wir haben gerade in den letzten Monaten gesehen, wie die parteipolitischen Gegensätze restlos „die“ politischen Gegensätze geworden sind, und zwar in einer solchen Intensität, daß die Frage der Vernichtung des einen oder anderen ganz offen ventiliert wurde. Die reale Möglichkeit eines Kampfes, der immer vorhanden ist, wenn von politischen Gegnern gesprochen wird, war damit zu einer, Schärfe zugespitzt worden, daß sie als Lösung der Freund- und Feindgruppierung die bewaffnete Auseinandersetzung ansah.
(Höhn, Carl Schmitt als Gegner der liberalen Politik; 1932), S. 6 f.
Im nächsten Absatz deutet Höhn durch die Wahl der Adjektive „naturnotwendig“ und „natürlich“ dezent an, dass Carl Schmitts Freund-Feind-Kontrast rassistisch weiter entwickelt werden kann.
[4] Ob uns heute die Handlungen von sogenannten neutralen Dritten helfen werden, ob es nicht vielmehr so ist, daß naturnotwendig die Entscheidung fallen muß, um die Grundlage zu bilden für natürliche Freund- und Feindgruppierungen, die nicht mehr nur innerpolitisch sich auswirken? Eins wird auf jeden Fall für den politischen Menschen notwendig sein, nämlich sich darüber klar zu werden, wo denn frei von allen privaten Regungen für ihn der Feind steht. Es tritt heute an jeden die Aufgabe heran, sich der kulturellen und geschichtlichen Situation, in der wir innenpolitisch wie auch außenpolitisch stehen, bewußt zu werden. Es ist keinesfalls so, daß die Ermüdungserscheinungen, die bei einem Teil der Menschen noch vorhanden sind, Anzeichen für eine gewisse kommende Ausgeglichenheit in der politischen Sphäre sind; im Gegenteil, wir sind dabei, diese Ermüdungserscheinungen zu überwinden und werden, und zwar jeder, mag er wollen oder nicht, in die Sphäre der Entscheidung hineingedrängt. Der liberale Mensch geht durch ein Stahlbad hindurch, in dem das, was in den letzten Jahren noch nicht an Liberalismus bei ihm verschwunden ist, zum Verschwinden gebracht wird.
(Höhn, Carl Schmitt als Gegner der liberalen Politik; 1932), S. 7
Im nächsten Absatz misslingt Höhn die Darstellung scharfer Gegensätze. Der Hass auf 1789 ist aber leicht erkennbar und wird Alfred Rosenberg gefallen haben.
[5] Innenpolitisch scheinen sich die Linien, innerhalb deren die Fronten stehen, aufzuzeigen. Man erkennt die scharfen Gegensätze: Absolutismus in neuer Form mit dem Ziel der Aufrichtung eines nationalen Machtstaates, oder, ein neuer Machtstaat auf dem Boden der Erneuerung deutscher Genossenschaftswerte oder mechanische Gemeinschaftsbildung, verbunden mit der Rätediktatur des Proletariats. Außenpolitisch droht die allzu enge Verbindung von Sozialismus und Sklaventum. Alle Stufen unserer eigenen individualistischen Haltung des vergangenen Jahrhunderts werden uns hier noch einmal vor Augen geführt: Absoluter Staat in einer Vollendung, wie sie Richelieu alle Ehre macht, absolute Technik, wie sie unser Zeitalter hervorgebracht hat, verbunden mit dem Glauben an diese Technik und individualistische Gemeinschaftsbildung mit der radikalen Ausrottung von allem, was noch an wirklich naturhaft kollektivem Werden vorhanden ist. Alles rational berechnet, alles auf eine Formel gebracht, alles in den ehernen Gang einer Maschine eingespannt. Apparat in höchster Vollendung und Glauben an dieses Wunder und ebenso wie 1789 der Wille der Beglückung mit diesem Wunder.
(Höhn, Carl Schmitt als Gegner der liberalen Politik; 1932), S. 7
Sage mir, wen Du existentiell vernichten willst, und ich sage Dir, wer Du bist. Von diesem zentralen Mittelpunkt aus, können Alfred Rosenberg und Carl Schmitt zweifellos enge Freunde gewesen sein. Dass Höhn dies mit einer Verteidigung der »Verfassungslehre« Schmitts von 1928 verknüpft, ist strategisch fast schon perfekt gebastelt, um eine Freundschaft zwischen Schmitt und Rosenberg zu stiften. Perfekt wird sie durch die Betonung, dass die junge Generation, der Höhn angehört und die er vertritt, diesen Schmitt als ihren geistigen Führer so verehrt, dass sie zu antiliberalem Vernichtungskampf bereit ist – nach innen und außen. Besser geht das nicht.
[6] Eine solche Welt vermag die Wissenschaft gewöhnlich nicht in ihre Formeln unterzubringen. Der Staat als Körperschaft sind ihr gegenüber unwahre Begriffe, sie geben uns nichts, und sie drücken gewöhnlich nur Wunschgebilde aus. In einer solchen Welt lebt der Begriff des Feindes, verbunden mit dem Begriff der Entscheidung. Er vermag die realen Tatsachen zu klären und er gibt den zentralen Mittelpunkt, von dem aus eine richtige Betrachtungsweise allein möglich ist. Mit ihm hat man den festen Standort, von dem aus Klärung gebracht werden kann. Das klar aufgezeigt zu haben, ist eben ein Verdienst Carl Schmitts. Er kann uns sagen, wer souverän ist: Es ist derjenige, der über den Ausnahmezustand gebietet; er kann uns überzeugend das parlamentarische System erklären: es beruht auf Bildung und Besitz, es hat seinen Sinn gehabt, als Gebildete und Besitzende in diesem Parlament saßen, es hat seinen Sinn verloren, als die Arbeitermassen in das Parlament mit einströmten; es gibt keine Kompromisse über vitale Lebensinteressen, sie sollen aber gerade hier gefunden werden, und so bemüht sich jede Partei, den Kompromiß umzuändern in eine für sie günstige Entscheidung. Er weiß sinnvoll den Begriff der Grundrechte zu bestimmen und uns alle geltenden staatsrechtlichen Begriffe von diesem Gesichtspunkt aus nahe zu bringen. Noch nie sind vielleicht in These und Antithese schärfer die Grundbegriffe unseres heutigen Denkens auf staatsrechtlichem und politischem Gebiete herausgestellt worden als gerade von Carl Schmitt. Die Aufgabe des Gelehrten, zugleich Verkünder und Wortführer seiner Zeit zu sein, ist hier in weitestem Maße erfüllt.
[7] So wird der Begriff des Politischen heute zu einem Zentralbegriff unseres Denkens und Handelns. Er ist nicht gebunden an eine bestimmte Anschauung, er verlangt, lediglich von uns, daß wir in allen unseren politischen Handlungen, bevor wir uns entscheiden, nach dem Gegner fragen müssen. Er lehrt uns, das Politische in gereinigter Form zu sehen. Es verschwinden die privaten Ressentiments und machen einer Auffassung Platz, die, befreit von dem bisherigen Banne liberalen Denkens, wieder zu entscheiden ermöglicht.●
(Höhn, Carl Schmitt als Gegner der liberalen Politik; 1932), S. 7
Direkt im Anschluss druckte die Zeitschrift folgende Werbung fürs nächste Heft ab:
Abbildung 22: Zeitschrift „Gegner. Für neue Freiheit“, 5. Mai 1932, S. 7
Ich halte es für möglich, dass Carl Schmitt Höhn beim Verfassen dieses Textes geholfen hat. Dass ich glaube, dass Schmitt am 4. Mai 1934 Höhn gebeten hat, eine Kopie dieses Textes irgendwie Alfred Rosenberg zukommen zu lassen, habe ich ja bereits mitgeteilt. Sollte ich mich irren, ist das aufs Ganze betrachtet unerheblich, da ich keine Folgerung auf die Wahrheit dieser Vermutung stütze. Wichtig ist, dass es eine »weltanschauliche« Schnittmenge zwischen Schmitt und Rosenberg gab, die zu gemeinsamem Handeln befähigte. Dass beide noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR waren, ist »weltanschaulich« betrachtet nicht erklärungsbedürftig. Erklärungsbedürftig ist, weshalb das in den letzten Jahrzehnten im Hauptstrom akademischer Veröffentlichungen nicht thematisiert worden ist.
6.1.2.3 Ergebnissicherung
- Wie bereits in Abschnitt 3 gezeigt, gehörte Carl Schmitt zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie, der aber auf der Eröffnungssitzung am 3. Mai 1934 nicht anwesend waren.
- Am 4. Mai 1934 notiert Carl Schmitt in sein Tagebuch, dass er einen Brief an Reinhard Höhn geschrieben habe. 1932 hatte Reinhard Höhn euphorisch Carl Schmitt als antiliberalen Führer der Jugend gepriesen.
- Im Juni 1934 drückte Alfred Rosenberg sein Misstrauen gegen Carl Schmitt gegenüber Martin Bormann aus.
- Das »Deutsche Führerlexikon 1934/35«, das sehr wahrscheinlich von Bormann und Rosenberg inhaltlich verantwortet wurde und das mehrere Bearbeitungsschichten aufweist, die im Zusammenhang mit der Säuberungswelle des sog. »Röhm-Putsches« standen, sprach sich für ein Primat der Bewegung aus. Carl Schmitt hatte sich 1933 für ein Primat des Staates in der Trias Staat, Bewegung, Volk ausgesprochen.
- Im Oktober 1934 forderte Alfred Rosenberg, dass „Prof. Karl Schmidt“ Mitglied in der „Hochschulkommission“ werde, aber so nicht in Erscheinung trete.
- Der »weltanschauliche« Konflikt zwischen Rosenberg und Schmitt scheint befriedet worden zu sein. Vielleicht durch Reinhard Höhn.
6.1.3. Degeners „Wer ist’s?“ von 1935
In diesem Personenlexikon sind alle zwölf Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie mit einem Eintrag versehen mit einer Ausnahme: Es gibt keinen Artikel über Martin Heidegger. Das ist bedauerlich, da zum Beispiel Erich Jung in seinem Eintrag Informationen öffentlich gemacht hat, die helfen zu verstehen, weshalb er ein Dauermitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Da Heidegger aber mit einem Eintrag im „Deutschen Führerlexikon“ desselben Zeitraums 1934/35 vertreten ist, der ja auch auf eigenen Angaben Heideggers beruht, wissen wir, wie Heidegger sich selbst 1934/35 einer Öffentlichkeit nach der »Machtergreifung« vorgestellt wissen wollte.
Degeners „Wer ist’s?“ ist die deutsche Entsprechung des englischsprachige „Who‘s who“, das erstmalig 1847 erschien. Die deutsche Version „Wer ist’s“ erschien erstmalig 1905. Insgesamt erschienen 9 Ausgaben. Bis 1914 erschienen sieben Ausgaben. Die achte erschien erst 1922, die neunte 1928. Die zehnte und letzte 1935. Ich habe nur diese letzte Ausgabe benutzt. Ihre vollständigen bibliographischen Angaben lauten: Herrmann A. L. Degener: Degeners Wer ist ’s? 1935. X. Ausgabe. Eine Sammlung von rund 18.000 Biographien mit Angaben über Herkunft, Familie, Lebenslauf, Veröffentlichungen und Werke, Lieblingsbeschäftigung, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Anschrift und anderen Mitteilungen von allgemeinem Interesse. Auflösung von ca. 5000 Pseudonymen. Berlin: Verlag Hermann Degener, 1935; kurz: (H. A. Degener 1935).
Das Personenlexikon arbeitete mit einem „Normal-Schema“, das den „in ihren engeren Kreisen führenden Männern“ vom Verlag mit der Bitte zugesandt wurde, sie sollten es selbst ausfüllen. Nicht jeder hat jede durchs Schema angefragte Information mitgeteilt. Deswegen teilt der Verleger den Lesern mit:
So oft man auf Lücken stößt, bedenke man freundlichst, daß ich mich tunlichst nur auf Selbstbiographien stütze, deren systematische Ergänzung dauernd angestrebt wird. Für die Vollständigkeit und Richtigkeit der über ihn gebrachten Angaben trägt der Einsender selbst die Verantwortung; das gilt besonders in bezug auf Konfession und Rasse. Ohne Ausnahme ist jedem einzelnen Korrekturabzug zugesandt worden; […]
Berlin, im Oktober 1935 Herrmann A. L. Degener
(H. A. Degener 1935), S. V
Ich gebe hier das „Normal-Schema“ wieder, da nur in Kenntnis seiner geprüft werden kann, wie informationsfreudig oder ‑schüchtern der „führende Mann“ das Schema ausgefüllt hat.
1. Name 2. Vorname (Rufnamen unterstreichen) 3. Titel, Stand, Beruf, Beschäftigung 4a. Wann und wo geboren 4b. Konfession*) 5a. Name, Stand, Beruf, Geburtsort und – Tag u. Konf.*) des Vaters V: 5b. und Mädchenname, Geburtsort und – Tag u. Konf.*) der Mutter M: 5c. Namen, Geburtsort und – Tag u. Konf.*) der beiderseit. Großeltern 6. Angaben über bekannte Vorfahren (mütterlicher u. väterlicher Seite) Vorf: 7. Verheiratet, wo, wann u. mit wem (mit Angabe v. Geburtsort u. –Tag u. Konf.*) nebst entsprech. Ang. über Eltern der Frau bezw. des Mannes Verh.: 8. Namen der Kinder, wann geboren K: 9. Bildungsgang (welche Schule, Hochschule, Lehrzeit usw.) und Lebenslauf 10. Veröffentlichungen (nur soweit in Buchform erschienen), Herausgeber bezw. Schriftl. welcher Zeitungen und Zeitschriften, maßgebl. Mitarbeit an großen Buchwerken und Zeitschriften, Kompositionen, Bau- und Kunstwerke, Gemälde, Haupt-Rollen usw. W: 11. Spezialarbeits- oder Forschungsgebiet. Spez: 12. Lieblingsbeschäftigung LB: 13. Sammler von Sler: 14. Welcher Partei angehörend 15. Welcher führ. wissenschaftl., wirtschaftl. od. künstl. Gesellschaft oder Organis. angehör. 16. Sonstige persönliche Notizen; Ehrungen 17. Adresse (oder Adresse, falls verschiedene Wohnsitze) *) Bei Angabe der Konfession auch angeben, falls ein Wechsel eingetreten ist
(H. A. Degener 1935), S. VII f.
Ich stelle nun im folgenden Abschnitt die zwölf Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie anhand der zeitgenössischen Kurzbiographien vor. Wenn ein Dauermitglied in mehreren Nachschlagwerken des Jahres 1935 vorgestellt wurde, gebe ich jede einzelne Vorstellung wieder. Als Prinzip meiner Darstellungsreihenfolge wähle ich das Senioritätsprinzip.
6.2. Kurzbiographien der zwölf Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie
Ich beginne, wenn vorhanden, immer mit dem Artikel im »Deutschen Führerlexikon von1934/45«, da vermutlich die Fragebögen für es etwas früher ausgefüllt worden sind als die für Degeners „Wer ist’s?“ (1935).
6.2.1. Erich Jung (1866-1950)
Erich Jung ist der Nestor des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Er wird in beiden Nachschlagewerken vorgestellt. Durch Fettdruck mache ich auf besonders interessante Informationen aufmerksam. In Endnoten gebe ich manchmal Zusatzinformationen an.
Vielen, aber nicht allen Kurzbiographien im »Deutschen Führerlexikon von1934/45« sind Fotos beigegeben. Erich Jungs sah so aus:
Abbildung 23: Foto von Erich Jung im »Deutschen Führerlexikon 1934/34«, S. 216
Jung,
Erich, Dr. jur., Dr. phil.,
Dr. rer. pol. h. c.,
Univ.-Professor der Rechte, Marburg a. d. L.,
Kalvinstraße 6.
Geboren: 1. Juli 1866 in Mainz; Vater Bezirksgerichtsrat Dr. Karl J., Mutter Louise, geb. Heß[268]. — Bildungsgang: Hum. Gymnasium Mainz; zwei Jahre Studium der Bildhauerkunst in Berlin und München; dann Studium der Rechtswissenschaft in Leipzig, Berlin, Heidelberg, Gießen; 1889 Referendarexamen Gießen: 1893 Regierungsassessor Darmstadt. – Militärzeit Kriegsauszeichnungen: 1883 Einj. Freiw. beim Nassauischen Feldartillerieregiment 27; Leutnant d. Res., Oberleutnant, Hauptmann; 1909 Abschied mit Verleihung der Armeeuniform; 1914 freiwillig wieder eingetreten als Batterieführer in Straßburg; dann an die Front gemeldet; Fliegerabwehrbatterie in den Vogesen, schwere Batterie in Lothringen (Xousse), in der Champagne (VIII. Reservekorps); nach einer zweiten Bruchoperation nach Döberitz; dann Jüterbog als Führer einer Versuchs-Batterie, E K. II; Kriegsverdienstkreuz. – Berufsgang u. a.: Als Assessor zunächst zu Reisen beurlaubt; dann habilitiert als Privatdozent der Rechte in Gießen; a. o Professor dortselbst; 1905 o. ö. Professor Greifswald; 1909 Straßburg; Januar 1919 dort von den Franzosen vertrieben; vertretungsweise Vorlesungen in Tübingen und München; Oktober 1921 in Marburg wieder eingestellt; 1922 wegen eines Aufsatzes gegen die marxistischen Führer in „Deutschlands Erneuerung“ Disziplinarverfahren, zeitweilige Suspension vom Amt, Verweis; diese Dienststrafe ist durch Verfügung des Herrn Ministers vom 7. September 1933, als im Kampfe für die nationale Befreiung erlitten, gestrichen worden; Mitbegründer des Deutschbundes und seit über 40 Jahren im Alldeutschen Verband; politische Veröffentlichungen in den alldeutschen Blättern und in der oben genannten Zeitschrift; hat wohl als erster die preußischen Besatzungsrechte gegenüber Belgien, von 1818 und 1851, zur Sprache gebracht in den „Alldeutschen Blättern“ vom 2. Dezember 1916; Mitglied der Akademie für Deutsches Recht. Spezialarbeitsgebiet, Veröffentlichungen: Rechtsphilosophie, deutsches bürgerliches Recht: römisches Recht; deutsche Denkmälerkunde; Hauptveröffentlichungen: „Causa finalis, eine Bakostudie“, 1895; „Delikt und Schadensverursachungen“, 1897: „Die Bereicherungsansprüche“ 1902; „Das Problem des natürlichen Rechts“, 1912; „Das privatrechtliche Wesen des Geldes“, 1926: „Eigen und Erbe, über das Wesen des Privateigentums“[269] Zeitschriftenaufsatz, 1926; „Ehre und Gewissen, über die Grundlage der Moral“, Zeitschriftenaufsatz, 1929; „Das bürgerliche Recht“, 720 Seiten, in: „Das gesamte deutsche Recht“ 1931[270]; „Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit“, 1922, 2. Aufl., demnächst[271]; „Deutsche Geschichte für Deutsche“, 1925 — Besondere Interessen: Bildende Kunst, germanische Denkmälerkunde und deutsche Geschichte. — Mitglied: Arbeitsgemeinschaft für gewerblichen Rechtsschutz, und Urheberrecht; BNSDJ u. a.●
(Deutsches Führerlexikon 1934/35: Erich Jung; 1935), S. 216
Wenn die Angaben korrekt sind, hatte Erich Jung in Marburg eine Professur für Rechtsphilosophie, deutsches bürgerliches und römisches Recht inne. Ich habe das nicht überprüft. Manchmal wurde Professor Emge so vorgestellt, dass er der erste Professor für Rechtsphilosophie gewesen sei. Vermutlich ist damit gemeint, dass er der erste Professor gewesen ist, der eine Professur nur für Rechtsphilosophie innehatte.
JUNG, Erich, Dr. jur., phil., rer. pol. h.c., o. ö. Prof. f. Rechtsphilos., dtsch brgl. u. röm. R. Univ. Marburg. – * 1. VII 66 Mainz; ev., ar. [evangelisch, arisch; mw]. – V[ater]: Bez.-Ger.-R. Dr. Karl J.; M[utter]: Luise Hess. – Verh[eiratet]: 10 m. Elisab. Rehmke[272] a. Greifswald, †. – K[inder]: Hans *10; Erika * 12; Gisela *16. – Hum. Gymn. Mainz; Univ. Berlin, Leipzig, Heidelberg, Gießen; 92 Dr. jur. u. 93 Dr. phil. Gießen; d. Reg.-Ass.; 97 Pdoz. u. 01 ao. Prof. Gießen; 03 Greifswald; d. o. Prof. ebd.; 09 Straßburg; 21 [gemeint: 1919; mw] dort vertrieben; 21 o. Prof. Marburg; Krgsfrw. [Kriegsfreiwilliger]. – W[erk]; Causa finalis, e. Bakostud. 93; Delikt und Schadensverursachg. 97; Bereicherungsanspr. u. Mangel d. rechtl. Grundes 02; Positives R., e. Beitrag z. Theorie v. Rechtsquelle u. Auslegung 07; D. Problem d. natürlich. Rechts 12; german. Götter u. Heid. 22; D. „Gesetz“ d. Geschichte 25[273]; Dt. Geschichte f. Deutsche, 2. A. 25; D. privatrechtl. Wesen d. Geldes 26; Abstammung und Erzhg. 27[274]; Grdgedank. d. bürg. Rechtsordng. 27; Bürgerl. R. 31[275]; Mithrsg. d. Ztschr. f. Rechtsphilos.[276], zeitw. v. „Deutschlands Erneuerung“[277] u. d. „Nat.-Wirtschaft.“[278]; Aufs. i. zhlr. Fachztschrn. – Spez[ialgebiet]: rechtsphilos.; Privat-R. – LB: Bild. Kst.; dt. Denkm.-Kde – FMSS. – EK. II. – M. d. Ak. f. dt. R. München – Marburg i. H., Calvinstr. 6.●
(Degeners „Wer ists?“, Art. Erich Jung 1935), S. 767 f.
Um Erich Jungs Angabe „evangelisch, arisch“ korrekt auslegen zu können, zitiere ich erneut aus dem Fragebogen für Degeners „Wer ist’s?“ (1935):
1. Name 2. Vorname (Rufnamen unterstreichen) 3. Titel, Stand, Beruf, Beschäftigung 4a. Wann und wo geboren 4b. Konfession*) *) Bei Angabe der Konfession auch angeben, falls ein Wechsel eingetreten ist
(H. A. Degener 1935), S. VII
Erich Jung teilte demnach mit, dass ein Konfessionswechsel von „evangelisch“ zu „arisch“ „eingetreten“ sei. Nach dem Zitat über den »ewigen deutschen Gott« aus der Langversion von Hans Franks Rede vom 3. Mai 1934 in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie (4.4.2.) und meinem Exkurs zum Text „Der Rassegedanke“ von 1940 (4.9.), dürfte es nicht mehr überraschend sein, dass der akademische Nationalsozialist Erich jung das Adjektiv „arisch“ als Bezeichnung für eine Religion benutzt hat.
Um die letzten Angaben Erich Jungs auslegen zu können, zitiere ich erneut das Ende des Fragebogens für Degeners „Wer ist‘s?“ (1935):
11. Spezialarbeits- oder Forschungsgebiet. 12. Lieblingsbeschäftigung 13. Sammler von 14. Welcher Partei angehörend 15. Welcher führ. wissenschaftl., wirtschaftl. od. künstl. Gesellschaft oder Organis. angehör. 16. Sonstige persönliche Notizen; Ehrungen 17. Adresse (oder Adresse, falls verschiedene Wohnsitze)
(H. A. Degener 1935), S. VII
Als Lieblingsbeschäftigungen hat Erich Jung die Bildenden Künste und die deutsche Denkmalkunde angegeben. Die Abkürzung „FMSS“ steht für „Förderndes Mitglied der SS“.[279] Die Abkürzung „EK“ für „Eisernes Kreuz“. Das Eiserne Kreuz war eine Ehrung. Ehrungen wurden unter 16 erfragt. Lieblingsbeschäftigungen unter 12. Erich Jung wird seine Fördermitgliedschaft in Himmlers SS unter 15 angegeben haben.
Wenn jemand 1935 in Kenntnis der Zeitungsberichterstattung über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie die beiden Einträge der Nachschlagewerke aus dem Jahr 1935 gelesen hätte, wäre er sehr gut informiert gewesen:
Erich Jung war ein Jurist, der eine Professur für Rechtsphilosophie und Privatrecht in Marburg seit 1921 innehatte. Bereits vor 1900 war er Mitglied des Alldeutschen Verbandes und Mitbegründer des Deutschbundes. Er war stolz darauf, zu Gunsten deutscher Besatzungsrechte in Belgien 1916 als erster argumentiert zu haben. Er meinte, 1919 aus Straßburg vertrieben worden zu sein. Er beschäftigte sich gerne mit Bildender Kunst und deutscher Denkmalkunde und hatte ein Buch über germanische Götter und Helden in christlicher Zeit veröffentlicht. Dazu passend hat er seinen Konfessionswechsel von „evangelisch“ zu „arisch“ angegeben. Dass so jemand förderndes Mitglied der SS war, war deswegen weiter nicht überraschend. Auch nicht, dass er Mitglied der AfDR gewesen ist.
Noch kürzer: Erich Jung war ein Jurist, ein Professor, ein Alldeutscher, ein arischer Deutsch-Gläubiger, Mitglied der AfDR und ein Förderer der SS.
Kurz nach Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie ist er 68 Jahre alt geworden. Er war 73 als das Dritte Reich den Zweiten Weltkrieg widerrechtlich begann. Als das Dritte Reich kapitulierte war er 79 Jahre alt. Mit 83 erlebte er die Gründung zweier weiterer deutscher Republiken. Im Alter von 52 Jahren war ihm dieser schwere Schicksalsschlag zum ersten Mal widerfahren. 1950, im Alter von 84 Jahren starb Erich Jung (1866-1950).
6.2.2. Ernst Heymann (1870 – 1946)
Die beiden Kurzbiographien Ernst Heymanns des Jahres 1935 erklären weniger gut als die von Erich Jung, weshalb Ernst Heymann Mitglied des Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR geworden ist. Aber auch das kann erklärt werden, wie ich den Teilen II, III und IV zeigen werde.
Dem Artikel über Ernst Heymann im »Deutschen Führerlexikon 1934/35« ist sein Foto beigegeben. Er sah so aus:
Abbildung 24: Foto von Ernst Heymann im „Deutschen Führerlexikon 1934/34“, S. 192
Heymann,
Ernst, Dr. jur., o. Professor der Rechte an der Universität Berlin,
Mitglied und beständiger Sekretär der Preuß. Akademie der Wissenschaften,
Geh. Justizrat, Berlin-Lichterfelde-Ost, Wilhelmplatz 2.
Geboren: 6. April 1870 in Berlin, Vater Geh. Postrat, väterliche Familie stammt aus Gabersdorf-Wiesau (Grafschaft Glatz), bäuerlichen Ursprungs; Mutter Marie, geb. Otto, Tochter des Porträt- und Historienmalers Ernst Otto, Dresden, aus städtischen und bäuerlichen Kreisen der Mark Meißen. — Bildungsgang: Gymnasien in Erfurt, Münster i. Westf., Berlin und Breslau; studiert Rechts- und Volkswirtschaft in Breslau (Lehrer besonders Felix Dahn, Otto Fischer, M. Wlassak, dann stark durch Heinrich Brunner und Otto von Gierke[280] beeinflußt). — Militärzeit, Kriegsauszeichnungen: 1916/18 freiwillig im Stabe des Kriegsamts; Preuß. Kriegsministerium. Verdienstkreuz. — Berufsgang u. a.: 1894 Dr. jur.; 1896 nach praktischer Tätigkeit Breslau habilitiert; 1899 a. o. Professor Berlin; 1902 o. Professor Königsberg i. Pr.; 1904 o. Professor Marburg a. Lahn; 1914 o. Professor Berlin; 1918 Mitglied der Preuß. Akademie der Wissenschaften; 1926 deren beständiger Sekretär; Mitglied und Abteilungsleiter der Monumenta Germaniae Historica; II. Vorsitzender der Preuß. Sachverständigen-Kammern für Kunst und Literatur; Dr. phil. h. c.; Dr. öc. h. c.; Mitglied der Akademie für Deutsches Recht. — Spezialarbeitsgebiet, Veröffentlichungen: Deutsche Rechtsgeschichte, insbes. Privatrechtsgeschichte, Handelsrecht, ausländisches Recht, namentlich englisches und romanisches Recht: Urheber-und Erfinderrecht: zahlreiche Schriften und Abhandlungen darüber, u. a.: „Dringliche Wirkung der handelsrechtlichen Traditionspapiere“, 1905; „Regelung der Lagerscheine“, 1908; „Verschulden beim Erfüllungsverzug“, 1915; „Rechtsformen militärischer Kriegswirtschaft“, 1921; „Handelsmäkler“, 1926; „Handausgabe des Handelsgesetzbuches“, 1926; „Wechselzeichnung der Sparkassen“, 1930; „Zeitliche Begrenzung des Urheberrechts“, 1927; „Handelsrecht und Zivilrecht“, 1932; „Übersicht über das englische Privatrecht“, 2. Aufl., 1914; „Trustee und Trustee-Company“, 1910; „Zur Textkritik der Lex Salica“, 1918; „Bücherwesen und Zensur bei Leibniz“, 1932; „Das Fridericianische Handelsrecht“, 1929; „Zur Philosophie und Gesetzgebung Friedrichs des Großen“, 1934[281]; Herausgeber der Arbeiten zum Handels-, Gewerbe- und Landwirtschaftsrecht seit 1909. — Besondere Interessen: Geschichte, Kunst, Literatur, Gartenbau. Mitglied: Preuß. Akademie der Wissenschaften; Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften; Internationale Akademie für Rechtsvergleichung im Haag.●
(Deutsches Führerlexikon 1934/35: Ernst Heymann, S. 192
Als primäres Spezialgebiet gab Heymann „deutsche Rechtsgeschichte“ an. In der Berichterstattung der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie war „Rechtsgeschichte“ als ein Spezialgebiet genannt worden, das im Ausschuss vertreten sei. Von den 18 Gründungsmitgliedern war Ernst Heymann der bekannteste Experte für Rechtsgeschichte. Aber auch Erich Jung galt im akademischen Nationalsozialismus durch sein Germanenbuch als Experte für deutsche Rechtsgeschichte.
Die Ehrendoktorwürden sind ihm von der Universität Marburg und der Handelshochschule Berlin verliehen worden. Das präzisierte Heymann für den Eintrag über ihn in Degeners „Wer ist’s?“ von 1935. An der Handelshochschule Berlin war auch Carl Schmitt tätig. Die Universität Marburg wird spätestens mit der Berufung Erich Jungs zum Wintersemester 1921 zu einem Mittelpunkt des werdenden akademischen Nationalsozialismus.
Im zweiten Teil des »Deutschen Führerlexikons 1934/35« über die Organisationen, findet sich eine Bestätigung der Angabe Heymanns, er sei Sekretär der Preußischen Akademie der Wissenschaften:
Abbildung 25: Deutsches Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, S. 48
Der Artikel über Heymann in Degeners „Wer ist’s?“ von 1935 ist übersät mit Abkürzungen. Heymann wollte offensichtlich auf viele seiner Werke aufmerksam machen:
HEYMANN, Ernst, o. Prof., Dr. jur., phil. h.c., oec. h.c., Geh.- Just.-R., Dt. Priv. [Deutsches Privatrecht], Hdls.- u. Gew.-R. [Handels- und Gewerbe-Recht], D. R.-Gesch. [Deutsche Rechtsgeschichte], Rechtsvergleichg. a. d. Univ. Berlin. — * 6. IV 70 Berlin; ev. — V: Geh. Post-R. Theod. H., kath.; M: Marie Otto, ev. — Vorf: vs. aus Gabersdorf-Wiesau (Glatz) s. 1391; ms. aus Dresden-Meißen, ev. — Univ. Breslau — Verh: m. Gertrud Hahn, ev., T. d. Rgbs. Ob..-Lt. C. Hahn-Peltschütz u. Martha Wagner, ev. — K: Dorothea, verh. m. RA. Walter Grote; Eva, verh. m. M.-R. R. Lehmann; Robert; Lieselotte. — 92 Ref.; 94 Dr. jur.; 96 hab. Breslau; 99 ao. Prof Berlin; 02 o. Prof. Königsberg; 04 Marburg; 14 Berlin; Dr. h.c. Univ. Marburg u. H.-H. Berlin. — W[erke][282]: D. Vorschützen d. Verjährg. 96; D. dingl. Wirkung d. handelsrechtl. Traditionspap. 05; Engl. Privatrecht in Holtzendorffs Encycl. 04, 214; Parochialänderg. u. Katholicitätsprinzip 06; Reichsrechtl. Regelg. d. Lagerscheine u. Lagerpfandscheine 08; Geschäftsanw. u. Treuhandges. 10; Trustee u. Trusteekomp. i. dtsch. Rechtsverk. 10; 100 Jahre Berl. Jurist. Fak. i. Liebermann’s Jur. Fak. Berlin 10; Z. Gesch. des jus ad rem 11 (Gierke Festschr.); Griech. Gymn. Unterr. u. Jurisprudenz 11; D. Verschulden b. Erfüllungsverzug 13; D. ung. Priv.-R. 17; Z. Textkritik d. Lex Salica, N. A. 18; Hrsg. 7. A. v. Brunner, Grundz. d. d. R.-Gesch, 19[283]; Rechtslehre und Rechtsgesch. i. Liebmann Festschr. 20[284]; Rechtsf. d. milit. Kriegswirt., 21; Jur. Studienref. (Schmoller 44); Wechselr. i. Maler-Rothschild[285] 262; A.E.G.-Vorz.-Akt. (m. A. Friedman u. E. Wolff) 24[286]; Testam. Friedr. Wilh.‘s III. 25[287]; Textkritik d. Lex Bajuvarorum (Kehr Festschr.)[288] 26; Hrs. Litthauer-Morse H. G. B. 26; Hdlsmakler i. Ehrenberg. Hdb. 26; Kto.-Korrentgesch. d. dt. Spark. 26; D. zeitl. Begrenzg. d. Urheb.-R. 27; Ausl. R., Engl. R., Roman. R. i. Hdwb. 26/27; D. frideriz. Hdlsrecht 29; 50 J. Rechtswiss. | S. 675 (Schmidt-Ott-Festschr.) 30[289]; Leibniz‘ Jur. Stud.-Ref. 31; Hdlsrecht u. Zivilr. 32; Bücherprivil. u. Zensur b. Leibniz 32; Philos. u. Gesetzgeb. Friedr. d. Gr. 34; Hftg. d. Aktion. (C.-Wieland-Festschr.)[290] 34; MA [Mitarbeiter der; mw] d. Dogm. Jahrb., dt. Jur.Ztg., Archiv f. bürg. Recht, Schmollers Jhrb., Savigny Ztschr., Ztschr. f. Schles. Gesch., Z. f. Thür. Gesch., Jur. W.-Schrft.; Techn. u. Wirtsch. usw. — Hrsg.: Arb. z. Handels-, Gewerbe- u. Landw.-R. — M. u. best. Sekr. d. pr. Ak. d. W., M. d. Göttinger Ges. d. Wiss., d. Zentr.-Dir. d. Monum. Germaniae, M. u. stv. Vors. d. pr. lit., kstl. musik. Sachverst. Kr., M. Kais.-Wilh.-Ges., M. Ac. Intern. de droit compare; i. Kr. M. d. wiss. Komm. i. pr. Kriegsmin.; M. Ak. f. dt. R. — Berlin-Lichterfelde-O., Wilhelmplatz 2●
Degeners „Wer ist’s?“, Art. Ernst Heymann, 1935, S. 674 f.
Ich zitiere zunächst einen Absatz aus dem Vorwort der Schrift Heymanns „Die Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft als Grundlagen des neuen deutschen Industrierechts“, da aus ihm hervorgeht, dass Heymann ständiges Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission im Preußischen Kriegsministerium während des ersten Weltkrieges gewesen ist:
[2] Die Arbeit ist aus einem, in den Grundzügen schon 1917 veröffentlichtem Berichte herausgewachsen, den ich als ständiges Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission des ehemaligen Preußischen Kriegsministeriums übernommen hatte. […] mit dem Vorsitzenden der Kommission, Max Sering, […] │ S. 6 […]. Unter den Mitgliedern der Kommission war ich der einzige Jurist neben einer Anzahl Nationalökonomen und Statistikern, Technikern, Naturwissenschaftlern, Offizieren, einem Geographen, einem Forstmann etc., und die Erörterungen der Kommission gewährten einen Einblick in das deutsche Wirtschaftsleben, weit über das hier Verwertete hinaus, wie sie dem Juristen nur selten eröffnet sein werden. Dabei konnte ich die Tätigkeit des Kriegsamts, insbesondere der Kriegsrohstoffabteilung während der Kriegsjahre nach ihrer funktionellen Seite eingehend beobachten und erhielt zugleich einen Einblick in die Praxis des Industrierechts. Von juristischem Material ist nachstehend im Wesentlichen nur das verwendet, was […] durch die Mitteilung an die Parteien des Geheimnisses entkleidet worden ist, […]
(Heymann 1921), Vorwort, S. 5 f.
Die dort gewonnene Expertise wird Heymann er nach 1933 und auch nach 1939 zu Gunsten des Dritten Reiches eingesetzt haben.
Im Unterschied zu Erich Jung berichtet Ernst Heymann nicht über einen Wechsel hin zur »arischen Konfession«.
6.2.3. Wilhelm Kisch (1874-1952)
Erfreulicherweise hatte Wilhelm Kisch eine Abneigung gegen Abkürzungen. Deswegen kann man seinen Artikel über sich selbst besser lesen.
Seinem Artikel im »Deutschen Führerlexikon 1934/35« ist leider kein Foto beigegeben. Im dritten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht ist folgendes Foto von ihm abgedruckt worden:
Abbildung 26: Foto von Wilhelm Kisch (in: 3. JAfDR 1936, S. 96)
Hatte Erich Jung mitgeteilt, er sei von »arischer« Konfession, teilt Wilhelm Kisch mit, er sei »arischer« Abstammung. Anscheinend sollte das Wort „arisch“ sowohl eine Religion wie auch eine Abstammung bezeichnen dürfen.
In Abschnitt 3 habe ich bereits aus dem Brief von Kisch an Emge vom 30. März 1934 zitiert, in dem Kisch behauptet hat, dass Erich Jung „schon in der Zeit unserer gemeinsamen Straßburger Wirksamkeit vor dem Krieg, die Gedanken vertreten hat, die der nationalsozialistischen Idee zugrunde liegen“ (Siehe 3.5.8.). Ein paar wenige Daten zu dieser gemeinsamen Wirksamkeit vor dem Krieg finden sich in seinen Auskünften:
Kisch,
Wilhelm, Dr. jur., Geh. Justizrat, o. Professor der Rechte,
München, Leopoldstraße 7
Geboren: 12. Dezember 1874 in Diedolshausen (Oberelsaß); Vorfahren Beamte, Lehrer, Gastwirte, Müller, Landwirte, Gärtner: arischer Abstammung. – Bildungsgang: Nach privater Vorbereitung Gymnasien in Metz und Saarmünd (Lothr.) bis 1893: 1893/97 Studium in Straßburg i. Els.; 1897 Referendarprüfung. – Militärzeit: Wegen einer im 15. Lebensjahr erlittenen Hüftgelenkentzün- │ S. 231 nicht kriegsverwendungsfähig. – Berufsgang u.a.: Habilitation für deutsches bürgerliches und Zivilprozeßrecht an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg; 1901 Assessorprüfung; 1902 Ernennung zum o. Prof. in Straßburg; 1916 Berufung nach München; Rufe nach Erlangen, Würzburg, Prag, Berlin abgelehnt; Stellvertr. Präsident der Akademie für Deutsches Recht; Vorsitzender des Akademieausschusses für bürgerliche Rechtspflege; Vorsitzender der deutschen Arbeitsgemeinschaft für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht. – Spezialarbeitsgebiet, Veröffentlichungen: Bürgerliches deutsches Recht (u.a. Gesamtdarstellung des els.-loth. Landesprivatrechts); Zivilprozeßrecht (u.a. Gesamtdarstellung, 4. Aufl.); Konkursrecht (Grundriß, 8. Aufl.); Versicherungsrecht (bisher zwei Bände einer Gesamtdarstellung); gewerblicher Rechtsschutz (Handbuch des deutschen Patentrechts); zahlreiche Einzelwerke und Abhandlungen. – Besondere Interessen: Studium mehrerer Sprachen; Theaterkunst, Porzellane, Teppiche. – Mitglied: Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (Fachberater der Gruppe Hochschullehrer) usw.●
(Deutsches Führerlexikon 1934/35: Wilhelm Kisch, S. 230 f.
Die Biographin von Wilhelm Kisch, Susanne Adlberger, berichtet folgendes über die Gebundenheit von Kisch an sein erstes »Da-Sein«, da Elsass:
Dazu kam seine Verbitterung über den Verlust seiner Heimat Elsass-Lothringen mit dem Versailler Vertrag, den er später in seinen Vorlesungen gerne als Beispiel für sittenwidrige Verträge anführte.91 Der „schändliche Raub des Gotteslandes Elsaß, seiner unvergesslichen Heimat“ nach dem Ersten Weltkrieg war für ihn der „herbste Schmerz in seinem Leben“.92 Durch seinen vorzeitigen Wechsel von Straßburg nach München blieb ihm allerdings das Schicksal vieler Straßburger Professoren erspart, schmählich vertrieben zu werden und sich auf die schwierige Suche nach einer neuen Stelle begeben zu müssen. In voller Solidarität bemühte sich Kisch seinen ehemaligen Kollegen zu helfen. So setzte er sich als Dekan 1919 für die Berufung des Juristen Fritz van Calker93 nach München ein94 und beriet den Straßburger katholischen Theologen Albert Ehrhard95 in Gehaltsfragen und zum weiteren beruflichen Vorgehen in dieser Notlage.96 Ehrhard war wie Kisch gebürtiger Elsass-Lothringer97 und musste sich nach dem Ersten Weltkrieg zwischen Frankreich und Deutschland entscheiden. Kischs Haltung dazu kam eindeutig in seinem Brief zum Ausdruck und bestätigte seine absolut deutsche Gesinnung und seinen Nationalismus:
„Die Art, wie die Franzosen im Elsaß hausen, bestätigt durchaus den Eindruck der Brutalität, die unter der phrasenhaften Liebenswürdigkeit jenes Volkes sich verbirgt. Daß Sie sich und dem Deutschtum treu geblieben sind, kann nur Jeden mit Hochachtung erfüllen. Ich kann Sie versichern, daß ich genau den gleichen Weg eingeschlagen hätte. Und es wird sich zeigen, daß Sie auch diesen Entschluß nicht werden zu bereuen brauchen.“98
91 Erinnerung von Dr. OTTO GRITSCHNEDER, Student bei KISCH, Tonbandaufnahme vom 29.2.2004, Privatbesitz Verfasserin.
92 zitiert nach: Geheimrat Dr. Kisch, 50. Geburtstag, in: MNN vom 14.12.1924, Nr. 341, Stammakte KISCH, UAME-II-1991.
93 FRITZ VAN CALKER, 1864-1957, Strafrechtler, 1896 ord. Prof. Straßburg, 1922 ord. Prof. Universität München, Technische Hochschule München, vgl. Personenanhang bei BÖHM, HELMUT, Von der Selbstverwaltung zum Führerprinzip, Die Universität München in den ersten Jahren des Dritten Reiches (1933-1936), Berlin 1995, S. 604.
94 Brief Dekan KISCH an BayKuMi vom 10.3.1919, JF 1914 -1922, UAML-II-25.
95 ALBERT EHRHARD, 1862-1940, Katholischer Theologe, Kirchenhistoriker, Byzantinist, Professor u. a. in Straßburg, Freiburg und Bonn, vgl. HENGESTENBERG, WILHELM, Albert Ehrhard, in: NDB, Bd. 4, Berlin 1959, S. 357.
96 Brief KISCH an EHRHARD vom 31.12.1918, Byzantinisches Institut Abtei Scheyern, Nachlass EHRHARD.
97 Geboren in Herbitzheim bei Metz
98 Brief KISCH an EHRHARD vom 31.12.1918, Byzantinisches Institut Abtei Scheyern, Nachlass EHRHARD.
Kisch schloss sich später auch der „Losen Vereinigung der ehemaligen Straßburger Studenten und Dozenten“ an, die in Frankfurt am Main 1928 gegründet wurde und u. a. als Zweck die Pflege der Straßburger Überlieferungen und Erinnerungen und der │ S. 85 persönlichen Beziehungen aus der alten Straßburger Studentenzeit hatte.99 1931 beteiligte er sich mit einem Artikel zum deutschen Recht in Elsass-Lothringen an einer Ausgabe der Süddeutschen Monatshefte, die dem früheren Reichsland Elsass-Lothringen gewidmet war.100 Kisch hoffte immer auf eine Wiedergewinnung Elsass-Lothringens, auch wenn er sich später weigerte, eine vage elsässische Autonomiebewegung unter der französischen Herrschaft zu unterstützen.101 Kisch sah sich selbst natürlich als Elsässer, aber auch oder vor allem als Deutschen. Die schon früher gemachte Unterscheidung und Distanzierung von den „Elsässern“, die sich gegen das Deutschtum und das Deutsche Reich gewehrt hatten und nun nach dem Krieg wieder freudig zu Frankreich gingen und sich ihnen andienten, verstärkte sich im Laufe seiner Münchner Jahre noch. Mit einer gewissen Genugtuung und fast Schadenfreude konsultierte Kisch später, dass „der Elsässer“ von den Franzosen, trotz seiner Andienung gedemütigt, wieder mit „so unverkennbarer Überheblichkeit und so geringem Vertrauen behandelt wurde“, und bedauerte zugleich, „daß wir als Deutsche von diesen Stimmungen nichts profitieren“ und „dass der Elsässer seine üble Laune vielfach wieder gegen uns richtet“.102
99 Wissenschaftliches Institut der Elsaß-Lothringer im Reich an der Universität Frankfurt a. M., (Hrsg.), Bericht über die erste Zusammenkunft der „Losen Vereinigung der ehemaligen Straßburger Studenten und Dozenten“ in Frankfurt a.M. vom 8. bis 10. Juni 1928.
100 KISCH, Das deutsche Recht in Elsaß-Lothringen, in: Süddeutsche Monatshefte, 29. Jg. (1931) S. 178 f.
101 Brief KISCH an GERLAND vom 20.8.1927 und vom 8.9.1927, Nachlass GERLAND, BAK NL 10, Bd. 17
102 Brief KISCH an GERLAND vom 9.7.1928, Nachlass GERLAND, BAKNL 10. Bd. 17.
(Adlberger 2007), S. 84 f.
Wilhelm Kisch hat für Degeners „Wer ist’s?“ (1935) auffällig wenig Angabe gemacht. Umso interessanter ist es, welche Informationen er öffentlich bekannt machen wollte:
KISCH, Wilhelm, o. Prof., Geh. Just-R., Dr. jur., Univ. München — * 12.VII 74 Diedolshausen, Ob.-Els. – VII 30-35 Beir. d. Rchsaufs.-A. f. Privatvers. – Stellv. Präs. d. Ak. f. Dt. R. – München, Leopoldstr. 7●
Degeners „Wer ist’s?“, Art. Wilhelm Kisch, 1935, S. 816
Neben seiner ordentlichen Professur an der Universität München ist ihm sein „Stand“ als Geheimer Justizrat mitteilungswürdig. Ebenso, dass sein Geburtsort im Ober-Elsass lag. Die Abkürzung „Beir. d. Rchsaufs.-A. f. Privatvers.“ steht für „Beirat des Reichsaufsichts-Amt für Privatversicherung“. Seine Biographin, Susanne Adlberger berichtet über diese Tätigkeit Wilhelm Kischs folgendes:
Hatte er noch 1924 in einem Aufsatz die Einbindung von mehr Theoretikern in den Versicherungsbeirat des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherung gefordert242, wurde er selbst 1925 und nochmals 1930 jeweils für fünf Jahre zum Mitglied ernannt243, sowie 1931 zusätzlich noch in den durch die Neufassung des Versicherungsaufsichtsgesetzes eingeführten Bausparkassenbeirat berufen. In diesen Gremien, die grundsätzlich nur beratende Funktion hatten, deren Anhörung aber in bestimmten Fällen für das Reichsaufsichtsamt gesetzlich vorgeschrieben war, wurde Stellung genommen zu versicherungsrechtlichen und -technischen Fragen, entweder durch Einzelgutachten von Mitgliedern auf Ersuchen des Amtes oder mündlich in Gesamtsitzungen. Die Mitgliederzahl war auf 60 bzw. 20 beschränkt und berufen wurden Fachmänner aus der Praxis oder eben auch aus der Theorie, wenn sie wie Kisch praktische Erfahrungen durch z. B. Gutachtertätigkeit mitbrachten.244 Diese ehrenamtlichen Tätigkeit war für Kisch mit einigem Aufwand verbunden, da er des öfteren zu Sitzun- | S. 108 gen des Beirats nach Berlin fahren musste und immer wieder mit Erstellung von Gutachten für den Beirat beauftragt wurde.245 Daneben schrieb er dennoch weiterhin zahllose Aufsätze und Urteilsbesprechungen und begann 1928 eine Beitragsreihe in der „Juristischen Rundschau für Privatversicherung“ zum Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, einer möglichen Rechtsform in der Versicherungs-Wirtschaft, die er bis zur Einstellung der Zeitschrift 1941 fortführte.
(Adlberger 2007), S. 107 f.
Und für die Zeit nach 1933 berichtet Adlberger folgendes über diese Tätigkeit:
Kischs langjährige Mitgliedschaft im Versicherungsbeirat des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung [, das seinen Sitz in Berlin hatte; Adlberger S. 107; mw] und seit seiner Gründung 1931 zusätzlich im Bausparkassenbeirat überstand auch die Änderungen im Rahmen der politischen Umwälzungen durch das Gesetz vom 22. April 1933. Das Gesetz ordnete das Ende der Amtszeit der Mitglieder dieser Gremien zum 31. Mai 1933 und eine Neubesetzung der Gremien an.703 Im Vorfeld hatte die Studiengesellschaft für Bausparkassenwesen e.V. schon auf die Auflösung gedrängt und auch bereits Vorschläge für die Neubesetzung gemacht. Die neuen Mitglieder sollten „nicht nur positive Einstellung zur nationalen Bewegung, sondern vor allem auch durch Sachkenntnis erforderliche Eignung besitzen.“704 Kisch hat diesen Anforderungen offensichtlich entsprochen, denn dem Brief der Studiengesellschaft an das Preußische Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, der eine Eingabe an das Reichswirtschaftsministerium enthielt, war eine Liste A mit Mitgliedern des bisherigen Beirats, deren Wiederernennung die Studiengesellschaft für erwünscht hielt, beigelegt, die auch Kischs Namen aufwies.705 Kisch wurde wieder neu in den Bausparkassenbeirat berufen, ebenso wie auch in den Versicherungsbeirat. Die Tagungen fanden noch bis 1937 statt und dann nach einer „Umbildungspause“ erst wie- | S. 245 der in der Nachkriegszeit.706 Seiner eigenen Aussage nach legte Kisch diese beiden Ämter selbst ca. 1937 nieder.707 Ob diese Niederlegung mit der faktischen Einstellung der Sitzungen Ende 1937 koinzidierte oder tatsächlich schon vorher im Rahmen der Abgabe seiner Akademieämter erfolgte, ist offen.708
707 Beilage zum Fragebogen des Military Government vom 10.10.1947, „diese vor dem Naziregime angetretenen beiden Funktionen habe ich in der Nazizeit niedergelegt, vor ca. 10 Jahren“, SpKA KISCH, StAMSpKK 880.
708 Eine Einsichtnahme in die Protokolle beim Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen war nicht möglich.
(Adlberger 2007), S. 244
In seiner Eigenschaft als Mitglied des Versicherungsbeirates war Wilhelm Kisch demnach regelmäßig in Berlin. Als Professor der LMU München war er regelmäßig in München. Die beiden Geschäftsstellen der AfDR lagen in Berlin und München. Bis 1937 war Kisch stellvertretender Präsident der AfDR. Noch nach dem 17. Juli 1941 war er Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Falls Wilhelm Kisch die Absicht gehabt haben sollte, Reisen zu etwaigen Sitzungen des Ausschusses für Rechtsphilosophie in Berlin zu tarnen, bot ihm seine Mitgliedschaft im Versicherungsbeirat dafür eine günstige Gelegenheit.
Dass Wilhelm Kisch seine Mitgliedschaft im Versicherungsbeirat des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherung trotz der Kürze seine Beitrags für Degeners „Wer ist’s?“ angegeben hat, hat mich hellhörig gemacht. In dem folgenden Exkurs stelle ich ein Ergebnis meiner Recherchen in diese Richtung vor:
6.2.4. Exkurs: Wilhelm Kisch und Wilhelm Arendts
Seit 1933 saß im Präsidium der AfDR neben Wilhelm Kisch auch Wilhelm Arendts (siehe 6.1.1.). In Abschnitt 9.3.2. werde ich zeigen, dass beide auch noch im Herbst 1942 Mitglieder des Präsidiums der AfDR waren – unter der Herrschaft von Otto Thierack, der von manchen als »Bulldogge des Führers« bezeichnet wird.
Wilhelm Kisch und Wilhelm Arendts waren einander nicht nur durch ihre langjährige Mitgliedschaft im Führerrat (1933) bzw. Präsidium (1934 ff.) der AfDR verbunden. Sie kannten einander sehr wahrscheinlich aus dem deutschen Privatversicherungsgeschäft. Wilhelm Kisch, der es reichsamtlich mitbeaufsichtigte, und Wilhelm Arendts, der es von einer mächtigen Position aus betrieb. Arendts war nämlich bereits vor 1933 der Generaldirektor der „Bayerischen Versicherungsbank“.[291] Er ist am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten.[292] Zuvor sei er Mitglied der Bayerischen Volkspartei gewesen.[293] Zu Arendts Beziehungen zur AfDR und zu Hans Frank als Präsidenten der AfDR berichtet Gerald D. Feldmann in seinem Buch über die Allianz-Versicherung nur folgendes:
Der bayerische Justizminister (1933/34) und nachmalige Generalgouverneur in Polen, Hans Frank, bat Arendts 1933, als Gründungsmitglied und Schatzmeister in seine Akademie für Deutsches Recht einzutreten, ebenso wie er Kisskalt[294] antrug, den Vorsitz im Ausschuß für | S. 153 Aktienrecht, und von Finck[295], den Vorsitz des Ausschusses für Banken und Wertpapierbörsen zu übernehmen. Dabei war Arendts gar kein Jurist. Seine Qualifikation bestand offensichtlich in seinen geschäftlichen Verbindungen, von denen sich Frank Hilfe bei der Mittelbeschaffung versprochen haben dürfte.
(Feldman 2001), S. 152 f.
Feldman erwähnt nicht, dass Arendts noch 1943 Mitglied des Präsidiums der AfDR gewesen ist. Über Tätigkeiten Arendts als Generaldirektor der „Bayerischen Versicherungsbank“ im Osten und in Zusammenarbeit mit Hans Frank als Generalgouverneur berichtet Feldman aber einiges. Ich habe von dieser Darstellung nur den Anfang und auch den nur flüchtig gelesen, da ich grundsätzlich entschieden hatte, das Thema „die Verwirklichung des nationalsozialistischen Programms auf dem Gebiet der Wirtschaft“ zunächst außen vor zu lassen. Ich zitiere trotzdem die Darstellung Feldmans, damit Leser direkt einschätzen können, was Startpunkte einer Spurensuche sein könnten:
Trotz dieser Komplikationen waren Allianz und Münchener Rück für das Versicherungsgeschäft im dreigeteilten Polen bestens gerüstet. Die Vereinbarungen, die sie trafen, zeigten wieder einmal, wie gut die beiden Unternehmen Hand in Hand arbeiteten. Am 9. November 1939 definierte die Allianz in einem Rundschreiben an sämtliche Konzernfirmen ihre Rolle in den ehemals polnischen Gebieten.159 Das Rundschreiben begann mit einem Passus, in dem der beherrschende Einfluß erläutert wurde, den Münchener Rück und Generali bei Generali-Port-Polonia, bei der Warschauer und bei der Patria ausübten. Dann folgte ein Überblick über die jüngste Geschichte des Allianz-Engagements in Polen: Nach dem Zusammenbruch des Landes, hieß es darin, habe die deutsche Regierung zunächst Treuhänder für die diversen in den ins Reich eingegliederten Gebieten tätigen polnischen Unternehmen ernannt und gleichzeitig deutschen Firmen jede Geschäftstätigkeit in diesen Gebieten untersagt. Die Treuhänder hatten den Auftrag, die finanzielle und administrative Leitung der betreffenden Firmen zu übernehmen und sie entweder zu liquidieren oder ihre Übertragung in deutsche Hände zu überwachen. Wenn eine Firma mit einer solchen Treuhänderschaft betraut wurde, übernahm sie damit zwar formell eine nicht vergütete öffentliche Aufgabe, doch sie erwarb sich damit auch «Insiderwissen» und die Chance, mit den ihr anvertrauten Werten auf eine für sie selbst vorteilhafte Weise zu verfahren. Die Münchener Rück zum Beispiel nützte die ihr anvertrauten Treuhänderschaften, um durch geeignete Interventionen dafür zu sorgen, daß die von ihr kontrollierten polnischen Unternehmen in den zum Anschluß ans Reich vorgesehenen Gebieten der gemeinsamen Treuhänderschaft von Allianz und der Allgemeinen Elementar in Wien (die zum Generali-Konzern gehörte) unterstellt wurden, wobei sie die Übertragung eines Teils des Policenbestandes erwartete. Daß das glückte, war kein Zufall. Der mit der Zuteilung der Treuhänderschaften im Versicherungssektor betraute Mann, der «Generaltreuhänder für die Individualversicherung beim Oberverwaltungschef für die gesamte | S. 468 zivile Verwaltung der besetzten ehemals polnischen Gebiete beim Oberbefehlshaber Ost», war niemand anders als Wilhelm Arendts, Generaldirektor der Bayerischen Versicherungsbank. Nach seiner Einziehung zum Militärdienst hatte die Wehrmachtsführung ihn als Versicherungsfachmann mit der Verantwortung für die nichtdeutschen Versicherungsunternehmen in der Region betraut. Obwohl er in dieser Funktion selbstverständlich verpflichtet war, die Interessen des deutschen Besatzungsregimes und nicht die privater Unternehmen wahrzunehmen, verfügte er in seiner Stellung über die Macht und Freiheit, nach eigenem Ermessen zu entscheiden, und es fiel ihm offenbar nicht schwer, öffentliche und private Interessen zur Deckung zu bringen. Er wußte natürlich, daß die Münchener Rück zu den maßgeblichen Anteilseignern an den polnischen Versicherungsfirmen gehörte, und offenkundig bat er die Münchener Rück, ihm geeignete Treuhänder für diese Firmen zu nennen. Auf die Männer, die ihm vorgeschlagen wurden, war Verlaß: Rudolf Schneider für die Patria – er hatte zehn Jahre lang in den Diensten der Münchener Rück gestanden; Renato Sambri für Generali-Port-Polonia – er hatte lange Jahre Hand in Hand mit dem pensionierten Regierungsrat Cuntz aus Wien in Polen für Generali gearbeitet; Edwin Magnus für die Warschauer – ein Volksdeutscher Anwalt aus Lettland, der seit einiger Zeit für die Münchener Rück tätig war, deren vollstes Vertrauen genoß und während der Dauer der deutschen Besatzungsherrschaft in der Region eine Schlüsselrolle für Münchener Rück und Allianz spielen sollte.160
159 Orga-Rundschreiben an die Direktionen, 9. Nov. 1939, FHA, S 17.7/70.
160 Arendts an Münchener Rück, 21. Okt. 1939, und Antwortschreiben vom 24. Okt. 1939, MR, A 2.14/54; Arendts an Münchener Rück, 21. Okt. 1939, und Antwortschreiben vom 24. Okt. 1939, ebd.; Münchener Rück an Arendts, 24. Okt., 1939, MR, D/6.
Mit so viel Unterstützung von den Treuhändern der Münchener Rück trat die Allianz in Verhandlungen mit den alten, staatlich ernannten Treuhändern – in Kattowitz für Oberschlesien, in Posen für den sogenannten Warthegau und zuletzt in Danzig für Danzig-Westpreußen – ein. Sie übernahm von ihnen die Treuhänderschaft über die Policenbestände der Kattowitzer Niederlassungen von Warschauer und Patria sowie aus den Beständen der Bielitzer Filiale der Generali-Port-Polonia die Policen in den Sparten Feuer, Einbruch und Diebstahl sowie Glas. Die Erste Allgemeine Unfall- und Schadens-Versicherungs-Gesellschaft wurde Treuhänderin für die Bestände der Kattowitzer Filiale von Generali-Port-Polonia sowie für das Unfall- und Haftpflichtportfolio der Filiale Bielitz. Parallel dazu bemühte sich Allianz Leben in Verhandlungen um die Treuhänderschaft für den relativ kleinen Lebensversicherungsbestand der englischen Firma Prudential in den dem Reich zugeschlagenen Gebieten. Anfang Januar hatten diese Bemühungen Erfolg. Sowohl Allianz als auch Allianz Leben hatten sich jetzt in den annektierten Gebieten mit Zweigstellen in Kattowitz (unter Direktor Hansgeorg von der Osten) und Posen (unter Filialdirektor Günther Klein) etabliert. Anfang Februar 1940 wurden die Verhandlungen über die Prudential-Bestände abgeschlossen, und Allianz Leben erhielt, wie vor ihr die Allianz, die Lizenz für die Ausübung des Versicherungsgeschäfts in diesen Gebieten. Damit nicht genug, übertrug die Bayerische Versicherungsbank die Kunden, die sie in dieser Region hatte, an die | S. 469 Allianz und die Kraft Versicherungs-AG und brach auch in Oberschlesien ihre Geschäftstätigkeit zugunsten der Allianz ab. Weitere organisatorische Veränderungen wurden 1941 vorgenommen: Die Allianz verlegte ihre Verwaltungszentrale für den Warthegau, die auch für Kattowitz zuständig war, von Posen nach Breslau, beförderte von der Osten zum Leiter des Breslauer Büros und den bisherigen Filialdirektor Rudolf Bartholome zum Chef der Geschäftsstelle Kattowitz. Zum Generalgouvernement erhielt die Allianz offiziell keinen Zutritt, während die Bayerische Versicherungsbank dort weiterhin von ihrer Zweigstelle Krakau aus operierte – allerdings im Auftrag und auf Rechnung der Allianz. Die Allianz erhielt jedoch die Genehmigung, die Policen von Volksdeutschen im Generalgouvernement unter ihrem eigenen Namen zu betreuen.161
161 Orga-Rundschreiben an die Direktionen, 9. Nov. 1939, 16. Jan. 1940, und 7. Febr. 1940, FHA, S 17.7/70; Rundschreiben vom 15. Febr. 1941, FHA, S 17.7/72. Zur Arbeit der Bayerischen Versicherungsbank in Polen siehe Sitzungsprotokoll des Aufsichtsrats, 24.Juni 1942, FHA, B 3.3.1/. Siehe auch Clemens Maiholzer, Die Berliner Allianz-Betriebe vom Beginn des 2. Weltkrieges (3.9.1939) bzw. vom Beginn des 51. Geschäftsjahres der Allianz Versicherungs-AG (1.1.1940) bis zu den ersten Jahren des Wiederaufbaues 1945/1946 nach dem Zusammenbruch im Mai 1945, München 1960 (unveröffentlichtes Manuskript, FHA), S. 5-7
(Feldman 2001), S. 468 f.
Mit dem Ende des soeben zitierten Absatzes ist deutlich, dass die Bayerische Versicherungsbank, deren Generaldirektor Arendts war, einen Sonderstatus im Generalgouvernement Hans Franks genoss. Arendts und Frank kannten sich spätestens seit 1933 aus dem Präsidium der AfDR. Dort saß auch Wilhelm Kisch, der Mann, der staatlicherseits Arendts beaufsichtigen sollte. 1940 veröffentlichte Kisch die Festschrift „Fünfzig Jahre Allianz (1890-1940)“, die von der Münchener Rück in Auftrag gegeben worden ist. Kisch erwähnt nicht, dass diejenigen, die er früher beaufsichtigen sollte, ihn beauftragt haben, ihnen eine Festschrift zu schreiben.[296] Stattdessen behauptet er, er sei als unabhängiger Wissenschaftler beauftragt worden. Ich zitiere die ersten Absätze aus dem Vorwort von Kisch in seiner Festschrift für die Allianz aus dem Jahre 1940, in dem Hans Frank bereits der Autokrat des Generalgouvernements war:
Wenn die Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft die Herstellung der Festschrift, die sie der Allianz zu deren fünfzigjährigem Bestehen zudachte, in die Hand eines unabhängigen Vertreters der Wissenschaft zu legen sich entschloß, so glaubte ich meinerseits die dankbare Aufgabe übernehmen zu sollen, an einem eindrucksvollen Beispiel die Leistungen der deutschen Privatversicherung innerhalb des letzten Halbjahrhunderts aufzuzeigen. Von selbst versteht sich, daß ich für den sachlichen Inhalt der Festschrift, insbesondere für die darin enthaltenen Urteile, die alleinige Verantwortung trage. Wenn hierbei aus naheliegenden Gründen nur die verstorbenen, nicht auch die noch lebenden Männer der Allianz eine persönliche Würdigung erfahren konnten, so ist damit eine Lücke angedeutet, die niemand stärker als der Verfasser selbst empfinden kann.
(Feldman 2001), S. 469
Ich vermute, dass die Zusammenarbeit von Wilhelm Kisch mit Wilhelm Arendts u.a. über die Allianz und die Münchener Rück bereits im Ersten Weltkrieg alldeutschen Zielen diente. Folgende Namen könnten noch heute anderen Wissenschaftlern helfen, dieser Seilschaft nachzuspüren:
Bei Herstellung dieser Schrift ist mir vielfältige Unterstützung zuteil geworden. In erster Linie habe ich für wertvollste Belehrungen und für die Durchsicht des Manuskriptes zu danken den Herren: Geheimrat Dr. Kißkalt, Reichsminister a. D. Dr. Schmitt, Generaldirektor Dr. Heß. Willkommene mündliche und schriftliche Hinweise haben mir ferner zuteil werden lassen der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Allianz Herr August von Finck und aus dem engeren Vorstande die Herren Hilgard und Dr. Schloeßmann. Über den Gründer der Allianz hat mir dessen Sohn, Direktor a. D. Fritz Thieme, ein anschauliches Bild vermittelt.
Ferner haben mir folgende Herren des Konzerns Material zur Verfügung gestellt: von der Allianz-Zentrale die Herren Dr. Bohl, Dr. Brandt, Butz, Eggerss, Dr. Lux, Dr. Maiholzer; von der Neuen Frankfurter Generaldirektor Dr. Wiedemann und Dr. Weintraud, von der Bayerischen Versicherungsbank Generaldirektor Arendts sowie die Herren Permaneder und Dr. Baerwolff, von der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Dr. Obermayer; endlich der Vorstand der Assekuranz-Companie Mercur.
(Kisch, Fünfzig Jahre Allianz (1890-1940); 1940), S. VII
Zurück zu Gerald D. Feldmans Darstellung über die Aktivitäten der deutschen Privatversicherungswirtschaft in Polen nach 1939:
Es gelang der Allianz, aus den von der Bayerischen Versicherungsbank geltend gemachten Ansprüchen auf eine besondere Begünstigung erhebliches Kapital zu schlagen. Schon im September 1939 hatte die Bayerische Versicherungsbank unisono mit der Aachener und Münchener beim RAA [Reichsaufsichtsamt; mw] Klage darüber geführt, daß dieses einer Reihe anderer deutscher Unternehmen den Vertrieb von Versicherungspolicen in Oberschlesien erlaubt hatte, ohne die beiden Firmen in besonderer Weise zu berücksichtigen, die dort jahrelang allen vermeintlichen Benachteiligungen durch den polnischen Staat getrotzt hätte. Mit derselben Begründung erhob die Bayerische Versicherungsbank auch Anspruch auf eine Zulassung im Generalgouvernement. Doch das alte Polen existierte nicht mehr, und die Allianz machte ihrer Tochtergesellschaft im Oktober 1940 klar, daß «wir beabsichtigen, im Generalgouvernement stärker als bisher ins Geschäft zu gehen».162 Wenn die Allianz vorerst darauf verzichtete, sich im Generalgouvernement einfach an die Stelle der Bayerischen Versicherungsbank zu setzen, dann aus Rücksicht auf die dortigen Aufsichtsbehörden.
(Feldman 2001), S. 469
Ich habe noch nicht geprüft, ob Wilhelm Kisch Mitglied einer Aufsichtsbehörde im Generalgouvernement gewesen ist.
Diese fürchteten, ein solcher Schritt werde es ihnen sehr schwermachen, den vielen anderen deutschen Unternehmen, die sich um eine Konzession für dieses Gebiet bemühten, den Zugang zu verwehren. Dennoch vermochte die Allianz den Bonus, den die Bayerische Versicherungsbank wegen ihrer angeblichen oder wirklichen Diskriminierung durch die Polen für sich reklamierte, für sich fruchtbar zu machen. Sie tat dies zum Beispiel, indem sie sich 1941 an der versuchten Übernahme des gesamten Policenbestandes (mit Ausnahme der Sparte Lebensversicherung) des einzigen bedeutenden polnischen Versicherungsunternehmens beteiligte, das tatsächlich von polnischem Kapital kontrolliert wurde: der Vesta. Die Bayerische Versicherungsbank behauptete, einen Verlust von 1,2 Millionen Zloty erlitten zu haben, weil die polnische Regierung ihr im Zuge der Erteilung einer Konzession für Oberschlesien 1929 eine hohe Kaution und gewisse Garantiezusagen abgepreßt und ihre Arbeit dann mit ihrer Politik der Polonisierung behindert habe.
(Feldman 2001), S. 469
1929 könnten Arendts, Kisch und Hans Frank bereits kooperiert haben.
Dennoch habe die Firma ihre Präsenz «unter den größten Schwierigkeiten und Opfern im Interesse des Deutschtums in Ostoberschlesien aufrechterhalten». Zur Be- | S. 470 lohnung dafür beanspruchte sie jetzt das gesamte Sachversicherungsgeschäft der Vesta.163 Ähnlich wie im Vorjahr, als die Allianz mit dem Gedanken gespielt hatte, kurzerhand an die Stelle ihrer Tochtergesellschaft zu treten, wurde bei ihr jetzt der Wunsch wach, die Vesta-Bestände direkt zu übernehmen Doch auch dieses Mal beharrten die Behörden des Generalgouvernements auf ihrem Standpunkt, es sei klüger, die Konzession nicht von der Konzerntochter auf die Konzernmutter zu übertragen, wenn man die in dem Gebiet tätigen Versicherungen unter Kontrolle halten und einen großen Papierkrieg vermeiden wollte. Dabei war sattsam bekannt, daß die Bayerische Versicherungsbank zum Allianz-Konzern gehörte und daß hinter ihren Aktivitäten im Osten die Ressourcen des letzteren standen.164
162 Vgl. Allianz (Lux und Haase) an die Bayerische Versicherungsbank, 3. Okt. 1940, sowie die Korrespondenz zwischen Walter Schmidt (Generaldirektor der Aachener und Münchener) und Arendts von Sept.-Okt. 1939, FHA, B 3.6/6.
163 Allianz an das RAA, 7.Juli 1941, ebd.
164 Aktennoten vom 9. und 25. Aug. 1941, ebd.
(Feldman 2001), S. 469 f.
Der Allianz boten sich viele geschäftliche Möglichkeiten im Osten, sowohl in den dem Reich eingegliederten polnischen Gebieten[297] als auch im Generalgouvernement
– seit dem 26. Oktober 1939 unter der Autokratie Hans Franks –
wo sie durch ihre Verflechtung mit der Bayerischen Versicherungsbank
– deren Generaldirektor Wilhelm Arendts war –
agieren konnte. Dabei handelte es sich zum großen Teil um ziemlich schmutzige Geschäfte.
(Feldman 2001), S. 470
Trotz dieser Erkenntnis, dass Arendts zusammen mit Hans Frank an „ziemlich schmutzigen Geschäften“ im Osten beteiligt gewesen ist, schließt sich Feldman tendenziell dem Urteil vom 18. Juni 1948 der Münchener Spruchkammer an, das Arendts sogar als „unbelastet“ ansah, weil er Juden, Halbjuden und Regimegegner geschützt habe, vor allem aber, weil er dem Umkreis Carl-Heinrich von Stülpnagels vor dem 20. Juli 1944 angehört habe.[298]
Im dritten Jahrbuch der Akademie für deutsches Recht von 1936 ist wenige Seiten nach dem Foto von Wilhelm Kisch folgendes Foto von Wilhelm Arendts abgedruckt worden:
Abbildung 27: Foto von Wilhelm Arendts (aus: 3. JAfDR 1936, S. 97)
Durch meinen Exkurs ist deutlich geworden, weshalb es für die Entwicklung einer nationalsozialistischen Rechtsphilosophie wichtig war, einen Experten auch fürs Bürgerliche Recht im allgemeinen und für das Recht der privaten Versicherungswirtschaft insbesondere zu haben. Ich vermute, dass die ältere Generation im Ausschuss für Rechtsphilosophie meinte, aus der Niederlage im Ersten Weltkrieg unter anderem die Lehre gezogen zu haben, dass ein Weltkrieg nur dann gewonnen werden könne, wenn auch während des Krieges privatwirtschaftliches »Engagement« in einverleibten, regierten und besetzen Gebieten staatlich organisiert betrieben würde.
6.2.5. Viktor Bruns (1884–1943): Versailles und Genf
Es gibt keinen biographischen Artikel über Viktor Bruns im ersten Teil des »Deutschen Führerlexikon 1934/35«. Im zweiten Teil des »Führerlexikons«, der die geführten Organisationen vorstellt, wird Bruns als Vorsitzender des Ausschusses für „Internationales Recht“ der AfDR erwähnt. Die Bezeichnung ist untypisch. In den meisten Fällen heißt der Ausschuss „Ausschuss für Völkerrecht“.
Abbildung 28: Deutsches Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, S. 79
Da ich vorhin exkursweise etwas über die privatwirtschaftlichen Aktivitäten des akademischen Nationalsozialismus berichtet habe, habe ich den Ausschnitt aus dem »Führerlexikon« über die Ausschüsse der AfDR etwas größer gewählt.
Viktor Bruns wird im »Führerlexikon« auch als Mitglied der AfDR vorgestellt:
Abbildung 29: (Deutsches Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, S. 80
In Degeners „Wer ist’s?“ von 1935 gibt es aber einen Eintrag von Viktor Bruns über sich selbst:
BRUNS, Viktor. Dr. jur., o. Univ. – Prof. d. R., Dir. Inst. f. ausl. öff. Recht u. Völkerrecht. — * 30. XII 84 Tübingen. – V: Paul v. Br., Wirkl. Geh. R.; Prof. d. Chir., Tübingen †; M: Marie Weizsäcker. – Verh: Marie v. Bode. – Gymn.: Univ. Tübingen, Leipzig; 08 Ref.; 10 ao Prof. Univ. Genf; 12 ao Prof. jurist. Fak. Univ. Berlin; 20 o. Prof. – W: Besitzerwerb durch Interssenvertr. 10; Sondervertret. dtsch. Bundesst. b. d. Friedensverhand. 18; Württ. künft. Verf. 19; Völkerr. a. Rechtsordg. 29; Dtschlds. Gleichberechtigg. 33; D. internat. Richter 33; Hrsg. d Werkes: Württ. unt. d. Reg. Kg. Wilh. II. 16; Begr. u. Hrsg. Ztsch. f. ausld. öffentl. Recht u. Völkerr.; Beitr. f. ausl. öffentl. R. u. Völkerr.; Fontes juris gentium. – M. d. A. f. Dt. R.; d. A. diplom. internat. u.a. – Berlin-Zehlendorf-West, Sven-Hedin-Str. 19.●
Degeners „Wer ist’s?“, Art. Viktor Bruns, 1935, S. 214
Ich vermute, dass Erich Jung und Wilhelm Kisch spätestens Kontakt zu Viktor Bruns aufgenommen haben als er 1918 „Sondervertreter der deutschen Bundesstaaten bei den Friedensverhandlungen in Versailles“ wurde.
2018 ist ein „Zeitgemälde“ anhand der Tagebücher und Briefe der Ehefrau von Viktor Bruns, Marie Bruns-Bode (1885-1952) von Rainer Noltenius herausgegeben worden: (Noltenius 2018). Es gibt ein Personenregister. Von den 12 Dauer- und von den 18 Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie wird im Register nur ein Name erwähnt. Es ist der Name von Hans Frank. Die Bezugnahme auf Frank zitiere ich gleich. Für die Aufklärung über den akademischen Nationalsozialismus könnten die häufigen Erwähnungen von Mitgliedern der Familien von Weizsäcker, der Brüder Bertold und Claus Schenk von Stauffenberg und des Ehepaars Ludwig und Marie Freiin von Gebsattel aufschlussreich sein. Die Mutter von Viktor Bruns war Marie Auguste Weizsäcker (1857–1939), sie war mit Paul von Bruns (1846–1916), einem Chirurgen, verheiratet. Nun zur Erwähnung von Hans Frank. 1936 war das Ehepaar Bruns Gast „auf einem großen Abend bei Minister Frank“, von dem sie der Tochter Hella (verheiratete Noltenius) in einem Brief berichtet, der am Schalltag des Jahres 1936 begonnen und am 3. März 1936 beendet worden sei:
Zehlendorf, Schalltag 1936, beendet 3. III
Meine geliebte Hella!
Nun muss ich Dir doch von dem großen Abend bei Minister Frank […] erzählen. Zu Ehren des Iren Toynbee, der hier seinen Völkerrechtsvortrag hielt, waren wir Freitag zu einem Empfang beim Minister gebeten. Außer uns nur Gesandte, gewesene oder seiende Minister und deren Anhang. Beziehungen zu Afrika wurden auch berücksichtigt. So erschienen der Gesandte aus Südafrika und die Gründerin des Mutterschutzes, deren Namen ich vergessen habe.
Der Herr Minister wollte dem irischen Professor für Völkerrecht einen Begriff von deutscher Volksbewegung durch Vorführung des Filmes „Die Macht des Willens“ geben. Darum kam Leni Riefenstahl und überwachte das Kurbeln. Sonderbarerweise fand Vati [Viktor Bruns; mw] auch an ihrer Seite Platz. Obwohl Toynbee sie fast ganz mit Beschlag belegte, hat doch auch Vati manches mit ihr besprochen. […] │ S. 239 […]
Aber sonst war sie ja reizend – d.h. klug und unterhaltend. Den Film fand ich nachher auch sehr eindrucksvoll, ganz hervorragend aufgenommen und daher trotz sachlicher Wiederholungen immer wieder neu scheinend.
Das Haus von Frank ist unbeschreiblich schön. Auf den Böden auch Samt wie in Vatis Zimmer. Ein ähnlicher Stoff in Falten an den Wänden. Die Decke gleich getönt. Und alle Möbel so schön in die Räume gestellt. Münchener Kunstgeschmack hat da etwas besonders Erlesenes geschaffen.
Mein Tischplatz zwischen Cörnchens [Cornelia Bruns; Noltenius (Hg.)] reizendem Onkel, dem Minister a.D. Simons und einem [Karlfried; Noltenius (Hg.)] Graf Dürckheim machte mir auch viel Freude. Simons erzählte hübsche Menzel-Anekdoten, und mit Graf Dürckheim fand ich mich in der Begeisterung für England …
(Noltenius 2018), S. 238 f.
Über Cornelia Bruns teilte der Herausgeber auf S. 142 mit, sie sei Institutsbibliothekarin gewesen. Durch den Kontext ist eindeutig, dass sie Bibliothekarin des „Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“ gewesen ist, dessen Gründungsdirektor Viktor Bruns gewesen ist. Sie war im Institut vermutlich auch als Übersetzerin aus dem Englischen ins Deutsche tätig. Jedenfalls war sie Übersetzerin eines englischsprachigen Buches von Ralph Waldo Trine: (Trine 1922). Ich erwähne das, weil vielleicht über den weniger prominenten Umkreis der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie noch heute in Nachlässen interessante Dokumente gefunden werden könnten, die Aufschluss über seine Tätigkeiten geben könnten.
Da diese Informationen über Viktor Bruns im Vergleich zu den anderen Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie etwas dürftig sind, ziehe ich eine weitere Quelle heran. In Heft 44 vom 30. Oktober 1943 der Zeitschrift „Deutsches Recht. Zentralorgan des NS-Rechtswahrerbundes“ erschien ein Nachruf auf „Viktor Bruns. Dem Forscher, Lehrer und Wahrer des Völkerrechts zum Gedächtnis“ von „Dr. Friedrich Korkisch. Referent am Kaiser-Wilhelm-Institut für öffentliches Recht und Völkerrecht“, dessen Direktor Bruns seit seiner Gründung im Jahr 1924 gewesen war. Ich zitiere:
„Die deutsche Völkerrechtswissenschaft hat einen ihrer bedeutendsten Vertreter, das deutsche Rechtsleben eine seiner hervorragendsten Persönlichkeiten verloren: Am 18. September starb im 58. Lebensjahr der Berliner Völkerrechtslehrer und Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Professor Dr. Viktor BRUNS.
[…]
Von dem Streben geleitet, als Ergänzung und als Gegengewicht gegenüber dem anglo-amerikanischen Völkerrecht die Grundsätze des kontinentaleuropäischen Völkerrechts in einem großangelegten System zu verarbeiten, ging er als erster deutscher Völkerrechtler daran, die Fülle des Stoffes in seinem Fachgebiet durch eine großangelegte Gemeinschaftsarbeit zu meistern und damit gleichzeitig die Trennung von Theorie und Praxis auf dem Gebiete des Völkerrechts zu überbrücken.
[…]
Seine umfassende theoretische und praktische Beherrschung des Völkerrechts, verbunden mit einem seltenen politischen Wirklichkeitssinn, eröffneten seiner Persönlichkeit auf dem Gebiete der völkerrechtlichen Praxis ein weitgespanntes Arbeitsfeld als Gutachter der Reichsregierung und vor allem als Vertreter Deutschlands vor den verschiedensten völkerrechtlichen Instanzen. In den Jahren 1927 bis 1931 war er deutscher Richter am deutsch-polnischen und am deutsch-tschecho-slowakischen Gemischten Schiedsgericht. Als nationaler Richter für die Freie Stadt Danzig am Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag (1928, 1931, 1932) war es nicht zuletzt sein Verdienst, daß Danzig deutscher Charakter allen polnischen Vorstößen zum Trotz erhalten blieb. […] Im deutsch-litauischen Schiedsprozeß über die Staatsangehörigkeit von Memeldeutschen (1937) führte er die deutsche Sache zu einem vollen Erfolg.
[…]
Sein festgegründetes Ansehen auf dem Gebiete des internationalen Schiedswesen bewog die Regierungen Bulgariens und Rumäniens, ihm den Vorsitz des bulgarisch-rumänischen Schiedsgerichts über die Streitigkeiten betreffend die Abtretung der Süd-Dobrudscha zu übertragen (1941). Seiner überlegenen, den wohlverstandenen Interessen beider Streitteile Rechnung tragenden Verhandlungsführung gelang es, die beiden Parteien so weit aneinander heranzuführen, daß sie sich unmittelbar, ohne Schiedsspruch, über alle Streitfragen einigten. Mit diesem nach außen freilich kaum hervortretenden persönlichen Erfolg, den er seinem schon schwer leidenden Körper angekämpft hatte, krönte seine fünfzehnjährige | S. 1100 Tätigkeit in internationalen Schiedsgerichten, deren Erfahrungen er auch in mehreren wissenschaftlichen Arbeiten niedergelegt hat.
Innerhalb des deutschen Rechtslebens hatte Viktor Bruns seiner dem Leben zugewandten Persönlichkeit entsprechend als Mitglied des NS.-Rechtswahrerbundes und des NSD.-Dozentenbundes seine feste Stellung bezogen, die ihn überall dort tätig werden ließ, wo er eine erfolgversprechende Wirkungsmöglichkeit für seine Wissenschaft erkannte. Vor allem als Vorsitzender des Ausschusses für Völkerrecht der Akademie für Deutsches Recht hat er es verstanden, den Tagungen dieses Ausschusses den Stempel seiner Persönlichkeit und seiner Auffassung von der Lebensnähe der Völkerrechtswissenschaft aufzuprägen. Die Auswahl der Vortragenden und ihrer Themen zeigte immer, nicht zuletzt während dieses Krieges, sein erfolgreiches Bemühen, die Völkerrechtswissenschaft und die Praxis zusammenzuführen.
[…]
(Korkisch 1943), S. 1099-1100
Viktor Bruns war bis zu seinem Tod Vorsitzender des Ausschusses für Völkerrecht. In einer Endnote hatte ich bereits mitgeteilt, wer nach Werner Schuberts Angaben 1942 Mitglied dieses Ausschusses gewesen ist.
I. Mitglieder- und Mitarbeiterlisten von 1942
Ausschuss für Völkerrecht
Vorsitzender: Prof. Dr. Bruns, Berlin
Stellv. Vorsitzender: Prof. Dr. Berber, Gesandter (AA), Berlin
Mitglieder:
Albrecht, Gesandter (AA), Berlin; Prof. Dr. Bilfinger, Heidelberg; von der Decken, Senatspräsident, Hamburg; Dr. Eckhardt, Ministerialrat (OKW-Seekriegsleitung), Berlin; Feaux de la Croix, Oberlandesgerichtsrat (RJM), Berlin; Dr. Gaus, Unterstaatssekretär, Berlin; Gerber, Kriegsgerichtsrat, Berlin; Gladisch, Admiral, Reichskommissar beim Oberprisenhof, Berlin; Dr. Jahrreis, Professor, Köln; Dr. Kriege, Ministerialdirigent (RJM), Berlin; Lutterloh, Ministerialdirigent (RJM), Berlin; Dr. Roediger, Vortr. Legationsrat (AA), Berlin; Dr. Simon, Chefsyndikus (Deutsche Bank), Berlin; Dr. [Bernhard; mw] Schenk von Stauffenberg, Graf, OKM-Seekriegsleitung, Berlin; Scheuner, z.Zt. Marinehilfskriegsgerichtsrat, Berlin; Dr. Schönborn, Professor, Kiel; Dr. Walz, Professor, Berlin; Dr. Widmann, Berlin; Dr. Woermann, Unterstaatssekretär (AA), Berlin; Dr. Wolgast[299], Professor, Würzburg●
(Schubert, Ausschüsse für Völkerrecht und Nationalitätenrecht (1934-1942); 2002), S. LI f.
In der Geschäftsführungsakte der AfDR, in der ich die Mitgliedliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie gefunden habe, die erst nach dem 17. Juli 1941 erstellt worden sein kann, gibt es auch eine Mitgliedliste des Ausschusses für Völkerrecht (BArch R 61/30, Blätter 25 und 26). Sie ist auf den 3. März 1943 datiert und dokumentiert damit einen späteren Zustand des Ausschusses für Rechtsphilosophie als Schuberts Wiedergabe. Leider habe ich mir nicht alle Namen notiert.
6.2.6. Carl August Emge (1886-1970):
Professor Carl August Emge hat selbstverständlich einen Eintrag im biographischen Teil des »Deutschen Führerlexikon 1934/35«. Es gibt auch ein Foto. Er sah so aus:
Abbildung 30: Foto von Carl August Emge im „Deutschen Führerlexikon 1934/34“, S. 110
Emge,
Carl August, Dr. jur., Dr. phil., o. Professor der Rechtsphilosophie in Jena,
Univ.- Kurator a. D., Wissenschaftl. Leiter d. Nietzsche- Archivs i. Weimar,
Weimar, Zum milden Graben 14.
Geboren: 21. April 1886 in Hanau a. Main; Vorfahren Franken und Chatten[300], holländische und französische Emigranten. — Bildungsgang: Jurist. Studium und Laufbahn bis zum Professor der Rechte in Gießen; dann wieder von Anfang an Erwerb des Professors für Philosophie; Lehraufträge in beiden Fakultäten. — Militärzeit: Wegen schwerer Operation militärdienstuntauglich; Referent im Kriegspresseamt (Generalstab). — Berufsgang u. a.: 1924 zweimal zum Ordinarius für Soziologie an der Universität Riga gewählt, von dem lettl. Ministerium aber nicht bestätigt; alljährliche Einladungen an das Herder-Institut in Riga; Berufung nach dorthin als Nachfolger von v. Sokolowski[301] für Rechtsphilosophie; 1932/33 Universitätskurator für die politische Umstellung in Jena; 1933 erstes Ordinariat für Rechtsphilosophie in Deutschland: Mitglied der Akademie für Deutsches Recht, stellv. Vorsitzender des Akademieausschusses für Rechtsphilosophie in Vertretung vom Reichsjustizkommissar Frank; Wissenschaftl. Leiter des Nietzsche-Archivs; Vorsitzender der Kommission für die Nietzsche-Ausgabe; seit Beginn 1931 in Aufrufen („Volk. Beobachter“) und Schriften „Geistiger Mensch und Nationalsozialismus“[302] für die Bewegung tätig; bereits seit 1916 Bekämpfung der marxistischen Rechtsphilosophie; Begründung konservativer Lehrideen; Mitglied des Reichsfachgruppenrats der Gruppe Hochschullehrer im Juristenstand usw. — Spezialarbeitsgebiet, Veröffentlichungen: Über 40 Veröffentlichungen aus dem Gesamtgebiet der Philosophie, insbesondere Rechtsphilosophie, aber auch der Sozial- und Religionsphilosophie; positive Jurisprudenz. — Mitglied: Vorstandsmitglied der Kant-Gesellschaft und der deutschen soziologischen Gesellschaft, Herder-Gesellschaft in Riga, Societe d’Etudes philosophiques in Marseille usw.●
(Artikel C. A. Emge 1934), S. 216
Emges Erwähnung des Ausschusses für Rechtsphilosophie spricht dafür, dass er die Daten für das »Deutsche Führerlexikon 1934/35« noch vor Mitte Juni an die Redaktion übermittelt hat. In Veröffentlichungen, deren Redaktionsschluss nach dem Sommer oder Spätsommer 1934 lag, wurde er – soweit ich sehe – nur noch einmal erwähnt. Und zwar erwähnt ihn Professor Emge im Mai 1938 in seinem Nachruf auf Rudolf Stammler. Er erwähnt aber nur die erste Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie, über die bereits mehrfach im Jahr 1934 berichtet worden ist (siehe meinen Unterabschnitt 8.3.1.) Sicher ist, dass Emge seinen Text vor dem Dezember 1934 verfasst hat, da er Harns Frank als „Reichsjustizkommissar“ charakterisiert.
„Universitätskurator“? Ich zitiere erneut aus Pinters Dissertation über Emge die Informationen, die Pinter über Emges Rolles als „Universitätskurator“ ermittelt hat. Eine einprägsamere Bezeichnung wäre „Universitätsgleichschalter“ gewesen:
5. Emge als nationalsozialistischer Universitätskurator
Statt dessen wurde Emge ab 1.10.1932 als erster überhaupt in eine neu geschaffene Funktion berufen, die des Kurators der Thüringischen Landesuniversität in Jena.2
Die Tätigkeit des Kurators wurde vom Ministerium so festgelegt:
1 Grundsätzliche Organisationsfragen des Hochschulwesens, der Studentenschaft, der studentischen Wirtschaftseinrichtungen;
2. politische Angelegenheiten;
3. berichtliche Weitergabe aller Schriftstücke vom Rektor und von den Fakultäten sowie an diese bei Berufungen, Lehraufträgen, Lehrberechtigungen und Ernennungen der Hochschullehrer.3
Weitere Angelegenheiten, besonders die eigentlich dem Kurator nach der Hauptsatzung obliegende Vermögensverwaltung der Universität, sollten jedoch weiter vom Ministerium direkt durch einen Ministerialreferenten an der Universität erledigt werden.4 Sowohl die Aufgabenbeschreibung wie auch der Verbleib des Verwaltungsbeamten an der Universität zeigen, was Emge als Kurator bewerkstelligen sollte: den unmittelbaren Einfluß und die Kontrolle durch die Partei bei der geplanten totalen Veränderung der Hochschulen und frühzeitig auch bei der (Neu-)Zusammensetzung des Lehrkörpers ermöglichen.
2 Universitätsarchiv Humboldt-Universität Berlin, Akte B 56 Jenaer Teil, ohne Blattangabe
3 ebd., ohne Blattangabe
4 ebd., ohne Blattangabe
(Pinter 1994), S. 9
Im Organisationsteil des »Deutschen Führerlexikon 1934/35« wird Emge zweimal erwähnt. Einmal als Mitglied der AfDR. Das andere Mal als wissenschaftlicher Leiter des Nietzsche-Archivs:
Abbildung 31: Deutsches Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil II, S. 62
Carl August Emge hat für Degeners „Wer ist’s?“ (1935) so viele Angaben gemacht, dass Abkürzungen nötig waren:
EMGE, C. August, Dr. jur., Dr. phil., o. Univ.-Prof. — * 21. IV 86 Hanau a. M. – V: Adolf E.[303], Bij-Fbrkt. Hanau; M: Maria Koch. – Vorf.: Franken, Chatten, holländ. Emigrant., Gold- und Silberkstgew.; ms.: Philos. J. N. Neeb.[304] – Verh: 16 V 14 m. Paula, T. d. Phys. Dr. Richard Küch[305] u. Ida Ziesenis, Hanau a. M., Nachk. Luthers. – K: Martinus Rich. * 20.1.21. – 04 Univ. Tübingen, Heidelberg, Marburg; Ref., Dr. jur.; jur. Vorbereitungsdienst; philos. u. jurist. Stud.; habil. 16 Gießen[306]; 17 Kriegspresseamt; s. 21 Lehrauftr. f. Steuerr.; ao. Prof. d. R. Gießen; 23 venia f. Philos. Jena; 25 Lehrauftr. f. Prakt. Philos. u. Rechtsphilos. Jena; 26 M. d. Herderges. i. Riga; 26-27 Prof. a. Herderinst. Riga; 28 ao Prof. d. Philos.; 31 wiss. Ltr. d. Nietzsche-Arch. Weimar; 32 Univ.-Kur. Jena; 33 o. Prof. Jena; 35 Berlin – W: D. Vollzugsort b. gegenseit. Vertr. 10[307]; Moment d. Neuheit i. § 950 i. Arch. f. ziv. Pr.; Üb. d. Grunddogma d. rechtsphilos. Relatvism. 16; Empirismus u. Rechtsphilos. i. Arch. f. syst. Philos.; Philosoph. z. Lehre v. Wes. d. jurist. Person 19 i. Arch. f. R. u. W. Phil.; Philos. u. Recht. Id. üb. d. mögl. Begr. d. Rechtsphil. nach logisch entfalt. Meth. i. I. v. Philos. u. Recht; Üb. d. Charakt. d. Geltgsprobl.. i.d. Rechtswiss. i. Arch. f. R. u. W. Phil.; Gratisakt u. Steuern.; Grdsätzl. üb. d. Beziehg. d. Civilr. z. Steuerr-Gutacht. 23; D. Unendl. b. Novalis 24; Üb. versch. Bedeutg. v. Idee 24; D. Idee d. Bauhaus., Wirklichk. u. Kst. 24; Soziologie Russells 24; Vorschule d. Rechtsphilos. 25; Üb. d. Idee (Stammlerfestschr.) 26; Axiom. u. Definit. d. Gesellsch.-Begriffs 26; Vernunft u. Wirklichk. b. Hegel 26; Hegel, Logik u. die Gegenwart 27; Prakt. Philos. u. Rechtsphilos. 27; Üb. d. philos. Gehalt. d. relig. Dogmatik 27; zhlr. Art. i. wiss. Ztschr.; zhlr. Bespr.; Kants Eherecht 22; s. X 20 Hrsg. v. Philos. u. Recht. – Spez.: Philos. d. Rechts. – L.-B.: Log. u. methodol. Probl. – Kantges,: korr. M. d. Soc. d’Et. philos. Marseille; Korps Suevia Heidelberg; o. M. d. Ak. f. Dtsch. R. – Berlin-Grunewald, Königsallee 18.●
(Degeners „Wer ist‘s?“, Art. C. A. Emge, 1935; S. 358.
Dass Emge zur „Festgabe für Stammler zum 70. Geburtstag am 18. Februar 1926“[308] beigetragen hat, ist bemerkenswert, da Rudolf Stammler zu den 18 Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehörte. Ein Inhaltsverzeichnis der Festgabe findet sich online hier: http://swbplus.bsz-bw.de/bsz038375737inh.htm. Da auch Ernst Heymann einen Artikel beisteuerte („Recht und Wirtschaft in ihrer Bedeutung für die Ausbildung der Juristen, Nationalökonomen und Techniker“), könnte er seinem Schüler Emge diese Gelegenheit verschafft haben, die Emge („Über die Idee (das regulative Prinzip)“) bekannt gemacht haben wird. Aus dem Umkreis der nationalsozialistischen Rechtsphilosophen hat zusätzliche Fritz van Calker einen Aufsatz zur Festgabe für Stammler beigetragen.
Dass Emge auch Texte über Hegel angibt, macht erkennbar, dass im Kreis des akademischen Nationalsozialismus nicht nur Hans Freyer, sondern auch Carl August Emge als „Neu-»Hegelianer«“ galt.
In Emges Erinnerungen von 1960 werden Alfred Rosenberg, Wilhelm Kisch, Erich Jung und Hans Freyer jeweils ein einziges Mal erwähnt. Bezüglich Erich Jung erwähnt Emge nur dessen Tätigkeit in Gießen, die 1906 endete und die Emge fortgesetzt habe.[309] Von Freyer wird eine Phrase zitiert.[310] Bruns, Schmitt, Hans Frank, Heidegger, Rothacker und Mikorey werden nicht ein einziges Mal erwähnt.
Heymann wird vier Mal erwähnt. Das erste Mal beiläufig als „unser verehrter Marburger Lehrer Heymann“.[311] Das zweite Mal misslingt Emge der Satzbau leicht:
Es war mir daher eine Genugtuung, daß die mir nahe stehenden Berliner philosophischen Kollegen sowie mein verehrter alter Lehrer aus Marburg, der Sekretär der geisteswissenschaftlichen Klasse: N. Hartmann, Spranger und Heymann auch dieser Ansicht waren.
(Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 79
Das dritte Mal so:
Natürlich hatte man in Berlin außer ausgesprochenen Widerstandsleuten solche mit denen man selbstverständlich seine Besorgnisse teilen konnte und andere, die dafür aus unbegreiflichen Gründen nicht in Frage kamen. Ohne dabei — dies ist wichtig — zu den Undiskutablen, Bösewichtern zu gehören, vor denen man nicht erst gewarnt zu werden brauchte. Eins von rühmenswerten Beispielen: der Kreis von Heinrich v. Schweinichen, der die geheimen Veröffentlichungen von Schriften Reinhold Schneiders ermöglichte, worin viele verkehrten, die heute an führender Stelle in der Presse stehen. Mit meinem alten Freund Heymann, der später mit zwei heute sehr geschätzten Kollegen Sekretär der Akademie für deutsches Recht geworden war, besprach man regelmäßig seine Sorgen. Er hatte, wie später der Nachfolger Vahlens, │ S. 90 die größte Mühe, auch die Preußische Akademie unabhängig zu halten.
(Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 89 f.
Ich kann mich des Eindruck nicht erwehren, dass die Weise dieser Bezugnahme auf Heymann eine Drohung an jeden Leser der Nachkriegszeit beinhaltete, etwas Schlechtes über Heymann öffentlich zu sagen. Wer das tun sollte, würde – so kann man das verstehen – kriegt Ärger mit der Presse und zwei heute „sehr geschätzten Kollegen“.
Wer waren diese „geschätzten Kollegen“? Das ergibt sich aus folgendem Bericht aus der Zeitschrift der AfDR aus dem Jahr 1937. Da in der Sekundärliteratur mehrfach behauptet wurde, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie durch die Gründung der Abteilung für Rechtsforschung irgendwie verändert, gar aufgelöst worden ist, zitiere ich etwas ausführlich, als hier nötig. Ich zitiere zusätzlich aus der Rede von Hans Frank, da sie einen Einblick in die Weiterentwicklung seiner Rechtsphilosophie seit dem Mai 1934 bietet:
Konstituierung der Abteilung für Rechtsforschung der Akademie für Deutsches Recht
[1] Am 19. Juni 1937 fand in der alten Aula der Universität Berlin in Anwesenheit des Reichsjustizministers Dr. Gürtner, des Reichswissenschaftsministers Rust und zahlreicher führender Persönlichkeiten aus Partei, Staat, Wissenschaft und Wehrmacht die konstituierende Sitzung der Rechtsforschungsabteilung der Akademie für Deutsches Recht statt. Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Reichsminister Dr. Frank sprach über das Thema „Die nationalsozialistische Rechtsforschung“:
[2] […] Die Rechtswissenschaft des Dritten Reiches hat drei Verpflichtungen:
[3] 1. Da das Fundament unseres Reiches in dem unzerstörbaren Urgrund der von der Schöpfung dem deutschen Volk mitgegebenen Werte liegt, ist die deutsche Rechtswissenschaft dem deutschen Volk, dem Deutschen Reich und der nationalsozialistischen Bewegung gegenüber verpflichtet, das deutsche Rechtsleben allein nach den Gesetzen unseres deutschen Wesens aufzubauen und sich freizumachen von Gewohnheiten, Methoden und Systemen, die nicht der deutschen Lebens- oder Volksordnung entsprechen.
[4] 2. Die Rechtsforschung muß in Einklang stehen mit den durch die Jahrtausende sich erstreckenden Erlebnisse unserer Nation und doch in erster Linie der endlichen Schöpfung eines einheitlichen deutschen Volkes und Reiches dienen.
[5] 3. Der deutsche Rechtsforscher bekennt sich zur nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, wie diese sich zu ihm bekennt. Seinen höchsten Stolz und seine Verpflichtung sieht er darin, im Dienst der nationalsozialistischen Idee rechtswissenschaftlich jener begrifflichen Klarheit zu diesen, welche die Einheit der Rechtsordnung unserer Volksgemeinschaft gewährleistet und den kommenden Geschlechtern ein in sich geschlossenes und den Lebensbedürfnissen unseres Volkes unmittelbar dienendes Gebäude im Rechtsdenken, in der Rechtssetzung und in der Rechtsprechung sichert.
(Konstituierung der Abteilung für Rechtsforschung der Akademie für Deutsches Recht; 1937), S. 416
Soweit der Stand der Wertphilosophie und Tugendlehre Hans Franks im Jahr 1937. Es folgt ein Bericht über seinen Forschungsstand über die neuzeitliche Rechtsgeschichte:
[6] Anschließend gab Reichsminister Dr. Frank einen eingehenden Überblick über die Entwicklung der deutschen │ S. 407 Rechtswissenschaft vom Mittelalter zur Neuzeit, als deren niederdrückendes Ergebnis die weitgehende Entfremdung der Rechtswissenschaft vom Volk festzustellen ist. Eine der wesentlichen Ursachen hierfür war die zweimalige Rezeption fremden Rechtsdenkens, die Rezeption des glossierten corpus juris im ausgehenden Mittelalter und die Aufnahme westeuropäisch liberaler Ideen zu Beginn des vorigen Jahrhunderts.[312] […][…][9] Die Schaffung der neuen Abteilung für Rechtsforschung ist aus dem Wunsch und dem Bedürfnis heraus erfolgt, die Akademie für Deutsches Recht zu einem Mittelpunkt für alle geeigneten wissenschaftlichen Kräfte zu machen, um die Geschichte des Rechts und der Wirtschaft, die philosophischen und methodologischen Grundlagen der Rechtsdogmatik und die juristisch-technischen Einzelheiten auf allen Gebieten des Rechts systematisch zu durchforschen. Auf diese Weise sollen nicht nur weiteste Fachkreise außerhalb der Akademie für die Aufgaben der Akademie interessiert, sondern auch für die rechtspolitische Arbeit der Akademie feste wissenschaftliche Grundlagen gewonnen werden. Die Abteilung für Rechtsforschung steht selbständig neben der anderen großen Abteilung der Akademie, der Abteilung für Rechtsgestaltung. Die Rechtsforschungsabteilung wird jedoch der rechtsgestaltenden Abteilung, der die gesetzespolitische Arbeit obliegt, eine wertvolle Hilfe sein[313]. […] Die Abteilung [für Rechtsforschung; mw] ist in drei Klassen gegliedert:
1. Die Erforschung der Geschichte und der Grundfragen des Rechts (Klassenobmann Geheimrat Professor Dr. Heymann, Berlin; Klassensekretär Dr. Felgentraeger[314], Marburg.)
2. Erforschung des Rechts von Reich und Volk (Klassenobmann Staatsrat Dr. Frhr. v. Freytagh-Loringhoven, Breslau; Klassensekretär Dr. [Werner; mw] Weber[315], Berlin.
3. Erforschung des volksgenössischen Rechtsleben (Klassenobmann Professor Dr. Hedemann, Berlin; Klassensekretär Professor Dr. Lange, Breslau).●
(Konstituierung der Abteilung für Rechtsforschung der Akademie für Deutsches Recht; 1937), S. 417
Damit ist das Rätsel gelöst: Emge drohte 1960 dezent, aber eindeutig Wilhelm Felgenträger (1899-1980), der in der BRD viele Jahre lang Präsident des Deutschen Hochschulverbandes war, und Werner Weber (1904-1976). Da er das im Rahmen seiner Ehrung seines Lehrers Ernst Heymanns tat, ging es ihm zumindest ums Bewirken eines Schutzkreises um Heymann.
Das vierte und letzte Mal bezog sich Emge 1960 so auf Heymann:
Man kann bei Umstürzen feststellen, daß der Verantwortliche, wenn ihm keine Widerstandsmöglichkeit bleibt, sich dadurch anzupassen sucht, daß er Imperatives, was keine anderweitigere Rechtfertigung hat, als daß sich eben darin höchste Gewalt manifestiert, daß dieser Verantwortliche dann jenes Tyrannische, Heteronome durch Sinnvolles, Logisches, Logonomes anzureichern sucht. Dieses »Vernunft hineinlegen«, übrigens ein Vorgang, der der Anpassung an die hochorganisierte Industriewelt genau entspricht, war für keinen unseres Kreises aktuell. Das Niveau war eben ein philosophisch-wissenschaftliches und kein soziologisches. Auch die alte Fakultät, die wir vorfanden, litt unter keinem Trauma irgendwelcher Art. Mein alter Lehrer Heymann hatte als Rechtstheoretiker zwar keinen unmittelbaren Zugang zu der philosophischen Systemidee, um so mehr mittelbaren, soweit Philosophisches in der Vergangenheit ins Rechtliche eingegangen war. Die historische, wissenssoziologische Bedeutung solcher philosophischer Strömungen war ihm außer Zweifel, auch für die Gegenwart. So fand ich in meinen Tendenzen von Anfang an in ihm einen eifrigen Förderer.
(Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 91
Soll heißen: auch wenn Ernst Heymann kein Kantianer und kein Hegelianer war, so hat er den Rechtsphilosophien Emge, der sich in dem Text von 1960 als Nachfolger in der Tradition Kants und Hegels vorstellt, eifrig gefördert. Kann so jemand ein böser Mensch gewesen sein?
6.2.7. Hans Freyer (1887-1969)
Es gibt keinen biographischen Artikel von Hans Freyer über sich selbst im »Deutsche Führerlexikon 1934/35«. Er wird auch nicht in Teil II namentlich erwähnt.
Es gibt aber einen Eintrag von Hans Freyer über Hans Freyer in Degeners „Wer ist’s?“ von 1935:
FREYER, Hans. Dr. phil. o. Prof. f. Soziol. a. Univ. Leipzig- — * 31. VII 87 Leipzig. – V: Ludwig F., Postdir.; M: Helene Broesel. – Verh: m. Kaethe Lübeck. – Human. Gymn. Dresden; Univ. Leipz.; 20 habil. Leipz.; 22 Prof. d. Philos. Kiel; 25 Prof. d. Soziol. Leipzig; XI 33 Dir. d. Inst. f. Kult. u. Universalgsch. desgl. d. staal. Forschganst. – W: Antäus, Grundlegg. e. Eth. d. bewußt. Leb. 18; Prometheus, Ideen z. Philos. d. Kult. 22; D. Bewertg. d. Wirtsch. i. philos. Denken d. 19. Jhrh. 21[316]; Theorie d. objekt. Geistes 22; D. Staat 25; Soziol. als Wirklichkeitswiss. 30; Revolut. v. rechts 31; Einl. in d. Soziol. 31; Herrschaft u. Plang. 33; D. polit. Semester 33 – Leipzig U 27, Störmthaler Str. 2●
(Degeners „Wer ist‘s?“, Art. Hans Freyer, 1935; S. 443.
Leser der Zeitungsberichterstattung der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie, die diesen Artikel über Hans Freyer lasen, konnten leicht erkennen, dass Hans Freyer als Vertreter der Soziologie Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie geworden war. Sie erfuhren zusätzlich, dass er Direktor des „Institut für Kultur- und Universalgeschichte“ gewesen ist. Hans Freyers Hinweise auf die Titel seiner Schriften „Revolution von rechts“ (1931), „Herrschaft und Planung“ (1933) und „Das politische Semester“ (1933) ließen auch keine Fragen bezüglich der politischen Orientierung Hans Freyers offen.
Ich vermute, dass Emges dritter Unterausschuss auf eine besonders enge Zusammenarbeit zwischen ihm, Freyer und Heidegger abzielte. Ich zitiere erneut Emge:
Ein dritter Unterausschuss gilt dem Problem der Volksgemeinschaft. Gemeinschaft als Einheit des Stiles im Sinne von Nietzsche ergänzt durch die Prinzipien des Dionysischen und Apollinischen, um von bloßer Gemeinschaft zu bedeutender Gemeinschaft zu kommen. Gegenstand dieses Ausschusses wäre auch das Erleben der Volkstümlichkeit, ähnlich gelagert wie das Problem von Gerechtigkeit und Rechtssicherung. Hier hat der Ausschuss ganz neue Wege zu suchen.
(Thüringische Landeszeitung vom 4. Mai; 1934), S. 3
Bereits 1925 hatte Hans Freyer in seinem Buch „Der Staat“ den Begriff des Stils mit dem Begriff der Herrschaft und der Rasse folgendermaßen verbunden:
Es gibt aber unter den ewigen Motiven der sozialen Welt nur eins, das von allen Inhalten des Geistes unabhängig und dabei von der stärksten bindenden Kraft ist: die Herrschaft. Alle Stile werden von Gesellschaften getragen, die nach dem Prinzip der Herrschaft zu einem festbegrenzten, spannungsvollen und haltbaren Ganzen zusammengefügt sind. Die Geschichte des Geistes in der Epoche des Stils ist die Geschichte der Herrschaft von Menschen über Menschen.
Alles Wirkliche ist der Macht der geschichtlichen Zeit, ist dem Wandel anheimgegeben. So ist auch eine Herrschaft natürlich ein Werdendes und immer im Fluß. Sie wird aufgerichtet und zertrümmert, sie lagert sich um und schichtet sich neu, sie befestigt sich und verfällt. Aber diese Vorgänge in der Zeit sind ihr kaum wesentlicher als es dem zum Kunstwerk geformten Stein ist, daß er verwittert. Ihrem Sinn nach ist jede Herrschaft unwandelbare Dauer. Sie ist ein abgewogenes System, begründet auf der Rasse der Herren und der Hörigen, gemeint für ewig. Ganz anders als die Gemeinschaft, in der alle Rhythmen des Lebens gehn, ganz anders auch als das Volk, das wesentlich ein Werdendes ist, ist sie ein bündiges Gefüge aus sozialen Spannungen und hat keinen andern Sinn als zu gelten. So völlig entsprechen sich diese beiden Stücke auch hier im Stil: das Gefüge der Formenwelt und das Gefüge des gemeinsamen Lebens. Dem absoluten Gebilde des │ S. 85 Stils sind die absoluten Gebilde der sozialen Welt als seine Träger zugeordnet.
Vergleichende Geschichtsforschung kann als eine der notwendigen Bedingungen für die Entstehung der Stile feststellen: es müßten im Sammelbecken einer wohlumgrenzten Landschaft Menschenströme von verschiedner Herkunft und Art zusammengeflossen sein und sich vermischt haben, ehe das kunstvolle Werk des Stils wachsen könne. Dieser Komplex natürlicher Bedingungen bekommt hier seinen Sinn im Sinn des Stiles selbst. Denn Zusammenfluß, Durchdringung und Vermischung — das bedeutet nicht die Bereitung eines amorphen Menschenbreis, in dem die Elemente verschwänden. Sondern es bedeutet zuerst ein schwirrendes Vielerlei von heimlichen und offnen Kämpfen, notwendig gemacht durch die Engigkeit des Raums, genährt durch den unauslöschlichen Gegensatz des Bluts, entschieden durch den Wert der sich messenden Rassen. Und es bedeutet sodann die Aufrichtung eines dauernden Herrschaftsverhältnisses mit klar verteilten Rollen und Rechten, eines bündigen Gefüges aus Herren und Hörigen, Freien und Knechten, Adligen und Gemeinen; so einfach oder so vielfältig dieses Gefüge nach der Lage der Dinge geraten möge.
(Freyer, Der Staat 1925), S. 84 f.
Ich zitiere einen weiteren Absatz, der verständlich macht, weshalb der akademische Nationalsozialismus deutlich vor 1933 die beiden akademischen Kampfbünde der Lehrer und Ärzte bildete. Der Einstieg in den Absatz macht die Nähe zu Baron von Uexkülls Adelsrassismus deutlich.
Aber mit dieser Heilighaltung der Rasse vor ihrem eignen Gewissen, dieser stillen Dauer durch die Jahrhunderte und diesen geheimnisvollen Aufschwüngen zu einem höhren Adel ist die natürliche Materie des Volks noch keineswegs politisch durchgearbeitet. Wie der Staat alles, was sein ist, zum unendlichen Werk seiner formenden Kraft verewigt und als vielgliedrige Aufgabe für zusammenwirkende Taten organisiert, so übergibt er auch das Gut der Rasse bestimmten Hütern und macht seine Verwaltung zum │ S. 154 bewußten Werk. Die Geschichte selbst und ihre unmittelbaren Vollstrecker, die Führer, sind Arzt und Lehrer des Volks in einem größten metaphysischen Sinn: sie heilen und erziehen ohne Kur und Unterricht, nach einer heroisch-weltgeschichtlichen Didaktik und Therapie, nicht nach Plänen und Rezepten, sondern allein durch das Mittel ihres schöpferischen Anspruchs. Außer diesen genialen Zugriffen aber bedarf das Gebilde des Volks der täglichen Treue und der bewußten, vorausschauenden, handwerklichen Kunst. Am einzelnen Menschen einsetzend muß diese Kunst ihr anvertrautes Menschentum mit ruhiger Hand so formen, daß es das Volk wird und daß es den Staat will. Die beiden ehrwürdigen Zünfte der Ärzte und der Lehrer sind im Haushalt des Staats zu diesem Werk bestellt. Sie scheiden sich von der Wurzel an nach Zielen und Mitteln, nach Sinnesart und Verfahren, aber ihrem Werk nach ergänzen sie sich. Und der Erfolg, zu dem sie Zusammenarbeiten, ist: daß das nachwachsende Leben, so vielköpfig es ist, zu einem Sinn zusammengeht, nämlich sich als Volk in den Schicksalsraum des Reiches schickt, den es aus seinen tausend Kräften, jede neue Generation neu auf das Werk verpflichtend, produziert.
(Freyer, Der Staat 1925), S. 153 f.
Ich denke, diese Zitate genügen, um zu belegen, dass Hans Freyer 1933 kein »Wendehals« gewesen ist. Er war zu Recht Dauermitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Es könnte sein, dass er bereits vor 1921 über Felix Krüger Kenntnis von Erich Jungs Rechtsphilosophie erhalten hat. Jedenfalls bedankt sich Hans Freyer im Vorwort seiner Habilitationsschrift „Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts“[317] bei Professor Felix Krüger (1874-1948) und Geheimrat Walter Götz[318] (1867-1958). Felix Krüger unterstützte während der Weimarer Republik die »Völkischen«.[319]
Das Senioritätsprinzip meiner Wiedergabe der Kurzbiographien der Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie verlangt, dass ich nun Erich Rothacker vor Carl Schmitt vorstelle, da Rothacker im März, Schmitt im Juli 1888 geboren worden ist. Die Altersunterschiede zwischen Bruns, Emge, Freyer, Rothacker und Schmitt sind aber so gering, dass sie zu keinen Hierarchisierungen Anlass gegeben haben werden.
6.2.8. Erich Rothacker (März 1888 – 1965)
Wie Hans Freyer ist Erich Rothacker weder in Teil I noch in Teil II des »Deutsche Führerlexikons 1934/34« vertreten.
Der Artikel über ihn in Degeners „Wer ist’s?“ von 1935 ist kurz:
ROTHACKER, Erich, Dr. phil., o. Univ.-Prof. d. Philos. — * 12.III.88 Pforzheim; ev., ar. – V: Emil Theodor R., Kfm.; M: Julie Dorothea Müller- — Pdoz. Heidelberg 20; ao. Prof. ebd. 24; o. ö. Prof. Bonn 29. – W: Einleitg. i. d. Geisteswiss. 20, 2. A. 30; Logik und Systematik d. Geisteswiss. 26; Geschichtsphilos. 34; Hrsg. Dt. Vierteljhrsschr. f. Literaturwiss. u.a. – Spez: Kulturphilos.; Kulturpol. – Vorst.-M. zahlr. wiss. Ges. – Bonn, Schurmannstr. 42●
(Degeners „Wer ist‘s?“, Art. Erich Rothacker, 1935; S. 1333
Um Erich Rothackers Angabe „evangelisch, arisch“ korrekt auslegen zu können, zitiere ich erneut aus den Fragebogen für Degeners „Wer ist’s?“ (1935):
1. Name 2. Vorname (Rufnamen unterstreichen) 3. Titel, Stand, Beruf, Beschäftigung 4a. Wann und wo geboren 4b. Konfession*) *) Bei Angabe der Konfession auch angeben, falls ein Wechsel eingetreten ist
(H. A. Degener 1935), S. VII
Erich Rothacker teilte demnach mit, dass ein Konfessionswechsel von „evangelisch“ zu „arisch“ „eingetreten“ sei. Kürzer konnte man sein Bekenntnis zur Weltanschauung des akademischen Nationalsozialismus nicht mitteilen. Erich Jung hatte denselben Konfessionswechsel im selben Nachschlagewerk in genauer derselben Weise zum Ausdruck gebracht. Hans Frank hatte in seiner Rede zur Eröffnung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 von einem »ewigen deutschen Gott« gesprochen. Im Exkurs 4.8. habe ich einige Kernaussagen aus dem Text „Der Rassegedanke“ (1940) vorgestellt. Die akademischen Nationalsozialisten haben „arisch“ als Name für ihre Konfession verwendet.
Erich Rothacker konnte als Vorstandsmitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften sein Spezialgebiet der Kulturpolitik mannigfach ausüben.
In Abschnitt 1.2.2. habe ich bereits aus einer Schrift Rothackers Partien zitiert, die belegen, dass auch er ein Adelsrassist gewesen ist. Ich tue das erneut:
Neben Staatsgedanke, Deutschtumsgedanke, Volksgedanke steht als wesentlicher Bestandteil aller zugleich der Rassegedanke. Freilich ist gerade er, rein für sich betrachtet, nicht ohne innere Spannungen │ S. 147 zu den übrigen Leitideen. […]
Zunächst fällt die Spannung der Rasseidee zur Idee des Staates ins Auge, dessen Rahmen durch eine Normierung des Handelns an einem Gemeinschaftsbewußtsein, das noch über die Volks-, Sprach-, Sitte- und Geschichtsgemeinschaft hinausreicht, vollends gesprengt zu werden droht. Das eigentliche Gewicht der übrigen politischen Konsequenzen des Rassegedankens liegt aber vor allem in seinem unzerstörbar aristokratischen Charakter.
Daß dieser Zug zunächst mit dem Führergedanken in besonders glücklichem Einklang steht, bedarf kaum näherer Begründung. Und ebenso zu dem von A. Rosenberg besonders verdienstlich betonten und mit dem Rassebewußtsein verknüpften Prinzip der Ehre. In tiefgreifenden Spannungen aber befinden sich beide im Rassegedanken vereinten Ideen reinrassiger Abstammung (Gobineau) wie „guter Rasse“ im Sinne der hochqualifizierten Zuchtrasse (H. St. Chamberlain) mit allen Verkleidungsformen der Demokratie und Massenherrschaft, als unvermeidlicher Begünstigungen eines rassischen Erbgutes, dessen Durchschnittsniveau mit der Zunahme der Zahl stetig sinken muß. Nach den streng biologischen Kriterien der Rassenlehre selbst ist eben im Mittel das nordisch-fälische Blut einerseits, das ostische andererseits sozial ebenso ungleich verteilt wie die Ergebnisse sozial wertvoller Züchtungen erblicher Begabungen.
In diesem Sinne beseitigt die von Adolf Hitler in Nürnberg stark unterstrichene Verlegung des Edelrassigen aus dem ausschließlich somatischen in die dem nordischen Erbanteil entsprechende „heroische Gesinnung“ und Weltanschauung1) ebenso eine gewisse politische Verlegenheit, wie das baltische Pathos des „ Charakters“ und der „Persönlichkeit“ in A. Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“. Hier wären zugleich Beispiele dafür zu finden, wie divergierende Ideen als solche in praktisch ergriffenen neuen Idealbildern einen fruchtbaren Ausgleich zu finden vermögen. Wobei allerdings vor allem der ganze Inbegriff aller Maßnahmen und Ideen zur „Nationalpolitischen Erziehung“ mit Bewußtsein in das denkbar engste Ergänzungsverhältnis zur Rasseidee gebracht werden müssen. Ein rassisch befriedigender Bevölkerungsdurchschnitt ist in dem Rassegemisch einzelner deutscher Stämme erreichbar nur durch die energischste Unterstützung aller eugenischen │ S. 148 Maßnahmen durch Formung und Zucht des im äußeren und inneren noch knetbaren jugendlichen Menschenmaterials im Geiste der rassisch besten Bestandteile seiner Erbmassen. Man kann den ererbten Prozentsatz nordischen und fälischen Blutes durch bewußte erzieherische Zucht im nordisch-fälischen Geiste in seiner phänotypischen Auswirkung ganz offensichtlich fördern. Zumal in der Haltung des Soldaten, die aller Erfahrung entsprechend, ganz vornehmlich ein rassisch sehr verschieden stark fundiertes Erziehungsprodukt ist, besitzen wir vielleicht das großartigste Beispiel einer Synthese zugleich aristokratischer und zugleich volkstümlicher Haltungen.
Soweit solche Ziele auf lange Sicht erstrebt werden, wird neben dem ganzen Komplex des Rassehygienischen und Eugenischen kaum irgendeine Maßnahme eine tiefere Wirkung erzielen können als die Verwirklichung der hohen Ideale Walter Darrés, in dessen Idealbild eines „Neuadels aus Blut und Boden“ wir einer dritten Synthese zugleich volkstümlicher und rassisch-aristokratischer Lebensformen begegnen.
1) Völkischer Beobachter Nr. 245, Samstag 2. September 1933
(Rothacker 1934), S. 146-148
Jemand, der 1934 mitteilt, seine Konfession sei „arisch“, und der 1934 Alfred Rosenberg, Adolf Hitler und Walter Darré im Kontext eigener Überlegungen zur einer „Höherzüchtung der Menschheit“ erwähnt, ist zweifellos ein geeignetes Mitglied für den Ausschuss für Rechtsphilosophie gewesen. Wer mag, lese erneut meinen Exkurs zum »Lebensborn«-Verein Himmlers in meinem Unterabschnitt 4.3.2.
6.2.9. Carl Schmitt (Juli 1888 – 1985)
Auch von Carl Schmitt gibt es keinen Artikel im »Deutschen Führerlexikon 1934/35«. In 6.1.2 habe ich auf einen »weltanschaulichen« Streit zwischen Alfred und Rosenberg aufmerksam gemacht, der das erklären könnte. Rosenberg hatte gegenüber Bormann im Sommer 1934 seine Abneigung gegen Carl Schmitt geäußert. Dieser habe früher in seinen Schriften die Weimarer Republik verteidigt.
Der Eintrag in Degeners „Wer ist‘s?“ von 1935 bestätigt nun meine Vermutung. Die Aufeinanderfolge der Werktitel von Carl Schmitt zeigt ihn tatsächlich als jemanden, der die Weimarer Republik rechtswissenschaftlich unterstützt habe.
Schmitt, Carl, Dr. jur., o. ö. Univ.-Prof., Pr. Staatsr., Ltr. D. Fachgr. Hochschullehr. – * 11. VII 88 Plettenberg. – 16 Pdoz. Straßburg; 21 o. Prof. Greifswald[320]; 22 Bonn; 28 H.-H. [Handelshochschule; mw] Berlin; I [Januar; mw] 33 o. Prof. Köln; VII [Juli; mw] 33 Pr. Staatsr.; X [Oktober; mw] 33 Univ. Berlin; XI [November; mw] 33 i. Aussch. Staats- u. Verw.-R. [im Ausschuss Staats und Verwaltungsrecht; mw] u. M. d. Präs. d. Ak. F. Dr. R. [Mitglied des Präsidiums[321] der AfDR; mw]. – W: Üb. Schuld und Schuldart. 10; Ges[etz] u. Urteil 12; D. Wert d. Staat. u. d. Bedeutg. d. einzelnen 14; Polit. Romant. 19, 2. A. 25 (franz. 28); Polit. Theol. 22; Römisch. Katholizm. u. polit. Form 23, 2 A. 25; D. geistesgeschtl. Lage d. heutig. Parlamentarism. 23, 2. A. 26; D. Diktatur d. Rchspräs. 24, D. Rheinlande a. Objekt intern. Politik 25; D. Kernfrage d. Völkerbds. 26; Volksentscheid u. Volksbegehr. 27; Verfassgslehre 28; Hugo Preuß, s. Staatsbegr. u. s. Stellg. i. d. dtsch. Staatslehre 30; D. Hüter d. Verfassg. 31; Begriff d. Polit. 33; Staat, Bew., Volk 33; D. drei Arten d. rechtswiss. Denkens 34; Hrsg.; Dt. Juristenztg. 34; Abh. i. Fachztschrn. – Berlin-Steglitz, Schillerstr. 2●
(Degeners „Wer ist‘s?“, Art. Carl Schmitt 1935; S. 1416.
Angenommen, Carl Schmitt hätte ungefähr dieselben Informationen, die er an den Herausgeber von Degeners „Wer ist’s?“ (1935) geschickt hat, auch an die Herausgeber des »Deutsche Führerlexikons 1934/35« geschickt. Und angenommen, Alfred Rosenberg wäre einer dieser Herausgeber gewesen. Wäre dann Rosenbergs Ablehnung einer Berufung Carl Schmitts in die Hochschulkommission der »Bewegung« nicht angemessen gewesen? Und zwar genau mit der Begründung, die Heiber ins Regest aufgenommen hat. Ich zitiere erneut dieses Regest:
12.-21.6.34 Rosenberg
20578
Mitteilung des Stabs StdF [Bormanns; mw] über den Plan Heß’, eine von Bouhler zu leitende Hochschulkommission zu bilden, und über die in Aussicht genommenen Mitglieder; dabei Anfrage wegen einer Mitgliedschaft auch Rosenbergs. Dessen [Rosenbergs; mw] Stellungnahme: Hinweis auf ein mit Rust geschlossenes Abkommen über die Zusammenarbeit u. a. bei der Berufung von Hochschullehrern und auf eine in diesem Zusammenhang gemachte Mitteilung H. (ein schon vor der Betrauung Rosenbergs mit der weltanschaulichen Überwachung unternommener ähnlicher Vorstoß auf Widerstände unterer Stellen gestoßen, keine Einwände gegen die Leitung einer für diese Fragen zu bildenden Kommission durch Rosenberg); Reklamierung der eigenen [Rosenbergs; mw] Zuständigkeit und Bezweiflung der Befähigung B.s; Ablehnung einer Berufung des Prof. Carl Schmitt (früher sehr deutlich für die Weimarer Verfassung eingetreten) und des Pg. v. Kloeber („reichlich junger Mensch“ ohne genügenden Überblick). Daraufhin Übernahme des Vorsitzes der Kommission durch H. selbst. Bitte Rosenbergs an H., mit ihm noch einmal über die ganze Angelegenheit zu sprechen.
W 126 00869 f., 874 f., 877 f, 881 f. (177)
(Heiber 1983), Regest 20578
Zumindest die Titel der Schriften „Verfassungslehre“ (1928), „Hugo Preuß. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre“ erwecken tatsächlich den Eindruck, in ihnen sei ihr Autor „deutlich für die Weimarer Verfassung eingetreten“.
Dass Wilhelm Kisch in seinem Brief an Emge vom 30. März 1934 Erich Jung nachdrücklich für den Ausschuss für Rechtsphilosophie empfohlen hat, weil dieser in den Straßburger Jahren vor 1914 bereits die Gedanken entwickelt habe, die der nationalsozialistischen Idee zugrunde liegen, habe ich bereits mehrfach erwähnt. Hier möchte ich darauf aufmerksam machen, dass Carl Schmitt 1916 in Straßburg habilitiert worden ist. In Teil II werde ich zeigen, dass Erich Jung und Carl Schmitt bereits vor 1919 zu Gunsten einer gemeinsamen »Weltanschauung« wirkten.
6.2.10. Martin Heidegger (1889 – 1976)
Wie bereits erwähnt, gibt es für Heidegger keinen Eintrag in Degeners „Wer ist’s?“ des Jahres 1935. Er ist die einzige Ausnahme von den 12 Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Ich glaube nicht, dass es hierfür interessante Gründe gibt. Ich mag mich aber irren. Jedenfalls gibt es eine Kurzbiographie über ihn im »Deutschen Führerlexikon 1934/35«, der auch ein Foto beigegeben ist:
Abbildung 32: Foto von Martin Heidegger im „Deutsche Führerlexikon 1934/35“, S. 180
Heidegger,
Martin, Dr. phil., Universitätsprofessor, Freiburg i. Br.,
Rötebuckweg 47.
Geboren: * 26. September 1889 zu Meßkirch (Baden); entstammt alemannisch-schwäbischem Bauerngeschlecht, das mütterlicherseits (Kempf), auf demselben Hof ansässig, lückenlos bis 1510 feststeht. — Berufsgang: Volks- und Bürgerschule in Meßkirch, Gymnasium in Konstanz und Freiburg i. Br., 1909/1913 Universitätsstudium in Freiburg i. Br., zuerst Theologie, dann Philosophie; Natur- und Geisteswissenschaften. — Militärzeit: Anfang August 1914 als Kriegsfreiwilliger gemeldet; 9. Oktober 1914 wegen Krankheit entlassen; 1915/17 Dienst bei der Postüberwachungsstelle Freiburg i. Br.; 1918 Frontausbildung bei E. B. I. R. 113; 1919 vor Verdun bei Frontwetterwart 414[322]. — Berufsgang u.a.: 1913 promoviert zum Doktor der Philosophie; 1915 habilitiert als Privatdozent für Philosophie an der Universität Freiburg i. Br.; 1923 Berufung als ordentlicher Professor an die Universität Marburg a. L.; 1928 nach Freiburg i. Br.; seit April 1933 Rektor der Universität Freiburg i. Br.; — Spezialarbeitsgebiet, Veröffentlichungen: Die Lehre vom Urteil im Psychologismus 1914; Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus 1916; Sein und Zeit 1927, 3. Aufl. 1931; Was ist Metaphysik? 1923[323], 3. Auflage 1931; Vom Wesen des Grundes 1929, 2. Aufl. 1931; Kant und das Problem der Metaphysik 1929; Die Selbstbehauptung der deutschen Universität (Rektoratsrede) 1933●
(Deutsches Führerlexikon 1934/35: Martin Heidegger; 1935, S. 180
Im zweiten Teil des »Deutsche Führerlexikon 1934/35« wird Heidegger als Rektor der Universität Freiburg aufgeführt, obwohl er Ende April 1934 von diesem Amt zurückgetreten ist. Im Unterschied zu anderen Dauermitgliedern des Ausschuss für Rechtsphilosophie hätte ein Leser, der aufgrund der Zeitungsberichterstattung über die Konstituierung des Ausschusses neugierig geworden ist, an der Kurzbiographie Heideggers in diesem Lexikon nicht erkennen können, weshalb er Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie geworden ist.
6.2.11. Alfred Rosenberg (1893-1946)
Selbstverständlich gibt es im »Deutsche Führerlexikon 1934/35« auch eine Kurzbiographie über Alfred Rosenberg. Auch ihr ist ein Foto beigegeben:
Abbildung 33: Foto von Alfred Rosenberg im „Deutsche Führerlexikon 1934/35“, S. 394
Rosenberg, Alfred,
Reichsleiter der NSDAP,
Beauftragter des Führers zur Überwachung der weltanschaulichen Erziehung der NS-Bewegung,
Berlin W 35, Margaretenstr. 17
Geboren: 12. Januar 1893 zu Reval aus baltischer Kaufmanns- und Handwerkerfamilie. — Bildungsgang: Bis 1910 Oberrealschule zu Reval. — Berufsgang u. a.: Studiert ab 1910 Architektur an der Technischen Hochschule zu Riga: nach ihrer Überführung in Moskau; beendet im Januar 1918 das Studium mit dem Diplom 1. Grades; Rückkehr nach Reval; im November 1918 erster Vortrag über die Judenfrage; reist dann nach Deutschland, um auf klärend über den Bolschewismus zu wirken; 1919 Zusammenarbeit mit Dietrich Eckart: Bekanntschaft mit Adolf Hitler; ab 1921 Schriftleiter des „Völkischen Beobachters“ bis heute; Schriftleiter der NS-Monatshefte; 1930 Reichstagsabgeordneter und Vertreter der Außenpolitik der Bewegung; 1931 diplomatische Reisen nach London: 1932/33 nach Rom und London; ab April 1933 Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP; dann zum Reichsleiter ernannt; Januar 1934 überträgt ihm der Führer die Überwachung der weltanschaulichen Erziehung der NSDAP, der Deutschen Arbeitsfront und aller gleichgeschalteten Verbände; ist einer der ältesten Vorkämpfer der Bewegung (1919); Teilnehmer des Marsches nach Koburg und des Marsches zur Feldherrnhalle; Mitglied der Akademie für Deutsches Recht. Spezialarbeitsgebiet, Veröffentlichungen: Außenpolitik, Weltanschauungsfragen; verfaßt als erste Schrift der Bewegung „Wesen, Grundsätze und Ziele der NSDAP“; von rund 16 Schriften sind weiter folgende hervorzuheben: „Freimaurerische Weltpolitik“, „11. St. Chamberlain“, „Wesensgefüge des Nationalsozialismus“[324], „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ (Aufl. 143.000) „Blut und Ehre“.●
(Deutsches Führerlexikon 1934/35: Alfred Rosenberg; 1935, S. 394
In Teil II des »Deutsche Führerlexikon 1934/35« wird Alfred Rosenberg häufig erwähnt. Mir sind keine interessanten Abweichungen zur Liste seiner Funktionen in der Kurzbiographie aufgefallen. Zeitgenossen werde vermutet haben, dass Rosenberg aufgrund seiner Expertise in »Weltanschauungsfragen« Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie geworden ist. Auch ich vermute das.
Abbildung 34: »Das Deutsche Führerlexikon 1934/35«, Zweiter Teil, Seite 8
Es gibt auch einen Artikel über Alfred Rosenberg in Degeners „Wer ist’s?“ von 1935. Auch ihn zitiere ich vollständig:
ROSENBERG, Alfred, Rchsltr. d. NSDAP, Ltr. d. außenpolit. Amts d. NSDAP: MdR., Beauftr. des Führers f. d. gesamt. weltanschaul. Erziehung der Beweg. – * 12.1.93 Reval; ev. – V.: Dir. e. dt. Hdlshauses. – Vorf.: Balt. Kfm.- u. Hdw.-Fam. – Ob.-R.-Sch.; 10 Stud. d. Architekt. TH Riga u. Moskau; 18 Dipl.-Ing. Architekt; 19 i. München schrftst. tät. M. Dietrich Eckart; 31-33 Dipl. Reis. London, Rom; IV 33 Ltr. d. außenpol. Amt. D. NSDAP.; 29 Grdr. D. KfDK; 30 MdR.; 34 Beauftragg. durch den Führer. – W.: Hrsg. 24/30 Monatsschr. „D. Weltkampf“; Schrft.: D. Spur d. Juden i. Wandel d. Zeiten; Unmoral im Talmud; D. Verbrech. D. Freimaurerei; D. staatsfeindl. Zionismus; Wesen, Grunds. u. Ziele der NSDAP.; D. Protok. d. Weis. von Zion; D. Zukftsweg e. dt. Außenpolit.; freimaurer. Weltpolit.; Houston Stewart Chamberlain; D. Sumpf; Dietrich Eckart, ein Vermächtn.; D. Mythus d. 20. Jhrh.; D. Wesensgefüge d. Nationalsozialismus; Blut u. Ehre; An d. Dunkelmänner uns. Zt. 35; Schriftltr. D. Nat.-Soz. Monatsh.; s. 21 Hauptschriftltr. D. Völk. Beob. – Spez.: Kulturfr. u. Probl. d. Außenpol. – M. d. Ak. d. Dt. R. – Berlin W 35, Margaretenstr. 17●
(Degeners „Wer ist‘s?“, Art. Alfred Rosenberg, 1935; S. 1325
Ich habe Alfred Rosenbergs Buch über Chamberlain von 1927[325] durch Fettdruck hervorgehoben, da die Zeitgenossen durch diese Angabe vermuten konnten, dass Alfred Rosenberg auch in engem Kontakt zum Alldeutschen Verband gestanden hat, da Chamberlain einer seiner führenden Mitglieder gewesen ist. Und da Erich Jung sich in seinem Artikel im »Deutsche Führerlexikon 1934/35« als Mitbegründer des Alldeutschen Verbandes vorgestellt hat, konnten Zeitgenosse durchaus vermuten, dass Alfred Rosenberg und Erich Jung sich bereits vor 1933 kannten, vielleicht sogar gut kannten.
6.2.12. Max Mikorey (1899-1977)
Es gibt keinen biographischen Artikel über Max Mikorey im »Deutsche Führerlexikon 1934/35«. Er wird im zweiten Teil als ordentliches Mitglied der AfDR genannt. Es gibt keine weitere Nennung seines Namens:
Abbildung 35: »Das Deutsche Führerlexikon 1934/35«, Zweiter Teil, S. 81
Auch auf der Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie, die nach dem 17. Juli 1941 für eine Geschäftsführungsakte der AfDR erstellt worden ist, wird Max Mikorey als Professor charakterisiert. Wäre die Angabe im Führerlexikon korrekt, wäre Mikorey vor 1936 Professor geworden.
In Degeners „Wer ist’s?“ von 1935 gibt es einen kurzen Artikel über Max Mikorey:
MIKOREY, Maximilian, Dr. med., Oberarzt. – * 20.III.99 München; kath. – V: Franz M., Gen.-Mus.-Dir.; M.: Josefine Rath. – Gymn. Dessau; 17 Abit.; philos. u. med. Stud. Halle, Würzburg, München; 17-18 Krgst.; 26 med. Staatsex.; 27 Prom. Dr. med.; s. 28 Psych. u. Nervenklin. München; s. 34 Oberarzt – o. M. d. Ak. f. Dtsch. R. – München, Sigmundstr. 3.●
(Degeners „Wer ist‘s?“, Art. Max Mikorey, 1935; S. 1079
Hier wird Mikorey als „Dr. med.“ charakterisiert. Ist Mikorey zeitnah Professor geworden?
Wie im Fall von Viktor Bruns sind die Informationen, die ich durch Nutzung der beiden Nachschlagewerke präsentieren kann, recht dürftig. Bei Viktor Bruns habe ich einen Nachruf aus dem Jahr 1943 hinzugezogen. Im Fall von Max Mikorey kann ich auf einen Lebenslauf zurückgreifen, den Mikorey für sein Habilitationsgesuch im März 1941 in München verfasst hat und den sein Biograph Andreas Michael Weidmann gefunden und dankenswerterweise vollständig zitiert hat.
Laut Andreas Michael Weidmann, dem Biographen Mikoreys, ist Mikorey erst nach 1945 Professor geworden ist. Genauer: Mikorey sei 1952 zum außerplanmäßiger Professor für Psychiatrie an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität München ernannt worden.[326] Nachweislich sei Mikorey am 27. März 1941 in der Medizinischen Fakultät der LMU habilitiert worden.[327] Weidmann liefert folgenden Hinweis, der erklären könnte, weshalb Mikorey auf der Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie als Professor geführt worden ist:
„dass Max Mikorey während der größten Machtfülle Hans Franks als Generalgouverneur im besetzten Polen fest mit einer persönlichen Dozentur bzw. einem Ordinariat an dem von Hans Frank im April 1940 gegründeten sogenannten Institut für deutsche Ostarbeit rechnete (entweder an der von Hans Frank geplanten deutschen Kopernikus-Universität Krakau oder an der ebenfalls geplanten Medizinischen Akademie des Institutes für Deutsche Ostarbeit)“
(Weidmann 2006), S. 180
Es ist möglich, dass Mikorey tatsächlich Professor an einer der genannten Institutionen geworden ist und dass Weidmann Jahrzehnte später dafür nur keinen entsprechenden Beleg mehr gefunden hat.
Das Habilitationsverfahren Mikoreys im Frühjahr 1941 in München stellt Weidmann jedenfalls ausführlich dar. Unter anderem zitiert Weidmann ausführlich aus einem Brief Mikoreys an den Dekan der habilitierenden Fakultät, der viele biographische Informationen über Mikorey enthält und deswegen hier interessant ist. Der Brief Mikoreys war nötig geworden, da die Fakultät Bedenken gegen die Habilitation hatte. Mikorey hatte keine eigene Habilitationsschrift, sondern nur eine Sammlung von Texten eingereicht, die noch dazu thematisch teilweise ungeeignet zu sein schienen. Ja, er habe eine „eher unbedeutende Sammlung an rechtsphilosophischen Schriften“ vorgelegt. Weidmann weiß übrigens nichts von Mikoreys Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie, obwohl über sie in vielen Zeitungen des Mais 1934 berichtet worden ist.
Ich zitiere nun Weidmanns Darstellung des Habilitationsverfahren vom Frühjahr 1941:
In der Zusammenschau legte Max Mikorey als Habilitationsschrift also durchwegs keine genuin psychiatrischen Arbeiten, sondern eine bezüglich des Umfanges und der wissenschaftlichen Schwerpunkte eher unbedeutende Sammlung an rechtsphilosophischen und ideologisch motivierten Schriften vor, die allenfalls psychiatrische Aspekte in medizinischen Grenzgebieten behandelten, aber keinen Beitrag zur Weiterentwicklung der wissenschaftlichen oder klinischen Psychiatrie darstellten – die in Stil und Inhalt aber den zeitgenössischen Ton und den Zeitgeist der nationalsozialistisch geprägten Medizin transportiert haben werden.
Max Mikorey ergänzte seinen Habilitationsantrag vom 1. März 1941 wenige Tage später, am 12. März 1941, mit nachfolgend zitiertem Brief an das Dekanat der Medizinischen Fakultät der Universität München, der zeigt, wo und wie Max Mikorey zeitgenössisch und zeittypisch seine vitalen Prioritäten setzte und womit er glaubte, sich für eine Dozentur empfehlen zu können:446
446 Universitätsarchiv München E-II-2472. Mikorey an das Dekanat der medizinischen Fakultät der Universität München am 01.03. und 12.03.1941
„Lebenslauf. […] Am 06.03.1935 erhielt ich das Ehrenkreuz für Frontkämpfer.447 […] Am 1.9.1928 trat ich als Volontärassistent in die Psychiatrische und Nervenklinik München ein, zu deren Oberarzt ich am 1.10.1934 ernannt wurde. Am 2. Oktober 1933 wurde ich von dem Führer der deutschen Rechtsfront Minister Dr. Hans Frank, zum Mitglied der Akademie für Deutsches Recht berufen. Seit 1933 bin ich mit dem Abhalten von Vorträgen an der Staatsmedizinischen Akademie in München beauftragt. Seit 1934 habe ich zusammen mit Herrn Professor Dr. E. Mezger juristisch-psychiatrische Uebungen für Juristen gehalten. Seit dem Winter-Semester 1936 halte ich selber eine Vorlesung über gerichtliche Psychiatrie. Am 10.2.1937 wurde mir ein Lehrauftrag für gerichtliche Psychiatrie vom Herrn Reichs- und Preussischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung erteilt. Seit dem Winter-Semester 1936/37 habe ich mich | S. 159 wiederholt als wissenschaftlicher Leiter an studentischen Arbeitsgemeinschaften der Medizinischen Fachschaft beteiligt und mich als Bewerter für den Reichs-Berufswettkampf der deutschen Studenten zur Verfügung gestellt. Ausserdem war ich für den NS-Dozentenbund und für die DAF (im Seminar für Arbeit und Wirtschaft und als Gaufachschaftswalter für Aerzte) ehrenamtlich tätig. In den letzten Jahren habe ich für die DAF, für den NS-Rechtswahrerbund und andere Stellen zahlreiche Vorträge in München und in zahlreichen anderen Städten des Reiches gehalten (Berlin, München, Hannover, Magdeburg, Elberfeld, Düsseldorf, Kassel, Freiburg i. Br., Krefeld, Dessau, Hamm, Halberstadt etc.). Ich bin Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes für den Gau München-Oberbayern.448 1938 wurde ich vom Herrn Oberlandesgerichtspräsidenten[328] als Stellvertreter der nichtbeamteten Beisitzer der beiden Kammern des bei dem Oberlandesgericht München errichteten Erbgesundheitsobergerichtes bestellt. Am 4.10.1936 habe ich auf der Tagung der Reichsgruppe Hochschullehrer des NSRB ein Referat über das Judentum in der Kriminalpsychologie gehalten.[329] Am 18.11.1937 habe ich in dem Ausschuss für Bevölkerungspolitik an der Akademie für Deutsches Recht zusammen mit Herrn Professor Burgdörffer einen Vortrag über Gesundheitsführung und Bevölkerungspolitik gehalten. Im September 1938 habe ich auf der 2. Tagung der Deutschen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie in Düsseldorf ein Referat über die ‚Grenzen der Psychotherapie‘ erstattet. Am 13.2.1939 hielt ich in der Berliner Gesellschaft für Neurologie und Psychiatrie einen Vortrag über ‚Naturheilung und Kunstheilung in der Psychiatrie‘. Am 3. und 4.5.1939 habe ich auf Einladung der Königlich-Bulgarischen Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie in der Universität Sofia zwei Vorträge über ‚Schmerz und Angst‘ und ‚Naturheilung und Kunstheilung in der Psychiatrie‘ gehalten. Im Mai 1939 hatte ich auf dem Tag des Deutschen Rechts in Leipzig das Referat über ‚Die Beziehungen zwischen Medizin und Recht‘. Vom 11. bis 22.03.1938 habe ich mich freiwillig als Arzt für den Einsatz Oesterreich zur Verfügung gestellt.449 Seit 26.8.1939 war ich als Beratender Psychiater im Wehrkreis VII [Bayern; mw] tätig. Seit 15.9.1940 bin ich als Beratender Psychiater bei einer Armee des Feldheeres eingesetzt. Mit Wirkung vom 1. November 1940 wurde ich zum Assistenzarzt bei San. VII[330] mit R.D.A. vom 1. März 1934 befördert. In den letzten Monaten schweben Verhandlungen wegen Uebernahme der Direktion der früheren Universitätsnervenklinik in Krakau und Berufung an eine dort zu errichtende Akademie.“450
447 Eine Behauptung Max Mikoreys, die nirgendwo sonst belegt ist oder erwähnt wird.
448 Hierüber konnten keine Details rekonstruiert werden.
449 Was dieses „Zurverfügungstellen“ tatsächlich bedeutete und welche aktive oder passive Rolle Max Mikorey für welche Organisation und an welchem Ort beim „Anschluss“ Österreichs gespielt hat, konnte nicht rekonstruiert werden.
450 Was der „Ruf nach Krakau“ für Max Mikorey bedeutete, wird in dem gleichlautenden Kapitel (5.5.) in dieser Promotionsarbeit ausführlich dargestellt.
(Weidmann 2006), S. 158 f.
Dieser kurze Lebenslauf enthält einige wichtige Informationen. Auf drei möchte ich hier besonders aufmerksam machen: Mikorey arbeitete mit Edmund Mezger zusammen, er war Mitglied des „Rassenpolitisches Amtes der NSDAP“ und ab 1938 war er für der Erbgesundheitsobergericht als Arzt tätig. Ich erläutere diese Informationen der Reihe nach ein wenig.
Vorab noch eine Bemerkung: Max Mikorey erwähnt seine Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht, obwohl er nachweislich Gründungsmitglied dieses Ausschusses gewesen ist und er angeblich die Habilitation mit Texten anstrebte, die auch Rechtsphilosophisches enthielten. Dass sich Mikorey das Handicap auferlegte, diesen wichtigen Kontakt zum Reichsminister Hans Frank und zu bedeutenden Akademikern des Dritten Reichs dem Dekan gegenüber nicht mitzuteilen, kann am besten so erklärt werden, dass bezüglich der Existenz und der Mitgliedschaft des Ausschusses für Rechtsphilosophie eine Verschwiegenheitspflicht galt.
Nun zu den drei Informationen aus dem Lebenslauf, die ich hier ein wenig erläutern möchte:
Der Wikipedia-Artikel über Edmund Mezger informiert über ihn gut. Die wissenschaftliche Arbeit verdanken wir dem Spanier Francisco Muñoz Conde (*1945):
Ab 1925 war Edmund Mezger Kollege von Erich Jung in Marburg. Er gehörte zu den 100 ersten Mitgliedern der AfDR. 1937 wurde Mezger Mitglied der NSDAP und 1938 Mitglied der SS.5 Während des Zweiten Weltkriegs gehörte er zur Strafrechtskommission unter dem Reichsjustizminister Franz Gürtner und Roland Freisler.1 In einem Beitrag in Kriminalpolitik und ihre kriminologischen Grundlagen schrieb er 1944 über die angeblich hohe Kriminalität der Juden: „Gerade bei der besonderen Kriminalität der Juden leiden die älteren Untersuchungen an einer ungenügenden Unterscheidung zwischen Rasse und Konfession … In der Rassengesetzgebung des neuen Staates findet die neue Rasse selbst nunmehr ihre genügende Berücksichtigung“.6 Im selben Werk forderte er „rassehygienische Maßnahmen zur Ausrottung krimineller Stämme“ und die „Ausmerzung volks- und rasseschädlicher Teile der Bevölkerung“.7
1 Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 409–410.
5 Francisco Muñoz Conde: Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben. Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag 2007, S. 114
6 Zitat bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Fischer Taschenbuch 2005, S. 410 mit Bezug auf Klaus Rehbein in: Marburger Universitätszeitung, Nr. 230/1992.
7 Mezger, Kriminalpolitik und ihre kriminologischen Grundlagen, 3. Aufl., Stuttgart 1944, S. 26.
Von 1943 bis 1945 arbeitete er für den Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler an einem Gesetzentwurf für ein „Gemeinschaftsfremdengesetz“.8 Mezger referierte über den Entwurf auf einer Sitzung des Strafrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht am 28. Februar 1944 in Bad Salzungen als bereits „feststehendes Recht“.9 Es war geplant, den Entwurf in der Version vom 17. März 1944 zum 1. Januar 1945 in Kraft zu setzen. Nach dem 20. Juli 1944 wurde davon aber abgesehen.10 Mit dem von Mezger geprägten Ausdruck „Gemeinschaftsfremde“ sollten Menschen bezeichnet werden, die zwar Arier, trotzdem aber biologisch degeneriert waren. In der Diskussion wurden Ausdrücke wie „Schmarotzer“, „Taugenichtse“, „Versager“, „Arbeitsscheue“ verwendet.11 Auch Homosexuelle galten als Gemeinschaftsfremde.12 Zu der justiz-freien, ausschließlich polizeiliche und unbefristeten „Sicherung“ bestimmter Gemeinschaftsfremder ohne Rechtsmittel gehörte auch die Unfruchtbarmachunng.13 Exekutive dieser gesetzlichen Bestimmungen wäre die Polizei geworden, deren oberster Dienstherr Heinrich Himmler war.
8 Zu den Entwürfen für ein Gemeinschaftsfremdengesetz vgl. Wolfgang Ayaß (Bearb.): „Gemeinschaftsfremde“. Quellen zur Verfolgung von „Asozialen“ 1933–1945, Koblenz 1998.
9 (Muñoz Conde, Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben 2007), S. 100
10 (Muñoz Conde, Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben 2007), S. 24
11 (Muñoz Conde, Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben 2007), S. 52 f.
12 (Muñoz Conde, Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben 2007), S. 96
13 (Muñoz Conde, Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben 2007), S. 96
Himmler war es auch, der ihm 1944 eine Sondererlaubnis zum Besuch eines Konzentrationslagers verschaffte.3 Der stellvertretende Chef der Abteilung V Kriminalpolizei des Reichssicherheitshauptamtes, Oberst Paul Werner, unterstütze den Wunsch Edmund Mezgers, ein Konzentrationslager zu besuchen, in einem Brief vom 8. März 1944 an den Chef der Verwaltung der Konzentrationslager, SS-General Richard Glücks, folgendermaßen:
3 Bernd Rüthers: Verfälschte Geschichtsbilder deutscher Juristen? Zu den „Erinnerungskulturen“ in Jurisprudenz und Justiz, NJW 2016, S. 1068, 1071 f.
„Seit Jahren arbeitet die Reichskriminalpolizei mit Professor Dr. Mezger, München, einem der bekanntesten Strafrechtslehrer der Gegenwart und hervorragenden Kriminalbiologen zusammen. Prof. Mezger hat mich nun kürzlich gebeten, ihm von Zeit zu Zeit gewisses Material über Schwerstkriminelle und dergl. zu geben, was ich selbstverständlich bereitwillig zusagte. Bei dieser Gelegenheit äusserte Prof. Mezger auch den Wunsch, gelegentlich gewisse Menschentypen in den Konzentrationslagern – in Frage kommt praktisch nur Dachau – an Ort und Stelle ansehen zu können.“14
14 (Muñoz Conde, Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben 2007), S. 103
Diese und andere Quellen zu Edmund Mezger Tätigkeiten zu Gunsten einer Verwirklichung des Nationalsozialismus in den Jahren 1943 und 1944 sind von Francisco Muñoz Conde 2007 veröffentlicht worden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Edmund_Mezger
Über das »Rassenpolitische Amt der NSDAP« und seinen Leiter, Walter Groß (1904-1945), informiert die Aachener Dissertation von Roger Uhle sehr gut. Über die Anfänge des RPA teilt Uhle einleitend folgendes mit:
Bereits 1933 gründete der Nationalsozialistische Deutsche Ärztebund (NSDÄB) das Aufklärungsamt für Bevölkerungspolitik und Rassenpflege, den Vorläufer des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP in der Reichsleitung. Leiter dieses, auf dem vierten Reichsparteitag der NSDAP im Jahre 1929 gegründeten, Ärztebundes war der auch für das Aufklärungsamt maßgebliche Reichsärzteführer Dr.med. Gerhard Wagner. Die Bedeutung des NSDÄB stieg in den Jahren nach der Machtübernahme. Ein Jahr zuvor, Ende 1932, hatte er erst 2.786 Mitglieder bei 344 Anwärtern, 1938 waren es rund 30.000 Mitglieder. Schon 1932 wurde ein rassenhygienischer Schulungskurs veranstaltet, woran bereits mehr als 300 Ärzte teilnahmen. 1935 wurde in Alt-Rehse (Mecklenburg) die Reichsführerschule der Deutschen Ärzteschaft eingeweiht. Hier wie auch anderenorts trat der Leiter des Aufklärungsamtes für Bevölkerungspolitik und Rassenpflege, Dr. med. Walter Gross [1904-1945; mw], als Referent in Aktion1. Schon lange waren viele Mediziner überzeugte Nazis, das bedeutete
„daß die Ärzte sich seinerzeit nicht nur in schwülstiger Blut- und Bodenmystik ergingen. […] sie [erhielten, R.U.] am ideologischen Tropf ihre Infusionen. Sie wurden ihnen von dem Professor für Pathologie, Erblehre und Rassenhygiene Alois Boehm wie folgt verabreicht: „Welche geheimnisvolle │ S. 25 Kraft ist es, die dem Rassegedanken innewohnt? Es ist die Stimme des Blutes. Und den, in dessen Herz diese Saite erklingt, den hat die Rasse als Idee, als eine Art Religion unentrinnbar in ihren Bann geschlagen. Nicht jeder fühlt’s. Wer innerlich international, pazifistisch, demokratisch eingestellt ist, wird’s nie fühlen, dem fehlt die Stimme des Blutes“.2
1 Ernst Günther Schenck, pers. Auskunft, 14.2.1996. Schenck, wie Gross Arzt und Jahrgang 1904, konnte sich – ebenso in anderem Zusammenhang Graf Kielmansegg – an einen betont sachlichen,
„wissenschaftlich gehaltenen Vortrag“ erinnern. Schenck, der spätere Ernährungsinspekteur der Wehrmacht, danach der Waffen-SS und Polizei, wurde zum Kriegsende mit Gross in den Führungskreis des NS-Dozentenbundes berufen; siehe: BA-Potsdam: RSHA 1703, FC 1581/3280 P I – jetzt: RSHA 1581, S 38/260 – 2.2 Zit. nach: Werner H. Krause, in: Berliner Morgenpost, 17.5.1997
(Uhle 1999), S. 24 f.
Uhle erwähnt im Gesamttext weder Mikorey noch die AfDR. Über die Gesamtbedeutung des RPA teilt Uhle folgendes mit:
Es ist schwierig, den Einfluß eines kleinen Amtes und seiner Protagonisten exakt zu bemessen. Das Fehlen einer Exekutive zum Maßstab zu nehmen, reicht nicht aus. Um die wirkliche Bedeutung des RPA untersuchen zu können, möchte ich die weiterführenden persönlichen Beziehungen seiner mitunter einflußreichen Mitarbeiter ermitteln. Gross aktivierte innerhalb der reichsweiten, vertikalen Gliederung seines Amtes eine große Anzahl Experten in der Rassenfrage, die als sorgsam geschulte Referenten und unbezahlte Mitarbeiter tätig wurden. Außerdem hatte das RPA das Monopol, amtliche Rednerausweise zu erstellen, die jeder vorzuweisen hatte, der fortan öffentlich für die NSDAP über Rassenfragen sprechen wollte. Dadurch verfügte das RPA über viele Multiplikatoren. Neben anderen sind auch Dr. Gregor Ebner, der spätere Geschäftsführer des Lebensborns[331], ebenso der spätere Nobelpreisträger Konrad Lorenz durch die Babelsberger RPA-Rednerschule gegangen. Der Amtsgerichtsrat Dr. Erhard Wetzel, die graue Eminenz des RPA und Rundlaufempfänger, arbeitete gleichzeitig bei Rosenberg in dessen Reichsministerium der Besetzten Ostgebiete (RMbO) und im Reichsministerium der Justiz, entwarf den berüchtigten Gaskammerbrief an Lohse und konzipierte eigene, wenn auch mitunter belächelte, Gedanken zum Generalplan-Ost, die in mancher Hinsicht Himmlers Planungen übertrafen.4
4 Vergl. Helmut Schubert, pers. Auskunft, 6. August 1998; außerdem spätere ausführlichere Bemerkungen zu Wetzel.
Gross war in vielfältige Gremien und Ausschüsse eingebunden, publizierte große Mengen an Aufklärungsmaterial und Aufsätzen, hielt zahlreiche Reden, war seit der Gründung Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes (NSDÄB), Dozent der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin (DHfP), der Kaiser-Wilhelm-Universität in Berlin, ab September 1942 Leiter des Hauptausschusses Wissenschaft im Stab Rosenberg, hielt in den verschiedensten Universitäten Vorträge, bereiste Belgien, Frankreich, Ägypten und Italien in wichtiger Mission, um dort für den deutschen Weg in der Rassenpolitik zu werben.
Noch zum Ende des Krieges wurde Gross in die Konzeption der Hohen Schute, der künftigen NS-Universität, eingebunden. Am 28.3.1941 eröffnete die NSDAP in Frankfurt/Main eine erste Außenstelle: das Institut zur Erforschung der Judenfrage. Neben Reichsminister Rosenberg war auch Walter Gross nicht nur zugegen, sondern │ S. 5 ebenfalls Referent mit seinem Vortrag Die rassenpolitischen Voraussetzungen zur Lösung der Judenfrage, worüber noch im letzten Teil der Arbeit die Rede sein wird.
Im Laufe des Jahres 1944, nachdem das RPA seitens der Parteileitung wohl nicht nur kriegsbedingt immer stärker eingeschränkt worden war, wurde Gross Institutsleiter einer Außenstelle der Hohen Schule in Schelklingen; dort leitete stellvertretend sein bewährter Mitarbeiter Dr. Werner Hüttig das Institut für Biologie und Rassenlehre5 Im Schelklinger Schlösschen wurden zum Kriegsende anthropologische Studien geplant und Strategien ersonnen, die Gründe für das Versagen der italienischen Verbündeten auszuloten. Deren Unzuverlässigkeit und fehlender Mut galten als großes Problem, welches man konsequenterweise in zu geringen nordischen Blutsanteilen vermutete. Nur die Kriegswirren und wenig kooperative italienische Behörden konnten Werner Hüttig im Sommer 1944 bremsen.
5 Alfred Rosenberg hatte bereits am 7.2.1940 „mit Dr. Gross über die Gründung eines Instituts f.[ür] Biologie u.[nd) Rassenkunde gesprochen (in engster Verbindung m.[it] Kaiser W.[ilhelm] Gesellschaft.) Prof.[essor] Fischer soll nächstens zu uns kommen“ (Seraphim 1964, 122).
Gross’ Mittelsmänner – neben Wetzel auch Egon Leuschner – waren bei wichtigen Besprechungen, auch bei denen der Wannsee-Folgekonferenzen anwesend. Himmler bediente sich in seinen Ausführungen zur Behandlung der Fremdvölkischen, die ausdrücklich Hitlers Gefallen fanden, des umfassenden, von Hecht und Wetzel erarbeiteten, Gutachtens des RPA zur Behandlung der Bevölkerung in den ehemals polnisch besetzten Gebieten,6 Ein Brief von Wetzel an den Gauleiter und Reichskommissar der besetzten Ostgebiete, Hinrich Lohse, vom 25. Oktober 1941 zeigt, daß den Mitarbeitern des RPA bekannt war, daß ab 1941 systematisch Menschen, vor allem Juden, Oppositionelle, Roma und Sinti, durch Gas ermordet wurden.7
6 IfZ-München, IMT, PS 660.
7 Buchheim et al. 1967, 649.
Das RPA war nicht die Schaltstelle in der Vorplanung des Genozid. Dafür und zur Propagierung eines sachlichen, seriösen Antisemitismus gab es andere maßgebliche Instanzen, so das Judenreferat im RMdl mit dem ambivalenten Bernhard Lösener, das Referat IIB unter Lischka und Baatz im Hauptamt der Sicherheitspolizei, sowie den SD mit seiner Zentralabteilung II. 1 unter Six, Wisliceny und Hagen.8 Die Mitarbeiter Gross’ leisteten jedoch Vorarbeit, waren bemüht, an den meisten die Rassenpolitik betreffenden │ S. 6 Vorgängen beteiligt zu werden, sie etablierten als intellektuelle Wegbereiter eine neue, als wahrhaft revolutionär nationalsozialistisch empfundene, den NS nach eigenem Bekunden konstituierende, rassische Schau der Dinge. Die Hauptaufgabe des Amtes und seiner Akteure bestand in der Propagierung von Zielen der positiven Bevölkerungspolitik, der Vereinheitlichung von Schulung, Ausrichtung und Erziehung eines angeblich sterbenden Volkes hin zu einem neuen Willen zum Kind. Aufgaben, die allerdings auch machtpolitische, imperiale Bedeutung hatten.
8 Vergl.: Herbert 1996, 208
(Uhle 1999), S. 4-6
Max Mikorey, der eines von 12 Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie war, gab 1941 gegenüber dem Dekan der Medizinischen Fakultät München glaubwürdig an, dass er Mitarbeiter dieses RPA war. Damit war Mikorey sicherlich ein „Vertreter der deutschen Rassenkunde“. Ich erinnere an einen Absatz aus der Rede Alfred Rosenbergs zur Eröffnung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934:
[34] Von diesem Gesichtspunkt aus wird es Aufgabe einer deutschen Rechtsphilosophie sein, das Verhältnis zwischen Volk und Staat, zwischen Recht und Politik einer tiefgehenden Untersuchung zu unterziehen und gemeinsam mit den Vertretern der deutschen Rassenkunde und Rassenhygiene gefühlsmäßig und theoretisch eine geistige und charakterliche Höherwertigkeit als Voraussetzung jeder rechtlichen Bewegung vorzubereiten.
(VB vom 4. Mai 1934: Alfred Rosenberg; 1934)
Zusätzlich gab Mikorey 1941 gegenüber dem Dekan an, er sei als Arzt für das Münchener Erbgesundheitsobergericht tätig. Einen ersten Eindruck davon, woran ein Arzt beim Münchener Erbgesundheitsobergericht mitwirkte, liefert die Vorstudie die Annemone Christians[332] über das Münchener Gesundheitsamt im Nationalsozialismus verfasst hat und die online zugänglich ist:
2.3 Die Praxis der Zwangssterilisationen im Zuständigkeitsbereich des GA München
Als Kernbereich der Pilotstudie kann die Auswertung der Akten des Münchner Erbgesundheitsgerichtes gelten, die die Praxis der nationalsozialistischen Zwangssterilisationen zwischen 1934 und 1944/45 dokumentieren. Von den ca. 6.800 Sterilisations-Verfahren, die zwischen 1934 und 1945 am Erbgesundheitsgericht anhängig waren, sind ca. 2.900 erhalten und im Staatsarchiv München archiviert. Die Verfahrensakten der Münchner Erbgesundheitsgerichte konnten innerhalb der Vorstudie nur teilweise erschlossen werden, so dass daraus erst eine punktuelle Beurteilung der Sterilisationspraxis in München in den Jahren 1934 und 1937 möglich wurde.
Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN) vom 14. Juli 1933 schuf die rechtliche Basis für die Unfruchtbarmachung derjenigen Personen, denen man eine der in § 1 Artikel 2 festgelegten Erbkrankheiten diagnostizierte. Als Erbkrankheiten wurden angeborener Schwachsinn, Schizophrenie, manisch-depressives Irrsein, erbliche Fallsucht (Epilepsie), erblicher Veitstanz, Blindheit, Taubheit und körperliche Missbildung klassifiziert. In Artikel 3 wurde auch schwerer Alkoholismus als Erbkrankheit eingestuft. Dazu berechtigt, einen Antrag auf Sterilisation zu stellen, waren die Betroffenen selbst, ein beamteter Arzt oder die Direktionen von Heil-, Pflege- oder Strafanstalten für ihre Insassen. Die Entscheidung über die Anträge sollten nach GzVeN die Erbgesundheitsgerichte fällen, sie wurden als Abteilung der Amtsgerichte neu eingerichtet. Die nicht öffentlichen Sitzungen des EGG leitete im Vorsitz ein Amtsrichter, ihm waren ein beamteter und ein nicht beamteter Arzt zur Seite gestellt. Gegen die Beschlüsse des Erbgesundheitsgerichts konnte vom Antragsgegner Beschwerde eingelegt werden. In zweiter Instanz entschied das Erbgesundheitsobergericht über die Beschwerde.
https://www.muenchen-transparent.de/dokumente/1361233/datei
Als Information über den weltanschaulichen Hintergrund der Tätigkeit der NS-Erbgesundheitsgerichte möge folgendes Zitat dienen:
Unter der Überschrift »Völkischer Staat und Rassenhygiene« wurden Sterilisierung und Asylierung von >Syphilitikern, Tuberkulösen, Kretins, Krüppeln und anderen erblich Belasteten< als Maßnahmen negativer Eugenik benannt:
»Der völkische Staat… muß dafür Sorge tragen, daß nur, wer gesund ist, Kinder zeugt; daß es nur eine Schande gibt: bei eigener Krankheit und eigenen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen, doch eine höchste Ehre: darauf zu verzichten. … Er hat, was irgendwie ersichtlich krank und erblich belastet und damit weiter belastend ist, zeugungsunfähig zu erklären und dies praktisch auch durchzusetzen… Eine nur sechshundertjährige Verhinderung der Zeugungsfähigkeit und Zeugungsmöglichkeit seitens körperlich Degenerierter und geistig Erkrankter würde die Menschheit nicht nur von einem unermeßlichen Unglück befreien, sondern zu einer Gesundung beitragen, die heute kaum faßbar erscheint.«8
8 Ebd. [Hitler, Mein Kampf, München 1942], S. 446 ff.
Neben Hitler, dessen Äußerungen im Vergleich zu manchem anderen Autor, der für Sterilisierung und »Euthanasie« eintrat, gemäßigt waren, griffen auch A. Rosenberg, von dem die Forderung stammte, rückfälligen Verbrechern die Fortpflanzungsfähigkeit zu nehmen,9 und W. Darre, der den Vorschlag unterbreitete, den heiratsfähigen weiblichen Nachwuchs in vier Kasten einzuteilen, von denen die beiden unteren unfruchtbar gemacht werden sollten,10 das eugenisch motivierte Sterilisierungspostulat auf. Es bleibt festzuhalten, daß die rassenhygienisch indizierte Sterilisierung ein konstitutives Element der eugenischen Programmatik des Nationalsozialismus war, wobei nationalsozialistische Theoretiker kein Hehl daraus machten, daß die rassenhygienisch indizierte Sterilisierung auch unter Zwang ausgeführt und keineswegs nur auf Extremfälle beschränkt werden sollte. Dieser Programmpunkt wurde nach der Machtübernahme zielstrebig in praktische Politik umgesetzt.
9 A. Rosenberg, Der Mythus des XX. Jh., München 1930, S. 545. Vgl. R. Cecil, The Myth of the Master Race. A. Rosenberg and Nazi Ideology, London 1972.
10 R. W. Darre, Neuadel aus Blut und Boden, München 1930, S. 170f. Vgl. H. Gies, R. W. Darre und die nationalsozialistische Bauernpolitik in den Jahren 1930-1933, phil. Diss. Frankfurt 1966.
(Schmuhl 1987), S. 153
Auf Erich Rothackers zustimmender Bezugnahme auf Rosenbergs und Darrés Vorschlägen zur »Höherzüchtung« habe ich bereits zweimal aufmerksam gemacht. Nun habe ich das ein drittes Mal getan. Und wieder verweise ich zusätzlich auf meinen Unterabschnitt 4.3.2.
Auch die »Entmannung« von »Verbrechern« ist eines der Lieblingsthemen Max Mikoreys gewesen.[333]
In dem Lebenslauf vom März 1941 für seine Habilitation an der Medizinischen Fakultät der Universität München behauptet Mikorey auch, dass er am 18. November 1937 zusammen mit Professor Burgdörffer einen Vortrag über Gesundheitsführung und Bevölkerungspolitik im Ausschuss für Bevölkerungspolitik an der AfDR gehalten habe. Diesen Vortrag hat Mikorey tatsächlich gehalten. Dank der Herausgebertätigkeit von Werner Schubert ist der Text auch ediert und damit gut zugänglich.
Im nächsten Exkurs zitiere und kommentiere ich Teile dieses Vortrags von Mikorey, da ich so zeigen kann, welche Wirkungen seine Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie auf seine Tätigkeit als „Vertreter der deutschen Rassenkunde“ hatte.
6.2.13. Exkurs: Max Mikorey (1937): Es braucht eine nationalsozialistische Metaphysik der (Un-) Sterblichkeit, um die Rassengesetzgebung von 1935 rechtsphilosophisch zu unterbauen
Mikorey hielt seinen Vortrag am 18. November 1937 im „Ausschuss für Rechtsfragen der Bevölkerungspolitik“ der AfDR. Vorsitzender dieses Ausschusses war ein Straßburger Kollege von Erich Jung und Wilhelm Kisch, der vor 1914 Doktorvater der Straßburger Dissertation von Carl Schmitt gewesen ist: Fritz van Calker (1864-1957).
Wie Erich Jung verlor van Calker seine Straßburger Professur 1918. Anfang der zwanziger Jahre erhielt er dann – unterstützt durch Wilhelm Kisch[334], der bereits 1916 von Straßburg nach München gewechselt war – „eine Professur in München (Technische Hochschule und Universität), die er bis zu seiner Emeritierung 1934 innehatte“.[335] Wie bereits erwähnt war Hans Frank ab 1927 Mitglied des Lehrkörpers der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der TU München. Der Herausgeber der Ausschussprotokolle der AfDR, Werner Schubert, teilt mit, dass Hans Frank und van Calker sich von der TU München her kannten:
Dem Präsidenten der Akademie Hans Frank war van Calker von dessen Assistentenzeit an der Technischen Hochschule in München her bekannt. Nach alledem verwundert es nicht, daß der konservativ-national eingestellte Hochschullehrer van Calker mit dem Vorsitz in dem Ausschuß für Rechtsfragen der Bevölkerungspolitik von Frank betraut wurde.
(Schubert, Ausschüsse für Bevölkerungspolitik – Kolonialrecht – Rassenpolitik im RIM; 2001), S. XII
Über die Mitglieder des Ausschusses teilt Werner Schubert einleitend folgendes mit:
Die Zahl der festen Mitglieder war sehr klein. Sachverständig waren vor allem Bodo Spiethoff, Vorsitzender des thüringischen Landesverbandes der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, seit Mai 1933 Kommissar dieser Gesellschaft, und Erich Möbius aus dem Reichsinnenministerium. Mit der Erweiterung | S. XIII der Beratungsgegenstände auf die Bevölkerungs- und Familienpolitik allgemein kam der bekannte Bevölkerungswissenschaftler und Statistiker beim Statistischen Reichsamt (seit 1939 Leiter des Statistischen Landesamts in Bayern) Friedrich Burgdörfer noch hinzu. Falk Ruttke, der anders als Gütt im Reichsministerium des Innern in seiner Karriere nicht sehr weit gekommen war, erreichte es noch 1940, daß die Akademie für ihn ein allerdings dürftig ausgestattetes Institut für Rechtsfragen der Bevölkerungspolitik in Jena einrichtete. […]
(Schubert, Ausschüsse für Bevölkerungspolitik – Kolonialrecht – Rassenpolitik im RIM; 2001), S. XII f.
Ich zitiere nun aus Max Mikoreys Vortrag im Ausschuss für Bevölkerungspolitik der AfDR vom November 1937. Der Titel des Vortrags lautete: „Die bevölkerungspolitische Lage und die Entwicklung der Gesundheitspolitik“.[336]
Mikorey behandelt die Frage, wie die Normen und Begriffe der Nürnberger Rassengesetzgebung zur Alltagssitte der »deutschen Bevölkerung« gemacht werden könnten. Er vergleicht das Problem mit dem Problem der Einführung der Kuhpockenimpfung und der Narkose im 19. Jahrhundert:
[29] Auch das hat eine allgemeine geschichtliche Basis. Ich darf daran erinnern, daß man zu der Zeit, als Jenner die Kuhpockenimpfung erfand und einführte, genau dieselben Argumente gegen die Impfung vorbrachte, die nebenbei bemerkt auch heute noch nicht ganz ausgestorben sind. Man sagte, das sei eine Auflehnung gegen eine von Gott geschickte Heimsuchung, gegen die von Gott gesandten Seuchen solle man nicht impfen. Noch ein viel merkwürdigeres Beispiel aus der Geschichte: Als 1847/48 die Narkose eingeführt wurde, gegen die wir bis heute bestimmt nichts mehr einzuwenden haben, hat man sich ebenfalls weltanschaulich darüber entrüstet. Man hat dem berühmten Geburtshelfer und Arzt Simpson[337] in Edinburgh, der das Chloroform einführte, gesagt, es sei unnatürlich, es sei ein Wahnsinn, es würde die öffentliche Moral untergraben, wenn man den Leuten das Bewußtsein nehme; außerdem heiße es schon in der Bibel: Du sollst unter │ S. 178 Schmerzen gebären. Vor allem in Schottland gab es einen Gewissenssturm gegen die Narkose bei Operationen und im Rahmen der Geburtshilfe. Nun, Simpson war ein ebenso gescheiter Arzt wie wortkundiger Unterhalter. Eines Tages kam eine Dame aus Irland wutschnaubend in seine Sprechstunde und wollte ihm eine Auseinandersetzung über die Unmoral und Unnatur der Narkose machen. Er sagte ihr: Aber gnädige Frau, es war doch ganz gegen die Natur von Ihnen gehandelt, von Irland nach Schottland mit dem Dampfschiff zu fahren, anstatt herüberzuschwimmen. Einem Londoner Arzt sagte er: Es sei freilich unnatürlich, eine Narkose zu machen, aber es sei ebenso unnatürlich, in Kleidern herumzulaufen, und er schlage vor, man solle in London nackt herumlaufen, wie Gott die Menschen geschaffen habe. Auf diese Weise wußte er sich sehr gut zu verteidigen. Er empfahl z.B. auch, die Kutschen abzuschaffen, weil der Verkehr natürlicher zu Fuß erledigt werde.
(Mikorey 1937), S. 177 f.
Von hier aus versucht Mikorey, den Bogen zur Nürnberger Rassengesetzgebung zu schlagen. Trotz des eingesetzten Terrors, der massiven Umerziehung und der Massenmorde ist es dem »Arzt« Mikorey nicht gelungen, Zustimmung zu seinen »Therapien« zu erzeugen:
[30] Ebenso liegt es auch bei unserer neuen Gesetzgebung. Sie ist ebenso verblüffend und neu für die meisten Menschen, wie es die Kuhpockenimpfung und die Narkose waren. Wir wünschen nur, daß auch wir für unsere Propaganda so wortgewaltige Männer haben, wie es Simpson war, der in so schlagfertiger Weise die Leute ad absurdum führte. Man muß sehen, daß man solche Leute gewinnt. Es ist ja im Grunde sehr einfach. Wir alle wissen, worum es sich handelt. Tatsächlich ist es so, daß unsere Rassengesetzgebung die natürliche Auslese einigermaßen wiederherstellt. Das ist nichts Unnatürliches, sondern ist ein Gegengewicht gegen gewisse Unnatürlichkeiten unserer Kultur. Die unnatürliche Erhaltung des Schwachen und des Kranken, die Gegenauslese der Natur wird auf dem schonendsten Umweg durch unsere Rassengesetzgebung wieder in Ordnung gebracht. Insofern ist unsere Gesetzgebung notwendig und wird sich auch durchsetzen. Man muß das aber propagandistisch herausarbeiten und muß es auch rechtsphilosophisch unterbauen.
(Mikorey 1937), S. 178.
Im nächsten Satz wird ein Grund für den angestrebten Zusammenhang zwischen Rechts- und Religionsphilosophie deutlich. Allerdings muss der so begründete Zusammenhang kein Zusammenhang für die Rechts- und Religionsphilosophie der Adelskaste des akademischen Nationalsozialismus sein. Es reicht hin, dass so ein Zusammenhang für ein »Volksrecht« und eine »Volksreligion« gestiftet werden könnte. Oder mit anderen Worten: Wie stellt die Adelskaste die innere Verfassung ihrer Hörigen als solchen so her, dass die glauben, die Nürnberger Rassengesetze seien für sie heilbringend?
Dafür ist ein prinzipieller Gedanke vielleicht nicht ganz unwichtig: Man hat früher gesagt, der Mensch bestehe aus einem sterblichen Körper und einer unsterblichen Seele. Das hat man in die Köpfe hineingehämmert, das haben die Leute geglaubt. Ebenso müssen wir ihnen heute in die Köpfe hineinhämmern, daß der Mensch ein Doppelwesen sei, daß er aus einem sterblichen Körper bestehe, aber außerdem aus einem Teil, der nicht ihm privat gehöre, nämlich aus der Keimbahn, die er mit sich trägt und an die kommenden Geschlechter weitergibt. Durch dies alles ist er mit seiner Volksgemeinschaft verbunden. Wenn man den Leuten einmal vorrechnet, daß 30 Generationen nach rückwärts schon über 30 Milliarden Voreltern dagewesen sein müßten, die aber zweifellos nicht da waren, dann werden sie schon eine Vorstellung von dieser Verflechtung der Keimbahnen bekommen, dann wird der einzelne erkennen, daß er als persönliche Existenz nur ein Mandatar, ein Blatt an dem Baume der Rasse ist. Es ist der Gedanke der Weltesche, und so hat es auch schon der alte Homer gesehen. Homer sagt in der Odyssee: Wie die Blätter … Das ist diese primitive Idee, daß der Stamm des Volkes, der Inbegriff der Keimbahnen, die kursieren, nicht Privateigentum ist, und das muß man durch geschickte Propaganda in die Menschen hineinbringen, so daß sie es ebenso aus dem Gefühl heraus glauben wie die frühere Dualität zwischen sterblichem Körper und unsterblicher Seele.
(Mikorey 1937), S. 178
Und wie nennt Mikorey das Herstellungsmittel einer solchen »Volksreligion ewiger deutscher Keimbahnen«?
Dieses ist eine metaphysische Begriffseinteilung. Jenes eine natürliche Begriffseinteilung. Trotz aller Broschüren steckt der Gedanke aber noch nicht in den Leuten darin, und hier darf man niemals müde werden.
(Mikorey 1937), S. 178
Eine kürzere und trotzdem verständliche und hinreichende Erläuterung des Zusammenhangs zwischen Metaphysik, Religion und Rasse kann ich mir nicht vorstellen. Diese Erläuterung Mikoreys erfüllt die Forderungen an den Ausschuss für Rechtsphilosophie, die am 3. Mai 1934 von Hans Frank, Alfred Rosenberg und Carl August Emge formuliert worden sind.
Im nächsten Absatz gelingt Mikorey auch die Verknüpfung der Metaphysik der Rasse mit dem Recht:
[31] Dieser Doppelexistenz des Menschen entspricht auch ein doppeltes Recht; denn das Recht als lebensgesetzliche Formulierung des völkischen Lebensrhythmus muß ja schließlich diese natürlichen Realitäten abbilden. So entspricht eben dem Recht des Individuums, das wir ja nicht unterdrücken wollen, – denn ohne individuelle Tatkraft und Initiative ist unsere ganze europäische Kultur nicht denkbar – als Pendant das Rassenrecht, welches über die Schicksale und die Verflechtungen der Keimbahnen entscheidet. Es ist ein Recht ganz eigener Art, das jetzt gerade im Aufbau ist. Diese Doppelfigur des Rechts ist eben begründet in der natürlichen Doppelexistenz des Menschen als persönliche Existenz und als Träger von Keimbahnen einer Volksgemeinschaft
(Mikorey 1937), S. 178
– aber nicht der biologischen Gattung Mensch. Hier wird paradigmatisch deutlich, dass der Rassismus des akademischen Nationalsozialismus deutlich leichter von den sog. »Kulturwissenschaften« her betrieben werden konnte. Hoffnungen, dass die Naturwissenschaften eine Bestätigung der Existenz „deutscher Keimbahnen“ liefern würden, bestätigten sich nicht.[338]
Wenn man das Recht, wie es das liberalistische Zeitalter getan hat, ganz auf dem Individualprinzip aufbaut, rückt die Keimsubstanz als Teil des Körpers in diese Individualsphäre hinein. Dann ist die Mutter Herrin ihres Kindes, jeder ist Herr seiner Organe, man stellt alles auf den Kopf, und die Folge davon ist, daß man überhaupt kein Gefühl mehr für diese Doppelexistenz hat. Das Recht des liberalistischen Zeitalters hat eben diese Doppelexistenz nicht berücksichtigt. Das | S. 179 Merkwürdige ist nun, daß durch eine Art von Salto mortale diese atomistische Rechtsstruktur des Liberalismus dann unmittelbar in den kollektiven Rechtsnihilismus des Bolschewismus überschlägt. Diese Atome werden dann plötzlich Räder eines großen kollektiven Maschinenwerkes, in dem sie vollkommen untergehen.
(Mikorey 1937), S. 178 f.
Die These vom »Überschlag« des Liberalismus in den Bolschewismus gehört zu den geschichtsphilosophischen Dogmen des akademischen Nationalsozialismus.
[32] Eine solche Paradoxie ist ganz unmöglich, wenn man die Doppelexistenz des Menschen berücksichtigt, wenn eine Privatsphäre erhalten bleibt und wenn man sie unterbaut und ergänzt durch das Rasserecht, welches die ewigen Substanzwerte des Volkes sichert. Genauso, wie man das Volk im Gefahrfalle durch Quarantäne, durch die Isolierung von Kranken bei einer großen Seuche vor der Infektion schützt, muß man das Volk vor der chronischen Infektion, der chronischen Katastrophe einer Rassenverschlechterung schützen, indem man die Erbkranken sterilisiert, indem man die Verknüpfungen der Keimbahnen in der Weise lenkt, daß sich das beste Ergebnis für die Volksgemeinschaft herausbildet.
(Mikorey 1937), S. 179
Rosenbergs »Partei des Lebens« und Himmlers »Lebensborn«-Verein habe ich bereits im Unterabschnitt 4.3.2. exkursweise vorgestellt.
Das ist genau dasselbe, nur in einer anderen Zeitdimension. Eine große Seuchenkatastrophe läuft in der Zeitdimension von Wochen oder Monaten ab. Die Katastrophen, die wir in der Veränderung der Bevölkerungsfiguren sehen, verlaufen chronisch, und man sieht sie nicht, wenn man nicht die zeitraffende Wirkung der statistischen Wissenschaft einschaltet. Die Statistik ist das Röntgenauge, das uns die Geheimnisse klarmacht und uns für diese Dinge, die man sonst nicht sieht, sehend macht. Man muß diese Erkenntnisse aber auch ausnutzen, und man wird es sicherlich tun.
(Mikorey 1937), S. 179
Im nächsten Absatz wird deutlich, dass Mikorey seine Position gar nicht primär mit Blick auf die »Minderwertigen« Europas und »die Gegenrasse« entwickelt, sondern bereits beim »weltgeschichtlichen Rassenkonflikt« angekommen ist.
[33] Besonders tragisch muten all diese Dinge an, wenn man berücksichtigt, daß offenbar die weiße Rasse überhaupt dazu neigt, frühzeitig solchen Bevölkerungskatastrophen zu verfallen. Das beruht wohl darauf, daß – etwa im Gegensatz zur gelben Rasse – der Fortpflanzungstrieb nicht organisch in die Religion und in das Kulturgefüge der weißen Rasse eingebaut ist, – wenigstens heute nicht mehr, wenn es auch ursprünglich so gewesen sein mag. Der Ahnenkult, das unmittelbare Gefühl, daß es notwendig ist, Kinder zu haben, die für den Ahnen sorgen, die die Opfer darbringen, – all diese Dinge, die sich bis heute bei der gelben Rasse erhalten haben und dieser Rasse in Fleisch und Blut übergegangen sind, haben mitten in dem Raffinement einer fortgeschrittenen Kultur organisch den Blick für diese Dinge erhalten, und das liegt wohl irgendwie tief in der Rassenseele verwurzelt. Hier liegen tragische weltgeschichtliche Konflikte und Probleme vor.
(Mikorey 1937), S. 179
Von hier aus versteht sich aufwandlos, weshalb der Reichsführer SS Heinrich Himmler nicht nur den »Lebensborn«-Verein förderte, sondern auch die »Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe«.[339]
Die technische Intelligenz der weißen Rasse, der Individualismus, das scharfe Sich-Gegenüberstellen zur Natur hat den technischen Kulturfortschritt hervorgerufen. Wir haben die Maschine und all diese Dinge erfunden, die nur möglich sind, wenn man sich rücksichtslos als Person den Naturkräften gegenüberstellt. Das hat aber auch eine Schattenseite; denn auch die eigene lebende Substanz, der Lebensrhythmus des Volkes wird dadurch entfremdet, wird irgendwie aus der Resonanz des natürlichen Instinktes entfernt. Es ist immer so gewesen, daß die weißen Rassen auf dem Höhepunkt ihrer Kulturleistungen irgendwie den eigenen Lebensrhythmus haben verfallen lassen, irgendwie der Gefahr des völkischen Selbstmordes teils unterlegen sind, teils ihr wenigstens entgegengingen. Daran ist die Antike zugrunde gegangen, und daran kranken auch wir, während die gelben Völker immer dieses Instinktgefühl für den Rhythmus der Generationen in ihre Kultur hineingebaut haben. Die chinesische Sprache hat nicht einmal ein Wort für „ich“, sondern die Chinesen umschreiben es, weil sie auch in ihrer Sprache sofort irgendwie den Rhythmus der Familie, das familienhaft-kategoriale Denken ausdrücken. Das Wörtchen „ich“ bringt die europäische Kultur zu ihrer Blüte, vernichtet sie aber auch kurz nach ihrer Blüte, wenn nicht energisch eingegriffen wird.
(Mikorey 1937), S. 179
Das Verhältnis der Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie zur Technik wird mich noch gelegentlich beschäftigen.
Zuvor hat Mikorey bereits Homer erwähnt. Nun behauptet er, dass die (europäische) Antike aus immanenten Gründen der rassischen Verfasstheit der weißen Arier zugrunde gegangen sei. Das ist bemerkenswert, da diese These im Spektrum der Meinung der gleichgeschalteten »Wissenschaft« des Dritten Reiches mit der These konkurrierte, dass die Antike an der »juden-christlichen« und »asiatischen Einwanderung« extern zu Grund gerichtet wurde.
Wenn man ein „Recht des Stärkeren“ vertreten möchte, liegen die Vorteile, einen immanent verursachten Untergang der Antike zu behaupten, auf der Hand. Für die Unkundigen unter meinen LeserInnen sollte ich ergänzen, dass es zum Konsens des akademischen Nationalsozialismus gehörte, dass die Hellenen aus Nordeuropa eingewandert sind, dass die Götterwelt Homers und Pindars Ausdruck einer nordischen Kunstreligion gewesen ist.[340] – Zurück zu Mikoreys Vortrag vom November 1937.
Das sind deswegen weltpolitische Zusammenhänge, weil die gelben Rassen eben jetzt auf dem Plan erscheinen und weil es Kulturrassen ersten Ranges sind. Wenn die Europäer sich irgendwie halten wollen, müssen sie diesen Nachteil ihrer Kultur ausgleichen. Kanonen, Chemikalien, Giftgase usw. kann man übertragen; was technisch als Extrakt der europäischen Kultur herausgekommen ist, kann allen anderen Völkern aufgepfropft werden. Nicht aber kann umgekehrt dieser ungebrochene, gesunde Lebensinstinkt, der ungebrochene Rhythmus des Fortpflanzungstriebes von den anderen Nationen als Gegengeschenk zurückgegeben werden. Daher besteht die Gefahr, daß man hier auf die Dauer den kürzeren zieht, vielleicht schon in wenigen Generationen, wenn man nicht diesen Nachteil der Kultur irgendwie ausgleicht. Man könnte diese Paradoxie so ausdrücken, daß der Europäer technisch Raum und Zeit überwindet, sich den Erdball unterwirft, | S. 180 alles immer mehr in die Rekordsekunde zusammendrückt und daß er geradezu eine Verblendung für das biologische Zeitgefühl bekommt, daß er als ein Eintagswesen, eine Eintagsfliege lebt. Das biologische Zeitgefühl schwindet, weil das technische Zeitgefühl einen Rekord erreicht.
(Mikorey 1937), S. 179 f.
Himmler gab übrigens die japanische Samurai-Kultur mit ihrer Ahnenreligion als Vorbild für Himmler seine SS-Tugendlehre aus.[341]
Ich kann nachvollziehen, dass die Medizinische Fakultät der LMU 1941 zögerte, Max Mikorey aufgrund seiner „rechtsphilosophischen und ideologisch motivierten Schriften“ zu habilitieren. Dass sie „unbedeutend“ gewesen sind, kann ich nicht nachvollziehen.[342] Ganz im Gegenteil: Max Mikoreys Vortrag vom 18. November 1937 im „Ausschuss für Rechtsfragen der Bevölkerungspolitik“ ist ein bedeutendes Arbeitsergebnis des Ausschusses für Rechtsphilosophie, dessen Dauermitglied Max Mikorey gewesen ist. Genauer: Der Vortrag Mikorey ist eine metaphysische Lösung „des rechtsphilosophischen Problems der Rasse und des Lebens“, von dem Professor Emge am 3. Mai 1934 angekündigt hatte, es solle im sechsten Unterausschuss des Ausschusses für Rechtsphilosophie bearbeitet werden.
Für das Gesamtreferat Mikoreys verweise ich auf dessen Publikation in Band 12 von Schuberts Edition der Protokolle der Ausschüsse der AfDR. In demselben Band ist ein Vortrag von Falk Ruttke aus dem Jahr 1940 für denselben Ausschuss der AfDR abgedruckt. Da der »Rassenhygieniker« Falk Rutte ausdrücklich auf Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie Bezug nimmt, präsentiere ich Auszüge aus diesem Vortrag in einem weiteren Exkurs. Die Bezugnahme ist sogar so gestaltet, dass ein massiver Konflikt zwischen Rudolf Stammler einerseits und Hans Frank und Carl August Emge andererseits erkennbar ist.
6.2.14 Exkurs: Falk Ruttke (21. November 1940): Nationalsozialistischen »Volkspflege«– ohne Stammler, mit Hans Frank und C. A. Emge
Zusammen mit Arthur Gütt und Ernst Rüdin hatte Falk Ruttke (1894-1955) den juristischen Kommentar zum „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933“ verfasst.[343] Ferner war Ruttke Mitglied des „Reichsausschuss für Volksgesundheit“ beim Reichsministerium des Inneren.
42 Vgl. Hermann Boehm, Das erbbiologische Forschungsinstitut in Alt-Rehse, in: Ärzteblatt Berlin vom 4.9.1937, MPG-Archiv, Abt. IX, Rep. 1, Hans Stubbe. Auch gegenüber dem Abteilungsleiter für menschliche Erblehre am KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, Otmar Freiherr von Verschuer, hat Stubbe offenbar Interesse bekundet, seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Genetik einschlägig Interessierten zur Verfügung zu stellen. Die entsprechende Anfrage Stubbes ist nicht überliefert, wohl aber die Antwort Verschuers vom 1.2.1934, der darauf Bezug nimmt und Stubbe rät, sich an Dr. Walter Gross vom Aufklärungsamt für Bevölkerungspolitik und Rassenpflege – gemeint ist das Rassenpolitische Amt der NSDAP – sowie an Dr. Falk Ruttke vom Reichsausschuß für Volksgesundheit zu wenden; AdBBAW, Stubbe-Fonds, Korr., Nr. 225 (Otmar von Verschuer). 1936 erschien die Zeitauflage. In ihr waren auch die Ausführungsverordnungen berücksichtigt worden: (Gütt, Rüdin und Ruttke, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933; nebst Ausführungsverordnungen 1936)
(Heim 2003), S. 207, Fußnote 42
Zu einer ersten Orientierung über den »Reichsausschuss für Volksgesundheit« möge folgendes dienen:
Mit der »Machtübernahme« wurde der Primat der rassenhygienischen gegenüber der eugenischen Fraktion restauriert. Der Vorstand – Fischer, Ostermann, Muckermann – trat zurück. Rüdin stellte als neuernannter Reichskommissar den alten Namen Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene wieder her und gab ihr im Jahre 1934 eine von den Nationalsozialisten aufoktroyierte Satzung, die sie zur »Unterstützung der Regierung in der Verwirklichung rassenhygienischer Bestrebungen« verpflichtete und in den Reichsausschuß für Volksgesundheit beim RMdl eingliederte.45 Etwa die Hälfte der 20 Ortsgruppenleiter wurde ausgetauscht. Die Mitarbeiter des │ S.98 Rassenpolitischen Amtes der NSDAP waren angewiesen, die Führung der Ortsgruppen zu übernehmen, um die rassenhygienische Propaganda über die Partei hinaus zu intensivieren. Im Juli 1933 wurde Muckermann als Leiter der Abteilung Eugenik am KWI beurlaubt und durch Lenz ersetzt. Bei dieser Gelegenheit bat Ministerialrat Gütt vom RMdl, das Institut möge sich in den Dienst des »Dritten Reiches« stellen und bei der Durchführung des Sterilisierungs- und Reichsangehörigengesetzes mitwirken.
[…]
Rassenhygieniker waren im »Dritten Reich« – vermittelt über den Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik, den Reichsausschuß für Volksgesundheit usw. – an allen Entscheidungen zur Erb- und Rassenpflege maßgeblich beteiligt. Insofern, als diese Gremien zur Keimzelle der Zentraldienststelle der »Euthanasieaktion« wurden, reichte der Einfluß der Rassenhygiene bis in das Euthanasieprogramm hinein.47
45 Vgl. Bohn, S. 464 f.; Kröner, S. 92 f.; Weingart, S. 330; Lilienthal, Rassenhygiene, S. 116 f., 123.
46 Vgl. M. Günther, S. 96-100; Weingart, S. 335; Lilienthal, Rassenhygiene, S. 124.
47 Vgl. Kapitel B.II., B. III 1.b., B. XII.1.
(Schmuhl 1987), S. 97 f.
1935 hat Falk Ruttke einen Lehrauftrag für Rassenkunde an der Universität Berlin erhalten.[344]
Auf der letzten Sitzung des „Ausschusses für Rechtsfragen der Bevölkerungspolitik“ der AfDR, für den in Band 12 der Edition Schuberts ein Protokoll veröffentlicht ist, kontrastierte der NS-Rassist Falk Ruttke schlechte und gute Rechtsphilosophen. Alle Namen, die er nennt, sind Namen von Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
Ruttke hielt sein Referat auf der Sitzung vom 21. November 1940, die dem Thema „Zur Begründung des Archivs für Rechtsfragen der Bevölkerungspolitik“ gewidmet war. Der Sitzungsort sei anlässlich der Sitzung der Jahrestagung der AfDR gewählt worden.[345] Die Jahrestagung der AfDR fand 1940 – wie meistens – in München, der »Hauptstadt der Bewegung« statt.
Ich zitiere das Grußwort Hans Franks zur siebten Jahrestagung der AfDR vollständig, da Ruttke seinen Vortrag sehr ähnlich beginnt.
Zur Jahrestagung der Akademie für Deutsches Recht
[1] Die Jahrestagung der Akademie für Deutsches Recht, zu der ich für die Zeit vom 22. bis 24. November nach München, der Hauptstadt der Bewegung, aufgerufen habe, findet in einem Entwicklungsstadium dieses Krieges statt, welches den Sieg Adolf Hitlers und seiner nationalsozialistischen Revolution über die englische Plutokratie bereits deutlich erkennen läßt.
[2] Voll stolzen Verantwortungsbewußtseins hat nunmehr das Deutsche Volk unter Führung Adolf Hitlers die Aufgabe der Neuordnung Europas im engsten Verein mit dem faschistischen Italien des Duce Benito Mussolini und in wirksamster Zusammenarbeit mit anderen fleißigen, volkreichen und neuer Entwicklung aufgeschlossenen Völkern übernommen. Im Rahmen dieser einmaligen schöpferischen Sendung hat sich der Genius des Deutschen Volkes auf dem Gebiete der Gemeinschaftsgestaltung wieder einmal geschichtlich zu bewähren.
[3] Weitab von den unmöglich gewordenen alten Formen früherer juristischer Vorstellungen und Arbeitsweisen ist der Akademie für Deutsches Recht die Aufgabe gestellt, an der Neuordnung des gesamten Rechtslebens in diesem weiten, fast grenzenlos erscheinenden Raum mitzuwirken. Die Akademie für Deutsches Recht wird sich mit aller Kraft in den Dienst an der Erfüllung dieser weltumspannenden Mission des Deutschen Rechtslebens stellen.
[4] In dem Reichsgesetz vom 11. Juli 1934 hat der Führer der Akademie für Deutsches Recht ihre große Aufgabe vorgezeichnet. Mit freudigem Stolz stelle ich fest, daß die Akademie dieser Aufgabe völlig gerecht geworden ist und daß sie Grund hat, mit ihren bisherigen Arbeitserfolgen zufrieden zu sein. Mit der Anerkennung dieser Leistung, die seit Ausbruch des Krieges unter wesentlich erschwerten Bedingungen zu erbringen war, verbinde ich meinen Dank an alle Freunde und Mitarbeiter der Akademie im In- und Ausland für ihre Treue und ihre selbstlose Mitarbeit.
[5] Der Führer hat in einem Schreiben vom 19. Dezember 1934 an mich gesagt: „Für die Mitarbeit bei der Erneuerung der Rechtsordnung haben Sie sich in der Akademie für Deutsches Recht eine vorbildliche dauernde Einrichtung geschaffen, die Sie in den Stand setzt, ohne Beschränkung auf die Justiz im engeren Sinne bei der Durchsetzung der nationalsozialistischen Weltanschauung auf allen Gebieten der Neugestaltung des Rechtes mit zu wirken.“
[6] Die Arbeit am totalen Neubau des Deutschen Rechts, die uns der Führer als Aufgabe gestellt hat, ist somit unsere Lebensberufung; ihr gilt unser gesamtes Wirken, und die Erfüllung dieser Aufgabe bleibt unser leuchtendes Ziel. Dem Deutschen Volk eine nationalsozialistische Rechtsordnung seines Gemeinschaftslebens in allen seinen Ausstrahlungen aufzubauen und zu sichern, soll der Beitrag des Deutschen Rechtslebens zur Unsterblichkeit des Werkes Adolf Hitlers sein.
[7] Die Jahrestagung 1940 der Akademie für Deutsches Recht soll den bedeutungsvollen Abschnitt der erweiterten Aufgabenerfüllung unserer Akademie für Deutsches Recht einleiten. Sie erhält ihre besondere Note durch die Anwesenheit des obersten Vertreters der faschistischen Rechtsarbeit, seiner Exzellenz des Herrn Präsidenten der Kammer der Fasci und Korporationen und Justizministers Graf Dino Grandi. Ich entbiete ihm auch an dieser Stelle — für ihn persönlich wie für alle faschistischen Rechtsarbeitskameraden — ein herzliches Willkommen. Meine deutschen „Kameraden aber grüße ich in der Hauptstadt der Bewegung mit dem Deutschen Gruß Heil Hitler! Hans Frank●
(Grußwort Hans Franks zur siebten Jahrestagung der AfDR; ZAfDR (1940), S. 341
Nun zum Vortrag des NS-Rassisten Falk Ruttke im „Ausschuss für Bevölkerungspolitik der AfDR“:
[1] Ruttke: Meine Herren! Als vor einigen Tagen Herr Geheimrat van Calker an mich mit der Bitte herantrat, ein Referat zu übernehmen, war ich mir noch nicht darüber im klaren, ob ich überhaupt die Möglichkeit hätte, von meiner jetzigen Tätigkeit in Posen abzukommen, um hier mitarbeiten zu können. Ich habe mich dann doch kurzerhand entschlossen, nach München zu kommen, und zwar deshalb, weil ich ja selbst vor einiger Zeit die Notwendigkeit der Begründung eines Archivs für Rechtsfragen der Bevölkerungspolitik herausgestellt habe, und insbesondere, weil ich auch gestern abend noch Gelegenheit hatte, mit Herrn Prof. Burgdörfer über die ganzen Fragen zu sprechen, und dort erfuhr, daß er leider an der heutigen Tagung nicht teilnehmen könne und daß auch das von ihm zunächst übernommene Referat ausfallen müsse.
[2] Bevor ich in Einzelheiten bezüglich der Vorschläge eines Archivs eintrete, muß ich Ihnen noch eine Begründung geben, damit Ihnen verständlich wird, was mir eigentlich bei dem Plan vorgeschwebt hat. Hierzu wäre allgemein folgendes zu sagen.
[3] Der durch die deutschen Waffen unter der genialen Führung Adolf Hitlers dem Großdeutschen Reich erkämpfte Boden muß für alle Zukunft durch Kinderreichtum der erbtüchtigen und für das Deutsche Volk rassisch wertvollen Sippen gesichert werden. In seiner Rede vom 6. Oktober 1939 („Völkischer Beobachter“, Berliner Ausgabe Nr. 280 vom 7.10.1939, S. 4-5) hat der Führer den Beginn der bisher größten planvollen Völkerwanderung angekündigt. Die Durchführung dieser Wanderung führte zur Umsiedlung von weit mehr als 300.000 Volksdeutschen. Damit wurde der vom Nationalsozialismus von jeher herausgestellte rassenbezogene Volksbegriff der Verwirklichung entgegengeführt. Volkssplitter sind dem Volkskörper eingefügt worden.
(Ruttke 1940), S. 244
In den nächsten Sätzen des Absatzes 3 verwendet Falk Ruttke das Wort »Erlebnis« als Fachausdruck der »Lebensphilosophie« des akademischen Nationalsozialismus. Seine dynamische Auffassung von Volkswerdung ist zumindest mit der exoterischen Lehre Alfred Rosenbergs auf einer Wellenlänge:
Das bedeutet, daß die Erlebniswurzeln des Nationalsozialismus, nämlich das Kameradschaftserlebnis des Weltkrieges 1914-1918 und der Systemzeit 1919-1933, das völkische Erlebnis (Erkennen der | S. 245 Bedeutung des Rassengedankens für die Sicherung der Zukunft unseres Volkes), das Familienerlebnis, das Arbeitserlebnis (Erkennen des Wertes der Arbeit infolge der jahrelangen Arbeitslosigkeit), das Volkstumserlebnis (fortdauernde Bedrohung der Vertreter des deutschen Volkstums jenseits der Grenzen des Kleindeutschen Reiches) und das Volksgemeinschaftserlebnis, nunmehr durch das Erlebnis, ein Volk zu sein und in diesem englischen Krieg[346] für die Sicherung der weiteren Volkwerdung kämpfen zu müssen, bereichert worden sind. Gleichzeitig wirken sich die seit 1933 eingetretenen Ereignisse als ein entscheidendes Erziehungsmittel zum Denken in großen Zeiträumen und großen geographischen Räumen aus. „Volk“ wird für uns immer mehr ins Bewußtsein getretene erb- und umweltbedingte Schicksalsgemeinschaft bestimmter rassischer Prägung. Diese veränderte Lage des Reiches – einst Kleindeutsches, jetzt Großdeutsches Reich – betrifft also nicht nur die Raumbezogenheit, sondern die gesamte Haltung, gekennzeichnet durch das Streben: Ein Reich, ein Volk, ein Führer, ein Recht. Die rassenbezogene Volksgemeinschaft als Ausgang und Ziel verlangt daher eine ständige Überprüfung der Rechtsordnung, ob Ansatz und Durchführung der Rechtsregeln, d.h. der Gesetze, Verordnungen, Runderlasse, Rundverfügungen usw. ihr entsprechen. […][4] Es ist erstaunlich festzustellen, wie sehr die Vertreter der jetzt lebenden Geschlechter trotz besten Wollens immer noch Kinder des vergangenen liberalen, d.h. beziehungslosen, den Rassengedanken ablehnenden Zeitalters sind. Ich beschränke mich bewußt auf solche Vorschläge, die für die künftige Gestaltung der Rechtsordnung unmittelbar von Bedeutung sind. Es hat also bei meinen Erörterungen alles das auszuscheiden, was dem Gebiet der Rechtsgeschichte zuzurechnen ist (z.B. lex Julia et Papia Poppaea des Kaisers Augustus, das Indische Gesetzbuch des Nanu, „Judengesetzgebung der Vergangenheit“). Hier handelt es sich um Forschungsgebiete eines künftigen Instituts „Rasse und Recht“.
(Ruttke 1940), S. 244 f.
Im nächsten Absatz wird Ruttke dafür plädieren, nun einen Epochenbruch in der Geschichte der Geisteswissenschaften zu bewirken. Der Anti-Held der vergangenen Epoche sei der Rechtsphilosoph Rudolf Stammler. Die Heroen der neuen Epoche seien Hans Frank und Carl August Emge:
[5] Diese Tatsache zeigt mir, wie langsam sich in den Geisteswissenschaften ein weltanschaulicher Umbruch vollzieht. Steht doch heute die Rechtswissenschaft noch teilweise unter dem Einfluß eines Aristoteles in orientalisch-vorderasiatischer Schau, eines Thomas von Aquino und anderer Männer, also von Vertretern einer Weltanschauung der Vergangenheit, auch wenn das vielen Rechtsgelehrten noch nicht oder nicht mehr bewußt ist. Der Arbeitsansatz wird jedoch bei einem solchen Vorgehen von der Geisteshaltung eines Zeitalters des Rassenchaos her bestimmt und nicht des Rassengedankens. Die alte Richtung versucht den Rassengedanken des Nationalsozialismus zu verarbeiten, ohne sich jedoch darüber klar geworden zu sein, daß der Rassengedanke einen anderen Arbeitsansatz in der Rechtswissenschaft verlangt. Es wird versucht, das Rassenrecht im wesentlichen als Recht der Rassenscheidung dem öffentlichen Recht einzugliedern, ohne den Arbeitsansatz zu verändern. Der Unterschied jedoch in der Rechtswissenschaft zwischen | S. 246 Vergangenheit und Gegenwart wird besonders deutlich, sobald ich folgende Gegenüberstellung vornehme: Der Rechtsphilosoph Rudolf Stammler lehrt: „Recht ist selbstherrlich, unverletzbar verbindendes Wollen.“[347] Reichsminister Frank [Frank, Hans: „Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung“, 2. Aufl., 1935, S. 4[348]]: „Alles, was dem Volke nützt, ist Recht und alles, was ihm schadet, ist Unrecht.“ Aus dieser Gegenüberstellung ist erkennbar, daß der Nationalsozialismus als Weltanschauung auch von der Rechtswissenschaft eine Wertung verlangt. Emge bemerkt einmal [Emge, C. A.: „Ein Rechtsphilosoph wandert durch die alte Rechtsphilosophie“, Beiheft 31 für Mitglieder der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie 1936, S. 115[349]]: „Bei der Rasse haben wir es mit einem Element der Geschichte zu tun, mit dessen Begriff sich rein natürliche, psychische, geistige, deterministische und indeterministische Momente verbinden. Es war sicher ein Fehler, die Rasse zu übersehen. Unter dem Gesichtspunkt des Aktuellen ist es zu begrüßen, daß die Rasse in den Vordergrund der Betrachtung gerückt wird. Beziehungen zu ihr lassen sich überall auch beim Recht nachweisen.“ Zur Frage der Untersuchung der Beziehungen von „Rasse und Recht“ bemerkt Emge in einer Fußnote der gleichen Arbeit noch folgendes: „Sie müßten unter klarer Fragestellung wissenschaftlich solid in Angriff genommen werden.“ Gerade um dieser auch von Emge mit Recht geforderten Gründlichkeit willen muß ich, ehe ich den Archivplan erörtere, mich zunächst mit dem Begriff „Bevölkerungspolitik“ befassen, weil es für den Nationalsozialismus eine beziehungslose, d.h. von Rassengedanken losgelöste Bevölkerungspolitik nicht geben kann.
(Ruttke 1940), S. 245
Wie es aussieht, wäre der Name Rudolf Stammlers auf der Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie, die nach dem 17. Juli 1941 erstellt worden ist, auch dann nicht aufgeführt worden, wenn Stammler nicht bereits 1938 gestorben wäre.
Dass die Namen vieler anderer Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie auch noch auf der späteren Mitgliederliste erscheinen, sagt umso mehr über diese Mitglieder. Sie waren offensichtlich den Anforderungen der neuen Epoche gewachsen. Ja, sie waren vermutlich diejenigen, die den Epochenbruch herbeiführen wollten.
Da Stammler bereits 1938 gestorben ist, bezieht sich Ruttke auf einen nicht mehr aktuellen Konflikt im Ausschuss für Rechtsphilosophie. Dass er das 1940 tut, spricht dafür, dass er über einige Jahre hinweg, Kenntnisse von den inneren Debatten des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR und deren Auswirkungen auf andere Ausschüsse der AfDR hatten. Pinter (1994) erwähnt in seiner Dissertation über Emge als Rechtsphilosophen Ruttke leider nicht.
Im übernächsten Absatz spricht Ruttke das Projekt einer nationalsozialistischen Sprachrevolution an:
[7] […] Der von mir erwähnten, auch heute noch üblichen wissenschaftlichen Einteilung liegt der Staatsgedanke eines im Abklingen befindlichen Zeitalters zugrunde und nicht der von mir bereits erwähnte rassenbezogene Volksbegriff [Stengel von Rutkowski, Lothar: „Was ist ein Volk? Der biologische Volksbegriff1, Verlag Kurt Stenger, Erfurt, 1940.].[350] Gehen wir vom rassenbezogenen Volksbegriff aus, dann erkennen wir, daß der Begriff „Bevölkerungspolitik“ letzten Endes für den Nationalsozialismus nicht mehr brauchbar ist. Wir erleben auch hier das gleiche wie auf vielen anderen Gebieten, nämlich, daß die Verwirklichung der Weltanschauung des Nationalsozialismus durch selbstgeschaffene Begriffe erfolgen muß. Bisher ist weder in der Wissenschaft noch bei den zuständigen Stellen von Staat und Partei eine Einigung darüber erzielt worden, wie am Zweckmäßigsten der Begriff „Bevölkerungspolitik“ durch einen dem Nationalsozialismus entsprechenden Begriff ersetzt werden kann. Ich selbst habe vor längerer Zeit einmal den Begriff „Volkspflege“ vorgeschlagen[Ruttke, Falk: „Rasse, Recht und Volk“[351]]. Dieser Begriff hat sich jedoch vorläufig noch nicht durchsetzen können. Ich vertrete aber die Ansicht, daß wir in den Aufbau des Archivs eintreten können, ohne daß wir bereits für „Bevölkerungspolitik“ den entsprechenden nationalsozialistischen Begriff festgelegt haben. Es genügt, daß wir uns darüber klar werden, daß Zusammengehörendes nicht auseinandergerissen werden darf und daß der Rassengedanke als Gedanke der Zucht unter eigener Verantwortung | S. 247 Richtlinie für alle unsere Arbeiten sein muß, d.h. daß wir einen nationalsozialistischen Arbeitsansatz finden müssen, der sich von dem der Vergangenheit unterscheidet. […]
(Ruttke 1940), S. 246 f.
Ich überspringe Ruttkes Präsentation seines Plans für das Archiv. Ich setze wieder ein mit Absatz 14. In ihm präsentiert Ruttke eine Neupräsentation von Hans Frank der Substanzwerte des akademischen Nationalsozialismus aus dem Jahr 1940. Zur Erinnerung zitiere ich vorab erneut aus dem Bericht der Frankfurter Zeitung vom 4. Mai 1934 über die Eröffnungsrede von Hans Frank:
Dr. Frank über Rechtsphilosophie.
Die Weimarer Tagung
[1] Weimar, 4. Mai. Bei der Gründung des Ausschusses für deutsches Rechtsphilosophie bei der Akademie für deutsches Recht knüpfte Reichsjustizminister Dr. Frank in einer großen Rede an Nietzsche an, den Künder jenes autoritären Empfindens, das unserem Volke durch den Weltkrieg hindurch bewahrt geblieben sei, und das damit diesem Volke gleichzeitig eine geistige Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt unter Adolf Hitler übertragen habe. Wir in unserem engen Kreis, so sagte Dr. Frank u.a. weiter, wollen die Sammlung der volksbetonten allgemeinen Soziallehre des Nationalsozialismus in der Form durchführen, daß wir die Begriffe Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus nach den Methoden bewährter Wissenschaftlichkeit und mit dem Ernst verantwortlicher Volksführer dem deutschen Recht als Unterlage vermitteln. Wir wollen uns nicht irgend welchen Dogmen sklavisch unterwerfen. Der Durchbruch der Rechtsphilosophie heißt daher: Feierlich Abschied nehmen von der Entwicklung einer Knechtsphilosophie im Dienste undeutscher Dogmen. Lebensrecht und nicht Formalrecht soll unser Ziel sein. Des weiteren soll unsere Rechtsphilosophie Volksprimat sein, ein Recht, aufgebaut auf Anschauungen des Volkes und nicht Recht eines vom Volk abgesplitterten Sonderstandes.
(Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934: Hans Frank; 1934)
Aus diesen neun Begriffen sind 1940 fünf Substanzwerte geworden:
[14] […] Da der Nationalsozialismus Wissenschaft nur um der Wissenschaft willen ablehnen muß, kann eine Sammlung allein nicht genügen. Es muß vielmehr eine Wertung der gesammelten Unterlagen erfolgen. Der Wertungsmaßstab kann nur vom Rassengedanken her gewonnen werden. Die von Reichsminister Dr. Frank herausgestellten 5 Substanzwerte unserer Rechtsordnung, nämlich: Rasse, Boden, Arbeit, Reich, Ehre, geben hierbei einen entscheidenden Anhaltspunkt, wobei zu berücksichtigen ist, daß der Substanzwert „Rasse“ an den Anfang gestellt worden ist [Zeitschrift „Gesetzgebung und Literatur“, Heft 7, Berlin, Oktober 1940, Generalgouverneur Dr. Frank, „Recht und Volk“, S. 117-120.][352]. Als Rechtswahrer müssen wir auf Begriffsklarheit besonderen Wert legen. Soll der Rassengedanke tief im Volksbewußtsein verankert werden, dann ist es notwendig, stets gleichbleibende Begriffe für gleiche Denkinhalte anzuwenden. Daher müssen die wichtigsten Begriffe aus dem Gebiet der Erb- und Rassenpflege ihrem Inhalt nach bekannt sein und auch bei ihrer Anwendung Begriffsklarheit durch verständliche, der Eigenart des deutschen Volkes angepaßte Sprachgestaltung vorherrschen lassen, die dem wirklichen Leben Rechnung trägt [Ruttke, Falk: „Rasse und Recht im Schrifttum“, Zeitschrift „Rasse“, Heft 5, 7. Jahrgang, 1940, S. 189, Verlag B.G. Teubner Leipzig und Berlin.].[353] Begriffsklarheit hat zur Voraussetzung: a) gleichbleibende Begriffe für gleiche Denkinhalte, b) artgemäße Begriffe in deutscher Sprache, c) keine Verwendung nationalsozialistischer Begriffe | S. 249 für fremde Einrichtungen, d) Kenntnis der Begriffe der Gegner des Nationalsozialismus als Kampfmittel.
(Ruttke 1940), S. 248 f.
Anscheinend sind die Begriffe des Staates, des Führers, der Autorität, der Wehr und des Reiches in den Substanzwerde des Reiches zusammengefasst worden. Rosenbergs Ehrbegriff ist zu einem Substanzwert geworden. Das ist aber nicht wirklich neu. Neu ist die „Adelung“ der Arbeit. Und die ersatzlose Streichung des Begriffs „Idealismus“. Da Erich Jung, der Nestor des Ausschusses, bereits vor 1900 bekennender »heroischer Realist« in der Tradition Thomas Carlyles war und Kants Idee der Republik als jüdisch zu diffamieren versuchte, ist das nicht überraschend.
Das, was Ruttke über das Projekt einer nationalsozialistischen Sprachrevolution des Deutschen skizziert, hätte im Erfolgsfall »die Deutschen« nicht nur »blutsmäßig«, sondern auch »kulturell« von ihren näheren und ferneren Nachbarn isoliert. Diese Isolation der großen Mehrheit »der Deutschen«, die auf das Niveau von »Hörigen« des Geistesadels herabgedrückt werden sollten, war selbstverständlich gewollt.
Wie ist Ruttkes Vortrag im Ausschuss für Bevölkerungspolitik der AfDR aufgenommen worden? Fritz van Calker, der Vorsitzende, lobte ihn:
Vorsitzender: Ich danke Ihnen, verehrter Herr Oberregierungsrat, recht herzlich für ihr schönes Referat.
(Schubert, Ausschüsse für Bevölkerungspolitik – Kolonialrecht – Rassenpolitik im RIM; 2001), S 250
Zurück zu den Kurzbiographien über die 12 Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie aus dem Jahre 1935. Es fehlt nur noch das jüngste Dauermitglied des Ausschusses: Hans Frank.
6.2.15. Hans Frank (1900-1946)
Hans Frank ist in beiden Nachschlagewerken vertreten, die auf Selbstauskünften beruhen. Dem Artikel im »Deutsche Führerlexikon 1934/25« ist folgendes Foto beigegeben:
Abbildung 36: Foto von Hans Frank aus »Das Deutschen Führerlexikon 1934/34«, S. 129
Frank,
Hans, Dr., Reichsjustizkommissar, Bayer. Staatsminister der Justiz,
Präsident der Akademie f. Deutsches Recht, Führer des Bundes Nat.-Soz. Deutscher Juristen,
München, 2 NO, Widenmayerstr. 34.
Geboren: 5. Mai 1900 in Karlsruhe; Vater Ölmüllerssohn aus alteingesessenem pfälzischem Geschlecht, Rechtsanwalt in München; Mutter aus alter bayerischer Gebirgsbauernfamilie. — Bildungsgang: Volksschule, Max-Gymnasium München; Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten München, Kiel, Wien; 1924 Dr. jur. Kiel. — Militärzeit: 25. Juni bis Dezember 1918 beim 1. Bayer. Inf.-Regt. König; April bis Oktober 1919 und Juni bis Oktober 1920 Freikorps Epp; Reichswehr, Reiter-Regt. 17. — Berufsgang u. a.: 1923 Referendar; 1924 Dr. jur.; 1927 Assessor; Mai 1927 Rechtsanwalt; November 1927 Mitglied des Lehrkörpers der Technischen Hochschule, Münchener juristisches Seminar; 1927 Mitglied der Reichsleitung der NSDAP als Leiter der Rechtsabteilung; seit 1930 Mitglied des Reichstages; März 1933 Bayer. Staatsminister der Justiz; April 1933 Reichsjustizkommissar. — Spezialarbeitsgebiet, Veröffentlichungen: Die gesamte deutsche Rechtsreform als Spezialarbeitsgebiet; zahlreiche Veröffentlichungen; Herausgeber der Zeitschrift „Deutsches Recht“.●
(Deutsches Führerlexikon 1934/35: Hans Frank, S. 129
Und hier der Artikel über Hans Frank in Degeners „Wer ist’s?“ (1935):
FRANK, Hans, Dr. jur., Rchsmin. o. Geschftsber., Rchsltr. d. NSDAP., Führ. d. BNSDJ, Präs. d. Ak. f. Dtsch. R., MdR. — * 23. V 00 Karlsruhe; altkath., ar. – V: Karl F., RA.[354] * 22. IV 69 Edenkoben, ev.; M. Magdalena Buchmeier * 12. VI 74 München. Vorf: Gr.-V. vs.: Johann Fr., Ölmüller Edenkoben; Grm.: Maria Becker, Bäckerstocht.; Gr.V. ms: Michael B., Bäcker; Grm.: Anna Maier, Bauerstocht. aus alt. bayr. Gebirgsbauernfam. – Verh: München 1. IV 25 m. Brigitte, T. d. Heinrich Herbst, Spinnmstr. u. Martha Langer. – K: Sigrod * 17. III 27; Normann * 3. VI 28; Brigitha Maria * 13. I 35. – Gymn. München; Krgst.; stud. R.- u. Volksw. Kiel, München, Wien; 23 Refer.; 24 Dr. jur.; 27 Ass.; 26 RA.; Nov. 27 M. d. Lehrk. d. TH. München; 27 Ref d RL d. NSDAP f. Rechtsfr.; 10. III 33 komm. bayr. Just.-Min.; 13. IV 33-XII 34 bayr. Staatsmin. d. Just.; 22. IV 33-XVV 34 Rchskomm. f. Gleichschaltg. d. Länd.; XII 34 Rchsmin. o. Geschftsber.; s. 14. XI 30 MdR.; XII 33 M. d. Ältestenr. d. R.-T. – W: Hrsg. d. Ztschr. „Dtsch. Recht“ u. d. „Jurist. Wochenschr.“; Verf. zhlr. rechts- u. wirtsch.-wiss. Schr. – Spez.; Dt. REchtsref. – Berlin W 9, Leipziger Platz 15.●
Degeners „Wer ist’s?“, Art. Ernst Heymann, 1935, S. 674 f.
Wie Erich Jung und Erich Rothacker teilt Hans Frank für Degeners „Wer ist’s?“ das Eingetretensein eines Konfessionswechsels mit. In seinem Fall war der Ausgangspunkt die „altkatholische“ Konfession. Altkatholiken definierten sich wesentlich durch Ablehnung des Unfehlbarkeitsdogmas.[355] Zielpunkt der Konversion Hans Franks war die »arische« Konfession.
Auffällig ist ferner, dass Hans Frank noch im »Deutschen Führer-Lexikon 1934/35« behauptet hat, er sei auch Mitglied des Münchener juristischen Seminars gewesen. Im späteren Artikel behauptet er das nicht mehr. Ich könnte mir vorstellen, dass sein Lehrer am Juristischen Seminar der LMU München, Wilhelm Kisch, diese Änderung angeregt hat.
Gerhard Schulz hatte 1961 in seinem Artikel über Hans Frank in der „Neuen Deutschen Biographie“ behauptet, Hans Frank habe 1927 eine „Assistentenstelle am juristischen Seminar der Technischen Hochschule München“ erhalten.[356] An der TH München war Fritz van Calker Professor. In einer Tagebuchnotiz hat Carl Schmitt behauptet, Hans Frank sei „Assistent“ Fritz van Calkers gewesen:
Freitag, 31.3.33
[…] Will nachher zu Calker1401 gehen. […] Beyerle lächelnd und selbstgefällig; er tat mir aber leid. Er ging mit mir zu Calker durch den Englischen Garten. Dort trafen wir Wenger1404, der zurückhaltend und kühl war. Scheußlich diese Münchener Professoren. Sehr freundlich mit Calker gesprochen, der mich gern hat. Der Rechtsanwalt Frank II1405 war Assistent bei ihm. […]
1401 Friedrich van Calker (1864-1957), Professor des Strafrechts und Prozeßrechts, 1896 Straßburg, 1921 München, Doktorvater und Förderer Schmitts.
1404 Leopold Wenger (1874-1953), Professor des Römischen Rechts.
1405 Hans Frank (1900-1946), Leiter der Rechtsabteilung der NSDAP 1930-1942, 1934 Reichsminister, Präsident der Akademie für Deutsches Recht 1933-1942, 1939-1945 Generalgouverneur Polen, 1946 in Nürnberg durch den Strang hingerichtet.
(Schmitt, Tagebücher 1930-1934; 2010), S. 276.
Als Postadresse gab Hans Frank für Degeners „Wer ist’s?“ 1935 die Postadresse der Berliner Zweigstelle der AfDR an, die inzwischen im – vermutlich arisierten – Mosse-Palais residierte. Auch daran kann man erkennen, dass die AfDR Aufgaben eines Ministeriums für den Reichsminister ohne Geschäftsbereich übernommen hatte.
6.2.16. Ergebnissicherung
1. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird im gesamten Lexikon der »Deutschen Führer 1934/35« nur ein einziges Mal erwähnt, und zwar in der Kurzbiographie von Emge über Emge. Emge teilt mit, dass er selbst stellvertretender Vorsitzender und Hans Frank Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie ist. Erich Jung, Ernst Heymann, Wilhelm Kisch, Matin Heidegger und Alfred Rosenberg haben es vorgezogen, ihre Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie über dieses Lexikon nicht bekannt zu geben. Von Viktor Bruns, Hans Freyer, Erich Rothacker, Carl Schmitt und Max Mikorey existieren keine Einträge im »Deutschen Führer-Lexikon 1934/35«.
2. Elf der zwölf Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie sind mit Kurzbiographien in Degeners „Wer ist’s?“ (1935) vertreten. Nur Martin Heidegger ist hier nicht vertreten. Keiner, der vertreten ist, erwähnt, dass er Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie war. Auch Emge nicht mehr. Der Redaktionsschluss für Degeners „Wer ist’s?“ lag wahrscheinlich später als der des »Deutschen Führer-Lexikon 1934/35«.
3. Das Lexikon der »Deutschen Führer 1934/35« besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil sind die Kurzbiographien abgedruckt. Im zweiten Teil werden die Organisationen vorgestellt, die durch die »Persönlichkeiten« des ersten Teils geführt wurden. Die Darstellung der Organisationen erfolgt in der Reihenfolge: Bewegung, Staat, Volk. Die AfDR wird als Organisation des Volkes vorgestellt. Die Ausschüsse von Wilhelm Kisch, Viktor Bruns und Carl Schmitt werden erwähnt. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird nicht erwähnt. Das spricht dafür, dass Teil II dieses Lexikons redaktionell später hergestellt worden ist als das »Nationalsozialistische Handbuch für Recht und Gesetzgebung«, in dem der Ausschuss für Rechtsphilosophie noch im Zuge der Vorstellung der AfDR genannt und charakterisiert wird (siehe 5.2. und 5.3.).
4. Das Exemplar des »Deutsche Führerlexikon 1934/35«, das im Besitz der Universitätsbibliothek Heidelberg ist, weist drei Bearbeitungsschichten auf. Eine Bearbeitungsschicht ist durch Überklebungen entstanden. Viele, aber nicht alle dieser Überklebungen verbergen die Namen von Mordopfern, die in der Abwehr des angeblichen »Röhm-Putsches« Ende Juni, Anfang Juli 1934 getötet wurden. Der Name Ernst Röhms ist auf diese Weise verborgen worden. Mit Blick auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie war auffällig, dass in einigen, aber nicht in allen Fällen auch der Name Walter Luetgebrunes verborgen worden ist.
5. Die Lebensdaten der Professoren unter den Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie erwecken bei nicht-spezialisierte Lesern den Eindruck, sie hätten es mit Koryphäen ihres Faches zu tun. Bestenfalls Spezialisten hätten erkennen können, dass die »Werke« vielleicht nur in Reihen und Verlagen erschienen sind, die einer alldeutschen oder zumindest deutschnationalen Subkultur angehörten.
6. Neben den bekannten Nazis Hans Frank und Alfred Rosenberg haben sich Erich Jung und Carl August Emge am deutlichsten als akademische Nationalsozialisten zu erkennen gegeben: Erich Jungs frühe Mitgliedschaft zum »Alldeutschen Verband«, sein Mitbegründen des »Deutschbundes und die Förderung der SS sind klare Bekenntnisse. Dass Emge mitteilt, er sei 1932/33 „Universitätskurator für die politische Umstellung in Jena“ gewesen, zeugt ebenfalls eindeutig von seinem »weltanschaulichen« Bekenntnis.
7. Erich Jung, Erich Rothacker und Hans Frank stellten sich in Degeners „Wer ist’s?“ (1935) als Gläubige der »arischen« Konfession vor. Jung und Rothacker gaben an, zuvor evangelisch, Frank zuvor „alt-katholisch“ gewesen zu sein. Dass Erich Rothacker sein Bekenntnis zur »arischen« Konfession durch dieses Nachschlagewerk öffentlich bekannt machte, war und ist ebenfalls eindeutig.
8. Dass Wilhelm Kisch im »Deutsche Führerlexikon 1934/35« seine arische Abstammung betonte, war und ist ebenfalls eindeutig. Wie es aussieht, meinten einige Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, dass »Ariertum« eine Religionsgemeinschaft sei, und ein Dauermitglied, dass es eine Rasse sei.
9. Martin Heidegger verwendet das Adjektiv »arisch« nicht. Aus seiner Darstellung seines ununterbrochenen Alemannentums folgt aber, dass er in die SS hätte aufgenommen werden können.
10. Carl Schmitts Nennung von Werktiteln für Degeners „Wer ist’s?“ erweckt den Eindruck, er sei vor 1933 ein Verteidiger der Weimarer Reichsverfassung gewesen. Die namentlich nicht genannten Herausgeber des »Deutsche Führerlexikon 1934/35« stellen die Trias von »Bewegung«, »Reich« und »Volk« in Teil II so dar, dass ihr Plädoyer fürs das Bewegungsprimat erkennbar ist. 1933 hatte Carl Schmitt für ein Staatsprimat plädiert. Hans Frank in seiner Eröffnungsrede zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie für ein Volksprimat. Ein »weltanschaulicher« Konflikt zwischen Alfred Rosenberg und Carl Schmitt mit Blick auf die Weimarer Zeit ist aktenkundig geworden. Ein Regest, das Heiber von einem Schriftstück einer Akte der Parteikanzlei vom Sommer 1934 erstellt hat, zeigt das. Im Herbst 1934 war man sich aber so einig geworden, dass kooperiert werden sollte, diese Kooperation aber nicht öffentlich erscheinen sollte. Ein weiteres Regest von Heiber belegt das. Ich habe anhand zweier Indizien die Hypothese eingeführt, dass Reinhard Höhn erfolgreich zwischen Carl Schmitt und Alfred Rosenberg nach dem 4. Mai 1934 vermittelt hat (6.1.2. Exkurs).
11. Dass Wilhelm Kisch seine Mitgliedschaft im „Versicherungsbeirat des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherung“ angegeben hat, habe ich zum Anlass für einen weiteren Exkurs (6.2.4.) genommen. In ihm habe ich aus Gerald D. Feldmans „Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft, 1933-1945“[357] Partien zitiert, in denen er die „schmutzigen Geschäfte“ darstellt, die Wilhelm Kisch und Wilhelm Arendts in Polen getätigt haben.
12. Da die Informationen zu Max Mikorey in den beiden Naschschlagewerken besonders gering ausfielen, habe ich aus der Dissertation von Andreas Michael Weidmann (2006) einen Lebenslauf vollständig zitiert, den Mikorey im Frühjahr 1941 im Rahmen seines Habilitationsgesuchs an der Medizinischen Fakultät der LMU verfasst und eingereicht hat. Drei Informationen aus diesem Lebenslauf habe ich erläutert: Mikorey arbeitete mit Edmund Mezger zusammen, Mikorey war Mitglied des „Rassenpolitisches Amtes der NSDAP“ und ab 1938 war er für der Erbgesundheitsobergericht München als Arzt tätig. Seine Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie erwähnte Mikorey auch im Lebenslauf nicht, obwohl er nachweislich Gründungsmitglied dieses Ausschusses gewesen ist und er angeblich die Habilitation mit Texten anstrebte, die auch Rechtsphilosophisches enthielten. Dass sich Mikorey das Handicap auferlegte, diesen wichtigen Kontakt zum Reichsminister Hans Frank und zu bedeutenden Akademikern des Dritten Reichs dem Dekan gegenüber nicht mitzuteilen, kann am besten so erklärt werden, dass bezüglich der Existenz und der Mitgliedschaft des Ausschusses für Rechtsphilosophie eine Verschwiegenheitspflicht bestand, die Mikorey erfüllte.
13. In seinem Lebenslauf vom Frühjahr 1941 hat Mikorey u.a. behauptet, er habe im November 1937 einen Vortrag im Ausschuss für Bevölkerungspolitik der AfDR gehalten. Im Rahmen eines weiteren Exkurses (6.2.13.) habe ich diese Auskunft Mikoreys zunächst bestätigt. Da Mikorey in diesem Vortrag den Bedarf für eine nationalsozialistische Metaphysik der (Un-)Sterblichkeit begründete, die zur rechtsphilosophischen Grundlegung der Rassengesetzgebung von 1935 nötig sei, habe ich die entsprechenden Partien aus diesem Vortrag zitiert und kommentiert. Diese Partien des Vortrags von Mikorey aus dem Jahr 1937 sind ein Arbeitsergebnis des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
14. Da in demselben Band, in dem Werner Schubert den Vortrag von Max Mikorey für den Ausschuss für Bevölkerungspolitik der AfDR ediert hat, ein weiterer Vortrag abgedruckt ist, in dem ebenfalls eindeutig auf die Arbeiten im Ausschuss für Rechtsphilosophie Bezug genommen wird, habe ich in einem weiteren Exkurs (6.2.14) diesen Vortrag von Falk Ruttke vom 21. November 1940 auszugsweise zitiert und kommentiert. Ruttke plädiert für einen rechtsphilosophischen Epochenwechsel: Die Rechtsphilosophie Rudolf Stammlers sei untauglich, die Rechtsphilosophien von Hans Frank („Alles, was dem Volke nützt, ist Recht und alles, was ihm schadet, ist Unrecht.“) und Carl August Emge hingegen seien tauglich für die Rassenlehre und Rassenpolitik des Nationalsozialismus.
7. Die AfDR und der Ausschuss für Rechtsphilosophie im ersten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht
Das erste Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht erschien irgendwann im Sommer 1934 und berichtete auf 264 Seiten rückblickend über die Tätigkeiten der AfDR vom Sommer 1933 bis zum Ende Mai 1934. Damit lag der Redaktionsschluss des ersten Jahrbuchs sehr wahrscheinlich vor dem sog. »Röhm-Putsch«
7.1. Hindenburgs Grußwort an die AfDR – angeblich vom 26. Juni 1934
Das erste Jahrbuch der AfDR beginnt mit einem Grußwort des Reichspräsidenten Hindenburg zum ersten Jahrestag der AfDR am 26. Juni 1934. Das Grußwort ist so verfasst, das es suggeriert, es sei selbst am Jahrestag verfasst worden.
Abbildung 37: Grußwort Hindenburgs im ersten JAfDR 1934, S. 3
Paul von Hindenburg (1847-1934) starb am 2. August 1934. Im Juni 1934 war er nach Ostpreußen gereist. Am 21. Juni habe Hitler ihn dort besucht. Am 1. August 1934 hatte das Kabinett Hitlers ein Gesetz beschlossen, nach dem die beiden Ämter des Reichspräsidenten und Reichskanzler in einer Person vereinigt werden sollten, sobald Hindenburg gestorben sei. Dieses Gesetz trat am 2. August 1934 in Kraft.[358]
7.2. Hans Franks Vorwort: Der BNSDJ und die AfDR vor dem sog. »Röhm-Putsch«
Das Vorwort des ersten Jahrbuchs der AfDR vom Präsidenten der Akademie, Hans Frank, verfasst worden. In ihm stellt er die Entstehungsgeschichte und das Ziel der AfDR dar. Ich zitiere das Vorwort vollständig wegen der auffälligen Unterschiede in Inhalt und Ton zur Darstellung desselben Sachverhalts in dem Text Im Angesicht des Galgens, der erstmalig 1953 veröffentlich worden ist.
Vorwort
[1] Der Nationalsozialismus betrachtet seit seinem Bestehen die Schaffung eines deutscher Art entsprechenden Volksrechtes unter Ausscheidung fremdblütiger Einflüsse und Anschauungen als wesentliche Aufgabe. Durch das Vertrauen des Führers zur Erneuerung der Rechtsordnung im Deutschen Reich berufen, habe ich zur Verwirklichung dieser gewaltigen Aufgabe die Akademie für Deutsches Recht ins Leben gerufen. Die Aufgabe der Akademie für Deutsches Recht soll sein, die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger und dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechts und der Wirtschaft zu verwirklichen.
(H. Frank, Vorwort (zum ersten JAfDR) 1934), S. 5
Auf Punkt 19 des Parteiprogramms der NSDAP vom Februar 1920 und auf § 2 der Satzung der AfDR habe ich bereits mehrfach hingewiesen.
Im folgenden Absatz nennt Hans Frank die Eckdaten der Gründungsgeschichte der AfDR:
[2] Durch bayerisches Gesetz vom 22. September 1933 erhielt die Akademie für deutsches Recht die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen. Auf dem Deutschen Juristentag am 2. Oktober 1933 erfolgte die feierliche Proklamation der Akademie für Deutsches Recht in der Aula der Universität Leipzig.
(H. Frank, Vorwort (zum ersten JAfDR) 1934), S. 5
In den nächsten beiden Absätzen präsentiert Hans Frank eine Deutung seines »Volksprimats«, das er bereits in seiner Rede zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie vertreten hatte. Spätestens hier wird deutlich, dass die »weltanschauliche« Spannbreite zwischen den konkurrierenden Vorschlägen eines »Bewegungsprimats« (Rosenberg), eines »Staatsprimats« (Carl Schmitt) und eines »Volksprimats« nicht erheblich waren. In Hans Franks »Weltbild« wird der »Volkswille« adäquat repräsentiert im BNSDJ und in dessen Elite, der AfDR.
[3] Mit diesen organisatorischen Maßnahmen wurde eine großartige, schöpferische Epoche in der deutschen Justiz und im Rechtsleben aller Völker eingeleitet. Einzigartig deshalb, weil Deutschland über die größte Juristenorganisation der Welt, den Bund Nationalsozialistischer Juristen, verfügt. Umstürzend in der Arbeitsweise, die sich von der Rechtsschöpfung liberalistischer Zielsetzung grundlegend unterscheidet. Denn kaum auf einem anderen Lebensgebiete haben sich die parlamentarischen Methoden des Parteienstaates verhängnisvoller ausgewirkt als auf dem Gebiete der Rechtsschöpfung und Rechtssetzung. Hier war im verflossenen Staate der Tummelplatz anonymer, der Verantwortung entzogener wirtschaftlicher und politischer Machtgruppen. Die verfassungsmäßige verankerte Forderung, daß die Staatsgewalt vom Volke ausgehe und daß daher die Gesetze Ausdruck des Rechtswollens des Volkes seien, war zur reinen Fiktion herabgesunken.
[4] Die Akademie für Deutsches Recht hat demgegenüber dafür Sorge getragen, daß die Rechtserneuerung Angelegenheit des gesamten unter Adolf Hitler geeinten deutschen Volkes geworden ist. Ihre Arbeit geht ausschließlich von dem Großgedanken des Reiches aus. Sie kennt keine Vertreter und keine Sonderbelange der Länder. Mit den Problemen der Rechtserneuerung befassen sich nicht nur Juristen und Wissenschaftler, sondern Vertreter aus allen Berufsständen und ‑schichten des deutschen Volkes wurden zur Mitarbeit aufgerufen. Diese arbeiten unabhängig von parlamentarischen Methoden, frei von Kompromissen und Sonderinteressen, unbeeinflusst durch Parteien, einzig und allein mit der Blickrichtung auf das Gemeinwohl des Volkes.
(H. Frank, Vorwort (zum ersten JAfDR) 1934), S. 5
Im nächsten Absatz bestätigt Hans Frank ausdrücklich meine Interpretation seiner Idee der Relation zwischen »Volk«, »Partei« und »Staat« und macht klar, dass seine »Verfassungsidee« bloß ein Mittel zu einem Zweck ist. Der Zweck ist das »völkische Erneuerungswerk«. Die Triebfedern zur Erreichung dieses »Nomos« seien einerseits „fanatische Liebe“, anderseits „unerbittlicher Haß“:
[5] Durch die maßgebende Beteiligung von Vertretern des Partei- und Staatswollens ist die denkbar engste Verbindung zum völkischen Erneuerungswerk Adolf Hitlers sichergestellt. Der Kämpfergeist der Partei, die fanatische Liebe zum Volke wird ebenso wie der unerbittliche Haß und der Vernichtungswille gegen alles Volksschädliche in den Arbeiten der Akademie ihren Ausdruck finden.
(H. Frank, Vorwort (zum ersten JAfDR) 1934), S. 6
In den letzten Absätzen wird deutlich, dass Hans Frank auch auf diesem relativen Höhepunkt der von ihm geführten Verwirklichungsorgane des nationalsozialistischen Programms nicht der Meinung war, die AfDR solle selbst der Gesetzgeber des NS-Staates werden.
[6] Das nachfolgende Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht soll von dem heißen Bemühen, in sachlicher, geistig durchdrungener und verantwortungsbewußter Arbeit dem deutschen Volke ein bluterfülltes, volksnahes Recht zu schaffen, Zeugnis geben.
[7] In der kurzen Zeit ihres Bestehens hat die Akademie für Deutsches Recht auf beinahe allen wichtigen Rechtsgebieten eine Fülle wertvoller Anregungen und Beiträge für die Verwirklichung des nationalsozialistischen Rechtswollens geliefert.
[8] Möge das beglückende Bewußtsein, am großen Erneuerungswerk des Führers Adolf Hitlers erfolgreich mitarbeiten zu dürfen, die Mitglieder der Akademie für Deutsches Recht auch weiterhin zu äußerster Kraftanstrengung entflammen und aufgehen lassen in der großen Idee:Alles für Deutschland, alles für das deutsche Volk!●
(H. Frank, Vorwort (zum ersten JAfDR) 1934), S. 6
Gemäß dieser Darstellung war die AfDR ein anti-liberaler, anti-parlamentarischer und anti-föderaler Repräsentant des Volkswillens vor dem Führer und trug so zur Verwirklichung seines Willen einer völkischen Erneuerung „unter Ausscheidung fremdblütiger Einflüsse und Anschauungen“ bei. Ihr „Stil“ war der Stil der „fanatischem Liebe zum Volk“ und des bis zum „Vernichtungswillen“ gesteigerten „unerbittlichen Hasses“ gegen alles „Volksschädliche“. Das erste Jahrbuch „zeuge“ vom „heißen“ Bemühen dem deutschen Volk ein „bluterfülltes“ Recht zu geben.
7.3. Bericht über die Gründung der Akademie am 26. Juni 1934
Direkt nach Franks Vorwort ist ein Text mit der Überschrift „Die Gründung am 26. Juni 1933“ ohne Angabe eines Verfassernamens abgedruckt. Ich zitiere:
[1] Auf Einladung des Reichsjustizkommissars, Herrn Staatsminister Dr. Frank, versammelten sich am 26. Juni 1933 im Bayer. Justizministerium die Herren:
Generaldirektor Kommerzienrat Arendts,
Bankier August von Finck,
Reichsgeschäftsführer des Bundes nationalsozialistischer Deutscher Juristen, Dr. Wilhelm Heuber,
Geheimrat Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Kisch,
Geheimrat Kißkalt, Generaldirektor der Münchner Rückversicherungsgesellschaft,
Dr. Lasch
Geheimrat Professor Dr. von Zwiedineck-Südenhorst.
(Die Gründung am 26. Juni 1933 [der AfDR] 1934), S. 7
Abbildung 38: „Die Gründung der AfDR am 26. Juni 1933“, 1. JAfDR, S. 7
Die Herren Wilhelm Kisch, Wilhelm Arendts und Wilhelm Kißkalt (1873-1958) sind schon mehrfach namentlich erwähnt worden und auch von mir vorgestellt worden. Dass der Bankier August von Fink (1898-1980) ein Bewunderer Hitlers gewesen ist, der nach 1933 die »Arisierung« von Unternehmen in »fremdblütigem« Eigentum betrieb, ist bekannt.
Ich vermute, dass Hans Frank und Wilhelm Heuber (1898-1957) entweder als Münchener Schüler, als bayerische Soldaten oder als Münchener Studenten vor 1923 bereits befreundet waren.[359] Dieter Schenk berichtet, dass Heuber 1932 für die Kanzlei Hans Franks tätig war. Nach 1939 war Heuber Bevollmächtigter des Generalgouverneurs in Berlin:
Die Kanzlei [Hans Franks in München; mw] litt unter notorischem Geldmangel, wie so mancher Bettelbrief an Rudolf Heß im Hitler-Sekretariat beweist.180 In einem Fall schrieb Frank am 17. Juni 1930: »Ich muss leider auf Einzahlung des Vorschusses bestehen, da gegenwärtig bei uns in der Kasse infolge der vielen Parteiprozesse, bei denen das Geld nur schwer herbeizuschaffen ist, vollständige Ebbe herrscht.«181
1932 standen die Anwälte Dr. Wilhelm Heuber (300 RM monatlich) und Dr. Josef Bühler (500 RM monatlich) auf der Gehaltsliste der Kanzlei.182 Heuber wurde später Reichsgeschäftsführer des NS-Rechtswahrerbundes und Bevollmächtigter des Generalgouverneurs in Berlin. Bühler erkor Frank zu seinem engsten Mitarbeiter, indem er ihn als Leiter seines Berliner Ministerialbüros und als seinen Regierungschef und Stellvertreter in Krakau einsetzte.
(Schenk 2006), S. 74
Professor Otto von Zwiedineck-Südenhorst war 1921 Nachfolger von Max Weber an der LMU München geworden. Vermutlich hat Hans Frank nicht nur bei Wilhelm Kisch, sondern auch bei Zwiedineck-Südenhorst zeitweise studiert.[360] Dieter Schenk (2006) erwähnt Zwiedineck-Südenhorst nicht. Martyn Housden erwähnt ihn einmal, weil er am 26. Juni 1933 anwesend war.[361]
Zurück zum anonymen Bericht des ersten JAfDR über die Gründung der AfDR im Juni 1933:
[2] Reichsjustizkommissar Dr. Frank führte folgendes aus:
[3] Es besteht ein dringendes staatspolitisches Bedürfnis für eine Organisation, welche die Erneuerung des Deutschen Rechts im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung nach den Grundsätzen strenger wissenschaftlicher Methode vorzubereiten berufen ist. Ich habe mich daher entschlossen, eine Akademie für Deutsches Recht ins Leben zu rufen, deren Aufgaben im wesentlichsten die folgenden sein sollen:
[4] In erster Linie wird die Akademie für deutsches Recht dazu berufen sein, ohne Eingriff in die gesetzgeberischen Zuständigkeiten der Reichs- und Landesministerien Anregungen zu Gesetzesänderungen, Begutachtungen von Gesetzesentwürfen sowie kritische Stellungnahmen zu wichtigen öffentlichen Maßnahmen vorzubereiten, welche das Leben des Rechts und der Wirtschaft berühren.
[5] Eine weitere wichtige Aufgabe der Akademie für Deutsches Recht wird es sein, eine Reform der Ausbildung der jungen Juristen und Volkswirtschaftler in die Wege zu leiten, unter dem Gesichtspunkt der Annäherung rechtlicher und wirtschaftlicher Durchbildung, vor allem aber mit dem Zielpunkt der Erziehung charaktervoller, verantwortungsfreudiger und sachlich gründlich durchgebildeter Persönlichkeiten. […]
(Die Gründung am 26. Juni 1933 [der AfDR] 1934), S. 7
Soweit nichts Neues. Im nächsten Absatz wird eine konkrete Aufgabe der AfDR genannt, auf die ich noch nicht eingegangen bin. Das „Nationalsozialistische Handbuch für Recht und Gesetzgebung“, das ich in Abschnitt 5 vorgestellt habe, ist ein Beispiel für die Erfüllung dieser Aufgabe der AfDR:
[6] Die Akademie für Deutsches Recht wird es ferner als ihre Aufgabe zu betrachten haben, größere wissenschaftliche Unternehmungen, welche bestimmt und geeignet sind, die Grundgedanken des Nationalsozialismus auf wissenschaftliche Grundlage zu erforschen und zu vertiefen, tunlichst zu unterstützen, teils durch materielle Hilfe, teils und namentlich durch zweckmäßige Organisation und Verteilung der einzelnen Aufgaben auf die hierzu jeweils bestgeeigneten Kräfte. Diesem Zwecke werden vornehmlichst Schriftenreihen dienen. Ferner aber die Herausgabe von Quellen des deutschen Rechts, schließlich auch die Schaffung neuer oder Unterstützung vorhandener wissenschaftlicher Zeitschriften.
[7] Nicht minder bedeutsam erscheint mir die Aufgabe, mit gleichgerichteten wissenschaftlichen Organisationen des Auslands in Beziehung zu treten, […][8] Soll die Akademie für deutsches Recht diese wichtigen und vielseitigen Aufgaben erfüllen, so muß sie in möglichst geeigneter Weise personell zusammengesetzt werden. In erster Linie müssen in ihr Vertreter der staatlichen Stellen und staatstragenden Bewegung vertreten sein. Weiterhin gehören in ihren Kreis angesehene Vertreter der Reichs-[362] und der Staatswissenschaft. Ferner erscheint es unbedingt erforderlich, daß Vertreter der einzelnen Zweige der praktischen Justiz und Verwaltung, insbesondere Richter, Rechtsanwälte, Notare und Verwaltungsbeamte herangezogen werden. Nicht minder wichtig ist es, den Vertretern der bedeutendsten Zweige der Wirtschaft eine Mitwirkung im Kreise der Akademie für Deutsches Recht zu ermöglichen und deren praktische Lebenserfahrung in den Dienst der Rechtsgestaltung zu stellen. […][9] Die Zahl der Mitglieder solle eine beschränkte sein, damit die Zugehörigkeit zur Akademie als Ehrung und Auszeichnung sowohl von Beteiligten als auch von Außenstehenden empfunden werden.
[10] Die nähere Organisation wird den Gegenstand künftiger Beratungen zu bilden haben. Schon heute kann ein Doppeltes festgestellt werden:
- Die Akademie für Deutsches Recht muß auf dem Führerprinzip beruhen. Nur ihr Leiter ist dazu berufen, in ihrem Namen maßgebliche Äußerungen kundzutun,
- werden für die wichtigsten Zweige des Rechts und der Wirtschaft besondere Ausschüsse zu bilden sein, deren Vorsitzende in voller Selbst- | S. 9 ständigkeit, dafür aber mit voller persönlicher Verantwortung die Arbeiten des Ausschusses zu leiten haben werden.
[11] Die Spitze der Akademie wird zweckmäßigerweise in Personalunion mit derjenigen der Rechtsfront zu stehen haben, wie denn auch erwartet wird, daß zwischen der Rechtsfront einerseits, namentlich dem Bunde nationalsozialistischer Deutscher Juristen, und der Akademie für Deutsches Recht andererseits ein vertrauensvolles Verhältnis der Zusammenarbeit sich entwickeln werde.
(Die Gründung am 26. Juni 1933 [der AfDR] 1934), S. 8
Soweit die Rede Hans Franks über die AfDR.
Am Ende des Berichts über die Gründung der AfDR wird zunächst exemplarisch die gewünschte Relation zwischen Führer und Gefolgschaft vorgeführt: Die Gefolgschaft schloss sich ihrem Führer „rückhaltlos“ an:
[12] Ich darf die anwesenden Herren, für deren Erscheinen ich bestens danke, nunmehr bitten, zu den eben entwickelten Plänen ihre Meinung zu äußern.
[13] Nachdem die Anwesenden sich sämtlich rückhaltlos den Ausführungen des Reichsjustizkommissars, Herrn Minister Dr. Frank, angeschlossen hatten, wurden sie dazu aufgefordert, je aus ihrem Berufskreis eine bestimmte Anzahl von Persönlichkeiten demnächst zu benennen. Außerdem wurde Dr. Lasch ersucht, den organisatorischen Teil der Gründung zu übernehmen und in Aussicht gestellt, zwecks Besprechung der Satzungen eine Zusammenkunft im September zu veranstalten.
[14] Herr Staatsminister Dr. stellte fest, daß hiermit die Akademie für Deutsches Recht konstituiert sei und daß als deren Gründungstag mithin künftig der 26. Juni 1933 zu gelten habe.
[15] Herr Staatsminister Dr. Frank schloß die Besprechung mit dem besten Danke an die Erschienenen und mit der Bitte, den Plan der Akademie für Deutsches Recht mit allen Kräften zu unterstützen und auch dem entstandenen Gebilde weiterhin ihre Kräfte zur Verfügung zu stellen.●
(Die Gründung am 26. Juni 1933 [der AfDR] 1934), S. 8
Bemerkenswert ist ferner die Spannung zwischen der Auskunft in Absatz 12, dass erst im September 1933 eine Besprechung über die Satzungen anvisiert worden sei, und der Datumsangabe der ersten Satzung der AfDR, so wie sie im ersten JAfDR veröffentlicht worden ist:
Abbildung 39: Datumsangabe der ersten Satzung der AfDR (Erstes JAfDR 1934, S. 251)
Glaubhafter ist die Auskunft über den September 1934, da tatsächlich erst am 22. September 1933 das erste Gesetz über die AFDR erging:
Am 22. September 1933 erging ein bayerisches Gesetz, dessen einziger Artikel der Akademie den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verlieh.
https://portal.ehri-project.eu/units/de-002429-r_61
Wie unter Akademikern noch heute üblich wird der Satzungstext, der wahrscheinlich im September 1934 verfasst worden ist, schlicht rückdatiert worden sein. Insgesamt betrachtet halte ich es für deutlich wahrscheinlicher, dass die AfDR nicht im Juni 1933, sondern erst im September 1933 gegründet worden ist.
7.4. Hans Franks „Proklamation“ der AfDR (2.10.1933): Die AfDR sei auch eine Wahrerin der »deutschen Rassenseele«, die ein „ewiger Gott“ erschaffen habe
Am 2. Oktober 1933 hat Hans Frank in der Aula der Universität Leipzig die AfDR durch Vollzug des Sprechaktes der „Proklamation“ für eröffnet erklärt. Das erste Jahrbuch der AfDR gibt diesen Sprechakt im Rahmen der Wiedergabe seines Vortrags wieder. Der Proklamationsakt war Teil des Leipziger Juristentages des BNSDJ, der vom 30. September bis zum 3. Oktober 1933 andauerte.[363]
Außer der Rede von Hans Frank vom 2. Oktober 1933 gibt das erste JAfDR zwei weitere Reden wieder, die ebenfalls im Rahmenprogramm der „Proklamation“ gegeben worden sind. Beide Redner waren auch bei der „Gründung“ der AfDR am 26. Juni 1933 anwesend. Die beiden Redner des Rahmenprogramms waren Wilhelm Kisch (S. 12-17) und „Geheimrat Dr. von Zwiedineck“ (S. 17-24).
Ich beschränke mich darauf, das Ende der Rede Hans Franks zu zitieren und zu kommentieren. Der Großteil seiner Rede ist eine Darstellung eines Kampfes, der angeblich von Deutschen gegen das Eindringen des Römischen Rechts von ca. 1600 bis 1900 geführt worden sei. Dieser Teil ist interessant, um die Ghostwriter dieser Rede identifizieren zu können. Dafür muss ich Teil II aber erst die Ursprünge des akademischen Nationalsozialismus darstellen. Wer das nicht abwarten möchte, lese selbst Heinrich Brunners „Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte“, die in späteren Auflagen durch Ernst Heymann, einem der zwölf Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, herausgegeben worden sind.[364]
[27] Heute geht in der nationalsozialistischen Revolution der Kampf gegen das Eindringen fremden Geistes mit unerhörter Willenskraft weiter. Wir glauben an die nordische Vergangenheit als eine Zukunftsmöglichkeit und führen nunmehr den Kampf nicht auf der Rechtsebene gegen das fremde Recht, sondern führen ihn in den gesamten Geistesbereichen durch die Hereinholung des Begriffs der Rasse. Deutsches Recht wird in Zukunft Rassenrecht sein. Die Akademie für Deutsches Recht hat die Aufgabe, dieses Recht der deutschen Rasse mit allem Nachdruck in jeder Form weiterhin zu verwirklichen.
Kraft der mir vom Führer der NSDAP. erteilten Vollmacht proklamiere ich hiermit feierlich die Akademie für Deutsches Recht als eröffnet.
(H. Frank, Proklamationsrede der AfDR (2.10.1933); 1934), S. 32
Im nächsten Absatz wird deutlicher als in vielen anderen Reden, die unter dem Autornamen „Hans Frank“ veröffentlicht worden sind, was man unter einem »ewigen (deutschen) Gott« oder einem »Deutschglauben« oder einer »arischen Konfession« zu verstehen hatte. Auch wird erkennbar, dass die AfDR nicht nur ein »Ersatz«-Parlament, sondern auch eine »Ersatz«-Kirche sein sollte. Vielleicht hat Emge auch deswegen den neunten Unterausschuss des Ausschusses für Rechtsphilosophie konzipiert, der sich mit den „Grundlagen des konfessionellen Rechts“ beschäftigen sollte (siehe 4.8.) und für den Rudolf Buttmann in den Ausschuss für Rechtsphilosophie nachberufen wurde (siehe 5.2.).
[28] Mögen die Zeiten ihre Entwicklung fördern, möge der deutsche Geist in ihr die Heimstätte einer steten Sammlung, Nahrung und Förderung finden. Möge der Geist unserer Führers, sein Heldensinn, seine Reinheit, seine Tiefe in dieser Akademie walten und möge das deutsche Volk überzeugt sein, daß diese Akademie für Deutsches Recht ein heiliges Gut zu wahren hat: Das Gut der deutschen Rechtsseele, des deutschen Rechtsempfinden und der deutschen Rechtswirklichkeit. Das walte Gott, der Ewige, der unser deutsches Volk schuf, nicht damit es im Materialismus versinke, sich in Zwietracht selbst vernichte, sondern der uns in unserem Führer den Glauben an die Stärke in uns zurückgab. Gottes Segen möge dieses Werk in fernste Zeiten geleiten. Wenn uns einmal die Fahne des Kampfes und das deutsche Recht in uns und in der Welt entfallen sollte [so im Original; mw], mögen dann immer wieder gleich ernste, gleich leidenschaftliche Diener der deutschen Treue ihr erstehen.
(H. Frank, Proklamationsrede der AfDR (2.10.1933); 1934), S. 32
Im nächsten Absatz präsentiert Hans Frank seine Wissenschaftphilosophie einer voraussetzungsbedingten Rechtswissenschaft. Walter Luetgebrune wird am 5. Mai 1934 etwas ausführlicher dasselbe tun (siehe 7.9.4.).
[29] Wir stehen damit, nachdem wir rückschauend einige Züge des Kampfes gegen das fremde Recht vor unseren geistigen Augen haben vorüberziehen lassen, am Beginn der Epoche, die nunmehr das Deutschschein dem Recht voranstellt, und diese Deutschcharakterlichkeit des Rechts als wesentlichen Umstand des Rechts bezeichnet.
[30] Und wenn heute in der Welt gesagt wird, wie seien einsam, dann, Volksgenossen, seien wir stolz darauf, daß wir den ewigen Geist unseres Volkes, seine ewigen Gesetze höher stellen als den Tag, als uns selbst. Das ist das Gleichnis der Größe des Deutschtums. Und wie alles Große und Starke in der Welt einsam ist, so mögen auch wir in dieser Stärke einsam sein. Aber einsam ist ja auch der starke, ewige Gott.
[31] Über die Gräber der Gefallenen unseres Volkes, der Gefallenen unserer Bewegung hinweg, über die Millionen Verkümmerter und Verelendeter, über die Opfer der Volksfremdheit hinweg grüßen wir den Führer. Unserem Führer, dem ewigen deutschen Volk und dem ewigen deutschen Glauben ein dreifaches Sieg-Heil!“●
(H. Frank, Proklamationsrede der AfDR (2.10.1933); 1934), S. 32
7.5. Die erste Vollsitzung der AfDR mit anschließender Arbeitstagung vom 5. November 1933
Das nächste Ereignis, über das im ersten JAfDR berichtet wird, ist die „1. Vollsitzung“ der AfDR, die am 5. November 1933 im Rathaus zu Berlin stattgefunden habe. Zu Beginn sprach Hans Frank. Den ersten Vortrag hielt Viktor Bruns.
7.5.1. Viktor Bruns Vortrag „Deutschlands Gleichberechtigung als Rechtsproblem“
In der Berichterstattung über die erste Vollsitzung wird neben Hans Franks Eröffnungsrede nur der Vortrag von Viktor Bruns wiedergegeben. Sehr wahrscheinlich war er tatsächlich der Hauptvortrag der Vollsitzung. Der Titel seines Vortrags lautete „Deutschlands Gleichberechtigung als Rechtsproblem“. Der nähere zeitgeschichtliche Kontext ist durch den Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund am 19. Oktober 1933 bestimmt. Ich zitiere hier das Ende des Vortrages von Viktor Bruns:
Darum ist Gleichheit das Gerechtigkeitsprinzip der Völkergemeinschaft, darum verneint der die Rechtsgemeinschaft der Völker, der die Gleichberechtigung verweigert.
Die Gemeinschaftsordnung verbürgt dem Einzelstaat Unabhängigkeit seiner Existent und Lebensraum.
„Der Bund europäischer Nationen muß auf der absoluten Souveränität und der vollkommen politischen Unabhängigkeit gegründet sein“, erklärt Briand in seinem Memorandum über die Organisation einer europäischen Bündnisordnung.[365]
Unabhängig ist aber nur der Staat, der die Mittel besitzt, sich zu verteidigen. Darum ist der Besitz der Waffen Voraussetzung der Mitgliedschaft und Mitgliedschaftsrecht in dieser Gemeinschaftsordnung.
Als der amerikanische Botschafter am 23. Juni 1928 dem deutschen Außenminister den Entwurf des Weltfriedensvertrages, des Kellogpaktes, übersandte, erklärte er im Auftrage seiner Regierung, daß in dem Entwurf des Vertrages nichts enthalten sei, was irgendwie das Recht der Selbstverteidigung beeinträchtige oder beschränke.
„Es handelt sich dabei um ein natürliches Recht jedes souveränen Staates, das bei jedem Vertrag als selbstverständlich anzusehen ist.“
Diesen Grundsatz bestätigten die anderen Regierungen, voran die Englands und Frankreichs. So hat der Abschluß eines Vertrages, dem fast alle Staaten der Welt beitraten, von neuem die feierliche Anerkennung von Selbstverteidigungs- und Waffenrecht gebracht.
Es bleibt eine letzte Betrachtung.
Die Gemeinschaftsverfassung der Staaten überläßt die Herstellung der Ordnung der freiwilligen Einigung. Sie beschränkt sich darauf, das Zugesagte zu sanktionieren, um die Parteien vor der Gemeinschaft an das gegebene Wort zu binden.
Es ist die Schwäche dieser Völkerordnung, daß sie das Grundgebot der Gerechtigkeit nur als allgemeinen Grundsatz kennt und nicht selbst für seine Durchführung im einzelnen zu sorgen vermag.
Der ungerechte Vertrag ist Verkörperung der Macht und nicht Verwirklichung des Rechts. Deutschland wurde im Widerspruch mit dem Novembervertrag[366] in Versailles gezwungen, zunächst allein abzurüsten. Indem die Gegner die im Novembervertrag, im Versailler Vertrag und in der Völkerbundssatzung feierlich übernommene Verpflichtung, auch ihrerseits in derselben Weise abzurüsten, durch 14 Jahre zu erfüllen sich weigern, verletzten sie diese Verträge da, wo sogar diese Verträge den Grundsatz der Gerechtigkeit, die Gleichberechtigung anerkennen.
Das deutsche Volk, das gegen diesen Bruch des Rechts und der Verträge │ S. 50 kämpft, kämpft für das Recht und hat darum die Macht des Rechts auf seiner Seite. Es wird in der Verwirklichung der Gerechtigkeit seine Freiheit finden.●
(Bruns, Deutschlands Gleichberechtigung als Rechtsproblem; 1934) , S. 49 f.
Ich zitiere auch die Berichterstattung im ersten JAfDR über die Reaktion Hans Franks und der AfDR auf den Vortrag von Viktor Bruns, damit meine Leser einen Eindruck davon bekommen, wie sich die AfDR den deutschen und internationalen Lesern des Jahrbuchs vorstellen wollte:
Die von Prof. Bruns aufgestellten Rechtsthesen werden von der Akademie einstimmig gebilligt. Nach dem Dank des Reichsjustizkommissars Dr. Hans Frank beschloß die Versammlung die Absendung nachstehender Entschließung an den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler:
„Die in der Akademie für Deutsches Recht versammelten Vertreter des deutsche Rechts und der deutschen Wissenschaft stehen einmütig und geschlossen zu dem Führer und geloben treueste Gefolgschaft in dem schweren, aber herrlichen Kampf um das Recht Deutschlands, die Gleichberechtigung des deutschen Volkes und den Rechtsfrieden der Welt.“
Darauf schloß Dr. Hans Frank die 1. Vollsitzung der Akademie für deutsches Recht mit einem dreifachen Sieg-Heil auf den Schirmherrn der Akademie für Deutsches Recht, Reichspräsident von Hindenburg, und den Führer, Reichskanzler Adolf Hitler.
Nach einer Mittagspause traten die Mitglieder der Akademie um 3 Uhr am gleichen Orte zur
Arbeitstagung
der Akademie für Deutsches Recht zusammen.
Erstes JAfDR, S. 50
Die Arbeitstagung der AfDR vom 5. November 1933 eröffnete Wilhelm Kisch mit einem Vortrag. Viktor Bruns und Wilhelm Kisch gehörten zu den führenden Persönlichkeiten der AfDR.
7.5.2 Kischs Darstellung der Verfasstheit der Ausschüsse der AfDR
Im November 1933 waren bereits einige Ausschüsse innerhalb der AfDR gegründet worden. Über die Umsetzung des Führerprinzips in den einzelnen Ausschüssen berichtete der angebliche Zeuge der Gründung der AfDR am 26. Juni 1933 durch Hans Frank folgendes:
Nach einer Mittagspause traten die Mitglieder der Akademie um 3 Uhr am gleichen Orte zur
Arbeitstagung
der Akademie für Deutsches Recht zusammen.
Im Namen des dienstlich verhinderten Führers der Akademie, Reichsjustizkommissar und Staatsminister Dr. Frank, eröffnet Prof. Kisch die Sitzung.
Geheimrat Prof. Dr. Kisch:
[1] Meine Herren! Der Führer der Akademie hat mich ersucht, den verehrten Mitgliedern einige grundsätzliche Ausführungen über die Aufgaben und die Arbeitsart der gebildeten Ausschüsse zu unterbreiten.
[2] An die Spitze ist der Grundsatz zu stellen, daß die Vorsitzenden für die Arbeit ihrer Ausschüsse die Verantwortung tragen, dafür auf der anderen Seite volle Selbständigkeit bezüglich des Planes und der Gegenstände ihrer Beratungen genießen. Unser Führer bringt uns das Vertrauen entgegen, daß wir bestrebt sein werden, mit dem ganzen Einsatz unserer Persönlichkeit die großen Ziele der Akademie zu fördern, und er überläßt es uns, nach bestem Wissen die hierfür geeigneten Wege zu bestimmen. Wie für die Akademie im ganzen, so soll auch innerhalb der einzelnen Ausschüsse das Führerprinzip insofern zur Geltung kommen, als förmliche Abstimmungen nach der Methode der parlamentarischen Ausschüsse nicht stattfinden, daß die Meinungsäußerungen der Mitglieder lediglich beratenden Bedeutung haben, daß aber die Entscheidung letztlich in der Hand des Vorsitzenden liegen soll.
Erstes JAfDR, S. 50
Das „aber“ im letzten Nebensatz ist deplatziert, da es keinen sachlichen Kontrast zwischen der alleinigen und letztlichen Entscheidungsbefugnis eines Führers eines Ausschusses und der „lediglich beratenden Bedeutung“ der Ausschussmitglieder gibt.
Im nächsten Absatz bestimmt Wilhelm Kisch die Aufgaben eines Führers eines Ausschusses erfreulich genau:
[3] Seine Sache ist es ferner, vorbehaltlich der Genehmigung des Führers der Akademie, Zahl und Person der zu berufenden Mitarbeiter festzusetzen. Seine Sache ferner, Zahl und Tagesordnung der Sitzungen zu bestimmen. Er hat darüber zu entscheiden, ob er den Verhandlungen seines Ausschusses einen bestimmten Gesetzesentwurf zugrunde legen will oder nicht. Seinem pflicht- | S. 51 mäßigen Ermessen ist es ferner überlassen, ob er zunächst die großen Grundgedanken des von ihm betreuten Rechtsgebietes festlegen oder sogleich an die einzelnen Anwendungen derselben herantreten will. Des weiteren unterliegt das Endziel der Ausschußarbeit insofern seiner Methode, als er darüber befindet, ob er durch Vermittelung des Führers der Akademie den gesetzgebenden Stellen allgemeine Richtlinien oder ausgearbeitete Gesetzesentwürfe unterbreiten lassen will.
Erstes JAfDR, S. 50 f.
Da Wilhelm Kisch diese Regelungen zu den Ausschüssen der AfDR angeblich bereits im November 1933 getroffen hat, darf man annehmen, dass z.B. die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie persönlich von Hans Frank ausgewählt worden sind, dass er alleine die Entscheidungen traf, dass die Mitglieder nur beratend tätig waren, dass geplant war, den gesetzgebenden Stellen der Reichsregierung entweder allgemeine Richtlinien oder ausgearbeitete Gesetzesentwürfe zu unterbreiten.
Es folgen neun weitere Absätze mit Auskünften von Wilhelm Kisch, die eher nichtssagend sind. Man solle weder zu schnell noch zu langsam arbeiten (Absatz 6), bei der „Zusammensetzung der Ausschüsse“ solle man auf die „richtige Mischung“ achten (Absatz 7), es solle ständige Fühlung mit dem BNSDJ (Absatz 8) und den Ministerien (Absatz 9) gehalten werden, die Ausschüsse sollten zusammenarbeiten, wenn die Sache das erfordere (Absatz 10). Zur Veranschaulichung berichtet Kisch dann über den Ausschuss für bürgerliche Rechtspflege, dessen Führer er war (Absätze 11+12). Kisch schließt so:
[13] So wollen wir mit frischem Mut und froher Hoffnung an die Arbeit gehen, voll guten Willens, zu unserem Teile mitzuwirken an der großen und schönen Aufgabe der Erneuerung des deutschen Rechts im Sinne der unserem Volke geschenkten neuen Weltanschauung.
Erstes JAfDR, S. 53
Wilhelm Kisch war davon überzeugt, dass der Nestor des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Erich Jung, dieses »Geschenk« hergestellt hat (siehe meinen Unterabschnitt 3.5.8.). Ich stimme ihm zu und zeige das in Teil II.
Im Anschluss an den Eröffnungsvortrag von Wilhelm Kisch über die Verfassung der Ausschüsse der AfDR berichteten mehrere Ausschussführer aus ihren Ausschüssen. Zuerst berichtete Professor Justus W. Hedemann (1878-1963) über seinen Ausschuss für bürgerliches Recht (S. 53-55). Danach berichtete Professor Hans Wüstendörfer (1875-1951) über seinen Ausschuss für Seerecht (S. 56-63).
Über den nächsten Bericht eines Ausschussführers informiere ich etwas ausführlicher, da dieser Führer Carl Schmitt gewesen ist.
Den letzten Vortrag in der Arbeitstagung hielt Staatsrat Universitätsprofessor Dr. Carl Schmitt über
Die Neugestaltung des öffentlichen Rechts.
Erstes JAfDR, S. 53
7.5.3 Carl Schmitts Vortrag „Die Neugestaltung des öffentlichen Rechts“
Carl Schmitt beginnt seinen Vortrag mit einer Deutung der Trias von »Staat«, »Bewegung« und »Volk«. Sie ist zitierwürdig, da Carl Schmitt zugleich sein Hauptmotiv, akademischer Nationalsozialist zu sein, verrät: In der durch den Nationalsozialismus zur „vergangenen Weltanschauung“ gemachten Zeit, habe nämlich »das juristische Denken« nur eine dienende und nebensächliche Rolle gespielt.
Diese Einschätzung Schmitts ist sachlich genau richtig, da in Kants Rechtsphilosophie das Parlament der Gesetzgeber und das Parlament Repräsentant der Bevölkerung ist. Carl Schmitt begehrt hingegen aus Eitelkeit und aus Herrschsucht, eine Restitution »des juristischen Denkens« in der Rolle des Herrn. Er wird das auf den Höhepunkt »des sich verwirklichenden Vernichtungswillens« des Dritten Reichs 1943 öffentlich wiederholen. Darauf werde ich in Teil IV näher eingehen.
Hier nun Carl Schmitts Mitteilung über seine Triebfeder, ein akademischer Nationalsozialist zu sein:
[1] „Es steht für uns fest,“ so führte Professor Carl Schmitt aus, „daß bei der Betrachtung des öffentlichen Rechts auszugehen ist von der großen Dreigliederung Staat, Bewegung, Volk. Wir wollen keine normativistischen Fassaden, sondern konkrete Ordnungen der Wirklichkeit von Staat, Bewegung und Volk schaffen. Der Normativismus der vergangenen Weltanschauung, der im juristischen Denken nur eine dienende nebensächliche Rolle spielen darf aber sich zum alleinigen Herrn des geistig wissenschaftlichen Denkens uns insbesondere des juristischen Denkens aufgeworfen hat, ist durch die große unvergleichliche Tat der nationalsozialistischen Bewegung überwunden.
(Schmitt, Die Neugestaltung des öffentlichen Rechts; 1934), S. 63
Der Satzbaufehler steht so im Original. Die Aussageabsicht ist trotzdem erkennbar: Die Liberalismus hat »das juristische Denken« zum Knecht gemacht. Der Nationalsozialismus habe den Liberalismus überwunden. Nun ist »das juristische Denken« wieder der Herr. Wer Zeit hat, lese mit diesen Schmittschen Einsetzungsinstanzen für die Rollen des Herrn und des Knechts Hegels Kapitel über „Herr und Knecht“ in der Phänomenologie des Geistes (1807).
Das Lieblingsverb der akademischen Nationalsozialisten ist „überwinden“, am liebsten in der Variante, dass die Tat schon vollbracht und das Tatziel bereits erreicht ist: „x ist überwunden“. Alltagssprachlich werden Krankheiten „überwunden“.
Das ganze System von Antithesen – Leib und Seele, Geist und Materie, Recht und Politik, Recht und Wirtschaft, Recht und Moral – muß der einheitlichen Synthese einer aus dem Gesichtspunkt der Ganzheit des Volkes betrachtenden rechtschöpferischen Gestaltung Platz machen. Vor allem wird sich das Staatsrecht des Nationalsozialismus zu hüten haben vor übernommenen Begriffen der liberalen Staatsepoche und vor dem Versuch, mit Hilfe dieser angeblich allgemein gültigen juristischen Begriffe und Vorstellungen rechtliche Tatsächlichkeiten wieder heraufzubeschwören, die dem Geiste des neuen Staates entgegengesetzt sind.
(Schmitt, Die Neugestaltung des öffentlichen Rechts; 1934), S. 63
Im nächsten Absatz wendet sich Carl Schmitt der AfDR zu. Als Mitglied des Führerrats der AfDR und als Experte für Öffentliches Recht war das eines seiner Spezialgebiete. Im November 1933 war die AfDR ja bereits eine Körperschaft öffentlichen Rechts und sollte Beratungsorgan der „gesetzgebenden Stellen“ sein. Als eine Überwinderin des liberalistischen Parlamentarismus sollte – so Schmitts eigener Normativismus – die AfDR eine öffentlich-rechtliche Verkörperung des Endes der Dienerschaft des „juristischen Denkens“ sein.
[2] Was nun die speziellen Aufgaben der Akademie für Deutsches Recht betrifft, so liegt es ihr nicht ob, unmittelbar politische Entscheidungen zu treffen, namentlich in Ansehung der künftigen Reichsreform. Diese Grundfragen der Reichsgestaltung, insbesondere des Schicksals der einzelnen Länder, können nur von der allein maßgebenden politischen Führung getroffen werden; wohl aber wird die Akademie für Deutsches Recht ihr Mitwirkung zur Verfügung stellen, wenn über einzelne Fragen des politischen Lebens und seiner rechtlichen Gestaltung ihre gutachtliche Meinung seitens der Staatsleitung ausdrücklich gewünscht wird.
(Schmitt, Die Neugestaltung des öffentlichen Rechts; 1934), S. 63
„Ausdrücklich gewünscht“? Durch diese Wortwahl teilt Carl Schmitt mit, wie er sich das Machtverhältnis denkt zwischen den Experten des »juristischen Denkens« und den politischen Führern, die auf das Rechtsmedium als Mittel der politischen »Gestaltung« – gemeint Herrschaft – angewiesen seien: Der politische Führer darf sich vom Juristen der AfDR eine gutachtliche Meinungen wünschen. Wer etwas von einem anderen wünschen darf, ist nicht in einer Position, das Erwünschte zu erzwingen. Es gibt keine Weisungsbefugnis der außer-akademischen politischen Führer gegen die akademisch-verfassten Juristen. Und da die Entscheidungsbefugnis vollumfänglich und ausschließlich bei den politischen Führern liegt, kann der akademisch-verfasste Jurist dafür argumentieren, dass er in keinem Fall von Dritten für Schäden in Anspruch genommen wird, die durch die Entscheidungen der politischen Führung für Dritte bewirkt worden sind.
Nach dieser grundsätzlichen Auskunft über die Aufgabe der AfDR als ganzer skizziert Carl Schmitt in den nächsten Absätzen die Aufgaben der AfDR auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts. Es sei zu untergliedern in das Gebiet des Staats- und Verwaltungsrechts einerseits und das Gebiet des Völkerrechts andererseits. Da Carl Schmitt und Viktor Bruns Vorsitzende dieser Ausschüsse der AfDR wurden und beide Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren, ist das interessant:
[3] In erster Linie werden unsere Aufgaben sachlich-wissenschaftlicher Art sein müssen. Hierbei wird es zunächst nötig sein, das riesenhafte Gebiet des Staats- und Verwaltungsrechts aufzuteilen in eine Reihe von enger begrenzten Gegenständen, deren jeder die volle Arbeitskraft eines Ausschusses beanspruchen wird.
[4] Das große Gebiet des öffentlichen Rechts wird zweckmäßig in die Sachgruppen Staats- und Verwaltungsrecht sowie Völkerrecht aufzuteilen sein. Während für das Völkerrecht eine weitere Unterteilung nicht erforderlich erscheint, werden für das Staats- und Verwaltungsrecht mehrere Untergruppen geschaffen werden müssen.
(Schmitt, Die Neugestaltung des öffentlichen Rechts; 1934), S. 64
Kant hatte das Gebiet des öffentlichen Rechts in drei Teile untergliedert: In die Lehre vom Staat, die Lehre vom Völkerrecht und die Lehre vom Weltbürgerrecht. Letzteres ist ein Menschenrecht, das im Konfliktfall jeden einzelnen Menschen als solchen gegen den Staat, in dem man geboren ist, und gegen völkerrechtliche Verbünde von Staaten schützt. Es ist das Recht jedes einzelnen Menschen, weggehen, woanders ankommen und dort zeitweise als Gast bleiben zu dürfen. Dass Carl Schmitt auf Kants Weltbürgerrecht verzichtet, ist nicht überraschend.
In den nächsten beiden Absätzen nennt Carl Schmitt zwei Themen, mit denen sich sein Großausschuss für Staats- und Verwaltungsrecht befassen werde. Die Regelung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit wird auch im Bericht von Karl Lasch über die AfDR und ihre Ausschüsse (siehe 5.3.) erwähnt. Dass sich Carl Schmitt mit der „ständischen Gliederung“ des Dritten Reichs befasst hat, wird dort nicht erwähnt:
[5] Ein besonders wichtiges Problem wird namentlich dasjenige der ständischen Gliederung bilden, für welches die wissenschaftlichen Grundlagen nur durch eine Klarstellung des Begriffs des Standes und zugleich durch eine tiefergreifende Erfassung des Begriffs der öffentlichen Körperschaft zu gewinnen sein wird.
[6] Ebenso wird die Frage der Verwaltungsgerichtsbarkeit einer grundsätzlich neuen Betrachtung zu unterziehen sein. Eine scharfe Trennung der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit auf der einen, der Verwaltungs- und Staatsgerichtsbarkeit auf der anderen Seite muß als eine unausbleibliche Notwendigkeit bezeichnet werden. ES darf künftig nicht möglich sein, politische Fragen von höchster Bedeutung aus Anlaß von Zivil- oder Strafrechtsprozessen durch hierzu völlig ungeeignete Stellen entscheiden zu lassen.“●
(Schmitt, Die Neugestaltung des öffentlichen Rechts; 1934), S. 64
Soweit Carl Schmitt. Der Bericht über die Arbeitstagung der AfDR, die im Anschluss an die erste Vollsitzung der AfDR am 5. November 1933 abgehalten wurde, endet ohne Auslassung so:
Geh. Rat Prof. Kisch dankte dem Redner für seine richtunggebenden Ausführungen und schloß die 1. Arbeitstagung der Akademie für Deutsches Recht mit einem dreifachen Sieg-Heil auf den Führer Reichskanzler Adolf Hitler.●
Erstes JAfDR, S. 64
Wilhelm Kisch, Carl Schmitt und Hans Frank waren nicht nur über den Ausschuss für Rechtsphilosophie miteinander verbunden. Sie waren es auch als Mitglieder des »Führerrats der AfDR«, die öffentlich darlegten, was die AfDR sein sollte. Sie waren die »Normativisten« der AfDR.
7.6. Sitzung der Ausschussvorsitzenden am 6. Dezember 1933: Die AfDR nach innen und außen
Als nächstes wird im ersten Jahrbuch der AfDR über eine „Sitzung der Ausschussvorsitzenden vom 6. Dezember 1933 im Hotel Fürstenhof zu Berlin“ berichtet. Sie fand am 6. Dezember 1933 statt. Auf ihr wurden diverse interne Organisationsfragen der Akademie und ihrer Ausschüsse, aber auch ihre Außenbeziehungen zum Staat und zur Partei besprochen.
Die Sitzung wurde durch eine Rede Hans Franks eröffnet, in der er zunächst mitteilte, dass in Anwesenheit des Reichsjustizministers Dr. h. c. Gürtner und des Preußischen Justizministers Hanns Kerrl „heute hier“ die Akademie für deutsches Recht „ihre endgültige Konstituierung erfahren“ habe. Geheimrat Dr. Kisch sei der Stellvertreter des Führers der AfDR. Die Akademie habe ferner einen:
[3] […] außerordentliche(n) Führerrat, der die eigentlichen Arbeiten leitet, überwacht und garantiert, wird unter dem Vorsitz von Herrn Minister Kerrl stehen. Den stellvertretenden Vorsitz wird Herr Staatssekretär Dr. Freisler übernehmen. Ich nehme an, daß er uns diese Ehre schenken wird. Weiter wird dem Führerrat angehören: Stabschef Ernst Röhm, Dr. Wilhelm Heuber, Dr. Luetgebrune, Staatsrat Schmitt, Generaldirektor Arendts (München). Als geschäftsführenden Direktor der Akademie wurde von mir bestellt Herr Dr. Lasch in München.
Hans Franks Eröffnungsrede am 6. Dezember 1933, S. 65
Unter dem Führerrat wurden zu diesem Zeitpunkt fünf Abteilungen gebildet, denen die Ausschüsse unter- und zugeordnet waren:
[4] Die Ausschüsse selbst sind wieder in große Gruppen zusammengefaßt. Die Abteilungsleiter, denen unmittelbar die einzelnen Ausschüsse unterstehen, sind: […][5] Die Zusammenstellung obliegt dem Führerrat bzw. dem Führer der Akademie. Die einzelnen Ausschüsse werden konstituiert werden.
Hans Franks Eröffnungsrede am 6. Dezember 1933, S. 65
Am 6. Dezember 1933 war demnach noch kein Ausschuss der AfDR „konstituiert“ worden. In der Auslassung meines letzten Zitats nennt Hans Frank folgende Abteilungen mit ihren Leitern:
- Geheimrat Kisch war der Abteilungsleiter für Bürgerliches Recht
- Staatssekretär Roland Freisler war der Abteilungsleiter für Strafrecht
- Regierungspräsident Dr. Helmut Nicolai war der Abteilungsleiter für das gesamte öffentliche Recht
- „Chefsyndikus Dr. Buchner (München)“[367] war der Abteilungsleiter für das gesamte Wirtschaftsrecht
- Minister Dr. Johannes Popitz war der Abteilungsleiter für die Fragen der Ausbildungs- und Studienreform[368]
Ich habe auch die Statusbestimmungen der Abteilungsleiter mit angegeben, da so deutlich wird, dass die große Mehrheit der Abteilungsleiter der AfDR primär als Staatsvertreter vorgestellt wurden. Dass Helmut Nicolai und nicht Carl Schmitt Leiter Abteilung für Öffentliches Recht war, ist bemerkenswert.
Hatte Carl Schmitt am 5. November 1933 den Führern NS-Staat erlaubt, Akademiemitglieder um Gutachten zu bitten, korrigiert Hans Frank diese Relationsbestimmung zwischen NS-Staat und Akademie durch die Auskunft, die Akademie dürfe den NS-Staat bitten, „zu Gesetzesvorlagen stets Stellung nehmen zu dürfen“:
[7] Die Akademie soll eine wertvolle Ergänzung der Arbeit des Staates auf dem Gebiete der Rechtserneuerung sein; sie wird ihre Aufgabe in engster Verbindung mit den Regierungsstellen und Behörden zu erfüllen suchen. Dabei wird sie sich niemals in staatliche Zusammenhänge und bürokratische Notwendigkeiten einmischen, sondern gewillt sein, ihr Ziel in Anwendung bewährter rein wissenschaftlicher Methoden zu erreichen. Jede Äußerung einer tiefer fundierten Meinung wird von uns akzeptiert. Der Staat entscheidet autoritär, was Gesetz wird, die Akademie aber bittet, zu Gesetzesvorlagen stets Stellung nehmen zu dürfen. Es ersteht also dem staatlichen Reformwerk durch die Akademie keine Konkurrenz, sondern ein wertvoller Mitarbeiter.
Hans Franks Eröffnungsrede am 6. Dezember 1933, S. 66
Die Restitution »des juristischen Denkens« zum Herrn, die Carl Schmitt ersehnte, musste demnach noch warten. Vielleicht bestand aber auch nur ein Dissens zwischen Carl Schmitt und Hans Frank, was man öffentlich bekannt geben wollte. Zu Zeiten der Feudalmonarchien, die »weltanschaulich« in Deutschland von Kant und Hegel »überwunden« worden waren, gehörte es ja auch nicht zur öffentlichen »Heils- und Reichslehre«, dass das »juristische Denken« herrschte.
Im Weiteren verkündete Hans Frank über die innere Organisation der Ausschüsse folgendes:
[8] Was die Organisation der Ausschüsse anbetrifft, so herrscht hier striktes Führerprinzip. Der Vorsitzende hat den Ausschuß so zusammenzustellen, daß er arbeiten kann. Er ist nicht nur der primus inter pares, sondern soll der Führer des Reformwerkes auf seinem Teilgebiet sein – wovon ich im übrigen bei der Qualität der gewählten Vorsitzenden überzeugt bin. In Zweifelsfällen hat der Ausschußvorsitzende letztlich die Entscheidung.
Im nächsten Absatz teilt Hans Frank mit, dass es eine Berichtspflicht der Führer der Ausschüssen gegenüber dem Führer der AfDR gab.
[9] Von den Programmen der Ausschüsse muss der Führer der Akademie stets unterrichtet werden. Es liegt ihm fern, dem einzelnen Ausschuß ein bestimmtes Programm aufoktroyieren zu wollen; denn ich halte es für notwendig, daß die Ausschußvorsitzenden eine gewisse autoritäre Stelle sind, weil sie die Verantwortung tragen. Es soll daher den Vorsitzenden überlassen bleiben, was sie an das Ziel ihrer Arbeit setzen – etwa einen ausgearbeiteten Gesetzesentwurf, Formulierungsvorschläge oder eine Denkschrift – und ebenso, wie sie dieses Ziel erreichen wollen. Ist der Vorsitzende sich darüber klar geworden, dann soll er durch den Geschäftsführer der Akademie [Lasch; mw] den Führer [Hans Frank; mw] sowie dessen engste Mitarbeiter, vor allem also den Vorsitzenden des Führerrates [Hans Kerrl; mw] sowie den Herrn Reichsjustizminister Gürtner zu den Ausschusstagungen rechtzeitig einladen, damit diese Herren an den Besprechungen über fachliche und methodische Fragen teilnehmen können.
Hans Franks Eröffnungsrede am 6. Dezember 1933, S. 66
Diese Einladungsregel ist wichtig. An allen wichtigen Ausschusssitzungen der AfDR sollten grundsätzlich Karl Lasch, Hans Frank, der Vorsitzenden des außerordentlichen Führerrats der AfDR und der Reichsjustizminister Franz Gürtner teilnehmen. Mittelfristig wurde aus dem „Vorsitzenden des außerordentlichen Führerrats der AfDR“ wahrscheinlich der stellvertretende Präsident der AfDR. Bis in den Oktober 1937 war das Wilhelm Kisch. Danach für einige Jahre Carl August Emge.
Vor allem möchte ich nochmals darauf hinweisen, daß die Ausschüsse bei der Reichs- und der Preußischen Landesjustiz stets stärkste Unterstützung durch Bereitstellung des amtlichen Materials finden werden und ich möchte Ihnen dringend empfehlen, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, in den Ausschußsitzungen die Referenten des Reichsjustizministerium zu hören. Auf diese Weise läßt sich eine Brücke zwischen Akademie und Regierung schlagen, unter Wahrung des autoritären Prinzips und im Interesse der Vermeidung von Doppelarbeit. Der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen wird ebenfalls die Arbeiten der Akademie mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln unterstützen.
Hans Franks Eröffnungsrede am 6. Dezember 1933, S. 66
Nicht nur weil der Reichsjustizminister Gürtner anwesend war als Hans Frank in dieser Weise das Verhältnis zwischen NS-Akademie und NS-Regierung charakterisierte, darf man annehmen, dass seine Charakterisierung die Zustimmung der NS-Regierung im Reich und in Preußen fand. Man darf das vor allem, weil der Reichsjustizminister Gürtner ausdrücklich im Anschluss an die Ausführungen Hans Franks selbst das Wort ergriff und u.a. bestätigte:
Reichsjustizminister Dr. Gürtner:
[1] […] Nach den diesbezüglichen Ausführungen des Führers [der Akademie Hans Frank; mw] kann der Arbeitsplan der Akademie getrost als Garantie dafür betrachtet werden, daß er das Problem der Erzielung des höchsten Nutzeffektes aufs glücklichste löst und daß von dem Wert der Akademie auch die Reichsregierung selbst und letzten Endes das deutsche Volk den größten Vorteil haben wird. Die Akademie für Deutsches Recht kann vielleicht die stärkste Quelle fruchtbarer Reformarbeit sein, Lebensbedingung ist jedoch, daß sie KEINE BEHÖRDE ist, sondern eine FREIE INSTITUTION, der man keine Schablone für die Methode und das Tempo ihrer Arbeit vorschreibt.●
Erstes JAfDR, S. 67
Wäre die Akademie zu einer Behörde gemacht worden, wären ihre Mitglieder wie die Mitglieder der Ministerien weisungsgebunden geworden. Jedenfalls war das, so lange man noch in den Begriffen des liberalistischen Zeitalters – gegen seinen Willen – dachte. Es wäre im Detail zu prüfen, wie in den Folgejahren die Innen- und Außenverhältnisse von Regierung, Ministerien, Parteistellen und AfDR verändert worden sind.
Durch Nachfragen der Anwesenden wurden noch folgende Organisationsfragen geklärt:
1. Die Mitgliederzahl in Ausschüsse solle 10 bis 15 nicht überschreiten (S. 68)
2. Auf Nachfrage bot sich Reichsjustizminister Gürtner persönlich als Kontaktmann zum Reichskabinett an (S. 68).
Nachdem Hans Frank im Dezember 1934 selbst Reichsminister geworden war, war diese Hilfsleistung Gürtners nicht mehr nötig.
3. Die Finanzmittel der Ausschüsse seien vom Vorsitzenden bei Dr. Lasch zu beantragen. Relevante Ausgaben seien die Reisespesen der Ausschussmitglieder und das Gehalt ihrer Assistenten (S. 68).
Ich wüsste sehr gerne, wer ggf. die Assistenten der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren.
4. Tagungsort der Ausschüsse solle der Sitz des Vorsitzenden (S. 68) oder die räumliche Mitte der Ausschussmitglieder (S. 69) sein.
Sollte diese pragmatische Bestimmung der Tagungsorte der Ausschusssitzungen praktiziert worden sein, wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie nach Kriegsbeginn in Krakau oder in Berlin getagt haben. In Krakau, weil Hans Franks Amtssitz als Generalgouverneur seit dem November 1939 Krakau gewesen ist. In Berlin, weil Hans Frank bis Kriegsende Reichsminister blieb und dort Sitzungen des Ministerrats stattfanden. Ferner waren ja immerhin fünf Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie nach dem 17. Juni 1941 in Berlin wohnhaft.
In der Aussprache nach Hans Franks Rede äußerten sich neben Franz Gürtner u.a. auch Walter Luetgebrune[369] und Helmut Nicolai. Ich zitiere deren Wortbeiträge, da beide zu den achtzehn Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehörten:
Justizrat Dr. Luetgebrune:
Diese Tagung hat sich mit den Grundsätzen der Arbeit befassen müssen. Ich möchte nochmal betonen, daß die Akademie nicht in Konkurrenz treten soll zur Arbeit des Reichsjustizministeriums und daß an die Spitze des Programms der Akademie ausdrücklich gestellt worden ist, daß, wenn ein Ausschuß Daseinsberechtigung haben wollen, er dann die metaphysische Untermauerung der Rechtserneuerung vorzunehmen habe.●
Erstes JAfDR, S. 70
Die Aufgabe, eine neue »Metaphysik für das Deutsche Recht« zu bauen, war also keine Aufgabe des Reichsjustizministeriums. Es war aber eine Aufgabe der AfDR. Ein Metaphysiker im Führerrat der AfDR war RA Dr. Walter Luetgebrune. Helmut Nicolai war der Rassist:
Regierungspräsident Dr. Nicolai:
Herr Geheimrat Kisch hat schon darauf hingewiesen, welche ungeheuren Aufgaben es zu lösen gilt. Um ihnen gewachsen zu sein, brauchen die Unterabteilungen die Freiheit, die notwendig ist zu selbständiger Arbeit. Dabei ist gerade für meine Abteilung enge Zusammenarbeit mit den Ministerien von großer Wichtigkeit.
Auf dem Gebiete des Staatsrechtes, des Verwaltungs-, Polizei-, Beamtenrechtes ist augenblicklich noch alles in Fluß und hat in Fluß zu sein; die wissenschaftliche Durchdringung dieser Gebiete steckt noch in den Kinderschuhen. Der Einbau der Partei in den Staat ist hier das Problem. Fragen wie Reichsreform, Vereinheitlichung der Verwaltung und des Verwaltungsrechtes sind akut. Dabei werden Anregungen aus der Rechtsgeschichte zweckmäßig über- │ S. 71 nommen. Die neue Geschichtsauffassung steht unter dem Blickpunkt der Rasse. Dafür ist die römische Rechtsgeschichte ein lehrreiches Beispiel. Die Aufgabe der Akademie ist es, zu untersuchen, was ist deutsch und was ist fremd in unserem Recht. Dann erst kann man fragen, was ist zu beseitigen aus dem bestehenden Recht und wie ist es zu ersetzen. Hier ist eine Menge von Problemen gegeben. Ich glaube, daß man am besten zu einer fruchtbaren Arbeit kommt, wenn man zu monatlichen Zusammenkünften zusammenruft, auf denen man sich darüber aussprechen soll, was aktuell ist und wo gearbeitet werden muß. Die Preisausschreiben, durch welche weite Kreise für die brennenden Fragen interessiert werden, halte ich für eine vorzügliche Einrichtung und wertvolle Hilfe für die Tätigkeit der Akademie.●
Erstes JAfDR, S. 70 f.
Zitierwürdig ist vielleicht noch der Redebeitrag von Gerhard Ludwig Binz (1895–1963), dem Vorsitzenden des Ausschusses für Wehrrecht. Dass Binz Hans Frank als Präsidenten der AfDR anspricht, spricht stark dafür, dass zumindest dieser Redebeitrag nicht am 5. Dezember 1933 gegeben worden ist, sondern dass er erst im Sommer 1934 in das erste JAfDR hinein redigiert worden ist. Dazu passt vielleicht auch, dass Binz bereits so spricht, als sei sein Ausschuss bereits konstituiert. Im Dezember 1933 ist das anscheinend aber noch für keinen Ausschuss der Fall gewesen. Ein weiterer Hinweis in dieselbe Richtung könnte Binz Bemerkung sein, dass die SA-Gerichtsbarkeit neu gestaltet werden müsse.
Oberführer Binz:
Meine Herren, ich glaube, wir dürfen dem Herrn Präsidenten dankbar sein, daß er dem Wehrrecht im Rahmen der Arbeiten der Akademie Raum gewährt hat. Die Ausgestaltung des Wehrrechtes, das nicht identisch ist mit der bisherigen Militärgesetzgebung, wird eine der wichtigsten Aufgaben sein. Vielleicht ist der Begriff des Wehrrechtes ein neuartiger. In dem einen Sinne ist er enger, in einem anderen Sinn ist er wieder weiter zu fassen. Es wird gerade für den Nationalsozialismus von größter Bedeutung sein, daß es ihm gelingt, auf diesem Gebiete Einfluß zu gewinnen.
Ich darf kurz die Aufgaben meines Ausschusses umschreiben. Ich glaube, daß die Schaffung des Wehrrechtes die vordringlichste Aufgabe sein wird. In zweiter Linie wird dann die Neugestaltung der SA.-Gerichtsbarkeit in Frage kommen. In dritter Linie ist es eine Aufgabe des Ausschusses, sich mit der Gesetzgebung über die Versorgung der Kriegsopfer zu befassen.
Es wird schwer sein, zu diesen Fragen Bestimmtes vorzuschlagen, bevor eine Klärung über das endgültige Wehrsystem, das Deutschland haben wird, erfolgt ist; doch kann der Ausschuß darangehen, vorbereitende Arbeiten zu leisten und notwendige Postulate aufzustellen. Wenn es dem Ausschuß gelingt, das gesamte Wehrrecht zu erfassen und die einzelnen Teile in harmonischen Einklang zu bringen, dann wird er seine Aufgabe erfüllt haben.●
Erstes JAfDR, S. 71
Falls ich nichts überlesen habe, ist in der Berichterstattung des ersten Jahrbuchs der AfDR über die Tätigkeiten der AfDR des Jahres 1933 nicht ein einziges Mal der Ausschuss für Rechtsphilosophie erwähnt worden. Das ist nicht auffällig. Er ist ja erst Anfang Mai 1934 konstituiert worden. Und nur weil Walter Luetgebrune die „Daseinsberechtigung“ von Ausschüssen der AfDR von einer „metaphysischen Untermauerung“ angeblich am 6. Dezember 1933 abhängig machte, muss ein Leser nicht umgehend annehmen, dass es am 6. Dezember einen Ausschuss für metaphysische Anfangsgründe der nationalsozialistischen Rechtserneuerung gegeben haben müsse. Ein Leser wäre aber nicht allzu überrascht, wenn er in der Berichterstattung des ersten JAfDR für das erste Halbjahr 1934 über die Gründungsabsicht und Gründung eines Ausschusses für Rechtsphilosophie informiert würde. Genau das geschah dann auch.
7.7. Wilhelm Kisch kündigte am Abend des 29. Januars 1934 an, dass ein Ausschuss für Rechtsphilosophie unter dem Vorsitz Hans Franks in der AfDR gebildet werde
Zu Beginn dieses Abschnitts möchte ich zunächst an Mikoreys Behauptung vom 27. März 1934 erinnern, dass es der Hebammenkunst Emges zu verdanken sei, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie zur Welt gebracht wurde. Ich zitiere erneut aus Mikoreys Brief an Emge:
Hochverehrter Herr Professor!
Besten Dank für Ihre liebenswürdigen beiden letzten Mitteilungen. Bitte zu entschuldigen, daß ich den vorletzten Brief nicht gleich beantwortete, ich hatte eine scheußliche Grippe und war ganz aktionsunfähig. Ich bin glücklich, daß es Ihrer μαιευτική τέχνη nun endlich gelungen ist, den Ausschuss zur Welt zu bringen.Die Bedeutung dieser Sache ist nun ja allen klar und ich kann Sie versichern, daß ich mich mit Begeisterung und wie ich hoffe auch mit einigen ganz nützlichen Kenntnissen zur Verfügung gestellt halten werden.
[…]
Falls Sie auf Ihrer Mussolini Reise in München Station machen sollten, wäre ich sehr erfreut, Sie hier begrüßen zu dürfen. Telefon 53189 Psychiatrische Klinik.
Mit deutschem Gruß und Heil Hitler!
Ihr ganz ergebener
M. Mikorey ●
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 2
Ergänzend möchte in nun auf ein »weltanschauliches« Problem aufmerksam machen, dass für die akademischen Nationalsozialisten nach der erfolgreichen »Machtergreifung« bestand: „Systemzeit“ war ein Schimpfwort der Nazis für die Weimarer Republik. „Systemphilosophie“ war ein Schimpfwort der Nazis insbesondere für die Philosophie. Und nun sollte womöglich einen Ausschuss für Rechtsphilosophie geben? Wie konnte dieser Wandel dem Gefolge plausibel gemacht werden? Die akademischen Nationalsozialisten wählen folgende Strategie: es wird zwischen »der Kampfzeit« und den »Schöpfungszeit konkreter Ordnungen« unterschieden. Dabei sollten glaubwürdige »Kämpfer« aus der »Kampfzeit« für den Wechsel plädieren.
Am 29. Januar 1934 bemühte sich jedenfalls Hanns Kerrl, Fürsprecher eines Wechsels aus der »Kampfzeit« gegen »das Systems« zu einem »konkreten Ordnungsdenken« zu sein. Und ja, sogar Hanns Kerrl war ein bedeutender Geschichtsphilosoph des akademischen Nationalsozialismus:
Das philosophische System kann man sehr wohl entbehren; nicht aber entbehren kann man die aus einer bestimmten Weltanschauung, aus einer bestimmten Art des Denkens in einem Volke geborene Schöpfung einer neuen Ordnung. Revolution – so sagte mein Parteigenosse Dr. Frank – hat nichts mit Barrikadenkämpfen zu tun, hat nichts zu tun, wie Fräulein Professor Meriggi ausführte, mit Unordnung; sondern Revolution ist in Wirklichkeit nur der Ausdruck eines inneren Wandels, eines Umstellens, eines Sich-Umwendens nach einer anderen geistigen Richtung hin, in die man schaut. Niemals war eine Revolution dieser geistigen Richtung, in die die Völker schauten, so notwendig wie in unserer Zeit. Unser Volk und die Völker Europas überhaupt haben in die geistige Richtung des Liberalismus geschaut, der notwendigerweise im Materialismus, im Marxismus enden mußte . Aus dieser geistigen Blickrichtung erwuchs das System , erwuchs die Art des Gemeinschaftslebens, die in den letzten 14 Jahren bei uns herrschte, von der wir allerdings nur sagen konnten: von Gemeinschaftsleben ist hier keine Spur mehr. Der Kampf aller gegen alle war die notwendige Folge aus dem Handeln, das durch diese geistige Blickrichtig bestimmt war.[370]
Erstes JAfDR, S. 96
Gab es weitere Vorbereitungen, wie die Leser des ersten Jahrbuchs der AfDR, auf die Gründung eines Ausschusses für Rechtsphilosophie vorbereitet wurden? Ja. Sogar noch mehrere. Deswegen stelle ich das erste Jahrbuch der AfDR überhaupt so ausführlich vor.
7.7.1. Hans Franks Eröffnung der 2. Vollsitzung der AfDR am 29. Januar 1934
Die zweite Vollsitzung der Akademie für Deutsches Recht fand am 29. Januar 1934 im Rathaus zu Berlin statt. Den Hauptvortrag hielt eine Frau Prof. Lea Meriggi (Mailand) mit dem Titel „Faschismus und Recht“.[371]
Wie üblich eröffnete Hans Frank die Tagung mit einer Rede:
[1] Meine Damen und Herren! Am Vortage der Jährung eines für die deutsche Geschichte entscheidenden Tages, des Tages nämlich, an dem unser Führer Adolf Hitler in das ihm geschichtlich zuerkannte Amt des Führers auch des deutschen Staates
– und nicht nur der deutschen »Bewegung« –
berufen wurde, gedenkt die Akademie für Deutsches Recht bei Eröffnung ihrer heutigen Vollsitzung unseres Führers in Dankbarkeit und treuer Hingezogenheit zu seiner Persönlichkeit und zu seinem Werk.
[2] Wenn es möglich ist, von einem werdenden neuen deutschen Recht zu sprechen, dann danken auch wir deutsche Juristen und deutsche Wirtschaftsführer es diesem Manne, daß er uns diese geschichtliche Möglichkeit gab. Für alle Zeiten gehören wir dem Führer und seiner Idee.
[3] […] Ehrengäste […] Seine Exzellenz den Vertreter des Königreichs Italien Herrn Botschafter Cerruti[372] zu begrüßen […] Thema „Faschismus und Recht“ […] Ich möchte gerade aus Anlaß des heutigen Themas mit ganz besonderem Nachdruck die Bedeutung des Kampfes des jungen Europa um das Recht dieses jungen Europa betonen. In der ganzen Welt ist ein Ringen gegen überlebte Kampfesmethoden überlebter Staats- und Sozialsysteme aufgeflammt. Wie alles Geschichtliche organisch unabdingbar wird, so wird auch in diesem Kampf der Sieg bei der Jugend sein. […] Wir sehen in den königlichen Ministerpräsidenten von Italien Mussolini den Schöpfer auch jener Rechtsüberzeugung, die, wie wir alle hoffen, dem Frieden Europas dienen wird, und wir sehen vor allem in ihm auch den edlen, mutvollen Vorkämpfer der Gleichberechtigung unseres deutschen Vaterlandes.
[4] Ich bitte nunmehr Fräulein Professor Meriggi, das Wort für ihr ReferatFaschismus und Recht
zu nehmen.
(Lebhafter Beifall.)
Hans Franks Eröffnungsrede am 29. Januar 1934, S. 74
Hans Franks Rede vom jungen Europa ist erkennbar eine Vorform seiner Rede vom 3. Mai 1934 zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie von der „geistigen Führerrolle für alle jungen arischen Völker der Welt“, die dem »deutschen Volk« „unter Adolf Hitler“ durch sein „autoritäres Empfinden“ übertragen worden sei.[373]
7.7.2. Lea Meriggis Vortrag „Faschismus und Recht“ (29. Januar 1934)
Der Vortrag von Lea Meriggi hatte es in sich. Sie verkündete die gottgewollte Weltherrschaft der universellen Philosophie des Faschismus, der eine Philosophie eines Geistesadels gegen die Massen sei. Ich zitiere auszugsweise:
[7] […] Die faschistische Revolution war die Bewegung von wenigen Auserwählten, die selbst hinabstiegen in die Gassen zum Kampf gegen die Masse, bewaffnet mit jener unüberwindlichen Waffe, die die Überlegenheit von Geist und Glauben bildet: Eine aristokratische Revolution also, die unwillkürlich und unmittelbar von den Männern, die sie betrieben, entfesselt wurde, die alle Gaben zu ihrer Durchführung in sich trugen.
[8] Über die Philosophie des Faschismus haben viele, würdiger und befähigter als ich, geschrieben. Nach meiner bescheidenen Meinung ist der Faschismus selbst Philosophie in geschichtlichem und gegenwartswirklichem Sinn. […]| S. 78 […][9] […] Ich habe gesagt, daß der Faschismus die Zusammenfassung von Denken und Handeln, von Gedanke und Tat ist. Benito Mussolini war derjenige, welcher es verstand, das Wunder dieser Zusammenfassung zu vollbringen, der das Band schmiedete, die notwendige Verbindung zwischen Gedanke und Tat, zwischen Geist und Materie herstellte. Darum ist bei uns gleichzusetzen Faschismus mit Führer, weil der Mann, der in sich diese beiden nächtigen Kraftquellen zu vereinigen wußte, kein Trugbild ist, sondern notwendige Wirklichkeit: das hat für den Triumph der nationalsozialistischen Idee Ihr Führer Adolf Hitler geleistet.
[10] Der Faschismus ist also keine politische Bewegung, die einer theoretischen Vorbereitung bedurfte, keine politische Bewegung, die nach ihrem Siege einer philosophischen Rechtfertigung bedurfte. Er selbst ist eine Lehre, spontan als philosophische Offenbarung entstanden, der sich dank der Kraft eines außergewöhnlichen Mannes in die Praxis verwirklichen konnte in dem Augenblick seiner Entstehung als Idee auf dem Grunde fester Prinzipien, die in der Vernunftsordnung und in der Welt der Tatsachen seine Grundlage und sein Ziel bilden.
[11] Die faschistische Revolution ist an sich eine Rechtsumwälzung. […] Revolution ja, aber Recht schaffende Revolution, Revolution in dem weiten Bereich der Rechtsordnung des Staates.
(Meriggi 1934), S. 77 f.
Und später:
[42] All das, was Gegenstand meiner Darlegungen gewesen ist, zeigt, daß man ohne Zögern sagen kann, daß der Faschismus eine Universallehre ist. Universallehre in dem Sinne ist, in dem ich mich eingangs aussprach, d.h. mit zugegeben voneinander abweichenden Kennzeichen und Äußerungen je nach den Sondergewohnheiten des einzelnen Landes, aber einheitlich und übereinstimmend in seiner philosophischen Grundlage: Vaterland, Gerechtigkeit, Menschenwert und ‑würde. […] „Viele alte Götzenbilder – schrieb der Duce Mussolini in seinem Aufsatz: das Jahr 1934 vom 1. Januar dieses Jahres – denen man abgöttische Verehrung zollte, liegen schon gebrochen im Staub, Überbleibsel des alten Systems, der alten demokratisch-liberalen Gedankeneinteilung, an die niemand mehr glaubt von den jungen Generationen.
(Meriggi 1934), S. 87
Es folgt das Hohelied der globalen Herrschaft eines Männerbundes – gesungen von einem »Fräulein« aus Italien:
Die Welt kann alles aus der Tatsache gewinnen, daß einige wenige verantwortliche Männer an demselben Tisch sitzen können als Vertreter der dauernden Regierung ihrer Nation und auf dem Boden der Tatsachen durch gegenseitiges Nachgeben zu einem Einvernehmen zu gelangen suchen bei voller gegenseitiger Achtung zum Vorteil der Völker, deren Geschicke sie leiten.
(Meriggi 1934), S. 87
Zum Ende ihres Vortrags überhöht Meriggi die friedensbringende Universalphilosophie Faschismus geschichts- und religionsphilosophisch:
[45] Fürchtet euch nicht vor dem Kommen des Faschismus, denn es gibt keinen anderen Weg, der zum Heile führt, und auf der anderen Seite kann dieser von den erhaltenden Kräften der Menschheit selbst angezeigte Weg nicht geändert werden von menschlicher Willkür, weil er der einzige ist, der der Wirklichkeit der Dinge und den notwendigen Anforderungen der Zeit entspricht. In einer faschistischen Welt wird jeder Staat die höchste politische Vollkommenheit, die dem moralischen und geistigen Fortschritt der Zeit entspricht, erreicht haben; er wird die größte wirtschaftliche Macht haben und er wird diese beiden wertvollen Faktoren als Beitrag zur Zusammenarbeit der Staaten. […][…][47] Wenn die höchste Weisheit, die die Geschichte des Alls lenkt, gewollt hat, daß in diesem für die Geschicke der Völker so entscheidenden Zeitpunkt Deutschland und Italien dank einem einzigartigen Zusammentreffen von Männern, Verhältnissen und Gedanken sich gefunden haben, um gemeinsam mit ihrer erneuernden Kraft wie in einem wunderbaren Geistesfrühling den Weg der Kultur zu wandern, ist dies ein Zeichen des höchsten göttlichen Willens, das nicht vergessen oder gering geachtet werden solle. Mögen also unsere | S. 90 beiden Länder einträchtig in dieser ihrer Erhebung fortschreiten, die eine Erhebung der Welt[374] ist, mögen sie für alle Völker, die in ihrem Vaterland die Wohlfahrt der ganzen Menschheit lieben, Ansporn und Beispiel bilden. Wir können unter Wiederholung des großartigen Bildes von Wolfgang Goethe sagen: Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen!●
(Meriggi 1934), S. 89 f.
Bis zum Beweis des Gegenteils werde ich vermuten, dass der Text dieses Vortrages von akademischen Nationalsozialisten deutscher Nation zumindest mitverfasst worden ist. Zu genau ist er auf ihre Bedürfnisse und ihre Dogmen abgestimmt.
Und da Mikorey in seinem Brief an Emge vom 27. März 1934, in dem er Emges Hebammenkunst mit Blick auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie lobt, ja ausdrücklich eine Reise Emges zu Mussolini erwähnt, vermute ich, dass Emge seine Kontakte zu Mussolini nutzte, um das »Fräulein« Meriggi zu diesem Gebrauch ausleihen zu dürfen. Als Leiter der wissenschaftlichen Abteilung des Nietzsches-Archivs seit 1931 verfügte Emge über die entsprechenden Kontakte.[375]
Wie reagierten die deutschen Hörer auf den Vortrag Meriggis? Gemäß der Darstellung im ersten Jahrbuch der AfDR folgendermaßen:
[…] Wir können unter Wiederholung des großartigen Bildes von Wolfgang Goethe sagen: Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen!●
(Anhaltender lebhafter Beifall.)
Reichsjustizkommissar Dr. Frank:
Ich danke Ihnen, Fräulein Professor Meriggi, in tiefer Ergriffenheit für die herrlichen Worte, für die große Freude, die Sie uns, unserer Akademie und unserer Nation, mit ihrem Vortrag über „Faschismus und Recht“ bereitet haben. Ich glaube, ich darf Ihnen im Namen aller Anwesenden versichern, daß wir Ihre Gedanken mit innerster Leidenschaft aufnehmen und sie zum Inbegriff, zu einem Wesensbestandteil auch unserer Idee machen und durchführen wollen, allen Mißlaunischen in der Welt zum Trotz.
Verehrte Anwesende, ich habe Ihnen mitzuteilen, daß nunmehr im Anschluß an die Vollsitzung der Akademie ein gemeinsames Mittagessen in dem anschließenden Raum staatfindet. Um 3 Uhr beginnt die Arbeitstagung der Akademie für Deutsches Recht. […]
Erstes JAfDR, S. 90
Nach Luetgebrunes Bemerkung, dass die Ausschüsse der AfDR eine metaphysische Daseinsberechtigung brauchen, Hanns Kerrls Plädoyer für eine Wendung hin zu Ordnung und Lea Meriggis „herrlichen Worte“ über die Philosophie des Faschismus war in den Lesern des ersten Jahrbuches der AfDR bestimmt ein Bedürfnis nach Philosophie erweckt worden.
7.7.3. Wilhelm Kischs Mitteilung, dass in der AfDR ein Ausschuss für Rechtsphilosophie unter dem Vorsitz Hans Franks gebildet werde
Die Leser des ersten Jahrbuchs der AfDR werden mit Erleichterung zur Kenntnis genommen haben, dass Wilhelm Kisch am Ende der „Arbeitstagung“ vom 29. Januar 1934 die Bildung des Ausschusses für Rechtsphilosophie unter dem Vorsitz Hans Franks ankündigte.
Zum Schluß habe ich noch einige geschäftliche Mitteilungen zu machen. In der Akademie wird ein Ausschuss für Rechtsphilosophie gebildet werden, dessen Hauptaufgabe sein wird, die Philosophie des Nationalsozialismus, soweit sie noch nicht vorhanden sein sollte, zu schaffen. Welchen Wert der Präsident unserer Akademie diesem Ausschuß beilegt, mögen Sie daraus ersehen, daß er persönlich den Vorsitz des Ausschusses übernehmen wird.
Erstes JAfDR, S. 135
Die Arbeitstagung hatte um 3:10 begonnen (S. 92) und endete um 18:35 Uhr (S. 135). Mikorey hatte in seinem Brief an Emge vom 27. März 1934 Emges Hebammenkunst mit Blick auf diesen Ausschuss gelobt. Bleibt man in dieser Metaphorik, darf der Zeitpunkt der „Zeugung“ auf einen Zeitpunkt vor 18:35 Uhr des 29. Januars 1934 bestimmt werden.
7.7.4. Exkurs: Carl Schmitts Tagebucheintragungen zum der Jahre 1930 bis 1934, in denen er Wilhelm Kisch und Erich Jung erwähnt
In den „Tagebüchern“ Carl Schmitts über die Jahre 1930 bis 1934, die vielleicht erst viele Jahres päter teilweise oder vollumfänglich verfasst worden sind, bezieht sich Carl Schmitt ausdrücklich auf den Vortrag von Lea Meriggi am 29. Januar 1934, in dessen Anschluss Wilhelm Kisch mitgeteilt habe, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie unter dem Vorsitz Hans Franks gegründet werden würde.
Montag, 29.1.34
Früh auf, Herzbeschwerden und Angstzustände. Mit Ritterbusch gefrühstückt und mit der
Wannseebahn zur Stadt, über die Linden gegangen, vor der Universität verabschiedet, er
geht zur Akademie, wo eine Italienerin über Faschismus spricht1615! Wunderbar für eine │ S. 324 Akademie für Deutsches Recht. In Eile zur Vorlesung, hielt sie frei und gut (über Hobbes),dann mit Leontovic, Conde, Günther Krauß über die Linden, im Cafe Kranzler vergebens auf Greenwood gewartet, nach 1 kam Scheurl aus Nürnberg, nett unterhalten,
begleitete mich zum Potsdamer Platz, nicht zu Akademie sondern nach Hause, ausgeruht.
Eine Stunde ruhiger Sammlung, abends um 7 kam Calker, rührend, erzählte von Koellreutter, von der Sprunghaftigkeit Franks, nachher kamen noch Oberheid und Frau und plötzlich um 1/2 11 Schroer; wir plauderten bis nach 12, ziemlich müde, begleitete um 11 Calker
bis an die Grunewaldstraße.
1615 Lea Meriggi von Kalliany, Professorin Ferrara/Bologna, „Faschismus und Recht“, Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1,1933/1934, S. 74-92 sowie als Monographie Berlin und Leipzig 1934.
(Schmitt, Tagebücher 1930-1934; 2010), S. 323
Carl Schmitt weist auf die Spannung zwischen Vortragender und Vortragsinhalt einerseits und der Zweckbestimmung der Akademie andererseits hin. Es kann sein, dass die gewählte Lösung für ein Hoffähigmachen der Rechtsphilosophie unter den jüngeren Nationalsozialisten Carl Schmitt tatsächlich nicht überzeugt hat. Es kann aber auch sein, dass er die Leser seines Tagebuchs nur in diesen Glauben versetzen wollte. Die leicht ironische Distanz zur AfDR, die aus dem Eintrag spricht, dient vielleicht demselben Zweck, den Emge 1960 mit seiner Falschdarstellung verfolgte.
Interessanter ist der Eintrag vom Vortag. Ich zitiere:
Sonntag, 28.1.34
Müde aufgestanden, mit Ritterbusch gefrühstückt und im Auto zur Stadt. Gaufachberatertagung von 11-1/2 2 im Preußischen Landtag, gut gesprochen, Kisch, Kl <…> usw., Walz gefiel mir besonders gut, im Fürstenhof zu Mittag gegessen, neben Kisch und Walz gesessen, mit den einzelnen Leuten gesprochen. Mit Hofmann <?> aus Greifswald, Lange1614 aus Leipzig, Heckel, Stoll1614a, Schöller usw. Dann müde mit der Wannseebahn nach Hause gefahren, eine Stunde ausgeruht, abends um 7 kam Günther Krauß und holte ein Manuskript, dann in die Stadt zu Habel, dort noch lange geplaudert mit Erich Jung und anderen. Kisch ist ein großer Schlaumeier[376], später zum Löwenbräu, mit Emge und Bruns. Todmüde mit der Wannseebahn nach Hause.
1614 Heinrich Lange (1900-1977), Professor des Bürgerlichen Rechts Breslau, dann München.
1614a Heinrich Stoll (1891-1937), Prof, für Bürgerliches u. Römisches Recht in Tübingen.
(Schmitt, Tagebücher 1930-1934; 2010), S. 323 f.
Drei Monate vor Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie traf Carl Schmitt demnach vier weitere Personen, die zu den zwölf Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehören sollten. Wie ich in Teil II zeigen werde, kannten die Herren einander schon deutlich länger.
Es gibt übrigens drei weitere Tagebucheintragungen in den Jahren 1930 bis 1934, in denen Carl Schmitt den Namen von Wilhelm Kisch erwähnt. Ich beginne mit einem Zitieren dieser Stellen:
Mittwoch, 1.3.33
Wieder lange geschlafen, nachmittags Professor A. Dietrich, sehr nett über Krause den Philosophen unterhalten, erzählte von Spranger, bei Telschow eine Kasse Kaffee mit ihm, schleunigst nach Hause, umgekleidet, mit Duschka zu Sogemeier, sehr sympathische Leute (erinnern mich an Krause in München), hervorragendes Essen, guter Wein, Popitz und Frau waren sehr nett, eine Schwester von Sogemeier, die mit Kisch1356 in München
befreundet ist, an Dr. Heinrichsbauer aus Essen, der alles wußte und Oberheid ein Mistvieh nannte, von <…> behauptet, daß er für 1000 Mark zu haben sei; Wirsing <?>
6 Monate Festung um 1 Uhr nach Hause, sympathisch, aber fremd.
1356 Wilhelm Kisch (1874-1952), Professor für Bürgerliches Recht 1902 Straßburg, ab 1916 München; Mitgründer der Akademie für Deutsches Recht und Vizepräsident, später Distanzierung; Schmitt hatte in seiner Straßburger Studentenzeit bei Kisch Vorlesungen gehört.
(Schmitt, Tagebücher 1930-1934; 2010), S. 266
Diese Erwähnung von Kisch habe ich nur wegen des fettgedruckten Satzes in der Fußnote 1356 des Herausgebers zitiert. Folgende Tagebuchnotizen sind schon deutlich interessanter:
Samstag, 5.8.33
Morgens mit Roßkopf und seinem Schwager gefrühstückt, nach <…>, Fräulein Böhmer
abgeholt, über Schongau nach Hohenschwangau, R., Hotel Alpenrose, abends Pfälzer Wein,
über Koellreutter und die Akademie │ S. 299
Sonntag, 6.8.33
Herrliches Wetter am See, schönes Gespräch mit Kisch1492, über Füssen nach München,
Schlafwagen für mich allein.
1492 Kisch war Dekan der Juristischen Fakultät
(Schmitt, Tagebücher 1930-1934; 2010), S. 298 f.
Es ist möglich, dass Carl Schmitt am Abend des 5. August 1933 über Koellreutter und die Akademie für deutsches Recht mit Kisch gesprochen hat. Im August 1933 war die AfDR bereits gegründet oder ihre Gründung im September 1933 stand bevor. Und da Kisch und Schmitt Mitglieder des ersten Führerrates der AfDR gewesen sind, ist ein Gespräch der beiden Straßburger über die AfDR im August 1933 keine Sensation.
Neben der bereits zitierten Erwähnung Erich Jungs durch Carl Schmitt gibt es eine weitere Erwähnung Erich Jungs in Tagebüchern der Jahre 1930 bis 1934. Die inhaltliche Auswertung werde ich erst in Teil II vornehmen. Hier möchte ich die Aufmerksamkeit meiner Leser nur auf die Fußnote 654 des Herausgebers Wolfgang Schuller – in Zusammenarbeit mit Gerd Giesler – lenken: Sie informieren korrekterweise ihre Leser darüber, dass Carl Schmitt ein Schüler Erich Jungs gewesen ist. Keiner der Schmitt-Forscher, die ich im meinem Abschnitt 2.10 genannt habe, hat das getan. Da Schuller und Giesler aber keinen Beleg für ihre Behauptung angegeben haben, haben andere Schmitt-Forscher ihre Behauptung zu recht nicht durch Hinweis auf die beiden Herausgeber der Tagebücher an ihre Leser weitergegeben.
Dienstag, 24.3.31
Schlief bis 11 Uhr, herrliches Bett, frühstückte, schrieb ein paar Karten, bestellte mir ein Auto und fuhr nach Quedlinburg. Herrlicher Dom, sah das Geburtshaus Klopstocks653, wurde von einem unsympathischen Küster geführt, der mir von Erich Jung654 erzählte. Ergriffen von dem germanischen Heidentum dieser romanischen Dome; das Grab Heinrichs I.655, die unheimlichen Kapitelle der romanischen Säulen. Mittags um 1/2 2 wieder im Hotel, nach dem Essen 1 Stunde ausgeruht, Frau Arfert Blumen schicken lassen, um 1/4 4 2. Klasse nach Halle; dort war Bilfinger offenbar sehr erfreut, daß ich kam. Wir aßen zu Abend, tranken 2 Flaschen Scharzhofberger 21, sehr gut, aber ich war todmüde. Sehr nett unterhalten über Feudalismus, Brüning (für den Bilfinger schwärmt) und seinen Sohn Karl, der sitzenbleibt. Telefonierte mit Adolf, der in Heidelberg studieren will.
654 Erich Jung (1866-1950), Professor des Öffentlichen Rechts in Straßburg, Lehrer Schmitts
(Schmitt, Tagebücher 1930-1934; 2010), S. 100
Im Kontrast zur Lehrerschaft Erichs Jungs stellen Schuller und Giesler Friedrich von Calker nur als Doktorvater und Förderer Carl Schmitts vor.
Freitag, 31.3.33
Wieder behaglich geschlafen; wieder auf dem Zimmer gefrühstückt. Der Boykott gegen die Juden scheint gelungen zu sein. Dachte mit Sorge an Eislers. Duschka ist jetzt nach Ham- │ S. 276 burg gefahren; immer noch ohne Post. Will nachher zu Calker1401 gehen. Ging bei der Schweizer Buchhandlung <?> vorbei; dann zu Calker. Traf seine Frau, die sympathisch war. Unterhielt mich sehr gut mit ihr, sie ist klug und ehrlich. Ein Telegramm aus Berlin, ich werde nach Berlin zurückgeholt; morgen nachmittag 5 Uhr Sitzung im Staatsministerium. Sehr aufgeregt und stolz, aber doch bedauert, daß ich die schöne Ferienreise abbrechen muß. Telefonierte für heute Abend die Abteilung P ab1402. Ruhte etwas aus. Kaufte Blumen für Frau Beyerle und Frau Calker und fuhr in die Mittelstr. zu Beyerle. Trank dort Kaffee. Der Privatdozent Theodor Maunz1403 war dabei und einige jüngere Leute; auch Frau Beyerle, die sehr hübsch ist. Beyerle lächelnd und selbstgefällig; er tat mir aber leid. Er ging mit mir zu Calker durch den Englischen Garten. Dort trafen wir Wenger1404, der zurückhaltend und kühl war. Scheußlich diese Münchener Professoren. Sehr freundlich mit Calker gesprochen, der mich gern hat. Der Rechtsanwalt Frank II1405 war Assistent bei ihm. Bis halb 8 abends geblieben. Große Sympathie für Calker, Ekel vor Beyerle, [hab] mir viel zu viel vergeben. Zum Hotel, einsam und gleichgültig, dachte viel an Popitz, der ein lieber Kerl ist. Packte ein. Um 9 Uhr am Bahnhof. Im Schlafwagen nach Berlin. Nichts gegessen, ruhig und gute Vorsätze.
1401 Friedrich van Calker (1864-1957), Professor des Strafrechts und Prozeßrechts, 1896 Straßburg, 1921 München, Doktorvater und Förderer Schmitts.
1402 Schmitt war im stellvertretenden Generalkommando München während des 1. Weltkrieges Leiter der Abteilung P 6, siehe Tagebuch 1915-1919, S. 183 f.; er hatte die in der Umgebung Münchens wohnenden früheren Kameraden zu einem Treffen eingeladen.
1403 Theodor Maunz (1901-1993), Professor des Öffentlichen Rechts 1935-1952 Freiburg i.B., bis 1969 in München, 1952-1964 bayerischer Kultusminister; schrieb später anonyme Artikel für eine rechtsextreme Zeitung, die allerdings nach der Entdeckung inhaltlich nie bekanntgemacht wurden.
1404 Leopold Wenger (1874-1953), Professor des Römischen Rechts.
1405 Hans Frank (1900-1946), Leiter der Rechtsabteilung der NSDAP 1930-1942, 1934 Reichsminister, Präsident der Akademie für Deutsches Recht 1933-1942, 1939-1945 Generalgouverneur Polen, 1946 in Nürnberg durch den Strang hingerichtet.
(Schmitt, Tagebücher 1930-1934; 2010), S. 275 f.
Auch auf die Tätigkeit Carl Schmitts in der Abteilung P werde ich in meinem Teil II zu sprechen kommen.
7.7.5. Exkurs: „Dr. jur. Wilhelm Maus (Braunschweig)“: „Der deutsche Rechtsbegriff. Eine historisch-rechtsphilosophische Studie“, (1933)
In der Zeitschrift des BNSDJ „Deutsches Recht“ des Jahres 1933 ist eine „historisch-rechtsphilosophische Studie“ mit dem Titel „Der deutsche Rechtsbegriff“ von einem „Dr. jur. Wilhelm Maus (Braunschweig)“ veröffentlicht worden. Ich stelle sie hier exkursweise vor, da in diesem Text leicht erkennbar ist, dass und wie der akademische Nationalsozialismus gegen Kants und Hegels Rechtsphilosophie tätig waren.
Wer sich insbesondere mit Hegels Philosophie ein bisschen auskannte und kennt, konnte und kann erkennen, dass die Universalphilosophie des Faschismus, den Lea Meriggi in ihrem Vortrag vom 29. Januar 1934 vor der AfDR verkündete, in der Wortwahl im Sogwasser Hegels schwamm. Wer sich nach der »Machtergreifung« 1933 in Deutschland ein wenig mit dem italienischen Faschismus auskannte, wusste, dass Giovanni Gentile (1875-1944) ein verbal hegelianisierender Neu-Idealist war. Vorhin habe ich gezeigt, dass das erste Jahrbuch der AfDR die Entscheidung, einen Ausschuss für Rechtsphilosophie unter dem Vorsitz Hans Franks in der AfDR zu bilden, als eine Reaktion auf den Vortrag Meriggis vorstellte.
In meinem Abschnitt 4 habe ich aus der Zeitungsberichterstattung über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie wiedergegeben, dass die Auswahl seiner Mitglieder u.a. so erfolgte, dass in ihm auch „Neu-Kantianer“ und „Neu-Hegelianer“ vertreten sein sollten.
Die „historisch-rechtsphilosophische Studie“ des „deutschen Rechtsbegriffs“ von 1933 macht philosophisch verständlicher, von was sich die akademischen Nationalsozialisten wie durch den Ausschuss für Rechtsphilosophie absetzen wollten.
In der Zeitschrift „Deutsches Recht“ wird Wilhelm Maus als „Dr. jur.“ charakterisiert. Ich konnte nicht ermitteln, wer das gewesen sein soll. Es könnte sein, dass dieser Wilhelm Maus dieselbe Person ist, deren Leipziger Dissertation „Das Übersetzungsrecht der wichtigsten Staaten der Berner Übereinkunft“ 1930 veröffentlicht worden ist.[377] Ich glaube das aber nicht. Ich glaube, dass Erich Jung diesen Text verfasst hat. Es mag sein, dass der Übersetzungsrecht-Maus Erich Jung erlaubt hat, den Text und dem Namen von Wilhelm Maus in der Zeitschrift Deutsches Recht einzureichen. Weshalb ich
Wilhelm Maus beginnt mit einer Variation des Themas „deutsches Recht versus römisches Recht“. Punkt 19 des Parteiprogramms der NSDAP vom 24. Februar 1920 lautete: „19. Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemein-Recht.“
[1] Die wissenschaftliche Herausarbeitung des deutschen Rechtsbegriffes ist eine Notwendigkeit gegenüber dem römischrechtlichen Denken, das unser gegenwärtiges Rechtssystem an seinen entscheidenden Stellen beherrscht. Die geltenden Gesetze aus der Zeit vom Schluß des vergangenen Jahrhunderts und dem Beginn des laufenden Jahrhunderts atmen unverkennbar jenen materialistisch-individualistischen Geist des römischen Rechts, der selbst den Grund und Boden als Handelsware ansah, der das Eigenrecht der Persönlichkeit[378] unterdrückte und zum größten Teil dem rein materialistischen Gewinnstreben seine hilfreiche Hand in der Form gesetzlichen Schutzes lieh.
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 135
Erwähnenswert ist, dass Maus für den „Kampf ums deutsche Recht“ „neue Menschen“ ausdrücklich als Mittel und als Ziel fordert.
[2] […] So vermag auch nur aus dem härtesten Kampfe gegen das Unrecht heraus der Gedanke des reinen Rechtes an das Licht zu treten. Erst muß die Ungerechtigkeit zur hemmungslosen Wirksamkeit gekommen sein, erst müssen ihre Schäden klar an den Tag getreten sein, ehe die Wahrheit sich ermannt, um dem Recht den Weg zu bereiten. An diesem Punkte war die Geschichte des deutschen Volkes vor kurzem angelangt. Das kann ernstlich überhaupt nicht bestritten werden. Neue Menschen tun uns not, die sich auf alte deutsche und germanische Rechtsüberzeugungen besinnen und sie im Volksleben zur Wirksamkeit wieder bringen. […] Auch der Weg, auch die geistige Macht, welche uns hier diese Menschen schaffen soll, liegen heute klar vor uns, und wenn vielleicht vor kurzer Zeit noch Zweifel, Unklarheit und Uneinigkeit herrschten, heute ist dazu kein Grund mehr vorhanden. Der Nationalsozialismus ist die geistige Macht, die den neuen Menschen formen wird, ist die geistige Macht, die auch Rechtslehre und Rechtsanwendung beherrschen muß, damit Unrecht wieder zu Recht werde. Aus einer Erneuerung des Rechtsdenkens werden wir die Kräfte zur sittlichen, ja auch zur religiösen Erneuerung der deutschen Volksseele schöpfen.
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 135
Dass die Forderung nach dem durch den Nationalsozialismus geformten neuen Menschen zum Schluss auch Religion und Seele bemüht, ist ein Standard-Topos des akademischen Nationalsozialismus. Im nächsten Druckabsatz fordert Maus eine Überwindung der Neuzeit:
[3] Der deutsche Rechtsbegriff […] muß die elementarsten Existenzbedingungen unseres Volkes umfassen. […] der Grund und Boden, auf dem diese deutschen Menschen leben, muß ein Grundpfeiler dieses Rechtsbegriffes werden. Sowohl der Mensch wie der Boden der deutschen Nation muß dem spekulativen Zugriff einzelner entzogen werden, damit der irrige Rechtsdrang des Überindividualismus, wie ihn die Zeit der Aufklärung, der französischen Revolution und des Rationalismus erzeugt haben, überwunden werde.
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 135
Danach verbindet Maus den Nationalsozialismus mit einem universellen Christentum. Damit entfaltet Maus dogmatisch Punkt 24 des Parteiprogramms der NSDAP vom 24. Februar 1920. Punkt 24 war ein Bekenntnis zu einem überkonfessionellen, aber positiven Christentum. In Teil II werde ich zeigen, dass der Nestor des Ausschusses für Rechtsphilosophie bereits vor 1920 die „Vereinigung von des christlich-sittlichen, des nationalen und sozialen Prinzips vollzogen“ hat, die Maus korrekt als wesentlich für den Nationalsozialismus hervorhebt:
[4] Diesen Rechtsbegriff zu prägen und zur Auswirkung zu bringen, ist an sich die nationalsozialistische Weltanschauung der richtige Boden. […] Er hat als erster in der Vereinigung des christlich-sittlichen, des nationalen und des sozialen Prinzips die Hingabe an einen christlichen Universalismus mit seiner inneren und äußeren Unendlichkeit vollzogen. In seinem Kampf gegen Kommunismus und Bolschewismus nimmt er den alten Kampf des deutschen Mittelalters gegen die östlichen Barbaren wieder auf. In seiner Vereinigung von Religiosität und Nationalität
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 135
– dass Erich Jung, Erich Rothacker und Hans Frank in Degeners „Wer ist’s?“ von 1935 einen Wechsel zur „arischen“ Konfession öffentlich machten, habe ich bereits dargestellt –
und in der damit erfolgenden grundsätzlichen Anerkennung des religiösen Prinzips als eines wesentlichen Faktors beim Umbau des Staates macht er aber zugleich eine Entwicklung wett, die den deutschen Menschen immer mehr in die ideelle Einseitigkeit hineingetrieben hatte. Die natürliche Folge dieser Einseitigkeit mußte – nachdem ihr Kulminationspunkt überschritten war, etwa 1845-48 – aber den deutschen Menschen in eine andere Einseitigkeit hineintreiben; die des natürliche Materiellen, des materiell Nützlichen.
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 135
Im nächsten Absatz bedient sich auch Wilhelm Maus zunächst »neu«-hegelianischer Worte, um in der Sache Anti-Hegelianisches zu behaupten:
[5] Die deutsche Revolution ist eine Revolution des Geistes. Der deutsche Geist wird sich einen deutschen Rechtsbegriff schaffen, denn er ist wirklicher Geist, | S. 136 der zur sachlichen Erfassung der Wahrheit befähigt ist. Es gilt den falschen französischen Rechtsbegriff der Freiheit zu überwinden […], der ins Chaos führt, und ihn zu ersetzen durch einen volkhaften Rechtsbegriff.
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 135 f.
Im sechsten und siebten Druckabsatz grenzt Maus den „deutschen Rechtsbegriff“ dann ausdrücklich gegen die Philosophien der Franzosen Hegel und Kant ab. Das zitiere ich auch deswegen, weil Karl Larenz in derselben Zeitschrift des NS-Rechtswahrerbundes im Jahr 1938 mittteilen wird, dass er den Neukantianer Stammler und den Neuhegelianer Julius Binding überwunden habe. Stammler und Binder gehörten ja zu den 18 Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Zunächst geht es gegen Hegel:
[6] Der deutsche Rechtsbegriff bedarf nach zwei Seiten einer einleitenden Abgrenzung. Die eine Seite ist die Philosophie Hegels. Hegel sieht im Staat die höchste Sittlichkeit, für ihn ist damit der Staat weiter nichts als selbst ein System der Sittlichkeit, d.h. daß Hegel das Sittengesetz nicht als die Voraussetzung des Rechts ansah. Damit stellte er aber das wirkliche Verhältnis von Sitte und Recht auf den Kopf. Das Recht selbst kann nur auf dem Boden der Sitte entstehen. In der Sitte, in dem germanischen Brauchtum finden wir die Grundlagen des germanischen Rechtsgefühls. (Vgl. meine genannte Arbeit, Manuskript S. 21 ff.)
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 136
– mit dem Titel „Das Problem der Rechtsgewinnung“ –
Aus diesem entsteht weiter durch Übung und Anerkennung durch die Sippe, die Dorfgemeinschaft, den Stamm das alte germanische Recht.
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 136
Nun geht es gegen Kant:
[7] Die andere Seite, gegen welche eine Abgrenzung erforderlich ist, ist die Philosophie Kants. Er führt in der „Kritik der praktischen Vernunft“ aus, daß aus der über der Natur stehenden gottgesetzten Ordnung ein höchster Wert für das menschliche Handeln nicht mehr abgeleitet werden kann. Dieser höchste Wert könne also nur noch in der gesetzmäßigen Bestimmung des Handelns der Menschen selbst liegen. Der Mensch handelt sittlich, sein Wille sei „gut“, wenn er sich der Norm gemäß, unter dem Antrieb des Sollens, im Gefühl einer Pflicht und im Bewußtsein einer Pflichterfüllung bestimme. Der Mensch entfaltet als wertsetzende Persönlichkeit die Funktion der Autonomie und hat gleichzeitig die sittliche Freiheit, die Triebe und andere Begehrungen zu überwinden und dem Pflichtgebot unterzuordnen. Autonomie wie sittliche Freiheit wirken demnach als individuelles Prinzip, das aber auch als absolutes und allgemeines gedacht ist insofern, als nun auch von jedem anderen Menschen verlangt werden könne, daß er sich seinem Pflichtbewußtsein entsprechend betätige. Aus diesen Begriffen leitet folgerichtig Kant seinen Rechtsbegriff ab als den Inbegriff derjenigen Bedingungen, unter welchen die Freiheit aller Menschen zusammenstimme. Man erkennt daraus, daß nach Kant der Rechtsbegriff im Abstrakten stehenbleibt. Für den Willen bleibt nicht irgendein Motiv übrig, sondern ein „formelles Prinzip des Wollens überhaupt, ohne auf die daraus erwartete Wirkung Rücksicht zu nehmen“. Es bleibt also nur „die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlungen übrig, welche allein dem Willen als Prinzip dienen soll“.
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 136
Diese Darstellung der praktischen Philosophie Kants ist – insbesondere mit Blick auf ihre Kürze – gut gelungen. Das trifft nicht auf die Darstellung Hegels in Absatz 6 zu. Und da Maus mit Rudolf von Jhering Buch „Der Zweck im Recht“ (1877)[379] weitermacht und dieses Buch eine wichtige Inspirationsquelle Erich Jungs war[380], bin ich mir ziemlich sicher, dass Erich Jung der »Geist« dieses Textes war, der unter dem Namen Wilhelm Maus veröffentlicht worden ist.
Gegenständlicher Inhalt des Rechts ist demnach nach Kant ein rein formeller Begriff, mit dem sich praktisch gar nichts anfangen läßt. Das hat auch Jhering genau erkannt, denn in seinem Werk „Der Zweck im Recht“ (S. 28) äußert er zu diesen Ansichten Kants sich wie folgt: „Man dürfe ebenso gut hoffen, einen Lastwagen aus der Stelle zu schaffen mittels einer Vorlesung über die Theorie der Bewegung als den menschlichen Willen vermittels des kategorischen Imperativs. Der gleitet spurlos an ihm ab!“ Für den Staat und seine Ordnung bedeutet Kants Rechtsbegriff lediglich ein Negativum. Er enthält nur die Verpflichtung zu einer Staatsordnung, in der sich die verschiedenen Willen möglichst weit voneinander entfernt zu halten hätten. Diesem Rechtsbegriff fehlt – wie wir heute sagen dürfen – jegliche Beziehung zur Wirklichkeit, er verkennt das Wesen der menschlichen Freiheit, die ihren Inhalt in der selbstgewählten Anerkennung des anderen als eines freiheitsbewußten Wesens und hierin ihre Selbstbeschränkung hinsichtlich der Verwirklichung des eigenen Willens findet. Recht ist also nicht lediglich ein Sollen – aus einem kategorischen Imperativ heraus – sondern ein Geltendmachen-Dürfen.
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 136
Auch diese »Anerkennungstheorie« hat Erich Jung vor 1920 öffentlich vertreten (siehe Teil II).
Auch der Staat selbst ist diesem Dürfen unterlegen, denn nur, weil und wenn es sich um die Lebensbedingungen des Volkes handelt, darf er mit Gewalt eingreifen, ja, meist wird das Dürfen ein Müssen sein (Vgl. meine Ausführungen in meiner genannten Arbeit über die Funktion des Rechtsgesetzes, Manuskript S. 14, bes. S. 15) So ist letzten Endes sowohl für Hegel wie für Kant der Staat ein abstraktes Prinzip, das die bürgerliche Gesellschaft sich selbst überläßt. Daß hieraus der Staat seine Rechtfertigung nicht entnehmen kann, liegt auf der Hand. Deshalb ist für uns keiner dieser Begriffe brauchbar, wie müssen sie ablehnen. Der Staat ist nicht nur eine juristische Gemeinschaft, sondern eine ethische des Blutes und des gemeinsamen Erlebens.
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 136
Im nächsten Absatz bezieht sich Jung-Maus ausdrücklich auf Absatz Punkt 24 des Parteiprogramms der NSDAP vom Februar 1920:
[8] Damit kommen wir zu den positiven Grundlagen des deutschen Rechtsbegriffs. Wir haben oben gesehen, wie die Vereinigung der scheinbar so gegensätzlichen Prinzipien des Christlich-Sittlichen, des Nationalen und des Sozialen im Nationalsozialismus aus einer bedingungslosen Hingabe an einen christlichen Universalismus zu verstehen ist. (Vgl. auch Punkt 24, Abs. 2 des Programms der N.S.D.A.P.[381]). Darum kann auch der neue Rechtsbegriff nur auf der Grundlage des Christentums wachsen […]
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 136
Es folgt das typische Gemeckere akademischer Nationalsozialisten gegen Aufklärung, Liberalismus, Individualismus, Mehrheitsprinzip, liberalem Handel. Es folgen positive Charakterisierungen des nationalsozialistischen Agrarprogramms und einer beruflichen Ständeordnung. Als Prophet deutschen Rechts wird ein Karl Christian Planck (1819-1880)[382] gelobt:
[13] Interessant ist in diesem Zusammenhang der Rückblick auf einen Mann, der die Notwendigkeit dieser Entwicklung schon vor 100 Jahren vorgeahnt und beschrieben hat und den wir in seiner ganzen Haltung fast den ersten deutschen Nationalsozialisten nennen können: Karl Christian Planck. Ursprünglich Theologe, wurde er hinterher Philosoph und hat ein auch heute leider noch ungedrucktes Werk verfaßt, in welchem er sich als einer der fruchtbarsten Rechtsphilosophen bis heute hin ausweist.
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 137
Planck wird als deutscher Ahnherr der Beherrschung »des Volkes« durch von oben kontrollierte Berufsorganisation – dem faschistischen Korporativismus[383] – vorgestellt.
[15] Der Gedanke der ständischen Ordnung, wie ihn Planck ferner entwickelt, ist von der höchsten Fruchtbarkeit. Kein Volksgenosse darf mehr außerhalb seiner Berufsorganisation stehen. […]
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 138
Insbesondere die Ideen Plancks zur Wieder-Unterwerfung der Bürgerlichen Gesellschaft unter den Staat erfreuen Jung-Maus sehr. Eine originäre rechtsphilosophischer Leistung Hegels im Vergleich zu Kants Metaphysik der Sitten war die rechtliche Verselbständigung der Bürgerlichen Gesellschaft von Familienverbänden einerseits und dem Staat andererseits. Zum Schluss macht Maus aus den Arbeitern „Mitarbeiter am gemeinsamen völkischen Werk“ (S. 138).
Jung-Maus endet pathetisch:
[18] […] Auf dieser Basis wird das Klassen- und Kastenwesen im deutschen Volk am sichersten überwunden werden, wenn wir dem deutschen Menschen wieder das Gefühl einer Heimat auf deutschem Boden geben, wenn wir ihm selbst wieder das gesicherte Bewußtsein persönlichsten Wertes seiner selbst schaffen können. Das ist die Aufgabe und der Kern des deutschen Rechtsbegriffes, denn der Ton, den der Staat als solcher angibt, wird auch die Haltung des bewußten Volksgenossen bestimmen. So gelangen wir im Gegensatz zu der falschen Freiheit der Aufklärung zu dem rechtverstandenen sittlichen Freiheitsgefühl als selbständiger Tat auf Grund eigenen rechtlichen Besitzes und Mitbesitzes an den Gütern der Nation. Volles Heimatrecht für jeden Volksgenossen, freie Arbeitspflicht, das sind die beiden Grundklänge des nationalen Sozialismus.●
(W. Maus, Der deutsche Rechtsbegriff; 1933), S. 139
Ein »weltanschauliches« Problem für den akademischen Nationalsozialismus war die Tatsache, dass »der deutsche Rechtsbegriff« des Nationalsozialismus in doppelter Abgrenzung von zwei Deutschen bestimmt werden sollte. Das wird auch einige der im BNSDJ »ständisch« organisierte Leser der Zeitschrift Deutsches Recht irritiert haben. Carl Schmitt versucht dieses Problem in den Folgejahren so lösen, dass er die „undeutschen“ Elemente der Philosophien Kants und Hegels zwei Juden zuschreibt. Das Undeutsche Kants wird Moses Mendelssohn zugeschrieben, das Undeutsche Hegels Julius Stahl (siehe Teil III).
7.7.6. Exkurs: Wie im Zentralorgan des BNSDJ im März/April 1934 über die Ausbildung der Absicht, einen Ausschuss für Rechtsphilosophie zu gründen, berichtet wurde
Der Redaktionsschluss für das erste Jahrbuch der AfDR lag sicher nach dem 26. Mai 1934, da in ihm noch über eine Tagung der AfDR am 26. Mai 1934 berichtet wurde, über die auch in anderen Zeitschiften zeitnah berichtet worden ist. Durch das Grußwort Hindenburgs, die Festlegung des ersten Jahrestages der AfDR auf den 26. Juni 1933 wurde den Lesern der Eindruck vermittelt, dass der Redaktionsschluss jeden falls dem Tod Hindenburgs am 2. August 1934 lag und nach dem ersten Jahrestag am 26. Juni 1934.
Deswegen ist es möglich, dass das Drama um die Bildung des Ausschusses für Rechtsphilosophie in Reaktion auf Lea Meriggis Vortrag über Faschismus und Recht erst im Sommer 1934 inszeniert worden ist. Ich habe deswegen in anderen Zeitschriften nach stützenden und abweichenden Informationen über die Bildung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gesucht.
Im Zentralorgan des BNSDJ Deutsches Recht, dessen Führer ebenfalls Hans Frank war, bin ich fündig geworden. Durch die Darstellung in dieser Zeitschrift kann ich ausschließen, dass wenn es zu einer Inszenierung kam, diese erst im Sommer 1934 vollständig erfunden worden ist. Zumindest in Grundzügen wäre sie Ende März, Anfang April 1934 erfunden worden. Dieses Zeitfenster passt auffällig gut zur Akte Emges, die ich auszugsweise in meinem Abschnitt 3 vorgestellt habe.
Den Lesern des Zentralorgans Deutsches Recht wurden folgende Information über die Entscheidung, einen Ausschuss für Rechtsphilosophie zu gründen, angeboten:
Am 17. März 1934 fand die 3. Vollsitzung der AfDR statt.
In Heft 6 des Jahres 1934 der Zeitschrift Deutsches Recht wurde über sie berichtet. Wie üblich hielt Hans Frank eine Rede. In ihr bezog sich Hans Frank auf den Vortrag von Lea Meriggi auf der 2. Vollsitzung der AfDR vom 29. Januar 1934. Ich zitiere den ganzen Absatz, da in ihm zusätzlich erkennbar wird, welchen enormen strategischen Vorteil es bot, jemand so jungen wie Hans Frank ins Rampenlicht zu stellen. Hätte Erich Jung, der Nestor des akademischen Nationalsozialismus, sich ins Rampenlicht gestellt, wäre schnell ermittelt worden, dass er 1916 für einen nahezu umfassenden Giftgaseinsatz plädierte (siehe Abschnitt 2 in Teil II). Erich Jung konnte gewiss nicht die Illusion eines friedliebenden akademischen Nationalsozialismus verkörpern.
Die Akademie für Deutsches Recht ist somit ein Instrument in der großen Friedenspolitik unseres Führers, denn diese geht von dem ursprünglichen Rechtsempfinden des deutschen Volkes wie dem anderer Völker aus. Im Rahmen der Bestrebungen, das Recht der anderen Nationen erkennen zu wollen, hat erst vor kurzem die italienische Professorin Lea Meriggi über Faschismus und Recht gesprochen. In weiteren Vollsitzungen werden ein Vertreter Englands, in Vertreter Norwegens und wahrscheinlich en Vertreter Belgiens sprechen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die junge Generation Europas für den Krieg nicht verantwortlich ist, so daß alle jungen Völker eine Basis der Zusammenarbeit finden und wie in dieser gemeinsamen Erkenntnis eine Aufstiegsmöglichkeit sehen. Keine Politik kann von Dauer sein, wenn sie gegen die große Rechtserkenntnis des eigenen Volkes und die anderen Völker verstößt.
Zeitschrift „Deutsches Recht“ Heft 6 vom xx. März 1934, S. 140
Wie üblich fand im Anschluss an die „Vollsitzung“ eine „Arbeitstagung“ der AfDR statt. Ausnahmsweise wurde über sie aber nicht im selben Text berichtet. Das geschah erst im Folgeheft 7 vom 11. April 1934. Der Bericht beginnt so:
Arbeitstagung der Akademie für Deutsches Recht
Durch ein technisches Versehen kam der Bericht über die Arbeitstagung der Akademie für Deutsches Recht, die sich an die Vollsitzung der Akademie anschloß, in Heft 6 noch nicht zum Abdruck.
Zeitschrift „Deutsches Recht“ Heft 7 vom 11. April 1934, S. 166
In all den zahlreichen Zeitschriften und Jahrgängen, die ich durchgesehen habe, ist das die einzige Mitteilung über ein technisches Problem, das zu einer verzögerten Berichterstattung geführt hat.
Außer der Verspätung ist dann aber nichts mehr direkt auffällig. Es wird in üblicher Weise über die Arbeitstagung berichtet. Zum Bericht gehört auch die übliche Wiedergabe des Arbeitsstandes einzelner Ausschüsse. Direkt im Anschluss daran ist folgender Absatz gedruckt worden:
An neuen Ausschüssen sind in Aussicht genommen: Einer für Rechtsphilosophie unter der Leitung des Reichsjustizkommissars und Präsidenten Dr. FRANK, weiter für Versorgungsrecht, Verkehrsrecht, Luftrecht und Rechtsgeschichte.
Zeitschrift „Deutsches Recht“ Heft 7 vom 11. April 1934, S. 167
In dieser Berichterstattung über die Absicht, einen Ausschuss für Rechtsphilosophie zu gründen, wurden die Leser nicht in den Glauben versetzt, die Absicht sei direkt im Anschluss ans Hören des Vortrags von Lea Meriggi ausgebildet und bekannt gegeben worden. Das geschah zuerst im ersten Jahrbuch der AFDR. Da das siebte Heft der Zeitschrift Deutsches Recht ca. 3 Monate früher als die Exemplare des ersten Jahrbuchs der AfDR verteilt worden sind, dokumentiert die Zeitschrift Deutsches Recht ggf. das ältere Inszenierungsmärchen oder das, was tatsächlich geschehen ist.
Im Zweifelsfall sollte man keine wichtigen Folgerungen aus dem Umstand ziehen, dass die Absicht zur Bildung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 29. Januar 1934 entstanden und öffentlich gemacht worden ist. – Falls das doch in der vorliegenden Beta-Version meines Teil I geschrieben steht, dann gehören die entsprechenden Sätze gestrichen.
7.8. Kischs Bericht über „Die bisherige Arbeit der Akademie für Deutsches Recht“ (S. 164-172) auf der Arbeitstagung, welche die Vollsitzung der Akademie vom 17. März 1934 im Rathaus zu Berlin begleitete
Wie vorhin exkursweise erwähnt, fand am 17. März 1934 im Rathaus der Stadt Berlin die 3. Vollsitzung der AfDR statt. Den Hauptvortrag hielt Prof. Dr. Cybichowski zum Thema „Staatsrecht und Leben im Hinblick auf die Rechtserneuerung in Polen“ (S. 137-152). Am Nachmittag fand, wie üblich, im Anschluss eine Arbeitstagung der AfDR statt. Auf ihr referierte der Reichsjustizminister Gürtner über das Thema „Richter und Rechtsanwalt im neuen Staat“ (S. 155-163). Es folgt ein Bericht von Wilhelm Kisch über die bisherige Arbeit der AfDR. Aus diesem Bericht werde ich einige Informationen wiedergeben.
Kisch beginnt seinen Bericht über die Tätigkeiten der AfDR mit einem Bericht über die Ausschüsse der Akademie. Zunächst stellt er diejenigen Ausschüsse vor, die sich mit Angelegenheiten des privaten Rechts befassten (S. 164-167). Dann befasst er sich mit „den Grenzgebieten zwischen privatem und öffentlichem Recht …, – wenn man heute noch von einer scharfen Trennung beider Gebiete sprechen darf“ (S. 167), um abschließend kurz über zwei Ausschüsse zu berichten, die sich mit Kernthemen des Öffentlichen Rechts befassen.
Er habe diese Darstellungsreihenfolge gewählt, um mit den dinglichsten Themen für die NS-Gesetzgebung beginnen zu können. Kisch beginnt mit dem Ausschuss für Familien- und Eherecht. Die relevante Gesetzgebung ist damit die dringlichste. Und das wichtigste Teilthema: Scheidung:
Wenn die bisher gebildeten Ausschüsse zur Zeit noch nicht das geschlossene systematische Bild der gesamten Rechtsordnung darstellen, so ergibt sich daraus, daß der Akademie vor allem daran gelegen war, zunächst die für den Neuaufbau des Staates und Rechts dinglichsten Gegenstände in Behandlung zu nehmen. Im Laufe der weiteren Entwicklung wird dafür Sorge getragen werden, daß kein Rechtsgebiet unvertreten bleibt.
Aus den Ausschüssen, die sich mit dem Bürgerlichen Recht befassen, hat derjenige für Familien- und Eherecht eine mehrtätige Sitzung angehalten, die sich zunächst mit dem Plan und Methode seiner Arbeiten, dann aber sachlich mit einem der brennendsten Probleme des Eherechts, nämlich mit demjenigen der Scheidung befaßt hat.
Wilhelm Kisch: Bericht über die Arbeit der AfDR vom 17. März 1934, S. 165
Ausschüsse, die sich mit Themen im Grenzgebiet zwischen privatem und öffentlichem Recht befassen würden, seien der Ausschuss für Sparkassenrecht, Wasserrecht, Arbeitsrecht und Strafrecht.
Kischs Zuordnung des Strafrechts ins Grenzgebiet zum Privatrecht könnte sich dem Umstand verdanken, dass diverse Parteiorganisationen sich ein eigenes Strafrecht für ihre Mitglieder vorbehielten und die Partei ja zumindest in einer Konkurrenz zum Staat im Dritten Reich stand. Auch deswegen zitiere ich den kompletten Druckabsatz. Vor allem zitiere ich ihn aber, weil Freisle rund Luetgebrune erwähnt werden:
Für das Wesen und den Kulturstand eines Volkes ist nicht nur kennzeichnend, sondern auch bestimmend die Gestaltung seines Strafrechts. So hat denn auch der von der Akademie eingesetzte Ausschuss für Strafrecht und Strafprozeßrecht, geleitet durch den tatkräftigen Förderer der Reform, Staatssekretär Dr. Roland Freisler, und durch dessen Stellvertreter, Justizrat Dr. Luetgebrune, unter besonderer Betonung der weltanschaulichen Standpunkte in paralleler und ergänzender Arbeit wesentlich die gleichen Probleme durchforscht, wie der beim Reichsjustizministerium eingesetzte Ausschuss. Zur Veranschaulichung der Fülle und Wichtigkeit der geleisteten Arbeiten dieses Ausschusses seien aus den erörterten Problemen nur folgende genannt: Sinn und Bedeutung der Richtlinien für die Strafrechtsreform, Notwehr und Notstand im Strafrecht, analoge Rechtsausdehnung, Schuld und Irrtum, Strafe und Sicherungsmaßnahmen usw.
Wilhelm Kisch: Bericht über die Arbeit der AfDR vom 17. März 1934, S. 168
Anschließend berichtet Kisch über die sieben Ausschüsse auf dem „rein öffentlichen Rechtsgebiete“. Einleitend macht er darauf aufmerksam, dass hier Ausschüsse der Akademie eine deutliche geringere Einflussberechtigung auf die Rechtsgestaltung des Dritten Reichs hätten. Da diese Differenzierung wichtig für eine Beurteilung der AfDR in der Rechtsgestaltung des Dritten Reichs ist, zitiere ich wieder den kompletten Text:
In einer besonders schwierigen Lage befindet sich zur Zeit die Akademie bezüglich der rein öffentlichen Rechtsgebiete. Die großen Entscheidungen über die staatsrechtlichen Verhältnisse des Reiches stehen noch aus [am 17. März 1934; mw]. Sie sind letztlich und ausschließlich Sache der Reichsführung. Hier mitbestimmend oder auch nur mitberatend zu wirken, steht der Akademie kaum zu, es sei denn, daß hinsichtlich einzelner Fragen ihre gutachtliche Äußerung eingefordert[384] würde.
Wohl aber glauben wir, für eine Reihe von besonderen Verwaltungsgebieten, die wegen ihres mehr rechtstechnischen Inhalts von der staatsrechtlichen Gesamtgestaltung des Reichs relativ unabhängig erscheinen, brauchbare Vorarbeit leisten zu können.
Wilhelm Kisch: Bericht über die Arbeit der AfDR vom 17. März 1934, S. 168
Unter dieser Beschreibung von Ausschüssen, die rechtstechnische Inhalte auf besonderen Verwaltungsgebieten bearbeiten würden, stellt Kisch folgende Ausschüsse vor:
- Sozialversicherung
- Wehrrecht
- Kommunal- und Kommunalverfassung
- Beamtenrecht
- Polizeirecht
- Finanz- und Steuerrecht
Ohne absetzende Charakterisierung geht er dann über zu einem Bericht über den Ausschuss für Staats- und Verwaltungsrecht und den Ausschuss für Völkerrecht, die kaum unter die Charakterisierung „besondere Verwaltungsgebiete“ mit „mehr rechtstechnischen Inhalt“ fallen. Konsistent wird Kisch Bericht nur dann, wenn man annimmt, dass diese letzten beiden Ausschüsse sich auf eine „gutachtliche Äußerung“ vorbereiteten, die von der Reichsregierung bereits eingefordert worden war. Und das wiederum passt problemlos zu der Charakterisierung des Ausschusses für Völkerrecht durch Karl Lasch im „Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung“ die ich bereits in 5.3. dargestellt habe.
Da die Vorsitzenden des Ausschusses für Staats- und Verwaltungsrecht und des Ausschusses für Völkerrecht auch Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren, zitiere ich auch das:
Des weiteren dürfen wir dem Ausschuss für Staats- und Verwaltungsrecht schon deshalb, weil er von dem wissenschaftlichen Führer des neuen öffentlichen Rechts, unserem verehrten Mitgliede, Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt, betreut wird, ebenso hohe wie berechtigte Erwartungen entgegenbringen. Als erstes Problem wird er sich das Recht der öffentlichen Körperschaften vornehmen, welches sowohl für das künftige Schicksal der Selbstverwaltung wie auch für den ständischen Aufbau schwierige und bedeutsame Einzelfragen aufwirft.
Endlich wird der Ausschuss für Völkerrecht seine demnächst stattfindende Eröffnungssitzung den zur für Deutschland dringendsten Problemen widmen, nämlich der vertragsgemäßen Verwirklichung des deutschen Anspruches auf das Saargebiet, dem Aufbau einer mit besserem Erfolg und größerer Gerechtigkeit funktionierenden Organisationsform völkerrechtlicher Gemeinschaftsarbeit, endlich der großen Frage des Schutzes des Volkstums und der Minderheiten.
Wilhelm Kisch: Bericht über die Arbeit der AfDR vom 17. März 1934, S. 169
Neben der besonders betonten Wertschätzung zu Carl Schmitt ist bemerkenswert, dass nach den Angaben von Wilhelm Kisch die konstituierende Sitzung des Ausschusses für Völkerrecht am 17. März in der näheren Zukunft lag. Vor diesem Hintergrund ist der Termin für die konstituierende Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie nicht auffällig spät. Bemerkenswert ist ferner, dass 1934 das Recht der Minderheiten noch dem Ausschuss für Völkerrecht zugeordnet wurde. 1935 wird für es ein eigener Ausschuss gegründet, dessen Gründungsvorsitzender Emge gewesen ist: der Ausschuss für Nationalitätenrecht. Mit ihm befasse ich mich in Teil III.
Nach seinem Bericht über die Tätigkeiten bereits vorhanden Ausschüsse berichtet Kisch im Anschluss über weitere Ausschüsse, die sich noch in der Gründungsphase befinden. Als erstes berichtet Kisch über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Vermutlich weil dessen Gründungsphase am weitesten gediehen war:
Entsprechend dem sich immer weitenden Aufgabenkreise wird die Akademie die Zahl ihrer Ausschüsse noch zu erweitern haben. Unter der Leitung ihres Präsidenten, Staatsminister Dr. Frank, wird ein Ausschuss für Rechtsphilosophie demnächst seine Arbeiten beginnen. Des weiteren wären ins Auge | S. 170 zu fassen Ausschüsse für Versorgungsrecht, Verkehrsrecht, Luftrecht, endlich für die Erforschung der Rechtsgeschichte, vornehmlich derjenigen unseres eigenen Volkes.
Wilhelm Kisch: Bericht über die Arbeit der AfDR vom 17. März 1934, S. 169
Innerhalb des ersten Jahrbuchs der AfDR ist das Narrativ über die Gründung des Ausschuss für Rechtsphilosophie in sich stimmig.
Interessant ist ferner der Kontrast, den Kisch zwischen den Ausschusssitzungen und den Vollversammlungen der Akademie macht:
Es ist begreiflich, dass die Akademie, deren sachliche Hauptarbeit sich naturgemäß in der stillen Abgeschlossenheit der Ausschuß-Sitzungen abwickelt, doch auch Wert darauf legen muß, in größeren Zeitabständen ihr sämtlichen Angehörigen mit ausgewählten Gästen in Vollversammlungen zusammenzuführen.
Wilhelm Kisch: Bericht über die Arbeit der AfDR vom 17. März 1934, S. 170
Mit dieser Differenzierung zwischen „stiller Abgeschlossenheit“ und feierlichen Vollversammlungen mit Gästen endet Kisch seinen Bericht über die Ausschüsse der Akademie und geht über zu einem Bericht über andere Tätigkeiten der AfDR. Er beginnt mit einem Bericht über die satzungsgemäße Aufgabe der Pflege der Wissenschaften. Einen Eindruck davon, wer unter diesen Akademikern des Dritten Reichs die höchste Anerkennung innerhalb der Akademie genoss, gibt vielleicht die kurze Liste der Akademiker, die bereits in einer der Schriftenreihen der Akademie veröffentlicht haben:
Sie [die Akademie; mw] hat ferner mit der Herausgabe verschiedener Schriftenreihen begonnen, in denen bedeutsame Forschungen mehrerer unserer Mitglieder veröffentlicht sind, z. B. von Viktor Bruns, von Herbert Meyer, denen sich demnächst weitere Beiträge anschließen werden, unter anderen von Professor Hueck, von Carl Schmitt, und von Roland Freisler, der über die Reformarbeit seines Ausschusses auf dem Gebiet des Strafrechts und Strafprozeßrechts eingehend berichten wird. Weiter erscheinen in Kürze die ersten Hefte einer von Professor Eckhardt betreuten Sammlung deutscher Rechtsquellen in der Ursprache mit hochdeutscher Übersetzung, von der eine Förderung des Interesses nicht nur unter Studierenden, sondern auch weiter Kreise für die Rechtsdenkmäler zu erhoffen steht.
Wilhelm Kisch: Bericht über die Arbeit der AfDR vom 17. März 1934, S. 170
Soweit ich weiß ist der Ausschuss für Erforschung der Rechtsgeschichte, für den „Professor Eckhardt“ vermutlich der anvisierte Vorsitzende gewesen ist, nicht als selbständiger Ausschuss gebildet worden. Ich vermute, dass er als fünfter Unterausschuss des Ausschusses für Rechtsphilosophie existierte. Immerhin teilte Emge mit, es solle diesen fünften Unterausschuss geben (siehe 4.6.). Zwei der Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Ernst Heymann und Erich Jung, betrieben deutsche Rechtsgeschichte mit Leidenschaft. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dem Jungspund Karl August Eckhardts (1901 – 1979) dieses Gebiet im Innenverhältnis der AfDR inhaltlich führend überlasen haben. 1935 erschien jedenfalls der erste Band der Schriftenreihe der AfDR. Karl August Eckhardt gab die Gesetze des Merowingerreiches heraus.[385] Der zehnte Band der Schriften wurde wieder von der „Gruppe Rechtsgeschichte“ 1936 beigesteuert. Es handelte sich um Franz Beyerles Gesetze der Burgunden.[386]
Kisch endet seinen Bericht mit einem interessanten Hinweis auf Umfang und Art der Kooperationsbereitschaft der Ministerien mit der Akademie in der Verfassung der Gesetze des Dritten Reichs. Auch das sei zitiert:
So dürfen wir mit Genugtuung rückblickend feststellen, daß schon Einiges erreicht ist, zugleich aber wollen wir uns bewußt bleiben, daß unendlich mehr zu tun verbleibt. Ein hohes Ziel schwebt uns vor, so hoch, daß es, wie so manches andere Ideal vielleicht nicht restlos zu erreichen ist. Aber dafür, daß wir ihm einigermaßen nahe kommen, scheinen hoffnungsvolle Ansätze eine gewisse Bürgschaft zu geben. Einmal die Tatsache, dass die obersten Behörden des Reiches, der Länder und der Gemeinden, deren Unterstützung wir anrufen mußten, ihre Hilfe uns in dankenswerter Großzügigkeit haben angedeihen lassen: Durch Überlassung von Entwürfen, durch Bereitstellung sonstigen Materials, durch Nutzbarmachung des bei ihnen angesammelten Stoffes an Vorarbeiten und Erfahrungen, vor allem aber durch Entsendungen kenntnisreicher und eifrig mitwirkender Sachreferenten. Daß namentlich Reichsminister Dr. Gürtner trotz der beträchtlichen Belastung seines Amtes es sich nicht hat nehmen lassen, an zahlreichen Ausschussitzungen persönlich teilzunehmen und aus dem Schatze seines reichen Wissens und seiner überlegenen Betrachtung der Dinge deren Beratungen zu befruchten, erfüllt uns mit besonderem Dank (Klatschen).●
Wilhelm Kisch: Bericht über die Arbeit der AfDR vom 17. März 1934, S. 171
Ich habe bereits mehrfach erwähnt, dass Hans Frank Wilhelm Kisch als seinen Lehrer ansah und dass Hans Frank verbal für ein Volksprimat eintrat. Ich vermute, dass er seine »Liebe« zum »deutschen Volk« von Wilhelm Kisch übernommen hat:
Die beste Hoffnung aber schöpfen wir aus der inneren Gesinnung, ohne die kein Unternehmen gedeihen kann, aus der Begeisterung, mit welcher sich die Mitglieder der Akademie und ihre Ausschüsse in den Dienst des Ganzen gestellt haben. Es hat sich gezeigt, daß die gewaltigen geistigen und Willensimpulse, die der Führer unseres Volkes dem Deutschtum in seiner Ganzheit und in allen seinen einzelnen Schichten geschenkt hat, sich auch fortpflanzen in der Wirksamkeit der Akademie, die unser Präsident
im Geistes des Führers geschaffen und die er unter seinen mannigfaltigen Gründungen als eine seinem Herzen besonders nahestehende Art von Lieblingskind betreut. Mit dem Gefühl des Dankes und des Stolzes haben wir erlebt, daß die, die wir riefen, alle kamen mitzuschaffen an dem gemeinsamen Werke, durchdrungen von dem Gefühl, daß es eine Aufgabe von unerhörter Schönheit und Größe ist, unserem deutschen Volke, welches allen Schicksalsschlägen seiner Geschichte zum Trotz, aus der ungeschwächten Gesundheit seines Blutes, aus der frommen Einfalt seines Gemütes, aus der Kraft und Tiefe seines Wesens, aus der Fülle seiner reichen Gaben und aus dem Glauben an seine gottgewollte Sendung immer wieder den Weg zum Aufstieg gefunden hat, diesem einzigartigen, in aller Schlichtheit herrlichem Volke ein Recht zu schenken, das seiner │ S. 172 Art entspricht und seiner Größe würdig ist. Im Sinne ihres Gründers und im Geiste unseres Führers wird sich die Akademie weiterhin bemühen, dieser bedeutsamen und dankbaren Aufgabe gerecht zu werden.
Wilhelm Kisch: Bericht über die Arbeit der AfDR vom 17. März 1934, S. 171 f.
Wilhelm Kisch »liebt« »das deutsche Volk« anscheinend nur dann, wenn es fromm ist, wenn es einfältig das glaubt, was jemand wie Wilhelm Kisch ihm predigt: es habe eine gottgewollte Sendung des Aufstiegs – vermutlich zur Weltherrschaft und zur Gottebenbildlichkeit. Wer das selbst meint und anderer glauben macht, leisten einen wesentlichen Beitrag zur Vernichtung »lebensunwerten Lebens«.
Im Anschluss an Kisch ersten Halbjahresbericht sprach kurz noch einmal Frank, der damit die Sitzung beendete. Sein Lob seines akademischen Lehrers und sein Pathos sind zitierwürdig:
Meine Herren! Sie haben den Rechenschaftsbericht des stellvertretenden Präsidenten der Akademie gehört. Es ist mir eine tief empfundene Pflicht, Ihnen, Herr Geheimrat, von ganzem Herzen dafür zu danken, daß Sie in diesen Monaten des Aufbaues der Akademie Ihre so herrliche Kraft unserem Werke zur Verfügung gestellt haben. Ich möchte nur wünschen, daß auch weiterhin gerade Ihr Wirken der Akademie erhalten bleiben möge; denn wir alle – und ich kann das am besten beurteilen – wir wissen in Ihnen den treuen Mentor, den Führer in allen Dingen, in denen ich als Präsident nicht einschreiten kann, und ich kann offen gestehen: dieses Werk wäre mir nicht geglückt, wenn mir nicht das Schicksal Sie mit übergeben hätte.
[…] Es muss in Ihnen, den Mitgliedern der Akademie für Deutsches Recht, das Gefühl eines tiefen Stolzes sein, diesem Kollegium, dieser Arbeitsgemeinschaft angehören zu dürfen. Wir wollen stolz dieser Aufgabe dienen und uns zu dieser sachlichen Sicherung der nationalsozialistischen Revolution bekennen, und wir wollen damit schlicht, wie es die Art des deutschen Rechtsdieners zu allen Zeiten war, aber stolz, wie es zu allen Zeiten die Art der deutschen Männer war, an diese Arbeit gehen, dem Staate unseres Führers die Ewigkeit zu erkämpfen. In diesem höchsten Sinne bitte ich Sie am Schluß der heutigen Tagung, sich mit mir zu erheben und dem Schirmherrn der Akademie für Deutsches Recht, Herrn Generalfeldmarschall von Hindenburg, und unserem herrlichen Führer Adolf Hitler ein dreifaches Sieg-Heil auszubringen.
Erstes JAfDR, S. 172
Das nächste Ereignis, über das im ersten Jahrbuch der AfDR berichtet wurde, war ein Presseempfang der AfDR am 5. Mai 1934.
7.9. Luetgebrunes Redebeitrag auf dem Presseempfang der AfDR am 5. Mai 1934:
Zunächst: Dieser Presseempfang ist nicht zu verwechseln mit einem Presseempfang, den es angeblich anlässlich der Konstitution des Ausschusses für Rechtsphilosophie gegeben hat. Soweit ich weiß, gab es keinen Presseempfang anlässlich der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Ursache für den Irrtum ist ein ungünstiges Layout auf der Titelseite der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland vom 4. Mai 1934: In der linken Spalte wird unter der kleineren Überschrift „Thüringens Wertarbeit“ nicht über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet, sondern über irgendeine „Werbewoche“ der „Verbandes der mitteldeutschen Industrie“. Im ersten Absatz dieses Berichts wird ein „Empfang der Auslandspresse“ erwähnt. Das alles hat aber nichts mit dem Ausschuss für Rechtsphilosophie zu tun:
Abbildung 40: Anfang des Berichts über die Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 auf der Titelseite der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland vom 4. Mai 1934
Der Presseempfang vom 5. Mai 1934, über den im ersten Jahrbuch der AfDR berichtet wird, fand in Berlin statt und ist von der gesamten AfDR ausgerichtet worden. Der Empfang fand symbolträchtig in dem Gebäude statt, das zuvor vom Preußischen Landtag und etwas später von Freislers Volksgerichtshof genutzt wurde:
1934: Nach der endgültigen Auflösung des Preußischen Landtags wird das Gebäude in die Stiftung „Preußenhaus“ überführt. Im Juni 1934 wird im Plenarsaal der berüchtigte Volksgerichtshof gegründet.
https://www.parlament-berlin.de/de/Das-Haus/Geschichte
Der Einladung zum Empfang seien „über 200 Pressevertreter, darunter 40 Vertreter der ausländischen Presse“ gefolgt (S. 173). Der Direktor der AfDR, Karl Lasch, begrüßte die Vertreter der Presse mit folgenden Worten:
Ich habe die Ehre, Sie im Namen des Herrn Präsidenten und der Mitglieder der Akademie für Deutsches Rechts auf das herzlichste zu begrüßen und Ihnen für Ihr großes Interesse an den Aufgaben und Zielen der Akademie für Deutsches Recht, welches Sie durch Ihr zahlreiches Erscheinen heute bekundet haben, auf das herzlichste zu danken. Insbesondere obliegt es mir, Herrn Reichsjustizminister Dr. Gürtner, den Herrn sächsischen Justizminister Dr. Thierack und den Gruppenführer der SA, Herrn Rechtsanwalt Dr. Luetgebrune, herzlichst zu begrüßen.
Erstes JAfDR, S. 173
Abbildung 41: Anfang des Berichts über den Pressempfang der AfDR im Berliner Preußenhaus am 5. Mai 1934; 1. JAfDR, S. 173
Karl Lasch und Walter Luetgebrune waren auch bei der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie anwesend. Die Minister Gürtner und Thierack nicht.[387]
Nachdem Karl Lasch die AfDR ein wenig vorgestellt hatte, sprach Hans Frank zur Presse. Rhetorischer Zweck der Rede ist es wieder, die Hörer in den Glauben zu versetzen, dass die nationalsozialistische Revolution inzwischen in einen geordneten Rechtszustand übergegangen sei:
Keine Revolution ist davon frei. An dem Maß aber, an der Leidenschaft und dem Nachdruck, mit denen revolutionäre Entgleisungen gerade in dem Deutschland Adolf Hitlers nachgegangen wird, kann man erkennen, wie ernst, wie nachdrücklich ernst es unserem Führer und seiner Regierung mit dem Kampf um dieses Recht und um die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung ist.
Hans Franks Presseansprache am 5. Mai 1934, S. 177
Nebenbei erwähnt Hans Frank auch, dass er „vorgestern“ den Ausschuss für Rechtsphilosophie konstituiert habe:
[…] Wehrrecht, Kommunalrecht, Beamten- und Polizeirecht, Finanz- und Steuerrecht, Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht. Vorgestern habe ich den Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie, dessen Vorsitz ich persönlich übernehme, in Weimar zum ersten Zusammentreten gebracht.
Hans Franks Presseansprache am 5. Mai 1934, S. 174
Nach Hans Frank hielt der Reichsjustizminister Franz Gürtner eine kurze Rede, in der mir nichts Zitierwürdiges aufgefallen ist. Dasselbe gilt für die folgende Rede. Sie wurde vom „Stellvertreter des Präsidenten des Reichsverbandes der deutschen Presse“, „Kampmann“[388] gehalten. Kampmann war kurzfristig für den „Präsidenten des Reichsverbandes der deutschen Presse“, einem „Hauptmann Weiß“, der zugleich Gruppenführer der SA gewesen sei eingesprungen (S. 179).
Mit Blick auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie und seine Aufgabe ist die nächste Rede sehr interessant.
7.9.1. Was Leser des ersten Jahrbuchs über Luetgebrune wissen konnten: Mitglied des Führerrats und des Strafrechtsausschusses der AfDR
Leser des ersten Jahrbuchs der Akademie für Deutsches Recht waren mehrfach mit Luetgebrune bekannt geworden. Der Übersichtlichkeit halber, zitiere ich die Erwähnung noch einmal, aber nun zusammengestellt.
Hans Frank hatte auf seiner Eröffnungsrede vom 6. Dezember 1933 den außerordentlichen Führerrat der AfDR vorgestellt, dem auch Luetgebrune angehörte. Ich zitiere erneut:
[3] […] außerordentliche(n) Führerrat, der die eigentlichen Arbeiten leitet, überwacht und garantiert, wird unter dem Vorsitz von Herrn Minister Kerrl stehen. Den stellvertretenden Vorsitz wird Herr Staatssekretär Dr. Freisler übernehmen. Ich nehme an, daß er uns diese Ehre schenken wird. Weiter wird dem Führerrat angehören: Stabschef Ernst Röhm, Dr. Wilhelm Heuber, Dr. Luetgebrune, Staatsrat Schmitt, Generaldirektor Arendts (München). Als geschäftsführenden Direktor der Akademie wurde von mir bestellt Herr Dr. Lasch in München.
Hans Franks Eröffnungsrede am 6. Dezember 1933, S. 65
In der Aussprache, die der Rede Hans Franks am 6. Dezember 1933 folgte, beteiligte sich Luetgebrune mit folgendem Wortbeitrag:
Justizrat Dr. Luetgebrune:
Diese Tagung hat sich mit den Grundsätzen der Arbeit befassen müssen. Ich möchte nochmal betonen, daß die Akademie nicht in Konkurrenz treten soll zur Arbeit des Reichsjustizministeriums und daß an die Spitze des Programms der Akademie ausdrücklich gestellt worden ist, daß, wenn ein Ausschuß Daseinsberechtigung haben wollen, er dann die metaphysische Untermauerung der Rechtserneuerung vorzunehmen habe.●
Erstes JAfDR, S. 70
Darüber hinaus wussten die Leser des ersten JAfDR, dass Luetgebrune Stellvertreter Roland Freislers in dessen Eigenschaft als Vorsitzender des Ausschusses für Strafrecht und Strafprozessrecht war:
Für das Wesen und den Kulturstand eines Volkes ist nicht nur kennzeichnend, sondern auch bestimmend die Gestaltung seines Strafrechts. So hat denn auch der von der Akademie eingesetzte Ausschuss für Strafrecht und Strafprozeßrecht, geleitet durch den tatkräftigen Förderer der Reform, Staatssekretär Dr. Roland Freisler, und durch dessen Stellvertreter, Justizrat Dr. Luetgebrune, unter besonderer Betonung der weltanschaulichen Standpunkte in paralleler und ergänzender Arbeit wesentlich die gleichen Probleme durchforscht, wie der beim Reichsjustizministerium eingesetzte Ausschuss. Zur Veranschaulichung der Fülle und Wichtigkeit der geleisteten Arbeiten dieses Ausschusses seien aus den erörterten Problemen nur folgende genannt: Sinn und Bedeutung der Richtlinien für die Strafrechtsreform, Notwehr und Notstand im Strafrecht, analoge Rechtsausdehnung, Schuld und Irrtum, Strafe und Sicherungsmaßnahmen usw.
Wilhelm Kisch: Bericht über die Arbeit der AfDR vom 17. März 1934, S. 168
Bereits Ende 1933 war der „Zentralausschuß der Strafrechtsabteilung“ des Reichsjustizministeriums gegründet worden:
Der Ende 1933 eingerichtete Zentralausschuß der Strafrechtsabteilung stand unter der Leitung von Roland Freisler. Weitere Mitglieder waren: die Professoren Oetker │ S. XIII Schoetensack und Mayer, Reichsgerichtsrat Schwarz, die bayerischen Ministerialbeamten Dürr und Strauß, der sächsische Justizminister Thierack und Erwin Noack (Generalinspekteur des BNSDJ).5 Es fanden insgesamt fünf, meist zweitägige Sitzungen statt, zuletzt wohl am 11. und 12.4.1934, über die zum Teil kurze Pressenotizen veröffentlicht wurden. Die Protokolle über die Sitzungen […] sind, wie erwähnt, bisher leider nichtauffindbar gewesen. Die Denkschrift des Ausschusses von Mitte 1934 enthält neben einer Zusammenfassung des Beratungsergebnisses durch Freisler Referate von Thierack, Strauß, Oetker, Schoetensack, Schwarz, Mayer und von Freisler selbst. Das Beratungsergebnis entsprach weitgehend den Vorschlägen der Preußischen, von Freisler mitredigierten Denkschrift von 1933: […]
5 Sitzungsteilnehmer dürften ferner Gerhard Ludwig Binz und Walter Luetgebrune gewesen sein, die aber in dem in Fn. 1 genannten Werk nicht als Mitglieder aufgeführt sind. Zum Zentralausschuß auch L. Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933-1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, 1988, S. 766, 775.
(Schubert, Ausschüsse zum Strafrecht 1999), S. XII f.
Der Titel der Denkschrift von 1933 lautete „Nationalsozialistisches Strafrecht“. Sie war vom Preußischen Justizminister Hans Kerrl in dieser Eigenschaft herausgegeben worden: (Kerrl 1933). Kerrl war, wie erwähnt, auch am 5. Mai 1934 beim Presseempfang der AfDR anwesend.
Ich zitiere ein wenig aus den Pressenotizen. Die Notiz aus dem Februar 1934 betont wieder den Wechsel von der Kampfzeit zur NS-Ordnung:
I. Pressenotiz über die 3. Sitzung vom 22. und 23.2.1934 (DJ 1934, S. 334)
Am 22. und 23. Februar fand in München die 3. Sitzung des Ausschusses für Straf- und Strafprozeßrecht statt. In Abwesenheit des infolge dringender Dienstgeschäfte plötzlich verhinderten Vorsitzenden, Staatssekretär Dr. Freisler, wurde die Sitzung von SA-Gruppenführer Dr. Luetgebrune geleitet.
[…]
Außer den bereits genannten Referenten waren anwesend der Reichsjustizkommissar Dr. Frank und der stellvertretende Präsident Geheimrat Professor Dr. Kisch.
Der Reichsjustizkommissar Dr. Frank hielt vor dem Ausschuß eine Ansprache, deren wesentlicher Kern in dem Hinweis bestand, daß der Nationalsozialismus seine Sturm- und Drangperiode hinter sich habe und daß es jetzt darum gehe, ihn aus dieser Sturm- und Drangperiode in den Bereich sachlicher, geistdurchdrungener Arbeit hinüberzuführen. Hierbei sei vor allem die Akademie für Deutsches Recht berufen, in dem Durcheinander an den Ideenäußerungen und Schöpfungseinfällen die ruhige, klare, arbeitsbewußte Linie zu wahren.
(Schubert, Ausschüsse zum Strafrecht 1999), S. 1
In der zweiten Pressenotiz wird deutlich, weshalb den akademischen Nationalsozialisten das Strafrecht besonders wichtig war:
II. Pressenotiz über die 4. Sitzung vom 16.3.1934 (DJ 1934, S. 398)
Am 16. März fand in den Räumen des Preußenhauses die 4. Sitzung des Strafrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht unter dem Vorsitz des Leiters des Ausschusses, Staatssekretärs Dr. Freisler, in Anwesenheit des Präsidenten der Akademie, Reichsjustizkommissars Dr. Frank und ihres Vizepräsidenten Geheimrats Kisch, statt
[…]
Reichsjustizkommissar Dr. Frank hob im Anschluß daran hervor, daß gerade das Strafrecht das markanteste Instrument des Staates zur Aufrechterhaltung seines Ichs und zur Sicherung der Lebensvoraussetzungen der Nation sei. Der Primat des einzelnen müsse gebrochen werden. Der Vorrang der Gemeinschaft müsse im Vordergrund stehen. Reichsjustizkommissar Dr. Frank beschloß seine Rede mit einigen Hinweisen für die Arbeit der neuzubildenden Unterausschüsse des Strafrechtsausschusses, nämlich für Strafprozeß, Strafvollzug, Polizei- und Nebenstrafrecht, Sammlung und Vergleichung des Länderstrafrechts.
(Schubert, Ausschüsse zum Strafrecht 1999), S. 2
In der dritten Pressenotiz wird Freislers Position eines »Willensstrafrechts« vorgestellt:
III. Pressenotiz über die 5. Sitzung vom 11. und 12.4.1934 (DJ 1934, S . 523)
Am 11. und 12. April 1934 fand in Berlin im Preußenhaus die 5. Sitzung des Strafrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht unter dem Vorsitz des Staatssekretärs Dr. Freisler statt
[…]
Am Anfang des Rechtsbewußtseins des arischen Menschen, so führte Staatssekretär Dr. Freisler aus, steht die Gegenüberstellung von Schuld und Sühne. Die Schuld bemißt sich nach dem Willen, der am Anfang aller Dinge steht. Der früheren Auffassung entsprach es, wenn man sagte, der Wille sei für die ethische Beurteilung von grundlegender Bedeutung, er habe aber nicht für die rechtliche Ordnung der Lebensverhältnisse eines Volkes von grundlegender Bedeutung zu sein. Das ist die alte Behauptung der Unabhängigkeit, des Nebeneinanderstehens der Rechtsordnung und der Sittenordnung. Diese Gegenüberstellung ist jedoch durch den Nationalsozialismus endgültig überwunden worden, und zwar insbesondere dadurch, daß der Nationalsozialismus und vor allem der Führer selber mit aller Entschiedenheit immer wieder hervorgehoben haben, daß der Staat nicht Selbstzweck, sondern nur eine wichtige äußere Organisationsform des Volkes, nicht einmal die einzige und vielleicht nicht einmal die wichtigste sei. Deshalb müssen wir für die staatliche Rechtsordnung auch eine tiefere Grundlage anerkennen, und diese kann nur das deutsche Sittengesetz sein, aus dem heraus sich das Recht als eine unvollkommene Ausdrucksform entwickelt hat und weiter entwickeln wird. Wenn man von diesem Gedanken ausgeht und damit den Zweck des Strafrechts, Rechtsgüter zu schützen, also die Friedensordnung, die Lebenskraft des Volkes vor Angriffen zu sichern, kombiniert, dann erhebt sich die Frage, an welcher Stelle nunmehr die Verteidigungslinie des Staates gegen Angriffe eines rechtsbrecherischen Willens aufgebaut wird.
[…] │ S. 4 […]
Das Grundübel ist aber nicht die vollendete Tat, sondern der der Volksordnung drohende verbrecherische Wille, der sich anschickt, in einer von dem Volke und seinem Staat mißbilligten Weise vorzugehen. Damit ist meines Erachtens klargestellt, daß das neue Strafrecht die Hauptverteidigungslinie des Staates auf der Linie der Bekämpfung bereits des Versuches aufbauen muß und daß es die gesamte Reaktion des Staates da einsetzen lassen muß, wo der verbrecherische Wille beginnt, erkennbar und nachweisbar in den natürlichen Ablauf der Ereignisse einzugreifen. Das bedeutet allerdings, daß dann eine Unterscheidung von Versuch und vollendeter Handlung keine Bedeutung mehr haben kann.
(Schubert, Ausschüsse zum Strafrecht 1999), S. 3 f.
Soweit betrachtet hätten zeitgenössische Leser angenommen, dass Luetgebrune als metaphysisch geneigter Strafrechtler aus dem Umkreis Roland Freisler auf dem Presseempfang das Wort ergriff. Offiziell wurde das etwas anders dargestellt. In Heft 19 vom 11. Mai 1934 des Amtsblattes des Reichsjustizministeriums „Deutsche Justiz“ wurde ebenfalls über den Pressempfang der AfDR am 5. Mai 1934 berichtet. Und zwar in seiner regulären Rubrik „Aus der Akademie für Deutsches Recht“. Hier der Absatz über das Ende des Presseempfangs:
Anschließend [an den Reichsjustizminister Dr. Gürtner] sprachen der Leiter des Reichsverbandes der Deutschen Presse, KAMPMANN, sowie der Rechtsberater der Obersten Leitung der PO.[389], Dr. LUETGEBRUNE, in seiner Eigenschaft als Leiter des Amtes der in- und ausländischen wissenschaftlichen Gesellschaften in der Akademie für deutsches Recht.
Deutsche Justiz, Heft 19 vom 11 Mai 1934; S. 619
7.9.2. Luetgebrune: Der Ausschuss für Rechtsphilosophie soll die strategische Abteilung aller juristischen Vereinigungen im Dritten Reich sein
Ich beginne meine Darstellung mit dem zentralen Zitat aus dem Redebeitrag Luetgebrunes vom 5. Mai 1934 über den frisch gegründeten Ausschuss für Rechtsphilosophie:
[6] Bei der Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Akademie in Weimar ist ein Gedanke aufgetaucht, der in der Organisation dieser einheitlichen Bildung aller wissenschaftlichen Regelungen auf dem Gebiete der Jurisprudenz eine Rolle zu spielen berufen ist. Es ist der Gedanke gefaßt, daß gerade dieser Ausschuß für Rechtsphilosophie der Akademie gewissermaßen die strategische Abteilung für alle Operationen und Betätigungen der wissenschaftlichen juristischen Vereinigungen und Gesellschaften sein soll. Ich bin sicher, daß in dieser Form und dem richtigen Geist Sinn und Wesen der neuen Rechtswissenschaft eines dritten deutschen Rechts erfaßt und gefördert werden.
(Luetgebrune, Redebeitrag auf dem Pressemempfang der AfDR vom 5. Mai 1934), S. 184
Hoppla … Der Ausschuss für Rechtsphilosophie sollte die „strategische Abteilung für alle Operationen und Betätigungen der wissenschaftlichen juristischen Vereinigungen und Gesellschaften“ sein? Wie denn das? Wie sollte ein kleiner Personenkreis das vielgestaltige Leben in der Rechtswissenschaft strategisch beherrschen? Das war bei der großen Anzahl bestehender wissenschaftlicher Vereinigungen, Gesellschaften und Verbände, die 1934 existierten, doch gar nicht möglich! Um das Strategieziel zu erreichen, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie „alle“ juristischen Betätigungen im Dritten Reich kontrollieren würde, hätte die Anzahl erst einmal deutlich minimiert werden müssen!
Aber genau diese Vorbedingung fürs Erfüllen der anvisierten Strategie-Aufgabe des Ausschusses für Rechtsphilosophie hatte Luetgebrune direkt zuvor öffentlich ausgesprochen.
[5] Die Gestaltung der Akademie als solche ersehen Sie aus den verschiedenen Schriften und Drucksachen. Sie wissen, daß die Akademie ihre Arbeit in einer Fülle von Ausschüssen leistet, die sich mit Spezialgebieten befassen. Es würde aber mit der notwendigerweise beschränkten Anzahl der Mitglieder der Akademie einen schlechten Dienst für die Wissenschaft bedeuten, wenn man glauben und fordern möchte, daß sie das wissenschaftliche Leben in Zukunft auf den engen Kreis der Mitglieder der Akademie beschränken soll. Das vielgestaltige wissenschaftliche Leben in der Rechtswissenschaft zeigte sich, zu einem Teil mindestens, in einer Unsumme von wissenschaftlichen Vereinigungen, Gesellschaft und Verbänden. Zwar hat all diesen Verbänden ein einheitlicher Führergedanke gefehlt, und zwar sind sie von verschiedenen Ausgangspunkten – vielleicht auch ohne Ausgangspunkte – lediglich kritisch an die Lösung von Aufgaben herangegangen, die sie als wissenschaftlich ansprachen. Für die Gestaltung des deutschen Vaterlandes und der Zukunft ist für ein diffuses Konglomerat von Vereinigungen kein Raum mehr. Daher ist der Gedanke erwogen und vom Führer gebilligt worden, der demnächst ausgestaltet werden soll, daß alle wissenschaftlichen Vereinigungen zunächst gesichtet und in ihren verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen unter der Führung des Präsidenten der Akademie für deutsches Recht in sich zusammengebracht werden.
(Luetgebrune, Redebeitrag auf dem Pressemempfang der AfDR vom 5. Mai 1934), S. 184
Nach Auskunft Luetgebrunes habe der Führer Hans Frank persönlich mit dieser Gleichschaltungsaufgabe betraut. Das ist glaubhaft, da der Führer Hans Frank bereits mit der Gleichschaltung der Länder beauftragt hatte.
Fasst man das Ergebnis der beiden Druckabsätze zusammen, ergibt sich folgendes: Der Ausschuss für Rechtsphilosophie sollte die strategische Abteilung für alle Operationen und Betätigungen der wissenschaftlichen juristischen Vereinigungen und Gesellschaften sein. Vorab mussten die Anzahl der bestehenden Vereinigungen und Gesellschaften minimiert („Unsumme“) und die verbleibenden gleichgeschaltet („einheitlicher Führergedanke“, „unter der Führung des Präsidenten“) werden.
Ich vermute, dass eine quantitative Analyse der juristischen Vereinigungen und Gesellschaften für den Zeitraum 1934 bis 1939 tatsächlich eine erhebliche Reduzierung nachweisen würde, so dass eine Beherrschung des Restbestandes während des Zweiten Weltkrieges durch die Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Bereich des praktisch Möglichen lag. In Teil IV werde ich gelegentlich auf die strategische Leitung von rechtswissenschaftlichen NS-Organisationen durch Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie aufmerksam machen. So übernahm zum Beispiel Ernst Heymann 1943 die Herausgeberschaft der „Zeitschrift für osteuropäisches Recht“, in der dann u.a. Globke über die „Umsiedlung“ und „Neubesiedlung“ von Gebieten schrieb, die unter der Autokratie Alfred Rosenbergs und Hans Franks in diesem Zeitraum standen:[390]
Abbildung 42: Titelblatt der Zeitschrift für Osteuropäisches Recht von 1943 mit Ernst Heymann (1870-1946) als Herausgeber
Abbildung 43: Inhaltsverzeichnis der „Zeitschrift für Osteuropäisches Recht“, Heft 1 1943
Im nächsten Schritt zeige ich exemplarisch, dass und wie Carl Schmitt und Hans Frank die „Unsumme“ der juristischen Vereinigungen um eins minimierten. In der rückblickenden Beschreibung von ihnen, was sie da getan haben, benutzen sie die Formulierungen, die auch Luetgebrune am 5. Mai 1934 benutzt hatte. Deswegen ist es sehr wahrscheinlich, dass Luetgebrunes Mitteilung vom 5. Mai 1934 einen Beschluss von der ersten Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie inhaltlich korrekt öffentlich machte: Der Ausschuss für Rechtsphilosophie sollte die Strategie-Abteilung der Gleichschaltung und Beherrschung aller juristischen Tätigkeiten im Dritten Reich sein.
7.9.3. Exkurs: Carl Schmitt und Hans Frank lösten in nur zwei Jahren die „Deutsche Juristen-Zeitung“ in die Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht auf und bedienten sich dabei der Terminologie, die Luetgebrune in seiner Darstellung des Ausschusses für Rechtsphilosophie als „strategische Abteilung“ am 5. Mai 1934 verwendet hatte
Es ist tatsächlich leicht, einen weiteren Beleg für die Gleichschaltung der juristischen Vereinigungen und Gesellschaften anzugeben: Carl Schmitt wird zunächst im Juni 1934 Herausgeber der angesehene „Deutschen Juristen-zeitung“. 1936 hatte er sie bereits erfolgreich abgewickelt. Am 1. Oktober 1935 wurden folgende Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie als Mitwirkende“ auf dem Titelblatt genannt: Viktor Bruns, C. A. Emge und W. Kisch. Vier von zwölf Dauermitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren mit der Gleichschaltung und dann Auflösung der DJZ in die ZAfDR befasst. Das sagt vermutlich etwas über die Bedeutung der DJZ vor ihrer Gleichschaltung aus.
Am 1. Juni 1934, also grob 4 Wochen nach Luetgebrunes Wortbeitrag auf dem Presseempfang vom 5. Mai 1934, wurde zunächst die Übernahme der Herausgeberschaft in der Zeitschrift „Deutsche Justiz“ (Heft Nr. 22) ausdrücklich unter Nennung eines strategischen Ziels bekannt gegeben:
„Prof. Carl Schmitt übernimmt die „Deutsche Juristenzeitung“ […] Nach erfolgtem Rücktritt des bisherigen Herausgebers hat die neue Herausgeberschaft Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt übernommen, der unter Mitwirkung des Führerrates der Fachgruppe Hochschullehrer [im BNSDJ; mw] als deren Leiter die Zeitschrift zum wissenschaftlichen Fachorgan des NS-Juristenbundes ausgestalten wird.“
Bereits nach zwei Jahren, 1936, wurde diese traditionsreiche Fachzeitschrift zu Gunsten der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht aufgelöst. Hans Frank stellt das so dar:
Wenn der Wirkungsbereich der „Deutschen Juristen-Zeitung“ am 31. Dezember 1936 mit dem der „Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht“ vereinigt wird — was auch verlegerisch dadurch zum Ausdruck kommt, daß die „Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht jetzt im Verlage der bisherigen „Deutschen Juristen-Zeitung“ erscheint —, so geschieht dies im Zuge der als notwendig erkannten Neuformierung des gesamten juristischen Zeitschriftenwesens. Die der „Deutschen Juristen-Zeitung seit der Umgestaltung im Jahre 1934 obliegende Aufgabe und die für sie charakteristische Art der Durchführung erfährt mithin keine Unterbrechung. Denn auch die „Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht“ wendet sich an alle Rechtswahrer und hat es sich zum Ziel gesetzt, das gesamte deutsche Rechtsleben zu betreuen.
(H. Frank, Zum Abschluß [der Deutschen Juristen-Zeitung im Dezember] 1936), S. 714
Mit dieser abschließenden Charakterisierung nimmt Hans Frank fast wörtlich die Zweckbestimmung des Ausschusses für Rechtsphilosophie auf, die Luetgebrune bereits am 5. Mai 1934 öffentlich gemacht hatte:
[6] Bei der Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Akademie in Weimar ist ein Gedanke aufgetaucht, der in der Organisation dieser einheitlichen Bildung aller wissenschaftlichen Regelungen auf dem Gebiete der Jurisprudenz eine Rolle zu spielen berufen ist. Es ist der Gedanke gefaßt, daß gerade dieser Ausschuß für Rechtsphilosophie der Akademie gewissermaßen die strategische Abteilung für alle Operationen und Betätigungen der wissenschaftlichen juristischen Vereinigungen und Gesellschaften sein soll.
(Luetgebrune, Redebeitrag auf dem Pressemempfang der AfDR vom 5. Mai 1934), S. 184
Nur präsentiert Frank 1936 den Herrschaftsanspruch rhetorisch freundlicher als „Betreuungsverhältnis“.
Auch Carl Schmitts „Schlußwort“ als Herausgeber der „Deutschen Juristen-Zeitschrift“, das ich gleich zitieren werde, spricht für meine Deutung – zumal der Zeitablauf (5. Mai 1934: Luetgebrunes Strategieauskunft; 1. Juni 1934: Schmitt übernimmt die Herausgeberschaft der DJZ; 15. Dezember 1936: Schlussworte von Carl Schmitt und Hans Frank in der DJZ, sie werde zum Ende des Jahres 1936 eingestellt), die Form des Rechtsmittels („Anordnung“) und der Status des Äußerers des Rechtsmittels („Reichsrechtführers“ und nicht etwas Präsident der Akademie) alle zu dieser Zusatzaufgabe, die Luetgebrune bekannt gegeben hatte, passen. Dass Schmitt angibt, dass er als Reichfachgruppenleiter der Hochschullehrer im BNSDJ zum Herausgeber der DJZ gemacht worden sei, spricht nur dafür, dass die von Luetgebrune mitgeteilte Strategieaufgabe des Ausschusses für Rechtsphilosophie in ihrer öffentlichen Umsetzung dann doch lieber anderen NS-Organisationen zugeordnet wurde:
Am 1. Juni 1934 wurde mir durch eine Anordnung des Reichsrechtsführers Dr. Hans Frank in meiner Eigenschaft als Reichsfachgruppenleiter der Hochschullehrer im BNSDJ. die Herausgeberschaft der „Deutschen Juristen-Zeitung“ übertragen. Damit begann für die „Deutsche Juristen-Zeitung“ der letzte Abschnitt ihrer Geschichte. Die zweieinhalb Jahre dieses Zeitabschnitts sind erfüllt von dem Bemühen, unter klarer Durchführung nationalsozialistischer Grundsätze und Richtlinien einen bedeutenden Teil der deutschen Rechtspraxis und Rechtswissenschaft zur Mitarbeit an den neuen Aufgaben der Rechtsentwicklung heranzuziehen. Dadurch sollte für ein wichtiges Gebiet des deutschen Geisteslebens, einem Wort des Führers gemäß, aus der großen Überlieferung deutschen Geistes erhalten und weiterentwickelt werden, was erhaltenswert ist und weiterentwickelt zu werden verdient. In zahlreichen Erklärungen und Reden des Reichsrechtsführers, sowie in dem ersten Aufsatz des neuen Abschnitts „Der Weg des deutschen Juristen“ ist die Linie der fachwissenschaftlichen und weltanschaulichen Arbeit der „Deutschen Juristen-Zeitung“ vorgezeichnet, an die wir uns gehalten haben.
(Schmitt, Schlußwort des Herausgebers 1936). S. 1454
Ich habe die Satzteile durch Fettdruck hervorgehoben, durch die Carl Schmitt selbst 1936 öffentlich bekannt gab, dass mit seiner Übernahme der Herausgeberschaft der DJZ „der letzte Abschnitt ihrer Geschichte“ begonnen habe. Es war demnach bereits vor dem 1. Juni 1934 beschlossen worden, dass diese juristische Fachzeitschrift aufgehoben werden sollte. Der 5. Mai 1934 liegt vor dem 1. Juni 1934.
Da Carl Schmitt wenige Tage vor Veröffentlichung dieses Schlusswortes durch zwei anonyme Zusendungen an die SS-Zeitschrift „Das Schwarze Corps“ als bloßer Opportunist angegriffen worden war, sei ein wenig mehr aus seinem Schlusswort zitiert:
In dem großen weltanschaulichen Kampf um die Durchsetzung nationalsozialistischen Gedankengutes sind wir nicht zurückgeblieben. Die geschichtliche Lage der heutigen Rechtswissenschaft, die Studien- und Ausbildungsreform, die Trennung des deutschen Geistes vom jüdischen Einfluß, alle diese Probleme sind oft behandelt worden. […] Der Aufsatz „Der Führer schützt das Recht“
– dessen Verfasser Carl Schmitt gewesen ist und in dem er die Morde im Zuge des sog. „Röhm-Putsches“ gerechtfertigt hat ,
der die große Reichstagsrede des Führers vom 13. Juli 1934 behandelte, ebenso der Aufsatz über die Verfassung der Freiheit vom 1. Oktober 1935
– in diesem Text rechtfertigte Carl Schmitt die Nürnberger Rassegesetze[391] –,
hat weithin gewirkt. Wenn gerade wegen dieser Aufsätze der deutschfeindliche Teil der Auslandspresse und jüdische Emigranten noch lauter als sonst lärmten, so war für uns damit nur bewiesen, daß wir einen entscheidenden Punkt getroffen und ein richtiges Wort gefunden haben.
[…]Mit dem Jahre 1936 ist diese Arbeit der „Deutschen Juristen-Zeitung“ an ihrem Ende angelangt. Die Arbeit geht in neuen Formen weiter. Der Rückblick auf unsere positivrechtliche, gesetzespolitische und weltanschauliche Arbeit soll daher weder ein Abschied noch eine Apologie noch Ähnliches sein. Er soll nur den Dank bezeugen, den wir den Mitherausgebern und Mitarbeitern der Zeitschrift, allen Förderern und | S. 1455 Lesern im In- und Auslande und dem Verlag [Beck; mw] für seine hervorragende Leistung schuldig sind. Er soll ferner den Dank für die Anerkennung zum Ausdruck bringen, die wir gefunden haben. Wir sind glücklich, daß die „Deutsche Juristen-Zeitung“ in den ereignisreichen Jahren der deutschen Geschichte von 1934- 1936 unserer fachwissenschaftlichen Arbeit zur Verfügung stand und uns als deutschen Rechtswahrern Gelegenheit gab, mit den besten Methode» der besten juristischen Bildung an der deutschen Rechtsentwicklung und Rechtserneuerung und damit auch an dem großen Gesamtwerk unseres Führers mitzuarbeiten.
Carl Schmitt
(Schmitt, Schlußwort des Herausgebers 1936). S. 1454 f.
Damit habe ich nachgewiesen, dass sowohl Carl Schmitts als auch Hans Franks abschließende Worte vom 15. Dezember 1936 in der „Deutschen Juristen-Zeitung“ hervorragend zur Zusatzaufgabe des Ausschusses für Rechtsphilosophie passen, die Luetgebrune am 5. Mai 1934 öffentlich gemacht hatte.[392] Man muss deswegen davon ausgehen, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie diese Gleichschaltungsaufgabe tatsächlich angegangen und zumindest teilweise erfüllt hat. Ja, wenn man sich das kleine Feld der NS-Rechtswissenschaft im Jahr 1944 anguckt, dann darf man sogar vermuten, dass die Minimierungs- und Gleichschaltungsaufgabe bis zum Schluss mit überragendem Erfolg erfüllt worden ist.
In Teil III und IV werde ich mich ausführlicher mit der angeblichen Entmachtung Carl Schmitts befassen.
Wem das noch nicht Beweis genug dafür ist, dass Carl Schmitt und Hans Frank im Fall der DJZ ausführten, was Luetgebrune als Strategieaufgabe des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 5. Mai 1934 bekannt gegeben hatte, der lese zusätzlich die ausführlichen Auskünfte Hans Franks zur gleichgeschalteten NS-Rechts“wissenschaft“ aus seinem Schlusswort der DJZ:
Zum Abschluß
Nicht nur Bücher, sondern auch Zeitschriften haben ihre Schicksale. […]
Im nationalsozialistischen Staat steht die Zeitschrift im Dienste des Volkes, gleichgültig, welche Aufgabe sie im einzelnen erfüllt. Das ist heute ihr oberstes Gebot, obgleich sie auch in der Gegenwart im allgemeinen einen der Person und der Sache nach begrenzten Wirkungskreis hat. Dieser Kreis deckt sich mehr als bisher mit den Ordnungen und Gemeinschaften des Volksganzen, die der Nationalsozialismus zu neuem Leben gerufen hat. Die Zeitschrift steht jetzt nicht mehr im Dienste der Befriedigung bloßer Interessen. Soweit es sich in der Vergangenheit um politische oder wirtschaftliche oder ähnlich geartete Interessen gehandelt hat, wird deren Platz heute von den besonderen Aufgaben und Funktionen eingenommen, die den verschiedenen Gliedern des Volkskörpers obliegen. An die Stelle der sich innerhalb der „Gesellschaft“ überwiegend nach ästhetischen oder bildungsmäßigen Gesichtspunkten formenden Interessengemeinschaften aber ist der Kreis der Berufenen getreten. Dieser Wandel hat auch dem deutschen Zeitschriftenwesen sein Gepräge gegeben.
Die Entwicklung des Juristischen Zeitschriftenwesens hängt aufs engste mit der Entwicklung unseres Rechtslebens zusammen. Wie dieses, ist es im Lauf des letzten Jahrhunderts ungeheuer in | S. 1451 die Breite gegangen, ohne an Tiefe zu gewinnen. Zugleich verfiel es mehr und mehr der Spezialisierung, entsprechend der Aufsplitterung des Rechts in einen „öffentlichen“ und in einen „privaten“ Teil und des Zerfalls dieser Teile in zahlreiche Sondergebiete. Die große Menge der praktischen Juristen lernte damals sich mit zahllosen Spezialblättern begnügen, die in immer stärkerem Maße aus dem Boden schossen. Zwar gab es oder entstanden dann — einem spürbaren Bedürfnis entsprechend — doch wieder Zeitschriften, die der Zersplitterungstendenz der Zeit entgegenzutreten versuchten. Allein sie konnten ihre Aufgabe gar nicht erfüllen, weil es an der elementarsten Voraussetzung dafür fehlte, nämlich an einer einheitlichen Weltanschauung und Rechtsauffassung. Auch der unheilvolle Einfluß des Judentums auf das Rechtsleben der Vergangenheit wirkte sich in steigendem Maße über die juristischen Zeitschriften aus.
(H. Frank, Zum Abschluß [der Deutschen Juristen-Zeitung im Dezember] 1936), S. 1450 f.
Sogar die wertenden Metaphorik Franks ist 1936 der von Luetgebrunes von 1934 noch sehr ähnlich. Neu ist der ausdrückliche Hinweis auf den „unheilvollen Einfluß des Judentums“. Auch ist die Strategieauskunft erkennbar präziser geworden. Und die Zwei-Phasigkeit, die ich in Luetgebrunes Auskunft in pragmatisch Absicht hineingelesen habe, formuliert Hans Frank nun ausdrücklich: Nach der „Gleichschaltung“ von 1932 bis 1936, erfolge nun eine „Neuformierung“ – unter dem von Luetgebrune 1934 öffentlich angekündigten Strategie-Oberkommando des Ausschusses für Rechtsphilosophie:
Der Sieg des Nationalsozialismus bedeutete auch für das juristische Zeitschriftenwesen eine grundlegende Umwälzung. Die wichtigeren Blätter erfuhren eine „Gleichschaltung“, die sie in den Dienst des werdenden Volksrechts stellte. Die Führung im Kampf um die Rechtserneuerung aber übernahmen die Zeitschriften, die als ureigenste Schöpfungen der Bewegung und der ihr angeschlossenen Organisationen von Anfang an Geist von ihrem Geist waren. Mit ihnen an der Spitze bildete sich eine kampfkräftige Phalanx, die zugleich der notwendigen Entwicklung den Weg bereitete. Nach vier Jahren ist nun diese Entwicklung so weit gediehen, daß eine Neuformierung mit Aussicht auf Erfolg, gewagt werden kann. Sie hat unter folgenden Gesichtspunkten zu geschehen:
1. Es darf keine juristische Zeitschrift mehr geben, die nicht bewußt im Dienst der nationalsozialistischen Rechtserneuerung und damit im Dienst am Deutschen Volke steht. Nach der sachlichen Seite müssen die Zeitschriften Mittel der Rechtswahrung im weitesten Sinne sein.
2. Die juristischen Zeitschriften wenden sich an die nationalsozialistischen Rechtswahrer aller Arten. Nach der persönlichen Seite sind sie deshalb Rechtswahrerzeitschriften.
3. Es darf sinnvollerweise nicht mehr Zeitschriften geben, als Sonderaufgaben der Rechtswahrung und dem entsprechend Untergliederungen oder durch gleiche Arbeit miteinander verbundene Gruppen des deutschen Rechtsstandes vorhanden sind.
4. Innerhalb dieses Rahmens soll sich ein nach den wirklichen Bedürfnissen bemessenes vielseitiges publizistisches Leben entfalten, das allen Ansprüchen der Rechtswahrerschaft entspricht.
5. Besondere Aufmerksamkeit ist denjenigen Zeitschriften zu widmen, die über die Grenzen des rein Fachlichen hinaus die Gesamtheit des Rechtslebens umfassen.
Wenn der Wirkungsbereich der „Deutschen Juristen-Zeitung“ am 31. Dezember 1936 mit dem der „Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht“ vereinigt wird — was auch verlegerisch dadurch zum Ausdruck kommt, daß die „Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht“ jetzt im Verlage der bisherigen „Deutschen Juristen-Zeitung“ [dem Beck-Verlag; mw] erscheint —, so geschieht dies im Zuge der als notwendig erkannten Neuformierung des gesamten juristischen Zeitschriftenwesens. Die der „Deutschen Juristen-Zeitung seit der Umgestaltung im Jahre 1934 obliegende Aufgabe und die für sie charakteristische Art der Durchführung erfährt mithin keine Unterbrechung. Denn auch die „Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht“ wendet sich an alle Rechtswahrer und hat es sich zum Ziel gesetzt, das gesamte deutsche Rechtsleben zu betreuen.
Die „Deutsche Juristen-Zeitung“ hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren mit Erfolg im Inland, nicht zuletzt aber auch im Ausland, für das Verständnis der nationalsozialistischen Rechtsidee gekämpft. Dafür ihrem Herausgeber, Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt, und seinen Mitarbeitern, der Schriftleitung und dem Verlag meinen Dank auszusprechen, ist mir ein Bedürfnis; denn es gehörte Mut dazu, der ganzen noch vielfach antideutsch beeinflußten wissenschaftlichen Welt gegenüber ohne Rücksicht auf die dauernden, leider auch sehr persönlichen Angriffe, insbesondere auf den Herausgeber Carl Schmitt, die Linie nationalsozialistischen Rechtskämpfens durchzuhalten. Die große Leistung Carl Schmitts für die Erneuerung des deutschen Rechts wird für alle Zeiten ein stolzes Zeugnis deutscher geistiger Führung sein.●
(H. Frank, Zum Abschluß [der Deutschen Juristen-Zeitung im Dezember] 1936), S. 1451
Nach dem Dargestellten darf man davon ausgehen, dass Hans Frank mittels seiner Organisationen, zu denen der BNSDJ, die AfDR und eben der Ausschuss für Rechtsphilosophie gehörten, strategisch zunächst die Gleichschaltung der juristischen Vereinigungen, Gesellschaften, Verlage etc. betrieb. Die Gleichschaltung des Zeitschriftenwesens scheint Ende Dezember 1936 abgeschlossen gewesen zu sein. Ob und wie die Akademie oder der Ausschuss für Rechtsphilosophie danach tatsächlich zur „strategischen Abteilung für alle Operationen und Betätigungen der wissenschaftlichen juristischen Vereinigungen und Gesellschaften“ wurde, ist noch zu untersuchen. Die Prominenz von NS-Akademikern, die der Ausschuss für Rechtsphilosophie noch nach dem 17. Juli 1941 in sich vereinte, belegt zumindest die grundsätzlich Befähigung dieses Ausschusses für ein Erfüllen dieser hochwertigen Strategieaufgabe.
7.9.4. Luetgebrunes Philosophie der voraussetzungsbedingten Rechtswissenschaft der Epoche des „dritten Rechts“
Luetgebrunes Bekanntgabe, dass auf der ersten Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 entschieden worden sei, der Ausschuss solle auch die Strategie-Abteilung für die Gleichschaltung und Beherrschung aller juristischen Tätigkeiten sein, ist eingebettet in seine philosophische Darstellung dessen, was Rechtswissenschaft im neuen Reich sein solle. Das ist inhaltlich nicht uninteressant. Sie hilft nämlich dabei, die Ursprünge des akademischen Nationalsozialismus zu identifizieren. Das tue ich in Teil II.
Die Leser des ersten Jahrbuchs der AfDR waren bereits darauf vorbereitet worden, dass Luetgebrune, der Stellvertreter Roland Freislers im Vorsitz des Ausschusses für Strafrecht, eine philosophische Ader hatte. In 7.6. habe ich Luetgebrunes Behauptung zitiert, „daß, wenn ein Ausschuss Daseinsberechtigung haben wolle, er dann die metaphysische Untermauerung der Rechtserneuerung vorzunehmen habe.“ Durch den Beitrag Luetgebrunes auf dem Presseempfang vom 5. Mai 1934 erfuhren die Leser nun, dass zu einer solchen metaphysischen Untermauerung eine Rückkehr zu einer seelenbetonte Altzeit des Mittelalters und damit eine Überwindung der verstandesbetonten Ich-Zeit erforderlich sei. Für den Bereich der Rechtswissenschaft werde diese Zeitenwende durch „das volk-, rassebedingte Gesetz“ bewirkt und erhalten werde. Ich zitiere:
Gruppenführer Rechtsanwalt Dr. Luetgebrune:
[1] Sehr verehrte Anwesende! Wenn ich vor einer Versammlung der Presse die Aufgabe gestellt bekommen habe, Ihnen über die Gestaltung einer Rechtswissenschaft und der Rechtsakademie für das dritte Recht etwas zu sagen, so muß ich meine Worte mit einer Bitte um Nachsicht einleiten, weil ich weiß, daß es in dem der Presse eigenen und für die Presse geschaffenen Tempo unmöglich ist, feste Grundsätze, von allgemeinen ganz abgesehen, in umfassender Weise darzulegen. Vom Herrn Präsidenten der Akademie ist auch schon mit Recht darauf hingewiesen worden, daß wir unsere Aufgabe, an der Ge- | S. 182 staltung und an der Fassung eines dritten Rechtes mitzuwirken, verkennen würden, wenn wir glauben wollten, daß wir diese Aufgabe auf Grund eines festen und festliegenden Programms beginnen könnten. Will man sich Gedanken über eine rechtswissenschaftliche Gestaltung unseres Rechtszustandes für die Neuzeit machen, so zwingt sich der Blick von selbst zurück auf die Vergangenheit. Ein Mitglied der Akademie, der Dichter Bogislav von Selchow[393], hat bekanntlich eine Einteilung von Zeitenwenden in seinen verschiedenen Schriften gegeben. Er ist davon ausgegangen, das Mittelalter als Altzeit und die spätere Zeit nach dem Beginn des 16. Jahrhunderts als Ichzeit darzustellen. Wenn man einmal den Rechtsblick auf diese Zeit zurücksendet, mag man sagen, daß uns die Altzeit das seelenbetonte Recht und die Ichzeit das verstandesbetonte Gesetz gebracht hat. Es ist ja eine Binsenweisheit, zu sagen, daß es uns vergönnt ist, eine Zeitenwende unermeßlichen Ausmaßes jetzt mitzuerleben, und wenn wir uns von nun die Mühe geben, zu fragen wie wir diese Zeit in rechtswissenschaftlicher Beziehung zu umschreiben haben, so muß man sagen, daß der Nationalsozialist hier nur die eine Überschrift findet, daß wir anstreben müssen, und daß die Neuzeit erhalten muß das volk-, rassebedingte Gesetz und damit in der Gesamtheit die Rechts- und Gesetzesganzheit.
(Luetgebrune, Redebeitrag auf dem Pressemempfang der AfDR vom 5. Mai 1934), S. 181 f.
Im folgenden Exkurs werde ich Luetgebrunes Biographie ein wenig vorstellen. Luetgebrune kannte Boris von Selchow spätestens seit dem „Marburger Studenten-Prozess“ von 1920. Luetgebrune verteidigte Marburger Studenten, die im thüringischen Mechterstädt mehrerer Arbeiter kaltblütig erschossen hatten. „Fregattenkapitän Freiherr von Selchow“ sagte im Prozess „Über die Organisation des Studentenkorps Marburg und das Unternehmen gegen Thüringen“ aus.[394]
Im folgenden Absatz präsentiert Luetgebrune Nietzsche als „Seher“ der Zeitenwende, die durch Adolf Hitler bewirkt worden sei:
[2] Rechtswissenschaftliches Streben ist immer ausgegangen von den Grundgedanken der Seher und Führer, die die Weltgeschichte dem deutschen Volk doch in so überreichem Maße geschenkt hat. In diesen Tagen ist in Weimar der Ausschuss für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht gegründet worden, und zwar unter den Auspizen des Genius Nietzsche. Nietzsche hat einmal in unbewußter Voraussicht der Ereignisse davon gesprochen, daß sich die Rechtswissenschaft auf einen neuen Boden zu stellen habe, nämlich auf den der Historie und Völkervergleichung, und daß es nicht beim unnützen Kampf von Abstraktionen bleiben darf, der sich fälschlich als Philosophie des Rechts vorstellt und die sämtlich vom gegenwärtigen Ichmenschen nur abgezogen sind. Diese Gebundenheit und diese Bedingtheit auch des Rechts ist gekennzeichnet durch ein Wort des Führers auf dem Reichsparteitag 1933 in Nürnberg, als er sagte: Schon in dem Wort Weltanschauung liegt die feierliche Proklamation des Entschlusses, allen Handlungen eine bestimmte Ausgangsauffassung und damit eine sichtbare Tendenz zugrunde zu legen.
(Luetgebrune, Redebeitrag auf dem Pressemempfang der AfDR vom 5. Mai 1934), S. 181 f.
Im nächsten Teil des zweiten Absatzes greift Luetgebrune Max Webers „Wissenschaft als Beruf“ (München 1919) so an, wie das bereits Alfred Rosenberg getan hat:
Vergegenwärtigt man sich dieses, so wird man für die Neugestaltung der Rechtswissenschaft ein Diktum ablehnen müssen, nämlich das Diktum der voraussetzungslosen Wissenschaft. Alfred Rosenberg hat im „Mythos des 20. Jahrhunderts“ darüber gesagt: Es ist anfangs leicht zu bekennen, daß keine voraussetzungslose Wissenschaft vorgetäuscht werden soll, wie es diese wissenschaftlichen Dunkelmänner gewöhnlich taten und immer noch tun, um ihren Anschauungen einen Anstrich von allgemeinen gültigen Lehrsätzen zu geben. Es gibt keine voraussetzungslose Wissenschaft, sondern nur Wissenschaft mit Voraussetzungen. Vom Präsidenten der Akademie ist in Weimar das Wort geprägt worden: Die Akademie hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß das dritte Recht vom formalen Recht fort hin zum Lebensrecht kommt. Ein viel zu wenig gelesene Buch der nationalsozialistischen Literatur, das Buch des Stabschefs Röhm[395] sagt in dieser Beziehung: Eine Neuordnung der | S. 183 Dinge harrt ihrer Erweckung, die ihre Quellen aus den Sitten und Bräuchen unserer arischen Altvorderen schöpft und aus dem erhebenden und umwälzenden Fronterlebnis wie aus den Erkenntnissen einer neuen Zeit, eines sozial freien und wahrhaft nationalstolzen jungen Geschlechts.
(Luetgebrune, Redebeitrag auf dem Pressemempfang der AfDR vom 5. Mai 1934), S. 182 f.
Der Kontrast zwischen voraussetzungsloser und voraussetzungsbedingter Wissenschaft ist ein Ohrwurm im akademischen Nationalsozialismus.
Es folgen weitere Bezugnahmen Luetgebrunes auf die Klassiker des akademischen Nationalsozialismus. Diese Bezugnahmen dienen demselben rhetorischen Zweck, nämlich die Hörer glauben zu machen, dass die NS-Ideologen sich in der »Kampfzeit« nur gegen eine bestimmte »Art« von Philosophie und Wissenschaft gewandt hatten, dass es nun aber an der Zeit sei, eine andere, eine deutsche Art von »Wissenschaft« zu institutionalisieren:
[3] Es mag einer veraltete Wissenschaft ein Wiederspruch in sich erscheinen, wenn man mit Rücksicht auf eine Rechtswissenschaft von einer voraussetzungsbedingten Wissenschaft spricht, […] Aber auch noch kurz vor der Machtergreifung Adolf Hitlers hat man aus sogenanntem Gelehrtenmund gehört, daß der Nationalsozialismus und insbesondere der nationalsozialistische Jurist auf einem unendlich niederen Niveau stehen müsse; denn er sei ja noch nicht einmal imstande, wissenschaftlich präzis zu erklären, was unter autoritärem und was unter liberalistischem Strafrecht zu verstehen sei.
[4] Wenn unter solchen Aspekten ein Mann den Gedanken gefaßt hat, trotz aller scheinbaren Widersprüche eine Institution ins Leben zu rufen, die sich gerade zur Aufgabe gesetzt hat, eine voraussetzungsbedingte Rechtswissenschaft wissenschaftlich zu erfassen und wissenschaftlich auszugestalten, so sagt man nicht zu viel, wenn man behauptet, daß ein solcher genialer Gedanke | S. 184 des Präsidenten der Akademie ihm allein schon seinen Platz in der deutschen Rechtsgeschichte der Zukunft sichert.
(Luetgebrune, Redebeitrag auf dem Pressemempfang der AfDR vom 5. Mai 1934), S. 183 f.
Direkt im Anschluss an diese durchaus passende Formulierung Luetgebrunes einer „voraussetzungsbedingten Rechtswissenschaft“ folgt Absatz 5, den ich bereits zitiert habe und in dem der Rechtsphilosoph Luetgebrune die Minimierung und Gleichschaltung der „Unsumme“ von rechtswissenschaftlichen Organisationen verlangt, um für das bereinigte und gleichgeschaltete Feld in Absatz 6 mitzuteilen, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie das strategische Oberkommando über es haben solle.
Damit ist geklärt, mittels welcher »weltanschaulicher« Vorgaben die quantitative Reduktion, die inhaltliche Gleichschaltung und die strategische Beherrschung des Restbestands an »rechtswissenschaftlichen« Tätigkeiten im »Dritten Recht« bewerkstelligt werden sollte: Bedingt durch die erste und einzige Voraussetzung eines »deutschen Rasserechts« sollten alle Rechtsgebiete des Dritten Reichs der Deutschen umgeformt und durchgesetzt werden.
Luetgebrune endet seine Rede mit einem Appell, dass Philosophen im Dritten Reich so etwas wie Dürersche Ritter sein sollten, die weder Tod noch Teufel fürchteten. Rasse-Günther, der ja auch bei der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie in Weimar anwesend war (siehe 4.3.3.) hatte diesen Kupferstich Dürers zur Ikone der braunen Möchtegern-Ritter erhoben.[396] Hier der letzte Absatz aus der Widergabe der Rede Luetgebrunes vom 5. Mai 1934:
[7] Wenn man am Schluß dieser notwendigerweise fragmentarisch bleiben müssenden Gedanken eine bildhafte Sentenz gebrauchen darf, so ist es diese: Deutschland hat keine Lust mehr, in einer Rechtsnot zu leben. Deutschland hat auch keine Lust mehr, sich bei den Philosophen in der Dachkammer[397] aufzuhalten. Hieronymus im Gehäuse[398] muß auch in der Rechtswissenschaft abgelöst werden von dem Ritter des Rechts gegen Tod und Teufel.
(Lebhafter Beifall)
Reichsjustizkommissar Dr. Frank:
Ich danke Herrn Parteigenossen Luetgebrune für seine lieben Worte.
(Luetgebrune, Redebeitrag auf dem Pressemempfang der AfDR vom 5. Mai 1934), S. 184.
Soweit Luetgebrunes Wissenschaftsphilosophie des »Dritten Rechts«.
7.9.5. Exkurs: Einige Informationen über Luetgebrunes (1879-1949) Tätigkeiten für den akademischen Nationalsozialismus
Zur ersten Orientierung hilft der Eintrag über Walter Luetgebrune in Degeners „Wer ist’s?“ von 1935. Er ist 1879 in Ehrentrup bei Lippe geboren. Er hat das Gymnasium in Lemgo von 1889 bis 1898 besucht. Von 1898-1899 sei er beim Militär in Leipzig gewesen. Von 1899 bis 1902 an den Universitäten in Tübingen, Berlin und Göttingen. 1902 habe er das Examen als Referent am OLG Celle absolviert. 1903 ist er an der Universität Freiburg zum Dr. jur. promoviert worden. 1904 sei er ins Ausland gereist und habe sich dort aufgehalten. Von 1904 bis 1908 habe er in Peine, Göttingen und Celle die juristische Vorbereitungszeit verbracht. 1909 das Assessor-Examen in Berlin bestanden. 1909 sei er Rechtsanwalt mit Zulassung in Göttingen geworden. Seit 1933 habe er seine Rechtsanwaltszulassung in Berlin. Unter der Rubrik „Werk“ gab Luetgebrune folgendes an:
[…] – Werk: Die Sicherungsübereignung (Freiburg i. Br., 1906); Der Akkordvertrag zwischen Ziegeleibesitzer und Ziegelmeister: Vortrag, geh. 1912 (Berlin: Tonindustrie-Zeitung 1912); Marburger Studentenprozeß 20; D. Ebertprozeß 25[399]; Wahrheit und Recht für Feme, Schwarze Reichswehr und Oberleutnant Schulz (München: Lehmann 1928); Neu-Preussens Bauernkrieg: Entstehung und Kampf der Landvolkbewegung (Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1931); […]; Verteidigungen in größeren Kriminalprozessen: Marburger Studentenprozeß, Kriegsbeschuldigtenprozeß, Erzberger-Attentat, Rathenauanschlag, Kapp-Putsch u.a. Sachen vor dem Staatsgerichtshof; Verteidigung Ludendorffs im Hitlerprozeß, Landvolkprozesse, Prozesse gegen NSDAP und SA u.a. – […]
(Wer ist’s? 1935), S. 1007
In Luetgebrunes Buch über „Neu-Preußen“, d.i. das Preußen der SPD und des Zentrums nach 1918, das angeblich einen Krieg gegen seine Bauern führe, gibt es ein Foto, auf dem in der Mitte Luetgebrune zu sehen ist:[400]
Abbildung 44: Gruppenbild mit Walter Luetgebrune (aus: Luetgebrune: Neu-Preußens Bauernkrieg (1931))
1984 erschien ein 49-seitiger Text von Rudolf Heydeloff über Luetgebrune in den Viertelsjahrsheften für Zeitgeschichte. Er basiert aus der kanadischen Dissertation des Autors aus dem Jahr 1976, die 950 Seiten lang ist.[401] In mich nur auf die Kurzfassung von 1984.
In der Kurzfassung werden von den 18 Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie nur Alfred Rosenberg, Hans Frank und Carl Schmitt erwähnt. Ich werde alle Vorkommnisse zitieren.
Mit Alfred Rosenberg hatte Luetgebrune im Juli 1927 Kontakt. Er kontaktierte Rosenberg im Zuge seiner Vorbereitung einer Verteidigung, deren übergeordnetes Beweisziel es war, durch ein Gericht die „historische Wahrheit des Dolchstoßes“ feststellen zu lassen. Luetgebrune legte das Mandat nieder, da für es keine Bezahlung vorgesehen war. Roland Freisler übernahm dann den Fall.
Luetgebrune hatte mit früheren Angehörigen der OC und der Schwarzen Reichswehr Verbindung gehalten, die sich – wie etwa Manfred v. Killinger, Alfred Hoffmann und Paul Schulz – auch nach ihrem Eintritt in die SA von ihm juristisch beraten ließen. 1927/28 vertrat er Elsner v. Gronow, einen Propagandisten der NSDAP, der in Göttingen angeklagt war, weil er antisemitische Haßliteratur und Flugblätter der Alliierten aus dem Krieg mit den Farben der Republik verbreitet hatte. Luetgebrune übernahm den Fall in der Hoffnung, den „historischen Beweis“ für den Verrat der Linken im Kriege antreten zu können179. Nach umfänglichen Vorbereitungen, zu denen der Kontakt mit Alfred Rosenberg in München gehörte, der ebenfalls auf eine gerichtliche Bestätigung der Behauptung vom „Dolchstoß“ hoffte180, zog sich Luetgebrune jedoch wieder zurück, da die lokale NSDAP keine Honorare zahlen wollte. Der Entschluß führte zu Peinlichkeiten. An seine Stelle trat sogleich Roland Freisler, und vor der niedersächsischen Anwaltskammer mußte er sich wegen Verletzung der Standespflichten verantworten181. Zwar erhielt er nur eine milde Rüge, doch galt er nun bei vielen als ein Mann, der politische Ideale zurückstellte, wenn es um Geld ging.
179 „Dolchstoßprozeß in Göttingen“, in: Göttinger Beobachter, 20.9.1927.
180 Notiz über eine Rücksprache mit Redakteur Alfred Rosenberg vom VB in München, 7.7.1927, NL R21 472210.
181 Ehrengerichtsverfahren gegen Luetgebrune, Entscheidung, 21.11.1931, NL R32 482680 ff.
(Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984); S. 402
Am Ende der Weimarer Republik war Luetgebrune zum „Rechtsberater der Obersten SA-Führung“ aufgestiegen. In dieser Funktion waren ihm auch zahlreiche Rechtsberater von „SS-Gruppen“ verantwortlich:
Die enge Verbindung, die Luetgebrune in der Endphase der sog. „Kampfzeit“ mit der NSDAP einging, kann als eine für beide Seiten vorteilhafte Vernunftehe bezeichnet werden. Hitler und Röhm sicherten sich die guten Dienste eines Anwalts, der die völkische Rechte, die vor wie neben dem Aufstieg der NS-Bewegung existierte, und Konservative mit beträchtlichem Erfolg vertreten hatte. Seine Prominenz, Erfahrung und Beziehungen brachten einen Gewinn an Respektabilität, der für eine Partei, die fortwährend ihre Verfassungstreue beschwor und gleichzeitig mit brutalstem Terror operierte, besonders wertvoll sein mußte; in kritischer Zeit erwies er sich als fähig, die Führer der NSDAP vor mehr als lästiger gerichtlicher Verfolgung zu bewahren. Luetgebrune wiederum konnte sowohl seinen völkischen Dogmatismus wie seinen Opportunismus befriedigen. Die NSDAP war nicht nur eine Bewegung, die sein völkisches Credo verfocht und sich fähig gezeigt hatte, selbst unter den ihm so verhaßten Regeln des Parlamentarismus zu einem politischen Faktor zu werden, sie bot ihm außerdem sofort einen hohen Rang. Als Rechtsberater der Obersten SA-Führung leitete er eine nach militärischen Grundsätzen organisierte Abteilung. Dem SA-Gruppenführer Luetgebrune unterstanden Anwälte, die ihm verantwortlich waren und denen er Weisungen geben konnte219. Daß er nun Macht ausübte, mag ihn durchaus für den finanziellen Verlust entschädigt haben, den er durch die Aufgabe seiner lukrativen Privatpraxis erlitt.
219 Als Oberster Rechtsberater und Gruppenführer war Luetgebrune Hitler und Röhm verantwortlich und beanspruchte ein Büro im Braunen Haus. Die folgenden Gruppenrechtsberater waren ihm verantwortlich: sein Stellvertreter RA Franz Mayr (München), RA Dr. Sanden (Königsberg), RegRat a.D. Grimm (Frankfurt/Oder), Dr. jur. Lambert (Oldenburg), Wilhelm Haegert (Berlin), RA Christian Spieler (Wesselbüren), Dr. jur. Richard Albrecht (Hannover), RA Derichsweiler (Essen), RA Dr. Siegfried Meyer (Bielefeld), Dr. Julius Ruttkowsky (Koblenz), RA Dr. Pfannenschwarz (Ulm), RA Dr. Philipp Hofmann (München), RA Ferdinand Zilcher (Nürnberg), LGRat Dr. Weber (Weimar), Dr. jur. Nicolai (Dessau), RA Dr. Adolf Schmidt (Dresden), RA Helmut Rebitzki (Breslau), Dr. Georg Ettenhausen (Wien). Folgende SS-Gruppenrechtsberater waren ihm verantwortlich: Dr. Fritz Greineder (Reichsführer SS), RA Dr. Erich Willer (Danzig), Dr. Lorenz Hollfelder (Gruppe Süd), Dr. Ernst Kaltenbrunner (Linz). Vgl. Der Oberste SA-Führer: Richtlinien für den Rechtsschutz innerhalb der SA und SS, 7.10.1932, BA NS 26/307.
(Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984); S. 409
Ich zitiere nun alles, was Heydeloff über die AfDR mitteilt. In diesem Kontext wird Carl Schmitt ein einziges Mal von Heydeloff erwähnt.
Zugleich erreichte Luetgebrune eine Position an der neugeschaffenen Akademie für Deutsches Recht, die seinen beruflichen Ehrgeiz befriedigte230, indem sie ihm sowohl die Möglichkeit zur Mitwirkung an der Formulierung eines neuen Rechts wie endlich die Chance zu juristischer Lehrtätigkeit eröffnete. Er wurde Mitglied des „Führerrats“ der AfDR, dem außerdem Hans Kerrl, Roland Freisler, Wilhelm Heuber, Carl Schmitt, der Münchener Industrielle Arendts und Röhm angehörten231. Diese eigenartige Gesellschaft aus NS-Anwälten, einem potentiellen Revolutionär und einem Mann der Wirtschaft arbeitete unter der Leitung Hans Franks und der fördernden Aufsicht Gürtners. Im ersten Jahresbericht definierte Luetgebrune, die Beratungen der Akademie berührten nicht die Kompetenzen des Reichsjustizministeriums, vielmehr gehe es darum, „die metaphysische Untermauerung der Rechtserneuerung“ zu formulieren232. Seine eigenen Vorstellungen zur „Rechtserneuerung“ gingen von dem Grundsatz aus, daß Handlungen gegen das „Volk“
(Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984); S. 412 f.
– ich erinnere daran, dass zumindest Baron von Uexküll das Wort „Volk“ so verstanden hat, dass zu ihm nur die männlichen Oberhäupter der Familien des Geistesadels gehören (siehe 3.5.6.) –
selbst dann strafbar sein sollten, wenn das geltende Recht keine Verurteilung vorsehe233, von einer Maxime also, die nur als schlimmste Pervertierung rechtsstaatlicher Prinzipien bezeichnet werden kann234. Luetgebrune verfuhr auch in diesem Sinne, als er den von Innenminister Frick im Reichskabinett gemachten Vorschlag unterstützte, Marinus van der Lubbe, der den Reichstag in Brand gesteckt hatte, ohne Gerichtsverfahren auf │ S. 413 dem Königsplatz in Berlin zu erschießen235. In seinem Aufsatz „Volksgeist und Neues Recht“ brachte er mit unglaublicher und entwaffnender Selbstgewißheit seine alte Überzeugung zum Ausdruck, daß „Politik“ allein die Sache derer sei, denen nicht das Interesse Deutschlands am Herzen liege: Einmal mehr warf er den Behörden der Weimarer Republik vor, zugelassen zu haben, daß die Justiz zur „Metze der Politik“ geworden sei; demgegenüber werde das nationalsozialistische Recht auf „dem reinen deutschen Rechtsempfinden“ gründen, mit der vom „Führer“ geschaffenen allumfassenden „Volksgemeinschaft“ als Quelle der Justiz236. Auf einer Pressekonferenz, die während eines Empfangs der Akademie für Deutsches Recht am 5. Mai 1934 stattfand, knapp zwei Monate bevor er selbst jener Art von Justiz zum Opfer fiel, die er befürwortete, erklärte Luetgebrune, die „neue Ordnung“ werde auf den Erfahrungen der arischen Vorfahren und dem Fronterlebnis des Weltkriegs ruhen, das Recht werde nur dann gerecht sein, wenn es dem vom „Führer“ artikulierten Willen des Volkes entspreche237. Mit solchen Formulierungen befand sich Luetgebrune in voller Übereinstimmung mit den wichtigsten Vertretern nationalsozialistischer Rechtsphilosophie238. Sogar Gürtner, von dem gesagt wird, daß er sich um die Bewahrung des Rechtsstaats und um einen erträglichen Kompromiß zwischen den legalisierten kriminellen Akten des NS-Systems und der Unabhängigkeit der Justiz mühte239, hat sich ähnlich geäußert: „Das Recht hat die Kraft seiner Geltung nur äußerlich in der Autorität des Gesetzgebers. Seine Lebenswurzel reicht in die geheimnisvollen Tiefen des Volksempfindens hinab und verschafft ihm von dorther seine innere Geltung und Bejahung.“240
230 Was die Versicherung einschloß, daß die „richtigen“ Leute Schlüsselpositionen in den juristischen Fakultäten der Universitäten erhalten würden. Indem er seine Beziehungen zu alten Freunden aus OC-Tagen, wie etwa Manfred v. Killinger (jetzt Ministerpräsident in Sachsen) spielen ließ, verhalf Luetgebrune Johannes Nagler zum Lehrstuhl für Strafrecht in Leipzig, mit der Hoffnung, dies werde dem „ausufernden Theoretisieren an deutschen Universitäten“ ein Ende machen und das Recht den NS-Idealen entsprechend reformieren. Dazu Briefwechsel Luetgebrune – v. Killinger und Thierack, Juni-Juli 1933, NL R31.
231 „Sitzung der Ausschußvorsitzenden 6.12.1933 im Fürstenhof zu Berlin“, in: Akademie für Deutsches Recht, Jahrbuch 1933/34, Kopie in BA R61 RD44.
232 Ebenda.
233 Schulz‘ Kommentar, Machtergreifung, S. 534, gründet auf der Lektüre von Luetgebrunes „Nulla Poena Sine Lege“, in: R. Freisler/W. Luetgebrune u.a., Denkschrift des Zentralausschusses der Akademie für Deutsches Recht über die Grundzüge eines allgemeinen deutschen Strafrechts, in: Schriften der Akademie für Deutsches Recht, Heft 1, Berlin 1934, S.42 ff. Dieser Beitrag wurde nach den Ereignissen vom Juni 1934 in spätere Ausgaben nicht aufgenommen.
234 L. Krieger, The German Idea of Freedom. History of a Political Tradition From the Reformation to 1871, Chicago-London 1957, S.261.
235 Ministerbesprechung, 7.3.1933, BA R43/1640, f. 1. Dieser Standpunkt wurde auch von Nagler, Oetker, Weber (Jena) geteilt. Luetgebrune ist hier durchgestrichen, vermutlich nach dem 30. Juni 1934.
236 Volksgeist und Neues Recht.
237 Ausführungen Dr. Luetgebrunes zum Presseempfang der AfDR, in: Jahrbuch der AfDR, 1933/34, S. 181 ff.
238 Vgl. die Vorstellungen der Partei-Juristen (Frank, Freisler, Thierack) und NS-Rechtsgelehrten (Schmitt, Huber, Gerber) in: Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus, hrsg. von A. Wagner u. H. Weinkauff, Stuttgart 1968, S.56 ff., 79 ff.; Bracher/Sauer/Schulz, S.516 ff.
239 Weinkauff, S.90 f.
240 Gürtner, Proklamation, 10.1.1934, BA RJM R22/4127, f. 1.
(Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984); S. 412 f.
Die herausgehobene Stellung Luetgebrunes vor dem 30. Juni 1934 innerhalb der AfDR ist leicht erkennbar. Er trug zum ersten Heft der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht einen Text bei. Das erste Heft erschien im Juni 1934. Sein Redaktionsschluss wird im Mai, vielleicht im März gelegen haben. Ich präsentiere den Text im Originallayout. Bemerkenswerterweise erwähnt Luetgebrune Professor Julius Binder, der ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehört hat:[402]
Abbildung 45: Luetgebrune: „Volksgeist und neues Recht“ (ZAfDR, 1. Jg., 1. Heft, Juni 1934, S. 19)
Neben Professor Julius Binder erwähnt Dr. Luetgebrune erneut Bogislav von Selchow, der ihn im Juni 1920 engagiert hatte, eine „Studentenformation“ vor dem Marburger Militärgericht zu verteidigen. Die Marburger Studenten hatten am 25. März 1920 in Mechterstädt 15 Arbeiter kaltblütig erschossen.[403] Heydeloff berichtet darüber folgendes:
War Luetgebrune keinen sonderlichen Schwierigkeiten begegnet, als es darum ging, Offizieren zum Freispruch zu verhelfen, die unter der Anklage von Kriegsverbrechen standen oder Anteil an der Exekution linker Revolutionäre gehabt hatten, so brachte ihm der fehlgeschlagene Kapp-Putsch problematischere Klienten. Wie würden die Justizbehörden mit den Verlierern der gegenrevolutionären Verschwörung verfahren? Im Juni 1920 wurde Luetgebrune von Bogislav Freiherr v. Selchow engagiert, dessen Studentenformation in der Nähe des thüringischen Ortes Mechterstädt fünfzehn Menschen kaltblütig erschossen hatte38. Das Verfahren fand in Marburg vor einem Kriegsgericht statt. Daß für solche Fälle noch immer Militärgerichte als zuständig galten, bescherte Luetgebrune noch einmal eine Gelegenheit zu einem mühelosen Erfolg; schließlich konnte von der Reichswehr kaum ein hartes Vorgehen gegen eine Hilfstruppe erwartet werden, die unter offiziellen Auspizien zu einem Zeitpunkt geschaffen worden war, da die Reichswehr selbst noch nicht zu einer klaren Haltung gegenüber dem Putsch gefunden hatte. Luetgebrune forderte zunächst die Ersetzung des einzigen Beisitzers, der dem Mannschaftsstand angehörte, durch einen Offizier, da die Handlungsweise der Angeklagten nur von Ebenbürtigen beurteilt werden könne39. Daß dem Antrag stattgegeben wurde, schuf bereits Klarheit über den Ausgang │ S. 381 des Prozesses. Der Vertreter der Anklage beantragte dann die übliche Mindeststrafe: zwei Monate Gefängnis für die am schwersten Belasteten. Luetgebrune verlangte Freispruch und erklärte, das Mitgefühl mit den Familien der Opfer dürfe die Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen40. Er stützte seine Argumentation auf die Verhängung des Kriegsrechts durch Reichspräsident Ebert, die Noske die vollziehende Gewalt übertragen habe. Ferner berief er sich auf eine Verordnung vom März 1914, nach der Militärbefehlshaber in Zeiten der Unruhe das Recht und die Pflicht zu selbständigem Handeln hätten41. Diese pseudo-juristische Konstruktion machte es ihm möglich, die Tatsache zu verschleiern, daß die Reichswehr die Aktion gedeckt hatte, und zwar durch die Befehle eines hinter Lüttwitz stehenden Kommandeurs42. Die Opfer charakterisierte der Anwalt als Angehörige der verfassungsfeindlichen „Roten Garde“, und Selchow wurde im Plädoyer als ein Mann präsentiert, der die Situation richtig eingeschätzt und erkannt habe, daß halbe Maßnahmen nur zur Niederlage geführt hätten43. Luetgebrune schloß mit dem Argument, es müsse doch eingesehen werden, daß Offiziere auf Grund ihrer besseren Ausbildung zu einem rationalen Urteil über die möglichen Konsequenzen ihrer Maßnahmen fähig seien44. Die Militärrichter stimmten damit durchaus überein und sprachen die Angeklagten wegen erwiesener Unschuld frei. Luetgebrune erhielt eine vom Rektor der Universität und etlichen Professoren unterzeichnete Dankadresse der Marburger akademischen Kreise45.
38 Zeugenschrifttum, 23.3.1920, NL R28-29.
39 Verhandlungsbericht, NL R28 478228 ff
40 Plädoyer Luetgebrune, NL R28 478415
41 Ebenda; auch Luetgebrune, Über den Marburger Studentenprozeß. Zur materiellen Rechtslage, o.D., NLR5 457017ff.
42 Hannover/Hannover-Drück, S.98f.
43 Plädoyer Luetgebrune, NL R28 478415.
44 Ebenda.
45 Westfälisches Tageblatt, 16.1.1921, Kopie NL R29.
(Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984); S. 380 f.
Die Schlusspointe Luetgebrunes ist erkennbar eine konkrete Anwendung des Konsequentialismus, den etwa Baron von Uexküll in seiner »Staatsbiologie« bereits in der Erstauflage 1920 vertreten hat. Der Freispruch erging im Sommer 1920. Ich vermute, dass Bogislav von Selchow später Luetgebrune mit Professor Erich Jung bekannt gemacht hat, der im Oktober 1921 nach Marburg berufen worden ist.
Heydeloff folgt der »herrschenden Forschungsmeinung«, dass die AfDR keinen bemerkenswerten Einfluss auf die Rechtssetzungen des Dritten Reiches gehabt habe:
Hitler liebte es, Juristen als „Schädlinge“ zu bezeichnen, die den Kriminellen am nächsten ständen242. Speziell über Luetgebrune bemerkte der „Führer“ während des Krieges, hier sei ein Mann, „der habe sogar weinen können, wenn die Lage seines Bazis[404] und die Höhe des Honorars das hätten zweckmäßig erscheinen lassen“243. In Anbetracht der Dienste, die Luetgebrune unter erheblichen finanziellen Einbußen 1932 der NSDAP geleistet hatte, war das sicherlich kein faires Urteil. 1933/34 reduzierte jedenfalls Hitlers Konzentration auf eine möglichst rasche „Gleichschaltung“ die Diskussionen der AfDR zu einer bloßen Episode.
(Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984); S. 414
Wie ich in 7.9.2. und 7.9.3. vorhin gezeigt habe, war der Ausschuss für Rechtsphilosophie als das »weltanschauliche« Zentrum (Abschnitt 4) der AfDR zugleich die Strategie-Abteilung der Gleichschaltung der juristischen Gesellschaften und Vereinigungen.
Gestützt auf jene Art von Notstands-Gesetzgebung, wie er sie in Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand als „legale“ Basis seiner Macht eingeführt hatte, begann Hitler vielmehr eine Gesellschaft zu formen, in der, genügend Zeit vorausgesetzt, der Bedarf an Rechtsgelehrten und auch an praktizierenden Rechtsanwälten eines Tages vermutlich geschwunden gewesen wäre.
242 H. Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941/42, neu hrsg. v. P.E. Schramm/A. Hillgruber/M. Vogt, Stuttgart 1965, S. 467.
243 Ebenda.
(Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984); S. 414
Luetgebrune ist zum Ende des Jahres 1933 von Röhm selbst degradiert worden. Er sei nicht so effektiv in der »Arisierung« jüdischen Vermögens und der »Gleichschaltung« von Firmen wie erwartet. Auch war Luetgebrune erneut nicht so »idealistisch« gesinnt, unbezahlt zu arbeiten:
Die Jagd auf Luetgebrune begann gegen Ende 1933, als es Keppler gelang, ihn von Röhm und der Obersten SA-Führung zu trennen. Am 20. November 1933 schrieb Keppler dem Stabschef, daß Luetgebrune „vor mehreren Monaten sich der Gleichschaltung dieser Firma [Conrad Tack] angenommen hat. Er selbst ließ sich als Aufsichtsratvorsitzender bestellen, und im übrigen geschah aber nichts wesentliches im Sinne einer Gleichschaltung. […]“264 Bei Röhm, der schon seit geraumer Zeit gedrängt wurde, auf die Dienste Luetgebrunes zu verzichten, scheint dieser Brief den Ausschlag gegeben zu haben265. Einen Tag nach Eingang des Schreibens [am 21. November 1933; mw] teilte Röhm dem Obersten Rechtsberater der SA die Absetzung mit: „Es liegt weder in Ihrem, noch braucht es in meinem Interesse zu liegen, Sie zu ersuchen, Ihre anwaltschaftliche Tätigkeit oder Ihre Wirkungsmöglichkeit in zahlreichen Aufsichtsräten zu beschränken oder ihr ganz zu entsagen. Ich wäre gar nicht in der Lage, Ihnen dafür geldlichen Ersatz zu leisten. Die pflichtgemäße Vertretung Ihrer beruflichen Arbeit muß Sie aber zwangsläufig oft in Gegensatz bringen zu Ihrer Stellung im Stabe des Ob. SA-Führers. In zahlreichen Fällen – Gumbel[405], Junkers – ist dies │ S. 418 auch geschehen. Ich muß die mir unterstellten SA-Führer vor derartigen inneren Konflikten bewahren und habe mich daher entschlossen, grundsätzlich für jeden Abteilungschef pp. eine Aufwandsentschädigung festzusetzen … Es ist klar, daß dieses Verfahren für Sie nicht anwendbar ist. Damit entfällt aber auch die Möglichkeit Ihrer weiteren Einteilung als Abteilungschef.“266
264 Keppler an Röhm, 20.11.1933, OPG.
265 Eindrücke Mayr, ebenda.
266 Röhm an Luetgebrune, 21.11.1933, ebenda.
Luetgebrune wurde zur SA-Reserve versetzt und als Gruppenführer z.b.V. gestellt[406], d.h. aufs Abstellgleis geschoben. Röhm ist das sicherlich nicht leicht gefallen. Er mochte Luetgebrune und hatte auch die Verdienste des Anwalts um die SA wie um ihren Stabschef nicht vergessen. Wann immer andere SA-Führer auf Luetgebrunes zweifelhaftes Verhalten bei „Gleichschaltung“ und „Arisierung“ hingewiesen hatten, war der Stabschef lange Zeit bei der Meinung geblieben, der Rechtsberater der SA sei im Grunde „ein ordentlicher Kerl“ und lediglich unter den üblen Einfluß seiner Sekretärin geraten, wobei er einmal hinzufügte, „es müßte nur das Weibsbild Gehse beiseite geschafft werden, und sei es auch durch Ersäufen“267. Im übrigen scheint Röhm nie geargwöhnt zu haben, daß seine Feinde in der NSDAP Luetgebrunes Aktivitäten als weiteren Beweis für den politischen und wirtschaftlichen Ehrgeiz der SA verstehen könnten. Eine vertrauensselige Natur, neigte Röhm ohnehin dazu, einfach die Entwicklung der Dinge abzuwarten – im Glauben an die Anständigkeit und das Urteilsvermögen seines Freundes Hitler268. Für Luetgebrune kam die Verabschiedung freilich zu spät, als daß sie ihm die Feindschaft jener NS-Führer erspart hätte, die seit Anfang 1934 zum Schlag gegen die SA rüsteten269. Er war bei der AfDR noch mit der Formulierung einer Rechtsreform in nationalsozialistischem Geiste beschäftigt, als Hitlers Aktion gegen die SA am 30. Juni 1934 seiner beruflichen Laufbahn vorerst ein Ende setzte.
267 Eindrücke Mayr, ebenda.
268 H. Bennecke, Die Reichswehr und der „Röhm-Putsch“, München-Wien 1964, S. 43.
269 Vgl. Bracher/Sauer/Schulz, S. 897 ff.
(Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984); S. 417 f.
Leider hat Heydeloff keine Belege für seine Behauptung angegeben, dass Luetgebrune bei der AfDR mit der „Formulierung einer Rechtsreform“ beschäftigt gewesen sei, als er verhaftet worden ist.
Wichtiger: Heydeloff bietet auch keinen Primärbeleg dafür an, dass Luetgebrune im Zuge von „Hitlers Aktion gegen die SA am 30. Juni 1934“ weiter entmachtet worden ist. Im Gegenteil: Alle Primärbelege, die Heydeloff im weiteren vorstellt, sprechen dafür, dass Luetgebrune aus anderen Gründen am 3. Juli 1934 verhaftet worden ist.
Der einzige Beleg, den Heydeloff im nächsten Absatz für seine Behauptung, dass Luetgebrunes Verhaftung am 3. Juli 1934 Folge der Aktion Hitlers gegen Röhm gewesen sei, ist eindeutig nicht zuverlässig. Der Text, auf den Heydeloff in seiner Fußnote 271 verweist, ist erst 1951 veröffentlicht worden. Schlimmer, der Text ist die Autobiographie „Fragebogen“ von Ernst von Salomon (1902-1972). Ernst von Solomon war Mitglied der „Organisation Consul“ und wurde 1922 zu fünf Jahren Zuchthaus wegen Beihilfe zur Ermordung Walther Rathenaus verurteilt.[407]
An diesem Tag hielt sich Luetgebrune im thüringischen Rudolstadt auf. So wurde er erst am 3. Juli 1934 verhaftet, nachdem die Erschießungen auf Hitlers Weisung bereits eingestellt worden waren. Er zeigte sich höchlichst überrascht, als er von den Vorgängen hörte, meinte aber: „Hitler hat mit seinen politischen Maßnahmen immer recht gehabt, so wird es wohl auch diesmal sein, und Hitler wird wohl Unterlagen für sein Handeln gehabt haben.“270 Zwar war er am Leben geblieben, doch stand ihm allerhand bevor. Nach seiner Verhaftung kam er, zusammen mit seinem Bürochef Bornemann und Frau Gehse, in die Prinz-Albrecht-Straße, die Berliner Zentrale der Gestapo. Seine Bankkonten wurden gesperrt und seine Akten – nach Schließung seiner Privatpraxis – nach Beweisen für eine staats- und parteifeindliche Verschwörung der SA durchstöbert271. In der Haft schwer erkrankt und dann plötzlich ohne jede Erklärung wieder freigelassen, zog er sich, dreißig Kilo leichter und in elender körperlicher Verfassung, in sein Mittenwalder Haus zurück, um seine Rehabilitierung vorzubereiten.
270 Aussage Gehse vor Gestapo, OPG.
271 Vgl. v. Salomons Darstellung seiner Unterhaltung mit Luetgebrune, Fragebogen, S. 437
(Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984), S. 418
Auch das, was Heydeloff im Folgenden über Himmler und Heydrich berichtet, spricht nicht für seine Behauptung. Und selbst die Begründung, die Heß für den Parteiausschluss von Luetgebrune gibt, verneint ausdrücklich eine „tätige Mitwirkung“ Luetgebrunes am »Röhm-Putsch«:
Luetgebrunes Geschicke nach seiner Verhaftung sind eine aufschlußreiche Demonstration der hinterhältigen – oft auch widerspruchsvollen – Methoden, mit denen sich das NS-Regime nicht selten seiner Gegner und sonst lästig Gewordener entledigte. Da Hitler die volle Verantwortung für die Erschießungen übernommen und sich dabei auf „Staatsnotwehr“ berufen hatte, war auf gerichtlichem Wege weder eine Verfolgung der Mörder noch die Rehabilitierung der Opfer möglich. Indes gab es in der NSDAP Institutionen, die Wert darauf legten, von „gesetzmäßigen“ Grundregeln geleitet zu sein – angesichts der Umstände eine recht drollige Einstellung. Im Falle Luetgebrunes bestand das Oberste Parteigericht unter Walter Buch darauf, daß sein Ausschluß aus der SA, der NSDAP und dem NS-Rechtswahrerbund – was auf ein Berufsverbot hinauslief – durch ein parteigerichtliches Verfahren gerechtfertigt werden müsse. Buch verlangte Einsichtnahme in die Akten der Gestapo272, und als die Gestapo sich sperrte273, wandte er sich – schon um der Autorität des Parteigerichts willen – mit der Forderung nach vorbehaltloser Zusammenarbeit an Himmler274. Der Reichsführer SS wies Heydrich tatsächlich an, die Akten nach München zu schicken275, wobei sich herausstellte, daß das Material gegen Luetgebrune recht dünn war und es keinen Beweis für seine Beteiligung an einer Verschwörung gab276. Aber der daraufhin zögernde Buch wurde nun von Rudolf Heß beiseite geschoben, der zu Weihnachten 1934 Luetgebrune den Ausschluß aus der NSDAP mitteilte. Heß nannte drei Hauptgründe:
1. „…daß die persönlichen Beziehungen zwischen dem aus der NSDAP ausgestoßenen Ernst Röhm und dem Beschuldigten so eng gewesen sind, daß sie innere Beziehungen des Beschuldigten zur NSDAP ausschließen.“
2. „Der Beschuldigte ist als ehemaliger Rechtsberater der Obersten SA-Führung außerdem verantwortlich für die unter der Führung Röhms eingetretene Entfremdung zwischen SA und Parteigerichtsbarkeit.“
3. „Er ist deshalb mit Rücksicht auf seine frühere Dienststellung mitverantwortlich für die bis zum 30.6.1934 heraufbeschworene Gefahr der Spaltung der Bewegung. Auf die tätige Mitwirkung des Beschuldigten kommt es dabei nicht an, da er kraft seines Amtes für die Verhütung derart großer Gefahren verantwortlich war.“277
272 OPG an Gestapo, 6.10.1934, OPG.
273 Gestapo (Hermann Behrends) an OPG, 10.10.1934, ebenda.
274 Buch an Himmler, 12.10.1934, ebenda.
275 Heydrich an Buch, 17.10.1934, ebenda.
276 Heydrich an Buch, 16.11.1934, ebenda; Gestapo an Buch, 6.10.1934, ebenda.
277 Einstweilige Verfügung des Stellvertreters des Führers, 27.12. 1934, OPG.
(Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984); S. 419
Bemerkenswert ist zunächst, dass Herrmann Behrends (1907-1948) Zugang zu den Akten Luetgebrunes hatte, die durch die Berliner Gestapo beschlagnahmt worden sind. Er verweigerte die Weiterleitung der Akten Luetgebrunes an das Oberste Parteigericht nach München. Nachdem die Akten Luetgebrunes durch die Entscheidung Himmlers doch an Walter Buch geschickt worden waren, stellte sich heraus, „dass das Material recht dünn war“. Wenn Heydeloffs Darstellung korrekt ist, hatten Hermann Behrends und Heydrich zweifelsfrei die Gelegenheit die beschlagnahmten Akten Luetgebrunes auszudünnen. Hatte einer von beiden ein Motiv? Vielleicht.
Derselbe Hermann Behrends, der am 10. Oktober 1934 im Alter von 27 Jahren eine Weiterleitung der Akten Luetgebrunes nach München verweigerte, hat jedenfalls am 14. Juni 1938 von Professor C. A. Emge den Vorsitz über dessen Ausschuss für Nationalitätenrecht der AfDR übernommen. Zu diesem Zeitpunkt ist Dr. jur. Hermann Behrends SS-Oberführer. Professor Emge blieb Ehrenvorsitzender dieses Ausschusses. Für diesen Ausschuss ist im Januar ein Gutachten über die Versklavung der Polen verfasst worden, das in den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher von der Anklage benutzt worden ist (siehe meinen Unterabschnitt 9.3.4).
Behrends erlangte 1932 die „juristische Doktorwürde“ von der „Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät“ in Marburg. Der Titel seiner Dissertation lautet „Die nützliche Geschäftsführung“. Berichterstatter war Geheimrat Prof. Dr. Franz Leonhard (1870-1950). Der Dissertation ist ein Lebenslauf beigegeben, aus dem hervorgeht, dass die mündliche Prüfung am 17. Februar 1931 stattfand.[408]
Abbildung 46: Lebenslauf von Hermann Behrends (1907-1948) (letztes Blatt von Behrends (1932))
Es ist denkbar, dass Aktenmaterial, das RA Dr. Luetgebrune seit 1920 im Umkreis des akademischen Nationalsozialismus angesammelt hat, von der Berliner Gestapo im zweiten Halbjahr 1934 gesichtet und größtenteils verborgen oder vernichtet worden ist, um Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie oder/und andere Vertreter des akademischen Nationalsozialismus zu schützen, und zwar sowohl für den Fall eines Erfolges des Dritten Reiches als auch für den Fall seiner Niederlage.
Auch das, was Heydeloff über die Jahre nach 1934 über Luetgebrune berichtet, ist mit dieser Option vereinbar:
Hans Frank entschied 1937 „im Gnadenweg“, dass Luetgebrune Mitglied des NS-Rechtswahrerbundes bleiben dürfe. Heydrich, dessen Mitarbeiter Behrends 1934 die Gelegenheit hatte, beschlagnahmte Akten Luetgebrunes zu manipulieren, bewertete in einem Brief an Himmler 1939 zwar diese Entscheidung von Hans Frank als „nicht sehr überzeugend“. Er betonte aber im selben Brief, dass „Luetgebrune nicht etwa als Folge des 30. Juni 1934 aus dem Anwaltsstand ausgeschlossen gewesen sei, sondern „wegen Verletzungen der ihm als Anwalt obliegenden Pflichten“:
In seinem Kampf um Rehabilitierung argumentierte Luetgebrune, es sei ungerecht, ihn von der Tätigkeit als Anwalt auszuschließen, nur weil er sich einmal im Gewahrsam der Gestapo befunden habe und dabei gezwungen gewesen sei, sich gegen falsche und unbewiesene Anschuldigungen zu verteidigen. Bei seinen Bemühungen für Röhm habe er nach dem Grundsatz gehandelt, daß der Führer der SA, ob homosexuell oder nicht, während der „Kampfzeit“ gegen alle Angriffe in Schutz zu nehmen │ S. 420 war278. Die Fortsetzung des Feldzugs gegen ihn, Luetgebrune, sei besonders unerträglich angesichts der Tatsache, daß viele der Anwälte, die während der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre für die Gegner der NSDAP gearbeitet hätten, jetzt prosperierten und als Mitglieder des NS-Rechtswahrerbunds mit dem Hakenkreuz paradierten279. In einem Brief an Röhms Nachfolger Viktor Lutze meinte Luetgebrune im September 1937, es sei wohl an der Zeit, ihn in Ruhe und wieder arbeiten zu lassen280. Lutze entschloß sich, Luetgebrune zu helfen, und mahnte Hans Frank, der gerade im Begriff war, den dauernden Ausschluß aus dem Rechtswahrerbund zu verfügen, „daß, wenn man einen Menschen leben läßt, [man] ihm nicht jegliche Existenzmöglichkeit nehmen darf“281. Schon Anfang 1936 hatte Edith Luetgebrune (Gehse) Hitlers Adjutanten Fritz Wiedemann aufgesucht und ihn gebeten, seinen Einfluß geltend zu machen. Der vorsichtige Wiedemann erklärte, der Fall müsse von Hans Frank geregelt werden282. Frank zeigte sich zunächst unzugänglich. Erst die Zusicherung Lutzes, Luetgebrune könne nicht mehr als eine Belastung der SA angesehen werden, und die Unterstützung, die vom Präsidenten des Ehrengerichtshofes im NS-Rechtswahrerbund, Dr. Gardiewski, kam, sänftigten Franks Haltung so weit, daß er es Luetgebrune „im Gnadenweg“ erlaubte, Mitglied im Rechtswahrerbund zu bleiben283. Heydrich charakterisierte diese Entscheidung als „nicht sehr überzeugend“284.
278 Luetgebrune an v. Stauß, 16.9.1936, PK.
279 Luetgebrune an Lutze, 9.9.1937, ebenda.
280 Ebenda.
281 Lutzes Standpunkt in: Hermel (OSAF) an LGRat Dorn, 23.9.1937, PK.
282 Wiedemann an Hans Frank, 6.4.1936, BA Adjutantur des Führers, NS 10/222.
283 Bestätigung Urteil Ehrengerichtshof. Im Gnadenwege, 10.12.1937, PK.
284 Heydrich an Himmler, 10.1.1939, ebenda.
Für Luetgebrune war die Wiederzulassung als Anwalt freilich nur das Signal, eine vollständige Rehabilitierung anzustreben. Er wollte wieder Mitglied der NSDAP, Dozent an der Akademie für Deutsches Recht und wenn möglich Professor werden285. In jenen Jahren sah das Dritte Reich stabil genug aus, um Luetgebrune die Fortsetzung seiner Anstrengungen notwendig erscheinen zu lassen. Mit feinem Gespür für die Machtverhältnisse wandte er sich Ende 1939 an das Reichssicherheitshauptamt. Heydrich gab sich entgegenkommend und bot ihm für die Verluste aus den Jahren, in denen er nicht hatte praktizieren dürfen, eine Entschädigung von RM 20.000 an, falls er verspreche, auf weitere Ansprüche zu verzichten286. Heydrich betonte im übrigen, daß Luetgebrune nicht etwa als Folge des 30. Juni 1934 aus dem Anwaltsstand ausgeschlossen gewesen sei, sondern „wegen Verletzungen der ihm als Anwalt obliegenden Pflichten“287. Was allerdings die Mitgliedschaft in der NSDAP und die Dozententätigkeit angehe, so könne allein der „Führer“ entscheiden. In der Umgebung Himmlers war man sich einig, daß das Jahr 1940 nicht die rechte Zeit sei, │ S. 421 Hitler mit der Angelegenheit zu behelligen. Himmlers persönlicher Sekretär Rudolf Brand stimmte damit überein und legte fest, daß er den Fall Luetgebrune auch dem Reichsführer SS erst nach dem Kriege wieder formell vorlegen werde288. Diese Entscheidung bedeutete, daß Luetgebrunes Bemühungen, im nationalsozialistischen Deutschland rehabilitiert zu werden, ihr Ende gefunden hatten.
285 Aktennotiz Jacht, Streng Geheim, SS-RSHA, 3.6.1940, ebenda.
286 RSHA an Luetgebrune, 28.12.1939, ebenda; Jacht an Frick, 23.5.1940, ebenda.
287 Heydrich an Himmler, 10.1.1939, ebenda.
288 Jacht an Brand, 6.6.1940, ebenda.
(Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984); S. 420 f
Heydeloff berichtet knapp folgendes über die letzten Jahre Luetgebrunes.
Der Anwalt überlebte den Krieg als Rechtsberater einiger Unternehmen. Als die amerikanischen Militärbehörden in Bayern Regierungsfunktionen übernahmen, wurde Luetgebrune erneut von der Vergangenheit eingeholt. In seinem „Fragebogen“ gab er nicht an, daß er Mitglied der NSDAP gewesen war, und diese Unterlassung brachte ihm die Anklage bewußter Fälschung ein. Erst nach 1948, als sich wieder mehr wichtige Kompetenzen in deutscher Hand befanden, erhielt er die Zulassung als Anwalt zurück, und zwar beim Obersten Landgericht in München. Eine erfolgreiche Zukunft in der Bundesrepublik, die nun möglich schien, war ihm jedoch nicht beschieden. Schon 1949 ist er unerwartet – an einer Lebensmittelvergiftung – gestorben.
(Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984); S. 42
Da Luetgebrunes Name nicht auf der Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie verzeichnet ist, die nach dem 17. Juli 1941 erstellt worden ist, gehe auch ich davon aus, dass Luetgebrune irgendwann in Folge seiner Verhaftung am 3. Juli 1934 durch die Berliner Gestapo seine Mitgliedschaft im Ausschuss für Rechtsphilosophie und in der AfDR verlor.
7.10. Arbeitstagung am 26. Mai 1934 im großen Sitzungssaal des Preußen-Hauses in Berlin
Auf diese Arbeitstagung habe ich bereits in meinem Abschnitt 3 Bezug genommen. Emge hat die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu einer zweiten Sitzung im Rahmen der Arbeitstagung der AfDR am 26. Mai 1934 eingeladen. Ich zitiere erneut:
An die Herren Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie der Akademie für Deutsches Recht.
Ich lade Sie hiermit zu der am 26. Mai 1934 vorm. 10 Uhr im großen Saal des Preußenhauses, Prinz Albrechtstr. 5, stattfindenden Arbeitstagung ergebenst ein.
Es werden sprechen, der Präsident der Akademie, Reichsjustizkommissar Dr. Franck [so im Original; mw], sodann die Vorsitzenden der Ausschüsse. Um 1 Uhr findet gemeinsames Mittagessen im Restaurant statt (RM 1,50); um 3 Uhr ist ein Vortrag des Sachverständigen für Rasseforschung, Dr. Gercke. Ab 4 Uhr tagen die einzelnen Ausschüsse.
[…]
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 84
Die 18 Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren demnach nicht nur zur zweiten Sitzung ihres Ausschusses, sondern auch zur gesamten Arbeitstagung am 26. Mai 1934 eingeladen worden.
Auf diese Arbeitstagung berichteten die Vorsitzenden vieler Ausschüsse über ihre Arbeit. Im Inhaltsverzeichnis der ersten Jahrbuchs sind folgende Berichte von Ausschussvorsitzenden aufgelistet (S. 263 f.).
- Der stellvertretende Präsident der Akademie Prof. Wilhelm Kisch berichtete über Bürgerliche Rechtspflege, Erbhofrecht und Gewerblichen Rechtsschutz
- Staatssekretär des Preußischen Justizministeriums Dr. Roland Freisler über Strafrecht
- Prof. Justus Wilhelm Hedemann über Personen-, Vereins- und Schuldrecht
- Rechtsanwalt Dr. Ferdinand Mößmer über Familien- einschließlich Eherecht
- Dr. Karl Gelpcke, Präsident der Industrie- und Handelskammer, über Immobiliarkredit
- Oberbürgermeister Dr. Dr. Weidemann (Halle) über Kommunalrecht, Kommunalverfassungs-recht und Bausparkassenwesen
- SA-Oberführer Gerhard-Ludwig Binz über Wehrrecht
- Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt über Staats- und Verwaltungsrecht
- Generaldirektor Geheimrat Dr. Wilhelm Kißkalt über Aktienrecht
- Generaldirektor Dr. Gustav Kilpper über Urheber- und Verlagsrecht
- Staatsminister Prof. Dr. Oswald Lehnich über Kartellrecht
- Bankier August von Finck über Bank- und Börsenrecht
- Generaldirektor Dr. Hans Ullrich über Versicherungsrecht
- Vizepräsident Dr. Paul Schlegelberger über Wasserrecht
- Senatspräsident Dr. Hermann Dersch über Arbeitsrecht
- Präsident Dr. Ernst Kleiner über Sparkassenwesen
- Präsident Ludwig Brucker über Sozialversicherung
- Prof. Dr. Viktor Bruns über Internationales und Völkerrecht
Weshalb gab es keinen Arbeitsbericht über den Ausschuss für Rechtsphilosophie? Die Frage beantwortete Wilhelm Kisch, der nach der Mittagspause die Sitzungsleitung von Hans Frank übernommen hatte, folgendes mit:
Damit wären wir am Ende der Berichte. Es wird Ihnen aufgefallen sein, daß zwei Ausschüsse nicht zu Wort gekommen sind. Wir hatten den stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für Rechtsphilosophie um einen Bericht gebeten. Herr Kollege Emge hat nun gebeten, im Hinblick auf die vorgerückte Zeit verzichten zu dürfen.
Ferner ist der Vorsitzende des Ausschusses für Finanz- und Steuerrecht, Herr Staatssekretär Reinhardt, nicht zu Wort gekommen. Das hat den Grund, daß wir uns als besonderen Leckerbissen für die große Münchener Vollver- | S. 242 sammlung [am 25. und 26. Juni 1934; mw] einen ausgiebigen Vortrag des Herrn Staatssekretärs reserviert haben, den ich hiermit mit großer Freude bereits ankündigen darf.
Damit kommt nun reichlich spät, was ich den Herrn Vortragenden zu entschuldigen bitte, die Reihe an den Herrn Sachverständigen für Rassenforschung im Reichsinnenministerium, Dr. Gercke, der die Güte haben wird, uns aus seiner reichen Erfahrung einen Vortrag über die naheliegenden Probleme zu halten.
Erstes JAfDR, S. 241 f.
Wie angekündigt endete die Arbeitstagung tatsächlich mit einem Vortrag von Dr. Achim Gercke, „Sachverständiger für Rasseforschung im Reichsministerium [des Inneren; mw], Berlin“.
Im Anschluss an den Vortrag von Gercke wendete sich wieder Hans Frank an die Anwesenden:
[6] Wir schließen diese Arbeitstagung mit einem dreifachen Heil. Unser ewiges deutsches Volk und sein Führer Adolf Hitler: Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!
[7] Die Arbeitstagung ist geschlossen.
[8](Schluß der Sitzung 16 Uhr 40 Minuten.)
Erstes JAfDR, S. 248
Gemäß der Darstellung im ersten JAfDR ergibt sich damit folgender Ablauf für die Arbeitstagung der AfDR am 26. Mai 1934: Berichte der Ausschussvorsitzenden, Mittagspause, Vortrag von Dr. Gercke, Schlusswort. Ende der Arbeitstagung um 16:40 Uhr.
Eigentlich war geplant, dass die Ausschüsse der AfDR ab 4 Uhr tagen sollten. Tatsächlich kam es zu einer kleinen Verspätung.
Kurz vor den letzten Worten, mit denen die Arbeitstagung geschlossen wurde, teilte Hans Frank folgendes über den Ausschuss für Rechtsphilosophie mit:
[4] Der rechtsphilosophische Ausschuß, der unter meinem persönlichen Vorsitz steht, hat mittlerweile auch seine konstituierende Sitzung im Nietzsche-Archiv gehabt und beschäftigt sich zur Zeit mit der Ausarbeitung der Grundbegriffe. Wir haben zuerst die Begriffe des Rechtes im weitesten Sinne und der Deutschheit zu klären.
Erstes JAfDR, S. 248
Im Protokoll, das Emge über die erste Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie erstellt hatte und das sich in seiner Akte befindet, hatte er folgenden Arbeitsauftrag für die zweite Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie notiert:
Am Schluß der Sitzung gab Minister Dr. Frank den Mitgliedern des Ausschusses folgende Fragen zur Beantwortung auf:
- Was ist überhaupt das Recht?
- Wie verhält sich der Begriff des Rechts zu dem des Deutschen?│ fol. 129
Es wurde vorgesehen, daß bei der nächsten Sitzung des Ausschusses, vermutlich anläßlich der Akademietagung, die Mitglieder über ihre Antworten referieren sollten.
[gez. Dr. ?] Emge
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 128-129
Die Informationen aus Emges Akte und aus dem ersten Jahrbuch der AfDR passen auch in diesem Fall nahtlos zusammen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es nicht wie geplant zur zweiten Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 26. Mai 1934 kam. Die Sitzung begann mit leichter Verspätung gegen 17 Uhr.
Durch die Darstellung der Arbeitstagung der AfDR am 26. Mai 1934 im ersten Jahrbuch der AfDR wissen wir nun zusätzlich detailliert, in welches Rahmenprogramm die zweite Sitzung der nationalsozialistischen Rechtsphilosophen eingebettet war. Fachlicher Höhepunkt der Arbeitstagung vom 26. Mai 1934 war der Bericht des Sachverständigen für Rasseforschung Gercke.
Bevor ich diesen Bericht zitiere und kommentiere (7.10.3.), gebe ich vorab die Arbeitsberichte von Carl Schmitt und Viktor Bruns über die Ausschüsse für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Völkerrecht wieder.
7.10.1. Carl Schmitts Bericht über den Ausschuss für Staats- und Verwaltungsrecht
Carl Schmitt betont eingangs, dass für das Staats- und Verwaltungsrecht einerseits ausschließlich die politischen Entscheidungsträger zuständig seien. Andererseits sie die AfDR „sozusagen das geistige Auge dieses überaus komplexen Entwicklungsvorganges“. Was teilt Carl Schmitt über das mit, was er sah? Ich zitiere auszugsweise:
[1] […] Wir verkennen nicht, daß wir mehr als hundert Jahre in einer uns ausgesprochen fremden und feindlichen Tradition eines liberalen Konstitutionalismus gelebt haben, der heute noch die Begriffe bestimmt, und der nicht etwa nur in der geschriebenen Verfassungsurkunde, sondern bis in die Institution des öffentlichen Rechts, bis in das Gemeinderecht und andere Nebengebiete hinein maßgebend geblieben ist.
(Schmitt, Bericht über den Ausschuss für Staatssrecht am 26.5.; 1934), S. 208
Es gelte, zu begreifen, was ist:
[2] […] Wir haben nicht mehr eine Verfassung im Sinne der Weimarer Verfassung; es ist nicht wahr, daß die Weimarer Verfassung noch gilt. Sie gilt vielleicht noch in einzelnen Normen, wie in Elsaß-Lothringen 1870 noch Normen der französischen Verfassung von 1852 galten. Kein Mensch kam auf den Gedanken, daraufhin zu sagen: etwa im Jahre 1880 hat in Elsaß-Lothringen noch die französische Verfassung Napoleons III. gegolten Sie gilt nicht mehr als Verfassung, und zwar in keinem Atom ihrer Verfassungsexistenz. Das ist der Ausgangspunkt. Sie sehen aber schon daran, wie wesentlich es ist, die Begriffe klar zu halten und vor allen Dingen den Verfassungsbegriff. Kein Begriff des bisherigen liberal-konstitutionellen Systems stimmt mehr. Die Weimarer Verfassung war ja hundertprozentig liberal-konstitutionell. Nur der Unterschied zwischen Verfassungsgesetz und einfachem Gesetz ist heute ganz anders. Schon die Tatsache, daß wir heute durch Regierungsbeschluß echte Verfassungsgesetze erlassen können, zeigt Ihnen den wesentlichen Unterschied.
(Schmitt, Bericht über den Ausschuss für Staatssrecht am 26.5.; 1934), S. 208
Ich kann mich den sachlichen Ausführungen Carl Schmitts nur anschließen. Ich muss das ausdrücklich tun, da nicht wenige Akademiker mir gegenüber seit Jahrzehnten mündlich mitteilen, dass das Dritte Reich die rechtliche, geschichtliche, logische Fortsetzung der Weimarer Republik gewesen sei. Die Mitteilungsabsicht ist klar: Wer für Kants Idee der Republik oder für die Weimarer Republik ist, ist auch für Hitler und seine Verbrechen.
Ich zitiere auch aus dem nächsten Absatz, da in ihm Carl Schmitt zu Recht davor warnt, den Begriff der Körperschaft öffentlichen Rechts nach der »Machtergreifung« im liberal-tradierten Sinn zu verstehen:
[3] […] Ich sehe das Kennzeichen in den zahlreichen neuen Körperschaften des öffentlichen Rechtes, die bereits aufgetaucht sind, und von allen Seiten noch auftauchen werden. Dieser Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts ist aber heute ein völlig leerer Allgemeinbegriff, eine idée générale im schlimmen Sinne des Wortes. Es ist eine │ S. 209 äußerliche Etikette und lebt nicht mehr. Vergessen Sie nicht, daß die NSDAP. Körperschaft des öffentlichen Rechts ist und zahlreiche Synagogengemeinden ebenfalls. Was habe ich also konkret festgestellt, wenn ich erkläre, daß die NSDAP. eine Körperschaft öffentlichen Rechts ist? Nichts Wesentliches und nichts Entscheidendes! Also dieser alles überflutende Begriff der Körperschaft öffentlichen Rechts soll uns als Ausgangspunkt unserer Arbeit dienen.
(Schmitt, Bericht über den Ausschuss für Staatssrecht am 26.5.; 1934), S. 208 f.
In den nächsten beiden Absätzen macht Carl Schmitt darauf aufmerksam, dass zum neuen Begriff der Körperschaft öffentlichen Rechts auch die Neubestimmung zugeordneter Gerichtsbarkeiten gehören werde. So gab es ein Parteigericht der NSDAP. Für die SS wurde eine eigene Strafgerichtsbarkeit entwickelt. Heute existiert solches Sonderrecht noch im Kirchenrecht, durch das Kirchenmitglieder vor einer strafrechtlichen Verfolgung geschützt sind. Früher gab es ein Sonderecht für Universitätsangehörige.
Im Folgeabsatz erwähnt Carl Schmitt den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Das zitiere ich natürlich ungekürzt:
[6] So ergeben sich für meinen Ausschuß für Staats- und Verwaltungsrecht zu anderen Ausschüssen unmittelbare Beziehungen – auch das gehört zu der großartigen Organisation dieser Akademie für Deutsches Recht, daß die Zusammenarbeit eine lebensvolle Universitas gewährleistet –, Beziehungen zum | S. 210 Ausschuß für Rechtsphilosophie, für Kommunalrecht, für Beamtenrecht, für Wehrrecht, für Finanzrecht usw.
(Schmitt, Bericht über den Ausschuss für Staatssrecht am 26.5.; 1934), S. 209 f.
Bemerkenswerterweise teilt Carl Schmitt nicht mit, dass er Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie war, obwohl ihm sehr wahrscheinlich am 26. Mai 1934 seine Berufungsurkunde überreicht wurde (3.4.).
In den letzten Absätzen spricht Carl Schmitt das „Problem der sog. Reichsverwaltungsgerichtsbarkeit“ an. Es sei die dritte und letzte Aufgabe, mit der sich sein Ausschuss zuerst befassen werde. U.a. bemerkt er sachlich richtig, dass nach erfolgter Gleichschaltung der Länder der Staatsgerichtshof in Leipzig „gegenstandslos“ geworden sei. Das zitiere ich, weil die persönliche Abneigung Carl Schmitts gegen diesen liberal-konstitutionellen Gerichtshof erkennbar wird, vor dem er am 25. Oktober 1932 im sog. „Preußenschlag-Prozess“ verloren hatte.[409] Erkennbar ist auch die Genugtuung, die Carl Schmitt durchs Überwundensein des ersten Abschnitts der WRV durch das sog. Ermächtigungs»gesetz« empfand:
[7] […] Es ist so, daß meiner Meinung nach infolge dieser Veränderung unseres Staatsgefüges und infolge der radikalen Beseitigung des föderalistischen Bestandteils bereits heute, ohne daß es einer besonderen gesetzliche Änderung bedürfte, der Staatsgerichtshof in Leipzig ganz von selbst gegenstandslos geworden ist. Es bedarf nicht einmal mehr einer besonderen Todeserklärung, weil diese Institution im ersten Abschnitt „Reich und Länder“ der Weimarer Verfassung eingebettet ist und dieser ganze erste Abschnitt spätestens seit dem Gesetz vom 30. Januar 1934 erledigt ist. […]
(Schmitt, Bericht über den Ausschuss für Staatssrecht am 26.5.; 1934), S. 210
Nun zu Viktor Bruns Bericht über den Ausschuss für Völkerrecht.
7.10.2. Viktor Bruns Bericht über den Ausschuss für Völkerrecht
Zunächst teilt Bruns mit, dass „nachdem unsere Vorarbeiten abgeschlossen sind, in wenigen Tagen eine erste Vollsitzung am 15. und 16. Juni“ 1934 abgehalten werden wird (S. 238).
Bruns behandelt dann die Saarfrage (S. 238), das Völkerbundproblem (S. 239 f.) und die „Aberkennung der Staatsangehörigkeit“ (S. 240). Da der letzte Punkt offensichtlich brisant für die Frage ist, ab wann wer eine rechtsförmige „Entjudung“ Deutschlands plante und zu verwirklichen begann, zitiere ich diesen Absatz vollständig:
[11] Als weiteren Verhandlungsgegenstand haben wir die Frage vorgesehen, ob die Aberkennung der Staatsangehörigkeit völkerrechtlich zulässig ist oder nicht. Unsere neuen deutschen Vorschriften[410] sind namentlich von französischer Seite auch einer im Ton außerordentlich gehässigen Kritik unterzogen worden. Das Referat wird zu prüfen haben, ob die Bestimmungen völkerrechtlich zulässig sind – meiner Auffassung nach ohne Zweifel –, sodann, ob und welche Bestimmungen ähnlicher Art andere Staaten erlassen haben. Es ist zu berichten, daß die Ausführungen zu dieser letzteren Frage den Nachweis einer beschämenden Unkenntnis unserer Ankläger erbringen werden. Diese Beispiele [Saarfrage, Völkerbundproblem, Aberkennung der Staatsangehörigkeit; mw] mögen genügen, um zu zeigen, welcher Art die Aufgaben sind, die sich der Ausschuss gesetzt hat, und welche Weise und mit welcher Methode er bestrebt ist, sie zu lösen.
Bruns, Bericht über den Ausschuss für Völkerrecht am 26.5.1934; S. 240
Zusätzlich möchte ich auf eine Frühform von Carl Schmitts Großraum-Doktrin aufmerksam machen. Zunächst charakterisiert Bruns die zu überwindende Ordnung der Staatengemeinschaft der Jahre 1918/19. Danach präsentiert er das Kernkonzept der Großraum-Doktrin Carl Schmitts, das darin besteht, dass nicht jeder individuelle Staat eine völkerrechtliche Subjektivität haben dürfe, sondern nur die starken Staaten. Diese und nur diese können und sollen die Staatengemeinschaft ordnen. Und da – genau genommen – die Großraum-Doktrin nichts Anderes als eine analytische Auslegung dieses Kerngedankens ist, darf man sagen, dass die Großraum-Doktrin spätestens seit dem 26. Mai 1934 existierte. Falls Carl Schmitt die Denkaufgabe fürs „dritte Referat“ gestellt hat, dann ist ihm diese Doktrin weiter zuzurechnen. Falls Viktor Bruns das getan hat, dann ihm.
[10] Noch auf der Pariser Konferenz der Jahre 1918/19 haben die Großmächte de europäischen Fragen allein entschieden. Dieselben Staatenvertreter, die diese Entscheidung getroffen und den kleineren und mittleren Staaten aufgezwungen haben, haben gewissermaßen im Nebenzimmer das Statut eines Völkerbundes geschaffen, das auf der Durchführung und der Übertragung des Grundsatzes der Staatengleichheit auf die Staatenorganisation aufgebaut ist. Sie haben einen Völkerbund geschaffen, den jeder, auch der kleinste Staat wegen einer Streitigkeit angehen kann, die sich vielleicht zwischen Großmächten entwickelt hat. Dort wird die Entscheidung nach dem Einstimmigkeitsprinzip im Wege der Abstimmung bei einer Majorität der kleineren Staaten gefunden.
Bruns, Bericht über den Ausschuss für Völkerrecht am 26.5.1934; S. 240
Viktor Bruns beschreibt sachlich richtig, dass und wie das Prinzip der Rechtsgleichheit der Staatsbürger auch im Bereich des Völkerrechts zu einer faktischen Majorität der Schwächeren führt. Das mag Viktor Bruns nicht. Deswegen verweist er auf die „Natur der Sache“, nach der das Recht des Stärkeren gelte:
Das Versagen dieser Institution ist auf eine Abkehr von den Grundsätzen zurückzuführen, die sich nach der Natur der Sache im Laufe der geschichtlichen Entwicklung ergeben haben. Beruht nicht die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit der Staaten auf die Schaffung von Streitschlichtungsinstanzen, auf die Schaffung einer Institution dieser Art auf einer Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Gleichheitsgrundsatzes? Darum wird ein drittes Referat sich mit dem Anwendungsbereich dieses Grundsatzes zu beschäftigen und zu prüfen haben, aus welcher Quelle er stammt, ob es möglich sein wird, mit einem allgemeinen Staatenbegriff einen Begriff der völkerrechtlichen Subjektivität aufzustellen und anzuwenden, der von der gegebenen Individualität der einzelnen Staaten vollkommen absieht. Dieses Referat wird untersuchen, welche Regeln sich aus dem Sinn eines Ordnungssystems ergeben, dessen Träger und Objekte eben Staaten sind, um so vom dogmatischen Standpunkt aus Ergebnisse zu gewinnen, die neben den aus der historisch-politischen Erfahrung gewonnenen die einzig zuverlässigen Grundlagen für die Bestimmung, die Aufgabe und Organisation eines Staatengemeinschaft darstellen.
Bruns, Bericht über den Ausschuss für Völkerrecht am 26.5.1934, S. 240
Ich zitiere auch noch den letzten Absatz, da in ihm Viktor Bruns seine persönliche Begeisterung für die AfDR zum Ausdruck bringt:
[12] Der Ausschuss will keine Theorie um der Theorie willen machen; er will den Lebensinteressen des deutschen Volkes dienen. Es ist nicht seine Aufgabe, den politischen Entscheidungen vorzugreifen, wohl aber will er mithelfen, die Grundlagen für diese politischen Entscheidungen zu unterstützen.[411] Alle Politik geht von der gegebenen Rechtssatzung aus und strebt danach, sie entweder zu erhalten oder zu ersetzen. Alle Politik strebt weiter dahin, das einmal erkämpfte Resultat wieder in einer Rechtssatzung für die Zukunft festzulegen. Das ungeschriebene, aber darum nicht minder positive und bindende Recht ist Maßstab und Urteil über alle Politik und Satzung. So wird sich das politische Handeln nie dem Recht entziehen. Darum ist es nicht erstaunlich, daß das Recht im politischen Kampf die stärkste Waffe bedeutet. Eine Akademie für Deutsches Recht hat hier eine ihrer wichtigsten Aufgaben zu erfüllen.
(Lebhafter Beifall)
Bruns, Bericht über den Ausschuss für Völkerrecht am 26.5.1934, S. 241
Hans Frank hatte zu diesem Zeitpunkt den Vorsitz an Kisch übergeben, so dass Kisch auf Bruns reagierte. Wilhelm Kisch mochte Viktor Bruns:
Geheimrat Professor Dr. Kisch:
Sehr verehrter Herr Kollege! Diejenigen von uns, die der ersten Vollversammlung der Akademie beizuwohnen Gelegenheit hatten, haben den starken Eindruck nicht vergessen, den Ihre damaligen Ausführungen über das Recht Deutschlands auf Gleichbehandlung, auf Gleichberechtigung allgemein hervorgerufen haben. Sie, Herr Kollege, sind ja ein alter völkerrechtlicher Kämpfer für Deutschlands Rechte und für Deutschlands Unabhängigkeit. Sie haben die undankbare, aber überaus wichtige Aufgabe übernommen, vor den sogenannten internationalen Gerichten unseren Rechtsstandpunkt zu vertreten, – mit Gewissenhaftigkeit und mit dem Grad des Erfolges, der überhaupt in solchen Fällen erhofft werden konnte. Dieser Tradition sind Sie treu geblieben, indem Sie sich für den völkerrechtlichen Ausschuß der Akademie zur Verfügung gestellt haben. Sie haben uns heute eine überaus eindrucksvolle kurze Darlegung der wichtigsten Gesichtspunkte für die rechtliche Beurteilung der Saarfrage gegeben, die es eigentlich für uns nicht gibt, wie wir heute mit Beifall vernommen haben. Sie haben damit eine außerordentlich wertvolle Ergänzung zu Ihrem früheren Vortrag geliefert. Diese Ausführungen sind um so überzeugungskräftiger, als sie auf jenes Phrasentum verzichten, wie es auf der anderen Seite der Grenze so stark beliebt ist, und sich in der reinen, klaren, einfachen und zwingenden Luft rein rechtswissenschaftlicher Betrachtungen bewegt haben. Ich danke Ihnen, Herr Kollege, und wünsche auch Ihrem Ausschuß guten Erfolg.
Damit wären wir am Ende der Berichte. Es wird Ihnen aufgefallen sein, daß zwei Ausschüsse nicht zu Wort gekommen sind. Wir hatten den stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für Rechtsphilosophie um einen Bericht gebeten. Herr Kollege Emge hat nun gebeten, im Hinblick auf die vorgerückte Zeit verzichten zu dürfen.
Erstes JAfDR, S. 241
Nun zum inhaltlichen Höhepunkt der Arbeitstagung der AfDR am 26. Mai 1934, zu dem auch die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie von Emge eingeladen worden sind:
7.10.3. Achim Gerckes Vortrag am 26. Mai 1934: »Es werde durch die nationalsozialistische Idee die deutsche Rasse!«
Da nach Aktenlage Helmut Nicolai (1895-1955) Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, ist es nicht selbstverständlich, dass nicht er, sondern Achim Gercke (1902-1997) das Referat über Rasse auf der Arbeitstagung der der AfDR am 26. Mai 1934 gehalten hat. Aus der Akte Emges ist aber ersichtlich, dass bereits in der Planung der Arbeitstagung Gercke als Referent vorgesehen war.
Dass die Rassenfrage sogar eine, wenn nicht die Verfassungsfrage des »Dritten Reichs« war, wird – wie bereits in einer Endnote zitiert – Carl Schmitt im Oktober 1935 verkünden. Ich zitiere erneut den Anfang seines Artikels „Die Verfassung der Freiheit“, in dem er die Nürnberger Rassengesetze feierte:
[1] Am 15. September 1935 hat der Deutsche Reichstag auf dem Reichsparteitag der Freiheit das Reichsflaggengesetz, das Reichsbürgergesetz und das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre beschlossen.
[2] Dieser Reichstag war etwas anderes und mehr als das Parlament eines Verfassungskompromisses, und auch seine Gesetze sind deshalb etwas anderes und mehr als die Diskussions- und Koalitionsprodukte eines Vielparteiensystems. Der auf dem Reichsparteitag versammelte Reichstag war das von der nationalsozialistischen Bewegung getragene, dem Führer Adolf Hitler folgende deutsche Volk selbst; seine Gesetze sind seit Jahrhunderten die erste deutsche Verfassung der Freiheit.
(Schmitt, Die Verfassung der Freiheit 1935), S. 1134
Achim Gercke (1902 – 1997) ist mit einem Eintrag im »Deutsche Führerlexikon 1934/35« vertreten, sogar mit Foto, auf dem er aber nicht gut zu erkennen ist:
Abbildung 47: Foto von Achim Gercke (1902-1997) im »Deutschen Führerlexikon 1934/34«, S. 144
Geboren: 5. August 1902 in Greifswald; väterlicherseits aus altem Göttinger Bürgergeschlecht, mütterlicherseits ebenfalls niedersächsischer Abstammung aus Hildesheimer Bürgerfamilie. — Bildungsgang: Bis 1922 König-Wilhelm-Gymnasium zu Breslau; Studium in Breslau, Göttingen und Freiburg im Breisgau (Naturwissenschaften, Chemie, Physik und Mathematik); 1930 Dr. phil. nat.; anschließend Universitätsassistent am Chemischen Institut zu Greifswald. — Berufsgang u.a.: 4. März 1926 Eintritt in die NSDAP (Mitgliedsnummer 31.490); Gründung des Archivs für berufsständische Rassenstatistik in Göttingen; seit Ende 1931 Abteilungsleiter, später Amtsleiter der Reichsleitung in München (NS-Auskunft); 13. April 1933 zum Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern ernannt; allein zuständig zur Erteilung von Gutachten über die arische Abstammung; Führer des Reichsvereins für Sippenforschung und Wappenkunde e.V. und der Reichsarbeitsgemeinschaft für Sippenforschung und Personenstandswesen. — Spezialarbeitsgebiet, Veröffentlichungen: Sippenforschung: Judenfrage; Schriftdenkmalschutz; Lichtabbildung (Photokopie) der alten Personenstandsurkunden (Kirchenbücher usw.); Sippenamt und Reichssippenkartei: „Rasseforschung und Familienkunde“, „Rasse im Schrifttum“, „Die Aufgaben des Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern“.●
(Deutsches Führerlexikon 1934/35: Achim Gercke, S. 144
Hier ein paar Zusatzinformationen zu Achim Gerckes Tätigkeiten vor dem 26. Mai 1934 aus der Habilitationsschrift von Cornelia Essner über die „Die »Nürnberger Gesetze« oder Die Verwaltung des Rassenwahns“ von 2002:
Es war nicht zuletzt die Gefahr, die entferntere jüdische Herkunft eines Parteimitgliedes zu ignorieren, die diesen nach kontagionistischem Denken zum Juden machte, die 1931 zur Errichtung des Sippenamtes der NSDAP, genannt »NS-Auskunft«, führte. Sie wurde Achim Gercke unterstellt, einem 1902 geborenen, promovierten Naturwissenschaftler, der am 4.3.1926 der NSDAP beigetreten war.4 Seine Aufgabe wurde es, Parteimitgliedern, »die nachweisbar jüdische Vorfahren haben, den Austritt aus der Partei nahezulegen, um es ihnen zu ersparen, ausgeschlossen zu werden«. Die NS-Auskunft gehörte zunächst zu der am 6.11.1931 gegründeten innenpolitischen Abteilung unter Helmut Nicolai, die wiederum Ende 1932 in die etwas ältere Rechtsabteilung unter Hans Frank eingegliedert wurde. Wenig später wurde das Partei-Sippenamt direkt dem Reichsgeschäftsführer Philipp Bouhler unterstellt.
4 Vgl. Das deutsche Führerlexikon 1934/35, Berlin 1934, S. 144.
(Essner 2002), S. 76
Achim Gercke, Helmut Nicolai und Hans Frank kannten sich demnach bereits länger als Rassisten. Gercke war ferner Verfasser einer sehr bemerkenswerten Denkschrift zur »Rassenscheidung« vor 1933, wie Essner mitteilt:
Noch vor der »Machtergreifung« verfaßte Gercke eine Denkschrift mit dem Titel »Soll man den deutsch-jüdischen Bastarden die vollen Staatsbürgerrechte geben?«, die den Entwurf eines »Rassenscheidungsgesetzes« begleitete.6 Hierbei handelt es sich um das älteste bisher auffindbare Projekt eines allgemeinen Judengesetzes aus der Parteileitung. Zwar fertigten vor dem Januar 1933 die innenpolitische Abteilung sowie die Rechtsabteilung der NSDAP [dessen Leiter Hans Frank war; mw] Gesetzentwürfe zur Umsetzung eines Rassenrechts an, aber ihre Existenz ist nur durch eine schematische Aufzählung belegt, die Hans Lammers, Chef der Reichskanzlei, am 29.3.1933 erhielt und in der auch das »Rassenscheidungsgesetz« figurierte.7 Daß Gerckes Entwurf von Einfluß war, zeigt die Tatsache, daß er im August 1933 dem Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik zusammen mit dem Entwurf des Reichsinnenministeriums zu einem »Reichsangehörigkeitsgesetz« vorlag.8
6 Dkschr. erstmals erwähnt bei K. D. Bracher/W. Sauer/G. Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung, Köln 1962, S. 412, A 146.
7 Vgl. GStA, Rep 77/10, Bl. 23 f sowie U. D. Adam, Judenpolitik im Dritten Reich, Düsseldorf 1979, S. 30 bes. A 45.
8 Vgl. G. Neliba, Wilhelm Frick. Der Legalist des Unrechtsstaates, Paderborn 1992, S. 199
In der Denkschrift über den staatsrechtlichen Status der »Bastarde« gab Gercke folgende Interpretation des vierten Punktes des Parteiprogrammes:│ S. 78
»Das bedeutet, daß alle diejenigen, die jüdisches Blut nachweisbar in ihren Adern haben, die besonderen Vorrechte des Staatsbürgers nicht genießen können; denn das Eintreten für das wertvolle, reingeartete deutsche Blut bedingt die Ablehnung jeglicher Mischehe und damit auch der aus ihr entspringenden Bastarde deutsch-jüdischer Mischung.« Daher war die Ehe mit »Judenstämmlingen« fernerer Grade für Gercke »selbstverständlich zu verwerfen. Die Versippung mit Trägern jüdischer Erbmasse führt jeden zwangsläufig in eine Abhängigkeit von unwertigem Blut, zu einer Einstellung, die es zu klaren Entscheidungen in dieser Frage nicht mehr kommen läßt. Man nennt das den jüdischen Einfluß, der von so Gebundenen vermittelt werden und durch sie seine geheimen dunklen Wege in unsere Reihen finden könnte.«9
9 BAL, R 15.09/11, Bl. 14
Obwohl der Leiter der NS-Auskunft in völkisch-christlicher Tradition den jüdischen Einfluß eher über den Geist als über den Körper wirken sah, rekurrierte er auch auf die Mendelschen Erbregeln, um seine prä-eugenische Vorstellung von der ungeschwächten Persistenz des »jüdischen Blutes« zu untermauern und sich gleichzeitig als versiert in der erbbiologischen Materie darzustellen.
(Essner 2002), S. 77 f.
Nach der »Machtergreifung« wechselte Gehrke ins Reichsinnenministerium, das nun vorübergehend das Machtzentrum für die von den akademischen Nationalsozialisten angestrebte »Rassentrennung« zunächst auf dem Territorium des »Dritten Reichs« war.
Nach dem 11.4.1933 wurde der Sippenexperte der Partei als »Sachverständiger für Rassenforschung« in das Innenministerium berufen, um den Arierparagraphen des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« (GzWBb) anzuwenden. Im neuen Amt verfaßte Gercke zwei weitere Denkschriften – »Grundsätzliches zur Mischlingsfrage« sowie »Die Lösung der Judenfrage«, die in den von Hitler herausgegebenen »Nationalsozialistischen Monatsheften« 1933 veröffentlicht wurden.20 […]
20 Vgl. NSMh [Nationalsozialistische Monatshefte; mw] 4. Jg. (1933), H. 34, S. 197 ff [korrekt: S. 195 ff.; mw]
(Essner 2002), S. 81
Nachdem, was ich in 4.3.2. exkursweise über die »Partei des Lebens«, die »Höherzüchtung der Menschheit« und den »Lebensborn«-Verein bereits mitgeteilt habe, sind die Regelungen, über die Essner berichtet, inhaltlich verständlich:
Die Anerkennung der Rassenbiologie als Mittel der genealogischen Wahrheitsfindung wurde gekrönt durch den neuen Rechtsweg der »Abstammungsklage«, am 15.6.1939 eröffnet durch Urteil des Reichsgerichts.135 Der oberste deutsche Gerichtshof erweiterte darin die in der Weimarer Republik eingeführte Feststellungsklage (Statusklage) gemäß § 1595a des Bürgerlichen Gesetzbuches, die es ermöglichte, von amtswegen und ohne Einverständnis der Mutter nach dem ungenannten Vater des unehelichen Kindes zu forschen. Begründet mit der rassenpolitischen Bedeutung der Abstammung, war nun die Statusklage für alle ehelich geborenen Kinder möglich, während sie bisher nur für eine kurze Zeitspanne nach der Geburt zugelassen war. Da es um das Interesse des Rassenstaates an der wahren Herkunft ging, erhob die Klage der Staatsanwalt, der den Personenstand, d. h. im allgemeinen die eheliche Herkunft von einem jüdischen Vater, anfocht. Die Urteile waren rechtsverbindlich, und die Standesbehörden registrierten den Personenstandswechsel von der ehelichen zur unehelichen Geburt; der Name des jüdischen Vaters wurde gelöscht, die betroffene Person nahm meist den mütterlichen Geburtsnamen an. Die »Abstammungsklage« erlaubte einer spezifischen Gruppe von »Halbjuden« die »Entjudung« und den Übertritt in das »Ariertum«: sofern die Mutter »deutschblütig« und der eheliche Vater »volljüdisch« war. »Mischlingen 1. Grades« da- │ S. 207 gegen mit jüdischer Mutter und »arischem« Vater war die Hochstufung verschlossen, es sei denn die Mutter selbst bestritt erfolgreich ihre Herkunft vom legitimen, jüdischen Vater. In diesem Fall wurde die Mutter zum »Mischling 1. Grades« und ihre Kinder daher zu »Mischlingen 2. Grades«.
135 RGZ 160, S. 293
Durch die erweiterte Statusklage wurde die »blutmäßige Abstammung« erstmals als Rechtsbegriff definiert, der das traditionelle Familienrecht in einem wesentlichen Punkt außer Kraft setzte. Das Reichsgerichts-Urteil erscheint damit als erster Schritt zur Verwirklichung des völkischen Verwandtschaftsrechts, das von der Akademie für deutsches Recht geplant wurde136 und dem auch die projektierte Sippenverwaltung gedient hätte. Im Zentrum des künftigen Sippenrechts stand die »Gleichstellung« der unehelichen Geburt mit der ehelichen: Allein der Weg des »Blutstromes« würde zählen.
136 S. Conte, Quete, S. 107 [Conte, Edouard/Cornelia Essner: La quete de la race. Une anthropologie du nazisme, Paris 1995; mw]
(Essner 2002), S. 206 f.
Essner (2002) erwähnt den Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR übrigens nicht. Sie erwähnt einige Mal Hans Frank. Mit Alfred Rosenberg befasst sie sich in ihrem sechsten Kapitel „Vorstöße zur Verschärfung des Judenbegriffs im »Altreich« und den »besetzten Ostgebieten« 1941/1942“ ausführlich. Mit der Zeit nach 1938 befasse ich mich erst in Teil IV. Dass sie Carl Schmitts ausdrückliche Zustimmungen zu den Nürnberger Gesetzen nicht erwähnt, überrascht mit etwas.[412]
Nun zum Vortrag, den Achim Gercke auf der Arbeitstagung der AfDR am 26. Mai 1934:
Dr. Gercke:
[1] Herr Vizepräsident, meine Herren! Dem Herrn Präsidenten der Akademie für Deutsches Recht danke ich, daß ich zu Ihnen sprechen darf, und Ihnen danke ich, daß Sie bereit sind, mir eine halbe Stunde zu gönnen, in der ich Ihnen einige Grundgedanken sagen möchte, die uns ja schließlich alle bewegen und die uns alle dahin zurückführen sollen, wo all das mündet, was jeder einzelne hier im Ausschuß und dort in der Praxis zu tun und zu leisten hat. Es ist nicht meine Aufgabe, zu sagen, was im einzelnen unter Nationalsozialismus zu verstehen ist. Es ist auch heute vielleicht noch nicht ganz abzusehen, welchen Umfang dieses Wort und diese Ideen einst haben wird [so im Original; mw]. Aber an seinen Erscheinungsformen können wir vielleicht schon ersehen, worin der Nationalsozialismus besteht. Wir sehen, daß im schärfsten Gegensatze zu einer Zeit des Individualismus heute der Gemeinschaftsgedanke im Vordergrunde steht. Und dieser Gemeinschaftsgedanke ist unendlich wichtig. Deshalb möchte ich von ihm ausgehen. Das soll heißen, daß wir hier nicht nur von einer irgendwie zusammengesetzten Lebensform der Menschen, sondern von einer organisch gedachten, biologisch zusammenhängenden Gemeinschaft sprechen. Dieser organische und biologische Gemeinschaftsgedanke kann nicht dadurch durgesetzt werden, daß man ihn irgendwie gesetzlich festlegt, sondern auch er muß, wie der ganze Nationalsozialismus überhaupt, erlebt werden; er muß erlebt und gelebt werden.
(Gercke 1934), S. 242
Die Worte „Erlebnis“ und „Leben“ sind durch ihre wörtliche Bedeutung im Deutschen besonders geeignet, „Belebungs-“ und „Vernichtungsziele“ des akademischen Nationalsozialismus »schöngeistig« zu formulieren.
Darin zeigt sich schon, daß derjenige zweifellos tiefer verstanden hat, der in der Volksgemeinschaft, in der er steht, zu leben vermag, sie wirklich tief innerlich erlebt hat, als derjenige, der das glaubt, aus irgendwelchen Büchern und Vorträgen die Weisheit nun hundertprozentig gelöffelt zu haben und dann doch nicht mehr als hundertzehnprozentig ist. Wenn wir aber die Volksgemeinschaft und jede Gemeinschaft, in der wir stehen, tiefinnerlich erlebt haben, dann wissen wir, daß dieses Erlebnis uns etwas unendlich Wichtiges vermittelt: die innere Haltung, die wir zu allen Fragen haben müssen. Diese innere Haltung aber ist deshalb das Wichtigste, was wir erringen müssen, damit für uns alles das, über das der Führer noch nicht entschieden, über das noch kein Gremium führender Nationalsozialisten sich beraten hat, in derselben Richtung liegt, in der auch Hitler alle seine Gedanken eingestellt hat. Aus dieser inneren Haltung heraus allein vermag jeder einzelne Ausschuss der Akademie das zu gestalten, was in einem inneren und organischen Zusammenhange mit den Beratungen der anderen Ausschüsse stehen soll.
(Gercke 1934), S. 242
Dass Achim Gercke, der erst 1902 geboren ist, auf einer Arbeitstagung der AfDR den Ausschussvorsitzenden mitteilt, aus welchem Erlebnis heraus sie die innere Haltung gewinnen müssen, durch die sie ihre Arbeit in der AfDR führer-gerecht machen könnte, ist bemerkenswert.
[2] Diese Gemeinschaft hat die Tatsache zur Grundlage, daß wir alle in uns etwas Gemeinsames feststellen können, und dieses, was uns allen gemeinsam | S. 243 ist, verbindet uns auch mit denen, die vor uns waren, und mit denen, die nach uns kommen werden. Es ist das Ewige in unserem Volke, es ist das, was nicht greifbar, nicht in Worte faßbar in allen von uns lebt, und was wir mit dem Worte „ewiges Deutschland“ bezeichnen.
(Gercke 1934), S. 242 f.
Eine Bedeutungsentfaltung des Wortes „ewiges Deutschland“ veröffentlichte 1935 Johann von Leers: (von Leers, Odal. Das Lebensgesetz eines ewigen Deutschland; 1935).
Auf dieses gemeinsame Formel möchte ich das bringen, was uns alle in die Gemeinschaft bringt, und zwar in eine unlösbare Volksgemeinschaft, über die wir nicht mehr entscheiden können, in die wir von Natur aus hineingewachsen sind. Dieses Ewige im Volk ist, um das wir kämpfen, um das wir ringen, um das jeder einzelne, um das das ganze Deutschland dauernd ringt, damit dieses Ewige in uns auch immer Ewigkeitswert hat. Wenn wir aber so vom ewigen Deutschland sprechen, dann wünschen wir, daß der Wert Deutschland nicht nur in dieser oder jener Kulturtat liegt, sondern insbesondere darin beschlossen ist, daß der deutsche Mensch diese Mission in sich spürt, daß er sich nicht nur in der Gegenwart auswirkt, sondern über sich hinaus an die Zukunft denkt und auch diese Zukunft schon heute in der Gegenwart mit zu gestalten hilft und ihr eigentlich das Fundament mitgibt.
(Gercke 1934), S. 243
»Höherzüchtung der Menschheit« durch die Führer der »Partei des Lebens« – das werden die anwesenden Mitglieder der AfDR und des Ausschusses für Rechtsphilosophie gerne gehört haben.
So sehen wir schon, ohne bisher irgendeine Theorie berührt zu haben, welche Grundlage der Gemeinschaftsgedanke hat, der sich heute in der ganzen Öffentlichkeit und in allen Erscheinungen nationalsozialistischen Wesens hervortut. Er hat den Gedanken der Rasse zur Grundlage. Das Ewige im Volke ist ja die Rasse. Mit dem Gedanken der Rasse und mit den ganzen Rassefragen brauchen wir nicht unbedingt dauernd das zu verbinden, was uns voneinander trennt, sondern wir müssen den Gedanken der Rasse positiv fassen und in ihr eben das erblicken, was uns allen gemeinsam ist. Und wenn wir von dem, was uns allen gemeinsam ist, ausgehen und noch das hinzunehmen, was wir aus diesem in der Zukunft gestalten wollen, können wir uns die gesteckten Aufgaben in zwei Grundaufgaben zerlegen: einmal in die Aufgaben, die zeitlich bedingt sind, die Gegenwartsaufgaben. Diese Aufgaben heißen etwa: wir deutsche Menschen müssen uns gegen alle Feinde wehren, ob sie nun in Personen zu fassen sind, oder ob sie unsere Gesundheit, unsern Bestand in irgendeiner Hinsicht angreifen. Diese Gegenwartsaufgaben sind besonders zu umreißen mit all den Wehraufgaben.
[3] Neben diesen Gegenwartsaufgaben gibt es Aufgaben der Zukunft, und diese lauten: dafür zu sorgen, daß dieser Bestand des Volkes, der heute da ist, nicht nur für heute vorhanden ist, nicht nur für heute bewahrt wird, sondern auch in der Zukunft leben kann.
(Gercke 1934), S. 243
Mir ist nur eine Auslegung des Absatzes 3 eingefallen, die ohne science fiction auskommt. Zusätzlich zu bereits dargestellten »Rechtsdogmatik des akademischen Nationalsozialismus« braucht es in der der sie fundierenden Metaphysik und Religionsphilosophie noch die Integration der buddhistischen Lehre der Reinkarnation. Der heutige »Held« im »Kampf um die deutsche Rassenseele« bekommt – durch Taten des »ewigen deutschen Rassegottes und der jeweils lebenden Männergeneration von akademischen Nationalsozialisten – für alle zukünftigen Zeiten taugliche Embryonen oder Babys zur Verfügung gestellt, in denen er sich re-inkarnieren kann, darf und soll, aber vermutlich nicht muss. Nur so kann ein gegenwärtiger Bestand von »Persönlichkeiten« auch noch in der Zukunft leben, in der ein Leib den Weg alles Zeitlichen gegangen ist.
Gercke bräuchte eigentlich die Technik des Klonens. Das, was der »Lebensborn«-Verein den SS-Führern anbot, war ja eine Bestanderhaltung des Lebens, das heute da war, in der Zukunft nach dem eigenen Tod. Auch wenn heute deutlich mehr Nachfahren der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie leben sollten, als man so meint, bin ich sicher, dass keines der Dauermitglieder heute noch lebt.
[4] Der Staat baut sich auf bestimmten Organisationen auf, wird von Gemeinschaften organisiert, in denen sich die Männer zusammenfinden, die fähig sind, diesen Staat zu tragen. Das Volk als Volkskörper wird auf den Familien aufgebaut. Es ist die Aufgabe des Mannes, in zwei Gemeinschaften zu leben: einmal in seiner Männergemeinschaft, in der Organisation, mit der er den Staat aufbaut, und mit der er die ganzen staatlichen Aufgaben erfüllen kann, und zum andern in der Gemeinschaft seiner Familie. Denn nur auf dieser Gemeinschaft baut sich das Volk auf. Die Familie ist die kleinste Zelle im Volkskörper.
(Gercke 1934), S. 243
Gercke ist bei weitem nicht der einzige akademische Nationalsozialist, der meinte, dass »der deutsche Staat« ein Staat einer »Männergemeinschaft« ist. Ich werde darauf in Teil III näher eingehen.
[5] Wenn wir so die Aufgaben getrennt sehen, erkennen wir, daß es eine der wichtigsten Aufgaben ist, aus dem individualistischen Denken herauszukommen | S. 244 und zu einem biologischen Denken, zu einem Denken in organischen Einheiten zu gelangen, indem wir die Organisationen einzeln in ihrer organischen Struktur begreifen. Das Volk ist ein großer Organismus, in dem die Familien die Zellen sind. Diese Familien bilden in größeren organischen Zusammenhängen die Sippe, die Gesamtheit der organisch zusammengehörenden Sippen bilden den Volksschlag und aus diesem wiederum entsteht der Gesamtköper. Hier ist die Aufgabe jeder einzelnen Zelle für sich vorhanden, und diese Aufgabe ist in Sonderheit: alles das, was in diesem Volkskörper ausfällt, durch gesunde Zellen zu ersetzen und auszufüllen, damit der Gesamtkörper leben kann. In diesem Volkskörper gehört ein starres und festes Gerüst hinein, ein Knochenbau, der ihn zusammenhält, damit er alles das ausführen kann, was der gemeinsame Wille dieses Gesamtvolkes verlangt. Wenn man sich in dieses Bild vom Volkskörper auch noch das nationalsozialistische Denken hineindenkt, so wäre die nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei das Gehirn, das Willenszentrum, von dem der ganze einheitliche Wille ausgeht, der bestimmt, in welcher Richtung dieses Volk nun marschieren soll. Wir müssen uns davon frei machen, den Einzelnen als Einzelnen zu betrachten, und müssen ihn in seinem Zusammenhange mit dem Volksorganismus sehen. Dann sehen wir seine Aufgaben deutlicher und unmittelbarer.
(Gercke 1934), S. 243 f.
In Unterabschnitt 3.5.7. habe ich bereits Baron von Uexkülls »Staatsbiologie« vorgestellt. Gercke und von Uexküll werden einander gemocht haben.
[6] Die Organisation hat die Aufgabe, die Menschen zu sammeln und sie in einer einheitlichen Richtung im Marsch zu setzen, während die Familie die Aufgabe hat, organisch das aufzubauen, was notwendig ist, damit das Volk als Volkorganismus leben kann. Es ist so selbstverständlich wie irgendetwas, daß wir nicht nur beim Volksaufbau, sondern auch bei dem staatlichen Aufbau immer daran denken müssen, daß zwischen den einzelnen Menschen ganz bestimmte organische Zusammenhänge bestehen, die nicht einfach und ungestraft zerstört werden dürfen. Diese biologischen Zusammenhänge müssen beachtet werden. Denn nur in diesen biologisch gegebenen Zusammenhängen kann etwas wachsen; das andere, was organisiert werden kann, darf nur insoweit organisiert werden, als es dieses Wachstum nicht stört. Im Staate sind die Gemeinden diese letzten kleinen organischen Zellen, die einen inneren Zusammenhang haben; im Volksaufbau ist es die Familie.
(Gercke 1934), S. 244 f.
Eine entsprechende NS-Rechtsgebung zu Gunsten der Kommunen und »deutschen« Familien lag durchaus im Bereich des Tätigkeitsfelds der AfDR. Das, was Gercke anschließend mitteilt, ist nach meiner derzeitigen Einschätzung vor allem vom Reichspropagandaminister, dem NS-Lehrerbund und den Dichtern des »Dritten Reichs« betrieben worden. Das Gedicht „Einem Kind zu einer Puppe“ (1938)[413] von Max Kommerell habe ich ja bereits in einer Endnote vorgestellt:
Damit aber dieses Wachstum garantiert ist, müssen wir die Forderung aufstellen, daß diese organischen Lebenseinheiten im Volk soviel Kraft bekommen, daß sie auch wirklich existieren können. Geschieht hier ein Fehler, dann würden wir den gesamten Volksaufbau zerstören können. Wir sprechen davon, daß dieses Volk an Zahl und Wert wachsen soll, und wir versuchen, diese und jene Maßnahme dafür in Gang zu setzen. Aber wir sind und doch alle darüber klar, daß es mit Anweisungen und auch mit noch so fein ausgearbeiteten Gesetzen allein nicht getan ist, wenn nicht daneben der Wille der einzelnen Menschen vorhanden ist, die gesetzlichen Bestimmungen auch innerlich aufzugreifen und zu erfüllen. Es kommt nach meiner Meinung weniger darauf an, daß wir über die verschiedenen Rassefragen unendlich viel Wissen verbreiten; es kommt mehr darauf an, daß wir den rassischen Willen der Bevölkerung stärken. Es kann sein, daß das Verbreiten mancher Theorie und manchen Wissensstoffes eher hinderlich ist, als daß es das fördert, was wir | S. 245 brauchen: daß die Bevölkerung von sich aus diesen Gedanken freudig aufgreift und in die Tat umsetzt. Das setzt also voraus, daß die kleinste biologische Kleinheit im Volk ihr vollkommenes Lebensrecht beanspruchen kann.
(Gercke 1934), S. 244 f.
Im nächsten Absatz wird Gercke konkreter: Die Standesämter seien das Mittel, durch das der »Geistesadel« »das deutsche Volk« überwachen könne und solle. Sie müssten nur zu »Sippenämter« weiterentwickelt werden. Wie ich eingangs dieses Unterabschnitts 7.10.3. vorgestellt habe, war Gehrke der erste »Sippenämtler« des akademischen Nationalsozialismus:
[7] Wenn wir im staatlichen Bereich über diese Entwicklung des Volkes wachen wollen, wird es notwendig sein, daß man die Familie in ihrer Entwicklung etwas genauer feststellt, daß man noch genauer beobachtet, wie sich diese biologischen Einheiten entwickeln. Dafür ist ein staatlicher Organisationsapparat bereits vorhanden, der in der Lage ist, dieses Grundbuch des deutschen Blutes, einmal darzustellen, und zwar ist es das große Werk, das Bismarck schuf: die Standesämter. Diese Rechtsverwaltung, die bis in die kleinsten Orte herunter sich erstreckt, besitzt eine so lange und reiche Erfahrung, daß es für sie keine große Schwierigkeit bedeutet, sich logisch fortzuentwickeln und die Register in eine Form zu erweitern, daß wir einen tieferen Einblick in den Volksaufbau und seine Entwicklung gewinnen können. Das würde erreicht, wenn wir das Standesamt zu einem Sippenamt entwickelten.
(Gercke 1934), S. 245
Im nächsten Satz fordert Gehrke von den Ärzten des »Dritten Reichs« die Tätigkeit, die Max Mikorey u.a. beim »Erbgesundheitsobergericht« München ausübte:
Daneben ist es selbstverständlich erforderlich, daß Ärzte die erbbiologisch wichtigen Feststellungen treffen, damit wir den Gesundheitszustand der Bevölkerung einigermaßen aufzeichnen können; denn wir wünschen nicht nur, daß die Zahl der Bevölkerung gesteigert wird, sondern daß sich die wertvollsten Kräfte des Volkes durchsetzen.
(Gercke 1934), S. 245
Deswegen war der NS-Ärztebund neben dem NS-Rechtswahrerbund, dem NS-Lehrerbund und der SS der vierte von vier Kampfbünden des akademischen Nationalsozialismus.[414]
Das ist vielleicht nicht ganz einfach. Man kann nicht schon heute übersehen, wie man all diese Beobachtungen anstellen muß. Es ist aber klar, daß beide Teile zusammenwirken müssen, hier das Gesundheitsamt und dort das Sippenamt, hier die Beratungsstelle und dort die Verwaltungsstelle, die alle Tatsachen aufzeichnet.
(Gercke 1934), S. 245
Ich gehe davon aus, dass diese »Amtshilfen« tatsächlich praktiziert worden sind, aber »dem Volk – als Unterschicht«[415] nicht öffentlich gemacht worden sind.
[8] Wenn wir so beginnen auf den Stand der Bevölkerung nicht vom Einzelnen aus zu schließen, sondern den Einzelnen in seine Sippe hineinzustellen und ihn aus der Sippe heraus zu beurteilen,
(Gercke 1934), S. 245
Später gab es dann tatsächlich Empfehlungen, schlechte Einzelleistungen eines Schülers nicht in die Gesamtbewertung zu übernehmen, wenn er aus guter Sippe stammte. Es sei die Sippenzugehörigkeit dann dominant zu bewerten.[416]
indem wir seine Gesundheit als Erbgesundheit auffassen und sie auch aus der Gesundheit der übrigen Glieder seiner Sippe schließen, dann kommen wir dazu, daß wir auch in der Bevölkerung dieses biologische Denken durchsetzen, das immer wieder heißt, daß der Lebenswert der biologischen Gemeinschaft größer ist als der des einzelnen Menschen.
(Gercke 1934), S. 245
Dass Gercke den Ausdruck „Bevölkerung“ und nicht „Volk“ benutzt, liegt auf derselben Länge wie der Name des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP „Neues Volk“: erst nach erfolgreicher »Höherzüchtung« durch – geistige und leibliche Betätigung – des »Geistesadels« wäre aus der bloß vorhandenen „Bevölkerung“ »das deutsche Volk« geworden. Vermutlich meinen heute einige Menschen, das sei gelungen. Die heute lebenden »akademischen Eliten« seien »das deutsche Volk« im Sinne von Baron von Uexküll.
Im nächsten Schritt nimmt Gercke zur Primatfrage in der Trias »Bewegung«, »Staat« und »Volk« Stellung. Er plädiert fürs »Bewegungsprimat«:
[10] Es ist eine große Aufgabe, diesen Gedanken einer Bevölkerungspolitik richtig anzusehen. Es bleibt der Partei übrig, aus diesem Ergebnis des Sippenzusammenhangs, der Abstammung und des Gesundheitswertes, die Schlußfolgerungen auf den rassischen Wert zu ziehen. Ich habe es nie für richtig gehalten, daß man hier und da die Forderung aufstellte, Rassenämter zu errichten oder gar ein Rassenministerium aufzumachen.
(Gercke 1934), S. 245
Soweit ich weiß, ist es tatsächlich auch nie zur Etablierung eines staatlichen »Rassenamts« gekommen. Sicher bin ich, dass es einen Reichsrassenministerium als solches nicht gegeben hat.
Ich glaube, daß das, was man in den Aktes eines Amtes festhält, nur Tatsachen sein können, etwa die Tatsache der Abstammung, die Tatsache des blutlichen Zusammenhangs, die Tatsache der Sippenverwandtschaft und die erbbiologisch beobachtbare Tatsache der Gesundheit und der Erbgesundheit. Nicht aber läßt sich daraus feststellen, was für einen rassischen Wert der Einzelne hat. Dieser Wert ergibt sich erst, wenn hierzu auch seine Haltung und die ganze Frage der Weltanschauung hinzukommt. Es wäre zu kurz gegriffen, wollten wir den Wert des Menschen danach beurteilen, wie er uns erscheint, ob er diese oder jene | S. 246 Haarfärbung oder Augenfärbung oder diese oder jene Kopf- und Körpermaße aufweist.
(Gercke 1934), S. 245 f.
Hier wird erkennbar, dass und wie der akademische Nationalsozialismus auch zur »Heilslehre« derjenigen »deutschen Männer« werden konnte, die nur durch ihre »Haltung« erkennen ließen, dass auch sie »wertvolle Züchter« des »neuen Volks« sein könnten:
Wir hoffen vielleicht von ihm, daß er das auch wirklich ist, was er vorzugeben scheint. Aber was ihn für uns biologisch wertvoll macht und was seinen rassischen Wert richtig präsentiert, ist, daß er auch den rassischen Willen in sich trägt, den rassischen Willen der Zukunft, nämlich den Willen, eine Familie, eine Lebensgemeinschaft zu gründen, mit seiner Frau wirklich zusammenzuleben, Kinder aufzuziehen, mit seiner Frau das Gute und das Schwere zu tragen, aber auch die Verantwortung für die kommende Generation zu übernehmen.[417]
(Gercke 1934), S. 246
Auch deswegen förderte der »Lebensborn«-Verein nicht nur die außer-eheliche Züchtung, sondern auch die halb-eheliche und die eheliche. Im nächsten Absatz wird besser erkennbar, dass die »geistige Erziehung« durch den NS-Lehrerbund an Bedeutung den »rassenpolitischen« Organisationen der »Partei des Lebens« in nichts nachstand.
Noch wichtiger ist im nächsten Absatz aber Gerckes Klarstellung, dass »die deutsche Rasse« zwar noch nicht existiert, aber existieren soll. Das Mittel, dieses Ziel zu erreichen sei »die nationalsozialistische Idee«. Der Ausgangspunkt: „das deutscheste des deutschen Blutes“. Eine »konkrete Ordnung«, in der das Ziel erreicht werden sollte, war die SS. Sie ermittelte die Träger des »deutschesten des deutschen Blutes« und bot ihnen in den SS-eigenen »Lebensborn«-Heimen angemessene Gelegenheiten sich an der Annäherung zum Ziel aktiv zu beteiligen. Diese »normativistische« Auffassung von »der deutschen Rasse« war problemlos mit dem Adelsrassismus – etwas eines Baron von Uexkülls oder eines Hans Freyers oder eines Erich Rothackers oder eines Alfred Rosenbergs – vereinbar, da ja zumindest primär die »Höherzüchtung der Menschheit« nur aus dem »deutschesten des deutschen Blutes« erfolgen sollte.
[11] Wir würden in eine Sackgasse geraten, wollten wir die Ergebnisse der Vererbungswissenschaft so auffassen, daß wir nun Alles als vererblich ansehen und dabei den Einfluß der Erziehung unterschätzen. Der Einfluß der Erziehung ist ungeheuer groß; denn wie könnten wir heute in Deutschland überhaupt ein rassisches Ziel anstreben und zu erreichen trachten, daß sich das deutscheste des deutschen Blutes durchsetzt und eine einheitlich geformte deutsche Rasse entsteht, – wie könnten wir das anders als dadurch, daß wir durch die nationalsozialistische Idee die Menschen aufrufen, die den stärksten rassischen Willen, die den stärksten Idealismus in sich tragen und bereit sind, die praktischen Forderungen daraus zu ziehen. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben des nationalsozialistischen Staates, die Menschen zusammenzuführen und ihnen diese Eigenschaften zu bringen, aber auch sie in dem biologischen Denken zu erziehen, daß nicht nur das Zeugen von Kindern schon von Bedeutung ist, sondern daß die Kinder, die da entstehen, dieses neue deutsche Volk in biologischen Einheiten aufwächst und von Natur aus ein biologisches Denken mitbringt. Heute besteht doch der Zustand, daß diejenigen, die verantwortungslos Kinder in die Welt setzen, obsiegen, weil sie jede Zahl von Kindern zeugen, die ihnen überhaupt nur die Verhältnisse gestatten. Diejenigen aber, die eine Verantwortung in sich spüren, haben sich darin zurückgehalten, haben immer ihre Familien klein gehalten; sie haben sich nach ihren Lohn- und Wohnverhältnissen und auch nach der Beanspruchung durch ihren Beruf richten müssen. Da ist es heute unsere Aufgabe, daß wir das Lebensrecht dieser biologischen Einheiten und besonders das Lebensrecht derer fördern, die mit Verantwortung denken und die jetzt aufgerufen werden, ihre Verantwortung nicht nur auf ihre eigenen Lebensverhältnisse zu beziehen, sondern auf das gesamte Volk. Das Lebensrecht der biologischen Einheiten steht an der Spitze eines biologischen und damit auch nationalsozialistischen Denkens, und um dieses Lebensrecht muß sich alles Andere mit herumgruppieren.
(Gercke 1934), S. 246
Familienförderung für an Leib und/oder Haltung »Deutsche«.
Wir sehen die große Aufgabe der Gegenwart, mit der deutschen Not irgendwie fertig zu werden. Aber wir müssen darüber hinaus die Aufgabe sehen, wie wir aus dieser Gegenwart in die Zukunft gelangen können.
[12] Die Frage der Rasse ist also nicht so gelagert, daß wir die Menschen durch tausend Bedenklichkeiten und Schwierigkeiten dazu führen wollen, daß sie eher noch in ihrem rassischen Willen gelähmt werden. Es darf nicht sein, daß wir durch Fragebogen und Feststellungen die Menschen noch ängstlicher machen, als sie schon sind. Sondern es kommt darauf an, daß wir ihren Mut stärken, an die Zukunft zu denken und mit ihrer Familie zu leben und durch- | S. 247 zukommen. Wenn wir uns nun im staatlichen Bereich Ämter aufziehen, wenn wir das ein Sippenamt und dort ein Gesundheitsamt schaffen wollen, dann dürfen diese Ämter nicht nur amtliche Feststellungen treffen und die Menschen in Form von Akten irgendwie festlegen, sondern haben Träger der Idee zu sein, daß die Ehe dessen, der auf dem Standesamt – morgen vielleicht auf dem künftigen Sippenamt – erscheint, eben keine Ehe im richtigen Sinne ist, da sie nicht zur Familie aufwächst. Ferner sollen sie Träger des Gedankens sein, daß der nationalsozialistische Staat die Menschen, die sich willensmäßig auf ihn eingestellt haben, die diesen rassischen Willen in sich tragen und ihn durchzusetzen versuchen, stützt und stärkt. Diese Ämter müssen das Vertrauen zur Staatsführung aussäen und in die Bevölkerung bringen, und ich glaube, daß das auf keinem Gebiet eine so unbedingte Forderung ist wie auf dem Gebiete der Bevölkerungspolitik und der Rassenfrage.
(Gercke 1934), S. 246 f.
Ich vermute, dass in Folge einer Zustimmung zu diesem Gedanken eines »Mutmachens« die Partei-Ämter großzügig mit der Vergabe des Arier-Nachweises umgingen.
[13] Wenn ich nun zum Schluß auf die eigentliche Aufgabe komme, weshalb ich vor der Akademie für Deutsches Recht diese Ausführungen machen durfte, so möchte ich Ihnen folgendes noch kurz sagen. Alle einzelnen Organisationen, der Staat oder eine seine[r] Unterorganisationen, alle Parteiorganisationen, alle Vereinigungen von Männern wissen sich zu wehren, wissen ihre Waffen zu schmieden und wie sie sich durchsetzen können. Die Familie aber hat keine Waffen, die Familie lebt nur unter sich, sie wird auch heute noch immer wieder von außen angegriffen, indem ihre einzelnen Mitglieder aus ihrer Mitte stärker herausgezogen werden, als es angängig und richtig ist. Diese Familie als der kleinsten, der Keimzelle des Volkes, muß das deutsche Recht einen Schild geben, mit dem sie alles das abwehren kann, was sie feindlich bestürmt. Die Aufgabe des deutschen Rechts ist es, das Lebensrecht der biologischen Einheiten im Volk zu garantieren, zu garantieren, daß die Familie leben kann, so daß von ihr aus ein gesunder Volksaufbau möglich ist.
(Gercke 1934), S. 247
Durch das qualifizierende Adjektiv „gesund“ deutet Gercke die „negative“ Bevölkerungspolitik der akademischen Nationalsozialisten an. Hans Frank war in seiner Eröffnungsrede des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 deutlicher geworden (vgl. meinen Unterabschnitt 4.3.3.).
Es ist die Aufgabe des deutschen Rechts, für die biologischen Einheiten, die da wachsen, aber sich nicht wehren können, die aber wachsen müssen, damit das Volk lebt, damit das ewige Deutschland sich nicht nur heute, sondern auch in aller Zukunft erfüllen kann, ein Schild zu sein.
Heil Hitler!●
(Gercke 1934), S. 247
Dieses Referat über Rasse von Achim Gercke verdient es, immer mal wieder gelesen zu werden. Es wurde am 26. Mai 1934 gehalten.[418] Am 3. Mai 1934 hatte der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Prof. Dr. C. A. Emge, die Gründung von neun Unterausschüsse des Ausschusses für Rechtsphilosophie anvisiert. Der sechste Unterausschuss sollte das „rechtsphilosophische Problem der Rasse und des Lebens“ lösen. Gerckes Vortrag vom 26. Mai 1934 war offensichtlich bereits eine Skizze für eine Lösung des rechtsphilosophischen Problems der Rasse und des Lebens.
Wie reagierten die Hörer von Gerckes Vortrag?
(Lebhafter Beifall.)
Reichsjustizkommissar Dr. Frank:
[1] Ich danke Ihnen, lieber Kamerad Gercke, für Ihre so außerordentlich tiefschürfenden und uns alle hoch interessierenden Ausführungen. Ich darf wohl für die Akademie versichern, daß wir in Ihren Ausführungen eine klare Direktive für die Entwicklung der Rassenfragen in Deutschland erblicken und daß wir es begrüßen, daß in diese Fragen Klarheit, gepaart mit Entschlossenheit, einzieht. Auch auf diesem Gebiet muß amtlich mit den verschiedenen Arten von Dilettantismus aufgeräumt werden, die sich hier breitgemacht haben.
Erstes JAfDR, S. 247
Die „Klarstellung“ war auch „parteiamtlich“: Gehrke war Leiter des Sippenamtes der NSDAP vor. Der Kerninhalt der „Klarstellung“ der NSADP war die Auskunft, dass »die deutsche Rasse« noch nicht existiere, aber ihr zur Existenz verholfen werden solle.
Da gemäß einer Zeitungsberichterstattung Rasse-Günter als Gast bei der Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 anwesend war, darf man vermuten, dass Rasse-Günters Beschreibung des Ist-Zustands von Hans Frank und seinem Umkreis grundsätzlich akzeptiert worden ist. Nach Rasse-Günter waren die damals lebenden Deutschen eine Mischung aus vier Rassen. Eine diese vier Rassen sei die »nordische Rasse«. Diese »Blutlinie« galt in der Wertphilosophie des akademischen Nationalsozialisten als besonders wertvoll. Je nachdem, welche Geschichtsphilosophie und welche »Rassengeschichte« man vertrat, konnte man als akademischer Nationalsozialist verschiedene Thesen vertreten. So konnte man die Meinung vertreten, das Erreichen des Zuchtziels namens »die deutsche Rasse« erfordere eine Wiederherstellungszüchtung oder eine Neuzüchtung. Durch Gehrkes Referat war das nicht entschieden worden. Gehrkes Referat war aber tatsächlich eine „klare Direktive“, in welchem Spektrum „die Rassenfragen in Deutschland“ weiterentwickelt werden sollten.
Ich darf versichern, daß wir der Arbeit des Reichsinnenministeriums und insbesondere auch Ihrer Arbeit, Kamerad Gercke, soweit es in unseren Kräften steht, unsere Hilfe jederzeit angedeihen lassen werden. Die deutschen Juristen sind der Überzeugung, daß sie dem Rassekern des deutschen Volkes zu dienen haben und daß sie andererseits ein Instrument des Aus- | S. 248 gleichs innerhalb der deutschen Volksgemeinschaft sein sollen. Wenn Sie von dem Vertrauen sprachen, von dem die Rassenlösung auszugehen hat, dann sind wir als deutsche Rechtswahrer wirklich berufen, Sie in diesem Ringen um das Vertrauen des deutschen Volkes von unserem Standpunkt aus mit allen Mitteln, über die wir verfügen, zu unterstützen. Ich bin aufs tiefste beglückt über Ihre Ausführungen und kann nur sagen, daß sie in der weiten deutschen Öffentlichkeit, vor allen Dingen in der geistigen deutschen Öffentlichkeit, einen außerordentlichen Widerhall finden werden.
Erstes JAfDR, S. 247
Der Präsident der AfDR sagte demnach ausdrücklich zu, dass die AfDR die Arbeit des Reichsinnenministeriums und die Arbeit des Sippenamts der NSDAP helfen werde. Als Führer der deutschen Juristen sprach Hans Frank sogar deren Überzeugung aus, dass diese dem Rassekern des – erst noch herzustellenden – deutschen Volkes zu dienen haben. Als Präsident der AfDR und als Vorsitzender des Ausschuss für Rechtsphilosophie war Hans Frank mit seinem akademischen Gefolge sicherlich einer der ersten Diener unter den zahlreichen Dienern am „Rassekern des deutschen Volkes“.
Es folgen direkt im Anschluss noch einige verstreute organisatorische Mitteilungen Hans Franks. Ich zitiere sie vollständig und in der gedruckten Reihenfolge:
[2] Meine Herren! Wir stehen damit am Schlusse unserer heutigen Arbeitstagung. Nunmehr werden sich noch einige Ausschüsse versammeln, in denen die Urkunden über die Zugehörigkeit zu diesen Ausschüssen verteilt werden. Ich danke Ihnen für Ihre Anwesenheit. Ich glaube, […]
Erstes JAfDR, S. 248
In meinem Abschnitt 3.4. habe ich über die Vorbereitungsarbeiten für diese Urkundenausstellung berichtet. Dort habe ich auch mitgeteilt, welche 18 Personen Urkunden erhalten sollten.[419]
[3] Am 26. Juni wird in München die Jahrestagung der Akademie für Deutsches Recht stattfinden. Wir werden uns in einer feierlichen Sitzung versammeln; der Führer selbst hat mir zugesagt, daß er anwesend sein und auch eine Rede halten wird. Ich würde mich sehr freuen, wenn von der Einladung der Akademie nach München recht zahlreich Gebrauch gemacht werden würde. Am 26. Juni wird auch – das ist Ihnen vielleicht schon mitgeteilt worden – der Staatssekretär Reinhardt im Rahmend er Akademie seine großen Ausführungen über die Neugestaltung des gesamten deutschen Steuer- und Finanzwesens machen.
[4] Der rechtsphilosophische Ausschuß, der unter meinem persönlichen Vorsitz steht, hat mittlerweile auch seine konstituierende Sitzung im Nietzsche-Archiv gehabt und beschäftigt sich zur Zeit mit der Ausarbeitung der Grundbegriffe. Wir haben zuerst die Begriffe des Rechtes im weitesten Sinne und der Deutschheit zu klären.
[5] […][6] Wir schließen diese Arbeitstagung mit einem dreifachen Heil. Unser ewiges deutsches Volk und sein Führer Adolf Hitler: Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!
[7] Die Arbeitstagung ist geschlossen.
[8] (Schluß der Sitzung 16 Uhr 40 Minuten.)
Erstes JAfDR, S. 248
Das erste Jahrbuch der AfDR und die Akte Emges stellen die Sachverhalte so dar, dass es nach dieser Arbeitstagung zur zweiten Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie kam. Das erste Jahrbuch stellte das rückblickend dar. Die Akte Emges vorausblickend. Die 18 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren gemäß der Akte Emges zur gesamten Arbeitstagung eingeladen worden. Sie werden insbesondere an Gehrkes Referat interessiert gewesen sein, da sie ja „zur Zeit“ bereits „mit der Ausarbeitung der Grundbegriffe“ beschäftigt waren. „Wir“ Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, „haben zuerst die Begriffe des Rechtes im weitesten Sinne und der Deutschheit zu klären.“ Gehrke hatte die „amtliche“ Vorgabe geliefert: „die deutsche Rasse“ solle erst hergestellt werden.
Auch Pichinot (1981) bezieht sich auf die Darstellung des Referates von Gehrke in der Darstellung durch das erste Jahrbuch der AfDR. Er verbirgt aber seine Bedeutung und äußert sehr starke Behauptungen ohne jeden Begründungsversuch:
Im Anschluß an die Arbeitsberichte der Ausschußvorsitzenden sprach „Der Sachverständige für Rassenforschung“ im Reichsinnenministerium, Dr. Achim Gercke, über das Thema „Rasse und Recht“.4) Frank versicherte ihm, daß die Akademie seiner Arbeit jederzeit Hilfe angedeihen lassen werde5). So weit kam es allerdings nicht. Die Gründung eines entsprechenden Ausschusses unterblieb. Die „Arbeitstagung“ war zwar teilweise zur „Kundgebung“ geraten, sie hatte jedoch gezeigt, daß die Akademie mit der Arbeit begonnen hatte. Um diese Arbeit fortzusetzen, blieb jedoch wenig Zeit, denn Frank kündigte zum Schluß der Tagung eine neue „feierliche Sitzung“ der Akademie an6).
4) Jb. d. AkDR a.a.O., S. 242 ff.
5 ) Jb. d. AkDR a.a.O., S. 247
6 ) Jb. d. AkDR a.a.O., S. 248
(Pichinot 1981), S. 34
Das erste Jahrbuch der AfDR beendete seine Berichterstattung über Sitzungen und Tagungen der AfDR mit der Berichterstattung über die Arbeitstagung vom 26. Mai 1934. Auf seinen letzten Seiten wurden die erste Satzung der AfDR (S. 249 ff.) und das Verzeichnis der Mitglieder der AfDR (S. 252 ff.) abgedruckt. Das Verzeichnis findet sich im Quellenbereich (Quellenverzeichnis / Quelle 1).
7.11. Ergebnissicherung
1. Das erste Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht erweckt bei seinen Lesern den Eindruck, dass es nach dem 26. Juni 1934 fertig gestellt worden sei. Das Grußwort des Reichspräsidenten Hindenburgs ist auf den „Juni 1934“ datiert. Im Grußwort wird die Indexikalie „heute“ verwendet. Der so fixierten Zeitpunkt wird zusätzlich charakterisiert: Es sei der Jahrestag der Gründung der AfDR. In anderen Texten des ersten Jahrbuchs der AfDR wird der 26. Juni 1933 als Gründungstag der AfDR angegeben. Es ist aber auch möglich, dass die AfDR erst im September 1933 gegründet worden ist. Sicher ist, dass das erste Jahrbuch der AfDR nicht vor dem 26. Mai 1934 fertiggestellt worden sein kann, da in ihm über diese Arbeitstagung der AfDR berichtet wird.
2. Das erste Jahrbuch der AfDR erweckt den Eindruck, dass es über alle Sitzungen und Tagungen der AfDR vom 26. Juni 1933 bis zum 26. Mai 1934 einschließlich berichte. An seinem Ende sind die erste Satzung der AfDR und eine Liste der Mitglieder der AfDR abgedruckt.
3. Die AfDR sei am 26. Juni 1933 im Bayerischen Justizministerium durch dessen Minister Hans Frank in Anwesenheit folgender Personen gegründet worden:
Generaldirektor Kommerzienrat Arendts,
Bankier August von Finck,
Reichsgeschäftsführer des Bundes nationalsozialistischer Deutscher Juristen, Dr. Wilhelm Heuber,
Geheimrat Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Kisch,
Geheimrat Kißkalt, Generaldirektor der Münchner Rückversicherungsgesellschaft,
Dr. Lasch
Geheimrat Professor Dr. von Zwiedineck-Südenhorst.
(Die Gründung am 26. Juni 1933 [der AfDR] 1934), S. 7
4. Am 2. Oktober 1933 wurde die AfDR durch Proklamationsakt Hans Franks in der Aula der Leipziger Universität eröffnet. Hans Frank schloss seine Proklamationsrede mit der Auskunft, dass die AfDR eine Wahrerin der »deutschen Rassenseele« sei, die ein „ewiger Gott“ erschaffen habe.
5. Am 5. November 1933 fand die erste „Vollsitzung“ der AfDR statt. Wichtige »weltanschauliche« Beiträge lieferten Viktor Bruns, Carl Schmitt. Wilhelm Kisch informierte konkreter über die Organisationsform der AfDR.
6. Am 6. Dezember 1933 fand eine Sitzung der Ausschussvorsitzenden der AfDR statt. Philosophisches wird durch Walter Luetgebrune eingebracht. Ich zitiere erneut:
Justizrat Dr. Luetgebrune:
Diese Tagung hat sich mit den Grundsätzen der Arbeit befassen müssen. Ich möchte nochmal betonen, daß die Akademie nicht in Konkurrenz treten soll zur Arbeit des Reichsjustizministeriums und daß an die Spitze des Programms der Akademie ausdrücklich gestellt worden ist, daß, wenn ein Ausschuß Daseinsberechtigung haben wollen, er dann die metaphysische Untermauerung der Rechtserneuerung vorzunehmen habe.●
Erstes JAfDR, S. 70
7. Am Abend des 29. Januars 1934 teilte der stellvertretende Präsident der AfDR mit, dass ein Ausschuss für Rechtsphilosophie unter dem Vorsitz von Hans Frank in der AfDR gebildet werde. Auch das zitiere ich erneut:
Zum Schluß habe ich noch einige geschäftliche Mitteilungen zu machen. In der Akademie wird ein Ausschuss für Rechtsphilosophie gebildet werden, dessen Hauptaufgabe sein wird, die Philosophie des Nationalsozialismus, soweit sie noch nicht vorhanden sein sollte, zu schaffen. Welchen Wert der Präsident unserer Akademie diesem Ausschuß beilegt, mögen Sie daraus ersehen, daß er persönlich den Vorsitz des Ausschusses übernehmen wird.
Erstes JAfDR, S. 135
Zuvor hatten die Teilnehmer der 2. Vollsitzung der AfDR einen Vortrag von „Fräulein Prof. Meriggi“ gehört, in dem sie den Faschismus als neue Philosophie der Welt vorgestellt hatte. Die Leser des ersten JAfDR haben vermutlich gemeint, dass diesem italienischen Weltherrschaftsanspruch durch die Bildung des Ausschusses für Rechtsphilosophie entgegengewirkt werden sollte.
Falls die Darstellung über die Bekanntgabe der Bildung des Ausschusses für Rechtsphilosophie im ersten Jahrbuch der AfDR nicht den Tatsachen entsprechen sollte, dann ist trotzdem die Entscheidung zu dieser Falschdarstellung bereits vor dem 11. April 1934 erfolgt:
An neuen Ausschüssen sind in Aussicht genommen: Einer für Rechtsphilosophie unter der Leitung des Reichsjustizkommissars und Präsidenten Dr. FRANK, weiter für Versorgungsrecht, Verkehrsrecht, Luftrecht und Rechtsgeschichte.
Zeitschrift „Deutsches Recht“ Heft 7 vom 11. April 1934, S. 167
8. In einem Bericht, den Wilhelm Kisch am 17. März 1934 über die bisherige Arbeit der AfDR gab, präsentierte er beiläufig seine »Liebe zum deutschen Volk«, die man so deuten kann, dass er mit Blick auf die Trias von »Bewegung«, »Staat« und »Volk« fürs »Volksprimat« plädierte. Er »liebte« »das Volk« aber nur dann, wenn es fromm und autoritätshörig ist.
9. Auf einem Empfang für die Presse durch die AfDR am 5. Mai 1934 teilte das Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Walter Luetgebrune mit, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie die strategische Abteilung für alle Operationen und Betätigungen der wissenschaftlichen juristischen Vereinigungen und Gesellschaften nach deren Minimierung („Unsumme“) und Gleichschaltung („einheitlicher Führergedanke“, „unter der Führung des Präsidenten“) sein sollte.
10. In einem Exkurs habe ich für einen Einzelfall gezeigt, dass die Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Hans Frank und Carl Schmitt, die renommierte „Deutsche Juristen-Zeitung“ Ende 1936 so aufgelöst haben, dass sie sich desselben Vokabulars bedienten, dessen sich Luetgebrune am 5. Mai bedient hatte.
11. Auf demselben Presseempfang der AfDR vom 5. Mai 1934 hielt Luetgebrune einen kurzen Vortrag, in dem er eine Überwindung der voraussetzungslosen Wissenschaft der Neuzeit durch eine voraussetzungsbedingte Rechtswissenschaft forderte. Erste Voraussetzung der Wissenschaft vom »Dritten Recht« sei der Wertbegriff der »deutschen Rasse«.
12. Auf der Arbeitstagung der AfDR vom 26. Mai 1934 hielt Achim Gercke als Sachverständiger für Rassenfragen des Reichsinnenministeriums einen Vortrag, in dem er skizzierte, wie das „rechtsphilosophische Problem der Rasse und des Lebens“ zu lösen sei. Professor Carl August Emge hatte auf seinem Vortrag zur Eröffnung des Ausschusses für Rechtsphilosophie diese Problemstellung als Aufgabe für den sechsten Unterausschuss des Ausschusses für Rechtsphilosophie bestimmt. Neben Maßnahmen zur »positiven Bevölkerungspolitik« (»Höherzüchtung«) und »negativen Bevölkerungspolitik« (»Vernichtung lebensunwerten Lebens«) skizierte Gehrke auch ein umfassendes Erziehungsprogramm. Im Anschluss an Gerckes Vortrag teilte Hans Frank den Versammelten AfDR-lern mit, dass die AfDR in den „Ausführungen“ Gehrkes „eine klare Direktive für die Entwicklung der Rassenfragen in Deutschland“ habe. Die 18 Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren von Emge zur Arbeitstagung am 26. Mai 1934, auf der Gehrke sein Referat hielt, eingeladen worden (siehe meinen Abschnitt 3.4.).
13. Direkt im Anschluss an Gercke Referat und Hans Franks Kommentar zu Gerckes Referat begann die zweite Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gegen 17 Uhr am 26. Mai 1934 in Berlin. Die Ausschussmitglieder erhielten ihre Zugehörigkeitsurkunden.
14. Auf derselben Arbeitstagung der AfDR vom 26. Mai 1934 berichtete auch Viktor Bruns über seinen Ausschuss für Völkerrecht vor Gerckes Referat. Er präsentierte dabei den Kerngedanken der Großraumlehre Carl Schmitts, die dieser – nach seiner angeblichen Entmachtung im Dezember 1936 – öffentlich entfaltete. Der Kerngedanke ist, dass nicht jedes Staatsindividuum auch eine völkerrechtliche Subjektivität haben müsse. Kleine und mittlere Staaten sollten diese nicht haben. Große Staaten schon.
15. Auf derselben Arbeitstagung der AfDR vom 26. Mai 1934 berichtete auch Carl Schmitt über seinen Ausschuss für Staats- und Verwaltungsrecht. Es sei nicht richtig, dass die Weimarer Verfassung noch gelte.
Sie gilt nicht mehr als Verfassung, und zwar in keinem Atom ihrer Verfassungsexistenz. […] Schon die Tatsache, daß wir heute durch Regierungsbeschluß echte Verfassungsgesetze erlassen können, zeigt Ihnen den wesentlichen Unterschied
(Schmitt, Bericht über den Ausschuss für Staatssrecht am 26.5.; 1934), S. 208
Zusätzlich machte Schmitt seine Verachtung gegenüber der Verwaltungsgerichtsbarkeit der Weimarer Republik sehr deutlich. Eine „besondere Todeserklärung“ des Staatsgerichtshofs in Leipzig brauche es nicht, durch die Gleichschaltung der Länder, die offiziell ja Hans Frank erfolgreich betrieben hatte, sei er „gegenstandlos“ geworden.
8. Gab es Berichterstattungen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie jenseits der Berichterstattung über seine Konstituierung? Nein!
Emge hat 1960 behauptet, es habe nur die eine Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gegeben. Ein Streit zwischen Alfred Rosenberg und Baron von Uexküll am Abend des 3. Mai 1934 im Hotel habe dem Ausschuss für Rechtsphilosophie den Todesstoß versetzt.
In meinem Abschnitt 4 konnte ich anhand der Akte Emges mit der Signatur GSA 72/1588 nachwiesen, dass Emge noch dem angeblichen Todesstoß vom Abend des 3. Mai 1934 bis in den Juni 1934 zwei weitere Sitzungen des Ausschusses für Rechtsphilosophie geplant hatte. Noch Mitte Juni versucht er ferner, neue Mitglieder für die Ausschuss zu gewinnen: Reichswehrminister von Blomberg und Rudolf Buttmann.
In Abschnitt 5.2. habe ich zitiert, dass Emge im „Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung“ behauptet hat, dass Reichswehrminister von Blomberg tatsächlich Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie geworden. Diese Nennung ist so verfasst, dass zumindest der Eindruck entsteht, dass die Mitgliederliste vor dem 26. Juni 1934 verfasst worden ist.
In Unterabschnitt 6.2.6. konnte ich eine weitere Erwähnung des Ausschusses für Rechtsphilosophie durch Emge zitieren. Sie ist aber so unbestimmt, dass sie auch dann wahr wäre, wenn es nur zur ersten Sitzung am 3. Mai 1934 gekommen wäre.
In Abschnitt 7.10. konnte ich zeigen, dass auch anhand eines im Sommer 1934 veröffentlichten Textes, Emges Behauptung von 1960 wiederlegt werden konnte. Nach der Darstellung im ersten Jahrbuch der AfDR bezog sich Hans Frank am 26. Mai 1934 nach einer Arbeitstagung der AfDR so auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie, dass er noch nach der ersten Sitzung existierte, „derzeit“ auch arbeite und im Anschluss an die Arbeitstagung auch zusammenkommen werde.
Emge ist demnach 1960 ein Risiko eingegangen, als er behauptete, dem Ausschuss für Rechtsphilosophie sei am Abend des 3. Mai 1934 von Alfred Rosenberg der Todesstoß versetzt worden.
Da ich keine weitere veröffentlichte Information gefunden habe, die Emge als Lügner ausgewiesen hätte, war sein Risiko aber gering.
Die beste Erklärung für diese Datenlage ist die Annahme, dass irgendwann bald nach Veröffentlichung des ersten Jahrbuchs der AfDR beschlossen worden ist, nicht wieder über den Ausschuss für Rechtsphilosophie öffentlich zu berichten. Deswegen habe ich mir Mühe mit skeptischen Attacken bezüglich des ersten Jahrbuchs der AfDR gemacht. Mein Ergebnis lautet: Es wurde der Anschein erweckt, dass es zum ersten Jahrestag der AfDR am 26. Juni 1934 verteilt werden sollte. Das muss aber nicht gelungen sein. Für einen deutlich späteren Zeitpunkt für den Vertrieb gibt aber keinen Anhaltspunkt.
Im Folgenden gebe ich einen Überblick über die Zeitschriften, die ich nach Berichterstattungen über Tätigkeiten des Ausschusses für Rechtsphilosophie zeitaufwändig durchsucht habe.
Ich habe nur genau eine Bezugnahme auf eine Tätigkeit des Ausschusses für Rechtsphilosophie gefunden. Die Bezugnahme stammt von Emge. Er vollzieht sie im Rahmen seines Nachrufs auf Rudolf Stammler, der 1938 gestorben ist. Emge gestaltet seine Bezugnahme aber so, dass er sich nur auf die konstituierende Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 in Weimar bezieht. Er behauptet dabei, dass Rudolf Stammler als Gast anwesend gewesen sei.
Anhand eines Drittels der Akte Emges konnte ich aber mehrfach nachwiesen, dass Stammler nicht als Gast anwesend war, sondern zu den 18 Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehört hat. Auch ist Stammler von Emge zur zweiten Sitzung am 26. Mai 1934 eingeladen worden.[420]
Ferner möchte ich hier daran erinnern, dass Anderson (1982/87) anhand seiner Auswertung der Akten der AfDR zu dem Ergebnis gekommen ist, der Ausschuss für Rechtsphilosophie habe von 1934 bis 1938 auf jeden Fall existiert. Und sei erst 1943 aufgelöst worden:
Appendix B.
Committees of the Academy for German Law
[…] Dates indicate the formal beginning and closing dates of the committee’s existences bracketed dates indicate the de facto cessation of committee activity when known. The letter (d) designates that the committee was dissolved in the year noted; the letter (s) means that it was only suspended and not officially abolished.
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 573
Committee Chairman Dates […] Rechtsphilosophie Hans Frank 1934-[1938] 1943 [d]
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 578
8.1. Das Zentralorgan des BNSDJ „Deutsches Recht“
Ich habe diese Zeitschrift bereits in Unterabschnitt 4.7.1. kurz vorgestellt und ihre Berichterstattung über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie aus dem Mai 1934 ausgewertet. Über den Jahrgang 1934 hinaus, habe ich auch die Jahrgänge 1931 bis 1933 einschließlich, die Jahrgänge 1935 bis 1938 einschließlich und die Jahrgänge 1943 bis 1945 einschließlich durchgesehen. In keinem dieser Jahrgänge ist mir eine Bezugnahme auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie als solchen aufgefallen. Die Jahrgänge 1939 bis einschließlich 1942 habe ich noch nicht gesichtet.
8.1.1. Das Narrativ des Jahres 1938 vom Verschwinden des Ausschusses für Rechtsphilosophie: Der Nationalsozialismus hat die Rechtsphilosophien von Rudolf Stammler und Julius Binder überwunden. Es gibt nun eine Arbeitsgemeinschaft für „Rechts- und Sozialphilosophie“ im NS-Rechtswahrerbund
Rudolf Stammler ist im Alter von 82 Jahren am 25. April 1938 in Wernigerode gestorben. Am 15. Juli 1938 erschien im Zentralorgan Deutsches Recht[421] ein Nachruf von Karl Larenz auf Rudolfs Stammlers Rechtsphilosophie.[422]
Hauptaussage von Larenz ist es, dass Stammlers Rechtsphilosophie vom Nationalsozialismus überwunden worden sei. Dasselbe gelte auch für die Rechtsphilosophie von Julius Binder. Genauer: Binder habe Stammler überwunden. Und er, Larenz, habe Binder überwunden.
Binder war ebenfalls eines der 18 Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Die Bekanntgabe seines Überwundenwordenseins durch Larenz hat Julius Binder für mehrere Monate überlebt. Er starb im Alter von 69 Jahren am 28. August 1939 in Starnberg. Wenige Tage vor der völkerrechtswidrigen Überfall des Dritten Reichs der Deutsche auf Polen.
Im Nachruf erwähnt Larenz die Mitgliedschaften Stammlers und Binders im Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR nicht. Auch deswegen beschränke ich mich hier in Teil I auf eine kurze Wiedergabe der Hauptthesen.
1. Stammler wird als Neu-Kantianer präsentiert, der sich gegen das Naturrecht und gegen die Volksgeist-Mystik der historischen Rechtsschule Savignys gewandt habe. Er habe beansprucht, rein formal zu bleiben. Das sei aber widersprüchlich gewesen. Seine materielle Anreicherung der Rechtsidee sei methodisch inkonsequent und inhaltlich inakzeptabel, da nicht jeder Mensch immer auch als Zweck an sich zu behandeln sei.
2. Binder habe die Methode seiner Rechtsphilosophie richtigerweise vom Formalismus Kants befreit. Binder habe aber die Rechtsidee inhaltlich falsch bestimmt. Insbesondere habe er die Pluralität von volksgebundenen Rechtsideen nicht in eine korrekte, geschichtsphilosophische Hierarchie gebracht.
3. An deren Spitze, so Larenz selbst, stünde selbstverständlich die »Rechtsidee der Gemeinschaft des germanischen Geistes«. Diese sei anderen Rechtsideen anderer Völker nicht gleich-, sondern übergeordnet. Ja, die ganze Geschichte vollende sich in ihr. Das habe Binder verkannt:
Julius Binder hat alsbald wieder die Idee in ihrem ursprünglichen Sinne als ein schöpferisches, gestaltendes Prinzip erkannt und ihren Inhalt in dem Gedanken der Gemeinschaft als einer Lebensganzheit, als konkret-dialektischer Einheit des Einzelnen und des Ganzen gefunden. Er hat allerdings dabei geglaubt, der von Stammler erhobene Anspruch auf Allgemeingültigkeit im Sinne gleicher Geltung für jedes mögliche positive Recht überhaupt aufrechterhalten zu können. Dies ist aber nicht möglich, da jedes geschichtlich epochemachende, rechtsschöpferische Volk die Idee des Rechtes seiner Eigenart gemäß neu sieht und bestimmt. So sehen wir in der Idee der Gemeinschaft die Rechtsidee gerade des germanischen Geistes, die durch uns neu gestaltet werden soll. Freilich stellt sich uns diese Idee gegenüber der Rechtsidee anderer Völker und Epochen als die wirklichkeitsnähere, reichere, als die geschichtsphilosophisch „höchste“, als die vollendete Rechtsidee dar. Die Aufgabe der Rechtsphilosophie ist es, das zu erweisen und den Sinngehalt der völkischen deutschen Rechtsidee nach allen Richtungen hin zu entfalten. Müssen wir so die Aufgabe der Rechtsphilosophie heute auch grundsätzlich anders sehen, als sie von Stammler und noch von Binder gesehen wurde29), so halten wir doch an dem Gedanken der Idee als eines ganzheitlichen Prinzips fest. […]
29) Vgl. dazu meinen Aufsatz über die Aufgabe der Rechtsphilosophie i. Zeitschr. f. deutsche Kulturphilosophie, Bd. IV, 3 (Juni 1938), S. 209 ff.
(Larenz, Das rechtsphilosophische Lebenswerk Rudolf Stammlers 1938), S. 268
Ich werde auf diese Rezension von Larenz in Teil III ausführlich eingehen, da bereits Carl Schmitt 1916 das Verhältnis von Rudolf Stammler und Julius Binder genau so bestimmt hatte wie Karl Larenz 1938.[423]
Da für ältere Geburtsjahrgänge vor 1900 Rudolf Stammler und Julius Binder sicherlich die bekanntesten Rechtsphilosophen aus dem Kreis der Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind, werden Leser dieser Jahrgänge vermutlich angenommen haben, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie durch eine jüngere Generation von NS-Rechtsphilosophen wie Karl Larenz nicht nur irgendwie „überwunden“, sondern auch gleich abgeschafft worden ist. Seit Jahren las man ja nichts mehr über den Ausschuss für Philosophie. Nur gelegentlich wurde auf Rechtsphilosophische von den bekannten Ausschussmitgliedern Bezug genommen.
Diese Auslegungstendenz von älteren Lesern des Zentralorgans Deutsches Recht wurde am Ende des Jahres 1938 zusätzlich gemährt: In der regelmäßigen Rubrik „Hochschullehrer“ des Zentralorgans des NS-RB wurde nämlich über eine Neugründung einer Arbeitsgruppe „Rechts- und Sozialphilosophie“ berichtet. Ich zitiere:
Hochschullehrer
[1] Die Reichsgruppe Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Hochschullehrer ist die jüngste Reichsgruppe der NSRB. Sie wurde im Herbst 1938 gegründet, als die deutschen rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer zum ersten als geschlossene Gruppe in den Rechtswahrerbund eintraten.
(Die Arbeit der Reichsgruppen des NS-RB 1938), S. 475
Ein weiterer Erfolg auf dem Weg der Gleichschaltung, von der Luetgebrune am 5. Mai 1934 behauptet hat, sie sei die strategische Aufgabe des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
Diese Tatsache bedeutet eine entscheidende Wendung in der Entwicklungsgeschichte des rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrers. Wenn auch schon in den vergangenen Jahren stets enge wechselseitige Beziehungen zwischen dem Hochschullehrer und den übrigen Rechtswahrern, insbesondere dem Richter, bestanden, so sah der Rechtslehrer bis dahin das Schwergewicht seiner Aufgabe in seiner Stellung als „freier“ Professor. Durch die Einordnung in den Rechtswahrerstand ist dem rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer nunmehr erst die Möglichkeit geschaffen worden, gemeinschaftlich mit den übrigen Berufen des Rechtswahrerstandes seine besonderen Aufgaben der Forschung und Lehre zu erfüllen. Die Rechtswissenschaft ist nicht, wie vielleicht Vertreter einer überwundenen Epoche geglaubt haben, eine abstrakte Geisteswissenschaft, sondern sie ist die aus Vergangenheit und Gegenwart geformte Lehre der unsterblichen Rechtsidee des deutschen Volkes. Sie kann daher auch nur aus dem gesamten Rechtsleben und in ständiger Verbindung mit diesem erfaßt und gelehrt werden. Der deutsche rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer ist heute, wie es der Reichsrechtsführer [Hans Frank; mw] einmal ausgesprochen hat, zum Vorkämpfer der nationalsozialistischen Rechtsidee geworden. Hierin liegt die zweite, durch keine organisatorischen Eingliederung in den Rechtswahrerstand auch äußerlich dokumentierte entscheidende Wendung seiner Aufgabenstellung: Er ist ein politischer Wissenschaftler. Jede echte Geisteswissenschaft ist notwendig eine politische Wissenschaft. So ist auch die Rechts- und Wirtschaftswissenschaft gebunden an die Grundlagen und Forderungen der Volksgemeinschaft.
(Die Arbeit der Reichsgruppen des NS-RB 1938), S. 475
Anscheinend ist es grob im Zeitraum einer Olympiade gelungen, die Gruppe derjenigen Hochschullehrer gleichzuschalten, die aufgrund ihrer Profession vermutlich am geschicktesten (Rechtswissenschaften) und am mächtigsten (Wirtschaftswissenschaften) waren, sich einer Gleichschaltung zu widersetzen.
Im Zuge der Übernahme dieser Gruppe von Hochschullehrern durch den NS-RB wurden nun im NS-RB Gegenstücke zu einigen Ausschüssen der AfDR gegründet:
[5] Hatte die Reichsgruppe sich in den ersten Jahren vorwiegend allgemeinen rechtspolitischen Problemen zuwenden müssen, so sieht sie es nunmehr als ihre Aufgabe an, vor allem den fachlichen Bestrebungen Rechnung zu tragen. Zu diesem Zwecke sind durch den Reichsgruppenwalter [Ritterbusch; mw] eine Reihe von Arbeitsgemeinschaften gebildet worden, und zwar für Rechtsgeschichte, ständisches Recht, Rechtsverkehr und Rechtsstreit, Strafrecht, Verfassung und Verwaltung, Völkerrecht, Rechts- und Sozialphilosophie. Durch diese Arbeitsgemeinschaften ist den rechtswissenschaftlichen Hochschullehrern die Möglichkeit gegeben worden, innerhalb ihres Fachgebietes ein wissenschaftliches Gespräch zu führen und in kameradschaftlicher Gemeinschaft an der Gestaltung der neuen Rechtswissenschaft zu arbeiten. Ein wesentlicher Zweck dieser Arbeitsgemeinschaften liegt auch darin, den Nachwuchs heranzuziehen und ihm Gelegenheit zur Erprobung und Bewährung zu geben. Auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften […][6] Im Sinne ihrer politisch-wissenschaftlichen Aufgabe hat die Reichsgruppe auch zu verschiedenen allgemein-politischen Fragen Stellung genommen. Sie hat sich in erster Linie in die vorderste Front des Kampfes gegen das Judentum in der Rechtswissenschaft gestellt. Jahrzehntelang konnte das Judentum ungehindert in die deutsche Rechtswissenschaft eindringen. Diesen Einfluß aufzudecken, ist besonders schwierig, da man es hier mit einem ungeheuren Netz von Tarnungen zu tun hat, die sich auch heute noch in der gefährlichsten Weise auswirken. Auf einer großen Tagung im Oktober 1936
– die Carl Schmitt organisiert hatte–
nahm die Reichsgruppe es in Angriff, auf den verschiedenen Fachgebieten der Rechtswissenschaft den Einfluß des Judentums aufzuzeigen. Die Teilnehmer der Tagung
– als Redner neben Carl Schmitt Hans Frank, Hermann Schroer (1900-???) und Falk Ruttke –
legten zum Schluß ein feierliches Gelöbnis ab, das ein besonderes Zeugnis der ständischen Geschlossenheit und der kämpferischen Einsatzbereitschaft der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer ist. Die Vorträge und Ergebnisse dieser Tagung wurden in einer besonderen Schriftenreihe „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ der Oeffentlichkeit vorgelegt.[424]
(Die Arbeit der Reichsgruppen des NS-RB 1938), S. 475
Der nächste Absatz und der Anfang des übernächsten Absatzes bieten weitere interessante Informationen, bevor dann der Text mit Absatz 11 endet:
[9] Auf einer weiteren Tagung im Juni 1938 behandelte die Reichsgruppe den Fragenbereich, der sich hinter dem Schlagwort „Demokratie und Diktatur“ verbirgt, mit dem heute eine gefährliche Propaganda gegen das nationalsozialistische Deutschland betrieben wird. Nach verschiedenen Referaten legte die Reichsgruppe im Namen der deutschen Rechtswissenschaft in feierlicher Form Verwahrung ein gegen die von Politikern und Wissenschaftlern der sogenannten großen Demokratien propagierte Zerreißung Europas und der Welt in „Demokratien“ und „Diktaturen“ und stellte demgegenüber fest, daß die deutsche Führerverfassung keine Diktatur, sondern die geschichtliche und politische Selbstgestaltung des deutschen Volkes ist. │ S. 476
[10] Eine Hauptaufgabe hat die Reichsgruppe von jeher darin gesehen, gerade im Sinne eine Einordnung in den deutschen Rechtswahrerstand den Gedanken der akademischen Wissenschaft und des Hochschullehrers als ihres berufenen Vertreters auf das nachdrücklichste zu vertreten und zu verstärken. Gegenüber gelegentlichen Versuchen, die Bedeutung der Universität zugunsten einer reinen Fachschule herabzumindern, ist es Aufgabe der nationalsozialistischen rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer, den Gedanken einer echten Wissenschaft als einer geistigen Gesamthaltung zu vertreten. […]
(Die Arbeit der Reichsgruppen des NS-RB 1938), S. 475
Nicht selten wurde in den letzten Jahrzehnten behauptet, das Verhältnis des Nationalsozialismus zur akademischen Wissenschaft und den Hochschullehrern sei genau umgekehrt verfasst gewesen als hier in Absatz 10 dargestellt. Aber das nur am Rande.
Zeitgenössische Leser des Zentralorgans Deutsches Recht, die noch diejenigen Berichterstattungen aus dem Jahr 1934 über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie in Erinnerung hatten, in denen die Namen der Ausschussmitglieder genannt worden sind, könnten angenommen haben, dass 1938 dieser Ausschuss der AfDR wegen Misserfolgs aufgrund einer mangelnden Flexibilität seiner prominenten Rechtsphilosophen Stammler und Binder irgendwie aufgelöst worden ist und stattdessen eine „Arbeitsgemeinschaft“ im NS-RB gebildet worden ist.
Zeitgenössische Leser, die das damals annahmen, wurden in dieser Annahme im Jahr 1939 weiter bestärkt. Zu »Führers Geburtstag«, dem 50., erschien nämlich eine Festschrift mit dem Titel „Deutsche Wissenschaft – Arbeit und Aufgabe zu Hitlers 50. Geburtstag“. Jede Wissenschaft stellte sich kurz vor. Mit einer Ausnahme. Die Philosophie wurde durch zwei Vertreter vorgestellt. Aber nicht durch ein Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR. Sondern durch Ernst Krieck und Alfred Baeumler. Krieck griff in seiner Festgabe die universitäre Philosophie als nicht-nationalsozialistisches Epigonentum Kants, Fichtes, Hegels und Nietzsches an. Manche Bemerkungen Kriecks könnten sogar als Bezugnahmen auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie gedeutet werden.
Dass Krieck Kenntnis vom Ausschuss für Rechtsphilosophie und seiner Zusammensetzung hatte, hat bereits Viktor Farías (1987/89) bewiesen. Die kurzen Texte von Krieck und Baeumler werden ich in Teil III ausführlicher vorstellen.[425]
Soweit die auffällige Häufung von Informationen über Rechtsphilosophie im »Standesorgan« BNSDJ bzw. des NS-RB Deutsches Recht im Jahr 1938. Auch Anderson (1982/87) hat ja anhand der Akten der AfDR berichtet, dass 1938 irgendetwas mit dem Ausschuss für Rechtsphilosophie geschehen sei, das an seiner „Existenz“ nagte. Findet sich auch etwas bezüglich des Jahres 1943? In diesem Jahr sei der Ausschuss für Rechtsphilosophie laut Anderson (1982/87) ja „dissolved“ worden.
8.1.2. Der Jahrgang 1943: Hedemann feiert „Zehn Jahre Akademie für Deutsches Recht“
Die AfDR ist laut dem ersten Jahrbuch der AfDR am 26. Juni 1933 von Hans Frank in Anwesenheit von wenigen Männern gegründet worden. Zum 10-jährigen Jubiläum der AfDR erschien im Sommer 1943 ein Rückblick mit dem Titel „Zehn Jahre Akademie für Deutsches Recht“. Sein Verfasser war Julius Wilhelm Hedemann.[426] Seit 1936 war Hedemann Professor für Bürgerliches an der Universität Berlin.[427] Er war damit Kollege von Ernst Heymann, Viktor Bruns, Carl Schmitt und C. A. Emge. 1934 hatte Emge Hedemann zur konstituierenden Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie eingeladen (siehe meinen Abschnitt 3.9.).
Ich stelle Hedemanns Rückblich in längeren Auszügen vor. Mit der Kommentierung halte ich mich aber noch zurück, da ich den Text noch einmal in Teil IV präsentieren werde, da dann viele Bezugnahmen Hedemanns meinen Lesern klarer geworden sein werden. Klar sollte man sich machen, dass der Text Hedemanns nach der Niederlage in Stalingrad verfasst worden ist.
Zehn Jahre Akademie für Deutsches Recht
Von Dr. Justus Wilhelm Hedemann, Professor an der Universität Berlin
I.
[1] Für rauschende Jubiläen ist jetzt [nach Stalingrad; mw] nicht die Stunde. Aber wir brauchen Marksteine auf unserem Wege, wenn wir die Besinnung behalten und auf der Höhe deutschen Denkens stehen bleiben wollen. Zehn Jahre sind für das Gebilde einer Akademie ein geringer Raum. Doch es sind Jahre von unvergleichlichem Gewicht gewesen, Jahre gewaltiger Wendungen und weltgeschichtlichen Geschehens, Jahre wahrer Entscheidung.
[2] Die Gründung der Akademie für Deutsches Recht fällt zusammen mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus zur Reichsgewalt, mit den ersten Anfängen einer nationalsozialistischen Rechtsbildung, mit der ständischen Zusammenfassung der deutschen Juristen im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund. Der Führer selbst hat sie durch ein eigenes Stiftungsgesetz geadelt.
[…][4] Ihre Aufgabe hatte das vom Führer als Reichskanzler und von dem damaligen Reichsminister der Justiz Dr. Gürtner unterzeichnete Stiftungsgesetz v. 11. Juli 1934 wie folgt beschrieben: „Aufgabe der Akademie ist, die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechts zu verwirklichen“. […][5] Die Zusammensetzung der Mitglieder bewies den Willen zu neuem Weg. Es sollten Kräfte eingesetzt werden, Kräfte weit über das Maß der klassischen Akademien hinaus. So traten drei charakteristische Schichten im Rahmen der jungen Akademie nebeneinander: Männer der Politik, Männer des praktischen Lebens und Männer der Wissenschaft. Die Männer der Wissenschaft haben dann, wie es nicht anders sein konnte, die Führung übernommen. Nicht im Sinne repräsentativen Auftretens, also der unentbehrlichen und förderlichen Außenwirkung, wohl aber im Sinne der Arbeit und damit der eigentlichen Bewährung. Dabei haben den Gelehrten des deutschen Rechts die Praktiker der deutschen Justiz, alle in jungen Jahren selbst wissenschaftlich geschult auf deutschen Universitäten, von der ersten Stunde an treu zur Seite gestanden, vor allem führende Köpfe aus dem Reichsministerium der Justiz.
(Hedemann 1943), S. 673
Mit den führenden Köpfen aus dem Reichsministerium der Justiz meint Hedemann zweifellos zumindest dessen beiden Staatssekretäre Franz Schlegelberger und Roland Freisler.
Ich kann Hedemanns Darstellung über die Kooperation zwischen »den gelehrten Männern der Wissenschaft«, die in der AfDR die Führung übernommen haben sollen, und den »den jüngeren Praktikern der deutschen Justiz«, die zumindest teilweisen an den Universitäten Schüler jener Gelehrten gewesen sind, vollauf bestätigen. Die Belege liefere ich in meinen weiteren Teilen.
Still und stützend standen hinter den Kolonnen, die es nicht immer leicht gehabt haben bei der Schaffung der unvermeidlichen geschäftsmäßigen Apparatur.[428]
[6] So hat die Akademie vor zehn Jahren ihren Marsch angetreten, aufgegliedert in mannigfaltige Ausschüsse, ihr Forschungs- und Arbeitsgebiet beständig erweiternd, dann durch den Krieg in vielem verändert und durch den Wehrmachtsdienst vieler Mitarbeiter erheblich eingeschränkt, doch aber im Grunde an ihrer hohen Berufung festhaltend. Jetzt hat das zehnte Jahr ihr einen elementaren neuen Auftrieb gebracht.
(Hedemann 1943), S. 673
Wenn diese Darstellung korrekt ist, gab es eine Flaute in vielen Bereichen der AfDR in den Jahren 1939 bis 1943, da viele Ausschussmitglieder „Wehrmachtsdienst“ leisteten. Aufgrund des Alters und des Rangs galt das sehr wahrscheinlich aber mit Blick auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie höchstens für Max Mikorey.
Nicht nur Hedemann auch Thierack behauptete öffentlich, dass die AfDR 1943 neue Aktivitäten entfalten werde (siehe meinen Unterabschnitt 8.3.4.).
[7] Das hängt mit dem hohen Auftrag zusammen, den der Führer im August des vergangenen Jahres [1942; mw] dem Reichsminister der Justiz, Dr. Thierack, erteilt hat. In dessen Hand wurden, wie bekannt, die drei Ämter des Reichsjustizministers, des Führers des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes und des Präsidenten der Akademie vereinigt.
(Hedemann 1943), S. 673
Hans Frank blieb Reichsleiter, Reichsminister ohne Geschäftsbereich und der Autokrat des Generalgouvernements.
Bei der dadurch erweckten klaren Gliederung der Aufgaben hat der neue Minister sich dem Präsidium der Akademie
(Hedemann 1943), S. 673
– dem u.a. die Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, Wilhelm Kisch und C. A. Emge nach wie vor angehörten, wie ich in Abschnitt 9 zeigen werde –
mit folgenden Eröffnungsworten gewidmet: „Der Auftrag, den mir der Führer erteilt hat, eine starke Rechtspflege aufzubauen, erfordert die Gestaltung eines volksnahen deutschen Rechts, daran maßgeblich mitzuwirken und alle zur Mitarbeit Berufenen zu gemeinsamer Arbeit zu vereinigen, ist die stolze und wichtigste Aufgabe der Akademie für Deutsches Recht.“ Hier dürfte das Wort von der Gestaltung das dominierende sein. Es entspricht am ehesten dem Wesen einer Akademie. Denn es erinnert an den Meißel des Bildhauers, an das Schöpferische der Kunst. Daß damit, nun gar in heutiger Zeit, nicht die Schwärmerei eines Phantasten oder auch, in nüchternem Ausdruck, das Gedankenspinnen eines Begriffsjuristen gemeint ist, bringt der weitere Fortgang der Eröffnungsworte des Präsidenten zum Ausdruck: Ausrichtung nach der politischen Zielsetzung, doch aber verbunden mit repräsentativer Achtung vor echter deutscher Forscherarbeit.
(Hedemann 1943), S. 673
Soweit der erste von vier Abschnitten. Ich springe zum dritten Absatz des zweiten Abschnitts von Hedemanns Rückblick.
II.
[3] […] Mancher Höhepunkt kennzeichnet das Vorwärtsdringen der Akademie. So die weihevolle Proklamation der Akademie am 2. Okt. 1933 in der Aula der Leipziger Universität, an die sich dann die schönen geisterfüllten Jahrestagungen angeschlossen haben, durch ausländische Gäste bereichert, einmal sogar durch | S. 674 die persönliche Anwesenheit des Führers [auf der zweiten Jahrestagung am 25. Und 26. Juni 1uni 1935; mw] zu besonderer Höhe gesteigert. So die reichhaltige Ausstellung „Das Recht“ in München im Jahre 1936. So im Jahre 1938 das erste Auftreten der Akademie im heimgekehrten Wien. So im folgenden Jahr die feierliche Einweihung des Hauses des Deutschen Rechts in München, der 1936 die Grundsteinlegung und 1937 das fröhliche Richtfest voraufgegangen waren. Die Reichweite der Wirksamkeit nahm zu. Beispiel dafür die 1937 in der schönen alten Aula der Berliner Universität vollzogene Gründung der Abteilung Rechtsforschung, mit ihren drei Klassen für Erforschung der Geschichte und der Grundfragen des Rechts, für Erforschung des Rechts von Reich und Volk und für Erforschung des volksgenössischen Rechtslebens, denen sich drei Jahre später die vierte Klasse für Erforschung der völkischen Wirtschaft angefügt hat.
(Hedemann 1943), S. 673 f.
Dass 1937 eine Abteilung für Rechtsforschung in der AfDR gegründet worden ist, ist schon mehrfach Thema geworden. Dass es in der Aula der Berliner Universität zu einer Feier gekommen ist, ist noch nicht erwähnt worden.
Zurück zu Hedemanns Rückblick aus dem Jahr 1943:
[4] Und hinter den Höhepunkten lief, durch das ganze Gefüge der Akademie hindurch, die regsame Arbeit der AUSSCHÜSSE und ARBEITSGEMEINSCHAFTEN. Ihre Zahl wuchs. Zu Anfang des Jahres 1938 konnte der Präsident bekanntgeben, daß ihre Zahl an 100 herankäme. Das war wohl ein Fehlgriff, ein Zuviel, geboren aus dem immer wieder aufsteigenden Hang des deutschen Menschen zur Mannigfaltigkeit. Wer die lange Skala dieser Ausschüsse liest, staunt. Stoffe von riesiger Tragweite, wie „Völkerrecht“ [Viktor Bruns; mw] und „Straf- und Strafprozeßrecht“ [Roland Freisler; mw] oder „Bevölkerungspolitik“ [Fritz van Calker; mw] oder „Arbeitsrecht“ oder „Wehrrecht“ wechselten mit Stoffen sehr enger und begrenzter Prägung, wie „Wasserrecht“ oder „Filmrecht“ oder „Luftfahrtrecht“ und Ähnlichem. Das war, wie gesagt, ein Übermaß. Aber wer mit geistig geschärftem Blick über dieses Heer der Ausschüsse (von denen mancher rasch genug wieder verwehte) zurückschaut, wird hier schon an die ungeheure Stoffmasse herangeführt, die auf uns Rechtswahrer des 20. Jahrhunderts andringt, an den brausenden Strom des Lebens und zugleich an die dominierenden Züge unserer Zeit. Das wird sich mehr noch im III. Abschnitt dieses Erinnerungsbildes enthüllen, der das Schaffen und Wirken der Akademie zu einem lebendigen Spiegelbild unserer Zeit gestalten soll. Die Ausschüsse sind jetzt, wie es nicht anders sein könnte, stiller geworden. Das Signum der Kriegsnotwendigkeit hat auch hier sein Haupt erhoben. Viele Ausschüsse sind unter dieser Parole stillgelegt. Aber zu der Negative [so im Original; mw] hat sich ein Positivum gesellt. Denn neue Ausschüsse sind aufgetreten, deren Zielsetzung mit dem Neubau der Justiz verbunden ist und deshalb als vordringlich gelten kann, wie etwa die Ausschüsse „Richter und Rechtspfleger“ oder „Rechtsprechung durch das Volk“.
(Hedemann 1943), S. 674
Dass alle Ausschüsse „jetzt […] stiller geworden“ seien, bedeutet nicht mehr und nicht weniger als dass es weniger Verlautbarungen der Ausschüsse als vor dem Krieg gab. Zum „Signum“ des erhobenen Hauptes der Kriegsnotwendigkeit gehörte selbstverständlich eine verstärkte Geheimhaltung. Viele Ausschüsse seien sogar ganz „stillgelegt“ worden. Sie durften kein Zeichen ihrer Existenz mehr von sich geben.
Die neuen Ausschüsse, von denen Hedemann spricht, liegen im Arbeitsbereich seines Aufgabengebietes, ein »Volksgesetzbuch« zu erstellen.
[5] Zur Arbeit der Ausschüsse hat sich rasch genug die literarische Wirksamkeit der Akademie gesellt. Auch sie ist durch Mannigfaltigkeit gekennzeichnet Die Anfänge waren kühn, oft ersten Vorstößen vergleichbar, um deswillen zunächst etwas unausgeglichen. Das sichtbarste Kernstück ist seit neun Jahren die eigene Zeitschrift der Akademie. Unvergeßlich die ersten beiden Hefte, in denen mit kurzen markanten Aufsätzen Männer wie Hermann Göring (Weiterführung des Reichsneubaus), Hans Frank (Nationalsozialismus im Recht), Wilhelm Frick (Reichsreform und Rechtserneuerung), Otto Georg Thierack (Der Weg des jungen Juristen), Alfred Rosenberg (Eine neue deutsche Rechtsphilosophie), Wilhelm Stuckart (Nationalsozialistische juristische Studienreform) und andere hervortraten.
(Hedemann 1943), S. 674
Ich stelle diese Texte erst in Teil III vor, da ihn ihnen nicht ausdrücklich auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie Bezug genommen wird.
Von da an hat diese Zeitschrift — Seite an Seite mit dem „Deutschen Recht“, dem Zentralorgan des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes — ihren sicheren Lauf durch die Monate und Jahre bis zum gegenwärtigen Augenblick genommen, ein Spiegelbild von erstaunlicher Lebendigkeit. Neben ihr her gingen die Schriftenveröffentlichungen der Akademie. Vielleicht kann auch hier, wie bei den Ausschüssen, von einem Zuviel gesprochen werden. Doch entsprang das der Jugendlichkeit dieser neuartigen Akademie, die gepflegte alte Tradition mit mutigem Vorwärtsstürmen und politischer initiative zu verbinden suchte: Tradition etwa in der schönen, hochwissenschaftlichen Schriftenreihe der Germanenrechte oder der vielbeachteten Schrift über die Krise des römischen Rechts und der Rechtswissenschaft oder der Entdeckung des Mühlhäuser Reichsrechtsbuches aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts, das sich sogar als älter wie der Sachsenspiegel erwiesen hat. Und Vorwärtsstürmen vor allem in den zahlreichen Schriften die am Neubau des Strafrechts oder des bürgerlichen Rechts oder anderer Rechtsmaterien, mitgearbeitet oder z.B. Deutschlands politische Geltung im Zeichen des Völkerrechts verfochten haben. In Gruppen gegliedert haben diese Schriften der Akademie seit längerem schon die Hundertzahl überschritten. Seit 1939 hat die Akademie auch die hervorragende, spezifisch wissenschaftliche Zeitschrift „Deutsche Rechtswissenschaft“ übernommen, die einige Jahre zuvor von der jungen Kieler Schule her ihren Ausgang genommen hatte.
(Hedemann 1943), S. 674
Die Übernahme der Zeitschrift Deutsche Rechtswissenschaft „der jungen Kieler Schule durch die AfDR könnte ein weiterer Fall einer erfolgreichen Gleichschaltung durch die geheime Strategie-Abteilung der AfDR, dem Ausschuss für Rechtsphilosophie, sein (siehe Unterabschnitt 7.9.2.). Jedenfalls war 1938 noch Karl August Eckhart der Herausgeber dieser Zeitschrift.[429] 1940 wurde sie von der „Abteilung für Rechtsforschung der AfDR“ herausgegeben. Der Abteilung, in die Ausschuss für Rechtsphilosophie vielleicht 1937 eingegliedert wurde.
Zurück zu Hedemanns Rückblich auf 10 Jahre AfDR aus dem Jahr 1943:
Und die ganzen zehn Jahre hindurch sind, gleichsam der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht, die Jahrbücher der Akademie erschienen, die Mitte haltend zwischen Arbeitsberichten und gediegenen selbständigen Aufsätzen.
(Hedemann 1943), S. 674
Soweit der zweite Abschnitt. Nun zum dritten. Im ihm stellt Hedemann einige „schöpferische Großtaten des Nationalsozialismus“ dar, die durchs Recht, das eine „geistige Großmacht“ sei, bewirkt worden seien. Und genau so wie im Mai 1934 wird »die Rassenfrage« wieder als Kernstück des akademischen Nationalsozialismus präsentiert.
III.
[1] Als ein Spiegelbild der Zeit ist im Vorhergehenden das mannigfaltige Wirken der Akademie für Deutsches Recht bezeichnet worden.
[2] In der Tat, wer noch einen Zweifel haben könnte an der hohen Bedeutung des Rechts für das gesamte Leben eines Volkes, wird, durch den hier gebotenen Rückblick eines Besseren belehrt. Es ist wahrhaft erstaunlich und sogar für den Kenner überraschend, welchen Anteil das Recht an dem gewaltigen Zeitgeschehen dieser letzten zehn Jahre genommen hat. Nicht als eine flatternde Größe, sondern als eine fest fundierte geistige Großmacht, die zwar nach außen wirkt, aber dann immer wieder zu ihren eigengesetzlichen Fundamenten zurückkehrt. Das wird im Spiegel der Wirksamkeit der Akademie, vor allem ihrer literarischen Wirksamkeit, im folgenden aufgezeigt werden.
[3] Nahezu alle schöpferischen Großtaten des Nationalsozialismus in den ersten Jahren seiner reichspolitischen Wirksamkeit ziehen in Aufsätzen verschiedenen Gepräges in der Zeitschrift der Akademie oder den anderen Veröffentlichungen vorüber: Die Rassenfrage mitsamt den enger begrenzten Themen des Blutschutz- und Erbgesundheitsgesetzes, der Mischehen, der Abstammungsprozesse und von da wieder aufsteigend bis zu dem zukunftsschweren Thema der Bevölkerungspolitik.
(Hedemann 1943), S. 674
Worauf Hedemann mit seiner Formulierung des „zukunftsschweren Themas der Bevölkerungspolitik“ anspielte, werden die meisten Leser, die seinen Rückblick im Sommer 1943 lasen, verstanden haben.
Ich zitiere weiter ohne Auslassung:
Oder, um die Reihe der Beispiele aus diesem ersten [rechtspolitischen; mw] Bereich fortzusetzen, das ständische Gefüge taucht in den Spalten der Zeitschrift auf, vornehmlich der Reichsnährstand und ihm angeschlossen das Erbhofrecht und die Bestrebungen auf Neubildung des deutschen Bauerntums. Oder die „Rechtsnatur der deutschen Arbeitsfront“ wird untersucht, oder die Fundamente des aufblühenden Jugendrechts werden juristisch gefestigt, oder die Neugestaltung deutscher Städte, insbesondere, der Reichshauptstadt, wird an Hand der jungen Gesetze dargestellt. Und anderes mehr.
(Hedemann 1943), S. 674
Im nächsten Absatz stellt Hedemann die Entwicklung der Themen vor, mit denen sich anfänglich Carl Schmitts Ausschuss für Staats- und Verwaltungsrecht und Viktor Bruns Ausschuss für Völkerrecht befassen sollten und befasst haben:
[4] Dahinter [des Bereichs der rechtspolitischen Wirksamkeit; mw] steht als mächtige Stütze das Staatsgefüge. Was begegnet dem, der den Gang der Akademie durch ihr erstes Jahrzehnt beobachtend begleitet? Wieder eine Fülle von Phänomenen, die in Gestalt herausgegriffener Beispiele hier veranschaulicht werden mögen. Die Verwaltungsapparatur wird immer wieder aufs Korn genommen, sei es als allgemeines zeitgenössisches Phänomen, sei es unter dem Zeichen „nationalsozialistischen Beamtenrechts“, sei es unter der Parole des „Einheitsgedankens“ in der deutschen Verwaltung, sei es unter der geistreichen Beleuchtung „Verwaltung und Führung“. Oder einzelne Zweige der verwaltenden und wirtschaftlichen und fiskalischen Betätigung des Staates werden mit der Sonde juristischer Gedankenschärfe überprüft, wie etwa die Sondermaterie eines neu zu ordnenden Polizeirechts oder die Reichsbahn „in der Hand des Reiches“ oder das Recht des „Straßenverkehrs“ oder in einer ganzen Reihe von Aufsätzen (die freilich zum Teil durch neue Maßregeln überholt sind) das Steuerrecht mit seinen Verzweigungen. Übrigens fehlt es auch nicht an Erörterungen über das heute noch brennende Problem, ob und in welcher Gestalt neben der Rechtswissenschaft eine eigengeprägte und akademisch zu handhabende „Verwaltungswissenschaft“ anzuerkennen sei. Bald genug aber erhebt sich die Betrachtung | S. 675 über die verwaltende Tätigkeit des Staates zu seinen eigenen Lebenselementen. So wird er in seinen Beziehungen zu den Gemeinden dargestellt. „Heer und Staat“ treten auf, noch ehe der Krieg begann, und die Grundzüge des „Wehrrechts“ als eines kräftigen und selbständigen Rechtsfaches werden gezeichnet. Und dann kommt die Steigerung über den alten Staatsbegriff hinaus: DAS REICH erhebt sein Haupt, auch in den Spalten eines wissenschaftlichen Organs wie der Zeitschrift der Akademie; verkettet mit dem Phänomen des „Führerstaates“, und hinüberwachsend in das problematische, aber zugleich wissenschaftlich-tastend erfaßte Problem des „Großraumes“, des „erweiterten Wirtschaftsraumes“, wie es in einer der Jahresstudien heißt.
(Hedemann 1943), S. 674 f.
Im nächsten Absatz stellt Hedemann weitere Themen, die im Ausschusses für Völkerrecht bearbeitet wurden:
[5] Die Schwelle zum Völkerrecht ist damit bereits überschritten. Noch vor ihr, der Schwelle, liegt die wissenschaftlich-literarische Erfassung der Angliederung des verklungenen „Österreichs“ an das deutsche Altreich. Dann folgt das „Protektorat Böhmen“, das „Generalgouvernement“, die „eingegliederten Ostgebiete“, das alles gewaltiges Zeitgeschehen, und hier nun erfaßt in redlichem juristischen Bemühen, in konkrete, ernsthaft untersuchte Fragen einmündend, wie z. B. die „Staatsangehörigkeit“ in jenen eingegliederten Ostgebieten.
(Hedemann 1943), S. 675
Dass Hans Frank der Autokrat des Generalgouvernement und der „eingegliederten Ostgebiete“ war, muss ich nicht erläutern. Ich sollte aber darauf aufmerksam machen, dass die „eingegliederten“ nicht die „besetzten“ Ostgebiete waren. Für diese Gebiete war Alfred Rosenberg als erster „Reichsminister der besetzten Ostgebiete“ seit dem 17. Juli 1941 offizielle als Reichsminister zuständig.
[6] Schon hierbei, in diesen vom deutschen Standpunkt aus nahezu internen Angelegenheiten, zeigt sich das Völkergewoge, auf das wir — gegen die Mitte des 20. Jahrhunderts — zuschreiten. Und rasch genug stellt sich neben das Staatsrecht das erschütterte Gebilde des Völkerrechts. Es ist überraschend, den Reichtum der Gedankengänge zu verfolgen, die in dem an sich bescheidenen Rahmen dieser Akademie für Deutsches Recht den Gebilden des „Völkerrechts“ gewidmet worden sind. Daß ein eigener Ausschuß für Völkerrecht begründet worden ist (der mehrere geisteswissenschaftlich bedeutsame Tagungen abgehalten hat), ist schon erwähnt worden. Aber eine Fülle von Einzelstudien sind daneben getreten. Gewiß, überwiegend sind sie erst durch den ausgebrochenen Krieg hervorgerufen worden. Aber ein erfreulicher Weitblick hat schon vordem im akademischen Rahmen Probleme behandeln lassen, wie die allgemeine „völkische Raumpolitik“ oder das konkrete Thema der „Saar als Rechtsproblem“[430] oder, weit von Europa abführend, die Frage des „Völkerrechts im Fernen Osten“. Auch der verklungene „Völkerbund“ erscheint in den Spalten der Akademiezeitschrift und, angeregt durch den italienisch-abessinischen Feldzug, die völkerbundliche Maßregel der „Sanktionen“. Viel breiter aber fließt naturgemäß der Strom der völkerrechtlichen Erörterungen, nachdem dieser weltumspannende Krieg das große Gegenüber von Recht und Unrecht enthüllt hat. Von den weit nüchterneren Fragen der „Umstellung“ des Wirtschaftsapparates, der Finanzen, des Strafrechts auf den Krieg führt die Rückschau über das Wirken und Streben der Akademie zu dem deutschen „Weißbuch“ von 1939, zu der neuen deutschen Prisenordnung vom gleichen Jahre. Und weiter ansteigend trifft der Beobachter auf eine wissenschaftliche Untersuchung über das „Verhältnis des Völkerrechts zum staatlichen Recht“ und auf eine ganze Reihe von Studien über die „Neutralität“, bald allgemein gehalten, bald enger begrenzt auf die „wirtschaftliche Neutralität“ und dergleichen, oder konkretisiert auf die verklungenen amerikanischen Neutralitätsschemata oder auf die „englische Völkerrechtspolitik“.
(Hedemann 1943), S. 675
Im nächsten Abschnitt stellt Hedemann den Ausschuss für bürgerliche Rechtspflege vor, dessen Vorsitzender anfänglich Wilhelm Kisch war.
[7] Kehrt nun der Blick zur heimischen Rechtspflege zurück, so steht die neue starke Rechtspflege im Vordergrund. Sie ist das Rückgrat staatlicher Sicherheit, und soll das werden mehr als bisher. Doch zeigt schon der Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre das ehrliche deutsche Bemühen, der Rechtspflege und zugleich dem juristischen Ausbildungswesen gerecht zu werden. Immer wieder kreisen die Erörterungen, die ganzen zehn Jahre hindurch, um die Gestalt des Richters. Es ist gewiß historisch bemerkenswert, daß in dem Eröffnungsheft der Akademiezeitschrift im Juni 1934 der allererste wissenschaftliche Aufsatz, aus der Feder eines besonders angesehenen Rechtsgelehrten stammend, dem „deutschen Richter“ gewidmet war.
(Hedemann 1943), S. 675
Wer wollte, konnte den Namen des so Gelobten einfach ermitteln. Im Jahresinhaltsverzeichnis der Zeitschrift der AfDR stand:
Abbildung 48: 1. Ausschnitt aus dem ersten Jahresinhaltsverzeichnis der ZAfDR von 1934, S. 4
Da Hedemann sein Kommen als Gast zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gemäß der Akte Emges abgesagt hat, war er nicht Ohrenzeuge als Hans Frank vom »ewigen deutschen Gott« und vom Ziel des Nationalsozialismus, dem »Richterkönig«, sprach. Er kann das aber in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland gelesen haben.
Dann wird Baustein auf Baustein herbeigetragen, oft in scharf zugespitzter Prägung, etwa in der Fragestellung, ob der Zivilprozeß im ganzen abgeschafft werden solle, oder in der sehr ernst zu nehmenden Feststellung einer „Abkehr von der ordentlichen Gerichtsbarkeit“, oder in einer wissenschaftlichen Beleuchtung des „Führergrundsatzes in der bürgerlichen Rechtspflege“, oder auch in der Orientierung auf eine Mitwirkung der Staatsanwaltschaft in bürgerlichen Rechtssachen. In diesem Zusammenhang mag auch daran erinnert werden, daß unter starker Beteiligung von Akademiemitgliedern auf dem Haager Kongreß für Rechtsvergleichung im Jahre 1937 als heikelstes Thema „Richter und Gesetz“ (mit besonderem Seitenblick auf die Analogie im Strafrecht) behandelt worden ist,
(Hedemann 1943), S. 675
Ernst Heymann war der Organisationsleiter der „deutschen Landesreferate“ auf diesem Haager Kongress im Jahr 1937.[431]
und daß im Jahre 1939 auf der Tagung in Wien die deutsch-italienische Arbeitsgemeinschaft unter dem Präsidium des jetzigen deutschen Reichsjustizministers [Otto Thierack; mw] auf Grund eines persönlichen Referats des jetzigen Staatssekretärs im Reichsjustizministerium[432] im besonderen die Frage „Recht und Richter in den autoritären Staaten“ mit Leidenschaft, aber ebenso gründlich besprochen und geprüft hat.
(Hedemann 1943), S. 675
Nachdem Hedemann nun in Folge das übergreifende Thema des gesamten Ausschusses für Rechtsphilosophie (Rasse), und die Spezialgebiete von vier seiner Dauermitglieder, nämlich von Carl Schmitt (Staat und Verwaltung), Viktor Bruns (Völkerrecht), bürgerliche Rechtspflege (Wilhelm Kisch) und Ernst Heymann (internationale Rechtsvergleichung), vorgestellt hat, stellt er im nächsten Absatz das Spezialgebiet von Freisler vor.
[8] Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß im Spiegel der literarischen Untersuchungen auch die verschiedenen Sonderzweige der Gerichtsbarkeit erscheinen, etwa die Parteigerichtsbarkeit, oder das Reichskriegsgericht, oder die soziale Ehrengerichtsbarkeit, oder das inzwischen im Reichsverwaltungsgericht aufgegangene Reichswirtschaftsgericht. Auch die Anwaltschaft in ihrer Problematik ist hier und da im Lauf der zehn Jahre beleuchtet worden. Aber vor allem hat das Strafrecht und die Strafgerichtsbarkeit eine Fülle von Meinungsäußerungen und gepflegten wissenschaftlichen Erörterungen hervorgerufen. Der „Gewaltverbrecher“, der „Volksschädling“, der „Jugendliche“ und andere Gestalten ziehen vorüber. Der „Tätertyp“ sucht die Geister zu beherrschen. Die neuen Strafarten werden behandelt, wie etwa die „Verwirkung der volksgenössischen Rechtsstellung im Verwaltungsrecht“[433]. Die neuen Gerichtshöfe tauchen auf, vor allem der Volksgerichtshof, 1934 begründet, 1935 und 1936 charakterisiert von seinem jetzigen und seinem früheren Präsidenten [Roland Freisler; mw]. Das besondere Kriegsstrafrecht wandert durch die Spalten der Zeitschrift. Und darüber schweben die schweren allgemeinen Probleme, „Abgrenzung des Justiz- und Verwaltungsstrafrechts“, „Richter und Staatsanwalt im neuen Strafprozeß“ und mehr als eine lebhafte Auseinandersetzung über den berühmten § 2[434], über den Durchbruch der Analogie in das bis dahin gesperrte Gebiet des Strafrechts.
(Hedemann 1943), S. 675
Für die Themen, die Hedemann im nächsten Absatz skizziert, waren Wilhelm Kisch und Johannes Popitz zuständig:
[9] Das Ausbildungswesen, zumal die „Reform des juristischen Studiums“, ist wesensgemäß mit dem Richtertum und den anderen Zweigen juristischer Betätigung verbunden. Die Älteren unter uns können erzählen, daß ihre ganze Laufbahn, seit den jungen Jahren als Richter oder Privatdozent, von den immer wiederkehrenden Anläufen auf solche Reform begleitet waren. Die Akademie hat auch hier stellenweise zugegriffen und spiegelt das, was die letzten zehn Jahre gebracht haben. Schon erwähnt ist, daß der jetzige Reichsminister der Justiz [Otto Thierack; mw] bereits im Eröffnungsheft der Akademiezeitschrift vom „Weg des jungen Juristen“ gesprochen hat. Ein halbes Jahrzehnt später ergriff der jetzige Staatssekretär, damals Senator und Professor und Oberlandesgerichtspräsident in Hamburg [Curt Rothenberger; mw], begleitet von einem jungen Assessor und Universitätsassistenten [Wilhelm Stuckart (1902-1953); mw], das Wort zu diesem Thema der „Reform der juristischen Ausbildung“.
(Hedemann 1943), S. 675
Im nächsten Absatz stellt Hedemann sein eigenes Spezialgebiet vor:
[10] Es könnte so aussehen, als sei es ein bedeutender Abstieg, wenn jetzt in diesem Spiegelbild vom bürgerlichen Recht geredet wird. Aber gerade diese letzten zehn Jahre haben auch hier einen Auftrieb gebracht, der das deutsche Volk vor eine geistige Kraftprobe stellt und, wenn sie bestanden wird, epochale Bedeutung gewinnen könnte. Und hier ist sogar rückblickend in erster Linie die Akademie berufen, als ein Spiegelbild der bisherigen Anläufe, Hoffnungen und Bestrebungen zu dienen. Ihre Schriften und ihre Jahrbücher bergen die ersten Bausteine für das, was unter dem Zeichen eines neugefaßten „bürgerlichen Rechts“, eines umbenannten Rechts der deutschen Volksgenossen steht: Volksgesetzbuch der Deutschen. Bemerkenswert, wie gerade in den Veröffentlichungen der Akademie während dieser zehn Jahre das alte bürgerliche Recht von Jahr zu Jahr mehr in den Hintergrund getreten ist, während es (begreiflicherweise) in der Lehrbuch- und Kommentarliteratur viel zäher weiterlebt bis in den gegenwärtigen Augenblick hinein. Gewiß fehlen auch im Spiegel der Akademie nicht gesunde Anknüpfungen an die überkommenen Rechtsfiguren des Privatrechts, z. B. hypothekenrechtliche Themata oder die Annahme an Kindes Statt oder das Vereinsrecht oder das Nachbarrecht Aber immer setzt sich sofort das Neue, das Zeitgenössische an: Reform des Hypothekenrechts, neue Beleuchtung des Nachbarrechts im Zeichen industrieller, die benachbarte Landwirtschaft gefährdender Immissionen, Anfechtbarkeit der Adoption unter neuem Zeichen, neue „Thesen“ zum Vereinsrecht usw. Mancherlei auch zur Umwertung des Eigentums, immer wiederkehrend zumal Erörterungen über das im kritischen Licht stehende Thema der Entziehung des Eigentums, der „Enteignung“. Weiter, im Vertragsrecht wie neue Sterne aufsteigend die Vertragshilfe des Richters, die „faktischen Verträge“, die Streichung oder Schwächung überkommener Schuldverträge durch die Schuldenbereinigung und dergleichen mehr. Oder im Familienrecht die bekannten „heißen Eisen“ der Ehescheidung aus Zerrüttung, der Rechtsstellung der Unehelichen usw. Aber über dem allen, schwingend wie eine höhere Melodie, die allgemeine Note von der „Erneuerung des bürgerlichen Rechts“, vom „Gesamtbau des bürgerlichen Rechts“ und von jener Vision eines das Reich der Deutschen vom Volk her stützenden „Volksgesetzbuches“.
(Hedemann 1943), S. 676
Obwohl im Wechsel von der ersten zur zweiten Satzung der AfDR im Sommer 1934 die Formulierung gestrichen worden ist, dass es Aufgabe der AfDR sei, das nationalsozialistische Programm auch auf dem Gebiet der Wirtschaft zu verwirklichen, ist die Entwicklung eines nationalsozialistischen Wirtschaftsrechts im Rahmen der AfDR betrieben worden.
[11] Daß an vielen Stellen das „bürgerliche“ Recht unversehens in das große neue Gebiet des Wirtschaftsrechts und des daneben stehenden Arbeitsrechts hinübergeglitten ist, ist wiederum ein Stück echten und unvermeidlichen Zeitgeschehens. Erstaunlich auch hier die Fülle der Gesichte, die allein aus der zehnjährigen Welt der Akademie aufsteigen. Zeitweise hat auch hier das „Wirtschaftsrecht“ (freilich sehr weit gefaßt in seiner begrifflichen Substanz) die anderen Rechtsgebiete beinahe ganz überflügelt. Aus der fast endlosen Reihe der Einzelbilder, die da beim Rückblick vorüberziehen, seien beliebige Beispielsgruppen herausgegriffen. Immer wieder ist das wirtschaftliche Verbands- und Vereinigungswesen angefaßt worden, von den schillernden Kartellen bis zu den neuen Reichsvereinigungen, von den ganz im Zeichen der „Reform“ behandelten Gesellschafstypen der Aktiengesellschaften und der GmbH, mit den Einzelfragen des „Führergrundsatzes“, der „Treupflicht des Aktionärs“ usw. bis zum ständischen Aufbau der gesamten gewerblichen Wirtschaft. Daneben die bekannten Themata von den „Lieferbedingungen“ der Industrie, vom „Unternehmen“ als einer steuerlichen Einheit, von der „Altersversorgung des deutschen Handwerks“ und anderes mehr — Einzelblätter in dem dicken Buch der Geschichte des Wirtschaftsrechts. Natürlich auch ganze Reihen von Bildern, die aus dem Urgrund des „Geldes“ aufsteigen, mancherlei vom Devisenrecht, von der Kapitallenkung, von der Dividendenabgabe und dem Eisernen Sparen, von der Bilanzwahrheit und der „Stellung des Wirtschaftsprüfers“, vom Depotgesetz, zumal von dem sprichwörtlich gewordenen Sammeldepot, und gewiß nicht am wenigsten von dem Preisrecht [für das am Anfang Carl Goerdeler zuständig war; mw] mit seinen unendlichen Verzweigungen. Dann hat auch hier der Krieg sein Haupt erhoben. Phänomene wie das Reichsleistungsgesetz oder der Kriegsschädenersatz oder der ganze Kreis der „Umstellung“ auf den Krieg und der neuerlichen Kräftekonzentration ziehen vorüber. Von der Kräftekonzentration führt dann sogleich der Weg zum Arbeitsrecht, das wieder im Spiegel der zehn Jahre Akademie gleich einer Welt für sich erscheint, wissenschaftlich durchtränkt, wie z. B. bei der Fehde „hie Arbeitsvertrag, hie Arbeitsverhältnis“, ethisch erhöht, wie z. B. in dem hohen Wort vom „Recht auf Arbeit“, praktisch durchgepflügt, wie z. B. im Punkte der Lohngestaltung oder der Kündigung, und schließlich in den Krieg mitten hineingestellt, wie vor allem mit dem großen Thema vom „Einsatz“ der Arbeitskräfte.
(Hedemann 1943), S. 676
Mit dem nächsten Absatz beendet Hedemann seinen dritten Abschnitt. Sein Ende hatte ich bereits zitiert, da in ihm Hedemann auf den Streit zwischen Carl Schmitts Ordnungsdenken und dem frühen Dynamismus eines Alfred Rosenbergs (1928) oder den späteren Dynamismus eines Ernst Röhms (1934) anspielt (siehe meinen Unterabschnitt 6.1.2.):
[12] Der Beschauer steht ergriffen, wenn er die Fülle solcher Gesichte in einem einzigen Zehnjahresspiegel vor sich sieht. Innere Beruhigung kann ihm, dem „Rechtswahrer“, vielleicht die letzte Schicht gewähren, die diesem Rückblick über die gewaltigen Stoffmassen abschließen soll, die – sagen wir – enzyklopädischen Betrachtungen. Betrachtungen, also die (dem griechischen Wort entsprechend) vom Gipfel des Rechts einen Rundblick entsenden, durch den das allgemeine Wesen des Rechts in seinen Grundelementen erfaßt werden soll. Auch hier fällt der Reichtum der Einzelthemata auf, die im zehnjährigen Arbeitskreis der Akademie vorübergezogen sind, ob es die „guten Sitten“ sind, die etwa im Zeichen nationalsozialistischer Familienpflicht vorüberziehen, oder die Konfrontation von „Gerechtigkeit und Justizrisiko“, oder der Vortrag des Reichsministers Göring über „Die Rechtssicherheit als Grundlage der Volksgemeinschaft“, oder der „Kampf gegen Gesetzesumgehungen“, oder die Erörterung über die uralte, immer wiederkehrende Macht des „Gewohnheitsrechtes“. Auch an konstruktiver und pädagogischer Durchdringung des Rechtsganzen hat es wahrlich nicht gefehlt. „Konkretes Ordnungsdenken“ hat eine Weile viel von sich reden gemacht, das „dynamische Element“ im Recht hat man zu fassen gesucht, eine neue Dreiteilung der Aufgaben staatlichen Gebarens ist vorgeschlagen worden: Bilden und Leiten und Zuteilen[435], mit dem „subjektiven Recht“ hat man gefochten wie mit einer Windmühle. Und schließlich sind auch die Höhen echter Rechtsphilosophie in mehreren Studien erklommen worden, während die verfemte „Begriffsjurisprudenz“ immer tiefer hinabgestoßen worden ist. Übrigens hat neben diesem blühenden Garten rechtsphilosophischer Überlegungen, auch der eine oder andere Baum einer tiefen „wirtschaftswissenschaftlichen“ Überlegung gestanden.
(Hedemann 1943), S. 676
Das, was Hedemann in seinem letzten Satz mitteilt, wird nach Lektüre meiner Teile II und III ohne weiteren Aufwand verständlich sein.
Im letzten und vierten Abschnitt seines Rückblicks befasst sich Hedemann nun mit dem Beziehungen der AfDR zum Ausland:
IV.
[1] Akademien sollen über sich selbst hinauswirken. Sie sollen ein Strahlungszentrum sein. Heute nimmt diese Strahlungsidee vor allem das Gepräge der AUSLANDSGELTUNG an. Sie ist ein Rest von Edelsinn und Menschheitswürde, der sich aus dem Toben des Krieges und dem Haß der Feindschaft erhebt.
[2] Die Akademie für Deutsches Recht hat in diesen zehn Jahren nach besten Kräften beigetragen, das Ansehen der deutschen Wissenschaft hochzuhalten und über Grenzen hinweg Gaben zu geben und Gaben zu empfangen. Es ist das nicht leicht. „Recht“ ist viel spröder und abgesonderter als „Philosophie“ oder „Chemie“ oder „Medizin“. Darum sind internationale Annäherungen und Verständigungen auf letzteren Gebieten leichter, auch näherliegender als auf dem Gebiete des Rechts. Und doch bestätigen die zehn Jahre lebendiger Akademietätigkeit, daß auch in den Bahnen des Rechts Gäste kommen und gehen, Gedanken ausgetauscht und wertvolle Angleichungen vollzogen werden können. Natürlich hat ITALIEN auch auf diesem Felde besonders nahegestanden. Unvergessen ist, daß Mussolini persönlich zu Beginn des Jahres 1939 der Akademie telegraphisch die schönen Worte übermittelt hat: „Invio un cordiale saluto all‘| S. 677 Academia per il diritto tedesco che alle gloriose tradizioni della scienza germanica ricongiunge l‘opera rinnovatrice della rivoluzione nazista.“[436] Das stand im Zusammenhang mit der fruchtbaren Arbeitsgemeinschaft für die deutsch-italienischen Rechtsbeziehungen, mit der im Jahre zuvor vollzogenen schönen Tagung in Rom, der arm im Marz des Jahres 1939 die zweite Tagung, der „Gegenbesuch“, in Wien nachgefolgt ist Und auch unabhängig davon sind immer wieder jahraus, jahrein bedeutende italienische Staatsmänner und Gelehrte bei der Akademie zu Gaste gewesen. Doch ist das naturgemäß, nicht auf das eine Land jenseits der deutschen Grenzen beschränkt geblieben. Von vielen anderen Ländern, von allen Seiten her, mehr freilich vor dem Ausbruch des Krieges als jetzt in den Zeiten des ernsten Kriegsgeschehens, sind die Gäste gekommen, wissenschaftlich interessiert, zur Mitarbeit bereit, Vorträge spendend und literarische Gaben beisteuernd.
[3] In der Tat ist auch bei diesem Punkt der literarische Spiegel besonders anschaulich. Begreiflich genug. Denn der Gast reist ab, der Vortrag verklingt, aber das Aufgezeichnete, das Literarische bleibt. Auch von deutscher Seite, von den Akademiemitgliedern und Mitarbeitern ist viel im ausländischen Recht geforscht und in den Veröffentlichungen der Akademie festgehalten worden. Vor allem aber gilt in Umkehr der Dank den Männern des Auslands, die im Zuge der zehn Jahre zu dem Schriftenreichtum der Akademie durch Aufsätze – oder sonstige Dokumente so freudig und erfolgreich beigetragen haben. Noch einmal mag von dieser Warte aus der Weg der Beispiele im Sinne eines lebendigen Zeitbildes beschriften werden. Von spanischer Seite wurde das Phänomen des Gewohnheitsrechts angeschnitten. Ein schwedischer Gelehrter hat den Neutralitätsbegriff behandelt. Ungarn trug den Geist seines Privatrechts an uns heran. Von Japan her kam eine Studie über den „Gemeinschaftsgedanken“ im japanischen Recht. Aus niederländischer Feder ist eine Schilderung von „Kirche und Staat in den Niederlanden“ geflossen. Ein norwegischer Gelehrter hat das norwegische Bauernrecht geschildert Jugoslawiens Kartellrecht ist vorübergezogen. Das- Problem der „Vereinheitlichung der Gesetzgebung“ hat ein rumänischer Autor für sein Land dargestellt. Aus der Schweiz ist uns das dortige neue Aktienrecht skizziert worden. Und Italien ist auch literarisch mit vielen Besuchen bei der Akademie hervorgetreten, mit Studien über die neue faschistische Kammer und andererseits über die Stellung des Monarchen im italienischen Staatsrecht, über das große neue kodififcatorische Werk des Codice civile Mussolini, über hohe politische Begriffe wie „Autarkie und Ethnarkie“ und manches andere. —
(Hedemann 1943), S. 676
Der nächste Absatz hat es nun in sich. Noch dazu ist das ohne neuen Forschungsaufwand erkennbar:
[4] Das alles hat die Akademie, als treue Dienerin ihrer Berufung, aufgefangen, und sie ist bemüht gewesen, die Schätze, die man ihr anvertraut hat, nicht zu vergraben, sondern lebendig zu vertreten. Zeugen dessen sind, – um in den Bahnen bloßer Beispiele zu bleiben – der Einfluß auf schon ins Leben getretene Gesetze und die Herausgabe eigener Entwürfe für Gesetze, die noch werden sollen. Das Ehegesetz, das Testamentsgesetz, das Aktiengesetz, das Zweckverbandsgesetz, die Gemeindeordnung, das Patentgesetz, das Jugendarrestgesetz, die Verordnung über Schutzangehörige können als Beispiele des ersteren gelten.
(Hedemann 1943), S. 677
Hedemann bezieht sich auf die „Zwölfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. April 1943“, da sie zum Veröffentlichungszeitpunkt „schon ins Leben getreten“ ist. Die dreizehnte und letzte Verordnung zum Reichsbürgergesetz ist erst am 1. Juli 1934 in Kraft getreten. Das „Reichsbürgergesetz“ gehört zu den Nürnberger Rassengesetzen vom 15. September 1935. Es wurde mit seinen Verordnungen durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 aufgehoben.[437] Ich zitiere auszugsweise den Anfang der 12. Verordnung.
§ 1
- Die Staatsangehörigkeit kann widerruflich zuerkannt werden. Die Staatsangehörigen auf Widerruf bilden eine besondere Gruppe der Staatsangehörigen.
- Außer den Staatsangehörigen gibt es Schutzangehörige des Deutschen Reiches; ein Schutzangehöriger kann nicht zugleich Staatsangehöriger sein.
[…]
§ 3
Schutzangehörige des Deutschen Reiches sind solche nicht zum deutschen Volk gehörende Einwohner des Deutschen Reiches, denen die Schutzangehörigkeit durch allgemeine Anordnung oder durch Entscheidung im Einzelfall zuerkannt ist oder zuerkannt wird. │ S. 269
§ 4
- Juden und Zigeuner können nicht Staatsangehörige werden. Sie können nicht Staatsangehöriger auf Widerruf oder Schutzangehörige sein.“
(RGBl. I 1943, S. 268 f.)
Mit § 4 war positiv-rechtlich der Rahmen gesetzt, innerhalb dessen die Deportation der Juden sowie der Sinti und Roma aus dem Gebiet des deutschen Reichs rechtsförmig vollzogen werden konnte. Das hat das Fachpublikum, das im Sommer 1943 den Rückblick Hedemanns las, selbstverständlich gewusst. Und Hedemann behauptet, dass die AfDR Einfluss hatte aus das ins Leben Treten auch dieser Verordnung. Ich kenne keinen Grund, der es erlauben würde, an dieser Aussage Hedemanns zu zweifeln.
Hedemann wechselt nun noch im selben Absatz zu seinem 1940 gegründeten Ausschuss, der den Entwurf für das erste Buch des »Volksgesetzbuches« erstellt hatte:[438]
Die Entwürfe eines Gesetzes über das Arbeitsverhältnis, eines Urhebergesetzes, eines Berufserziehungsgesetzes für die deutsche Jugend, eines einheitlichen deutschen Wassergesetzes und jüngstens der Entwurf für das erste Stück des Volksgesetzbuches der Deutschen, nämlich der Grundregeln und des I. Buches „Der Volksgenosse“ legen Zeugnis ab für das zweite [„die Herausgabe eigener Entwürfe für Gesetze [durch die AfDR; mw], die noch werden sollen“; mw].
[5] Dieses zweite ist zugleich das, was – in erweiterter Sicht – an den Schluß dieses geisteswissenschaftlichen Rückblicks gehört: Entwürfe, Wagnisse in die Zukunft hinein! Denn zehn Jahre sind, wie am Eingang dieses Aufsatzes gesagt worden ist, für ein Gebilde wie eine Akademie ein kleiner Raum. Vor ihr stehen neue Jahrzehnte.
Wie immer mal wieder beiläufig erwähnt: Ich kann nicht ausschließen, dass die AfDR noch immer existiert – gemäß eigenen Rechts oder/und gemäß des seit 1945 positivierten Rechts. Weiter im Absatz – ohne Auslassung:
Der Schleier des Weltgeschehens liegt über ihnen. Aber der Wille ist da, zu bestehen vor den Anforderungen des Schicksals, vor dem Urteil der anständig gesinnten Teile der Welt und vor allem vor der Seele des eigenen Volkes. Unter solchen Zeichen möge die Akademie für Deutsches Recht ihren Weg in die Zukunft antreten.●
(Hedemann 1943), S. 677
Ja, ja, die AfDR war nicht mehr als ein »Häuflein von Professoren«, das hinter Hans Frank vor Hitler Schutz suchte. Das hatte Professor Hans Hattenhauer 1986 behauptet.[439]
8.2. Das Amtsblatt des Reichsjustizministeriums Deutsche Justiz
Im Amtsblatt des Reichsjustizministeriums Deutsche Justiz ist am 11. Mai 1934 knapp über den Presseempfang der AfDR am 5. Mai 1934 und über die Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie am 3. Mai 1934 berichtet worden (siehe Unterabschnitt 4.7.3.).
In den Jahrgängen 1933 und 1934 des Amtsblattes gab es keine weitere Berichterstattung über den Ausschuss für Rechtsphilosophie.
Auch in den Jahren 1935 bis 1945 ist über den Ausschuss für Rechtsphilosophie im Amtsblatt Deutsche Justiz des Reichsjustizministeriums kein einziges Mal berichtet worden. Da ansonsten ausführlich und regelmäßig über die AfDR und ihre Ausschüsse im Amtsblatt berichtet wurde, ist das sehr bemerkenswert. Auch hier war eine Verschwiegenheitspflicht wirksam.
Gelegentlich wurde im Amtsblatt etwas Interessantes über ein Dauermitglied des Ausschusses berichtet oder über Rechtsphilosophisches. Die Darstellung dessen hebe ich mir für meinen Teil III auf.
8.3. Die Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht
Ab Juni 1934 gab der Präsident der AfDR die neu gegründete Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht heraus. In der Regel erschien jeden Monat ein neues Heft. Das letzte Heft erschien im November 1944. Selbstverständlich wurde in dieser Zeitschrift über Tätigkeiten der AfDR als solcher und über Tätigkeiten ihrer Ausschüsse berichtet. Meistens gab es auch Jahresinhaltsverzeichnisse. Das erste erfasste nur die Texte des halben Jahres vom Juni bis Ende Dezember 1934. Wie man sieht, wurde im Jahr 1934 weder über den Ausschuss für Rechtsphilosophie noch über den Ausschuss für Völkerrecht berichtet:
Abbildung 49: 2. Ausschnitt aus dem ersten Jahresinhaltsverzeichnis der ZAfDR 1934, S. 7
Dass weder über die konstituierende Sitzung des Ausschusses für Völkerrecht noch über den für Rechtsphilosophie berichtet wurden, konnten sich die Zeitgenossen problemlos so erklären, dass diese vor Beginn der Berichterstattung der ZAfDR abgehalten worden sind. Und da man als Leser der ersten sechs Hefte durchaus über Rechtsphilosophisches informiert wurde, werden sich die meisten Leser nichts dabei gedacht haben, dass über eine Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie nicht berichtet wurde.
Abbildung 50: 3. Ausschnitt aus dem ersten Jahresinhaltsverzeichnis der ZAfDR 1934, S. 4
Die rechtsphilosophischen Abhandlungen des Jahres 1934 werde ich meinem Teil III zitieren und kommentieren. Das auch deswegen, weil diese Rubrik ab 1935 nicht mehr existierte:
Abbildung 51: 1. Ausschnitt aus dem zweiten Jahresinhaltsverzeichnis der ZAfDR 1935, S. 3
Regelmäßige Leser der ZAfDR, die aus anderen Quellen von der Existenz des Ausschusses für Rechtsphilosophie wussten, werden sich in den Folgejahren aber gewundert haben. Nicht ein einziges Mal wurde vom Juni 1934 bis in den November 1944 über den Ausschuss für Rechtsphilosophie als solchen berichtet. Auch im Jahr 1935 gab es keinen Bericht über den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Und auch keinen über den Ausschuss für Völkerrecht.
Abbildung 52: 2. Ausschnitt aus dem zweiten Jahresinhaltsverzeichnis der ZAfDR 1935, S. 9
In all den vielen Heften vom Juni 1934 bis in den November 1944 habe ich nur eine einzige Bezugnahme auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie gefunden. In dem Nachruf von Emge auf Rudolf Stammler vom 15. Mai 1938 schreibt er im letzten Absatz folgendes:
[18] Es befriedigt, zu wissen, daß sich Rudolf Stammler nach dem Umbruch sofort und gern zur Verfügung stellte. Es mag ferner als Symbol für geistige Verantwortung gelten, daß Stammler bei der Gründungssitzung des rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht seinerzeit im Nietzsche-Archiv zu Weimar anwesend war und sogleich ein echtes rechtsphilosophisches Gespräch gestalten half. Der Vorsitzende dieses Ausschusses, Reichsminister Dr. Frank, hatte mit der Frage begonnen: „Was ist Recht?“ —●
(C. A. Emge, Rudolf Stammler zum Gedächtnis; 1938), S. 335
Ich stelle Emges Nachruf auf Stammler vom Mai 1938 auszugsweise im nächsten Unterabschnitt vor (8.3.1.).
Im zweiten Unterabschnitt zitiere und kommentiere ich den Nachruf von Karl Larenz auf Julius Binder, der 1939 gestorben ist (8.3.2.). In diesem Nachruf wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht erwähnt, obwohl auch Binder Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Trotzdem ist dieser Nachruf richtig spannend, da Larenz nun als ein Freund einer »Hegel-Renaissance« auftritt, die Binder begonnen habe. Im Nachruf auf Stammler hatte sich Larenz 1938 noch als „Überwinder des Neu-»Hegelianer«“ Binders gefeiert. Was war geschehen? Welche Strategie verfolgten die akademischen Nationalsozialisten mit der Verkündung einer »Hegel-Renaissance«?
Vor Larenz hatte bereits Hans Frank am 1. Januar 1938 öffentlich erwogen („vielleicht“), dass Hegel der größte Rechts- und Staatsphilosoph sei, den »die Deutschen« bisher hervorgebracht hätten. In einem Exkurs erläutere ich, wie es zu dieser Erwägung gekommen ist. Hans Frank reagierte mit ihr auf einen Angriff von Papst Pius XI. auf seine utilitaristisch-völkische Rechtsphilosophie (8.3.3.).
Im letzten Unterabschnitt stelle ich das Grußwort von Otto Thierack vom 1. Januar 1943 vor. Ich tue das, weil bereits Anderson durch seine Auswertung der Akten der AfDR mitgeteilt hat, dass 1938 und 1943 etwas mit dem Ausschuss für Rechtsphilosophie geschehen sei (8.3.4.).
8.3.1. Emge: „Rudolf Stammler zum Gedächtnis“ (15. Mai 1938)
Ich zitiere Carl August Emges Nachruf hier nur auszugsweise. Da Stammler 10 Jahre vor Erich Jung geboren worden ist, wird es sehr helfen, einiges in Teil II über Erich Jung gelesen zu haben, um Emges Nachruf auf Stammler verstehen zu können. In Teil III werde ich den Gesamttext zitieren und kommentieren.
Rudolf Stammler zum Gedächtnis
Von Professor Dr. C. A. Emge, Berlin,
Stellv. Präsident der Akademie für Deutsches Recht
[1] Der Tod traf Rudolf Stammler als Vollendeten. Wir, die wir uns geistig weiter denn je von Vollendung wissen, sind in diesem Augenblick aufgerufen, uns auf die Idee zu besinnen, welche Stammler bedeutet [so im Original; mw] und an der sein Leben restlos teilzuhaben schien.
[2] Wir wollen uns zunächst einmal der geistigen Lage erinnern, innerhalb derer Stammler zu wirken anfing. […]
(Emge, Rudolf Stammler zum Gedächtnis, 1938), S. 332
Ich überspringe hier, wie angekündigt, Emges Skizze der Lage des deutschen Kaiserreichs vor 1919 und die Entwicklung des Stammlerschen Systems bis in die 20-er Jahre der Weimarer Republik hinein.
Ich steige ein beim ersten Absatz seines vierten und letzten Abschnitts ein. In ihm wird Emges Zuneigung zu Stammler erkennbar. Vorab möchte ich auch die Nebenbemerkung Emges zum „letzten Lebensjahr“ Stammlers aufmerksam machen. Wenn sie korrekt ist, dann hatten Emge und Stammler ungefähr vom Frühjahr 1937 bis zum Frühjahr 1938 keinen Kontakt mehr miteinander:
[12] 4. Das Ergebnis seines Denkens aber trägt bei Stammler die Architektonik eines Kunstwerks. Der systematische Drang trieb ihn sogleich zur Gestaltung. Er war als Denker keine Lessingsche Natur und glaubte, zur letzten Wahrheit kommen zu können. Insofern ein dogmatischer Geist, Erbschaft seiner Ahnen, vieler Geistlichen und- Juristen, dürfte sich hier ausgewirkt haben. Es scheint, daß Stammler wie ein antiker Grieche den horror infiniti besessen hat. Aus seinem letzten Lebensjahr wurde mir berichtet, Stammler habe Goethe deshalb bedauert, weil dieser am Ende seines Lebens eigentlich nicht fertig geworden sei; er dagegen habe alles vollendet. Man tut gut, sich dieser Äußerung zu erinnern, die fern von jeder Anmaßung bloß das letzte Bekenntnis eines Schaffenden ausdrückt, welchen sein reifes Werk verlassen hat: „Es ist vollbracht.“ Ein Gefühl für die Endgültigkeit und Vollendung seiner Theorien gibt seinem Werk also den eigentümlich apollinischen Charakter, damit natürlich auch an vielen Stellen dasjenige, woran sich die weitere Entwicklung gestoßen hat. Man darf vielleicht, ein mathematisches Bild gebrauchend, sagen, daß es seinem System an innerer Unendlichkeit gefehlt habe. Gänzlich verfehlt wäre es aber, einem Denker, der sich mit „Formen“ beschäftigt, „formales“ Gepräge vorwerfen zu wollen. Man müßte jenen Kritikern endlich einmal zeigen können, wie formal sie selbst noch sind, und daß der Unterschied von „abstrakt“ und „konkret“ nur Richtungen der Betrachtung, jedoch keine Substanzen bedeutet!
(C. A. Emge, Rudolf Stammler zum Gedächtnis; 1938), S. 334
Emges Hinweise auf die Vorfahren Stammlers, die Entsprechung zu einem antiken Griechen und die Schlussfolgerung auf den apollinischen Charakter seines Werkes sind für die zeitgenössischen Leser des Jahres 1938 Ausdruck einer Wertschätzung Stammlers als eines wahrhaft »arischen« Mannes.
Zum Ende des Absatzes 12 greift Emge leicht erkennbar Kritiker Stammlers aus dem Lager des akademischen Nationalsozialismus an. Den „Formalismus“-Vorwurf hatte auch Larenz erhoben (siehe Unterabschnitt 8.1.1.). Der Kontrast „abstrakt-konkret“ weist in die Richtung Carl Schmitts. Schmitt übernahm ihn von Erich Jung (siehe Teil II).
Ich übergehe wieder einige Abätze.
[15] Im Einzelnen hat Stammler die große Tradition fortgesetzt, die an den Namen Kant anknüpft und die ihn auf unserem Gebiet als letzten Kantianer erscheinen läßt.
(C. A. Emge, Rudolf Stammler zum Gedächtnis; 1938), S. 334
Da der Nachruf Emge in der Zeitschrift der AfDR veröffentlicht wurde, bezieht sich Emge mit dem komplexen Ausdruck „unserem Gebiet“ auf das Gebiet der AfDR, das durch die Aufgabenbestimmung in ihrer Satzung festgelegt ist: Die AfDR sollte das nationalsozialistische Programm in enger und dauernder Kooperation mit dem gesetzgebenden Stellen auf dem „Gebiet des Rechts“ verwirklichen.
Da von den achtzehn Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie Stammler die einzige Person war, die man im Frühjahr 1934 als „Neu-Kantianer“ charakterisieren konnte, ist Emges Behauptung, Stammler sei der letzte Kantianer auf „unserem Gebiet“ gewesen, hilfreich, wenn auch nicht überraschend. Wenn es zu Nach- oder Neuberufungen in den Ausschuss für Rechtsphilosophie gekommen ist, dann ist kein Neuling ein Kantianer gewesen.
Diese Herkunft von Kant hat allerdings auch dazu geführt, daß Lehren von Kant erneuert wurden, über die man längst hinaus zu sein glaubte. Es ist insbesondere die alte verhängnisvolle Trennung von „innen“ und „außen“, von „Kern“ und „Schale“, die bei Kant zur Unterscheidung von Legalität und Moralität geführt hatte, welche nun von Stammler wieder erneuert wurde und so, den Tendenzen der Marburger Schule zuwider, eine Aufteilung der Verhaltensweisen ergab, welche in letzter Konsequenz die lebendige Freiheit der Menschen um ihren Sinn bringen muß.
(C. A. Emge, Rudolf Stammler zum Gedächtnis; 1938), S. 334
Bei aller persönlichen Zuneigung, die Emge zu Stammler zu erkennen gibt, diese angeblich letzte Konsequenz des Stammlerschen Kantianismus bezeichnet ein Maximum gegen eine nationalsozialistische Rechtsphilosophie, die ihre Wurzeln in der »Lebensphilosophie« hat.
[16] Von diesem Standpunkt aus gesehen wird man den Einzelheiten der Stammlerschen Lehre stets kritisch gegenüberstehen. Es gibt aber in der rechtsphilosophischen Entwicklung keinen Königsweg. Es hat sich meistens gezeigt, daß derjenige, welcher auf mehr emotionale Art eine eindringlichere Art des Philosophierens versucht, in Wirklichkeit in eine lächerliche Ekstase gerät, vor der ihn das Studium Stammlers hätte bewahren können. Es ist daher für den Rechtsphilosophen nach wie vor notwendig, sich mit der Stammlerschen Haltung zu beschäftigen, allerdings um von hier aus noch einen höheren Standpunkt gewinnen zu können.
(C. A. Emge, Rudolf Stammler zum Gedächtnis; 1938), S. 335
Hier wird ein interessanter Kontrast zu einer Art von Überwinderei deutlich, die das basale Bewegungsmuster der Geschichtsphilosophie des akademischen Nationalsozialismus ist. In Larenz Darstellung etwa ist nicht erkennbar, weshalb sich Spätergeborene noch mit einem bereits Überwundenen befassen sollen. In Emges Darstellung ist das erkennbar.
Wir sind in der heutigen Zeit zu leicht des Glaubens, daß man auch Theorien jeder Zeit in kühnem Sprung erobern könne. Die Weisheit des philosophischen Arztes Paracelsus: „Denn der Tag will nit überhupft sein“ gilt in stärkstem Maße auch für die gesunde Entwicklung des philosophischen Gedankens, für die der Philosoph, der Arzt der Kultur nach Nietzsche, verantwortlich ist.
(C. A. Emge, Rudolf Stammler zum Gedächtnis; 1938), S. 335
Im nächsten Satz nennt Emge den Grund für seine Auffassung von Überwinderei. Wer das Überwundene nicht mehr kennt, wird in einer Welt der Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem zu keiner Welteroberung durch Rechtsphilosophie in der Lage sein, da er sich von den höchsten Höhen, auf denen »der Deutsche« geboren wird, den vielen Lahmen der Geistesgeschichte nicht verständlich machen kann:
Die Welt, die wir rechtsphilosophisch erobern sollen, ist viel komplizierter als die juristisch-euklidische Welt, die Stammler erlebte. Ein Eindringen in diese höheren Kompliziertheiten ist nur dadurch möglich, daß man immer wieder auf dem beschwerlichen Wege der transzendentalen Methode an die Probleme herangeht, ohne dabei die naive Haltung der im Goetheschen Sinne ja stets „unmoralischen“ Aktion einzubüßen. Diese Methode lebt in ihren Erfolgen freilich von „Schau“; auch bleibt sie stets vorläufig, daher ergänzender, bestätigender Methoden bedürftig, die wir erst ahnen können.
(C. A. Emge, Rudolf Stammler zum Gedächtnis; 1938), S. 335
Der nationalsozialistische Rechtsphilosoph, dessen Heimat ein Gipfel ist, muss die Täler und die Ebene auch transzendentalphilosophisch erkunden, ohne dabei die Informationen zu vernachlässigen, die er als geborener Gipfelbewohner »schauen« kann. Das genügt aber nicht, um erfolgreich die Welt zu erobern. Es braucht Zusatzmethoden, die Emge im Mai 1938 nur „erahnen“ kann.
Spätestens unter dem Deckmantel des Zweiten Weltkrieges boten sich den akademischen Nationalsozialisten als ergänzende Methode »Menschenexperimente« an. Am bekanntesten sind heute vermutlich die »Menschenexperimente« von Josef Mengele. Der akademische Lehrer von Mengele war Otmar Freiherr von Verschuer, den Luetgebrune seit 1920 kannte, als er die Marburger Studenten, die in Thüringen Arbeiter erschossen hatten, erfolgreich verteidigte (siehe Unterabschnitt 7.9.4.).
Mit Kant war da nichts zu wollen und nichts zu machen:
II.
Von der Einhelligkeit der Politik mit der Moral
nach dem transscendentalen Begriffe des öffentlichen Rechts.
Diese Fähigkeit der Publicität muß jeder Rechtsanspruch haben, und sie kann also, da es sich ganz leicht beurtheilen läßt, ob sie in einem vorkommenden Falle statt finde, d.i. ob sie sich mit den Grundsätzen des Handelnden vereinigen lasse oder nicht, ein leicht zu brauchendes, a priori in der Vernunft anzutreffendes Kriterium abgeben, im letzteren Fall die Falschheit (Rechtswidrigkeit) des gedachten Anspruchs (praetensio iuris) gleichsam durch ein Experiment der reinen Vernunft sofort zu erkennen.
Nach einer solchen Abstraction von allem Empirischen, was der Begriff des Staats- und Völkerrechts enthält (dergleichen das Bösartige der menschlichen Natur ist, welches den Zwang nothwendig macht), kann man folgenden Satz die transscendentale Formel des öffentlichen Rechts nennen:
»Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publicität verträgt, sind unrecht.«
Kant, Zum ewigen Frieden 1795/96, AA Band VIII, S. 381
Emges Welteroberungswille vom Mai 1938 ist ferner derselbe, den auch Hans Frank in seiner Rede zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie öffentlich gemacht hatte: Er hatte ja »dem deutschen Volk« aufgrund seines »autoritären Empfindens« die »geistige Führerrolle« unter Adolf Hitler »für alle jungen arischen Völker der Welt« zugeschrieben. Was immer zwischen dem Mai 1934 und dem Mai 1938 geschehen sei mag, an dieser Zielbestimmung für die nationalsozialistischen Rechtsphilosophie hat sich nichts verändert.
Zurück zu Emges Nachruf auf Stammler in der ZAfDR vom Mai 1938:
[17] So findet man bei Stammler eine Vereinigung von dreierlei Liebe: einmal der Liebe zu dem Gedanken, der alles andere legitimiert, zu dem Logos — das ist die Liebe zur reinen Wissenschaft, sodann der Liebe zu den lebendigen Gestalten des Rechts, die sich in seiner mustergültigen Sammlung und Darstellung des Rechtslebens bekundet, und schließlich der Liebe zu den anderen, für die er wirkte, welche ihn zu einem so hervorragenden Lehrer und plastischen Darsteller machte.
(C. A. Emge, Rudolf Stammler zum Gedächtnis; 1938), S. 335
Im nächsten und letzten Absatz bezieht sich Emge nun ausdrücklich auf die Gründungssitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie vom 3. Mai 1934. Von dieser Sitzung wird er 1960 behaupten, dass sie zugleich die letzte Sitzung des Ausschusses gewesen sei, da es am Abend im Hotel zu einem derart scharfen Streit zwischen Baron von Uexküll und Alfred Rosenberg gekommen sei, dass Rosenberg dem Ausschuss den Todesstoß versetzte:
[18] Es befriedigt, zu wissen, daß sich Rudolf Stammler nach dem Umbruch sofort und gern zur Verfügung stellte. Es mag ferner als Symbol für geistige Verantwortung gelten, daß Stammler bei der Gründungssitzung des rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht seinerzeit im Nietzsche-Archiv zu Weimar anwesend war und sogleich ein echtes rechtsphilosophisches Gespräch gestalten half. Der Vorsitzende dieses Ausschusses, Reichsminister Dr. Frank, hatte mit der Frage begonnen: „Was ist Recht?“ —●
(C. A. Emge, Rudolf Stammler zum Gedächtnis; 1938), S. 335
Im Unterabschnitt 3.5.9. habe ich den Brief von Stammler an Emge zitiert, der Emges Auskunft bestätigt, dass sich Stammler gerne dem Ausschuss für Rechtsphilosophie zur Verfügung stelle. Irreführend ist die Behauptung Emges, Stammler sei am 3. Mai 1934 „anwesend“ gewesen. Stammler war eines von 18 Gründungsmitgliedern und er war auch anwesend, anders als Helmut Nicolai, Carl Schmitt, Wilhelm Kisch und Hans Naumann (siehe Unterabschnitt 3.2.4.).
Wer 1960 oder später Emges Behauptung von 1938 zur Kenntnis nahm, dass die erste Sitzung zugleich die letzte Sitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sei, und Emges Nachruf auf Stammler vom Mai 1938 kannte, verfügte nicht über genug Informationen, um Emges Lüge zu erkennen.
Wer 1960 oder später Emges Behauptung von 1938 zur Kenntnis nahm, dass eine Welt rechtsphilosophisch erobert werden solle und Kant dabei methodisch nur noch ein Hilfsarbeiter für den gipfelgeborenen Nietzscheaner Emge sein sollte, hatte Anlass zum Misstrauen gegen Emge. Zumal Emges Nachruf auf Stammler ausdrücklich ein Nachruf auf den letzten Kantianer auf „unserem Gebiet“ des Recht gewesen ist.
8.3.2. Das erste Heft der ZAfDR nach Kriegsbeginn vom 1. Oktober 1939
Julius Binder, einer der achtzehn Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, starb wenige Tage bevor „die Deutschen“ den Zweiten Weltkrieg völkerrechtswidrig anfingen. Er starb am 28. August 1939 in Starnberg.
1938 war ein Nachruf von Karl Larenz auf Rudolf Stammler im Zentralorgan des NS-RB Deutsches Recht erschienen. In ihm hatte er behauptet, Julius Binder habe Rudolf Stammler überwunden und er habe Julius Binder überwunden (siehe meinen Unterabschnitt 8.1.1.). Karl Larenz verfasste auch einen Nachruf auf Julius Binder. Dieser erschien in der Zeitschrift der AfDR, und zwar in Heft 18 vom 1. Oktober 1939. Allein schon wegen des Datums ist diese Heft besonders interessant. Es enthält zusätzlich mehrere Informationen von und über Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Ich beginne mit diesen Informationen und stelle dann den Nachruf von Larenz auf Binder vor.
8.3.2.1. Hans Frank ist Generalgouverneur, England trägt die Kriegsschuld, sagen K. Lasch und C. Schmitt, Schmitts Großraumlehre und Emges Aufstieg in der AfDR
Auf der Titelseite des achtzehnten Heftes prangt ein Foto von Hans Frank in Uniform. Verkündet wird:
Reichsminister Reichsleiter Dr. Hans Frank
Präsident der Akademie für Deutsches Recht
ist vom Führer und Oberstem Befehlshaber der Wehrmacht zum Obersten Verwaltungschef beim Oberbefehlshaber Ost für die gesamte Zivilverwaltung in den besetzten ehemals polnischen Gebieten berufen worden.
ZAfDR, Heft 18 vom 1. Oktober 1939, S. 589
Abbildung 53: Foto von Hans Frank in Uniform als Generalgouverneur auf der Titelseite von Heft 18 vom 1. Oktober 1939 der ZAfDR 1939, S. 589
Auf der nächsten Seite beantwortet Dr. jur. Karl Lasch, der Geschäftsführender Direktor der AfDR, die Kriegsschuldfrage. England ist schuldig! Ich zitiere nur den ersten von vier Absätzen.
Die Schuld der englischen Politik
[1] Die englische Politik kann den traurigen Ruhm für sich in Anspruch nehmen, die Vollendung einer friedlichen Revision der Pariser Vorortdiktate von 1919 — und damit die wirkliche Beendigung des Weltkrieges durch Schaffung einer wahrhaften Friedensordnung — in letzter Minute vereitelt zu haben. In ihrer durch nichts berechtigten Sorge um den ungestörten Genuß der gewaltigsten Macht und der ungeheuersten Reichtümer, die jemals in der Welt zusammengeballt worden sind, hat sie die europäischen Völker in einen Krieg gestürzt, von dem man nur eins mit Sicherheit weiß: daß Deutschland in ihm nicht kapitulieren wird.
ZAfDR, Heft 18 vom 1. Oktober 1939, S. 590
Am 1. September 1939 wurde laut Hitler ja nur „zurückgeschossen“, – aber anscheinend nicht auf irgendwelche polnischen Angreifer, die es angeblich gegeben habe, sondern auf englische Angreifer aus dem Jahr 1914. In dieser Auslegung »der Weltgeschichte« durch Karl Lasch gibt es nur einen Weltkrieg, nämlich den Weltkrieg. Das sollte man wissen, wenn man die Diskurse der Rechten verstehen möchte. Nicht Manche von ihnen vertreten noch heute die Meinung, dass »der Weltkrieg« immer noch andauere.
Im selben Heft erschien auch ein völkerrechtlicher Text Carl Schmitts. Carl Schmitt beantworte in ihm die Kriegsschuldfrage etwas allgemeiner als Lasch: Die Siegermächte des Versailler Vertrages seien schuldig. Ich zitiere den Text auszugsweise:
„Inter pacem et bellum nihil medium“[440]
Von Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt, Berlin, Mitglied der Akademie für Deutsches Recht
[1] Vor einigen Monaten, am 26. April 1939, erklärte der englische Ministerpräsident Chamberlain im englischen Unterhaus bei der Einführung der Wehrpflicht: „Wir haben zwar keinen Krieg, wir haben aber auch keinen Frieden.“ Welcher Zustand liegt hier also vor?
(Schmitt, „Inter pacem et bellum nihil medium“; 1939), S. 594
[5] Ob man nun Krieg annimmt, weil kein Frieden ist, oder Frieden, weil kein Krieg ist, in beiden Fällen geht man davon aus, daß die Alternative von Krieg und Frieden restlos und ausschließlich ist und zwischen Krieg und Frieden keinerlei dritte Zwischenmöglichkeit vorliegt. „Inter pacem et bellum nihil est medium.“ Dieser Satz Ciceros aus der 8.. Philippika ist immer wieder als eine Art Dogma zitiert worden. […]
(Schmitt, „Inter pacem et bellum nihil medium“; 1939), S. 595
[8] Erst eine konkrete Betrachtung des Verhältnisses von Krieg und Frieden macht es in vollem Maße erkennbar, was es völkerrechtlich bedeutet hat, daß die alte völkerrechtliche Ordnung[441] durch das Unrecht von Versailles vernichtet worden und keine neue Ordnung an ihre Stelle getreten ist. Die Urheber und Verteidiger des Versailler Systems trifft die ganze Schuld an der Abnormität eines Zwischenzustandes, der gleichzeitig weder Krieg noch Frieden und doch auch sowohl Krieg wie Frieden ist. Eine solche Unordnung geht tiefer, als daß sie durch bloße „Revisionen“ in Ordnung gebracht werden könnte. Versailles und der auf ihm aufgebaute Betrug des Genfer Pazifismus haben den Frieden in eine lügnerische Fiktion verwandelt und damit den fundamentalsten und ersten Begriff jedes Völkerrechts und jeder Ordnung zerstört. Erst wenn dieser Nicht-Friede von Versailles von Grund auf beseitigt ist und einer echten Friedensordnung Platz gemacht hat, ist auch jener unselige Zwischenzustand zwischen Krieg und Frieden überwunden. Das eigentliche Problem ist also nicht das des Kriegsbegriffs, sondern das des echten Friedens.●
(Schmitt, „Inter pacem et bellum nihil medium“; 1939), S. 595
In der Rubrik „Kleine Beiträge“ desselben Heftes wird ausführlich Carl Schmitts Großraumlehre, in ihrer Erstfassung von 1939 besprochen.[442] In einem Hinweis der Redaktion wird behauptet, die Besprechung sei „Mitte August d. J. noch vor Ausbruch der kriegerischen Verwicklungen geschrieben worden“. Der Rezensent ist der Kölner Professor Dr. Hermann Jahrreiß (1894-1992). Ich zitiere auszugsweise:
[2] Eines vor allem ist nämlich [durch die Theorie und Praxis des Völkerrechts in den letzten Jahren; mw] klar geworden: Für uns Heutige jedenfalls bleibt es dabei, daß eine Mehrheit von Raum-Mächten, mögen sie nun jeweils von einem einzelnen und womöglich geschlossenen Volk bestimmt sein oder nicht, die letzten Entscheidungen — zerstörende wie aufbauende — untereinander austrägt. […]
(Jahrreiß 1939), S. 608
[5] Die Schrift [Schmitts; mw] verdient somit zunächst in zwei Punkten Unterstützung:
[6] 1. Gegenüber allen Neigungen, nur das Volk als Grundlage, Ziel und Maß der politischen Macht gelten zu lassen, Neigungen, die unpraktisch am Leben vorbeigehen, insbesondere wichtige Ursachen für die Entstehung der heutigen Völker übersehen, gibt Carl Schmitt dem Raum seinen Rang, ja, für das Neben-, Mit- und Gegeneinander der geschichtlich nun einmal so gewordenen politischen Mächte seinen Vorrang.
(Jahrreiß 1939), S. 609
Was immer mit der Trias aus »Staat«, »Bewegung« und »Volk« seit der Debatte im Jahr 1934 geworden ist, 1939 scheint Carl Schmitt zu einem »Raum«-Primat gekommen zu sein. Ob das tatsächlich so war und welche Gründe Schmitt dafür angab, werde ich Teil III untersuchen. Da in nicht wenigen Aufzählungen der »Substanzwerte« der nationalsozialistischen »Weltanschauung« auch der »Substanzwert« »Boden« genannt wurde, ist das vielleicht weiniger überraschend als man auf den ersten Blick meinen könnte.
Das ist eine Klarstellung, ohne die ein fruchtbringendes Gespräch über die Schicksale gerade der Völker einfach nicht möglich ist. Carl Schmitt spricht sie nicht als erster aus; die Mehrzahl auch der deutschen Völkerrechtler hat den entgegenlaufenden, aus dem Ekel über Versailles und die Nach-Versailler Zeit nur zu gut verständlichen Gedankengang nie sehen können. Die Klarstellung ist nun aber heute, weil einmal solche Neigung spürbar geworden ist, immer wieder erwünscht, in einer Schrift zu dem größten Problem „der wirklichen Weltlage“ aber geradezu unentbehrlich.
[7] 2. Carl Schmitt macht ausgezeichnet klar, wie wenig die bisherige „Völkerrechts“-Ordnung mit der Gleichheit der Almanach-Staaten Ernst gemacht hat. Es ist doch so gewesen, wie ich es anderwärts dargetan habe und wie es sich hier aus Carl Schmitts Buch mühelos zusammenfügt: England betrachtete und betrachtet sich — ganz naiv — als das Subjekt des Völkerrechts, d. h. als den Schöpfer und Garanten dieses Rechtes, der — sakrosankter Hüter der Weltverfassung — selbst nicht Unrecht tun kann. […][8] Mit dem Widerspruch ernsthafter Kritiker muß aus anderen Gründen gerechnet werden. Die möglichen Hauptansatzpunkte drängen sich auf. Doch ist es zu früh zum Widerspruch. Zunächst sind nämlich vom Verfasser Ergänzungen zu erfragen. Er selbst berichtet, daß er 1937 nach seinen Darlegungen zum diskriminierenden Kriegsbegriff auf die Frage seiner Diskussionspartner nach seinem „neuen Völkerrecht“ die Antwort schuldig bleiben mußte. Das vorliegende Buch sei nun die inzwischen möglich gewordene Antwort. Mir scheint, es ist eine ergänzungsbedürftige Antwort. Carl Schmitt sucht „ein konkretes völkerrechtliches Großraum-Prinzip, das erkennbare Abgrenzungen und Maßstäbe in sich enthält“. Das Prinzip ist dabei der „Grundsatz der Nicht-Intervention raumfremder Mächte“. Diejenige Macht, die den betreffenden Großraum unter Ausschluß außenstehender Mächte nach ihrer politischen Idee ordnet, hat nur einen Teil dieses Raumes als Staatsgebiet, und gerade über dem übrigen Teil — sonst wäre es ja nichts Neues! — hängt das Großraum-Interventionsverbot; dieser übrige Teil ist Gebiet eines oder mehrerer Almanach-Staaten, die aber nun eben Völkerrechtssubjekte zweiten Ranges sind. Die ordnende Großmacht führt sie, beherrscht sie aber nicht rechtens. Das Reich lenkt, aber es regiert nicht. Dies alles soll jedoch geordnet sein („neues Völkerrecht“), d. h. in einem gewissen Maß berechenbar, verläßlich. Das setzt offenbar voraus 1. eine Abgrenzung des Großraums (man muß die geführten Staaten kennen, ebenso die raumfremden Mächte), 2. eine Bestimmung dessen, was verbotene Einmischung ist, 3. eine Führungsordnung im Raum.
(Jahrreiß 1939), S. 609
Die Europäische Union in ihrer heutigen Verfassung ist kein Schmittscher Großraum. Sie sollte dazu auch nicht weiter entwickelt werden. Das zu verhindern, ist aber sicherlich nicht die einzige Untiefe, die es zu vermeiden gilt.
[9] Nach Carl Schmitt ist Deutschland das „Reich“ für den mittel- und osteuropäischen Raum. Was alles gehört zu diesem Großraum? Europa ist dabei offenbar verstanden als Klein-Europa (Europa ohne Rußland). […]
(Jahrreiß 1939), S. 609
Die Behauptung, dass »das Deutsche Reich« seinen Großraumanspruch auf „Europa ohne Russland“ (aber mit Großbritannien?) beschränke, war selbstverständlich nur eine Kriegslist. Der Überfall auf Russland war im Oktober 1939 grundsätzlich bereits entschieden.[443] Auch deswegen wurde behauptet, dass Jahrreiß Besprechung im August 1939 verfasst worden sei.
Soweit mein Auszug aus der Besprechung von Jahrreiß über Schmitts Großraumlehre von 1939.
Auf Seite 646 ist der „Amtliche Teil“ der ZAfDR abgedruckt. Den Großteil der Seite nimmt Larenz Nachruf auf Binder ein. Außerdem gibt es zwei kurze Meldungen. Beide Mitteilungen informieren über zwei Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Deswegen zitiere ich sie:
Reichsminister Dr. Frank Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete
Der Führer und Reichskanzler hat Reichsminister Dr. Frank durch Erlaß vom 12. Oktober 1939 (RGBl. I S. 2077) zum Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete bestellt. Der Erlaß tritt mit der Zurückziehung des dem Oberbefehlshaber des Heeres erteilten Auftrages zur Ausübung der Militärverwaltung in Kraft.
Die Arbeit der Akademie für Deutsches Recht
Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Reichsminister Dr. Frank, hat angeordnet, daß in die Arbeit der in der Abteilung für Rechtsgestaltung zusammengefaßten Ausschüsse der Akademie[444] alle Rechtsfragen einbezogen werden, die durch den Ausbruch des Krieges entstanden sind, in erster Linie also die Probleme des Aufbaues und der Organisation der Reichsverteidigung. Der stellv. Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Professor Dr. C. A. Emge, Berlin, den Reichsminister Dr. Frank für die Dauer seiner Tätigkeit als Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete mit seiner Vertretung als Präsident der Akademie betraut hat, wird im nächsten Heft unserer Zeitschrift einen umfassenden Bericht über den gegenwärtigen Stand und die geplante Ausgestaltung der Akademiearbeiten veröffentlichen.
ZAfDR, Heft 18 vom 1. Oktober 1939, S. 646
Im nächsten Heft erschien tatsächlich dieser Bericht Emges. Ich zitiere den Bericht nur auszugsweise, und zwar so, dass ich einen Überblick über den Gesamtbericht biete und nur einige wenige Informationen vollständig präsentiere. Die vollständig präsentierten Informationen hängen mit dem Ausschuss für Rechtsphilosophie oder der AfDR als solcher zusammen:
Die rechtspolitische Arbeit der Akademie für Deutsches Recht im Kriege
Von Professor Dr. Carl August Enge, Berlin, Stellv. Präsident der Akademie für Deutsches Recht
[1] Das Recht ist die Wehr eines Staates, nach innen und damit die Wurzel seiner Kraft nach außen. In dieser Erkenntnis hat der Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Reichsminister Dr. Hans Frank, den Befehl gegeben, die Arbeit der Akademie am deutsche Recht nicht nur fortzusetzen, sondern ihren Kreis auch noch um die durch den Krieg gestellten Rechtsaufgaben zu erweitern. Der Krieg hat den Willen zur Rechtsreform nicht gebrochen. Davon zeugen an erster Stelle die Bemühungen um die Schaffung eines deutschen Volksgesetzbuches, das nach dem Willen des Präsidenten der Akademie so bald wie möglich an die Stelle des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1896 treten soll.
[2] I. Wichtige Vorarbeiten für das Volksgesetzbuch haben die auf dem Gebiet des volksgenössischen Rechts bestehenden Ausschüsse bereits geleistet.
[…][6] […] │S. 662 […][…][8] II. 1. Im Zusammenhang mit den Arbeiten am Volksgesetzbuch steht auch die Tätigkeit des Ausschusses für bürgerliche Rechtspflege (Vors.: MinDirektor Dr. Volkmar, Berlin). […][…][11] III. Auch die Arbeiten an der Erneuerung des Handelsrechtes bedürfen an dieser Stelle der Erwähnung.[…][25] IV. Zu einem gewissen Abschluß können auch die Arbeiten auf dem Gebiet des Jugendstrafrechts (Vors. Prof. Dr. Schaffstein, Kiel) gebracht werden. […]│ S. 664 […][…][27] V. Die grundsätzlichen Fragen, mit denen sich die Akademieausschüsse auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts beschäftigt haben, mußten gegenüber den politischen Ereignissen der letzten Zeit selbstverständlich in den Hintergrund treten. Der systematische Aufbau der Verwaltung, die Schaffung einer einheitl. Verfahrensordnung, die Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Kreisordnung – alle diese Probleme sind mit Rücksicht auf die politischen Ereignisse zurückgestellt worden. Trotzdem haben die öffentl.-rechtl. Ausschüsse auf einer Reihe von Spezialgebieten ihre Arbeiten fortgesetzt und bemerkenswerte Ergebnisse erzielt.
[…][29] Auf dem Gebiete des Polizeirechts (Vors.: MinDirig. Dr. Best, Berlin) steht die Schaffung einer deutschen Polizeiordnung weiterhin im Vordergrund. Der Ausschuss ist hier zu einem vorläufigen Abschluß gekommen und hat einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet.
[…][32] VI. 1. Der Ausschuss für Kolonialrecht (Vors.: Prof. Dr. Frhr. v. Freytagh-Loringhoven, Breslau) hat es übernommen, als eine Zentralstelle im Reich die mit dem Kolonialleben zusammenhängenden Rechtsfragen zu prüfen und dabei besonders fruchtbare Ergebnisse erzielt. Nachdem in einer Reihe von grundlegenden Referaten und Veröffentlichungen der Ausgangspunkt für ein zukünftiges deutsches Kolonialrecht festgelegt war, ist der Ausschuss in sieben Arbeitsgemeinschaften gegliedert worden, die in den letzten Monaten vor dem Ausbruch des Krieges ihre Arbeiten zum großen Teil abschließen konnten. Das Ergebnis der Arbeiten soll in einem Sammelband demnächst veröffentlicht werden.[33] 2. Der Ausschuss für Nationalitätenrecht (Vors.: SS-Oberführer Dr. Behrends) hat das Minderheitenrecht erörtert und den deutschen Standpunkt zu den Fragen des europäischen Minderheitenrechts herausgearbeitet. Die politischen Ereignisse haben den Ausschuss vor neue Aufgaben gestellt. Der Ausschuss wird darangehen, das vom Führer gewiesene und in seinen Anfängen bereits in Erscheinung tretende Nationalitätenrecht zu erforschen und zu bearbeiten.
[34] 3. Auch der Ausschuss für Völkerrecht (Vors.: Prof. Dr. Bruns, Berlin), der bereits in der Vergangenheit zu allen großen Ereignissen der Politik Stellung genommen hat, wird in der nächsten Zeit Gelegenheit haben, die mit der Kriegsführung der Feindmächte zusammenhängenden völkerrechtl. Fragen in einer Denkschrift zu behandeln.[445]
[35] VII. Die Kriegsereignisse haben auch in organisatorischer Beziehung Veränderungen in der Akademie für deutsches Recht mit sich gebracht. Mit seinem Amtsantritt als Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete hat der Präsident der Akademie, Reichsminister Dr. Frank, dem stellv. Präsidenten [Emge; mw] durch Erteilung einer Generalvollmacht die Leitung der Akademie übertragen. Die Notwendigkeit, die in der Abteilung für Rechtsforschung geleisteten Arbeiten möglichst zentralisiert zu gestalten, ließ die Zusammenlegung der Ämter des Klassenobmanns und des Klassensekretärs angebracht erscheinen. Klasse I wird nunmehr von Prof. Dr. Heymann, Berlin, Klasse II von Prof. Dr. Graf Gleispach, Berlin, und Klasse III von Prof. Dr. Hueck, München betreut.
[36] Viele neue Aufgaben hat der Krieg den deutschen Rechtswahrern gestellt. Sie positiv zu lösen, ist ihr Ehrgeiz. Mit besonderer Genugtuung erfüllt es deshalb die Akademie für Deutsches Recht, daß Reichsminister Dr. Frank sie bereits mit der Bearbeitung vordringlicher Rechtsfragen der Neugestaltung des Ostraums betraut hat. Aber die Akademie wird daneben die Fortführung der von ihr schon vor Kriegsausbruch begonnenen rechtspolitischen und rechtswissenschaftlichen Arbeiten nicht vernachlässigen. Beide Abteilungen (einschl. der oben nicht ausdrücklich erwähnten Ausschüsse) setzen grundsätzlich ihre Reformarbeit fort – zum Segen der deutschen Rechtserneuerung.●
(C. A. Emge, Die rechtspolitische Arbeit der Akademie für Deutsches Recht im Kriege; 1939)
Mit Beginn des Krieges ist die Hebamme des Ausschusses für Rechtsphilosophie, der stellvertretende Vorsitzenden dieses Ausschuss und der stellvertretende Präsident von Hans Frank „durch Generalvollmacht“ zu Leiter der AfDR im Krieg gemacht worden. Auch habe der Reichsminister Dr. Frank die AfDR bereits „mit der Bearbeitung vordringlicher Rechtsfragen der Neugestaltung des Ostraums betraut“. In meinem Unterabschnitt 6.2.4. habe ich wiedergegeben, was Gerald D. Feldmann über die »Neugestaltung des Ostraums« durch Wilhelm Kisch und Wilhelm Arendts berichtet hat.
8.3.2.2. Karl Larenz: Nachruf auf Julius Binder (ZAfDR, 1. Oktober 1939)
Nun zu Larenz Nachruf auf Binder:
Julius Binder †
[1] Mit Julius Binder verliert die deutsche Rechtswissenschaft einen ihrer bedeutendsten Vertreter und zugleich eine Persönlichkeit von stärkster Eigenprägung. Ein leidenschaftlicher, unbedingter Wille zur Erkenntnis der Wahrheit — nicht dieser oder jener Einzelheit, sondern der einen, ganzen und umfassenden Wahrheit schlechthin — und zugleich zur Gerechtigkeit — nicht als einem blassen, abstrakten „Maßstab“ , sondern als dem lebendigen, schöpferischen Gesetz einer echten Volksgemeinschaft — war die Seele seines Tuns und Schaffens. Wurde er durch den ersten zum Philosophen, so durch den zweiten zu einem Rechtswahrer im tiefsten Sinne. Beides war ihm eins, und darum war er beides ganz; die Gerechtigkeit erschien ihm etwa im Sinne Platons als die im Gemeinschaftsleben verwirklichte Wahrheit und die Wahrheit als das lebendige Prinzip echter Staatskunst und Gesetzgebung. Das meinte er, wenn er die Einheit von „Rechtsidee“ und „Staatsidee“, von „Recht“ und „Macht“ oder auch von „Staatsidee“ und „Sittlichkeit“ zu einer Zeit betonte, da der angebliche Gegensatz von Recht und Politik, Gerechtigkeit und politischer Zweckmäßigkeit zu den beliebtesten Schlagwörtern einer dem Liberalismus verfallenen Wissenschaft gehörte.
(Larenz, Julius Binder † 1939), S. 646
Im Unterschied zum Tonfall, den Larenz in seinem Nachruf auf Stammler gewählt hat, zollt Larenz in diesem Nachruf dem Gestorbenen Respekt. Ich vermute, er ist von einem älteren Rechtsphilosophen wegen seines Nachrufes auf Stammler angepfiffen worden und wurde dann verpflichtet, einen respektvollen Nachruf auf Julius Binder zu verfassen.
[2] Wer das Lebenswerk J. Binders nur von außen betrachtet, könnte meinen, es „zerfalle“ in drei ganz verschiedene Bestandteile: einen rechtshistorischen1), einen rechtssystematischen und ‑dogmatischen2) und einen rechts- und staatsphilosophisclien3). Richtig an dieser Unterscheidung ist, daß sich Binder immer stärker vom Rechtshistoriker und „bloßen“ Rechtsdogmatiker zum Rechtsphilosophen entwickelt hat, so daß das letzte Jahrzehnt seines Lebens fast ausschließlich der Rechtsphilosophie gehörte. Aber diese Unterscheidung der drei Sachgebiete will aus der Einheit der Persönlichkeit und daher im Sinne der von Binder erneuerten Hegelschen Philosophie als eine „Einheit im Unterschiede“ verstanden werden.
(Larenz, Julius Binder † 1939), S. 646
Ist die Beschreibung sachlich korrekt, war Julius Binder einer der Neu-»Hegelianer«, die als solche in den Ausschuss für Rechtsphilosophie berufen worden sind.
Gerade als Rechtshistoriker, dem es nicht so sehr um die Herstellung einzelner Textstellen oder um antiquarischen Wissensstoff, als um die tragenden Kräfte und politischen Zusammenhänge der Geschichte ging (in seiner Vorlesung über römische Rechtsgeschichte, die er stets von der Staats- und Verfassungsgeschichte her aufbaute, kam das zu packendem Ausdruck),und ebenso gerade als Rechtssystematiker, dem es nicht um eine äußere und formale Ordnung, sondern immer um die bestimmenden Prinzipien und leitenden Grundgedanken der Rechtsordnung zu tun war, wurde er zum Rechtsphilosophen. Als solcher bewahrte er der Rechtsgeschichte und der Arbeit am geltenden Recht nicht nur seine teilnehmende Aufmerksamkeit — davon legen noch seine letzten Aufsätze, z. B. seine Bemerkungen zum Erbrechtsentwurf der Akademie für Deutsches Recht in der Zeitschrift „Deutsche Rechtswissenschaft“ Zeugnis ab —, sondern blieb er auch unablässig um die Methoden, um die geistigen Grundlagen und Voraussetzungen der geschichtlichen wie der rechtswissenschaftlichen Forschungsarbeit bemüht. Der Tod rief ihn mitten aus der Arbeit an seiner „Wissenschaftslehre“ des Rechtes, einem groß angelegten methodischen Werke, ab, mit dem und an dem in den letzten Monaten seines Lebens ein neuer Aufschwung seiner Schaffenskraft eingesetzt hatte, dem nun die Erfüllung versagt geblieben ist.
1) Hauptwerke: Die Correalobligationen im römischen und heutigen Recht, 1899; Die Plebs, 1909.
2) Hauptwerke: Die Rechtsstellung des Erben, 1901— 1904; Prozeß und Recht. 1927; Erbrecht, 2. Aufl. 1930.
3) Hauptwerke; Rechtsbegriff und Rechtsidee, 1915; Philosophie des Rechts, 1925; Grundlegung zur Rechtsphilosophie, 1935; System der Rechtsphilosophie, 1937; Von seinen zahlreichen kleineren Schriften seien hier nur genannt: Recht und Macht, 1921; Die Gerechtigkeit als Lebensprinzip des Staates, 1926; Staatsraison und Sittlichkeit, 1929; Der deutsche Volksstaat, 1934.
[2] Eines vor allem ist nämlich [durch die Theorie und Praxis des Völkerrechts in den letzten Jahren; mw] klar geworden: Für uns Heutige jedenfalls bleibt es dabei, daß eine Mehrheit von Raum-Mächten, mögen sie nun jeweils von einem einzelnen und womöglich geschlossenen Volk bestimmt sein oder nicht, die letzten Entscheidungen — zerstörende wie aufbauende — untereinander austrägt. […]
(Larenz, Julius Binder † 1939), S. 646
Spätestens im nächsten Absatz wird überdeutlich, dass Karl Larenz in der Zwischenzeit „Kreide gefressen“ hat:
[3] Was J. Binder speziell für die Rechtsphilosophie geleistet und bedeutet hat, kann in diesem Rahmen nicht wirklich gewürdigt werden4). Von ihm ist jenes neue und vertiefte Bemühen um das Verständnis der Philosophie Hegels ausgegangen, dessen Bedeutung heute noch gar nicht abzuschätzen ist. Denn Hegel hat uns Heutigen, und den Rechtswahrern zumal, unendlich vieles zu sagen, vielleicht noch mehr, als selbst Binder aus ihm herausgeholt hat, wenn wir nur erst endlich einmal die törichten Verzerrungen des liberalen Hegelbildes des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts endgültig überwunden und auch jene viel zu enge Deutung Hegels als des „preußischen Staatsphilosophen“ hinter uns gelassen haben. Von jenem durch Binder eingeleiteten neuen und echten Verständnis der Hegelschen Philosophie sind tief greifende Wirkungen auf die deutsche Rechtswissenschaft und ihre Arbeit an der Rechtserneuerung bereits ausgegangen5).
4) Eine Würdigung J. Binders als Rechts- und Staatsphilosophen veröffentliche ich demnächst in der Zeitschrift für Deutsche Kulturphilosophie.[446]
5) Hiervon gibt ein gutes Bild die Schrift des ehemaligen bulgarischen Justizministers L. Dikow, eines Schülers und Freundes von Binder, Über „Die Erneuerung des deutschen bürgerlichen Rechts“ (1937).
(Larenz, Julius Binder † 1939), S. 646
Dass Larenz Kreide gefressen hat, war fürs Erreichen des Kriegszieles eines europäischen Großraums unter Führung des Deutschen Reiches als seiner Hegemonialmacht strategisch sehr hilfreich: Konnten die akademischen Nationalsozialisten den Eindruck erwecken, sie stünden in der Tradition von Platon, Aristotle und Hegel, konnten sie die Eliten anderer europäischer Staaten vielleicht in den Glauben versetzten, im Bündnis mit dem Deutschen Reich den Erhalt oder die Wiedereinsetzung von konstitutionellen Monarchien zu bewirken. Und da Kant nicht erwähnt wird, konnten akademische Eliten anderer Staaten den Anti-Republikanismus und Anti-Parlamentarismus der akademischen Nationalsozialisten problemlos erkennen.
[4] Selten sind bei einem akademischen Lehrer Leben und Lehre so sehr eins gewesen wie bei J. Binder. Er forderte mit Hegel, die „Anstrengung des Begriffs“ auf sich zu nehmen, und wurde selbst nicht müde, dieser Forderung zu genügen. Seinen zahlreichen Schülern war er nicht nur ein Lehrer in des Wortes bester Bedeutung, sondern zugleich ein treuer Freund, auf dessen Teilnahme und Unterstützung sie in allen möglichen Lagen des Lebens rechnen konnten. Für ihm ferner liegende Gedanken erschloß er sich freilich nicht leicht. Dagegen war es ihm innerstes Bedürfnis, seine eigenen Gedanken im wissenschaftlichen Gespräch mit seinen Schülern und in der gemeinsamen Lektüre und Erörterung eines philosophischen Textes zu klären und Einwänden standzuhalten. Er brauchte auch in seiner wissenschaftlichen Arbeit die Gemeinschaft und wirkte gemeinschaftsbildend durch seine Persönlichkeit.
[5] J. Binder war aus innerster Überzeugung deutscher Nationalist. Dies hinderte ihn freilich nicht, sondern veranlaßte ihn vielmehr, das Selbstgefühl anderer Nationen zu achten. Als 45-jähriger meldete er sich freiwillig zur Teilnahme am Weltkrieg. Nach dem Kriege zog er das Mißfallen demokratischer Machthaber durch seinen Kampf gegen das Versailler Diktat (z. B. in der Rede: „Der 28. Juni u. die Kriegsschuldfrage“[447]) und seine tief dringende Kritik der parlamentarischen Demokratie (z. B. in der Schrift über „Führerauslese in der Demokratie“[448]) auf sich. Der Bewegung unseres Führers hat er aufrichtig gedient und an den großen Ereignissen der letzten Jahre leidenschaftlichen Anteil genommen.
(Larenz, Julius Binder † 1939), S. 646
Nach Lektüre meines Teils II wird erkennbar sein, dass Julius Binder als „deutscher Nationalist“ mit diesen Schriften auf einer Wellenlänge mit Erich Jung, dem Nestor des Ausschusses für Rechtsphilosophie funkte.
[6] An äußeren Dingen ist noch zu erwähnen: Binder lebte nach seiner Emeritierung im letzten Jahre in Gauting bei München. Hier ist er am 28. August 1939 im siebzigsten Lebensjahre an den Folgen einer Operation verstorben. Er war Ehrendoktor der Universitäten Erlangen und Sofia (Bulgarien) und Mitglied der Akademie für Deutsches Recht sowie der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften.
Professor Dr. Karl Larenz, Kiel, z. Z. Leipzig●
(Larenz, Julius Binder † 1939), S. 646
8.3.3 Exkurs: Der Angriff von Papst Pius XI. auf Hans Franks utilitaristischem Rechtsgrundsatz und Hans Franks Reaktion
Im Unterabschnitt 6.2.14 hatte ich Falk Ruttkes Vortrag von 1940 im Ausschuss für Bevölkerungspolitik vorgestellt, weil er behauptete, dass man mit Stammler Rechtsphilosophische keine nationalsozialistische »Bevölkerungspolitik« betreiben könne. Man könne das aber mit Hans Franks und Carl August Emges Rechtsphilosophie tun. Ich zitiere erneut diese Behauptung:
[5] […] Es wird versucht, das Rassenrecht im wesentlichen als Recht der Rassenscheidung dem öffentlichen Recht einzugliedern, ohne den Arbeitsansatz zu verändern. Der Unterschied jedoch in der Rechtswissenschaft zwischen | S. 246 Vergangenheit und Gegenwart wird besonders deutlich, sobald ich folgende Gegenüberstellung vornehme: Der Rechtsphilosoph Rudolf Stammler lehrt: „Recht ist selbstherrlich, unverletzbar verbindendes Wollen.“ Reichsminister Frank [Frank, Hans: „Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung“, 2. Aufl., 1935, S. 4]: „Alles, was dem Volke nützt, ist Recht und alles, was ihm schadet, ist Unrecht.“ Aus dieser Gegenüberstellung ist erkennbar, daß der Nationalsozialismus als Weltanschauung auch von der Rechtswissenschaft eine Wertung verlangt. Emge bemerkt einmal [Emge, C. A.: „Ein Rechtsphilosoph wandert durch die alte Rechtsphilosophie“, Beiheft 31 für Mitglieder der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie 1936, S. 115 „Bei der Rasse haben wir es mit einem Element der Geschichte zu tun, mit dessen Begriff sich rein natürliche, psychische, geistige, deterministische und indeterministische Momente verbinden. Es war sicher ein Fehler, die Rasse zu übersehen. Unter dem Gesichtspunkt des Aktuellen ist es zu begrüßen, daß die Rasse in den Vordergrund der Betrachtung gerückt wird. Beziehungen zu ihr lassen sich überall auch beim Recht nachweisen.“ Zur Frage der Untersuchung der Beziehungen von „Rasse und Recht“ bemerkt Emge in einer Fußnote der gleichen Arbeit noch folgendes: „Sie müßten unter klarer Fragestellung wissenschaftlich solid in Angriff genommen werden.“ Gerade um dieser auch von Emge mit Recht geforderten Gründlichkeit willen muß ich, ehe ich den Archivplan erörtere, mich zunächst mit dem Begriff „Bevölkerungspolitik“ befassen, weil es für den Nationalsozialismus eine beziehungslose, d.h. von Rassengedanken losgelöste Bevölkerungspolitik nicht geben kann.
(Ruttke 1940), S. 245
Durch Fettdruck habe ich die Partie markiert, die als Ausgangspunkt dieses Exkurses taugt. Die Bestimmung des Bezugspunktes „[Frank, Hans: „Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung“, 2. Aufl., 1935, S. 4]“, die der Herausgeber Werner Schubert vorgenommen hat, ist korrekt. Mit anderer Seitenzählung ist derselbe „Grundsatz“ von Hans Frank bereits in der Erstauflage verkündet worden.
Genau diesen Grundsatz Hans Franks griff Papst Pius XI. in seiner Enzyklika „Mit brennender Sorge …“ vom 14. März 1937 an. Hans Frank reagierte am 1. Januar 1938 auf die Enzyklika durch Veröffentlichung seines Textes „Die Aufgabe des Rechts“. Papst Pius XI. hatte als Autoritäten Paulus und Cicero angeführt. Hans Frank führte Platon, Aristoteles und Hegel als Gegenautoritäten an.
Ich stelle diesen Streit zwischen Hans Frank und Papst Pius XI. hier vor, da so leicht erkennbar wird, weshalb nun plötzlich akademische Nationalsozialisten von einer »Hegel-Renaissance« sprachen. Dass die akademischen Nationalsozialisten den Anschein erwecken wollten, sie würden eine »Hegel-Renaissance« betreiben, ist am krassen Unterschied zwischen Larenz Nachruf auf Stammler (1938) und Larenz Nachruf auf Binder (1939) leicht erkennbar: 1938 hatte Larenz noch stolz verkündet, er habe den Neu-Hegelianer Binder überwunden, der den Neu-Kantianer Stammler überwunden habe. 1939 behauptet Larenz, dass eine begrüßenswerte »Hegel-Renaissance« bevorstünde, die der deutsche Rechtsphilosoph Julius Binder – zusammen mit seinem Schüler und Freund Ljuben A. Dikov, der noch dazu ein ehemaliger Justizminister Bulgarien war – begonnen habe.[449]
Ich zitiere zunächst Hans Franks Nennung seines Rechtsgrundsatzes, den Papst Pius XI. angegriffen hat:
Einleitung
Grundsätze das nationalsozialistischen Rechtsdenkens und Rechtswollens
[…]
I.
[1] Unsere Aufgabe ist es, diese Ideen in Beziehung zur Wirklichkeit des deutschen Volkslebens zubringen. Als Grundlage und Richtlinie für diesen Aufbau gilt Punkt 19 des Programms der NSDAP, der folgende These aufstellt:
[2] Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemeinrecht.
[…] │ S. XIV […][8] Der Nationalsozialismus geht demgegenüber davon aus, daß es kein Recht gibt um des Rechtes wegen, sondern ein Recht um des Volkes wegen. Diese reine Zweckmäßigkeitserwägung des Nationalsozialismus ist nicht materialistisch, sondern im letzten und wahrsten Sinne idealistisch.
[9] Im Mittelpunkt des liberalistischen Rechtsdenkens stand das Individuum – im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Rechtspolitik steht die Gesamtheit. Der Autoritätsgedanke des Staates hat allen Sonderbestrebungen vorzugehen. Die Rechtsordnung darf nicht mißbraucht werden zum Schaden der Volksgemeinschaft. Niemand darf imstande sein, etwas, das das Gesamtvolk schädigt, im Wege der Rechtsanwendung durchzusetzen. Der Verbrecher kann und darf das Strafgesetzbuch nicht als magna charta libertatum für sich betrachten, sondern das Strafgesetzbuch ist im nationalsozialistischen Rechtsstaat die klare, scharfe Reaktion der gesunden Volksgemeinschaft auf die schädlichen und verbrecherischen Anschläge des Untermenschentums.
[10] So erblickt die nationalsozialistische Rechtspolitik ihre wesentliche Aufgabe darin, daß das Recht allein dem deutschen Volke dienstbar gemacht wird. Ich habe im Jahr 1926 zum erstenmal bei einem Vortrag vor Juristen im Union-Saal in München diesen Gedanken zum Ausdruck gebracht und ihn wiederholt im Reichstag, indem ich ihm folgende Formulierung gab:
[11] Alles, was dem Volke nützt, ist Recht, alles, was ihm schadet, ist Unrecht.
[12] Aus diesem Grundsatz ergibt sich ohne weiteres folgender Schluß: Der Nutzen, den das Volk aus der Rechtsanwendung haben soll, überträgt sich auf seine Substanzwerte. Denn der Begriff des Volkes umfasst dessen innere Werte. Das Recht hat also nicht die Aufgabe, Formalwerte zu schützen, wie etwa den Staat als │ S. XV solchen oder den Staatsmechanismus, sondern der Schutz muß sich auf die Substanzwerte erstrecken.
(H. Frank, Grundsätze das nationalsozialistischen Rechtsdenkens und Rechtswollens; 1935), S. XIII-XV
Ich zitiere nun aus der Enzyklika von Papst Pius XI, die am 14. März 1937 veröffentlicht worden ist. Ihr vollständiger Titel lautet: „Mit brennender Sorge“. An die Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands und die anderen Oberhirten, die in Frieden und Gemeinschaft mit dem apostolischen Stuhl leben, über die Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich“. Der Vatikan stellt sie inzwischen online zur Verfügung.[450]
Der Angriff auf Hans Franks Rechtsgrundsatz erfolgt im Abschnitt „Anerkennung des Naturrechts“ der Enzyklika. Dieser Abschnitt besteh aus den Absätzen 35 bis 38 einschließlich. Ich zitiere den Absatz 35 vollständig:
Anerkennung des Naturrechts
35. Im verhängnisvollen Zug der Zeit liegt es, wie die Sittenlehre, so auch die Grundlagen des Rechtslebens und der Rechtspflege vom wahren Gottesglauben und von den geoffenbarten Gottesgeboten mehr und mehr abzulösen. Wir denken hier besonders an das sogenannte Naturrecht, das vom Finger des Schöpfers selbst in die Tafeln des Menschenherzens geschrieben wurde (Röm. 2, 14-15) und von der gesunden, durch Sünde und Leidenschaft nicht verblendeten Vernunft von diesen Tafeln abgelesen werden kann. An den Geboten dieses Naturrechts kann jedes positive Recht, von welchem Gesetzgeber es auch kommen mag, auf seinen sittlichen Gehalt, damit auf seine sittliche Befehlsmacht und Gewissensverpflichtung nachgeprüft werden. Menschliche Gesetze, die mit dem Naturrecht in unlösbarem Widerspruch stehen, kranken an einem Geburtsfehler, den kein Zwangsmittel, keine äußere Machtentfaltung sanieren kann. Mit diesem Maßstab muß auch der Grundsatz: „Recht ist, was dem Volke nützt“ , gemessen werden, wenn man unterstellt, daß sittlich Unerlaubtes nie dem wahren Wohle des Volkes zu dienen vermag. Indes hat schon das alte Heidentum erkannt, daß der Satz, um völlig richtig zu sein, eigentlich umgekehrt werden und lauten muß: „Nie ist etwas nützlich, wenn es nicht gleichzeitig sittlich gut ist. Und nicht weil nützlich, ist es sittlich gut, sondern weil sittlich gut, ist es auch nützlich.“ (Cicero, de officiis 3, 30)
Als Autoritäten für die päpstliche Verteidigung des Naturrechts verweist Papst Pius XI. auf Paulus und Cicero. Deutsche Rassisten wird das kaum beeindruckt haben.
Von dieser Sittenregel losgelöst, würde jener Grundsatz im zwischenstaatlichen Leben den ewigen Kriegszustand zwischen den verschiedenen Nationen bedeuten . Im innerstaatlichen Leben verkennt er, Nützlichkeits- und Rechtserwägungen miteinander verquickend, die grundlegende Tatsache, daß der Mensch als Persönlichkeit gottgegebene Rechte besitzt, die jedem auf ihre Leugnung, Aufhebung oder Brachlegung abzielenden Eingriff vonseiten der Gemeinschaft entzogen bleiben müssen.
Hätte Papst Pius gewusst, dass Hans Frank und andere akademischen Nationalsozialisten öffentlich bekannt gegeben haben, dass sie zur »arischen« Konfession eines Glaubens an den »ewigen deutschen Gott« gewechselt sind, hätte er das vermutlich zitiert. Hätte er das getan, wäre seine Enzyklika wirkmächtiger gewesen, vermute ich.
Die Mißachtung dieser Wahrheit übersieht, daß das wahre Gemeinwohl letztlich bestimmt und erkannt wird aus der Natur des Menschen mit ihrem harmonischen Ausgleich zwischen persönlichem Recht und sozialer Bindung, sowie aus dem durch die gleiche Menschennatur bestimmten Zweck der Gemeinschaft.
Hier wäre die Enzyklika wirkmächtiger gewesen, hätte Papst Pius XI. ergänzend mitgeteilt, dass nicht wenige akademische Nationalsozialisten einen Adelsrassismus vertraten. Die gläubigen Katholiken Europas hätten dann gewusst, dass sie aufgrund mehrerer Eigenschaften von den Nazis angegriffen werden konnten.
Die Gemeinschaft ist vom Schöpfer gewollt als Mittel zur vollen Entfaltung der individuellen und sozialen Anlagen, die der Einzelmensch, gebend und nehmend, zu seinem und aller anderen Wohl auszuwerten hat. Auch jene umfassenderen und höheren Werte, die nicht vom Einzelnen, sondern nur von der Gemeinschaft verwirklicht werden können, sind vom Schöpfer letzten Endes des Menschen halber gewollt, zu seiner natürlichen und übernatürlichen Entfaltung und Vollendung. Ein Abweichen von dieser Ordnung rüttelt an den Tragpfeilern, auf denen die Gemeinschaft ruht, und gefährdet damit Ruhe, Sicherheit, ja Bestand der Gemeinschaft selbst.
Die Verhältnisbestimmung von Gemeinschaft und Individuum ist erfreulich eindeutig gegen das nationalsozialistische Dogma „Du bist nichts, Dein Volk ist alles!“ Im Bereich der »negativen Bevölkerungspolitik auf Reichsterritorium« hat die Enzyklika ja auch ein wenig Wirkung entfaltet.
Am 1. Januar 1938 reagierte Hans Frank öffentlich auf diesen Abschnitt übers Naturrecht der Enzyklika „Mit brennender Sorge“. Als Gegenautoritäten führte er Platon, Aristoteles[451] und Hegel ins Feld. Dass Hegel als Autorität benutzt wird, mag ein wenig überraschend sein. Da aber auch der Neu-»Hegelianismus« im Ausschuss für Rechtsphilosophie vertreten war, gab’s selbstverständlich im Umkreis Hans Frank die erforderliche Lesebekanntheit mit Hegel, um etwas zu inszenieren.
Die akademischen Nationalsozialisten wussten seit November 1936, dass Papst Pius XI. eine Enzyklika gegen sie plante.[452] Ich vermute deshalb, dass im Ausschuss für Rechtsphilosophie noch vor Erscheinen der Enzyklika überlegt worden ist, ob, wie und welche »Führer der Bewegung« reagieren sollte. Ich mir sehr sicher, dass folgende Absätze, die Hans Frank öffentlich zugeschrieben wurden, ein Arbeitsergebnis des Ausschusses für Rechtsphilosophie sind.
Die Aufgabe des Rechts
Ein Rückblick auf das Jahr 1937
Von Reichsminister Dr. Hans Frank. Präsident der Akademie für Deutsches Recht
[…]
| S. 4
[5] So ist die nationalsozialistische Revolution von Anfang an auch eine Revolution des Rechts gewesen. Es ist uns gelungen, dem Recht wieder einen neuen lebendigen Inhalt zu geben. Für alle Zeiten überwunden haben wir die von den besten Köpfen der deutschen Vergangenheit stets beklagte und bekämpfte Vorstellung, als sei das Recht ein blasses, abgezogenes Normensystem, das wie eine Wolke des „reinen Sollens“ über dem Leben des Alltags schwebt. Überwunden aber haben wir auch die ebenso falsche Vorstellung, daß das Recht nichts anderes als ein Produkt des Klassenkampfes, des Wirtschaftskampfes, des bloßen Interessenausgleichs sei . Nicht die Interessen bestimmen das Recht, sondern das Recht bewertet die Interessen! Ja, wir gehen noch weiter und stellen fest, daß es in der Einheit der deutschen Volksgemeinschaft überhaupt keine konträren Interessen mehr gibt oder jemals geben darf. Das Recht aber ist für uns nichts anderes als die lebendige Ordnung dieser lebendigen Volksgemeinschaft, und es umfaßt ebensowohl die geschichtliche Idee, nach der das deutsche Volk angetreten ist, als auch den letzten Vollzug des letzten Rechtsaktes im privaten oder öffentlichen Leben des Alltags. Indem wir die fünf Substanzwerte des deutschen Volkes — Volk, Staat, Wehrkraft, Ehre, Arbeit — zu dem Mittelpunkt gemacht haben, um den alles rechtliche Denken kreist, haben wir keineswegs das Recht als solches aus der Sphäre der Sittlichkeit gerückt. Es gibt kein echtes Recht, es gibt keine wahre Sittlichkeit, die nicht im Dienst des Lebens stehen [so im Original; mw]!
(H. Frank, Die Aufgabe des Rechts 1938), S. 3 f.
Von der Liste der neun Substanzwerte aus der Rede von Hans Frank zur Konstituierung des Ausschusses für Rechtsphilosophie (Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus) ist der dominierende Substanzwert „Rasse“ zumindest sprachlich verschwunden. Wie soeben zitiert, war auch 1935 war „Rasse“ noch einer von sieben Substanzwerten, wenn auch nicht mehr auf Platz 1:
[14] Solche Substanzwerte der Nation sind:
1. Der Staat
2. Die Rasse
3. Der Boden
4. Die Arbeit
5. Die Ehre
6. Die kulturell-geistigen Werte
7. Die Wehrkraft
(H. Frank, Grundsätze das nationalsozialistischen Rechtsdenkens und Rechtswollens; 1935), S. XV
Im nächsten Absatz reagiert nun Hans Frank der Sache nach auf den Angriff durch Papst Pius XI. in der Enzyklika:
[5] Das aber bedeutet nichts anderes, als daß Recht und Sittlichkeit sich gleichzeitig fordernd und dienend auf eine konkrete Volksgemeinschaft beziehen. Nicht anders darf das von mir geprägte Wort verstanden werden: „Recht ist, was dem Volke nützt“.
(H. Frank, Die Aufgabe des Rechts 1938), S. 4
Ich zitiere noch einmal Hans Franks Grundsatz von 1935, auf den sich Papst Pius XI. bezog:
[11] Alles, was dem Volke nützt, ist Recht, alles, was ihm schadet, ist Unrecht.
(H. Frank, Grundsätze das nationalsozialistischen Rechtsdenkens und Rechtswollens; 1935), S. XIV
Ich zitiere erneut Hans Frank vom 1. Januar 1938:
[5] […] Nicht anders darf das von mir geprägte Wort verstanden werden: „Recht ist, was dem Volke nützt“. Die Feinde des Nationalsozialismus machen es sich zu leicht, wenn sie in utilitaristischer Verfälschung den platten Umkehrschluß ziehen, daß für uns alles, was dem Volk angeblich nützt, bloß deshalb Recht sei.
(H. Frank, Die Aufgabe des Rechts 1938), S. 4
Diese Absurdität Hans Franks zeigt vermutlich, dass die Enzyklika tatsächlich die Pläne des akademischen Nationalsozialismus gefährdete. Vielleicht ist es auch nur ein Beispiel nationalsozialistischer Ironie, deren Ausgangspunkt der Satz „Credo quia absurdum est“ bildete. Vielleicht ist es aber auch ein Ergebnis eine neuen „Logik“, von der meinte, er habe sie inzwischen »geschaut«.
Im nächsten Schritt führt Hans Frank nun seinen Autoritätsbeweis. Zunächst werden Platon und Aristotles ins Feld geführt:
Wir kennen sehr genau die Warnung vor den falschen Propheten und Volksverführern, die Platon im 6. Buch seines „Staates“ dem Sokrates in den Mund legt:
[6] „Es ist so, als wenn jemand einer großen und gewaltigen Bestie, die er sich aufzieht, mit gutem Bedacht ihre Triebe und Begierden abmerkte, wie man sich ihr nahen und wie man sie anfassen muß und wann sie am gefährlichsten oder am zahmsten ist und wodurch sie so gestimmt wird, und die Töne, die sie bei den verschiedenen Gelegenheiten jedesmal von sich zu geben pflegt, und hinwiederum, durch was für Töne eines anderen sie besänftigt und zur Wut gereizt wird: hat er ihr aber dies alles durch langdauernden Umgang mit ihr abgemerkt, so male dir die Sache nun weiter so Er nennt das Weisheit und bringt es als ein kunstgerechtes Verfahren auf wissenschaftliche Regeln und wirft sich, zum Lehrer dieser Wissenschaft auf, ohne doch in Wahrheit von diesen Lehren und von diesen Begierden etwas zu verstehen, inwieweit nämlich etwas davon schön oder häßlich oder gut oder schlecht oder gerecht oder ungerecht ist, lauter Benennungen, die er trotz seiner Unkenntnis alle auf die Seelenregungen des gewaltigen Tieres anwendet, indem er gut alles nennt, was ihm Vergnügen macht, schlecht alles, was es unwirsch macht; einen anderen Ausweis darüber hat er nicht, sondern erklärt das, was sich unmittelbar als notwendig aufdrängt, für gerecht und schön, die Natur des Notwendigen und Guten aber in ihrem tatsächlichen starken Gegensatz zueinander hat er weder selbst erkannt, noch ist er imstande, sie einem anderen aufzuweisen.“[453]
[7] Freilich ist Platon nicht über eine bloß formale Bestimmung von Recht und Gerechtigkeit hinausgekommen, während erst Aristoteles die Wendung zu einer substantiellen Begriffserfassung vornahm, indem er in seiner „Politik“ die Gerechtigkeit als ein „staatliches Ding“ bezeichnete; „denn das Recht ist nichts anderes als die in der staatlichen Gemeinschaft herrschende Ordnung, und eben dieses Recht ist es auch, das über das Gerechte entscheidet“ (1. Buch 2. Kap.).
(H. Frank, Die Aufgabe des Rechts 1938), S. 4
Im nächsten Absatz erwägt Hans Frank, Hegel zu loben. Dieser sei – vielleicht – der größte deutsche Staats- und Rechtsphilosoph, den es bisher gegeben habe. Hans Frank bezieht sich dabei auf Nebenbemerkungen Hegels, die tatsächlich gegen das Englisches Landrecht („common law“) gerichtet sind, da Hegel insgesamt auf das Machen eines deutschen Gesetzbuches abzielte. Savigny hatte hingegen behauptet, dass das zumindest 1814 (noch) nicht möglich sei.
Hegel soll so als Gegner Englands erscheinen. Dass im Oktober 1939 in der Zeitschrift der AfDR behauptet wurde, dass England die Kriegsschuld trage, habe ich ja vorhin zitiert. Tatsächlich war Hegel aber ein begeisterter Anhänger des britischen Parlamentarismus. Bis zu seinem Tod verfolgte er die Debatten, die kurz nach seinem Tod 1832 zur „Reform Bill“ führten.[454] Henry Sidgwick behauptete 70 Jahre später, dass der Erfolg des englischen Parlaments, selbst den ersten Minister bestimmen zu können, nur unter erschwerten Bedingungen wiederholt werden könne, da nun die Könige und Kaiser wissen würden, welchen massiven Machtverlust mit dieser – geschriebenen oder ungeschriebenen – Verfassungsänderung eintrete.[455]
Hegels Bemerkung zum Englischen Landrecht sind Teil seiner Lehre von der Bürgerlichen Gesellschaft. Genauer: Sie sind Teil seiner Lehre von der Rechtspflege. Ich zitiere das, damit aufwandlos erkannt werden kann, dass Hegels Ablehnung eines Weltstaates, den übrigens auch Kant ablehnte, unvereinbar mit dem rassistischen Partikularismus der akademischen Nationalsozialisten ist.
B. Die Rechtspflege
§ 209 Das Relative der Wechselbeziehung der Bedürfnisse und der Arbeit für sie hat zunächst seine Reflexion in sich, überhaupt in der unendlichen Persönlichkeit, dem (abstracten) Rechte. Es ist aber diese Sphäre des Relativen, als Bildung, selbst, welche dem Rechte das Daseyn gibt, als allgemein anerkanntes, gewußtes und gewolltes zu sein und, vermittelt durch dies Gewußt- und Gewolltsein, Gelten und objektive Wirklichkeit zu haben.
Anm.: Es gehört der Bildung, dem Denken als Bewußtsein des Einzelnen in Form der Allgemeinheit, daß Ich als allgemeine Person aufgefaßt werde, worin Alle identisch sind. Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist. Dies Bewußtsein, dem der Gedanke gilt, ist von unendlicher Wichtigkeit, – nur dann mangelhaft, wenn es etwa als Kosmopolitismus sich dazu fixiert, dem konkreten Staatsleben gegenüberzustehen.
§ 210 Die objektive Wirklichkeit des Rechts ist, teils für das Bewußtsein zu sein, überhaupt gewußt zu werden, teils die Macht der Wirklichkeit zu haben und zu gelten und damit auch als allgemein Gültiges gewußt zu werden. │ S. 208
a. Das Recht als Gesetz
§ 211 Was an sich Recht ist, ist in seinem objektiven Dasein gesetzt, d.i. durch den Gedanken für das Bewußtsein bestimmt und als das, was Recht ist und gilt, bekannt, das Gesetz; und das Recht ist durch diese Bestimmung positives Recht überhaupt.
[…]│ S. 210
[…]
§ 212 In dieser Identität des Ansichseins und des Gesetztseins hat nur das als Recht Verbindlichkeit, was Gesetz ist. Indem das Gesetztsein die Seite des Daseins ausmacht, in der auch das Zufällige des Eigenwillens und anderer Besonderheit eintreten kann, so kann das, was Gesetz ist, in seinem Inhalte noch von dem verschieden sein, was an sich Recht ist.
(Hegel 1821), S. 207-210
Wendet man die §§ 209 bis 212 auf die Nürnberger Rassegesetze an, ist das Ergebnis eindeutig: Auch die akademischen Nationalsozialisten bestritten nicht, dass die Rassegesetze von den deutschen Staatsbürgern jüdischen Glaubens oder jüdischer Abstammung nicht gewollt wurden (§ 209). Deswegen sind sie ein Beispiel für ein Gesetz, das zwar positiviert worden ist, aber inhaltlich von dem verschieden ist, „was an sich Recht ist“ (§ 212). Und da die Nürnberger Rassegesetze nur das formale Minimum der Positivierung, nämlich die öffentliche Bekanntgabe, erfüllten, waren sie auch in dieser Bewertungshinsicht Hegels stark defizitär.
Nun zu Hans Frank Darstellung dieser Paragraphengruppe Hegel im Jahr 1938:
[8] Diese Erkenntnisse [Platons und Aristoteles; mw] sind lange in Vergessenheit geraten. Was wir der Rechtswissenschaft des späten 19. Jahrhunderts zum Vorwurf machen müssen, ist, daß sie sie vernachlässigen zu können geglaubt hat, obwohl sie durch den deutschen Idealismus, vor allem durch Hegel, durch die deutsche Romantik und die historische Rechtsschule erneut ans Tageslicht gehoben worden sind.
(H. Frank, Die Aufgabe des Rechts 1938), S. 4
Es ist ein geschickter Schachzug Hans Franks, Hegel in einer Vereinigungsmenge mit seinen politischen Feinden zu präsentieren. Er ist noch heute wirkmächtig.
Die Rederei im nächsten Absatz über eine „Ausrichtung“ eines Volkes „auf“ „die geschichtliche Idee“ findet sich aber vermutlich nicht einmal in der »der deutschen Romantik« oder in »der historischen Rechtsschule“. Da ich diese Texte aber nur stichprobenartig kenne, ist die Wahrscheinlichkeit nicht zu vernachlässigen, dass ich mich in diesem Punkt irre.
Ein Recht, das nicht immer wieder das Volk in Zucht hält und in Form bringt, indem es dieses Volk auf die geschichtliche Idee ausrichtet, in deren Dienst es seinen Weg angetreten hat, ein solches Recht „nützt dem Volke nichts, es verxxx[456] das eigentliche Leben in einem höheren Sinn gerade dann, wenn es sich in den Dienst der Befriedigung von Bedürfnissen des kleinen Alltagslebens stellt.
(H. Frank, Die Aufgabe des Rechts 1938), S. 4
Im nächsten Absatz präsentiert Hans Frank sein Hauptargument gegen Papst Pius XI.: Das deutsche Volk habe ein Recht darauf, sich selbst seine Gesetze zu geben. Und von diesem Recht habe es in den letzten Jahren Gebrauch gemacht. Und da auch Hegel für ein Recht eines Volkes, sich selbst seine Gesetze zu geben, philosophisch argumentiert habe, sei es falsch, dass die „gewaltigen Gesetzgebungswerke“ des Dritten Reichs der Deutschen „materialistisch“ „orientiert“ seien.
Wer unvoreingenommen die Entwicklung des nationalsozialistischen Rechts an Hand des Niederschlags studiert hat, den es in den gewaltigen Gesetzgebungswerken der letzten Jahre gefunden hat, wird klar erkennen, in wessen Dienst das deutsche Recht gestanden hat und ob es „idealistisch“ oder „materialistisch“ orientiert ist. Gewiß erschöpft sich das Recht niemals im Gesetz, dem leicht „das Zufällige des Eigenwillens und anderer Besonderheit“ anhaftet, wie Hegel in seiner Rechtsphilosophie sagt (§ 212).
(H. Frank, Die Aufgabe des Rechts 1938), S. 4
Die Pointe des Zitierten aus Hegels § 212 hat Hans Frank sachlich korrekt wiedergegeben.
Der gleiche Hegel aber, vielleicht der größte Rechts- und Staatsphilosoph, den das deutsche Volk bisher hervorgebracht hat, hat sich mit guten Gründen unzweideutig gegen ein reines „Fallrecht“ oder „Richterrecht“ gewandt, wie es etwa in England herrscht.
(H. Frank, Die Aufgabe des Rechts 1938), S. 4
Auch das ist sachlich korrekt wiedergegeben.[457] Im nächsten Satz macht Hans Frank aber deutlich, unter welcher Zusatzbedingung er nur bereit ist, Hegel in den Punkten, die er angeführt hat, zuzustimmen. Erst jetzt, da durch den akademischen Nationalsozialismus „die weltanschaulichen und politischen Fundamente für alle Zeit gelegt“ seien, werde Hegels Wort von der Befähigung einer gebildeten Nation, ein Gesetzbuch zu machen, wahr. Kurz: Erst Nazis dürfen »dem deutschen Volk« Gesetze geben. Dass in Hans Franks Weltanschauung die Rassegesetzgebung Grundlage aller weiteren Rechtsgebung ist, habe ich in Abschnitt 4 ausführlich nachgewiesen. Insbesondere habe ich in Unterabschnitt 7.10.3. gezeigt, dass durch diese Rassengesetzgebung allererst »die deutsche Rasse« hergestellt werden sollte.
Nun, wo die weltanschaulichen und politischen Fundamente für alle Zeiten gelegt sind, wo es nicht mehr darum geht, neues Recht zu schaffen, sondern nur noch darum, das vorhandene neue zu finden und zu formulieren, bewahrheitet sich sein kraftvolles Wort: „Einer gebildeten Nation oder dem juristischen Stande in derselben die Fähigkeit abzusprechen, ein Gesetzbuch zu machen — da es nicht darum zu tun sein kann, ein System ihrem Inhalt nach neuer Gesetze zu machen, sondern den vorhandenen gesetzlichen Inhalt in seiner bestimmten Allgemeinheit zu erkennen, d. i. ihn denkend zu fassen, mit Hinzufügung der Anwendung aufs Besondere —, wäre einer der größten Schimpfe, der einer Nation oder jenem Stande angetan werden könnte“ (Rechtsphilosophie § 211).
(H. Frank, Die Aufgabe des Rechts 1938), S. 4
Hegels Angriff zielt übrigens auf Friedrich Carl von Savignys Schrift „Vom Berufe unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ (Heidelberg 1814). Savigny hatte behauptet, dass es in seiner Gegenwart nicht möglich sei, dass „die Deutschen“ für sich ein Gesetzbuch machen könnten. Da Hans Frank behauptet, dass sich erst in seiner Gegenwart Hegels „kraftvolle Wort“ „bewahrheitet“, stimmt Hans Frank im Ergebnis Hegel zu.
Um das zu erkennen, muss man aber einige Hintergründe kennen. Oberflächlich betrachtet wirken Hans Franks Bezugnahmen auf Hegel so, als würde Hegel auf Seiten von Hans Frank gegen England und gegen ein „Recht an sich“ stehen, das Papst Pius XI. als „Naturrecht“ bezeichnet hat.
Und da Hans Frank beansprucht, dass erst in seiner Gegenwart das Fundament gelegt worden sei, auf dem „für alle Zeiten“ »das deutsche Recht« gemacht werden könne, greift Hans Frank auch Hegels Lehre vom Ende der Geschichte als einer Geschichte im Fortschritt des Bewusstseins der Freiheit an. Endpunkt dieser Geschichte ist das Wissen, dass der Mensch als Mensch frei ist – und „nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher Italiener usf.“ ist. Von diesem Wissen aus, dass in der Menschrechtserklärung der Französischen Revolution und in Kants Philosophie erreicht worden sei, könnten dann Gesetzbücher gemacht werden. So Hegel.
Für die akademischen Nationalsozialisten ist die Geschichte aber eine Geschichte des Kampfes »der arischen Rasse« mit »der jüdischen Gegenrasse«. Für deren Vernichtung in Europa waren 1938 die zur Koordination des Vernichtungshandelns erforderlichen Gesetze und Verordnungen bereits weitgehend positiviert (siehe exemplarisch Abschnitt 10.1.). Auch war die Entscheidung zur Vernichtung bereits getroffen (siehe Abschnitt 10.2.).
Es folgt noch ein letzter Absatz im Text „Die Aufgabe des Rechts“ von Hans Frank, der am 1. Januar 1938 in der Zeitschrift der AfDR veröffentlicht worden ist:
[9] Die Akademie für Deutsches Recht hat den Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung erkannt und ist sich ihrer großen Verpflichtungen im Dienst des völkischen Rechts bewußt. Sie weiß, daß die Arbeitslast in den kommenden Jahren eher zu- als abnehmen wird und ist in jeder Beziehung darauf gerüstet. Daß sie heute ein so unvergleichliches Instrument im Kampfe um das gute Recht der deutschen Nation darstellt, verdankt sie nicht zuletzt der aufopferungsvollen, meist ehrenamtlichen Tätigkeit ihrer Mitarbeiter, ihrer Freunde und Förderer, ebenso aber auch dem verständnisvollen Zusammenwirken mit den zuständigen Stellen von Bewegung und Staat. Mit dankerfülltem Herzen dürfen wir so über die Schwelle des neuen Jahres schreiten, um auch weiterhin freudigen Dienst am Recht zu tun.●
(H. Frank, Die Aufgabe des Rechts 1938), S. 4
Nach diesem Exkurs in das Zeitgesehen des Jahres 1938 setze ich meine Berichterstattung über die Nichtberichterstattung über den Ausschuss für Rechtsphilosophie in der Zeitschrift der AfDR nun fort.
8.3.4. Thierack: Die Kriegsaufgaben der AfDR für die Gesetzgebung (1. Januar 1943)
Die Jahrgänge 1935 bis 1944 der Zeitschrift der AfDR beginnen mit einem Grußwort ihres Präsidenten. Im Januar 1943 hatte es erstmalig Otto Thierack verfasst.
Es ist nach der Niederlage in Stalingrad veröffentlicht worden. Das »Untermenschentum des Ostens« war stärker als angenommen. Und es ist vor dem zehnten Jahrestag der »Machtergreifung« erschienen. Soviel zum näheren zeitgeschichtlichen Kontext des Grußwortes.
Die Kriegsaufgaben der Akademie für Deutsches Recht für die Gesetzgebung
Von Reichsminister der Justiz Dr. Thierack,
Präsident der Akademie für Deutsches Recht
[1] Die Machtergreifung durch den Nationalsozialismus stellte sich zugleich als eine geistige Revolution allergrößten Ausmaßes dar. Wer dies 1933 noch nicht sogleich begriffen hatte und etwa gar den Umsturz des Jahres 1918 zum Vergleich heranzog, mußte sich durch die Entwicklung in dem ersten Jahrzehnt nationalsozialistischer Aufbauarbeit sehr deutlich eines anderen belehren lassen. Es kann kein bezeichnenderes Beispiel für die geistige Armut und die Ideenlosigkeit der Novemberverbrecher des Jahres 1918 geben, als das „Denkmal“, das sie sich in der Gesetzgebung gesetzt haben: Außer einigen kleineren Gesetzen, die bereits längst eingeleitete Entwicklungen zum Abschluß brachten, zeugte nur eine klassenkämpferisch aufgebaute Arbeitsverfassung von ihrem „Geiste“. Der Nationalsozialismus dagegen hat keinen Lebensbereich von einer grundlegenden Umgestaltung seiner Aufgabenstellung und seiner Ordnung ausgenommen. Diese Umgestaltung der Lebensordnung des deutschen Volkes mußte naturgemäß auch in der Rechtsordnung stärkstens zum Ausdruck kommen: Die neue deutsche Arbeitsverfassung fand in dem kühnen Wurf des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit ihre Prägung, die Lebensgrundlagen des deutschen Bauerntums wurden durch das Reichserbhofgesetz gesichert, das Ehegesundheitsgesetz und das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses dienen der Gesunderhaltung des deutschen Volkskörpers, um nur einige besonders markante Gesetzgebungswerke zu nennen. Auf das Strafrecht, das für die weltanschauliche Haltung eines Volkes besonders kennzeichnend ist, mußte sich der Umbruch naturgemäß besonders stark auswirken. Es wurde sofort von allen beteiligten Stellen der Partei und des Staates die Reform des Strafrechts in Angriff genommen, ohne jedoch zu praktischen Ergebnissen zu führen. Auf die Gründe hierfür wird unten noch eingegangen. In einzelnen Gesetzen und Verordnungen hat aber die neue Strafrechtsauffassung zu bedeutsamen Teilergebnissen geführt. Diese Teilergebnisse sind gekennzeichnet durch die immer stärkere Betonung des Volksschutzes als erster und wichtigster Aufgabe des Strafrechts, die damit im Zusammenhang stehende, namentlich in letzter Zeit immer mehr hervortretende Hinwendung zum Täterstrafrecht und die Durchsetzung der materiellen Unrechtsauffassung, die durch den Satz „Kein Verbrechen ohne Strafe“ gekennzeichnet wird. Auf dem Gebiet des sog. „bürgerlichen“ Rechts hat sich das nationalsozialistische Rechtsdenken zwar bei der praktischen Rechtsanwendung, namentlich mit Hilfe der sog. „Generalklauseln“, weitgehend durchsetzen können. Die große Reform des aus dem Höhepunkt des liberalistischen Zeitalters stammenden Bürgerlichen Gesetzbuchs steckt jedoch noch in den Anfängen. Lediglich zwei wichtige Teilgebiete, das Eherecht und das Testamentsrecht, haben eine Neuordnung erfahren. Auch im Verfahrensrecht ist die Neuformung über Teilstücke nicht hinausgekommen.
(Thierack 1943), S. 1
Auffällig ist, dass Thierack die Nürnberger Rassegesetze nicht erwähnt.
[2] Die Gründe, weshalb keines der großen Gesetze, die für die Rechtskultur eines Volkes kennzeichnend sind, bisher zu einer endgültigen Neugestaltung hat gebracht werden können, sind verschiedener Art:
[3] 1. Die nationalsozialistische Bewegung stützte sich auf ein klares weltanschauliches und politisches Programm, dessen Auswirkungen und Zielsetzungen in der Rechtsordnung jedoch gründlicher Klärung bedurften, um zu lebensgesetzlich richtigen Ergebnissen zu führen. Es mußten daher erst die Bausteine zusammengetragen und auf ihre Festigkeit erprobt werden, ehe mit dem Neubau der Grundgesetze des deutschen Rechtslebens begonnen werden konnte. Den gleichen Weg hat der Führer auch mit der Verfassung des Deutschen Reichs eingeschlagen, die er organisch entwickelt und heranreifen läßt, ehe er ihr später einmal in einem großen Verfassungsgesetz ihre monumentale Prägung gibt.
(Thierack 1943), S. 1
Carl Schmitt hatte im Oktober 1935 verkündet, dass die Nürnberger Gesetze die „Verfassung der Freiheit des deutschen Volks“ seien.
Wenn auch ein Gesetz keineswegs eine Weiterentwicklung des Rechts völlig zu verhindern braucht, wie das Beispiel des Bürgerlichen Gesetzbuchs zeigt, so bringt doch eine zu frühzeitige Kodifikation die Gefahr mit sich, daß eine fruchtbare Entwicklung vorzeitig in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Aus diesem Grunde sind wir z. B. heute froh, daß die Entwürfe eines neuen Strafgesetzbuchs nicht Gesetz geworden sind. Es würde sonst aus theoretischen Erwägungen etwa der Gedanke des Schutzes der Volksgemeinschaft vor Gewohnheits-Verbrechern in der Form der „Zweispurigkeit“ zwischen Strafe und Sicherungsmaßregeln verwirklicht worden sein — eine Lösung, die wir heute nicht mehr als geglückt ansehen.
(Thierack 1943), S. 1
Ich vermute, dass man die sächlichen und personellen Ressourcen für die Sicherungsmaßregeln nach Verbüßung der Strafe 1943 („heute“) lieber für andere Zwecke einsetzte.
[4] 2. Daß wir heute, nach einem Jahrzehnt nationalsozialistischer Aufbauarbeit auf dem Gebiet des Rechtslebens, noch nicht weiter sind, lag aber vor allem daran, daß die deutsche Rechtswahrerschaft und die Einrichtungen des deutschen Rechtslebens einer einheitlichen Führung entbehrten. Hierdurch entständen viele Reibungen, die einen einheitlichen Einsatz der gesamten Kräfte der deutschen Rechtswahrerschaft verhinderten und auf dem Gebiet des Rechts nicht in vollem Umfang zu den Leistungen führten, die im Interesse des Ansehens des deutschen Rechtsstandes und der deutschen Rechtskultur erwartet werden mußten.
[5] 3. Seit dreieinhalb Jahren hat der Krieg den größten Teil der Aktivisten unter den deutschen Rechtswahrern aus ihrer Arbeit gerissen. Die gesamte Gesetzgebungsarbeit wurde in erster Linie auf die Bedürfnisse des Krieges ausgerichtet. Die Wetterführung großer Reformarbeiten wurde damit großenteils in Frage gestellt.
(Thierack 1943), S. 1
Auch der Ausschuss für Rechtsphilosophie, von dem wir wissen, wer seine Mitglieder nach dem 17. Juli 1941 waren, wird seine Arbeit „auf die Bedürfnisse des Krieges ausgerichtet“ haben. Die Philosophiegeschichte bietet ja genug Anknüpfungspunkte. Etwa bei Heraklit.
[6] Als der Führer nach dreijähriger Kriegsdauer am 20.8.1942 die gesamte deutsche Rechtswahrerschaft und alle Einrichtungen des deutschen Rechtslebens meiner Führung anvertraute, war damit eines der wesentlichsten Hindernisse, das einem großzügigen, nur unter Anspannung aller Kräfte durchzuführenden Aufbau eines nationalsozialistischen deutschen Rechts entgegenstand, in Wegfall gekommen. Die Bahn ist insoweit frei. Zum ersten Male können alle wertvollen Kräfte der deutschen Rechtswahrerschaft zur Mitarbeit an dem stolzen Bau eines großzügigen nationalsozialistischen deutschen Volksrechts zusammengefaßt werden.
(Thierack 1943), S. 1
Tatsächlich hatte eine Machtkonzentration stattgefunden. Der Präsident der AfDR und der Leiter des BNSDJ bzw. des NS-RB war nun erstmalig in Personalunion auch Reichsjustizminister. Zugleich konnte sich Hans Frank nun auf seine Tätigkeiten als Generalgouverneur konzentrieren.
[7] Läßt sich aber diese Aufbauarbeit im Kriege in Angriff nehmen? Der Führer hat diese Frage bejaht, indem er mir den Auftrag dazu erteilte. Das deutsche Volk befindet sich in | S. 2 einem Rechtskampfe allergrößten Ausmaßes und die kämpferische Einstellung des deutschen Volkes, das über ein unerhört feines Rechtsempfinden verfügt, kann nur aufrechterhalten bleiben, wenn jeder Deutsche das unbedingte Vertrauen zur Staatsführung hat, daß jedem Volksgenossen Recht und Gerechtigkeit widerfährt Hier liegt die große Aufgabe der Rechtspflege, die sie in unmittelbare Verbindung mit der Staatsführung bringt. Diese Aufgabe kann aber nur durchgeführt werden von einer starken Rechtspflege, die die Möglichkeit hat nationalsozialistisches Recht zu sprechen. Eine Rechtspflege, der hier Schranken errichtet sind, kann nicht voll die Aufgabe erfüllen, die ihr in dem Rechtskampf des deutschen Volkes zukommt Daher kann es auch in der Rechtsgestaltung keinen Stilstand geben. Es muß mit den Kräften, die noch zur Verfügung stehen, mit äußerster Anspannung weitergearbeitet werden, damit das deutsche Volk unter Sprengung überalterter Rechtsformen ein artgemäßes Recht erhält.
(Thierack 1943), S. 1 f.
Auch hier vermeidet Otto Thierack das Wort „Rasse“. Vermutlich war es kontraproduktiv die Europäer, die auf Seiten »der deutschen Rasse« kämpften, daran zu erinnern, dass sie nach dem Endsieg in einem Großraum existieren würden, der durchs Deutsche Reich zu Gunsten »der deutschen Rasse« beherrscht würde, in dem sie selbst bestenfalls nur Staatsbürger zweiter Klasse, vermutlich nur »Schutzangehörige des Reiches« werden würden- Auf Hedemanns stolze Bezugnahme auf die 12. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom Frühjahr 1943 habe ich in meinem Unterabschnitt 8.1.2 hingewiesen.
Diese Aufgabe wird nicht in wenigen Monaten oder Jahren gelöst werden können. Sie soll auch in wichtigen Teilen nicht zu Ende geführt werden, ohne daß unsere im Felde befindlichen Kameraden Gelegenheit gehabt haben, ihren Teil dazu beizutragen. Die Vorarbeiten aber müssen geleistet werden. Dazu wird auch manches gehören, was bereits, weil unaufschiebbar, gesetzliche Form erhalten muß.
(Thierack 1943), S. 2
Im Umkreis der Revolution von 1918 ist von rechts immer wieder kritisiert worden, dass Entscheidungen getroffen worden seien, als »die besten Deutschen« noch im Feld standen. Thierack versucht, diesen Vorwurf, der nun den rechten AfDR-lern gemacht werden könnte, zu entkräften.
[8] Die Dringlichkeit unserer Aufgabe ergibt sich auch aus folgendem: Das Recht hat sich stets als einer der wichtigsten Kulturfaktoren erwiesen. Nicht zuletzt an seinem Recht wird die Kulturhöhe eines Volkes gemessen. Deutschland hat durch die unvergleichlichen Taten seiner Soldaten eine führende Rolle in Europa erhalten. Die innere Berechtigung zu dieser Führung ergibt sich aus seiner kulturellen Leistung. Das Bild des nationalsozialistischen Rechts beginnt sich in vielen einzelnen Gesetzen und Verordnungen abzuzeichnen. Es ist für den Nichtdeutschen aber nur schwer zu übersehen. Die Rolle Deutschlands in Europa verpflichtet. Sie verpflichtet namentlich uns Rechtswahrer, unablässig an der Gestaltung eines Rechts zu arbeiten, das die kulturelle Höhe der deutschen Rechtsordnung klar in Erscheinung treten läßt. Mit der Inangriffnahme dieser Arbeiten kann nicht gewartet werden, bis der Krieg sein siegreiches Ende gefunden hat. Deutschland muß dann bereit sein zur Übernahme der verantwortungsvollen Friedensaufgaben. So darf denn in diesem größten Kampf, den das deutsche Volle jemals geführt hat, nicht der Satz gelten, daß im Waffenlärm die Gesetze zu schweigen haben. Das Recht ist vielmehr die stärkste Unterstützung, die das deutsche Volk in diesem Kampf hat, und der Glaube daran, daß das deutsche Volk für sein Recht kämpft und daß jedem einzelnen Volksgenossen in jeder Lage Recht und Gerechtigkeit widerfährt, ein Garant unseres Sieges.
(Thierack 1943), S. 2
Dem »deutschen Volk« gegenüber zu behaupten, jeder „einzelne Volksgenosse“ genieße Rechtsschutz, war natürlich zweckdienlich.
[9] Bei der Durchführung der Rechtsgestaltungsaufgaben, die uns gestellt sind, ist die Akademie für Deutsches Recht eine wertvolle und unentbehrliche Stütze. Der Führer hat der Akademie die Aufgabe gestellt, „die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem Gebiete des gesamten Rechts“ — d.h. nach einer ausdrücklichen Klarstellung des Führers nicht nur auf dem Gebiete der Justiz im engeren Sinne — „zu verwirklichen“.
(Thierack 1943), S. 2
Diese Auskunft Thieracks entspricht auch der Satzung der AfDR in den Kriegsjahren. Diese Aufgabe der AfDR galt selbstverständlich auch für den Ausschuss für Rechtsphilosophie: Auch seine Professoren und der Oberarzt Mikorey halfen das nationalsozialistische Programm auf dem Gebiete des gesamten Rechts zu verwirklichen. Sie taten das unter der Präsidentschaft Hans Franks. Und da der Ausschuss für Rechtsphilosophie nach Aktenlage erst im Januar 1943 aufgelöst wurde, taten sie das auch unter Präsidentschaft Otto Thieracks.
Dieser Aufgabenstellung gemäß werde ich die Akademie bei der Neugestaltung des deutschen Rechts in stärkstem Maße einsetzen. Ich denke nicht daran, die großen Gesetze, die unserer Rechtskultur das Gepräge geben sollen, nur am grünen Tisch vorbereiten zu lassen. Der Kreis der Mitarbeiter kann nicht vielseitig genug sein, wenn eines der wesentlichsten Ziele des nationalsozialistischen Rechts, seine Volkstümlichkeit und Volksverständlichkeit, gewährleistet sein soll Die Ausschüsse der Akademie müssen so zusammengesetzt sein, daß wirklich die dazu berufensten Vertreter des deutschen Volkes an ihren jeweiligen Aufgaben teilnehmen. Eine zu einseitige Zusammensetzung der Ausschüsse, etwa nach der Seite der Wissenschaft hin, muß nach Möglichkeit vermieden werden.
(Thierack 1943), S. 2
Diese Formulierung spricht dafür, dass Thierack zumindest einige Ausschüsse der AfDR personell anders zusammensetzen wollte. Ich vermute, dass er insbesondere für den Ausschuss Hedemanns, der das Volksgesetzbuch erstellen sollte[458], an eine personelle Ergänzung dachte. Ich zitiere deswegen erneut einen Absatz Hedemann vom Sommer 1943 als er auf 10 Jahre der AfDR zurückblickte:
[6] So hat die Akademie vor zehn Jahren ihren Marsch angetreten, aufgegliedert in mannigfaltige Ausschüsse, ihr Forschungs- und Arbeitsgebiet beständig erweiternd, dann durch den Krieg in vielem verändert und durch den Wehrmachtsdienst vieler Mitarbeiter erheblich eingeschränkt, doch aber im Grunde an ihrer hohen Berufung festhaltend. Jetzt hat das zehnte Jahr ihr einen elementaren neuen Auftrieb gebracht.
(Hedemann 1943), S. 673
Zurück zu Thieracks Grußwort vom 1. Januar 1943:
[10] Die Akademie muß sich aber der Grenzen ihrer Aufgaben bewußt bleiben. Sie ist Vorbereitungs- und Beratungs-, aber nicht selbst Gesetzgebungsorgan. Sie hat zwar ein eigenes Initiativrecht, welche Arbeiten sie in Angriff nehmen will. Mit dem Abschluß ihrer Beratungen, der Vorlage der Beratungsergebnisse an die federführenden und beteiligten Dienststellen der Partei und des Staates und ihrer evtl. Veröffentlichung als Diskussionsgrundlage ist aber ihre Tätigkeit beendet. Es geht nicht an, daß die Akademie eine eigene Politik durchführt und neben den federführenden Dienststellen die Durchbringung eines Entwurfs betreibt.
(Thierack 1943), S. 2
In den nächsten drei Absätzen kündigt Thierack die Neugründung von drei Ausschüssen an. Alle Themen liegen im Fachgebiet von Wilhelm Kisch:
[11] Die vordringlichste Aufgabe, die im Justizbereich durch neue Ausschüsse der Akademie vorbereitet werden soll, ist die Klärung der Stellung des deutschen Richters.
[12] Der Ausschuß „Richter und Rechtspflege“ soll die Frage prüfen, in welchem Umfang der Richter von Geschäften entlastet werden kann, die mit seiner eigentlichen Aufgabe, Recht zu sprechen, nichts zu tun haben. Diese Geschäfte sollen dem Rechtspfleger übertragen werden, dessen Stellung dadurch eine wesentliche Erweiterung erfahren wird.
[13] Der Ausschuß für die „Neuordnung der deutschen Gerichtsverfassung“ soll die im Zusammenhang mit der Verstärkung der Stellung des Richters erforderliche Neuordnung des deutschen Gerichtswesens vorbereiten.
[14] Alle drei Ausschüsse werden in engster Verbindung mit den entsprechenden neu gebildeten Ämtern meines Ministeriums arbeiten.
(Thierack 1943), S. 2
Da Wilhelm Kisch auch Experte für die Zivilprozessordnung gewesen ist, könnte er auch bei der Neugestaltung des Streitverfahrens mitgewirkt haben, die Thierack im nächsten Absatz ankündigte:
[15] Neben diesen vordringlichsten Arbeiten wird demnächst namentlich die Neugestaltung des Streitverfahrens in Angriff genommen werden. Das Streitverfahren ist — im Gegensatz zum Strafverfahren — von Umgestaltungen bisher fast unberührt geblieben. Namentlich reicht die Einschaltung des Staatsanwalts auf Grund des Gesetzes vom August 1942 nicht aus, um das öffentliche Interesse in genügendem Maße zu wahren. Das Streitverfahren darf dem ausschließlichen Wollen der Parteien nicht mehr überlassen bleiben.
[16] Die Arbeiten an dem gewaltigen Werk des deutschen Volksgesetzbuchs werden auch in der Kriegszeit, soweit möglich, unter Einsatz aller noch verfügbaren Kräfte gefördert werden. Die von den Akademieausschüssen vorbereiteten Teile werden als Diskussionsgrundlage ohne amtliche Stellungnahme der Öffentlichkeit übergeben werden, damit die in dem Entwurf enthaltenen Gedanken ausreifen können. Große Schwierigkeiten bereitet namentlich die Abgrenzung der in das Volksgesetzbuch aufzunehmenden Lebensbereiche. Ein Volksgesetzbuch ohne eine Regelung der Arbeit als des wichtigsten völkischen Grundwertes dürfte jedenfalls diesen Namen nicht verdienen. Den Weg der Gesetzgebung kann und wird das Volksgesetzbuch vor Beendigung des Krieges nicht gehen. Ein solches Werk kann nicht ohne Mitwirkung unserer im Felde befindlichen Kameraden fertiggestellt werden. Ausstrahlungen der Entwürfe mögen jedoch die Rechtspraxis befruchten.
(Thierack 1943), S. 2
Dass „Arbeit“ von Thierack als der wichtigste „völkische“ Grundwert ausgegeben wird, ist leicht erklärbar. Fürs Erreichen des »Endsiegs« ist er wichtiger als der Substanzwert »der deutschen Rasse«. Nach Erreichen des »Endsiegs« bleibt er es, da Europa dann durch negative und positive Bevölkerungspolitik zu Gunsten der »deutschen Rasse« vollständig gesäubert worden wäre.
[17] Ebenfalls wird das neue Strafgesetzbuch des Großdeutschen Reichs erst nach Beendigung des Krieges verabschiedet werden können. Inwieweit die Arbeiten an der Reform des Strafgesetzbuchs im Rahmen der Akademie noch während des Krieges aufzunehmen sein werden, wird noch zu entscheiden sein. Auf strafrechtlichem Gebiet werden zur Zeit Entscheidungen vorbereitet, die für die Inangriffnahme der Reformarbeiten von großer Tragweite sein müssen. Jedenfalls befindet sich die Umgestaltung des Strafrechts in seiner Grundhaltung und in Teilstücken weiterhin in starkem Fluß. Auch das Strafverfahren bewegt sich auf Grund der Notwendigkeit, Vereinfachungsmaßnahmen zu treffen, zum großen Teil in Richtung endgültiger Ergebnisse.
[18] Von der Arbeit der übrigen Ausschüsse seien etwa noch die Arbeiten erwähnt, die in der nächsten Zeit mit dem Ziel | S. 3 einer Vereinfachung des Patentverfahrens eingeleitet werden oder die Arbeiten einer neuen Arbeitsgemeinschaft für die „Rechtsschulung der Jugend“ im Jugendrechtsausschuß die zur Vorbereitung einer großzügigen Rechtsschulung der Jugend nach Beendigung des Krieges die Schaffung einer „Rechtsfibel“ in Angriff nehmen will.
(Thierack 1943), S. 2 f.
Damit endet Thierack seine konkreten Reformpläne für die Arbeit der AfDR in ihren Ausschüssen. Im nächsten Absatz informiert er allgemein über die Ausschüsse der AfDR. Ein Teil habe seine Arbeit kriegsbedingt „vorläufig“ eingestellt. Ein Großteil der Ausschüsse werde aber weiterarbeiten:
[19] Die Planungen der übrigen Akademieausschüsse können im Rahmen dieser Ausführungen nicht behandelt werden. Ein Teil von ihnen hat aus kriegsbedingten Gründen seine Tätigkeit vorläufig eingestellt. Ein großer Teil aber wird im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten Weiterarbeiten an der Schaffung eines nationalsozialistischen Rechts und einer deutschen Rechtskultur, die zu ihrem Teil den Bestand des nationalsozialistischen Staates und die deutsche Stellung in Europa sichern wird.●
(Thierack 1943), S. 2 f.
Das Wort „vorläufig“ ist bemerkenswert. Da ich nur einen sehr kleinen Teil des Schriftgutes der AfDR gesichtet habe, das sich im Besitz des Bundesarchivs-Lichterfelde befindet, und das auch nur überschlägig, kann ich nicht ausschließen, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie seine Arbeit bald wieder aufnahm und das auch im Schriftgut mit der Signatur „R 61“ irgendwo und irgendwie dokumentiert ist.
8.4. Die sechs Jahrbücher der AfDR von 1933 bis 1940
So ergiebig das erste Jahrbuch der AfDR bezüglich des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, so unergiebig sind alle Folgejahrbücher. Insgesamt gab es nur sechs Jahrbücher. Die ersten fünf sind tatsächlich Jahrbücher. Sie blicken jeweils vom Sommer eines Jahres auf die vergangenen 12 Monate zurück:
- Erstes JAfDR: Vom Sommer 1934 bis zurück in den Sommer 1933
- Zweites JAfDR: Vom Sommer 1935 bis zurück in den Sommer 1934
- Drittes JAfDR: Vom Sommer 1936 bis zurück in den Sommer 1935
- Viertes JAfDR: Vom Sommer 1937 bis zurück in den Sommer 1936
- Fünftes JAfDR: Vom Sommer 1938 bis zurück in den Sommer 1937
Das sechste Jahrbuch ist ein Doppeljahrbuch:
- Sechstes JAfDR: Vom Sommer 1940 bis zurück in den Sommer 1938
Im Sommer 1939 als das sechste Jahrbuch mit dem Berichtszeitraum „Sommer 1938 bis Sommer 1939“ hätte erscheinen sollen, waren die leitenden Mitglieder der AfDR vermutlich mit Kriegsvorbereitungen befasst. Das Geleitwort zum sechsten Jahrbuch verfasste ein siegestrunkener Hans Frank, der sich den Lesern des sechsten Jahrbuchs der AfDR als „Generalgouverneur“ vorstellte.
Da es 1943 kein Jahrbuch der AfDR mehr gab, wurde in ihm trivialerweise nicht über Auflösungen oder Neugründungen von Ausschüssen der AfDR berichtet. Im fünften und sechsten Jahrbuch, die sich mit Ereignissen des Sommers 1938 befasst haben können, ist mir mit Blick auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie nichts aufgefallen.
Die Jahrbücher informieren aber über viele interessante Aktivitäten des akademischen Nationalsozialismus und auch manches über Aktivitäten einzelner Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, die diese aufgrund anderer Eigenschaften ausübten. Die Darstellung dessen hebe ich mir für meinen Teil III auf.
8.5. Ergebnissicherung
1. Ich habe folgende nationalsozialistischen Periodika daraufhin durchgesehen, ob ich in ihnen etwas Neues über den Ausschuss für Rechtsphilosophie berichtet wurde
- Das Zentralorgan „Deutsches Recht“ des „Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ (BNSDJ), der 1936 in „Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund“ (NS-RB) umbenannt worden ist. Diese Zeitschrift ist eine Zeitschrift der Partei.
- Das Amtsblatt des Reichsjustizministeriums „Deutsche Justiz“
- Die Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht
- Das Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht
Ergebnis: Es gibt nicht einen Bericht. Damit hat sich meine Hypothese bestätigt, dass irgendwann im Mai, Juni, Juli oder August 1934 irgendwer entschieden hat, dass über diesen Ausschuss der AfDR nicht mehr öffentlich berichtet werden sollte.
2. Da bereits Anderson (1982/87) durch seine Auswertung der Akten der AfDR zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie von 1934 bis 1943 existierte und dass es 1938 einen „Seinswechsel“ – eine Vereinigung („merged with“) mit der Abteilung für Rechtsforschung in der AfDR – gab, habe ich in meinem Abschnitt 8 zusätzlich untersucht, ob in den Periodika in den Jahren 1938 und 1943 irgendetwas berichtet worden ist, das Rückschlüsse auf diesen Seinsrhythmus 1934-1938-1943 erlaubt.
Und in der Tat gab es im Jahr 1938 im Zentralorgan „Deutsches Recht“ zwei Informationen, die Lesern, die neugierig waren, was aus dem Ausschuss für Rechtsphilosophie geworden ist, ein Märchen über sein Verschwinden nahelegten:
Am 15. Juli 1938 erschien zunächst eine Bewertung des „rechtsphilosophischen Lebenswerkes Rudolf Stammler“ von Karl Larenz. In ihm behauptete Larenz, der Neu-»Hegelianer« Julius Binder habe den Neu-Kantianer Rudolf Stammler überwunden und er, der völkische Rechtsphilosoph Larenz, habe Binder überwunden.[459] Rudolf Stammler und Julius Binder gehörten zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Karl Larenz nicht. Karl Larenz war aber ein völkischer Rechtsphilosoph. Deswegen durften Leser vermuten, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie in seiner anfänglichen Zusammensetzung nicht erfolgreich gewesen sei.
Im November 1938 wurde dann im Zentralorgan Deutsches Recht bekannt gegeben, dass eine neue „Arbeitsgemeinschaft für Rechts- und Sozialphilosophie“ im NS-RB gegründet worden sei. Diese Neugründung wurde als Folge der Eingliederung der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer in den NS-RB dargestellt. Die Mehrheit der Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie waren rechtswissenschaftliche Hochschullehrer. In Kombination aller vier Informationen – ausführliche und überschwängliche Berichterstattung über die Konstituierung, keine weitere Berichterstattung, Larenz Feststellungen über sein Überwundenhaben Binders, der ein Überwinder Stammler gewesen sei, und die Neugründung der AG für Rechts- und Sozialphilosophie im NS-RB – werden regelmäßige Leser des Zentralorgans mit guten Gründen angenommen haben, der Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR sei zwischenzeitlich aufgelöst worden. Sie werden aber nicht angenommen haben, dass dem Ausschuss für Rechtsphilosophie bereits nach der ersten Sitzung der Todesstoß durch Alfred Rosenberg wegen eines Streits mit Baron von Uexküll versetzt worden ist. Das ist das Märchen über das Verschwinden des Ausschusses für Rechtsphilosophie, das Emge erst 1960 erzählen wird.
3. Für die Zeitschrift der AfDR hat es Emge übernommen, den Nachruf auf Rudolf Stammler zu verfassen. Stammler war am 25. April 1938 gestorben. Emges Nachruf erschien im Mai 1938. Im Tonfall viel freundlicher als Larenz kommt Emge der Sache nach größtenteils trotzdem zum selben Ergebnis wie Larenz: Da Stammler ein Neu-Kantianer sei, erreiche er nicht die erforderlich Höhe, von der aus allein die Schöpfung einer nationalsozialistischen Rechtsphilosophie möglich sei.
Nur in einem Punkt weicht Emges Bilanz von der Larenz ab. Im Fall von Larenz ist nicht zu sehen, weshalb sich akademische Nationalsozialisten der jüngeren und der künftigen Generationen noch mit Stammler befassen sollten. Emge hingegen behauptet ausdrücklich, dass akademische Nationalsozialisten von Stammler etwas lernen könnten. Die transzendentalphilosophische Methode könne und solle als untergeordnete Hilfswissenschaft weiter genutzt werden. Da bekannt war, dass Emge auch im Umkreis von Stammler studiert hat, werden damalige Leser diesem Unterschied zwischen Larenz und Emge keine weitere Bedeutung zugemessen haben.
Im letzten Absatz des Nachrufes von Emge auf Stammler wird sogar der Ausschuss für Rechtsphilosophie ausdrücklich erwähnt. Das ist das einzige Mal ausdrücklich Bezugnahme auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie, die in einer Veröffentlichung jenseits des »Nationalsozialistischen Handbuches für Recht und Gesetzgebung« und dem »Deutschen Führer-Lexikon« gefunden habe. Deswegen zitiere ich sie erneut:
[18] Es befriedigt, zu wissen, daß sich Rudolf Stammler nach dem Umbruch sofort und gern zur Verfügung stellte. Es mag ferner als Symbol für geistige Verantwortung gelten, daß Stammler bei der Gründungssitzung des rechtsphilosophischen Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht seinerzeit im Nietzsche-Archiv zu Weimar anwesend war und sogleich ein echtes rechtsphilosophisches Gespräch gestalten half. Der Vorsitzende dieses Ausschusses, Reichsminister Dr. Frank, hatte mit der Frage begonnen: „Was ist Recht?“ —●
(C. A. Emge, Rudolf Stammler zum Gedächtnis; 1938), S. 335
Da Emges es unterlässt, das Datum der Gründungssitzung mitzuteilen, hätten es Leser seines Nachrufes schwierig gehabt, die Berichterstattung vom Mai 1934 zu finden, wenn sie erstmalig durch den Nachruf von der Existenz des Ausschusses erfahren hätten. Ich vermute, dass Emge seine Behauptung in dieser Hinsicht und zu diesem Zweck absichtlich nicht näher bestimmt hat.
4. Das erste Heft der Zeitschrift der AfDR nach Kriegsbeginn vom 1. Oktober 1939 ist gefüllt mit Informationen von und Informationen über Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie:
- Hans Frank ist Generalgouverneur,
- „Reichsminister Dr. Frank“ hat „für die Dauer seiner Tätigkeit als Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete“ Professor Emge „mit seiner Vertretung als Präsident der Akademie betraut“,[460]
- England trägt die Kriegsschuld, sagen K. Lasch und C. Schmitt,
- Schmitts Großraumlehre wird durch ihn selbst und durch einen „kleinen Bericht“ von Prof. Jahrreiß über sie vorgestellt.
5. Am 28. August 1939 starb Julius Binder. Auch er gehörte zu den 18 Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie der AfDR. Wieder schrieb Karl Larenz einen Nachruf. Diese Mal veröffentlichte die Zeitschrift der AfDR seinen Nachruf. Und zwar genau in dem Heft vom 1. Oktober 1939, aus dem ich ausführlicher berichtet habe.
In diesem Nachruf auf Binden wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht erwähnt, obwohl auch Binder eines seiner 18 Gründungsmitglieder war. Abgesehen davon, ist dieser Nachruf interessant, da Larenz nun plötzlich als ein Freund einer »Hegel-Renaissance« auftritt, die Binder begonnen habe. Im Nachruf auf Stammler hatte er sich selbst ja noch als „Überwinder des Neu-»Hegelianer« Julius Binder“ gefeiert.
6. Diese »Wandlung vom Paulus zum Saulus« nahm ich zum Anlass für einen Exkurs über die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von Papst Pius XI., die am 17. März 1937 veröffentlicht wurde. In ihr griff Papst Pius XI. Hans Franks utilitaristisch-völkische Rechtsphilosophie an. Papst Pius XI. führte Paulus und Cicero als Autoritäten gegen Hans Frank ins Feld.
Am 1. Januar 1938 reagierte Hans Frank durch Veröffentlichung eines Textes. Die „Feinden des Nationalsozialismus“ würden seinen Grundsatz „Alles, was dem Volke nützt, ist Recht und alles, was ihm schadet, ist Unrecht.“ falsch wiedergegeben. Ich habe nachgewiesen, dass Papst Pius XI. den Rechtsgrundsatz Hans Frank exakt richtig wiedergegeben hat. Und ich habe erneut auf Ruttkes Vortrag im Ausschuss für Bevölkerungspolitik von 1940 hingewiesen, in dem Ruttke Franks Rechtsgrundsatz als taugliche Voraussetzung für seine »negative und positive Bevölkerungspolitik« zitiert: „Alles, was dem Volke nützt, ist Recht und alles, was ihm schadet, ist Unrecht.“
Gegen die Autoritäten des Papstes führte Hans Frank seinerseits Plato, Aristoteles und Hegel als Autoritäten ins Feld. Hegel wird als Autorität für die Fähigkeit eines Volkes angeführt, sich ein eigenes Gesetzbuch zu geben. Allerdings habe sich Hegel darüber geirrt, dass zu dessen Zeit diese Fähigkeit bereits vorhanden gewesen sei. Erst durch den Nationalsozialismus seien „die weltanschaulichen und politischen Fundamente“ zu einer Gesetzgebung „für alle Zeit“ erreicht worden.
Mit Blick auf Larenz Wende »vom Paulus zum Saulus« ist das Strategieziel des Verpackungswechsel leicht erkennbar: Durch den Neu-»Hegelianismus« des akademischen Nationalsozialismus sollten Bündnispartner in Europa gefunden und gebunden werden. Das war aussichtsreich, da in anderen Staaten Europa Eliten existieren, die nicht in einer kantischen Republik, sondern weiter oder wieder in einer konstitutionellen Monarchie leben wollten.
In Teil III werde ich zeigen, dass Carl Schmitt davon überzeugt war, dass Hegel seine konstitutionelle Monarchie nur entwickelt hat, um von ihr aus eine Verwirklichung der Idee der Republik Kants zu erreichen. Ich stimme dieser Auslegung Hegels durch Carl Schmitts Auslegung zu. Ich teile nicht seine Bewertung.
7. Das Jahr 1943 wird am 1. Januar 1943 erstmalig durch ein Grußwort des neuen Präsidenten der AfDR, Otto Thierack, eröffnet. Der Titel des Grußwortes lautet: „Die Kriegsaufgaben der Akademie für Deutsches Recht für die Gesetzgebung“. Der Text hält, was sein Titel verspricht. Der letzte Absatz drückt das ebenfalls korrekt aus:
[19] Die Planungen der übrigen Akademieausschüsse können im Rahmen dieser Ausführungen nicht behandelt werden. Ein Teil von ihnen hat aus kriegsbedingten Gründen seine Tätigkeit vorläufig eingestellt. Ein großer Teil aber wird im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten Weiterarbeiten an der Schaffung eines nationalsozialistischen Rechts und einer deutschen Rechtskultur, die zu ihrem Teil den Bestand des nationalsozialistischen Staates und die deutsche Stellung in Europa sichern wird.●
(Thierack 1943), S. 2 f.
8. Im Sommer 1943 blickt Prof. Justus Hedemann auf 10 Jahre AfDR zurück. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird als solcher nicht erwähnt. Hedemann bezieht sich aber auf einige rechtsphilosophische Texte von Mitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie, die ich aber erst in Teil III vorstellen werde.
Der Rückblick Hedemanns ist aus einem anderen Grund bedeutend: Wie vorhin skizziert, hat Thierack am 1. Januar 1943 angekündigt, dass die AfDR auch während des Krieges Aufgaben für die Gesetzgebung zu erfüllen habe. Am 25. April 1943 trat die „Zwölfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. April 1943“ in Kraft. Ich zitiere erneut Auszüge vom Anfang dieser Verordnung:
§ 1
- Die Staatsangehörigkeit kann widerruflich zuerkannt werden. Die Staatsangehörigen auf Widerruf bilden eine besondere Gruppe der Staatsangehörigen.
- Außer den Staatsangehörigen gibt es Schutzangehörige des Deutschen Reiches; ein Schutzangehöriger kann nicht zugleich Staatsangehöriger sein.
[…]
§ 3
Schutzangehörige des Deutschen Reiches sind solche nicht zum deutschen Volk gehörende Einwohner des Deutschen Reiches, denen die Schutzangehörigkeit durch allgemeine Anordnung oder durch Entscheidung im Einzelfall zuerkannt ist oder zuerkannt wird. │ S. 269
§ 4
- Juden und Zigeuner können nicht Staatsangehörige werden. Sie können nicht Staatsangehöriger auf Widerruf oder Schutzangehörige sein.“
(RGBl. I 1943, S. 268 f.)
Mit dieser Verordnung war positiv-rechtlich der Rahmen gesetzt, innerhalb dessen die Deportation der Juden sowie der Sinti und Roma aus dem Gebiet des Deutschen Reiches rechtsförmig vollzogen werden konnte.
Hedemann bezog sich ausdrücklich auf die Verordnung. Auch das zitiere ich erneut:
[4] Das alles hat die Akademie, als treue Dienerin ihrer Berufung, aufgefangen, und sie ist bemüht gewesen, die Schätze, die man ihr anvertraut hat, nicht zu vergraben, sondern lebendig zu vertreten. Zeugen dessen sind, – um in den Bahnen bloßer Beispiele zu bleiben – der Einfluß auf schon ins Leben getretene Gesetze und die Herausgabe eigener Entwürfe für Gesetze, die noch werden sollen. Das Ehegesetz, das Testamentsgesetz, das Aktiengesetz, das Zweckverbandsgesetz, die Gemeindeordnung, das Patentgesetz, das Jugendarrestgesetz, die Verordnung über Schutzangehörige können als Beispiele des ersteren gelten.
(Hedemann 1943), S. 677
Das Fachpublikum, das im Sommer 1943 den Rückblick Hedemanns las, kannte selbstverständlich die „Zwölfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. April 1943“. Damit habe ich nicht nur nachgewiesen, dass die AfDR noch 1943 öffentlich bekannt gab, dass sie ihre satzungsmäße Aufgabe erfüllte, das nationalsozialistische Programm in enger und stetiger Zusammenarbeit mit den gesetzgebenden Stellen im Gebiet des Rechts zu verwirklichen. Insbesondere habe ich damit auch nachgewiesen, dass die AfDR 1943 öffentlich bekannt gab, sie habe Einfluss auf die rechtsförmigen »Entjudung« des Reichsterritoriums genommen.
9. Die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie nach dem 17. Juli 1941
Dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie bedeutender war als die durch die Forschung veröffentlichte Datenlage nahelegt, belegt bereits ein einzelnes Blatt hinreichend aus dem Schriftgut der AfDR, das vom Bundesarchiv-Lichterfelde verwaltet wird. Ich habe die Informationen dieses Blattes mit der Signatur „R 61/30, Blatt 171“ deshalb bereits in den ersten Absätzen von Teil I kurz vorgestellt.
In Abschnitt 9 werde ich es erneut in seinem Kontext der drei Geschäftsführungsakten der AfDR mit den BArch-Signaturen R 61/29, R 61/30 und R 61/31 vorstellen. Auch gibt es weitere Blätter in diesen drei Geschäftsführungsakten, die helfen werden, Licht ins Dunkel der AfDR zu bringen.
Im Findbuch des Bundesarchivs zum Bestand des Schriftguts der AfDR mit der Anfangssignatur „R61“ von 1976 wurde die Akte R 61/30 als Akte der „Abteilung für Rechtsgestaltung“ charakterisiert:
Abbildung 54: Findbuch zum Bestand R 61; (Werhan und Fensch 1976), S. 12
Das passt zur ersten Verwaltungsordnung der AfDR aus dem Jahr 1937, durch die u.a. zwei Abteilungen gebildet wurden. Eine Abteilung für Rechtsgestaltung und eine Abteilung für Rechtsforschung. Gemäß der näheren Bestimmungen dieser Verwaltungsordnung hätte der Ausschuss für Rechtsphilosophie als bereits bestehender Ausschuss der Abteilung für Rechtsgestaltung zugewiesen werden müssen (siehe erstmalig in meinem Unterabschnitt 1.4.4.).
In der neueren Datenbank „Invenio“ des Bundesarchivs ist die Akte R 61/30 aber als eine Akte der „Abteilung für Rechtsforschung“ charakterisiert worden:
Abbildung 55: Screenshot des Suchergebnisses über die Akten R 61/29 bis R 61/31; BArch „invenio“
Bis der Sachverhalt geklärt ist, werde ich aber keine Folgerungen aus einer der beiden Optionen ziehen.
Klar ist, dass „Rechtsgestaltung“ dem angestrebten Stil und der angestrebten Haltung der Mitglieder des „Kampfausschuss des Nationalsozialismus“ angemessener gewesen wäre. Zumal sie ja den Typus des weltfremden Gelehrten überwinden wollten (siehe Abschnitt 4).
Die Geschäftsführungsakte der AfDR mit der Signatur R 61/31 umfasst mehrheitlich Schriftgut, das Änderungsaufträge für Ausschusslisten und Listen von Ausschussmitgliedern dokumentiert. Die Änderungsaufträge werden im Jahr 1938 von einem Berliner Mitarbeiter der AfDR – „Paetzold“, wenn ich die Unterschrift korrekt entziffert habe – an den Münchener Mitarbeiter Fiedler übermittelt, der dem Schatzmeister Wilhelm Arendts zugeordnet war. Ein Blatt dieser Akte bestätigt, dass sich 1938 etwas bezüglich des „Seins“ des Ausschusses für Rechtsphilosophie verändert hat. Anderson (1982/1987) hatte zweimal auf das Jahr 1938 hingewiesen. Ich präsentiere diese Informationen in meinem Unterabschnitt 9.2.
Die Geschäftsführungsakte der AfDR mit der Signatur R 61/29 umfasst Mitgliederverzeichnisse der AfDR. Gleich das erste Blatt ist eine Mitgliederliste des Präsidiums der AfDR vom 26. Juni 1943. Die gelisteten Namen waren so prominent, dass ich mir eine Kopie gemacht habe. Mit Blick auf den Ausschuss für Rechtsphilosophie war das hilfreich, da auf diesem Blatt auch die Namen von Professor Wilhelm Kisch und Professor C. A. Emge erwähnt werden. Ich präsentiere dieses Blatt im Unterabschnitt 9.3.
In keiner der drei Akten, die ich innerhalb weniger Stunden mit einem anderen „Suchfilter“ im Kopf einmal komplett an einem Mikrofiche-Lesegerät durchgesehen habe, ist mir ein weiteres Blatt mit einer Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie aufgefallen. Daraus folgt selbstverständlich nicht, dass es keine weiteren Mitgliederlisten in dieser Aktengruppe gibt. Insbesondere folgt nicht, dass im gesamten Schriftgut des Bundesarchivs „R 61“ der AfDR nicht weitere Mitgliederlisten des Ausschusses für Rechtsphilosophie enthalten sind.
9.1. R 61/30: Geschäftsführungsakte der AfDR des Zeitraums „1941-1943“
Das Findbuch des Bundesarchivs von 1976 und die Suchmaschine invenio des Bundearchivs datieren die Geschäftsführungsakte mit der Signatur R 61/30 beiden auf den Zeitraum 1941 bis 1943.
9.1.1. R 61/30, Blatt 171: Der Ausschuss für Rechtsphilosophie existierte nach dem 17. Juli 1941
Das Blatt 171 der Akte R 61/30, das die brisante Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie ist, weist mehrere Bearbeitungsschichten auf. Ich präsentiere die Informationen dieses Blattes in der Reihenfolge ihres Entstehens.
9.1.1.1. Die erste Bearbeitungsschicht des Blattes 171
Die erste und damit älteste Bearbeitungsschicht des stark durchscheinenden Blattes wird durch Informationen gebildet, die mit einer Schreimaschine getippt wurden. Diese getippten Informationen sind eine Liste der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Unter weitgehender Wahrung des Layouts sieht diese älteste, von mir herausgearbeitete Schicht des Blattes 171 so aus:
Abbildung 56: Von Miriam Wildenauer erstellte Projektion aller semiotischen Informationen der ersten Bearbeitungsschicht des Blattes 171 der Geschäftsführungsakte R 61/30 (Laufzeit: 1941-1943) der Akademie für Deutsches Recht
Wichtig für die Aufklärung des akademischen Nationalsozialismus ist diese älteste, die getippte Bearbeitungssicht des Blattes 171.
Die getippte Mitgliederliste entfaltet ihre volle Brisanz durch die Kombination der gelisteten Personennamen und des frühesten Zeitpunktes, zu dem diese Liste erstellt worden sein kann. Dieser früheste Zeitpunkt liegt nämlich deutlich nach den Zeitpunkten, von denen bisher angenommen worden ist, sie markierten ein Ende der Zusammenarbeit von berühmten Professoren und NS-Verbrechern. Noch dazu kann dieser früheste Zeitpunkt, zu dem die Mitgliederliste getippt worden ist, aufgrund einer Information auf den Tag genau bestimmt werden, die dieses Blatt 171 dokumentintern liefert:
Auf dem Blatt wird Rosenberg nämlich als Reichsminister charakterisiert. Alfred Rosenberg ist aber erstmalig erst am 17. Juli 1941 Reichsminister geworden; und zwar ernannte Hitler ihn zum „Reichsminister für die besetzten Ostgebiete (RMfdbO).[461] Die älteste Bearbeitungsschicht des Blattes 171 kann demnach nicht (lange)[462] vor dem 17. Juli 1941 erstellt worden sein.
Da Alfred Rosenbergs Ernennung zum Reichsminister erst am 17. November 1941 öffentlich bekannt gegeben wurde[463], darf auch erwogen werden, dass die Liste erst nach dem 17. November 1941 erstellt worden ist.
Die Bestimmung des frühesten Zeitpunktes, vor dem die erste Bearbeitungsschicht nicht getippt worden sein kann, könnte vielleicht durch die Postadressen genauer ermittelt werden. Ich habe in diese Richtung noch kein Ergebnis erzielt, dass einen Zeitpunkt vor dem 17. Juli 1941 erzwingen würde.
Um anderen die Wiederholung von Ermittlungsarbeit zu ersparen, nenne ich ein paar Ergebnisse meiner Recherchen zum Erstellungszeitpunkt der ersten Bearbeitungsschicht:
- Professor Emge ist gemäß des Vorlesungsverzeichnisses der Berliner Universität erst zum WiSe 37/38 in die Delbrückstraße 23 gezogen.[464]
- Gemäß des Marburger Adressbuches 1938/39 wohnte Professor Erich Jung im 2. Stock in der Calvinstraße 6. Im ersten Stock wohnte Emma Rehmke.[465] Johannes Rehmke (1848-1930) war ein Philosophieprofessor und der Schwiegervater Erich Jungs. Das Haus mit der Adresse Calvinstraße 6 in Marburg hatte das Ehepaar Rehmke und der verwitwete Erich Jung 1921 gekauft. Ich wüsste gerne, wann Erich Jung nach 1938/39 in das benachbarte Haus auf der Calvinstraße 14 eingezogen ist.
- Da Wilhelm Kisch vor 1938 auf der Georgenstraße in München umgezogen ist, hilft sein Umzugsdatum nicht weiter, den Zeitpunkt der Erstellung der ältesten Bearbeitungsschicht näher zu bestimmen.[466]
In der Summe betrachtet ist es aber durch die ermittelten Veränderungen bezüglich der personenbezogenen Daten (Ernennung Rosenbergs zum Reichsminister, drei Umzüge von Dauermitgliedern) sehr unwahrscheinlich, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie der AfDR nach 1934 bloß eine Karteileiche gewesen ist.
Bemerkenswert ist, dass alle zwölf Personen, die als Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie nach dem 17. Juli 1941 aufgeführt sind, bereits im Mai 1934 zu den achtzehn Gründungsmitgliedern dieses Ausschusses gehört haben (siehe meinen Abschnitt 4.8.). Diese Konstanz spricht zum Beispiel stark gegen größere Konflikte beliebiger Art zwischen beliebigen Teilgruppen dieser zwölf »Persönlichkeiten«. Ja, es ist anzunehmen, dass sich einige Teilgruppen dieses Personenkreises bereits vor Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie kannten. In Teil II werde ich erste Forschungsergebnisse präsentieren, die ich durch diese Annahme entdeckt habe.
Wie bereits mehrfach erwähnt, sind die Namen einiger weniger Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie auf Blatt 171 nicht vermerkt. Es fehlen: Rudolf Stammler (1856-1938, Rechtsphilosoph), Baron von Uexküll (1864-1944, Zoologe und Philosoph, 1940 Umzug nach Capri), Julius Binder (1870-1939, Rechtsphilosoph), Walter Luetgebrune (1879-1949, Rechtsanwalt, Rechtsberater der SA und der SS, nach dem »Röhm-Putsch« degradiert), Hans Naumann (1886-1951, Mediävist, Bonn) und Helmut Nikolai (1895-1955, kurzfristig Ministerialdirektor im Reichsinnenministerium).
Zu beachten ist ferner, dass Hans Frank und Alfred Rosenberg am 17. Juli 1941 bereits viele der Verbrechen begangen hatten, für die sie 1946 zum Tode verurteilt wurden. Ja, viele der Verbrechen, die sie begangen haben, könnten sie als Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie geplant und als Reichsminister durchgeführt haben. Immerhin hatte Hans Frank den Ausschuss für Rechtsphilosophie ja in der Eröffnungsrede vom 3. Mai 1934 als „Kampfausschuss des Nationalsozialismus“ charakterisiert. Nicht wenige der Verbrechen Hans Franks und Alfred Rosenbergs waren bekanntlich »weltanschaulich« motiviert. Das Erzeugen der nationalsozialistischen Weltanschauung war zumindest anfänglich Kernaufgabe des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Das dokumentiert die Berichterstattung über die Gründung des Ausschuss für Rechtsphilosophie eindeutig (siehe Abschnitt 4). Und dass die AfDR bis ins Jahr 1943 ihre satzungsgemäßen Aufgabe erfüllte, das nationalsozialistische Programm in enger Zusammenarbeit mit den gesetzgebenden Stellen auf dem Gebiet des Rechts zu verwirklichen habe ich an vielen Beispielen nachgewiesen.
9.1.1.2. Die weiteren Bearbeitungsschichten des Blattes 171
Ich komme nun zur Darstellung und Interpretation der weiteren Bearbeitungsschichten des Blattes 171. Diese Schichten werden durch handschriftlich vorgenommene Änderungen gebildet. Es gibt mehrere solcher Änderungen:
1.) die Namen Emge, Bruns, Heymann, Jung, Kisch, Mikorey, Rosenberg, Schmitt C. sind mit einzelnen Häkchen rechts der Namen versehen worden, die mit einem spitzen Bleistift gemacht worden sind. Die Ausführung der Häkchen ist recht zackig.
Im Schriftgut mit der Signatur R 61/30 sind häufig Namen mit Häkchen versehen worden. Manchmal so zackig wie auf Blatt 171, manchmal etwas geschwungener.
Dass Namen handschriftlich mit Häkchen versehen worden sind, kann ohne weitere Informationen alles Mögliche bedeuten. Vielleicht hat auf diese Weise jemand markiert, dass er den so Markierten eine Information, z.B. ein Sitzungsprotokoll, zugesandt hat. Vielleicht hat so jemand markiert, dass Adressänderungen in einer anderen Liste bereits aufgenommen worden sind. Vielleicht hat jemand so markiert, welche Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie zugleich Mitglieder der AfDR waren. Vielleicht sind die Häkchen auch erst nach der letzten Änderung der Satzung und Verwaltungsordnung der AfDR am 9. Juni 1943 gemacht worden (siehe Unterabschnitt 1.4.5.). Sie könnten dann vielleicht markieren, welche Personen Mitglieder eines re-konstituierten Ausschusses für Rechtsphilosophie oder eines anderen Ausschusses der AfDR werden sollten. Dass solche Änderungen 1943 vorgenommen werden sollte, hatte Thierack auch öffentlich mitgeteilt (siehe Unterabschnitt 8.3.4.).
Ohne weitere Informationen darf man aus den Häkchen auf Blatt 171 sicherlich keine Schlüsse ziehen. Es gibt aber weitere, akten-interne Informationen:
Auf Blatt 27 der Akte mit der Signatur R 61/30 sind ebenfalls Namen handschriftlich mit Häkchen versehen worden. Es handelt sich um eine Namensliste des Ausschusses für Völkerecht. Die Liste ist auf den 3. März 1943 datiert. Diese Liste kann demnach nicht vor dem 3. März 1943 handschriftlich mit Häkchen versehen worden sein. Handschriftlich ist auf Blatt 27 oben zusätzlich folgendes vermerkt worden: „???in Kartei aufgenommen“. Auf dem Ausdruck vom Microfilm, den ich erstellt habe, ist ein Wort, dessen Ort ich durch die drei Fragezeichen markiert habe, nicht vollständig erkennbar. Es könnte ein „nicht“ sein. Solange nicht klar ist, um welche Kartei es sich handelt, ist die Entzifferung des ersten Wortes des Schriftzuges aber auch nicht wichtig. Die evidenzbasierte Hypothese lautet: Die Teilmengenbildung wurde durch Karteiaufnahme bestimmt. Mit Blick auf die Satzungen der AfDR könnte es sich um die Unterscheidung zwischen regulären Mitgliedern der AfDR im Kontrast zu bloßen Ausschussmitgliedern handeln. Und da tatsächlich die Personen, deren Namen mit Häkchen versehen worden sind, nachweislich Gründungsmitglieder der AfDR gewesen sind, während die vier Personen, deren Name nicht markiert worden sind, nämlich Frank, Freyer, Heidegger und Rothacker, keine Gründungsmitglieder der AfDR waren (Quellenverzeichnis / Quelle 1), ist diese Hypothese evidenzbasiert. Hans Frank war als Führer bzw. Präsident selbstverständlich zu erhaben, um ein ordentliches Mitglied der AfDR zu sein.[467]
2.) Das Blatt 171 ist von links unten nach rechts oben mit einem weichen Bleistift durchgestrichen worden.
Dieser Durchstreichungsstrich erklärt sich sehr wahrscheinlich folgendermaßen. Die Akte mit der Signatur R 61/30 beginnt mit mehreren Listen. Auf der „Liste 2“ wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie als Ausschuss aufgeführt, der seine Arbeit beendet habe oder aus sonstigen Gründen aufgelöst worden sei:
Abbildung 57: Von Miriam Wildenauer erstellte Projektion einiger semiotischer Informationen der Blätter 14 und 15 der Geschäftsführungsakte R 61/30 der Akademie für Deutsches Recht
Vor dem Hintergrund dieser „Liste 2“ ist der Durchstreichungsstrich auf Blatt 171 sehr wahrscheinlich die Abbildung der erfolgreichen Arbeitsbeendigung oder der Auflösung des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Diese Wahrscheinlichkeit wird durch eine weitere Liste in derselben Akte noch erhöht: Blatt 22 ist eine einseitige „Liste der arbeitenden Ausschüsse“ mit „Stand: 1. Mai 1943“. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird auf dieser Liste nicht aufgeführt. Der Ausschuss für Völkerrecht unter dem Vorsitz von Prof. Viktor Bruns, der auch Dauermitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie war, wird auf Blatt 22 gelistet. Der Name von Viktor Bruns ist auf dieser Liste handschriftlich durchgestrichen, mit einem Kreuz versehen und kommentiert worden. Den Kommentar auf diesem Blatt kann ich auf meiner Kopie nicht entziffern.
Das nächste Blatt der Akte R 61/30, das Blatt 23, ist das erste Blatt einer Mitgliederliste des Ausschusses für Völkerrecht mit der Datumsangabe „3. März 1943“. Es hat dasselbe Spaltenlayout wie die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie des Blattes 171. Auch auf dieser Mitgliederliste ist der Name von Viktor Bruns nachträglich handschriftlich durchgestrichen worden. Handschriftlich ist zusätzlich ergänzt worden: „verstorben“. Viktor Bruns ist am 18. September 1943 gestorben. Die Durchstreichungen des Namens Viktor Bruns in der Akte R 61/30 bilden demnach eine Bearbeitungsschicht, die nach dem 18. September 1943 erzeugt worden ist.
Zurück zu den Bearbeitungsschichten des Blatts 171, das in seiner ersten Schicht die Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie dokumentiert.
3.) die Zeile mit dem Namen Viktor Bruns ist auch auf Blatt 171 freihändig mit einem Stift durchgestrichen worden. Hier wird derselbe Bearbeiter der Geschäftsführungsakte der AfDR R 61/30, der bereits auf den Blätter 22 und 23 den Tod von Viktor Bruns aktenkundig gemacht hat, in demselben Arbeitsgang in der gesamten Akte die Information vom Tod Viktor Bruns abgebildet haben.
Das Blatt 171 mit all seinen Bearbeitungsschichten sieht – informationserhaltend – vollständig so aus:
Abbildung 58: Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie (1941-1943) – von Miriam Wildenauer erstellte Projektion aller semiotischen Informationen des Blattes 171 der Geschäftsführungsakte der AfDR mit der BArch-Signatur R 61/30
Zwischenergebnis: Die erste, die getippte Bearbeitungsschicht des Blattes 171 kann nicht vor dem 17. Juli 1941 erstellt worden sein, da Rosenberg erst am 17. Juli 1941 Reichsminister geworden sind. Weitere personenbezogene Informationen des Blattes 171 bestätigen, dass das Blatt 171 erst mehrere Jahre nach der Gründung des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Mai 1934 erstellt worden sein kann.
Eine durch handschriftliche Bearbeitung erzeugte Informationsschicht des Blattes 171 ist erst nach dem Tod von Viktor Bruns am 18. September 1943 erzeugt worden.
Der Durchstreichungsstrich von links unten nach rechts oben bedeutet sachlich entweder den erfolgreichen Abschluss der Arbeit des Ausschusses für Rechtsphilosophie oder seine Auflösung. Dieses Ereignis liegt ebenfalls nach dem 17. Juli 1941.
Keine der Informationen des Blattes 171 der Geschäftsführungsakte der AfDR 61/30 schließt aus, dass dieses Blatt nach dem Wechsel zu Thierack im August 1942 oder nach Vollzug des Auflösungsbeschlusses im Januar 1943 erstellt worden ist. Otto Thierack hatte öffentlich am 1. Januar 1943 nur von einer „vorübergehenden Einstellung“ gesprochen. Ich zitiere erneut:
[19] Die Planungen der übrigen Akademieausschüsse können im Rahmen dieser Ausführungen nicht behandelt werden. Ein Teil von ihnen hat aus kriegsbedingten Gründen seine Tätigkeit vorläufig eingestellt. Ein großer Teil aber wird im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten Weiterarbeiten an der Schaffung eines nationalsozialistischen Rechts und einer deutschen Rechtskultur, die zu ihrem Teil den Bestand des nationalsozialistischen Staates und die deutsche Stellung in Europa sichern wird.●
(Thierack 1943), S. 2 f.
Der späteste Zeitpunkt, zu dem die erste Bearbeitungsschicht erstellt worden sein kann, liegt vor dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme vom Tod Viktor Bruns durch den oder die Sachbearbeiter dieser Akte. Bruns starb am 18. September 1943. Hätte der Erstersteller des Blattes 171 vom Tod gewusst, hätte er den Namen nicht getippt.
9.1.1.3. Informationen, die keine Informationen des Blattes 171 sind
Das Blatt 171 und seine umgebenden Blätter sind stark durchscheinend. Sehr wahrscheinlich sind diese Blätter Durchschlagpapierblätter, die im Schreibmaschinenzeitalter genutzt wurden, um mit einem Tippereignis mehrere Kopien zu erstellen.
Die jpg-Datei, die am 15. Juni 2018 im FAZ-NET veröffentlicht worden ist, gibt nicht die Informationen des Blattes 171 der Akte R 61/30 wieder. Die Datei gibt eine Informationsmenge wieder, die kein reales Gegenstück hat. Anders gesagt: Die Informationsmenge, die auf dem FAZ-NET-Foto erkannt werden kann, existiert so nur auf dem FAZ-NET-Foto, nicht in der Akte R 61/30.
Blatt 172 ist eine getippte Mitgliederliste des „Unterausschusses für bürgerliche Rechtspflege (Kriegsbesetzung)“. Oben rechts ist handschriftlich das Datum „15/5.42“ geschrieben worden. Auf zwei Informationen des Blattes 172, die auf dem FAZ-NET-Foto erkennbar sind, möchte ich ausdrücklich hinweisen:
- Die Adresse eines Mitglieds des Unterausschusses für bürgerliche Rechtspflege ist handschriftlich korrigiert worden. Und zwar die Adresse des Ministerialdirektors Volkmar. Vom handschriftlichen Adresseintrag kann ich entziffern: „Berlin Zehlendorf, xxxubertxxxstr. 75“. Diese Adressänderung auf Blatt 172 erscheint auf dem darüber liegenden Blatt 171 zwischen den Adressangaben Mikoreys und Rosenbergs. Es handelt sich aber nicht um eine Adressänderung Mikoreys oder Rosenbergs, sondern Erich Volkmars und ist hier deswegen irrelevant.
- Über der getippten Liste der Mitglieder des Unterausschusses für bürgerliche Rechtspflege des Blattes 172 ist nachträglich von links unten nach rechts oben in zwei Zeilen „wird neu / konstituiert“ handschriftlich mit weichem, nicht-spitzen Bleistift geschrieben worden. Blatt 172 weist keine Durchstreichungslinie von links unten nach rechts oben auf.
Auf dem FAZ-NET-Foto erscheint der Zweizeiler des Blattes 172 „wird neu / konstituiert“ so als ob er parallel zum Durchstreichungsstrich des Blattes 171 geschrieben worden wäre. Das ist aber nicht der Fall.
In der Akte R 61/30 sind übrigens Durchstreichungen ganzer Mitgliederlisten und Erläuterungen dieser Durchstreichungen kein Einzelfall, sondern eher der Regelfall. So weisen z. B. auch das Blatt 127 und das Blatt 131 („angefertigt am 8.10.1941“) dieselbe Durchstreichungslinie von links unten nach rechts oben auf. Die Durchstreichung ist in allen von mir erwähnten Fällen mit einem weichen Bleistift gemacht worden. Die Durchstreichung auf Blatt 127 wird unterhalb der getippten Informationen des Blattes in waagerechter Zeile handschriftlich erläutert mit „während des Krieges suspendiert“.
Das Blatt 170 (Mitgliederliste des Ausschusses für Polizeirecht) weist eine interessante Variante auf: Auf ihm fehlt zwar die Durchstreichungslinie von links unten nach rechts oben. In zumindest ähnlicher Handschrift ist ferner zunächst in derselben Orientierung von links unten nach rechts oben quer über die getippten Informationen zu lesen: „während des Krieges suspendiert“. Diese Information ist dann aber durchgestrichen worden: „während des Krieges suspendiert“ . Im unbetippten unteren Seitenbereich ist in derselben Handschrift hinzugefügt worden: „Aufgelöst April 1943“. Das erklärt sich leicht. Zunächst war zwar beschlossen worden, dass viele Ausschüsse der Akademie „während des Krieges“ zu suspendieren seien (1. Veränderung, ca. 1939). Nicht wenige dieser suspendierten Ausschüsse arbeiteten dann aber doch weiter, so dass die Suspendierung für die Dauer des Krieges beendet wurde (2. Veränderung: Durchstreichung). Nach Stalingrad gab es dann eine zweite „Auflösungswelle“ von Ausschüssen (3. Veränderung), die den Ausschuss für Polizeirecht im April 1943 erreichte.
Diese „Auflösungswelle“ diente aber nur eine Restrukturierung der AfDR, sie war nicht Ausdruck einer Entmachtung oder gar Abwicklung der AfDR (siehe meine Unterabschnitte 8.1.2. und 8.3.4.).
In der Akte mit der Signatur R 61/30 gibt es weitere Blätter, auf denen Informationen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie vermerkt sind. Die stelle ich nun vor. Da ich mir nicht alle Blätter der Akte vom Mikrofiche ausgedruckt habe, erhebe ich aber keinen Vollständigkeitsanspruch.
9.1.2. BArch R 61/30, Blatt 141: „Im Januar 1943 wurden aufgelöst: … Rechtsphilosophie …“
Da Rosenberg in der ersten Bearbeitungsschicht von Blatt 171 als Reichsminister charakterisiert wird, kann das Blatt 171 nicht vor dem 17. Juli 1941 erstellt worden sein. Auf der Liste mit den Ausschüssen, die nicht mehr arbeiteten (Liste 2, Blätter 14+15), war auch der Ausschuss für Rechtsphilosophie genannt worden. Diese Liste informierte aber nicht über den Zeitpunkt, zu dem die Arbeit beendet wurde oder der Ausschuss aufgelöst wurde.
Das Blatt 141 derselben Akte enthält die fehlende Information. Auf ihm befinden sich zwei Listen. Die übergeordnete Überschrift lautet: „Liste der aufgelösten Ausschüsse“. Die erste Liste trägt die untergeordnete Überschrift: „Im Januar 1943 wurden aufgelöst:“. Die zweite Liste ist überschrieben mit „Bis zum April 1943 wurden ferner aufgelöst.“ Der Ausschuss für Rechtsphilosophie ist einer von 21 im Januar 1943 aufgelösten Ausschüsse. Bis zum April 1943 wurden weitere sieben Ausschüsse aufgelöst. Hier meine Abbildung der semiotischen Informationen des Blattes 141:[468]
Abbildung 60: Von Miriam Wildenauer erstellte Projektion aller semiotischen Informationen der Liste der 1943 aufgelösten Ausschüsse der Akademie für deutsches Recht (Geschäftsführungsakte der AfDR, R 61/29, Blatt 141)
Da auch Anderson (1982/87) in seinem Appendix B angegeben hat, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie 1943 aufgelöst worden sei, könnte er Blatt 171 ausgewertet haben.
Über das erste Quartal 1943 berichtet Pichinot folgendes:
[…] Die Klärung der „Stellung des deutschen Richters“ war für Thierack [nach seinem Amtsantritt als Reichsjustizminister und neuen Präsidenten der AfDR im August 1942; mw] dabei die vordringlichste Aufgabe im Justizbereich.4) Aus diesem Grunde wurden im Januar 1943 drei neue Ausschüsse gebildet, die in engster Verbindung mit den am 1. Januar 19435) im Reichs-Justizministerium gegründeten entsprechenden Ämtern arbeiten sollten: „Rechtsprechung durch das Volk“, „Richter und Rechtspfleger“ und „Wahrheitsforschung im Streitverfahren“.6) Die „Große Justizreform“7), die diese Ausschüsse vorbereiten sollten, wurde nie verwirklicht. Thierack hatte durch die Einsetzung dieser Ausschüsse aber deutlich gemacht, daß nun in der Akademie nach den Zielvorstellungen des Reichsjustizministeriums gearbeitet wurde. Hinzu kam, daß er zu Ausschußvorsitzenden die Ministerialdirektoren Klemm, Letz und Altstötter berief.8)
4) Thierack a.a.O., S. 2
5) AV d. RIM vom 23.12.1942, DJ 1943, S. 15
6 ) Bundesarchiv R6 1 /3 O, Bl . 22
7) vgl. dazu A. Wagner S. 349 ff.
8 ) Bundesarchiv a.a.O.
Während die neugegründeten Ausschüsse ihre Arbeit aufnahmen, wurde in den Monaten Februar und März 1943 als Folge der │ S. 147 „totalen Kriegsführung“ die Mehrzahl der Ausschüsse als „nicht kriegswichtig“ suspendiert.1) Davon betroffen waren auch die Ausschüsse, die sich mit der Arbeit am Volksgesetzbuch befaßten. Lediglich der Hauptausschuß unter, Vorsitz von Hedemann blieb bestehen, um die „notwendigen Arbeiten“ weiterzuführen.2) Am 1. Mai 1943 arbeiteten außer den vier genannten Ausschüssen nur noch die Ausschüsse für Enteignungsrecht[469], Völkerrecht[470], Verfahrensfragen im gewerblichen Rechtsschutz, Sozialversicherungsrecht sowie Wohlfahrts- und Fürsorgerecht.3) In der Abteilung für Rechtsforschung wurden die Arbeiten der Klasse IV nur zum Teil von den Stillegungsmaßnahmen betroffen. Die Arbeitsgemeinschaften für Agrarpolitik, Außenwirtschaft, Finanzgeschichte, Geld und Kredit, Preispolitik, Sozialpolitik und Verkehrspolitik blieben bestehen.4)
1) Bundesarchiv R 22/4330
2) Thierack, Zehn Jahre Akademie für Deutsches Recht, S. 122
3) Bundesarchiv R 61/30, Bl. 22
4) Bundesarchiv a.a.O.
(Pichinot 1981), S. 146 f.
Pichinots Wiedergabe des Blatts 22 der Akte 30 der AfDR ist korrekt. Das beweist, dass er die Akte R 61/30 kannte.
Verbindet man nun diesen Auflösungszeitraum „Januar 1943“ mit der Information, wer noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, wird deutlich, dass der bisherige »Wissensstand« über die 12 Dauermitglieder dieses Ausschusses schwerwiegende Fehler enthält. Die ein- oder wechselseitige Distanzierung der Professoren und der NS-Elite geschah in 10 Fällen nicht vor, schon gar nicht lange vor Beginn des Zweiten Weltkrieges.
Gab es den Ausschuss für Rechtsphilosophie vor dem 17. Juli 1941, aber nach seiner Verschmelzung („merged with“) mit Klasse 1 der Abteilung für Rechtsforschung im Jahr 1938, von der Anderson berichtet hatte? Auch dieses Frage kann mittels der Akte R 61/30 beantwortet werden.
9.1.3. BArch R 61/30, Blätter 1-4: Ausschüsse, die vom 1. September 1939 bis mindestens zum 20.8.1942 existierten
Die Aktengruppe R 61/30 wird von vier Blättern eröffnet, auf der alle „Ausschüsse und Arbeitsgemeinschaften“ aufgelistet sind, die „bei Kriegsbeginn und bei Wechsel der Präsidentschaft“ der AfDR von Hans Frank zu Otto Georg Thierack existierten. Die Präsidentschaft wechselte im August 1942. Die lange Liste, die sich über vier Blätter erstreckt, ordnet die Ausschüsse nach Bereichen:
- Zivilrecht: 25 Ausschüsse mit Nennung auch ihres Vorsitzenden
- Strafrecht: 3 Ausschüsse
- Handels- und Wirtschaftsrecht: 11 Ausschüsse
- Öffentliches und Völkerrecht: 20 Ausschüsse, darunter der Ausschuss für Völkerrecht von Prof. Viktor Bruns, der Ausschuss für Nationalitätenrecht des SS-Brigadeführers Behrends[471], der Ausschuss für Kolonialrecht des Staatsrats Professor Freiherr von Freytagh-Loringhoven
- Arbeits- und Sozialrecht: 3 Ausschüsse
- Geistiges Schaffen: 4 Ausschüsse
- Versicherungsrecht: 4 Ausschüsse
- Jugendrecht: 4 Ausschüsse
- Sonstiges: 2 Ausschüsse
Insgesamt waren demnach 76 Ausschüsse im Zeitraum vom 1. September 1939 bis in den August 1942 tätig. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie unter dem Vorsitz von „Reichsminister Dr. Frank“ wird in der Rubrik „Sonstiges“ genannt (R 61/30, Blatt 4).
Wenn man das „und“ in der Überschrift dieser 4-blättrigen Liste ernst nimmt, und es gibt keinen Grund, das nicht zu tun, dann gab es den Ausschuss für Rechtsphilosophie auch zwischen dem 1. September 1939 und bis in den August 1942 hinein.[472]
9.1.4. Schlussfolgerung aus der Geschäftsführungsakte der AfDR mit der Signatur R 61/30
Aus den präsentierten Informationen der Geschäftsführungsakte der AfDR mit der BArch Signatur R 61/30 und weiteren Fakten können mehrere Zusatzschlussfolgerungen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie gezogen werden:
1.) Verbindet man die Informationen des Blattes 141 (Auflösung im Januar 1943) mit den Blättern 1 bis 4 (Kriegsbeginn bis Präsidentenwechsel) ist bewiesen, dass der Wechsel von Hans Frank zu Otto Thierack als Präsident der AfDR im August 1942 nicht unmittelbar zu einer Auflösung des Ausschusses für Rechtsphilosophie geführt hat.
2.) Da die Mitgliederliste auf Blatt 171 noch irgendwann nach dem Tod von Viktor Bruns im September 1943 bearbeitet worden ist und der Ausschuss für Rechtsphilosophie irgendwann im Januar 1943 – vielleicht nur vorläufig[473] – aufgelöst wurde (Blatt 141), verzeichnet Blatt 171 nicht nur die Mitglieder irgendwann nach Ernennung Alfred Rosenbergs zum Reichsminister, sondern auch die Mitglieder des Ausschuss für Rechtsphilosophie bis zu seiner Auflösung im Januar 1943.
3.) Für die Zeit vom August 1942 bis in den Januar 1943 hinein arbeiteten also die auf Blatt 171 geführten Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie unter dem Ausschussvorsitzenden Hans Frank, der nach wie vor Reichsminister ohne Geschäftsbereich war, und unter dem neuen Präsidenten der AfDR, Otto Thierack.
4.) Im zweiten und bis zum Ende unverändert geltenden Gesetz über die AfDR vom 11. Juli 1934 war in § 3 die Aufsicht über die AfDR als Körperschaft öffentlichen Rechts des Reichs (§1) geregelt worden: „§ 3. Die Akademie steht unter der Aufsicht der Reichsminister der Justiz und des Innern.“
Da Otto Thierack im August 1942 nicht nur Präsident der AfDR, sondern auch neuer Reichsjustizminister geworden war, arbeiteten die zwölf Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie unter der Aufsicht von Thierack als Reichsjustizminister. Reichsinnenminister war Wilhelm Frick vom 30. Januar 1933 bis zum 20. August 1943.
5.) Wer Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie nach dem 1. September 1939 und vor Erstellung der Mitgliederliste des Blattes 171 gewesen ist, ist in den Akten R61/29-31 nicht dokumentiert – falls ich nichts bei meiner ersten und einzigen Gesamtsichtung der Akte übersehen habe.
Da aber alle zwölf Mitglieder der Liste von Blatt 171 zweifelsfrei bereits zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie im Mai 1934 gehört haben, gibt es keinen Grund anzunehmen, irgendeiner der zwölf Männer, die als Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie auf Blatt 171 aufgeführt sind, seien zu irgendeinem Zeitpunkt der Existenz dieses Ausschusses nicht Mitglied dieses Ausschusses gewesen.
9.2. R 61/31: Änderungsaufträge für Listen von Ausschüssen und Mitgliederlisten von Ausschüssen aus dem Jahr 1938
Die Geschäftsführungsakte mit der BArch-Signatur R 61/31 enthält Änderungsaufträge für Listen von Ausschüssen und Listen von Mitgliedern von Ausschüssen, die 1938 von der Berliner Zweigstelle der AfDR an die Münchener Geschäftsstelle der AfDR übermittelt worden sind.
9.2.1. R 61/31, Blätter 1-5: Änderungen in den Ausschusslisten
Die ersten fünf Blätter dieser Akte der AfDR sind eine abgearbeitete (Häkchen) Liste mit Änderungsaufträgen für Ausschusslisten, die von der Berliner Zweigstelle der Münchener Geschäftsstelle erteilt worden sind. Ein Änderungsauftrag betrifft den Ausschuss für Rechtsphilosophie. Es soll der Umzug von Kisch auf die Georgenstraße 42 in die Listen eingearbeitet werden.
Ich präsentiere Zusatzinformationen, die Licht auf andere Informationen auf anderen Blättern werfen. Hier zunächst das Anschreiben. Es geht von München nach Berlin. Der Berliner ist ein Paetzold, glaube ich. Der Münchener ist ein „Direktor Fiedler“-
AKADEMIE FÜR DEUTSCHES RECHT
Öffentlich-Rechtliche Körperschaft des Reiches
Berlin W, Leipziger Platz 15, Fernruf […]
schwarzer Balken, der ein Drittel der Blattbreite einnimmt
Herrn
Direktor Fiedler
München
Ludwigstr. 12
Unser Zeichen: IV/14
Sehr geehrter Herr Direktor,
Wir gestatten uns, Ihnen beiliegend eine Liste zu überreichen, in der Sie die Änderungen in den Ausschusslisten {{schwer leserlich: streichen}} {{schwer leserlich: wollen}}. Wir dürfen Sie bitten, auf Grund dieser Liste {{schwer leserlich: auch}} {{schwer leserlich: gleichzeitig}} bei Herrn Generaldirektor Arendts liegende Liste {{unleserlich: anfertigen}} zu lassen.Heil Hitler!
im Auftrage
Unterschrift [Paetzold]
BArch R 61/31, Blatt 1
Ich präsentiere nun Auszüge der beiliegenden Liste mit Änderungsaufträgen von Paetzold an den Direktor Fiedler. In einer linken Spalte sind handschriftlich Häkchen eingetragen. Es gibt immer drei Häkchen. Ich vermute, dass jedes Setzen eines Häkchens die Abbildung der Änderungsinformation in je eine andere Datei dokumentiert. Wäre das richtig, hätte es allein in München drei Exemplare der Dateien gegeben. Eine hätte der Generaldirektor Arendts verwaltet und mindestens eine andere der Direktor Fiedler.
Betr. Ausschüsse | 2 | ||||
Folgende Änderungen sind in den Ausschusslisten nachzutragen: | |||||
✓✓✓ | Beamtenrecht: | ||||
Seel Wittland | Ministerialdirigent Vopeliuspfad | ||||
✓✓✓ | Bodenkulturrecht: | ||||
Linkelmann | ist zu streichen | ||||
✓✓✓ | Familienrecht: | ||||
Krüger | SS-Scharführer ist zu streichen | ||||
Denk | Assessor München, Poschingerstr. 1; neues Mitglied | ||||
[…] | |||||
4 | |||||
[…] | |||||
✓✓✓ | Polizeirecht: | ||||
Klopfer[474] | Oberregierungsrat | ||||
✓✓✓ | Rechtsphilosophie: | ||||
Kisch | Georgenstr. 42 | ||||
[…] |
BArch R 61/31, Blatt 2 + 4 in Auszügen
Die Änderung, die den Ausschuss für Rechtsphilosophie betrifft, ist Folge eines Umzugs von Wilhelm Kisch im Jahr 1936 nach seiner Pensionierung:
Deutlich manifestierte sich der Unterschied zwischen Pensionierung und Emeritierung als im Februar 1936 die Juristische Fakultät [der Berliner Universität; mw] versuchte, Kisch erneut die wissenschaftliche Leitung des Juristischen Seminars zu übertragen. Das Kultusministerium lehnte dies mit dem kurzen Hinweis ab, dass Kisch nicht mehr dem Lehrkörper der Univer- | S. 249 sität angehöre.732 Mit der Pensionierung nahm Kisch darüber hinaus finanzielle Einbußen in Kauf, aber die damaligen Umstände schienen ihm wohl der Mühen und Anstrengungen auch nicht mehr wert. Er hatte, wie er schrieb, schon begonnen, sich im Hinblick auf die Lehrtätigkeit und die Veränderungen zu „desinteressieren“.733 Infolge seiner Pensionierung zog Kisch dann mit seiner Schwester knapp ein halbes Jahr später in eine andere Wohnung in die Georgenstraße um.734
734 Brief KISCH an GERLAND vom 7.4.1936, Nachlass GERLAND, BAK NL 10, Bd. 18
(Adlberger 2007), S. 248
Da alle datierten Schriftstücke dieser Akte das Jahr 1938 verzeichnen, ist auch das erste Dokument dieser Akte sehr wahrscheinlich 1938 erstellt worden. Sollte das richtig sein, wäre erstaunlich viel Zeit zwischen dem Umzugszeitpunkt Kischs Anfang 1936 und der Änderung der Liste 1938 verflossen. Ohne weitere Informationen, mag ich aber keine Vermutung über diese Auffälligkeit anstellen.
9.2.2. R 61/31, Blätter 12-13: Ein weitere Liste mit Änderungsaufträgen der Ausschusslisten
Die Blätter 12 und 13 der Akte der AfDR mit der Signatur R 61/31 sind ebenfalls eine abgearbeitete (Häkchen) Liste mit Änderungsaufträgen für die Ausschusslisten. Anders als die Blätter 1 bis 4 gibt es aber eine dominante Überschrift, nämlich „Mitteilung Nr. 27/38“ und eine Datumsangabe „Berlin, den 1. April 1938“, das Kürzel „IV/14“ für „Unser Zeichen“ und eine Unterschrift, von der ich glaube, sie erneut als „Paetzold“ entziffern zu können. „Paetzold“ ist kein seltener Name, deswegen sind Rückschlüsse auf die bürgerliche Identität des Unterzeichners nicht einfach.[475] Alle Blätter der Akte mit der Signatur R 61/31, die eine Unterschrift aufweisen, weisen jedenfalls dieselbe Unterschrift auf, die ich als „Paetzold“ entziffere.
Auch das nächste Blatt, auf das ich im nächsten Abschnitt gesondert aufmerksam machen möchte, weist dieselbe Unterschrift wie die Blätter 12 und 13 auf. Es ist das Blatt, wegen dem ich überhaupt in dieser Publikation auf die Akte mit der BArch-Signatur „R 61/31“ zu sprechen komme.
9.2.3. R 61/31, Blatt 15: Hans Franks Aufhebungsanordnung des Ausschusses für Rechtsphilosophie zum 8. Juli 1938
Auf Blatt 15 der Akte der AfDR mit der BArch-Signatur R 61/31 wird dem Münchener Schatzmeister Arendts der Akademie für deutsches Recht, zu Händen von „Direktor Fiedler“, vermittelt durch den Berliner Paetzold die „Anordnung“ des „Präsidenten Reichsminister Dr. Frank“ mitgeteilt, dass
„der Ausschuß für Rechtsphilosophie mit Wirkung vom 8. d. Mts. aufgehoben worden [sei]. Die Mitgliederliste ist zu vernichten.“
Beachtenswert ist der Singular der Satzsubjekts und der Kopula in dem vollständig zitierten Satz: anscheinend gab es genau eine Mitgliederlist des Ausschusses für Rechtsphilosophie.
Das Blatt 15 enthält folgende Informationen:
Akademie für Deutsches Recht
Öffentlich-Rechtlicher Körperschaft des Reiches
Berlin W 9, Leipziger Platz 15, Fernruf […]
DatumsangabeAn den
Schatzmeister der Akademie für Deutsches Recht
z. Hd. Herrn Direktor Fiedler
München
Ludwigstr. 12
Unser Zeichen: IV/14
Sehr geehrter Herr Direktor Fiedler!
Auf Anordnung des Präsidenten Reichsminister Dr. Frank ist derAusschuss für Rechtsphilosophie
mit Wirkung vom 8 ds. Mts. aufgehoben worden.
Die Mitgliederliste des Ausschusses ist zu vernichten.
Heil Hitler!
i. A. {{Paetzold}}
BArch R 61/31, Blatt 15
Oben auf dem Blatt existiert eine Datumsangabe, die mehrfach durchgestrichen ist. Mit Mühe kann man folgendes erkennen: 1? Juli 1938. Das Blatt 13 weist als Datum den 1. April 1938 auf. Das Blatt 18 den 29. Juli 1938. Der Ausschuss ist demnach rückwirkend im Juli 1938 zum 8. Juli 1938 aktenkundig aufgehoben worden. Und zwar so, dass aus den Akten die Information zu entfernen war, wer vor der Aufhebung Mitglied dieses Ausschusses gewesen ist.
Man könnte vielleicht meinen, dass diese Aufhebungsanordnung gemäß § 6, Satz 1 der ersten Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933 erfolgte. Satz 1 von § 6 lautete:
„Die Mitglieder werden für die Dauer von 4 Jahren ernannt.“
(H. Frank, Erste Satzung der AfDR vom 26. Juni 1933; 1934)
Da die soeben zitierte Aufhebungsanordnung aber nicht anordnet, dass die Mitgliedschaft der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie aufzuheben sei, sondern der gesamte Ausschuss, und ein olympischer Zyklus fürs Dasein von Ausschüssen der AfDR in der Satzung nicht festgesetzt worden ist, war das nicht der Grund für die Aufhebungsanordnung.
Dass es sich um keinen „normalen“ Verwaltungsvorgang handelt, wird durch die Aufforderung, die Mitgliederliste zu vernichten zumindest nahegelegt.
Was machte den Sommer 1938 besonders?
In Abschnitt 8 habe ich die Ergebnisse einer meiner Suchstrategien präsentiert: In den Zeitschriften des NS-RB, des Reichsjustizministeriums und der AfDR wurde über den Sommer 1938 wurde jedenfalls nichts Weltbewegendes berichtet, das Grund diese „Aufhebungsanordnung“ gewesen sein könnte. Im Zentralorgan des NS-RB Deutsches Recht wurde ein Märchen in zwei Teilen präsentiert, durch das sich Leser zurecht legen konnten, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie, über den sie im Mai 1934 viele gelesen hatten, gescheitert sei. Die bekannten Rechtsphilosophen Stammler und Binder waren von dem völkischen Rechtsphilosophen Larenz überwunden worden. Das wurde im Sommer 1938 durch einen Nachruf von Larenz auf Stammler mitgeteilt. Im Winter 1938 wurden dann mitgeteilt, dass nach Einverleibung der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer in den NS-RB im NS-RB eine Arbeitsgemeinschaft für Recht- und Sozialphilosophie gegründet worden sei.[476]
Mich hat dieses Märchen nicht überzeugt. Deswegen habe ich in einer weiteren Suchstrategie nach Auffälligkeiten im Sommer 1938 in den Biographien der zwölf Dauermitglieder gesucht. In einem Fall bin ich schnell fündig geworden: Im Juli 1938 zog Freyer nämlich in die Hauptstadt Ungarns um. Mit den Gründen und Folgen dieses Umzugs von Hans Freyer befasse ich mich in Teil IV in einem Abschnitt über Ungarn.
Da im Anordnungstext eine grammatische Variante des Worts „Aufhebung“ vorkommt und Hans Freyer im akademischen Nationalsozialismus u.a. als „Neu-»Hegelianer« gilt, mag ich hier eine Verwendung des Worts „Aufhebung“ von Hans Freyer zitieren, die vielleicht klärt, was weshalb mit dem Ausschuss für Rechtsphilosophie im Juni 1938 geschah:
Allerdings, die Planung erweist sich bei alledem als die höhere, synthetische Leistung
(Freyer 1933), S. 10
– in Freyers dynamischer Entwicklung einer „Kategorienlehre der menschlichen Praxis“ (S. 4).
Und das heißt: sie steht der konkreten geschichtlichen Existenz des Menschen um eine Stufe näher als die Technik. Der Plan wird nicht nur entworfen als ein System aus willkürlichen Setzungen und rationalen Folgerungen daraus. Sondern er wird einer bestimmten geschichtlichen Lage übergeworfen. Diese wird in ihn eingefangen. Die Natur liefert immer eine unendlich große Vielzahl von Ausgangslagen für den technischen Eingriff, und in das Werk der Technik geht das, was die Natur liefert, lediglich als Baustoff ein: es verschwindet darin. Die Geschichte aber liefert zu jeder Zeit nur eine bestimmte Ausgangslage. Und in das Werk der Planung | S. 11 geht diese geschichtliche Lage keineswegs nur als Baustoff ein, sondern als Gegenwart, der eine bestimmte Zukunft entrungen wird. Die geschichtliche Gegenwart wird in der Planung nicht vernichtet, sondern „aufgehoben“; nicht verwendet, sondern geordnet; nicht zum Verschwinden gebracht, sondern neu – in neuer Gestalt – festgelegt.
(Freyer 1933), S. 10
Wäre dieser Wortgebrauch Freyers maßgebend für den Anordnungstext gewesen, dann wäre der Ausschuss für Rechtsphilosophie durch Hans Frank im Juli 1938 „nicht vernichtet“, „nicht zum Verschwinden gebracht“ worden, „sondern neu – in neuer Gestalt festgelegt“ worden.
Bevor ich die vier NS-Zeitschriften nach Informationen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie durchgesehen habe, hatte ich angenommen, der etwaige Gestaltwechsel sei ein Wechsel von einem öffentlich bekannten zu einem Geheimausschuss gewesen. Diesen Wechsel gab es zwar tatsächlich. Er wurde aber bereits 1934/35 vollzogen.
Bezogen auf die Menge dessen, was ich derzeit weiß, ist die beste Auslegung, die ich für die Aufhebungsanordnung im Sinne eines Gestaltwechsels habe, die, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht länger primär »theoretisch« tätig sein sollte, sondern seine Mitglieder nun »praktisch« tätig werden sollten. Hans Frank hatte ja in der Eröffnungsrede am 3. Mai 1934 auch verkündet, dass mit dem
Begriff eines Gelehrtentypus, dessen Wert darin lag, daß er weltfremd war
(Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934: Hans Frank; 1934)
Schluss gemacht werde und dass
der Ausschuss sich als ein Kampfausschuss des Nationalsozialismus konstituiert.
(Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934: Hans Frank; 1934)
Ich vermute demnach, dass während der ersten Olympiade die Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie durch wissenschaftliche Methoden ihre Kampfzeit in der zweiten Olympiade vorbereitet haben. Für den »Kampf«, den Hans Freyer in Budapest führte[477], war es sicherlich hilfreich, dass über den Ausschuss für Rechtsphilosophie jenseits der Berichterstattung über seine Konstituierung nicht wieder berichtet worden ist. Hilfreich war es auch, dass die Mitgliederliste im Sommer 1938 vernichtet werden sollte. Ein Gestaltwechsel zu einem »Kampfausschuss«, der ggf. nicht mehr durch regelmäßige Sitzungen in Berlin und München, sondern auf andere Weisen kooperierte, könnte ebenfalls geholfen haben. Eine Kooperation übers Auswärtige Amt, den DAAD oder/und die Goethe-Institute wäre denkbar.
9.3. Professor Wilhelm Kisch war noch im Herbst 1942 und Professor C. A. Emge noch im Winter 1943/44 Mitglied des Präsidiums der AfDR
Da zwei der Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie nach dessen Auflösung im Januar 1943 nachweislich noch Mitglieder des Präsidiums der AfDR unter ihrem neuen Präsidenten Otto Thierack gewesen sind, stelle ich nun noch ein Blatt aus der Akte R 61/29 vor, das belegt, dass Professor Wilhelm Kisch bis mindestens Ende September 1942 und Professor C. A. Emge bis mindestens in den Dezember 1943 hinein Präsidiumsmitglieder der AfDR gewesen sind.
Im Fall von Professor Emge ist im November 1942 öffentlich bekannt gemacht worden, dass Thierack ihn gebeten hatte, auch unter seiner Präsidentschaft Mitglied des Präsidiums der AfDR zu bleiben. Ob Emge dieser Bitte entsprach, wurde nicht mitgeteilt. Mitgeteilt wurde aber erneut, dass Emge bislang in Abwesenheit von Hans Frank „während des Krieges die gesamte Leitung“ der AfDR übernommen hatte. Er habe dabei den Gesetzgeber des Dritten Reichs unterstützt. Auch nach dem Wechsel zu Thierack wurde öffentlich bestätigt, dass Emge von Herbst 1939 bis in den Oktober 1942 Ersatz-Präsident der AfDR gewesen ist:
Staatssekretär Dr. Rothenberger stellvertretender Präsident der Akademie für Deutsches Recht
[1] Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Reichsjustizminister Dr. Thierack, hat den Staatssekretär im Reichsjustizministerium Dr. Rothenberger zum stellvertretenden Präsidenten der Akademie berufen.
[2] Die Akademie begrüßt in dem neuen stellv. Präsidenten einen langjährigen Freund und Förderer, er der Akademie seit ihrer Gründung als Mitglied angehört und an den Arbeiten der Ausschüsse wie an der Pflege der Rechtsbeziehungen zum Auslande stets hervorragenden Anteil genommen hat.
[3] Der bisherige stellvertretende Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Professor Dr. Dr. C. A. Emge, Berlin, hat die Bitte ausgesprochen, von seinem Amte entbunden zu werden. Im Einverständnis mit dem Führer hat der Präsident der Akademie, Reichsjustizminister Dr. Thierack, dieser Bitte stattgegeben und Professor Emge Dank und Anerkennung für die geleistete Arbeit ausgesprochen.
ZAfDR 1942, Heft 21 vom 1. November 1942 , S. 813
Die Frage, wer stellvertretender Präsident der AfDR war, war 1942 so wichtig, dass der Führer sich mit ihr befasste.
[5] Damit scheidet eine Persönlichkeit aus der Leitung der Akademie für Deutsches Recht, die sich in den Jahren ihres Wirkens um das deutsche Rechtsleben große Verdienste erworben hat. Professor Emge, der als Nachfolger Rudolf Stammlers an der Berliner Universität den Lehrstuhl für Rechtsphilosophie innehat und an führender Stelle der Rechtswissenschaft und zahlreicher wissenschaftlicher Vereinigungen steht, hat seit dem Jahre 1937 die Geschäfte des stellv. Präsidenten geführt und auf die Entwicklung und insbes. den wissenschaftlichen Ausbau der Akademie maßgebenden Einfluß genommen. In Abwesenheit des Präsidenten [Hans Frank; mw] übernahm er während des Krieges die gesamte Leitung und hat die Arbeit an der Rechtserneuerung zur Unterstützung der Gesetzgebung trotz erschwerter Umstände wesentlich weitergeführt.
[6] Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht hat Professor Emge gebeten, seine bewährte Kraft als Mitglied des Präsidiums auch weiterhin für die Rechtsarbeit einzusetzen.●
ZAfDR 1942, Heft 21 vom 1. November 1942 , S. 813
Wie im Einzelnen Emges „Pflege der Rechtsbeziehungen zum Auslande“ aussagen, wird mich bis in Teil IV hinein beschäftigen.
9.3.1. Rechtliche Verfasstheit des Präsidiums der AfDR (Stand: ab 9. Juni 1943)
Die Satzung der AfDR wurde zum vierten und letzten Mal am 9. Juni 1943 geändert. Diese neue Satzung wurde im Reichs- und Staatsanzeiger vom 9. Juni 1943 veröffentlicht. Im Quellenbereich meiner Internetseite ist der komplette Text, so wie er im „Amtlichen Teil“ der ZAfDR 1943, S. 136-138 veröffentlicht wurde, als PDF zugänglich (Quellenverzeichnis / Quelle 2). Mit Änderung der Satzung ist zugleich die Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April 1937 geändert worden.
Zu Beginn der Satzung von 1943 werden wieder die Aufgaben der AfDR festgesetzt. Sie sind materiell nicht verändert worden. Da Otto Thierack die Aufgabenbestimmung der AfDR am 1. Januar 1943 bereits öffentlich auch für die Kriegszeit bestätigt hatte (siehe meinen Unterabschnitt 8.3.4.), ist das nicht überraschend:
Satzung1)
Die Aufgaben der Akademie
§ 1. Die Akademie für Deutsches Recht hat nach dem Reichsgesetz vom 11. Juli 1934 (RGBl. I 605) die Aufgabe, die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens zu fördern und in enger dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiet des Rechts zu verwirklichen. Insbesondere umfaßt der Wirkungskreis der Akademie:
1. die Anregung, Vorbereitung, Ausarbeitung und Begutachtung von Gesetzentwürfen,
2. die Durchführung und Unterstützung von rechts- und staatswissenschaftlichen Forschungen, Untersuchungen und Veröffentlichungen,
3. die Pflege der Beziehungen zum Rechtsleben des Auslandes,
4. die Veranstaltung von Tagungen im Rahmen ihrer Aufgaben.
1) Verkündet als Anlage zum Ges. vom 11.7.1934 (RGBl. 1934 I, 605), geändert durch Bek. vom 16.10.1935 (RGBl. 1935 1, 1250) u. neu gefaßt in der Bek. vom 9.6.1943 (Dt. Reichsanz. 1943 Nr. 132)
(Neufassung der Satzung und der Verwaltungsordnung der AfDR; 1943)
Da es mir hier ums Präsidium der AfDR geht, zitiere ich auch den Passus über das Präsidium der AfDR und über die Ausschussvorsitzenden in der Fassung vom Sommer 1943:
II. Das Präsidium
§ 3. Das Präsidium steht unter der Leitung des Präsidenten. Kraft Amtes gehören ihm an: der Reichsminister der Justiz, der Reichsminister des Innern, der stellvertretende Präsident und der Leiter der rechtspolitischen und wissenschaftlichen Arbeiten. Die übrigen Präsidialmitglieder beruft der Präsident aus dem Kreis der ordentlichen Mitglieder. Die Geschäftsführung des Präsidiums obliegt dem Direktor.
Das Präsidium tritt alljährlich einmal zusammen. Der Präsident kann darüber hinaus das Präsidium in außerordentlichen Fällen einberufen.
(Neufassung der Satzung und der Verwaltungsordnung der AfDR; 1943)
Wer war 1943 von Amtswegen Präsidiumsmitglied und wer konnte zum Präsidiumsmitglied gewählt werden? Das beantwortet der Paragraph über die Mitglieder der AfDR. In ihm sind die fördernden Mitglieder der früheren Satzung gestrichen worden. Der Mitglieder-Paragraph lautet nun 1943 vollständig:
Mitglieder
§ 6. Die Akademie umfaßt:
1. ordentliche Mitglieder,
2. außerordentliche Mitglieder,
3. korrespondierende Mitglieder.
Zum ordentlichen Mitglied werden Deutsche ernannt, die sich im Dienste des deutschen Rechtslebens besonders bewährt haben. Die Zahl der ordentlichen Mitglieder soll 300 nicht überschreiten. Die Mitgliedschaft wird jeweils auf die Dauer von 10 Jahren verliehen. In Anerkennung besonderer Verdienste kann die Mitgliedschaft auf Lebenszeit verlängert werden.
(Neufassung der Satzung und der Verwaltungsordnung der AfDR; 1943)
Vergleicht man die Namen der Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie auf dem Blatt 171 der Akte R 61/30 mit den Namen der ordentliche Mitlieder im ersten Jahrbuch der AfDR vom Sommer 1934 (siehe Quellenverzeichnis / Quelle 1), dann fällt auf, dass jeder Name der Mitgliederliste von Blatt 171 auch auf der Liste der ordentlichen Mitglieder der AfDR auftaucht. Es ist deswegen möglich, dass die Häkchen gesetzt wurden, um diesen Personen mitzuteilen, dass ihre Mitgliedschaft auslaufe oder wegen besonderer Verdienste auf Lebenszeit verlängert werde,
Außerordentliche Mitglieder (Mitglieder kraft Amtes) sind solche, die auf Grund ihrer Amtsstellung für die Dauer des Amtes berufen werden.
Zu korrespondierenden Mitgliedern werden hervorragende Vertreter des ausländischen Rechtslebens ernannt, die sich um die Pflege der Beziehungen zur deutschen Rechtskultur besondere Verdienste erworben haben.
Ein Mitglied kann abberufen werden, wenn sein Verbleiben mit der Würde der Akademie nicht mehr zu vereinbaren ist.
(Neufassung der Satzung und der Verwaltungsordnung der AfDR; 1943)
Präsidiumsmitglieder von Amtswegen und Kandidaten fürs Präsidium waren nach dieser Rechtslage vom Juni 1943 demnach folgende »Persönlichkeiten«:
A. Amtsmitglieder
1. der Reichsminister der Justiz: Otto Thierack vom August 1942 bis zum 23. Mai 1945
2. der Reichsminister des Inneren: Wilhelm Frick bis zum 20. August 1943, Heinrich Himmler vom 24. August 1943 bis zum 29 April 1945, Paul Giesler (vom 30. April bis zum 2. Mai 1945), Wilhelm Stuckart (vom 3. Mai bis zum 23. Mai 1945)
3. der stellvertretende Präsident der AfDR: Wilhelm Kisch (26. Juni 1933 bis Herbst 1937); C. A. Emge (Herbst 1937 bis Ende September 1942); Curt Rothenberger (Ende September 1942 bis Dezember 1943); ??? (Anfang 1944-19??)[478]
4. der Leiter der rechtspolitischen und wissenschaftlichen Arbeiten der AfDR
B. Durch den Präsidenten berufene Mitglieder
5. aus dem Kreis der Ordentlichen Mitglieder der AfDR
Bei weitem nicht jedes Mitglied eines Ausschusses der AfDR war auch ein ordentliches Mitglied der AfDR. Und bei weitem nicht jedes der bis zu 300 ordentlichen Mitglieder der AfDR war auch ein Mitglied des Präsidiums.
9.3.2. Die Mitglieder des Präsidiums der AfDR zwischen dem 30. September 1942 bis mindestens in den Dezember 1943 hinein
Unter Wahrung des Layouts und der schriftlichen Informationen sieht das erste Blatt der Geschäftsführungsakte der AfDR mit der BArch-Signatur R 61/29 folgendermaßen aus:
Abbildung 61: Das Präsidium der AfDR nach BArch R 61/29, Blatt 1 (unvollständig entziffert) – von Miriam Wildenauer erstellte Projektion vieler semiotischen Informationen des Blattes 1
Blatt 1 weist mehrere Bearbeitungsschichten auf.[479] Die älteste Bearbeitungsschicht ist wieder die getippte Bearbeitungsschicht. Sollte eine der getippten Informationen in Verbindung mit einem datierbaren Ereignis gebracht werden können, wäre wieder ein Zeitpunkt identifiziert, vor dem die Liste nicht getippt worden sein kann.
Folgende getippte Information erlaubt eine Identifizierung eines Zeitpunkte, vor dem Blatt 1 nicht getippt worden sein kann: Curt Rothenberger[480] wird als der stellvertretender Präsident vorgestellt. Rothenberger ist das erst Ende September 1942 geworden. Alle Personen, deren Namen auf der Liste getippt erscheinen, waren demnach noch mindestens bis zum Oktober 1942 Präsidiumsmitglieder der AfDR. Das gilt auch für die Personen, deren Namen getippt, aber später durchgestrichen worden sind. Das sind Wilhelm Kisch und Johannes Popitz.[481] Beide waren demnach noch mindestens bis Ende September 1942 Präsidiumsmitglieder der AfDR. Wann die Namen von Popitz und Kisch gestrichen worden sind, kann ich mit meinem derzeitigen Wissensstand nicht genauer bestimmen.
Pichinot (1981) hat seinen Lesern nicht mitgeteilt, dass die Namen von Wilhelm Kisch und Johannes Popitz auf der Liste eingetragen und zu einem späteren Zeitpunkt durchgestrichen worden sind, obwohl er dieses Blatt kennt und seine Leser in den Glauben versetzt er würde sie über es informieren. Pichinot vollständiger Bericht über Blatt 1 der Akte R 61/29 liest sich so:[482]
Die weitere Entwicklung der Akademie war durch personelle Veränderungen gekennzeichnet. Himmler löste am 24. August 1943 Frick als Reichsminister des Innern ab und rückte damit zugleich in das Präsidium der Akademie nach. Neben ihm, Thierack und Rothenberger gehörten dem Präsidium 1943 noch die Reichsminister Lammers, Graf Schwerin von Krosigk und Funk sowie Stuckart, Freisler, Emge und Arendts an.1)
1) Bundesarchiv R61/29, Bl. 1
(Pichinot 1981), S. 148
Die Biographin von Wilhelm Kisch, Susanne Adlberger, hat behauptet, dass Wilhelm Kisch bereits im Herbst 1937 dauerhaft aller Ämter in der AfDR niedergelegt habe.[483] Nach 1937 sei er nur noch besuchsweise zu Präsidiumssitzungen der AfDR gegangen.[484] Wenn ich nichts übersehen habe, ewähnt sie Blatt 1 der Akte R 61/29 nicht.
Stefan K. Pinter (1994) berichtet folgendes über den Wechsel von Emge zu Rothenberger:
Sobald Thierack ernannt worden war [im August 1942; mw], bat Emge offiziell um Entbindung von seinem Amt als stellvertretendem Präsidenten der Akademie.1 Dem Gesuch wurde am 30.9.1942 mit der Wahl Rothenbergers, Staatssekretär im Justizministerium, zu Emges Nachfolger entsprochen.2 Nach eigenen Ausführungen Emges ist er als stellvertretender Präsident jedoch nicht freiwillig zurückgetreten, sondern von Thierack brüsk abgesetzt worden. Und zwar führt Emge dies nach dem Krieg in seinem Entnazifizierungsverfahren darauf zurück, daß seine Haltung, in der Akademie ein Instrument des Widerstandes zu sehen, überall spürbar gewesen sei.3
1 ebd. und „Frankfurter Zeitung“ vom 5.11.1942 und „Deutsche Allgemeine Zeitung“ vom 3.11.1942
2 vgl. Pichinot, a.a.O., S. 141
3 Emge, Erwiderung auf die Klageschrift des Öffentlichen Klägers an die Spruchkammer Miltenberg, S. 5, Privatarchiv Martinus Emge, Bonn (vgl. unten S. 97 ff.)
(Pinter 1994), S. 79
Emges Darstellung der Hintergründe des Wechsels von ihm zu Rothenberger wären widerlegt, wenn belegt werden könnte, dass Emge noch nach dem Wechsel zu Rothenberger ein wichtiges Amt innerhalb der AfDR inne gehabt hätte. Einen solchen Beleg habe ich vorhin präsentiert. Emge war Präsidiumsmitglied der AfDR zu einem Zeitpunkt, zu dem er nach eigenen Angaben bereits „von Thierack brüsk abgesetzt“ worden ist.
Die veröffentlichen Informationen zum Wechsel von Emge zu Rothenberger passen hingegen zur Aktenlage. Ich zitiere erneut die veröffentlichte Information bezüglich des Wechsels:
[3] Der bisherige stellvertretende Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Professor Dr. Dr. C. A. Emge, Berlin, hat die Bitte ausgesprochen, von seinem Amte entbunden zu werden. Im Einverständnis mit dem Führer hat der Präsident der Akademie, Reichsjustizminister Dr. Thierack, dieser Bitte stattgegeben und Professor Emge Dank und Anerkennung für die geleistete Arbeit ausgesprochen.
ZAfDR 1942, Heft 21 vom 1. November 1942 , S. 813
Die Frage, wer stellvertretender Präsident der AfDR war, war 1942 so wichtig, dass der Führer sich mit ihr befasste.
[5] Damit scheidet eine Persönlichkeit aus der Leitung der Akademie für Deutsches Recht, die sich in den Jahren ihres Wirkens um das deutsche Rechtsleben große Verdienste erworben hat. Professor Emge, der als Nachfolger Rudolf Stammlers an der Berliner Universität den Lehrstuhl für Rechtsphilosophie innehat und an führender Stelle der Rechtswissenschaft und zahlreicher wissenschaftlicher Vereinigungen steht, hat seit dem Jahre 1937 die Geschäfte des stellv. Präsidenten geführt und auf die Entwicklung und insbes. den wissenschaftlichen Ausbau der Akademie maßgebenden Einfluß genommen. In Abwesenheit des Präsidenten [Hans Frank; mw] übernahm er während des Krieges die gesamte Leitung und hat die Arbeit an der Rechtserneuerung zur Unterstützung der Gesetzgebung trotz erschwerter Umstände wesentlich weitergeführt.
[6] Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht hat Professor Emge gebeten, seine bewährte Kraft als Mitglied des Präsidiums auch weiterhin für die Rechtsarbeit einzusetzen.●
ZAfDR 1942, Heft 21 vom 1. November 1942 , S. 813
Anders als diese Verlautbarung belegt die Akte R 61/29, dass Professor Emge die Bitte Thieracks erfüllt hat.
Ja, noch kompromittierender, Emge war auch noch Mitglied des Präsidiums nachdem Heinrich Himmler am 24. August 1943 als Reichsinnenminister Amtsmitglied geworden war. In einer handschriftlichen Bearbeitung des ersten Blattes der Akte R61/29 wurde der Wechsel von Frick zu Himmler in diesem Amt durch die Ergänzung der Initialen „H. H.“ vermerkt. Emges Name wurde in diesem Bearbeitungsvorgang nicht durchgestrichen. Im Fall eines Darstellungskonflikts bezüglich historischer Tatsachen ist selbstverständlich eine gepflegte Geschäftsführungsakte einer Akademie zuverlässiger als die Aussage eines Beschuldigten. – Wie bereits zitiert hat Pichinot (1981) die Information über diese handschriftliche Änderung auf Blatt 1 von Frick zu Himmler korrekt an seine Leser weitergegeben.
Wann ist der Name Rothenbergers, der ja erst im Oktober 1942 stellvertretender Präsident der AfDR geworden ist, durchgestrichen worden? Liegt dieser Zeitpunkt nach dem 24. August 1943 wäre nachgewiesen, dass Emge auch noch nach diesem späteren Zeitpunkt Mitglied des Präsidiums der AfDR gewesen ist, da sein Name im Unterschied zu dem von Rothenberger nicht durchgestrichen worden ist.
Wann der Name Curt Rothenbergers (1896-1959) durchgestrichen worden ist, weiß ich nicht. In ihrer Dissertationsschrift „Curt Rothenberger – eine politische Biographie“ (2001) berichtet Susanne Schott ausführlich über das Verhältnis zwischen dem neuen Reichsjustizminister Thierack und dem neuen Staatssekretär im RJM Curth Rothenberger. Leider tut sie dies mit den unter Akademikern üblichen Abwertungen von Nicht-Akademikern:
Während Rothenberger immer noch ganz „hanseatischer Königsrichter“ sich gern elegant, intellektuell und geistig überlegen gibt, verkörpert Thierack das krasse Gegenteil davon. Er ist der Typ des geistig wenig beweglichen „Parteisoldaten“, der gehorsam und ohne Widerspruch alles tut, was ihm von höherer Stelle befohlen wird. Äußerlich erscheint er wie eine abgerichtete „Bulldogge des Führers“. Rudolf Letz charakterisiert den neuen Justizminister kurz aber treffend als „Neandertaler“.
(Schott 2001), S. 149
Die Kontrastbildung »Königsrichter« vs. »Neandertaler« erinnert mich an Emges Kontrastbildung aus dem Jahr 1960 zwischen dem »berühmten Gelehrten aus alter Kulturschicht von hohem wissenschaftlichem Rang vs. homo novus und Dilettanten«.[485] Rothenberger vs. Thierack, Baron von Uexküll vs. Alfred Rosenberg.
Der angebliche Konflikt zwischen dem „hanseatischen Königsrichter“ und dem „Neandertaler“ führte laut Schott im Dezember 1943 zur Enthebung Rothenbergers vom Amt des Staatssekretärs durch den Reichsjustizminister Thierack:
Er [Rothenberger; mw] wird noch vor Weihnachten, am 21.12.1943, seines Amtes enthoben und in den Wartestand versetzt. Seine Karriere findet damit ein ebenso unerwartetes wie schnelles Ende – dem Beginn seiner Laufbahn ähnlich. […] | S. 156 […]
Als Herbert Klemm, Thieracks Wunschkandidat, am 01.01.1944 zum neuen Staatssekretär im Reichsjustizministerium ernannt wird und im gleichen Zuge alle Kompetenzen des ehemaligen Staatssekretärs und sogar noch einige mehr zurückerhält586, ist die „Ära Rothenberger“. Die „sechzehn Monate Berlin“ gehören der Justizgeschichte an.587
586 Niederschrift über die Abteilungsleiterbesprechung im Reichsjustizministerium vom 06.01.1944, in: Nürnberger Beweisdokument NG 195, S. 1 ff. endgültig beendet.
587 Herbert Klemm, geb. 1903 als Sohn eines Bankdirektors in Leipzig, 1926 Referendar, 1929 Assessor in Dresden, seit 1931 Mitglied in der NSDAP, 1933 Staatsanwalt, Personalreferent des sächsischen Justizministers Thierack, 1935 Übernahme ins Reichsjustizministerium, 1937 Oberstaatsanwalt, 1939 Ministerialrat, 1940/41 Tätigkeit beim Reichskommissar für die besetzten Niederlande, 1941 Übernahme in die Parteikanzlei, 1942 Ministerialdirektor, seit 1944 Staatssekretär im Reichsjustizministerium[486]; die Angaben stammen aus: BA, R 22/PA Klemm.
(Schott 2001), S. 155 f.
Die Durchstreichung des Namens Rothenbergs auf Blatt 1 wird also nach dem 21. Dezember 1943 erfolgt sein. Da der Aktenbearbeiter beim Durchstreichen des Namens Rothenbergers den Namen Emges nicht antastete, war Emge gemäß Aktenlage auch noch nach dem 21. Dezember 1943 Mitglied des Präsidiums der AfDR.
Als kleiner Einblick in das, was Rothenberger vor dem angeblichen Ende seiner Ära getan hat, mag ich folgendes Zitieren:
Etwa im Frühsommer 1942 wurde der »Euthanasiezentrale« die Zuständigkeit für die Sicherungsverwahrten in den Arbeitshäusern entzogen.16 Sie wurden wie die in Heil- und Pflegeanstalten untergebrachten Sicherungsverwahrten in KZ überführt, da sich mittlerweile das Konzept der »Vernichtung durch Arbeit«17 durchgesetzt hatte. Am 18. September 1942 vereinbarten der neu ernannte Staatssekretär im RJM, C. Rothenberger, und der SS-Gruppenführer B. Streckenbach in einer Besprechung mit Himmler »die Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer zur Vernichtung durch Arbeit«. Auch die Sicherungsverwahrten sollten »restlos ausgeliefert«18 werden. Daraufhin machten sich am 3. Oktober 1942 die Euthanasieärzte Runckel und Borm auf eine Reise durch die Heil- und Pflegeanstalten, um die nach §42 RStGB eingewiesenen Insassen zu begutachten. Die mit dem am 10. Oktober 1942 festgelegten Begutachtungsvermerk »KZ«, der bedeutete, »daß es dem begutachtenden Arzt anheim gestellt wird, diesen Kranken einem KZ zuzuführen«,19 gekennzeichneten Fälle wurden an das RJM weitergeleitet, das Listen krimineller Patienten zusammenstellte, die »einer irrenärztlichen Anstaltsbehandlung nicht mehr bedürftig und zugleich arbeitsfähig«20 waren. Sie wurden in ein KZ verlegt. Die Heil- und Pflegeanstalten nutzten die Gelegenheit, um │ S. 228 Anstaltsbewohner, die ihnen lästig waren, abzuschieben. Beispielsweise bat Obermedizinalrat O. Hebold, Leiter der Anstalt Eberswalde und Mitarbeiter der Zentraldienststelle, am 23. März 1944 den ärztlichen Leiter der Euthanasiezentrale, Nitsche, zwei in seiner Anstalt untergebrachte Kriegsdienstverweigerer in ein KZ überfuhren zu lassen.21
16 Aly, Medizin, S. 48.
17 So der neue Justizminister Thierack, zit. nach C. F. Ruter u. A. L. Ritter-Ehlermann (Hg.), Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945-1966, Bd. 9, Amsterdam 1968, S. 275.
18 Zit. nach ebd., S. 276.
19 Merkblatt für die Behandlung der Fotokopien bei der Überprüfungsarbeit unserer Ärzte, BA-R 96 1/2.
20 Zit. nach Aly, Medizin, S. 51.
21 Schreiben Hebolds an Nitsche, 23. März 1944; Schreiben Nitsches an Hebold. 19. April 1944, BA-R 96 1/2 (auch in; E. Klee, »Euthanasie«, S. 362).
(Schmuhl 1987), S. 227 f.
Auch möchte ich erneut an zwei Ergebnisse meines Abschnitts 8 erinnern: In seiner Grußwort vom 1. Januar 1943 hatte Thierack öffentlich und mit Nachdruck bestätigt, dass die AfDR auch im Kriege Aufgaben für die Gesetzgebung zu erbringen habe (siehe Unterabschnitt 8.3.4.). Im Sommer 1943 teilte dann Prof. Justus W. Hedemann stolz mit, dass die AfDR an der „Zwölfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. April 1943“ mitgewirkt habe (siehe Unterabschnitt 8.2.1.). Ich zitiere erneut Auszüge vom Anfang dieser Verordnung:
§ 1
- Die Staatsangehörigkeit kann widerruflich zuerkannt werden. Die Staatsangehörigen auf Widerruf bilden eine besondere Gruppe der Staatsangehörigen.
- Außer den Staatsangehörigen gibt es Schutzangehörige des Deutschen Reiches; ein Schutzangehöriger kann nicht zugleich Staatsangehöriger sein.
[…]
§ 3
Schutzangehörige des Deutschen Reiches sind solche nicht zum deutschen Volk gehörende Einwohner des Deutschen Reiches, denen die Schutzangehörigkeit durch allgemeine Anordnung oder durch Entscheidung im Einzelfall zuerkannt ist oder zuerkannt wird. │ S. 269
§ 4
- Juden und Zigeuner können nicht Staatsangehörige werden. Sie können nicht Staatsangehöriger auf Widerruf oder Schutzangehörige sein.“
(RGBl. I 1943, S. 268 f.)
Diese beiden Ergebnisse konnten problemlos ermittelt werden, da alle Belege veröffentlicht worden sind. Auch wusste man selbstverständlich, dass Justus W. Hedemann Professor gewesen ist. Trotzdem teilte Hattenhauer 1986 in einer Zeitschrift, die der Bildung und Ausbildung angehender Juristen diente, dass die AfDR im Wesentlichen nur ein »Häuflein Professoren« gewesen sei, dass sich nach der Machtergreifung aus Angst vor Hitler hinter Hans Frank versteckt habe, der aber bereits 1934 entmachtet worden sei (siehe meinen Unterabschnitt 1.3.2.).
9.3.3. Exkurs: Die Vizepräsidentschaften von Kisch und Emge in der AFDR in Emges »Entnazifizierungsverfahren«
Der Dissertationsschrift von Pinter über Emge verdanke ich interessante Informationen über die Rechtsfolgen der Vizepräsidentschaften der AfDR von Wilhelm Kisch und C. A. Emge nach 1945. Emge sei nach Kriegsende von der US-Armee verhaftet und im Internierungslager Moosburg (Bayern) gebracht worden. Anlass dafür war der Umstand, dass er vor 1939 (und nach 1933) zum höheren Staatsbeamten ernannt worden war. Das Entnazifizierungsverfahren Emges dauerte von 1946 bis zum 19. Oktober 1949.[487]
In erster Instanz sah die Spruchkammer Emge gemäß des „Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946“ als „Aktivisten“ und als „Nutznießer“ in der Gruppe der Belasteten an.[488] Emges Vizepräsidentschaft der AfDR belege nach Ansicht der Spruchkammer Emges wesentliche Förderung der Gewaltherrschaft der NSDAP (Artikel 7 II Zif. 1) und erweise ihn als überzeugten „Anhänger der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, insbesondere ihrer Rassenlehre“ (Artikel 7 I Zif. 3).[489]
Gegen diese Entscheidung der Spruchkammer Miltenberg vom 9.10.1947 legte Emge durch seinen Rechtsanwalt (1947) und auch der Öffentliche Kläger (1949)[490] Berufung ein. Ziel beider Berufungsschriftsätze sei es gewesen, dass Emge der Gruppe der Entlasteten zugeordnet würde.[491] Das gelang.[492]
Am Erfolg waren ein Gutachten und eine eidesstattliche Versicherung von Prof. Wilhelm Kisch beteiligt. 1949 war Kisch selbst bereits als entlastet eingestuft worden.[493] In der Urteilsbegründung hat sich die Berufungskammer auch auf die Stellungnahmen von Kisch bezogen:
Nach Ansicht der Berufungskammer bildete auch die Vizepräsidentschaft Emges in der Akademie für Deutsches Recht keinen Anlaß für eine Effektivbelastung. Die Kammer zitierte in Auszügen die Äußerung Kischs vom 17.9.1947 und vom 19.8.1948: „Die Akademie hat nicht den Nationalsozialismus, sondern das gute deutsche Recht gefördert. Sie hat überhaupt, namentlich aber soweit die Rechtslehrerschaft beteiligt war nicht für die politischen Ziele des Nationalsozialismus gewirkt, sondern insofern gegen dieselben, als sie das deutsche Recht vor nazistischen Radikalismen zu bewahren versucht und auch vielfach bewahrt hat.” Kisch habe im übrigen darauf hingewiesen, daß der stellvertretende Präsident lediglich die Arbeit zu organisieren und äußerlich zu überwachen hatte. Nach dem vorliegenden Beweismaterial erfülle Emge nicht die Voraussetzungen, ihn als „Hauptschuldigen“, „Aktivisten“ oder „Nutznießer“ zu bezeichnen. Er sei wegen seiner formellen Parteimitgliedschaft als „Mitläufer“ zu bezeichnen. Artikel 13 (Entlastung) sei als erfüllt anzusehen.
(Pinter 1994), S. 105
Emge selbst hatte in seinem Berufungsschriftsatz wie Kisch argumentiert:
Zum Hauptbelastungspunkt der Klage, seiner Vizepräsidentschaft in der Akademie für Deutsches Recht, weswegen er sich als Hauptschuldiger zu verantworten hatte, nimmt Emge überraschend knapp und zuletzt Stellung: Solange er und Kisch darin gearbeitet hätten, sei die Akademie eine rein wissenschaftliche Körperschaft und keine Nazi-Organisation gewesen. Dies komme auch dadurch zum Ausdruck, daß die Akademie bei den Nürnberger Prozessen nicht einmal erwähnt worden sei, eine Fehleinschätzung Emges, (vgl. oben Seite 76 mit Fußnoten 3 – 6).[494]
(Pinter 1994), S. 97
Aus der Darstellung von Pinter geht leider nicht hervor, was die Spruch- bzw. die Berufungskammern in den Verfahren gegen Wilhelm Kisch und C. A. Emge über deren andauernden Mitgliedschaften im Präsidium der AfDR gewusst haben. Auf welchen Zeitraum bezog sich Emge mit seiner sich selbst verteidigenden Auskunft, „solange er und Kisch“ in der Akademie „gearbeitet hätten, sei die Akademie eine rein wissenschaftliche Körperschaft und keine „Nazi-Organisation“ gewesen?
Ob die Spruchkammer bzw. Berufungskammer zu denselben Ergebnissen gekommen wäre, hätte sie gewusst, dass Wilhelm Kisch noch im Herbst 1942 und C. A. Emge noch im Winter 1943/44 Mitglieder des Präsidiums der AfDR gewesen sind? Wenn sie § 2 der Satzung der AfDR gekannt hätten, nach dem es ja Aufgabe der AfDR gewesen ist, das nationalsozialistische Programm zu verwirklichen? Ich vermute: Ja.
9.3.4. Exkurs: Das AfDR-Gutachten über die „Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik nach volkspolitische Gesichtspunkten«
Dankenswerterweise hat bereits Stefan K. Pinter seine – wenigen – Leser darüber informiert, dass Emges Behauptung falsch ist, dass die AfDR in den Nürnberger Prozessen nicht einmal erwähnt worden sei. Sie ist erwähnt worden. Und zwar auf jeden Fall wegen des im Januar 1940 abgeschlossenen Gutachtens über die „Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik nach volkspolitische Gesichtspunkten. Im juristischen Teil als Vorlage für den nationalitätenrechtlichen Ausschuß der Akademie für Deutsches Recht“. Pinter charakterisiert dieses Gutachten zu Recht als eines der „schwärzesten Kapitel der Akademiearbeit“.[495] Pinter stellt die Sachverhalte so dar:
Sein Verfasser, Rechtsanwalt Dr. Hasselblatt,5 hatte das Gutachten dem Ausschuß in der Sitzung vom 14.1.1940 in Berlin vorgelegt und in der Ausschußsitzung vom 14.7.1940 hierüber referiert[496], nachdem er zu seinem 50. Geburtstag vom zuvor korrespondierenden zum ordentlichen Mitglied der Akademie ernannt worden war. Dem Referat schloß sich eine Aussprache unter den Ausschußmitgliedern an, beteiligt waren neben Hasselblatt, v. Loesch als Vorsitzender (stellvertretend für SS-Oberführer Dr. Behrends) sowie die Herren Benninghaus, Kriege, Gührig, │ S. 76 Raschhofer und Essen1.
3 Bundesarchiv Koblenz, R 61/243
4 vgl. Pichinot, a.a.O., Anhang IV, S. 172
5. Bundesarchiv Koblenz, R. 61/237, (Niederschrift der Ausschußsitzung vom 14.6.1940, woraus sich die Identität des Verfassers ergibt, auf dem Archivale befindet sich nur das Kürzel H.). Der Große Brockhaus, 15. A., 1931, Bd. 8, vermerkt zu Hasselblatt, Werner: deutsch-baltischer Politiker, geb. in Dorpat 1890; seit. 1917 Rechtsanwalt, wurde 1918 von den Bolschewisten als Geisel nach Sibirien verschleppt, nach Rückkehr Kriegsfreiwilliger im Baltenregiment und 1923 Abgeordneter; 1929 Vorsitzender der deutsch-schwedischen Fraktion im estländischen Parlament, … Mitbegründer des Genfer Nationalitätenkongresses, Mitherausgeber der „Baltischen Monatszeitschrift“ in Riga.
1 ebd.
Neben der Behandlung von Detailfragen besprach man im wesentlichen wie man besser strukturieren könne, welche einzelnen Unterausschüsse zur weiteren gutachtlichen Arbeit einzusetzen seien und ob hierbei Beauftragte einzelner Gauleiter aus dem „Generalgouvernement” einbezogen werden sollten, um dort eine einheitliche Politik zu erreichen. Dabei war man sich bewußt, „daß die Vertreter der einzelnen Gauleiter die Verantwortung mit uns nicht sehr gern teilen würden.“2
2 Bundesarchiv, Koblenz, R 61/237, S. 13
Das menschenverachtende Gutachten3 gliederte sich so:
- Umsiedlung, Mischsiedlung, Emigration, biologische Volkstumskraft
- Die Assimilation als Ziel und Methode
- Gestaltung des polnischen Volkes im Generalgouvernement
- Gestaltung des polnischen Volkes im Reich
- Psychologische Hinweise für die deutsche Polenpolitik”4
Das Gutachten enthält detaillierte Vorschläge zur Ausbeutung des polnischen Volkes zum Erhalt billiger Arbeitskräfte, zu dessen Verschleppung und Umsiedlung nach „Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten“5 zu dessen „Ausschaltung aus dem Fortpflanzungsprozeß”,6 zu dessen Unterdrückung bei Bildung, Sprache und Kultur, zu dessen völliger Entrechtung und Beherrschung.
3 Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg, Bd. XXVI, Beweisurkunde Nr. 661-PS, S. 207 ff.
4 ebd., S. 209, Gutachten S. 5
5 Für „zweckmäßig“ hielt das Gutachten folgendes: „Eine nach vielen Millionen zählende Aussiedlung kommt erst nach dem Sieg in Frage und nur im Zusammenhang mit einer umwälzenden Neuordnung des Ostens, die den überschüssigen Polen – sei es in Sibirien, sei es im angrenzenden Raum, z. B. nach Umsiedlung der Weißrussen ostwärts – Platz schafft. Auch eine Aussiedlung mehrerer Millionen Juden (etwa nach Madagaskar) könnte Raum schaffen.“
6 Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg, Bd. XXVI, Beweisurkunde Nr. 661-PS, S.214, Gutachten S. 12
(Pinter 1994), S. 75 f.
Professor Claus August Emge war Gründungsvorsitzender des Ausschusses für Nationalitätenrecht. Nach dem Wechsel im Vorsitz zu SS-Oberführer Dr. Hermann Behrends (1907-1948) am 14. Juni 1938 wurde der Rechtsphilosoph Emge Ehrenvorsitzender dieses Ausschusses. Auf diesen Ausschuss werde ich noch ausführlich und mehrfach in meinem Teilen III und IV zu sprechen kommen.[497]
Im Jahr 2000 sind das Gutachten und das Protokoll der Sitzung vom 14. Juli 1940 veröffentlicht worden. Ich zitiere ergänzend ein wenig mehr:
Vorsitzender von Loesch[498] (in Vertretung des im Felde stehenden Vorsitzenden Behrends): […]
Der zweite Punkt unserer Tagesordnung ist eine Stellungnahme zu dem Referat über die Aufgaben der Akademie zur volkspolitischen Rechtsgestaltung im Osten, das schriftlich auf Grund mehrerer Vorarbeiten erstattet wurde. Herr Hasselblatt wird die Güte haben, uns dies Referat zu halten. Ich nehme die Gelegenheit wahr, ihm unser aller Glückwünsche zu seinem 50. Geburtstag auszusprechen. Der Herr Präsident der Akademie für Deutsches Recht [Hans Frank, mw] hat ihn dadurch geehrt, daß er ihn vom korrespondierenden zum ordentlichen Mitglied der Akademie für Deutsches Recht ernannt hat.
Die heutige Tagung steht in einem besonders günstigen Zeichen. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß in dieser Stunde eine Kavalleriedivision, zwei Infanteriedivisionen und eine Panzerdivision mit Sang und Klang in Paris einmarschieren, das eben kapituliert hat. Im übrigen ist die französische Armee in voller Flucht. Metz und Straßburg sind geräumt. Ich möchte daraus für uns die Folgerung ziehen, daß uns sehr bald im Westen ähnliche Probleme beschäftigen werden, wie sie uns für den Osten beschäftigen.
(Schubert, Ausschüsse für Völkerrecht und Nationalitätenrecht (1934-1942); 2002), S. 471
Ich weiß deutlich weniger über die »volkspolitische Rechtsgestaltung im Westen« als über die im Osten. Erst vor wenigen Monaten habe ich durch eine TV-Ausstrahlung der französischen Dokumentation „Die Namen der 86“ von 2015[499] von der sog. »Straßburger Schädelsammlung« erfahren.[500] Die von mir zitierte Stelle genügt aber hoffentlich, um Menschen, die in Westeuropa leben ggf. von der falschen Meinung zu befreien, sie wären im Zweifelsfall vor einer Erniedrigung zu einem Sklavenvolk sicher, würde der akademischen Nationalsozialismus deutscher Nation tatsächlich irgendwann einmal die Hegemonialmacht im »Großraum Europa« – mit oder ohne Russland – sein.
Zurück zu Hasselblatts Referat. Er spricht in ihm ausdrücklich auch Hans Frank als Präsidenten der AfDR und als Generalgouverneur an:
Als dritte Aufgabe möchte ich glauben, daß es nützlich wäre, wenn wir dem verehrten Präsidenten der Akademie, Herrn Generalgouverneur Dr. Frank, Überlegungsgrundlagen für die staats- und völkerrechtliche Zukunftsgestaltung des von ihm heute verwalteten Raumes an Hand bisheriger in Frage kommender Rechtslösungen ausarbeiten würden. (Im Anschluß daran wird der vorgelegte Bericht […] verlesen.)
(Schubert, Ausschüsse für Völkerrecht und Nationalitätenrecht (1934-1942); 2002), S. 472
Was war geplant? Zwei protokollierte Redebeiträge des Sitzungsvorsitzenden von Loesch verschaffen einem einen ersten Eindruck. Hier der erste Redebeitrag:
Im Anschluß an die mit S. 23 [S. 487] endende Übersicht erklärt der Vorsitzende: Auch hier wird man wahrscheinlich noch feiner gliedern müssen. Wir alle, die wir die Verhältnisse des Ostens kennen, wissen, wie total verschieden die ländlichen Verhältnisse in Posen und Westpreußen – ich will mit Absicht die alten Namen nehmen – von den Verhältnissen in Oberschlesien sind. ln Oberschlesien ist das Verhältnis der Zahl der Volkstumsaspiranten [polnische Staatsbürger, denen Chancen auf »Deutschwerdung« zugebilligt wurden; mw] sehr viel größer. Wenn man bei dem jetzigen neugewonnenen Oberschlesien von 2 Millionen ausgeht, kann man mit 200.000 bis 350.000 Deutschen – in dieser Zahl ist schon eine starke Marge – und einer Million Polen │ S. 473 rechnen, während der Rest, etwa 800.000 bis 650.000, die Zwischenschicht darstellt, die ungefähr 35 bis 40 % beträgt und aus Oberschlesiern besteht. Ich meine das Kattowitzer Oberschlesien mit Bielitz; ich nehme Bielitz und die neugewonnenen Gebiete des Dombrowkareviers und die Gebiete, die früher zu Galizien gehört haben, mit hinein, natürlich ohne Oppeln. Hier in Oberschlesien ist die Wirkung von Kraft durch Freude oder der Arbeitsfront gar nicht zu überschätzen. Ich halte sie für ungeheuer groß und für das einzige wirkliche Gegengewicht gegen die Pilgerfahrten zur Muttergottes von Tschenstochau. Ich möchte sagen, auch hier sind im Grunde noch feinere Differenzierungen nötig.
(Schubert, Ausschüsse für Völkerrecht und Nationalitätenrecht (1934-1942); 2002), S. 472
Und hier der zweite Redebeitrag:
Vorsitzender [Nach Seite 34 Abs. 2; jetzt S. 495 Mitte]: Es wäre natürlich irrig, zu glauben, und das meint Herr Hasselblatt auch sicher nicht, daß man mit jeder Million Juden, die man aus Polen herausschafft, Raum für eine Million anderer Menschen schafft. Denn die Juden in Polen sind zum großen Teil sogenannte Luftmenschen; es ist restlos unklar, wovon diese Leute eigentlich leben. Das ist eins der vielen nationalökonomischen Wunder! Die Herausschaffung von 3 Millionen Juden würde vielleicht für 1 Million Polen Lebensraum schaffen, aber nicht für mehr. Vorsitzender: Namens des Ausschusses danke ich Herrn Hasselblatt.
(Schubert, Ausschüsse für Völkerrecht und Nationalitätenrecht (1934-1942); 2002), S. 472
Direkt im Anschluss macht der Vorsitzende von Loesch explizit, dass die Aufgaben im Osten Aufgaben der Akademie für Deutsches Recht sind:
Es fragt sich nun, wie wir weiter prozedieren wollen. Die Tagesordnung gliedert die Aufgaben der Akademie zur volkspolitischen Gestaltung im Osten in folgender Weise:
a) Überlegungen volkspolitischer Aufgaben im Osten,
b) Assimilation und Dissimilation,
c) staats- und völkerrechtliche Vorbilder und Gestaltungsmöglichkeiten.
Mir scheint, daß wir ungefähr nach diesen Punkten zu prozedieren hätten und vor der Frage stehen, ob wir für eine Formulierung Unterausschüsse einsetzen. Es handelt sich also nach meiner Auffassung erstens um die staatsrechtliche Frage des Aufbaues des Generalgouvernements. Dieser Komplex hebt sich klar heraus. Eine zweite Frage betrifft die grundsätzliche Polenpolitik, die wir treiben wollen, und dieser Komplex zerfällt wieder in kasuistische Empfehlungen, in die Zusammenstellung von Erfahrungen auf der einen Seite und in Vorschläge für eine besondere Politik. Diese Politik zerfällt meiner Ansicht nach ganz von selbst in völlig getrennte Gruppen: einerseits im Generalgouvernement und auch dort nach dem Vorschlag von Herrn Hasselblatt in verschiedene Gruppen, andererseits in dem Gebiet, das man den Reichsosten nennt, wobei die Unterschiede wieder erheblich sind.
(Schubert, Ausschüsse für Völkerrecht und Nationalitätenrecht (1934-1942); 2002), S. 472
Erwähnt sei, dass der Verfasser des Gutachtens, Hasselblatt, dem Gestaltungsanspruch des Sitzungsvorsitzenden von Loesch für den anwesenden Personenkreis widersprach: „wir hier“ würden nur eine Überlegungsgrundlage für die Verwalter und Führer darstellen.
Hasselblatt: Ich glaube, daß wir bei unserer Arbeit einerseits sehr unbescheiden sein müssen, indem wir uns die Aufgabe stellen, den Gesamtüberblick über diese Probleme darlegen zu dürfen und zu können, und daß wir auf der anderen Seite sehr bescheiden sein müssen, indem wir hier eigentlich nichts anderes als eine Art Überlegungsgrundlage für diejenigen zusammenstellen wollen, die verwalten, führen und verantworten. Von diesem Standpunkt aus würden wir meiner Meinung nach unserer Arbeit einen falschen Akzent geben, wenn wir uns bemühen wollten, das Arbeitsresultat als eine gemeinsame Arbeit der Akademie und der Beauftragten der einzelnen Gauleiter anzusehen. Ich glaube beinahe, daß die Vertreter der einzelnen Gauleiter die Verantwortung mit uns nicht sehr gern teilen würden.
(Schubert, Ausschüsse für Völkerrecht und Nationalitätenrecht (1934-1942); 2002), S. 472
Da der Vorsitzende von Loesch in seinem letzten Redebeitrag ein Dauermitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie erwähnt, nämlich Viktor Bruns, zitiere ich gleich auch das Ende des Protokolls der Sitzung vom 14. Juni 1940 des Ausschusses für Nationalitätenrecht der AfDR. Ein Redebeitrag von Professor Emge auf dieser Sitzung ist nicht protokolliert. Der letzte Redebeitrag Emges, der in ein Protokoll aufgenommen worden ist, fand auf der Sitzung vom 8. Dezember 1939 statt (ebd., S.460). Eineinhalb Jahre nach dem Wechsel im Vorsitz von Emge zu SS-Oberführer Dr. Behrends. Die Sitzung vom 8. Dezember 1939 fand unter dem persönlichen Vorsitz von Behrends statt (ebd., 458 ff.). Das nächste, edierte Protokoll des Ausschusses für Nationalitätenrecht ist das Protokoll aus dem Pinter (1994) berichtet hat. Ich zitiere nun seinen Schluss:
Vorsitzender. Wir sind uns also über den Weg, den wir einschlagen wollen, ziemlich klar geworden. Wir setzen also drei Unterausschüsse ein, von denen der Redaktionsausschuß den Generalausschuß darstellt. Die beiden anderen Ausschüsse sind der Ausschuß für die staatsrechtliche Form des Generalgouvernements und der Ausschuß für die Polenpolitik, den wir vielleicht Ausschuß für Fragen der Assimilation und Dissimilation nennen möchten. Das klingt nicht sehr schön; aber wir sind uns alle darüber klar, was damit gemeint ist. Für den Unterausschuß für staatsrechtliche Fragen möchte ich die Herren Hasselblatt, Bruns und Raschhofer vorschlagen. Ob und inwieweit weitere Herren, auch aus dem Auswärtigen Amt usw., herangezogen werden sollen, können wir den Unterausschüssen überlassen. Dasselbe ist wohl auch bei dem Unterausschuß für die Fragen von Assimilation und Dissimilation der Fall, den ich personaliter jetzt nicht festlegen möchte. Herr Hasselblatt wurde aber auch in diesem die Feder fuhren. Als weitere Mitarbeiter kommen vor allem Herr Benninghaus bzw. seine Dienststelle und Herr Gürich in Frage. Die nächste Sitzung des staatsrechtlichen Unterausschusses soll am 28. Juni stattfinden; die Tagung der beiden anderen Ausschüsse wird noch festgesetzt. (Schluß der Sitzung: 12 Uhr 20 Minuten.)
(Schubert, Ausschüsse für Völkerrecht und Nationalitätenrecht (1934-1942); 2002), S. 476
Damit habe ich belegt, dass Professor Emge und Professor Bruns, zwei Dauermitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, dieses »Gutachten über die Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik nach volkspolitischen Gesichtspunkten« mit hoher Wahrscheinlichkeit im Jahr 1940 zur Kenntnis genommen haben. Es spricht nichts dafür, dass die Professoren Emge und Bruns ihr Wissen nicht mit den anderen Akademikern des Ausschusses für Rechtsphilosophie geteilt haben sollten.
9.4. Ergebnissicherung aus den Akten R 61/29, R 61/30 und R 61/31
Folgende Informationen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie konnte ich meinen Kopien aus den Akten der AfDR mir den Signaturen R61/29+30+31 entnehmen:
- Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wurde durch Anordnung von Hans Frank in seiner Eigenschaft als Präsident der AfDR zum 8. Juli 1938 aufgehoben. Zusätzlich ordnete Hans Frank die Vernichtung der Mitgliederliste an: R 61/31, Blatt 15. Wenn Hans Frank das Wort „Aufhebung“ in der Bedeutungsfestlegung von (Freyer 1933) gebrauchte, dann ist der Ausschuss durch die Aufhebungsanordnung nicht „vernichtet“ worden, sondern erfuhr nur einen Gestaltwechsel. Meine derzeit beste Erklärung ist es, dass ein „Gestaltwechsel“ von einer Olympiade theoretischen Kampfes zu einer Olympiade praktischen Kampfes vollzogen wurde.
- Der Ausschuss für Rechtsphilosophie bestand im Zeitraum vom 1. September 1939 bis in den August 1942: R 61/30, Blätter 1-4.
- Der Ausschuss für Rechtsphilosophie existierte noch nach dem 11. Juli 1941, da Rosenberg auf einer Mitgliederliste dieses Ausschusses als Reichsminister charakterisiert wird. Nach dem 11. Juli 1941 gehörten zwölf »Persönlichkeiten« dem Ausschuss an: Hans Frank, Carl August Emge, Viktor Bruns, Hans Freyer, Martin Heidegger, Ernst Heymann, Erich Jung, Wilhelm Kisch, Max Mikorey, Alfred Rosenberg, Erich Rothacker und Carl Schmitt: R 61/30, Blatt 171.
- Zwei der zwölf Mitglieder werden ausdrücklich als Reichsminister auf der Mitgliederliste geführt. Alle anderen Mitglieder werden als Professoren geführt. Damit war der Ausschuss hochkarätig besetzt. Max Mikorey war vielleiht kein Professor. Als Oberarzt war aber auch er ein Akademiker.
- Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wurde im Januar 1943 – dauerhaft oder vorübergehend – aufgelöst: R 61/30 – Blatt 141.
- Die Mitgliederliste des Blattes 171 ist noch nach dem Tod von Viktor Bruns im September 1943 bearbeitet worden. Da der Tod von Viktor Bruns auch auf anderen Blättern derselben Akte vermerkt worden ist, spricht diese Bearbeitung des Blattes 171 nicht für ein Fortbestehen des Ausschusses für Rechtsphilosophie über den Januar 1943 hinaus.
- Da jedes der zwölf Mitglieder des Zeitraums 1941 bis 1943 bereits 1934 zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehörte, ist es sehr wahrscheinlich, dass jede der zwölf »Persönlichkeiten« im Gesamtraum von 1934 bis 1943 Mitglied des Ausschuss für Rechtsphilosophie gewesen ist.
- Da Wilhelm Kisch und C. A. Emge noch nach dem Wechsel im Amt des stellvertretenden Präsidenten der AfDR von Emge zu Curth Rothenberger Ende September 1942 Mitglieder des Präsidiums der AfDR waren, hatte der Ausschuss für Rechtsphilosophie über sie auch noch Gremienkontakt zu den Reichsministern des Inneren und der Justiz, nachdem der Wechsel von Hans Frank zu Otto Thierack auf dem Posten des Präsidenten der AfDR im August 1942 erfolgt war: R 61/29 – Blatt 1.
- Da C. A. Emge auch noch nach dem Wechsel vom Reichsminister des Inneren Frick zu Heinrich Himmler im August 1943 und nach dem Ende der »Ära Rothenberger« im Dezember 1943 Mitglied des Präsidiums der AfDR gewesen ist, hatten die acht oder neun Professoren auch noch nach der – dauerhaften oder vorübergehenden – Auflösung des Ausschusses für Rechtsphilosophie über Emge Kontakt zu vier Ministern des Deutschen Reiches: Zu Hans Frank und Alfred Rosenberg sowie zu Wilhelm Frick bzw. Heinrich Himmler und zu Otto Thierack: R 61/29 – Blatt 1.
Verbindet man nun diesen Auflösungszeitraum „Januar 1943“ mit der Information, wer noch nach dem 17. Juli 1941 Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, wird deutlich, dass der bisherige »Wissensstand« über die 12 Dauermitglieder dieses Ausschusses schwerwiegende Fehler enthält. Die ein- oder wechselseitige Distanzierung der Professoren und der NS-Elite geschah in 10 Fällen nicht vor, schon gar nicht lange vor Beginn des Zweiten Weltkrieges. Es spricht nichts dafür, dass eine solche Distanzierung überhaupt stattgefunden hat.
Anhand anderer Quellen und Quellenberichte habe ich zusätzlich folgendes zeigen können:
- Von Herbst 1939 bis in den Oktober 1942 war Professor Carl August Emge der Ersatz-Präsident der AfDR
- Professor Emge und Professor Bruns haben mit hoher Wahrscheinlichkeit das »Gutachten über die Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik nach volkspolitischen Gesichtspunkten« das für einen Ausschuss der AfDR 1940 erstellt worden ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit im Jahr 1940 zur Kenntnis genommen. Es spricht nichts dafür, dass die Professoren Emge und Bruns ihr Wissen nicht mit den anderen Akademikern des Ausschusses für Rechtsphilosophie geteilt haben sollten.
Zur Erinnerung an die Verwirklichungsschritte des nationalsozialistischen Programms, die die »Persönlichkeiten« des Deutschen Reichs in der Zeit von 1941 bis 1943 unternahmen, mögen folgende Hinweise dienen: Die Vernichtung der polnischen Juden in Bełżec, Sobibór und Treblinka (»Aktion Reinhardt«) befand sich im Juli 1941 bereits in der Endphase. Die »Aktion T4« (Euthanasiemorde) lief bereits. Die Vernichtung der Juden in der Sowjetunion hatte nach dem rechtswidrigen Überfall auf die Sowjetunion (»Unternehmen Barbarossa«) begonnen. Einige wenige offene Fragen der »Endlösung der Judenfrage« wurden im Januar 1942 auf der Wannseekonferenz diskutiert, dann entschieden und verwirklicht. Roland Freisler und Wilhelm Stuckart, die an der Wannseekonferenz teilgenommen haben, verwirklichten das nationalsozialistische Programm auch als Mitglieder der AfDR und/oder als Mitglieder von Ausschüssen der AfDR.
10. Erfolge der ersten Olympiade der AfDR im Jahr 1938: Entjudete deutsche Wirtschaft, drohende Vernichtung der Juden im Großraum des deutschen Reiches
Zum Abschluss meines ersten Teils möchte ich zwei kleine Schlaglichter auf das Jahr 1938 werfen. Das Jahr, in dem der Ausschuss für Rechtsphilosophie aufgeboben wurde. Vermutlich von seiner theoretischen ersten Olympiade zu seiner zweiten praktischen Olympiade.
10.1. Wolfgang Hefermehl (Dezember 1938): Die deutsche Wirtschaft ist »entjudet«!
Am 16. Dezember 1938 veröffentlichte das Reichsjustizministerium durch sein Amtsblatt Deutsche Justiz eine ganz besondere Erfolgsmeldung: „Die Entjudung der deutschen Wirtschaft“. Autor des Textes war Wolfgang Hefermehl (1906-2001).[501] Im Text kommentiert Hefermehl ausführlich die
- Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 (RGBl. I, 1580),
- deren Durchführungsverordnung vom 23. November 1938 (RGBl. I, 1642) und
- die Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens.
Hefermehl tut dies als Angehöriger des Reichsjustizministeriums.[502] Nach Nennung der drei Verordnungen teilt Hefermehl den Zweck mit, den sie verfolgen:
[…] verfolgen den Zweck, den jüdischen Einfluß auf die deutsche Wirtschaft völlig zu brechen und damit die Judenfrage auf wirtschaftlichem Gebiet endgültig zu lösen. Sie stellen zugleich den Abschluß eines im ganzen betrachtet einheitlichen und planmäßigen Gesetzgebungswerks mit dem Ziel der Gesamtentjudung der deutschen Wirtschaft dar. […] Im folgenden soll in großen Zügen ein Bild von diesem, in seinen Grundformen nunmehr feststehenden Gesetzgebungswerk gegeben werden.
(Hefermehl, Die Entjudung der deutschen Wirtschaft; 1938), S. 1981
Am 19. Januar 1940 erschien dann wieder im Amtsblatt des RJM Deutsche Justiz ein Aufsatz Hefermehls mit dem Titel „Kriegswirtschaftsrecht“. Der Text beginnt so:
Der uns von den Feindstaaten aufgezwungene Krieg hat der deutschen Wirtschaft ein eigenes rechtliches Gewand gegeben.
(Hefermehl, Kriegswirtschaft; 1940), S. 85
Bereits am 9. Februar 1940 erschien in derselben Zeitschrift ein weiterer Aufsatz Hefermehls.[503] Dieses Mal erläuterte er die „Verordnung über die Behandlung feindlichen Vermögens vom 15. Januar 1940“.[504] Erneut wurde den Lesern Hefermehl als „Landgerichtsrat im Reichsjustizministerium“ vorgestellt. In der Rubrik „Personalnachrichten“ war ein Heft zuvor mitgeteilt worden, dass Friedrich Ernst (1889-1960)[505] „Reichskommissar[506] für die Behandlung feindlichen Vermögens“ geworden sei.[507] Hefermehl erweiterte seinen Artikel über die Behandlung feindlichen Vermögens zusammen mit einer Person, die den Namen „Karl Krieger“ benutzt[508], zu einem fortlaufenden Kommentar.[509]
Dieser Kommentar („Loseblatt-Ausgabe“) wurde Anfang 1942 in einer Rezension der „Zeitschrift für Osteuropäisches Recht“ des Breslauer Osteuropainstituts[510] als Leitfaden für die Praxis (in den besetzten Ostgebieten[511]) gelobt. Der Verfasser, Dr. Heinz Meyer, war Leiter der Rechtsabteilung des Osteuropa-Instituts und Schriftleiter der Zeitschrift:
Das vorliegende Werk verfolgt den Zweck, die Praxis fortlaufend über den Sinn und die Ziele der Gesetzgebung über die Behandlung des feindlichen Vermögens in gedrängter Form zu unterrichten.[512]
(Meyer, Rezension von Krieger & Hefermehl: Kommentar zum feindlichen Vermögen; 1942), S. 438
Diese Verordnung vom 15. Januar 1940 wurde durch das „Gesetz über die Aufhebung von Kriegsvorschriften vom 14. Juni 1951“ aufgehoben.[513]
Dass 1943 Ernst Heymann die Herausgeberschaft der „Zeitschrift für Osteuropäisches Recht“ übernahm, hatte ich bereits erwähnt (siehe Unterabschnitt 7.9.3.). In dieser Zeitschrift wurden Texte[514] von Hans Globke[515] veröffentlicht, die erkennbar zum Kriegsziel des akademischen Nationalsozialismus beitrugen, »den Osten« unter »volkspolitischen Gesichtspunkten« rechtlich so zu gestalten, dass eine Politik zu Gunsten der »deutschen Rasse« dauerhaft betrieben werden konnte.
Dass Wilhelm Kisch und Wilhelm Arendts laut (Feldman 2001) „schmutzige Geschäfte“ in der »Behandlung feindlichen Vermögens«, insbesondere in Polen, nach 1939 tätigten, habe ich bereits in Unterabschnitt 6.2.4 angesprochen.
10.2. Ernst von Weizsäcker (1938): Die Juden gehen „eben über kurz oder lang ihrer vollständigen Vernichtung entgegen“
Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Ernst von Weizsäckers (1882-1951)[516] teilte am 15. November 1938 dem Schweizer Gesandte in Paris, Walter Stucki (1888-1963) mündlich mit, dass die Juden unbedingt Deutschland verlassen müssten,
„sonst gingen sie eben über kurz oder lang ihrer vollständigen Vernichtung entgegen“.12
12 Le Minstre de Suisee à Paris, W. Stucki, au Chef du Départment politique, G. Motta, 15.11.1938, in: Diplomatische Dokumente der Schweiz, 1937-1938, Nr. 449, S. 1030 ff., hier S. 1031.“ (ebd., S. 733).
Zitiert nach: (Conze, et al. 2012), S. 173
In seiner Rede am 30. Januar 1939 machte Adolf Hitler diese Absicht öffentlich. Ja, er erweiterte sie auf ganz Europa:
Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“.
(Domarus 1963), S. 1056
Zwischen der Äußerung Ernst von Weizsäckers und der »Prophezeiung« Hitlers seien alle diplomatischen und konsularischen Vertretungen Deutschlands im Ausland durch ein Schreiben vorab informiert worden. Das teilten jedenfalls Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann in ihrem Buch Das Amt und die Vergangenheit 2012 mit:
„sonst gingen sie eben über kurz oder lang ihrer vollständigen Vernichtung entgegen.“12
12 Le Minstre de Suisee à Paris, W. Stucki, au Chef du Départment politique, G. Motta, 15.11.1938, in: Diplomatische Dokumente der Schweiz, 1937-1938, Nr. 449, S. 1030 ff., hier S. 1031.“ (ebd., S. 733)
Wie bereits angedeutet, beschränkten sich die Erörterungen im AA [Auswärtiges Amt; mw] nicht auf deutsche Juden und ihre Auswanderung. In einem Schreiben an alle diplomatischen und konsularischen Vertretungen im Ausland vom 25. Januar 1939 referierte Schumburg über die „Judenfrage als Faktor der Außenpolitik im Jahre 1938“. Die Ausgangsposition, so hieß │ S. 174 es dort, war, dass „der Jude“. Eine „Krankheit des Volkskörpers“ ist. „Das letzte Ziel … ist die Auswanderung aller im Reichsgebiet lebenden Juden.“ Doch die Aufgabe der deutschen Außenpolitik sei nicht nur, die jüdische Wanderung in der Welt zu „lenken“, sondern eine globale „antisemitische Welle zu fördern“. So würde „eine in der Zukunft liegende internationale Lösung der Judenfrage“ möglich gemacht. Auf dem Hintergrund dieser Empfehlung kann der Satz, „auch für Deutschland wird die Judenfrage nicht ihre Erledigung gefunden haben, wenn der letzte Jude deutschen Boden verlassen hat“, nur als Aufforderung des AA verstanden werden, eine „Gesamtlösung“ in Form eines „Judenreservates“ anzustreben, was von Anfang an die Akzeptanz von hunderttausenden Toten implizierte. Spätestens bei Eingang dieses Dokuments in allen deutschen diplomatischen Vertretungen, kurz vor Hitlers Rede am 30. Januar 1939, musste das den Diplomaten klar sein.13
13 ADAP, D V, Nr. 664: Runderlass des Auswärtigen Amtes, 25.1.1939.
(Conze, et al. 2012), S. 173 f.
Hans Franks Aufhebungsanordnung bezüglich des Ausschusses für Rechtsphilosophie zum 8. Juli 1938 darf vor diesem Hintergrund auch so probeweise gedeutet werden, dass nicht nur ein Wechsel von der Theorie in die Praxis, sondern auch eine Ausweitung der Planung von der »Entjudung Deutschland« zu einer »Entjudung Europas« im Gange war, die eine Veränderung der Organisationsgestalt des Ausschusses für Rechtsphilosophie erforderte. Es war immerhin eine globale „antisemitische Welle“ zu organisieren.
In Teil IV werde ich zeigen, dass Hans Freyer Aufenthalt ab 1938 in Budapest mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dem Zweck diente, in Ungarn eine „antisemitische Welle“ zu organisieren. Ich zitiere erneut aus der Biographie über Hans Freyer von Jerry Z. Muller:
Freyer’s disillusionment with totalitarian solutions to the problems of modernity is examined in chapter 8. A careful reconstruction of his relations with the cultural institutions and organs of ideological control in the years from 1934 to 1938 illuminates the sources of his disillusionment. His dual roles as academic social scientist and as ideologist now worked against him. In a regime that placed a premium on ideological orthodoxy, the charge of insufficient ideological commitment was used against him by professional rivals and party zealots. Surveillance of mail, the pervasive threat of denunciation, and the political persecution of Freyer’s valued colleagues all contributed to the souring of his hopes. […] │ S. 7 […] Yet, like many conservative Germans disabused of their hopes for the Third Reich — including those of Freyer’s friends who participated in the assassination attempt on Hitler — Freyer continued to serve the regime. From 1938 through 1945 he lived in Budapest as visiting professor of German studies and as director of a German scientific institute; both positions were creations of the German foreign office, intended to boost the prestige of the regime abroad. Freyer’s roles in Budapest illustrate the utilization of prestigious intellectuals by the Nazi regime.
(Muller, 1987), S. 6 f.
In Teil II werde ich nun aber zunächst die Ursprünge des akademischen Nationalsozialismus vorstellen.“
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 2: Ehrensenat der AfDR (1941-1943), BArch R61/29, Blatt 2 und 3
Abbildung 3: Mosse-Palais, Berlin, Leipziger Platz 15
Abbildung 4: Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 37
Abbildung 5: Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 126
Abbildung 7: Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933, Seite 1
Abbildung 8: Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933, Seite 2
Abbildung 9: Illustrierte Broschüre des (Lebensborn e.V. 1938), S. 16
Abbildung 11: Thüringische Landeszeitung vom 3. Mai 1934
Abbildung 12: Todesanzeige Anna Blaas, geborene Heidegger (1848-1876)
Abbildung 13: Titelblatt der „Deutsche Juristen Zeitung“ (DJZ) vom 1. August 1934
Abbildung 14: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 52
Abbildung 15: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 5
Abbildung 16: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 8
Abbildung 17: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 40 f.
Abbildung 18: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; Zweiter Teil, Seite 78
Abbildung 19: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 78
Abbildung 20: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, Seite 82
Abbildung 21: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, S. 8
Abbildung 22: Zeitschrift „Gegner. Für neue Freiheit“, 5. Mai 1932, S. 7
Abbildung 23: Foto von Erich Jung im »Deutschen Führerlexikon 1934/34«, S. 216
Abbildung 24: Foto von Ernst Heymann im „Deutschen Führerlexikon 1934/34“, S. 192
Abbildung 25: Deutsches Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, S. 48
Abbildung 26: Foto von Wilhelm Kisch (in: 3. JAfDR 1936, S. 96)
Abbildung 27: Foto von Wilhelm Arendts (aus: 3. JAfDR 1936, S. 97)
Abbildung 28: Deutsches Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, S. 79
Abbildung 29: (Deutsches Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil, S. 80
Abbildung 30: Foto von Carl August Emge im „Deutschen Führerlexikon 1934/34“, S. 110
Abbildung 31: Deutsches Führerlexikon 1934/35, Zweiter Teil II, S. 62
Abbildung 32: Foto von Martin Heidegger im „Deutsche Führerlexikon 1934/35“, S. 180
Abbildung 33: Foto von Alfred Rosenberg im „Deutsche Führerlexikon 1934/35“, S. 394
Abbildung 34: »Das Deutsche Führerlexikon 1934/35«, Zweiter Teil, Seite 8
Abbildung 35: »Das Deutsche Führerlexikon 1934/35«, Zweiter Teil, S. 81
Abbildung 36: Foto von Hans Frank aus »Das Deutschen Führerlexikon 1934/34«, S. 129
Abbildung 37: Grußwort Hindenburgs im ersten JAfDR 1934, S. 3
Abbildung 38: „Die Gründung der AfDR am 26. Juni 1933“, 1. JAfDR, S. 7
Abbildung 39: Datumsangabe der ersten Satzung der AfDR (Erstes JAfDR 1934, S. 251)
Abbildung 43: Inhaltsverzeichnis der „Zeitschrift für Osteuropäisches Recht“, Heft 1 1943
Abbildung 44: Gruppenbild mit Walter Lutgebrune (aus: Luetgebrune: Neu-Preußens Bauernkrieg (1931)
Abbildung 45: Luetgebrune: „Volksgeist und neues Recht“ (ZAfDR, 1. Jg., 1. Heft, Juni 1934, S. 19)
Abbildung 47: Foto von Achim Gercke (1902-1997) im »Deutschen Führerlexikon 1934/34«, S. 144
Abbildung 48: 1. Ausschnitt aus dem ersten Jahresinhaltsverzeichnis der ZAfDR von 1934, S. 4
Abbildung 49: 2. Ausschnitt aus dem ersten Jahresinhaltsverzeichnis der ZAfDR 1934, S. 7
Abbildung 50: 3. Ausschnitt aus dem ersten Jahresinhaltsverzeichnis der ZAfDR 1934, S. 4
Abbildung 51: 1. Ausschnitt aus dem zweiten Jahresinhaltsverzeichnis der ZAfDR 1935, S. 3
Abbildung 52: 2. Ausschnitt aus dem zweiten Jahresinhaltsverzeichnis der ZAfDR 1935, S. 9
Abbildung 54: Findbuch zum Bestand R 61; (Werhan und Fensch 1976), S. 12
Abbildung 55: Screenshot des Suchergebnisses über die Akten R 61/29 bis R 61/31; BArch „invenio“
Abbildung 56: Erste Bearbeitungsschicht des Blattes 171 aus R 61/30
Abbildung 57: Auszug aus den Blättern 14 und 15 der BArch Akte R 61/30
Abbildung 58: Alle semiotischen Informationen des Blattes 171 der BArch-Akte R 61/30
Abbildung 60: Liste der 1943 aufgelösten Ausschüsse, R 61/29, Blatt 141
Abbildung 61: Das Präsidium der AfDR nach BArch R 61/29, Blatt1 (unvollständig entziffert)
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Fußnoten
- http://www.documentarchiv.de/wr/1920/nsdap-programm.html ↑
- (Anderson, The Academy for German Law, 1987), S.578. ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsministerium_f%C3%BCr_die_besetzten_Ostgebiete ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Abbild ↑
- Die Bild-Datei, die am 15. Juni 2018 im FAZ-Net veröffentlicht worden ist, ist keine Abbildung des Blattes 171 der Akte R 61/30, sondern ein Foto des Blattes 171 und einiger durchscheinender Informationen des Blattes 172. Die Informationsmenge, die auf dem FAZ-Net-Foto erkannt werden kann, existiert nur auf dem Foto, nicht in der Akte R 61/30. ↑
- Genau genommen waren der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende keine Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Diese Differenzierung ignoriere ich im Weiteren. Das ist leserfreundlicher. ↑
- (Degeners „Wer ist’s?“, Art. Erich Jung 1935) ↑
- (H. Frank, Im Angesicht des Galgens, 1953), S. 176 ↑
- (Lösch 1999), S. 187 ↑
- (Lösch 1999), S. 200, Fußnote 370 ↑
- (Artikel Ernst Heymann 1934) ↑
- (Lösch 1999), S. 158; ↑
- (Pinter 1994), S. 29; (Lösch 1999), S. 159. ↑
- (Lösch 1999), S. 388 ↑
- (Lösch 1999), S. 199, Fußnote 359; ↑
- (Pinter 1994), S. 6 ↑
- (Artikel C. A. Emge 1934) ↑
- Pinter charakterisiert diese Schrift Emges so:
Schon 1931 erscheint unter Pseudonym „ab insulis“ eine üble Kampfschrift Emges mit dem Titel „Geistiger Mensch und Nationalsozialismus“4. Hierin versucht sich Emge in der äußeren Form eines Zwiegespräches zwischen einem Führer A und dem Zweifler B über 40 Seiten darin, das ganze Repertoire nationalsozialistischer Ideologie von Führertum über Volksgemeinschaftsgeist bis Blut und Boden dem Leser als wohlbegründete Basis einer messianischen Volksbewegung vor philosophisch-ethischem Hintergrund nahe zu bringen.
(Pinter 1994), S. 6
- (Muller, 1987), S. 269 ff. ↑
- (Lüdtke 1941), S. 510 ↑
- (Stöwer, 2012), S. 113. ↑
- (Berchtold 1930) ↑
- Die Herausgeber des Briefwechsels Bultmann-Heidegger, Andreas Großmann und Christof Landmesser, berichten einleitend u.a. von einer gemeinsamen Lektüre des Johannesevangeliums. Darauf werde ich in meinem Teil IV zurückkommen.
Heidegger und Bultmann verstehen sich auf Anhieb gut, das Interesse an anderen Anfängen in Philosophie und Theologie verbindet beide, die je auf ihre Weise entschlossene Einzelgänger sind. »Gar nicht muffig«, urteilt Heidegger in einem Brief an Karl Jaspers vom 18. Juni 1924 über den neuen theologischen Kollegen, mit dem er jede Woche zusammenkomme5. Man kann die Intensität des intellektuellen und persönlichen Austauschs in der Tat kaum überschätzen: Sonnabends treffen sich Heidegger und Bultmann regelmäßig zu gemeinsamer Lektüre des Johannesevangeliums, […]
(Bultmann und Heidegger 2009), S. X
- (Bultmann und Heidegger 2009), S. 184 ↑
- Der erste Eintrag im Diensttagebuch des Generalgouverneurs Hans Frank, in dem vielleicht Max Mikorey erwähnt wird, datiert auf den 24. April 1941. Dort steht aber nur: „Empfang von Prof. Dr. Mikorey“. Ich kann nicht ausschließen, dass die Erwähnung sich nicht auf Max Mikorey, sondern auf seinen jüngsten Bruder Franz Mikorey (1907-1986) bezieht; (Präg und Jacobmeyer 1975), S. 363. Der Biograph Max Mikoreys, Andreas Michael Weidmann, behauptet aber, dass Max Mikorey am 24. April 1941 von Hans Frank empfangen worden ist; (Weidmann 2006), S. 178.Der zweite Eintrag datiert auf den 15. September 1944 und bezieht sich eindeutig auf den Arzt Max Mikorey:
Frank empfängt [in Krakau; mw] den Dir. d. Statistischen Amtes d. GG Dr. Müller zur Verabschiedung. Vortrag von Stabsarzt Prof. Dr. Mikorey über das Thema: „Die Bedeutung der Panik für den Krieg“, anschließend kameradschaftliches Beisammensein, an dem u. a. GenOberst Harpe, Generalstabsarzt Dr. Kittel und GenMaj v. Xylander teilnehmen.
(Präg und Jacobmeyer 1975), S. 910
Zweimal wird ein Fräulein Mikorey erwähnt: Am 23. April 1942 wird sie zur Referentin des Intendanten der Philharmonie des GG ernannt:
Ernennung von Herrn Haslinde zum Intendanten der Philharmonie, von Kapellmeister Hindemith zum Chefdirigenten, von Kapellmeister Erb zum stellvertretenden Chefdirigenten und Frl. Mikorey zur Referentin beim Intendanten der Philharmonie des Generalgouvernements.
(Präg und Jacobmeyer 1975), S. 493
Zwei Tage zuvor, am 21. April 1942, war ins Diensttagebuch eingetragen worden:
Frank empfängt Oberbürgermeister Tiessler, Kattowitz. Besprechungen über Wiedereinsetzung von als Sonderbeauftragter bei den „Werken des Generalgouvernements“ (Ges a.D. Rümelin); Philharmonie des Generalgouvernements (Kapellmeister Hindemith, Kapellmeister Erb, Leiter der Intendanz Haslinde, Frl. Mikorey, Präs. Ohlenbusch).
(Präg und Jacobmeyer 1975), S. 493
Tagsüber hatte Hans Frank eine Besprechung mit SS-Gruppenführer Krüger (1890-1945):
Der Herr Generalgouverneur legt dann in großen Zügen seine Einstellung zum SS- und Polizeiproblem dar; er betont insbesondere, daß in jedem Fall die Polizei nur die Exekutive einer Regierung sein und nicht umgekehrt die Regierung sich irgendwie der Polizei neben- oder unterordnen könne. Im übrigen bezieht sich der Herr Generalgouverneur für die künftige Stellung des Höheren SS- und Polizeiführers Krüger und der SS und Polizei im Generalgouvernement auf sein Übereinkommen mit Reichsführer SS Himmler. Der Herr Generalgouverneur verfügt, daß dieses Übereinkommen, das folgenden Wortlaut hat, zum Bestandteil des Tagebuches gemacht wird; Zur endgültigen Bereinigung des Problems des Verhältnisses von Staatsverwaltung und Polizei- SS im Generalgouvernement wird folgendes vereinbart: […]
(Präg und Jacobmeyer 1975), S. 491
- https://www.deutsche-biographie.de/pnd118534742.html#ndbcontent ↑
- (Schmitt, Tagebücher 1930-1934; 2010), S. 276. ↑
- (Piper, S. 23 ff.) ↑
- Nach Tilitzki (2003) ist der erste Auszug aus Emges Aphorismen 1935/36 erschienen; (Tilitzki 2003), S. 484. Ich habe keine frühere Veröffentlichung Emges gefunden, auf die er mit der Charakterisierung „erster Auszug aus meinem sog. Aphorismen-Buch“ erfolgreich hätte Bezug nehmen können. ↑
- Es gibt widersprüchliche Informationen über die Reihenfolge in der Besetzung des Amts „Leiter der wissenschaftlichen Arbeiten der Akademie für Deutsches Recht“ in der Sekundärliteratur. Unstrittig ist, dass Roland Freisler, Wilhelm Kisch und Carl August Emge dieses Amt innehatten.Die Amtsübernahme durch Freisler im Februar 1935 wurde öffentlich in der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht und im Amtsblatt des Reichsjustizministeriums Deutsche Justiz bekannt gegeben:
Dr. Freisler: Leiter der wissenschaftlichen
Arbeiten der Akademie für Deutsches Recht.
Der Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Reichsminister Dr. Hans Frank, hat den Staatssekretär im Reichs- und Preußischen Justizministerium und Vorsitzenden der Strafrechtsabteilung der Akademie für Deutsches Recht, Dr. jur. Roland Freisler, zum Leiter der wissenschaftlichen Arbeiten der Akademie für Deutsches Recht berufen.
Staatssekretär Dr. Freisler unterstützt in dieser Eigenschaft dem Präsidenten in seiner Aufgabe, der Einzelarbeit der Ausschüsse der Akademie für Deutsches Recht an der Reform des Rechts die rechtspolitischen Richtlinien zu geben, und wird damit zum unmittelbaren ersten Berater von Reichsminister Dr. Frank in allen Fragen der Rechtsreform.
Deutsche Justiz, Heft 8 vom 22.2.1935, S. 304
- Ich kenne derzeit keine weitere Quelle, aus der hervorgeht, dass Werner Sombart (1863-1941) Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist. Es gibt eine Akte Emges, in der die Gründungsphase des Ausschusses für Rechtsphilosophie vom März bis in den Juli 1934 dokumentiert ist. Ich kenne ein Drittel dieser Akte. In diesem Drittel wird Sombart nicht einmal erwähnt. ↑
- Alle Einschübe in eckigen Klammern mit der Syntax „[…; mw]“ stammen vor mir. Auslassungen mit der Syntax „[…]“ sind meine Auslassungen. Auslassungen, die ich in Texten vorfinde, mache ich durch „…“ kenntlich – auch dann, wenn der Ausgangstext eine andere Formatierung aufweist. ↑
- Seitenumbrüche in von mir zitierten Texten mache ich durch einen senkrechten Strich „│“ gefolgt von einem „S.“ und der Seitenzahl der neuen Seite kenntlich. ↑
- (Feldman 2001) hat gezeigt, dass Wilhelm Kisch und Wilhelm Arendts während des Krieges „schmutzige Geschäfte“ im Herrschaftsbereich Hans Franks tätigten. Vgl. dazu meinen Unterabschnitt 6.2.4. ↑
- (H. Frank, Mitglieder-Verzeichnis der Akademie für Deutsches Recht; 1934) ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Mitglied_der_Akademie_f%C3%BCr_Deutsches_Recht ↑
- (Präg und Jacobmeyer 1975) ↑
- https://pl.wikipedia.org/wiki/Stanis%C5%82aw_Piotrowski_(prokurator) Bemerkenswert ist, dass es in der deutsch-sprachigen Wikipedia noch keinen Artikel über Stanisław Piotrowski (1901-1972) gibt. Dank der US-amerikanischen Firma Google gibt es aber einen zumindest guten, kostenlosen Übersetzer: https://translate.google.com/?hl=de&tab=TT ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/N%C3%BCrnberger_Prozess_gegen_die_Hauptkriegsverbrecher#Die_Ankl%C3%A4ger ↑
- (Rosenberg, Die Tagebücher von 1934 bis 1944, 2015). 1956 hatte Dr. Hans-Günther Seraphim (https://de.wikipedia.org/wiki/Hans-J%C3%BCrgen_Seraphim) Auszüge dem „politischen Tagebuch Alfred Rosenbergs aus den Jahren 1934/37 und 1939/40“ veröffentlicht: (Seraphim 1956). Auch hier wird der Ausschuss für Rechtsphilosophie nicht erwähnt. ↑
- (Housden 2003), S. 35, S. 51 und S. 66. ↑
- Es gibt ein Übersetzungsproblem ins Englische: Das etwas ein Recht ist, ist im Englischen wesentlich damit verbunden, dass es fähig ist, von einem Parlament als Gesetz erlassen zu werden. Das ist wesentlich auch bei Kant so. Die akademischen Nationalsozialisten bekämpften aber die Vorstellung des „rule by law“ und den Parlamentarismus Kants. Ja, sie gingen mitunter soweit, das »Gesetzesdenken« als »jüdischen Denken« so stark zu disqualifizieren, dass die unter ihrer Herrschaft nachwachsenden Generation beim Hören des Wortes „Gesetz“ Hass und Angst empfinden sollten. Eine Übersetzung ins Englischw wäre gelungen, wenn ein Wort im Englischen gewählt würde, dass eine Rechtssetzung aus der Zeit vor der Glorreichen Revolution bezeichnen würde. Sollte es davon mehrere geben, wäre ein Wort besonders tauglich, dass Rechtssetzung durch eine Kaste von »Geistesadligen« bezeichnen würde, die in Wahrheit statt des Königs durch dieses »Recht« herrschen würden. – Andererseits ist „philosophy of law“ eine hervorragende Übersetzung des Wortes „Rechtsphilosophie“. „Rechtsphilosophie“ gibt es im deutschsprachigen Raum ungefähr erst seitdem es den Gedanken an ein gesetzgebendes Parlament gibt. ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Schenk ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Mikorey_(Bildhauer), vgl. zusätzlich:
Mikorey, Franz; Bildhauer, Stein, Bronze und Holz, Zeichner, Pferde, Reiter, Tiere, Porträts, Figürliches; *1907 Dessau – †17.9.1986; M. entstammte einer alten bayerischen Familie, sein Vater war der Generalmusikdirektor Prof. Franz Mikorey (†1947 Garmisch-Partenkirchen); sein Bruder war der Münchner Psychiater Prof. Max Mikorey (†1977 Garmisch-Partenkirchen); Kindheit in Partenkirchen, Hölzlweg; Studium an der Schnitzschule Partenkirchen und 1925-30 an der ABK München bei »J.Wackerle, zeitlebens Freundschaft; Freundschaft mit Familie Richard Strauss; Atelier in München/Bogenhausen; Ehrenpräsident der Münchener Secession; […] Werke: Viele Werke im öffentlichen Raum; um 1977, Garmisch, Friedhof, Steinrelief “Engelchor” (Grabmal der Familie Mikorey); 1964, München, 2 Brunnen (Denkmal für F.v.Gärtner) an der Ludwigskirche; Würzburg, Kirche Stift Haug, Gestaltung des Chorraumes; um 1967, überlebensgroße Büste aus weißem Marmor “Richard Strauss” in der Walhalla; Schnitzschule Partenkirchen “Stier” Holz (nicht mehr da); “Richard Strauss” Bronzebüste; 2 Bronzetafeln “Pferd mit Reiter und 3 Frauen” (MGP); Literatur: Scholz 7/1939/ 10/1942 (Abbildungen), Die Kunst 1957 (Abbildung)/ 10/1986, Vo, WK 1950, Wichmann1, Heise, Alckens, Heyelmann, Wü1, Ki, Gorenflo, Schuster1, Adam/Jocher; Franz Mikorey, Skulpturen Zeichnungen, Höhr-Grenzhausen, 1979; Mg: F.M.; […]
- (Rosenberg, Die Tagebücher von 1934 bis 1944, 2015), S. 244 und S. 290 ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Reinerth ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Ziegler ↑
- (Rothacker 1934) ↑
- Ich versuche die Konvention innerhalb meiner Veröffentlichung zu etablieren und einzuhalten, dass ich in Originalzitaten durch Fettdruck die positiven Wertungen und durch Unterstreichung die negativen Wertungen des Autors – nicht meine – hervorhebe. Fettdrucke und Unterstreichungen sind jedenfalls meine Hervorhebungen. Kursivdruck in Zitaten sind Hervorhebungen des Originals, die aber anders ausgesehen haben können. ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_F._K._G%C3%BCnther ↑
- Würde ich etwas auslassen, würde ich das durch „[…]“ kenntlich machen. Im Weiteren werde ich deswegen in den meisten Fällen auf ein Wiederholen des Satzes „Ich zitiere ohne Auslassungen weiter“ verzichten. ↑
- https://www.klostermann.de/Ueber-Uns-1/Verlagsgeschichte/Philosophie/Nietzsche-Archiv:
In der Tat: Ein direktes Veröffentlichungsverbot gab es nicht; aber Heidegger hatte – was inzwischen hinreichend dokumentiert ist – insbesondere in den Jahren 1942/43 immense Schwierigkeiten mit den nationalsozialistischen Machthabern. Klostermann nahm intensiven Anteil und versuchte, gegenläufigen Einfluss zu nehmen. Es ist interessant, die in der Heidegger-Literatur bereits ausführlich beschriebenen Vorgänge um die seit dem Rektorat auftretenden Probleme Heideggers mit den Nationalsozialisten in der Verlagskorrespondenz teilweise auch in neuen Aspekten widergespiegelt zu finden. […] Heidegger war auf die Empfehlung Ottos hin im Jahr 1935 Mitglied des Wissenschaftlichen Ausschusses des Nietzsche-Archivs geworden, dem insbesondere die Herausgabe der großen Gesamtausgabe der Werke Nietzsches oblag. Die Herausgeberin der Nietzsche-Vorlesung Heideggers im Rahmen von dessen Gesamtausgabe (GA Bd. 44, S. 251 ff.), Marion Heinz, berichtet aufgrund von Recherchen im Nietzsche-Archiv über die Mitarbeit Heideggers im Rahmen des Wissenschaftlichen Ausschusses, auch darüber, dass Heidegger sich seit dem Jahr 1938 sukzessive aus der Mitarbeit in diesem Gremium zurückzog. Das Amt für Schrifttumspflege bei der Reichsleitung der NSDAP hatte sich mit dem ersten erschienenen Band der Ausgabe zutiefst unzufrieden gezeigt, Heidegger entschloss sich daraufhin, nur noch Nietzsches Werk, nicht aber der Ausgabe seiner Werke zu dienen und erklärte Ende 1942 seinen Austritt aus dem Wissenschaftlichen Ausschuss.
Durch meinen Fund des Blattes 171 der Geschäftsführungsakte der AfDR R61/30 ist die Auskunft über den Jahreswechsel 1942/43 stark zu relativieren. Heidegger mag mit irgendwelchen „nationalsozialistischen Machthabern“ irgendwelche „Schwierigkeiten“ gehabt haben. Mit Hans Frank und Alfred Rosenberg hatte er keine. Auch nicht mit den „nationalsozialistischen Machthabern“ in Baden, die einen Urlaubsantrag Heideggers vom Sommer 1943 für das WiSe 43/44 bewilligten. (Personalakte Heideggers des REM, BDC A 0031 REM, Blatt 1629) ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtungslager_Maly_Trostinez ↑
- Zur Person Hans-Rainer Pichinots vergleiche seinen Lebenslauf in seiner Dissertationsschrift:
Am 9. Januar 1946 wurde ich als erstes Kind des Ministerialrats Hans Pichinot und seiner Ehefrau Carla, geb. Hoffmann, in Kiel geboren.
Den Schulbesuch – 1957 bis 1966 – beendete ich mit dem Abitur an der Kieler Gelehrtenschule. Nach der Ausbildung zum Reserveoffizier der Luftwaffe – 1967 bis 1968 – studierte ich vom Wintersemester 1968/69 bis zum Sommersemester 1972 an den Universitäten München, Genf und Kiel Rechtswissenschaften. Am 6. März 1973 bestand ich vor dem Justizprüfungsamt in Schleswig die erste juristische Staatsprüfung und am 30. Januar 1976 die Große juristische Staatsprüfung vor dem Gemeinsamen Prüfungsamt in Hamburg. Mit Wirkung vom 12. März 1976 wurde ich zum Richter ernannt, am 18. Dezember 1978 zum Staatsanwalt. Im Oktober 1979 wurde ich an die Christian-Albrechts-Universität in Kiel zur Dienstleistung abgeordnet. Seit 1973 bin ich mit der Lehrerin Inge Pichinot, geb. Petersen, verheiratet. Wir haben zwei Kinder im Alter von sechs und zwei Jahren.
(Pichinot 1981), S. 183
- (Schmitt, Die europäische Kultur in Zwischenstadien der Neutralisierung. (Vortrag auf der Tagung für kulturelle Zusammenarbeit in Barcelona) 1929) ↑
- (Pichinot 1981), S. 77 ff. ↑
- Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 37, S. 277 ↑
- Der Ministerialrat im Reichsinnenministerium Werner Hoche stellte das Verhältnis von „Partei und Staat“ im Mai 1934 – vor der Entmachtung der SA – im „Jahrbuch für deutsches Recht“, das Schlegelberger und Freisler gleichgeschaltet hatten, so dar:
4. Partei und Staat
Die Form, in der die Verschmelzung von Weltanschauung und Staat durchgeführt wird, ist nach einem Ausspruch Adolf Hitlers vor den Gauleitern am 2. Februar 1934 die Partei. In der großen, vom ganzen Volk getragenen Gemeinschaft des Nationalsozialismus müsse die Partei ein auserlesener Orden des Führertums sein, der den nationalsozialistischen Staat für alle Zukunft zu garantieren bestimmt sei. Was der Staat vom Volk verlange, das werde dieser Orden einer verschworenen Führergemeinschaft in bedingungsloser Unterordnung unter seine eigenen Gesetze in komprimiertester Form bei sich selbst verwirklichen.
Die besondere Stellung der NSDAP im Staat ist bisher durch zwei Verfassungsgesetze von grundlegender Bedeutung festgelegt: Nach dem Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933 (RGBl. I S. 479) besteht in Deutschland als einzige politische Partei die NSDAP. Die Aufrechterhaltung anderer Parteien oder die Neubildung von Parteien ist mit schwerer Strafe bedroht. Die Vorzugsstellung, die dieses │ S. 13 Gesetz der NSDAP einräumt, zeigt, daß es sich bei ihr nicht etwa um eine Partei im Sinne des überwundenen Parteisystems handelt, sondern um eine staat- und volktragende Bewegung, um ein Element des staatlichen Aufbaus. Die Verbindung von Partei und Staat ist sodann durch das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1. Dezember 1933 (RGBl. I S. 1016) sichtbar in Erscheinung getreten. Dieses Gesetz stellt fest, daß „die NSDAP die Trägerin des deutschen Staatsgedankens und mit dem Staat unlöslich verbunden ist“. Als Rechtsform ist ihr die Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gegeben. Um engste Zusammenarbeit zwischen der Bewegung und dem staatlichen Behördenapparat [Weisungsgebundenheit; mw] zu gewährleisten, ist sichergestellt, daß die politische Organisation der Partei und die SA. als die beiden Grundpfeiler der NSDAP in der Person ihrer Leiter maßgebend an den Beschlüssen der Reichsregierung mitwirken. Diesem Erfordernis ist dadurch Rechnung getragen, daß der Stellvertreter des Führers und der Stabschef der SA zu Reichsministern ohne Geschäftsbereich ernannt worden sind. […]
(Hoche 1934), S. 12 f.
Im zweiten Heft der Neuen Folge des „Jahrbuch des Deutschen Rechts“ skizzierte Roland Freisler die Änderungen, die im Zuge des „30. Juni“ vorgenommen worden seien: Dabei geht er auch auf die Änderung ein, die im Bezug auf die Reichsleiter der NSDAP erforderlich geworden seien:
Deutsche Rechtsentwicklung April – Juli 1934
Von Staatssekretär Dr. jur. Roland Freisler, M. d. R., Pr. Staatsrat
[1] Die vergangenen vier Monate sind für die Entwicklung des deutschen Rechtes von nicht minderer Bedeutung als die ersten Monate des Jahres 1933, die Monate der nationalsozialistischen Machtergreifung. Denn in diese vier Monate fällt der 30. Juni. Und dieser 30. Juni wird allzeit ein Markstein auf dem Wege zur Errichtung und zum Aufbau des nationalsozialistischen Staates sein. Ohne diesen 30. Juni und die beiden folgenden Tage wäre der Auf- und Ausbau des nationalsozialistischen Staates nicht möglich gewesen, wäre Deutschland und das deutsche Volk in unausdenkbares Elend geraten. Liederlichkeit, Schwelgerei, Pflichtlosigkeit und Dünkel sind keine Grundlagen für deutsches Führertum; Zucht, in erster Linie Selbstzucht, Pflichtbewußtsein, Einordnung – das sind die Grundlagen des nationalsozialistischen Staates. Und diese hat als Grundlagen der Volksführung und damit auch der deutschen Staatskunst, somit auch der Rechtsentwicklung, die Tat des Führers selbst am 30. Juni gegenüber zuchtlosem Verrat Minderwertiger für immer durchgesetzt. Alles nationalsozialistische Arbeiten hat damit erst seine tatsächliche Sicherung erhalten![2] […]
[5] […] │ S. X[…]
[8] Für den Träger des politischen Willens des Volkes, die NSDAP, erfolgte die Feststellung der Art und des Umfanges ihrer Fähigkeit, Träger von Rechten zu sein und ihrer Verpflichtbarkeit im wirtschaftlichen Verkehr. Im Zuge der reinigungsmaßnahmen des Monats Juli erfolgte die Reorganisation der SA, die Einfügung der SS in den Gesamtorganismus der Partei als selbständige Organisation neben der SA, die Zuweisung des Ranges von Reichsleitern an den Reichsführer SS und an den Chef des Stabes der SA. Entsprechend der auch sonst überall innerhalb der NSDAP verfolgten schärferen Eingliederung der Hilf- und Nebenorganisationen in die NSDAP selbst erschien es nicht mehr geboten, außer dem Stellvertreter des Führers auch den Stabschef der SA amtsmäßig in das Reichskabinett aufzunehmen; │ S. XI eine entsprechende Gesetzesänderung wurde vorgenommen.(Freisler, Deutsche Rechtsentwicklung April – Juli 1934; 1934), S. X f.
In der Hierarchie des Nationalsozialismus waren Reichsleiter der NSDAP demnach dem Staat übergeordnet. Über ihnen stand nur der Führer, der Stellvertreter des Führers und der Reichsführer SS. Deshalb konnte der Reichsleiter der NSDAP Hans Frank dem bayerischen Minister Hans Frank die Weisung geben, durch bayerischen Gesetz, die AfDR als Körperschaft öffentlichen Rechts zu schaffen. ↑
- Die Zeitschrift Die nationale Wirtschaft (Untertitel: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik; Organ des National-Sozialistischen Rechtswahrerbundes; sie erschien von 1.1933 bis 12.1944) gibt einen Einblick in die Kooperation von NS-Rechtswahrern und der deutschen Wirtschaft. Das habe ich aber nur am Rande beobachtet. Eine systematische Erfassung dieses Themenkomplexes würde erkenntniserhellend wirken. Es würde sich empfehlen, die u.a. von Erich Jung herausgegeben Zeitschrift „Nationalwirtschaft. Blätter für organischen Wirtschaftsaufbau“ (1927-1929) mit zu berücksichtigen. ↑
- Vgl. dazu den juristischen Fachartikel von einem Kurt Krüger über die Stellung der Reichsminister im NS-Staat von 1937: (Krüger, Die Stellung der Reichsminister 1937). ↑
- Vgl. Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht, Heft 1 vom Januar 1935, S. 1 ↑
- Ich kann nicht nachvollziehen, wie Stefan K. Pinter in seiner Dissertation über den Rechtsphilosophen Emge im Nationalsozialismus von 1994 zu seiner letzten, von mir unterstrichenen Auskunft über die AfDR als Körperschaft des Reiches gekommen ist:
Mit Gesetz vom 11.7.1934 wandelte sich die Akademie von einer bayerischen Körperschaft […] in eine […] Körperschaft des Reiches. Zugleich erhielt die Akademie eine neue Satzung. […] wichtige Entscheidungen personeller, organisatorischer und finanzieller Art durfte er [Frank; mw] nur noch mit Zustimmung des Reichsjustiz- und des Reichsinnenministeriums vornehmen. Auch hatten beide Ministerien eine mögliche Einflußnahme der Akademie auf die Gesetzgebung für ihr Ressort mit der neuen Satzung von vorneherein erfolgreich verhindert.
(Pinter 1994), S. 69
- Laut seines Quellenverzeichnisses ist die Quelle mit der Signatur „R22/4330“ eine Akte des Reichsjustizministeriums: „Akten des Reichsjustizministeriums R22/198; R22/199; R22/4330“. Ich kenne diese Akten des Reichsjustizministeriums nicht. Die Akte mit der Signatur „R 22/4330“ wird auch nicht in der Bestandsbeschreibung des Materials über die AfDR durch das Bundesarchiv erwähnt, obwohl im einzelnen auf Akten des Reichsjustizministeriums hingewiesen wird:
Das Entstehen und Wirken der Akademie wird außer aus ihrem eigenen Schriftgut vor allem durch im Bundesarchiv aufbewahrte Akten des Reichsjustizministeriums belegt. Sie betreffen die Akademie im allgemeinen (R 22/198 und 199) und bieten zahlreiche Unterlagen über ihre Tätigkeit bei der Gesetzesvorbereitung. Es handelt sich wesentlich um Unterlagen aus folgenden Gebieten: Richter und Rechtspflege (R 22/3764); Vertrags- und Schadenersatzrecht (345, 346); Seerecht (581); Muster- und Modellschutz (640); Zivilprozessreform (646, 647); Jugendrecht (1180-1182, 1184, 1194, 1195); Luftrecht (2042) und Luftschutzrecht (2337); Bürgerliche Rechtspflege (646, 647); Freiwillige Gerichtsbarkeit (735); eheliches Güterrecht (471); Fahrnisrecht (422); Erbrecht (502).
https://portal.ehri-project.eu/units/de-002429-r_61
- Mitglieder des Promotionsausschusses waren: Professor Stephen J. Tonsor, Chairman, Associate Professor Geoff Eley, Professor George Kish und Associate Professor James A. Vann. ↑
- Anderson nutzt die US-amerikanischen Signaturen des „National Archives, Washington, D.C.“. Es handelt sich um Kopien von Akten der AfDR, die auf Filmrollen kopiert wurden, die für damalige Umstände klein waren. Sie heißen deswegen „microcopy rolls“. Die dominanten Signatur aller dieser Rollen lautet: „T-82“. Auf die einzelnen Filmrollen wird dann durch Ergänzung einer natürlichen Zahl Bezug genommen. Die meisten Filmrollen, auf die Anderson Bezug nimmt, liegen zwischen den Nummern 23-51.Im Findbuch des Bundesarchivs zum Bestand des Schriftguts der AfDR mit der Anfangssignatur „R61“ von 1976 wird u.a. folgendes über die unterschiedlichen Bestände und der unterschiedlichen Bezugnahmeweisen zwischen dem US-amerikanischen und dem bundesdeutschen Archiv mitgeteilt:
III. Bestandsgeschichte
[…]
In Alexandria wurden die Akten [der AfDR; mw] 1958 von der American Historical Association verfilmt und 1959 im Band 6 der Guides to German Records Microfilmed at Alexandria, Va., S. 14-27, beschrieben. 1960 wurde dieser Teilbestand dem Bundesarchiv übergeben, das 1962 auch die übrigen Akten vom Bundesjustizministerium und die genannte Kartei übernehmen konnte. In einer letzten Rückgabe erhielt das Bundesarchiv Unterlagen der Akademie im Jahre 1973 von der Library of Congress, Washington D. C. │ S. XXIIEinige Akten des Ausschusses für deutsch-italienische Rechtsbeziehungen waren nach Kriegsende in das Institut voor Oorlogsdocumentatie in Amsterdam gelangt; sie wurden von diesem 1974 gleichfalls dem Bundesarchiv zur weiteren Vervollständigung des inzwischen aus dem bereits vorliegenden Akten gebildeten Bestandes R 61 zur Verfügung gestellt. Schließlich überließ auch das Institut für Zeitgeschichte, München, das einen Teil der in München gesammelten Ausfertigungen der Protokolle der Ausschußsitzungen und die Handakten des ordentlichen Professors Dr. jur. Hermann Krause (1939-1944 Mitglied des Hauptausschusses der Akademie) hatte erwerben können, seine Unterlagen dem Bundesarchiv; und noch im März dieses Jahres konnte durch die Übernahme der Handakten des Reg. Dir. A.D. und damaligen Vorstandsmitglieds der Deutschen Centralbodenkredit AG., Cesterlink, Mitglied des Hypotheken-Rechtsausschusses der Akademie, eine Überlieferungslücke geschlossen werden. Damit sind in dem Bestand R 61 wohl alle erhalten gebliebenen Überlieferungen der Akademie für Deutsches Recht außerhalb der DDR zusammengeführt.
IV. Ordnungs- und Verzeichnungsgrundsätze
Das Schriftgut der Akademie für Deutsches Recht setzt sich im wesentlichen aus zwei schon äußerlich klar voneinander abgesetzten Teilen zusammen. Neben einem umfangreichen Komplex von Sach- und Korrespondenzakten steht eine zu einem erheblichen Teil im „Archiv“ der Verwaltungsstelle für Presse und Zeitschriftenwesen erwachsene Sammlung von Sitzungsprotokollen und -niederschriften, von denen sich einige auch in den Akten der Abteilung für Rechtsgestaltung finden. Das Schriftgut der Akademie wurde ab 1938 mit wenigen Ausnahmen in einer Zentralregistratur nach einem systematischen Aktenplan abgelegt. Die Ablage erfolgte chronologisch von unten nach oben, war jedoch häufig nachträglich gestört.
Um die – oft starken – Unregelmäßigkeiten zu beseitigen und die Benutzbarkeit des Bestandes zu verbessern, wurden bei der Ordnung und Verzeichnung des Bestandes im Bundesarchiv im Jahre 1967 alle Betreffseinheiten und Einzelvorgänge in Behördenablage (von oben nach unten) gebracht und dabei zerrissene Akteneinheit wieder vereinigt. Loses Schriftgut wurde nach Sachbetreffen neu formiert. Die Akten befinden sich daher nicht mehr in dem Zustand, den sie bei der Verfilmung in den USA hatten, so daß eine Identität zwischen den Bänden mit den amerikanischen Signaturen ADR 1 bis ADR 238, die z.T. auch Schriftgut anderer Provenienzen bezeichneten, und den im Bundesarchiv signierten Bänden nur selten besteht; soweit möglich, wurden jedoch die entsprechenden amerikanischen Signaturen vermerkt, und außerdem ermöglicht die Konkordanz zwischen den Signaturen des Bundesarchivs und den Rollenbezeichnungen des Mikrofilms T-82 (unten S. 87-90) einen Vergleich.
(Werhan und Fensch 1976), S. XXI f.
Die Seitenangabe „S. 87-90“ für die Konkordanz ist falsch. Tatsächlich befindet sie sich auf den S. 106-110. Gemäß dieser Konkordanz korrespondieren der US-amerikanischen Signatur „Roll 23 ADR 1 – ADR 12“ die deutschen Signaturen „R61/1, R61/3, R61/4, R61/5, R61/29, R61/30, R61/32, R61/106, R61/108, R61/223, R61/252; (Werhan und Fensch 1976), S. 110. Eine genauere Zuordnung der Signatur Andersons „Roll 23 ADR 5“ zu einer Signatur des Bundesarchivs wird in der Konkordanz nicht vorgenommen.
Ob auf der Rolle 23, die Anderson kennt, die Akte R61/30 mit Blatt 171 vorhanden ist, weiß ich nicht. Es ist möglich, dass Blatt 171 erst 1967 von einem Mitarbeiter des Bundesarchivs in die Akte eingefügt wurde, die die Signatur R 61/30 erhielt. Diese etwaige Umsortierung des Blattes 171 wäre sachlich korrekt gewesen, da durch die Charakterisierung Rosenbergs als Reichsminister zweifelsfrei bestimmbar ist, dass die Mitgliederliste nach dem 17. Juli 1941 erstellt worden ist und deswegen sachlich in die Aktengruppe R 61/29-30 gehört, auch wenn sie vielleicht zuvor von irgendwem irgendwann absichtlich oder unabsichtlich in der Akte mit der neuen BArch-Signatur B 61/31 oder der alten BArch-Signatur R 61/106 einsortiert worden ist. Vgl. dazu wieder das Findbuch zu Bestand R 61:
(Werhan und Fensch 1976), S. 12
Aus sachlichen Gründen kann das Blatt, von dem Anderson die Information hat, dass Heidegger und Schmitt Mitte der 30-er Jahre Mitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen sind, nicht identisch mit meinem Blatt 171 der Akte R 61/30 sein, da auf seinem Blatt der Namen von Julius Binder verzeichnet ist, auf meinem Blatt aber nicht. Auch deswegen habe ich es unterlassen, mir Andersons Blatt zu besorgen.↑ - Ich zitiere noch einmal aus der ersten Verwaltungsordnung der AfDR, die am 1. April 1937 in Kraft trat; (Erste Verwaltungsordnung der AfDR vom 1. April; 1937): „§ 4. Die Abteilung für Rechtsforschung gliedert sich in Klassen, denen vorwiegend die folgenden Aufgaben zugewiesen sind: Klasse I: Erforschung der Geschichte und der Grundfragen des Rechtes, Klasse II: Erforschung des Rechtes von Reich und Volk, Klasse III: Erforschung des volksgenössischen Rechtslebens.“ ↑
- Farías zitierte nur eine kurze Partie aus dem langen Bericht über den Presseempfang, und zwar einen Auszug aus Hans Franks letztem Redebeitrag auf dem Empfang. Im Unterabschnitt 7.9. werde ich andere Informationen aus diesem Bericht heranziehen, die deutlich brisanter sind. ↑
- Ich habe mir im Januar 2019 vom Goethe- und Schiller Archiv 50 von 160 Seiten dieser Akte zukommen lassen. Gemäß den Nutzungsregeln dürfen nur 50 Seiten bestellt werden. Noch hatte ich keine Zeit, vor Ort die Gesamtakte einzusehen. In Abschnitt 3 stelle ich die mir bekannten 50 Seiten vor. Farías bezieht sich wahrscheinlich nur auf den Bericht Emges über die erste Sitzung (mein Unterabschnitt 3.2.4.), in dem tatsächlich nur erwähnt wird, dass Heidegger auf der Eröffnungssitzung anwesend gewesen ist. Der erste, der diese Akte Emges ausgewertet hat, ist Stefan K. Pinter. Seine Dissertation über den Rechtsphilosophen Emge stelle ich im nächsten Abschnitt 2.4. vor. ↑
- https://www.gda.bayern.de/archive/hauptstaatsarchiv/archivgebaeude/
Das Bayerische Hauptstaatsarchiv befand sich bis 1944 zusammen mit der Bayerischen Staatsbibliothek in dem 1843 fertiggestellten monumentalen Archiv- und Bibliotheksgebäude Ludwigstraße 16. Nach dessen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg war es bis zum Jahre 1977 notdürftig im Gebäude Arcisstraße 12, einem der sog. Führerbauten, untergebracht, da das Gebäude an der Ludwigstraße nach seinem Wiederaufbau nur noch die Staatsbibliothek aufnehmen konnte.“ – abgerufen am 9.8.2018, um 21:13 Uhr.
- https://stadt-muenchen.net/baudenkmal/d_baudenkmal.php?id=1903 ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Mosse-Palais_(1885) – abgerufen am 9.8.2018 um 21:43 Uhr ↑
- Zu beachten ist auch die Beschreibung der Bestandsgeschichte des Schriftguts der AfDR durch das Bundesarchiv Lichterfeld: https://portal.ehri-project.eu/units/de-002429-r_61, abgerufen am 12.8.2018 20:23 Uhr. ↑
- Die Schreibweise „Staatsrat Schmidt“ ist nicht Folge eines Tippfehlers in Farías Buch. Diese Schreibweise findet sich so bereits im Artikel der Frankfurter Zeitung. ↑
- (Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 568 ↑
- Dass auch Walter Luetgebrune (1879-1949) auf einer Mitgliederliste in der Akte Emges aufgeführt ist, ist bemerkenswert. Walter Luetgebrune war Jurist, Rechtsanwalt und SA-Gruppenführer. Als Rechtsanwalt hatte er Ludendorff im Prozess gegen Hitler und Ludendorff vertreten. Weder Pichinot (1981) noch Anderson (1982, 1987) noch Farías (1987/89) berichten von einer Mitgliedschaft Luetgebrunes im Ausschuss für Rechtsphilosophie. Nach Auskunft von Frau Christiana Herrgott vom 9. Januar 2019, Mitarbeiterin des Benutzerdienstes des Goethe und Schiller-Archivs in Weimar, wird in der Akte Emges auf Luetgebrune nicht mit der Charakterisierung „SS-Gruppenführer“ Bezug genommen. Da in einigen zeitgenössischen Texten erwähnt wird, dass Luetgebrune Gruppenführer bei der SA gewesen ist, hat sich Stefan K. Pinter vermutlich vertippt. ↑
- http://www.jura.fu-berlin.de/fachbereich/einrichtungen/zivilrecht/emeriti/rottleuthner_hubert/index.html ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Uwe_Wesel ↑
- (Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), Blatt 131. ↑
- Hans Pilder war Bankdirektor der Dresdner Bank in Berlin und Vorstandsmitglied der Stiftung des Nietzsche-Archivs. Vgl. (Günzel 2000), S. 167. ↑
- (Herrgott 2019) ↑
- In dem Abschnitt, in dem sich Pinter mit der Zeitschrift „Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie“ beschäftigt, da Emge ihr Herausgeber nach 1933 wurde, erwähnt er jedenfalls eine Vermutung Rottleuthners:
Rottleuthner meint, vielleicht sei die Publikationspolitik von Herausgebern und Schriftleitern des ARSP, die subjektiv als Ausdruck kritischer Distanz gemeint war, aber nur ein Zeichen für die soziale Bedeutungslosigkeit der Rechtsphilosophie gewesen.3
3) Rottleuthner, Substanzieller Dezisionismus. Zur Funktion der Rechtsphilosophie im Nationalsozialismus, in: ARSP 1983, Beiheft Nr. 18 n. ., S. 20 ff. (S. 34)
(Pinter 1994), S. 83
- Stephan Günzel informiert auf einer eigenen Internetseite über seinen Lebensweg: http://www.stephan-guenzel.de/curriculum/ ↑
- In der ersten Fußnote des gedruckten Textes wird folgendes über die Textgeschichte mitgeteilt:
*) Der Inhalt des Vortrags wurde erstmals 1934 in der Gesellschaft für gemeinnützige Wissenschaften da, Bremen und der Patriotischen. Gesellschaft in Hamburg mitgeteilt, sodann öfter in meinem Seminar im Nietzsche-Archiv in Weimar behandelt.
(C. A. Emge, Ideen zu einer Philosophie des Führertums 1935), S. 175
Günzel behauptet, dass Emge den Vortrag 1934 auch „in der Gesellschaft für gemeinnützige Tätigkeit in Lübeck“ gehalten habe: (Günzel 2000), S. 157. ↑
- Hauptsitz der AfDR war München. In Berlin befand sich nur eine zweite Geschäftsstelle. ↑
- GSA 72/1588, Blatt 2. Vgl. dazu meinen Abschnitt 3 in Teil I. ↑
- Ich habe selten eine veröffentlichte Endversion eines Textes mit so vielen Fehlern gelesen:
Der unaufhaltsame Aufstieg des Carl August Emge wurde am 6. Juli 1939 mit seiner Aufnahme als ordentliches Mitglied in die Preußische Akademie der Wissenschaften14 und im Jahr darauf 1940; tatsächlich 1937; mw] mit der Vizepräsidentschaft der Akademie für Deutsches Recht gekrönt, deren Bestimmung „die Schaffung eines Rechts“ war, „das sich mit den seelischen Kräften und den Rechtsanschauungen des deutschen Volkes in Einklang befindet und das keinen anderen Zielpunkt kennt als die Größe und das Wohl des deutschen Volkes“.15
14 Vgl. Ulrich Kluge, „Carl August Emge“, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 72,
Stuttgart 1986, S. 130-132, hier S. 13015 Vgl. Jenaische Zeitung. Amts-, Gemeinde- und Tageblatt, Montag, den 7. Mai 1934, Nr. 105/261. Jahrgang, „Akademie für deutsches Recht“, in: GSA 72/1588 [=Tätigkeit Emges im Ausschuß für Rechtsphilosophie an der Akademie für deutsches Recht 1931-1933 (68)].
(Günzel 2000), S. 159
Ich kenne den Zeitungsartikel vom 7. Mai 1934 noch nicht. Vermutlich befindet er sich ebenfalls in der Aktes Emges. ↑
- GSA 72/1588, Blatt 1; vgl. meinen Abschnitt 3. ↑
- Emge bezieht sich auf: (C. A. Emge, Über den Begriff des „Politischen“ 1933). Zwischen beiden Texten Emges gibt es keinen sachlich bedeutenden Unterschied. Wenn es einen Dissens zu Carl Schmitt gibt, dann den, dass Emge – und vermutlich auch Erich Jung – für den Zeitpunkt nach dem »Endsieg des deutschen Menschen über die Welt« eine »Volksgemeinschaft« träumen, für die Schmitts Freund-Feind-Kontrast irrelevant geworden ist.1933 machte Emge aber noch einen Vorbehalt ausdrücklich, dass dieser Zustand vielleicht doch gar nicht erstrebenswert sei. 1935 wird dieser Vorbehalt nicht mehr erwähnt (siehe Haupttext). Wenn ich mich richtig erinnere, betonte Alfred Rosenberg die Verbindung von Charakter und Wahrhaftigkeit »des deutschen Menschen«.Ich zitiere ein wenig aus Emges Stellungnahme zu Schmitts Schrift „Der Begriff des Politischen“:
[5] Es scheint uns nun dann ein Verhalten politisch zu sein, (und demgemäß heißt das handelnde Subjekt „Politiker“), wenn das Ziel einer Handlung in der Weise verfolgt wird, daß der Handelnde bei dieser Verfolgung nicht mit dem Vorliegen von begünstigenden „Garantien“ (und entsprechend „Garanten“) rechnet, sondern das Eintreten des erstrebten Erfolgs in allen Stufen seiner Bedingungen als ein solches auffaßt, das von ihm selbst zu bewirken ist. Nichtpolitisch wäre dagegen ein Verhalten, wenn bei der Verwirklichung des erstrebten Zieles begünstigende Garantien einfach unterstellt werden.
[…]
[8] Während der „Gläubige“ sich „wünschend“ „vertrauend“ „hoffend“ verhält, bürdet sich der Politische – Garantien gegenüber ungläubig – die Verantwortung für den ganzen Hebelarm der Last auf: er weiß, daß er allein es ist, der alles restlos bewirken, der die ganze Kette der menschlichen Zwischenglieder in die begünstigende und ausreichende Bewegung bringen muß. Seine Aktivität, sein Mißtrauen sind ungeheuer gesteigert; er ist von der Leistung aus gesehen wirklich „autonom“, „prima causa“ ohne Glaube an die Fügung eines realen Gottes. Daher rechnet er sich einen Fehlschlag auch stets selber zu und schimpft nicht (innerlich!) auf die, welche ihn enttäuschen. Er hätte ja mit den „widerstrebenden Tendenzen“ rechnen müssen. Er befindet sich insofern auch stets „im Ernstfall“. Die Politik verdirbt aber andererseits insofern den „Charakter“, als der Politiker die von ihm zur Werkzeugeigenschaft zu stimmenden Subjekte unter allen Umständen beeinflussen muß. Er setzt insofern immer Endliches in sich und sein Werk absolut. Er muß als Freund, als Gesinnungsgenosse von Menschen erscheinen, die er „braucht“, ohne es wirklich zu sein. Oder er wertet als erster Tugend ihren „blindesten gehorsam“ „oderint dum metuant“ [Mögen sie (mich) hassen, wenn sie (mich) nur fürchten; mw]. Soweit wir also Charakter mit Wahrhaftigkeit verbinden, kann der große Politiker nicht à tout prix Charakter sein wollen und einen solchen nicht fordern.[9] Hält man als Deutscher an der letzten Verbindung von Charakter mit Wahrhaftigkeit fest, so ist eine vollkommen politisierte Lebensform nur als Durchgangsstadium für einen Zustand erträglich, in dem es wieder „Garantien“ gibt, d.h. für einen status, in dem man nicht „alles“ restlos bewirken muß, sondern sich wieder auf die konformen Verhaltungsweisen von wirklichen „Gesinnungsgenossen“ verlassen kann (wahre Volksgemeinschaft). Es ist aber zuzugeben, daß der Charakter im Sinne von spontaner Aktivität und Verantwortung in dem Zustand der politisierten Sphäre unerhört gefördert wird.
(C. A. Emge, Über den Begriff des „Politischen“ 1933)
- »Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist«, (1. Mos. 3,5). Vgl. auch Goethes Zitierung dieses Satz in der Schülerszene des »Faust«. ↑
- Diesen Brief aus der Akte kenne ich noch nicht. Er wird einer der letzten Dokumente in der Akte Emges sein. ↑
- Günzel ist anscheinend die Spannung zwischen seiner Behauptung, Carl Schmitt sei zur Gründungssitzung nicht erschienen, und dieser Ankündigung Emges Goebbels gegenüber nicht aufgefallen. ↑
- Ich kenne die „zusätzliche Zeitungsmelden vom selben Tag“ noch nicht, die angeblich belegt, dass Emges Plan zu neun Unterausschüssen bereits am 4. Mai 1934 aufgegeben worden ist. Ich komme darauf gegebenenfalls durch Ergänzungen in meinem Abschnitt 3 zurück. ↑
- Tilitzki hat einen Person, die als Mitglied des Ausschusses genannt wird, nicht erwähnt: Auch über „Dr. Mikorey“ gibt Emge im Hans Buch bekannt, er sei Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Dass ein Oberarzt Mitglied eines Ausschusses für Rechtsphilosophie nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (RGBl. I 1933 S. 529) wäre doch eine Information gewesen, die unser Wissen über den Ausschuss für Rechtsphilosophie bereits 2003 erheblich erweitert hätte. Zumal eine unaufwändige Recherche zu Texten von Mikorey geführt hätte, die inhaltlich eindeutig sind. ↑
- Ich habe die Jahresangabe des Vorlegens der Dissertationsschrift Pinters gewählt. Tilitzki wählte den Zeitpunkt der mündlichen Prüfung. Als wissenschaftlicher Text ist die Jahresangabe 1994 wichtiger. Für den Rechtsstatus, eine Dissertationsschrift zu sein, ist die Jahresangabe 1996 korrekt. ↑
- (Tilitzki 2003), S. 485 f.:
Dieser Ausschuß wurde Ende August 1935 in Berlin ins Leben gerufen als Unterausschuß des von Viktor Bruns geleiteten Ausschusses für Völkerrecht.91 […] Obwohl dies aus der gedruckten Fassung seines Generalreferats auf dem zweiten Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung im Haag im August 1937 nicht hervorgeht, hat Emge diese terminologischen Arbeiten offenbar mit eigenen Reflexionen verknüpft und für den ethnopolitischen Gebrauch aufbereitet. Denn „im Anschluß“ an sein Referat, so Ernst Heymann über den Anteil seines einstigen Marburger Schülers an den Haager Diskussionen, habe er über den Wert und Unwert „allgemeiner Rechtsbegriffe“ gesprochen, die „oft genug die Ver- │ S. 486 ständigung der Nationen untereinander hindern und den wirklichen Erscheinen des Lebens nicht immer gerecht werden“. Es sei daher notwendig, „die Rechtsordnung der einzelnen Völker aus ihrem Volkstum zu verstehen“ – ein Einwurf, den man im Sommer 1937 auch als nationalsozialistische, Carl Schmitts Formel vom „Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ antizipierende Nichteinmischungsformel auffassen konnte.94
91 Die Geschichte der deutschen Völkerrechtswissenschaft im Dritten Reich kann als weitgehend unerforscht gelten. Neuerdings mit Schwerpunkt auf Bruns: Ingo Hueck […]
- Neben dem Seminar über Hegels Rechtsphilosophie vom Wintersemester 1934/35 meint Faye das Seminar „Über Wesen und Begriff von Natur; Geschichte und Staat“ vom Wintersemester 1933/34; (Faye 2009), S. 157 ↑
- Hans Franks Presseansprache am 5. Mai 1934, S. 177, im: ersten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht. ↑
- (Koenen 1995), S. 781 f:
Die von Frank in Italien propagierte „geistige Zusammenarbeit in kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht zwischen Deutschland und │ S. 782 Italien“, der begonnene „vertrauliche Gedankenaustausch zwischen Italien und dem Reich“ sowie die Rede Hitlers vom 7. März 1936, in der dieser vom gemeinsamen europäischen „Haus“ gesprochen hatte, waren für den Völkerrechtsausschuß der „Akademie für Deutsches Recht“ Anlaß genug gewesen, sich eingehend mit den Auswirkungen dieser Annäherung zu beschäftigen. Der Ausschuß war allein schon deshalb als geeignetes Diskussionsforum erschienen, da Frank seine Romreise ganz offiziell als AfDR-Präsident angetreten102 und auch Schmitt, der ihm kurze Zeit später gefolgt war, dem Präsidium der Akademie angehört hatte103.
102 Vgl. BNSDJ-„Mitteilungsblatt“ 1936, S. 114.
103 Vgl. oben S.501.
- 1975 ist Bendersky mit einer Schrift The Politics of an intellectual: The political actvity and ideas of Carl Schmitt, 1910-1945 von der Michigan State University im Fach Philosophie promoviert worden. Der Ausschuss für Rechtsphilosophie wird auch in diesem früheren Text nicht erwähnt. Über Carl Schmitt und die AfDR wird 1975 nur folgendes mitgeteilt:
With the prestigious office of Prussian State Counsellor and his direct access to Hermann Goering, who liked to think of himself as a patron of the arts and intellectuals, Schmitt moved quickly into other areas of Nazi legal affairs. Before this time Nazi legal theoreticians paid little, if any, attention to Carl Schmitt. While Schmitt received probably more attention than any other constitutionalist in legal journals throughout the era of the presidential system, and even more during the 1932 crisis, the Nazi legal journal Deutsches Recht never28 even mentioned his name. Now suddenly Schmitt not only attracted the attention of the Nazis, but he rose to a place of distinction in Nazi legal institutions. Schmitt became a member of the recently organized Nazi Academy of German Law, worked on several of its committees, and │ S. 286 delivered lectures at its major conferences. By November he received the directorship of the University Teachers Group of the National Socialist League of German Jurists, and in June 1934, Hans Frank appointed him editor of the Deutsche Juristen-Zeitung.
From outside the Nazi party structure it appeared that Schmitt was actually functioning as the Kronjurist of the Third Reich.
(J. W. Bendersky 1975), S. 285
Und:
The Nazis also forced Schmitt to operate under similar conditions in the Academy of German Law. By the end of 1936 the SS had gained control over several important committees in the Academy and succeeded in eliminating Schmitt from official positions.
(J. W. Bendersky 1975), S. 321
Soweit ich weiß war Bendersky der erste, der behauptete, dass Heidegger Schmitt aufgefordert hatte, Mitglied der NSDAP zu werden:
Reinforcing this trend were the pronouncements of certain prominent intellectuals in support of the new regime. One such thinker rallying early to the Nazi cause was the existentialist philosopher Martin Heidegger. In a letter to Schmitt on April 22, 1933 urged Schmitt to work with the Nazis and stated,” … I am hoping for your non-obligatory collaboration.“12 By this time Schmitt’s close friend Johannes Popitz had already made his accommodation with the regime by accepting his recent appointment as Prussian finance minister in Hermann Goering’s cabinet. Two of Schmitt’s most promising and later prominent law students, Ernst Rudolf Huber and Ernst Forsthoff, were even profiting by the university purges. Forsthoff replaced Hermann Heller at the University of Frankfurt and Huber replaced Schuecking in Kiel.13
With this turn of events Schmitt made his decision to join the Nazi party.
12 Martin Heidegger to Carl Schmitt, April 22, 1933, Carl Schmitt-Personal Papers.
13 „Personalien,“ Deutsche Juristen-Zeitung, Jhg. 38, Heft 10 (May 15,1933), p. 679
(J. W. Bendersky 1975), S. 275
Ich habe keine weitere Information in der Dissertation von Bendersky über einen kooperativen Kontakt von Carl Schmitt mit einem anderen Dauermitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gefunden. ↑
- Wie bereits in Abschnitt 2.2. erwähnt, kenne ich die Schriftstücke der AfDR unter dieser Signatur „No. T-82, Roll 23, Serial 23, Reel 806“ nicht. Da die Rolle 23 aber nur eine von viele Rollen mit Schriftstücken der AfDR ist, ist sie allein keine ausreichende Datenbasis, um negative Existenzaussagen (Schmitt hatte keine Kontakt zu Alfred Rosenberg, Schmitt hatte keinen Einfluss) wissenschaftlich begründen zu können.Auf die Rolle 23 nimmt Anderson mehrfach Bezug. Seine erste Bezugnahme lautet: (Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 45, Fußnote 12: „Aufbau und Entwicklung der Akademie für Deutsches Recht,“ NA, T-82, roll 23, ADR 6“. Die Charakterisierung der Rolle 23 „Aufbau und Entwicklung“ der AfDR wiederholt Anderson häufig, wenn er sich auf die Rolle 23 bezieht, so dass ich vermute, dass diese Charakterisierung alle Schriftstücke dieser Rolle charakterisiert.Folgende Bezugnahme Andersons auf die Rolle 23 könnte das Schriftstück charakterisieren, das Bendersky zu seiner Behauptung veranlasst hat:
While the nature of constitutional change and public policy formulation in Nazi Germany limited the committee’s potential on constitutional questions, it enhanced possibilities for work on administrative reform. By 1935» the original committee had faded into the background, but an administrative law committee had emerged under the chairmanship of Wilhelm Stuckart, State Secretary in charge of the constitutional and legislative division of the RIM.85
Footnote 85: It is unclear from the records whether the original Schmitt committee was disbanded, fell into disuetude, or evolved into the Stuckart committee. The last possibility mentioned seems the most likely. The original Schmitt committee was not listed among those committees operative in 1937 and 1938, NA, T-82, roll 23, ADR 4.
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 200
- (Bendersky 1983), S. 203 und S. 451. ↑
- In meinem Teil II werde ich ausführlich auf die Zeitschrift Der Ring eingehen. ↑
- Mit der Zeichenfolge „RW 265“ wird auf den vom Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland verwalteten Nachlass Carl Schmitts Bezug genommen. Zeichen, die rechts von „RW 265“ stehen, identifizieren Teile dieses Nachlasses. ↑
- (Koenen 1995), S. 97 f.:
[…] Seine also auch auf dieser Ebene recht schnelle gesellschaftliche Etablierung verdankte Schmitt diesen besonders günstigen Umständen. Popitz bot Schmitt bereits Mitte 1929 die Mitgliedschaft in der Gesellschaft für antike Kultur59 an, deren Präsident er seit 1928 war60, brachte ihn in Kontakt zu industriellen Kreisen und vermittelte ihm Vorträge vor dem Langnamverein61.
Auch im Hinblick auf nähere Kontakte zu den Kollegen der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität war der dort lehrende Johannes Popitz verbindendes Element62, u.a. zu Hermann Heller63 und Hans Peters64, der eine Berufung Schmitts nach Berlin bereits 1922 „lebhaft unterstützt │ S. 98 hatte65. Zu Victor Bruns66, dem Direktor des „Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“, der Schmitt sehr schätzte67, bestand bereits zuvor, über Carl Bilfinger, eine gute Verbindung.
59 Vgl. das Schreiben von Popitz an Schmitt vom 21.08.1929 (HStAD/RW 265-314). Ihr gemeinsames Interesse an der Antike war allerdings unterschiedlich gelagert: Während POPITZ ein „vorzüglicher Kenner und Liebhaber“ der griechischen Antike war (vgl. Bentin 1972, S. 12 {mwN}), war für SCHMITT das „alte Rom … so wichtig wie das der katholischen Kirche“ (A. Mohler, in: Quaritsch 1988, S. 136). SCHMITTS Interesse an der römischen Kultur, das durch seine humanistische Bildung angeregt worden war (zur humanist. Bildung SCHMITTS vgl. Groh/Figge n, S.93 und Quaritsch 1991, S.27) und in seiner Freundschaft zu Theodor HAECKER (vgl. hierzu S. 163) sowie seinem besonderen Interesse am Römischen Recht schon während seines Studiums seinen sinnfälligen Ausdruck gefunden hatte („Ich fand das juristische Studium wunderbar, weil es im ersten Semester gleich mit Römischem Recht anfing. Das war für mich ein Vergnügen: Latein – eine ungeheure Freude“; Groh/Figge II, S.94), war dadurch, daß die römische Antike die kulturelle Basis des Abendlandes darstellt, für SCHMITTS Rezeption der Idee des Abendlandes von besonderer Bedeutung [Beleg?; mw]. Das in der didaktischen Konzeption des altsprachlichen Unterrichts angelegte „Verständnis der abendländischen Kultur“ (vgl. Menze 1977, S.23f.) dürfte bei SCHMITT ebenso zur Ausbildung eines „abendländischen Bewußtseins“ beigetragen haben, wie die aus seiner Konfession resultierende spezifische Sozialisation. Für den bewußten ultramontanen Katholiken SCHMITT war Rom das Zentrum des Abendlandes und der katholischen Christenheit (vgl. Schmitts Vortrag vor dem kath. Frauenbund: S.101). Auch der SCHMITT-Freund HERMANN Platz; war der Auffassung, daß die Katholiken, „wenigstens was Deutschland angeht … im Herzen der humanistisch-europäischen Bildungsgemeinschaft“ stünden (vgl. Platz 1924, S.27).
60 Vgl. G. Schulz 1985, S.489.
61 Vgl. Bentin 1972, S. 125, und unten S.198f.
62 Vgl. FN 53.
63 Zu HELLER (1891-1933) vgl. bes. die Gedächtnisschrift von Müller/Staff 1984 und unten S.220,422. Heller wurde 1926 Referent am KWI (vgl. FN 66) und lehrte als Dozent an der DHfP (vgl. FN 69): vgl. Klaus Meyer 1984, S.81.
64 Zu HANS Peters (1896-1966) vgl. bes. Mikat 1988 (mwN); Friesenhahn 1966 und Gillessen 1966.
65 Vgl. den Brief von M. J.BONN an SCHMITT vom 20,01.1922 (HStAD/RW 265-398); vgl. auch unten FN 68.
66 Victor Bruns (1884-1943), der in Berlin seit 1912 vor allem Völkerrecht lehrte, gründete Ende 1924 das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (KWI). Er arbeitete hier u.a. mit ERICH KAUFMANN, RUDOLF SMEND und HEINRICH TRIEPEL zusammen. Carl Schmitt wurde in dieses Institut erst nach seinem Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reiches“ aufgenommen (vgl. unten S.502), Zu den Aufgaben, der Bedeutung und Zusammenarbeit der einzelnen Mitglieder vgl. die Erinnerungen von V .Bruns’ engem Mitarbeiter Carlo Schmid (1979, S. 119ff.); zur Gründung des Instituts vgl. auch Scheuner 1975; Henning/Kazemi 1988, S.45. – Den Kontakt SCHMITT – V. Bruns vermittelte dessen Vetter CARL BlLFINGER, der wie SCHMITT auf der Staatsrechtslehrertagung 1924 in Jena ein bedeutendes Referat gehalten hat (zu BlLFINGER vgl. unten S. 190ff.). – Im NL befinden sich zahlreiche Briefe BILFINGERS sowie auch einige von V.Bruns (auch schon aus SCHMITTS Bonner Zeit [1921-1927; mw]; vgl. HStAD/RW 265-8). So korrespondierte Bruns mit Schmitt beispielsweise anläßlich der Veröffentlichung von SCHMITTS „Volksentscheid und Volksbegehren“ (1927VV) in der KWI-Sammlung „Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht“ (vgl. BRUNS an SCHMITT vom 29.06.1927; HStAD/RW 265-8).
67 Wie Bruns Schmitt im Zusammenhang mit der Unterstützung der Dissertation von SCHMITTS Doktoranden KARL LOHMANN schrieb, bedeute es für ihn jedesmal einen „besonderen Genuss“, Schmitts Meinung kennenzulernen (vgl. Brief Bruns an Schmitt vom 01.02.1926, HStAD/RW 265-8).
- Die Fußnote 493 ist ein untaugliches Ziel für Koenens Mitteilungszweck. Sie lautet nämlich nur: „Vgl. ebd.“ Vermutlich meint Koenen die Fußnote 491: „Vgl. den Aktenvermerk über die Mitteilung aus Abteilung II/2 vom 07.11.1936: BA/R 58 Nr. 854, Bl. 279.“. Auch die Fußnote 492 verweist auf die Fußnote 491 zurück: „492: Vgl. ebd.“ ↑
- Der Text von Günter Maschke, auf den sich Koenen mit „1988c“ bezieht, ist folgender: Das „Amt Rosenberg“ gegen Carl Schmitt. Ein Dokument aus dem Jahre 1937, in: Etappe. Almanach für Politik, Kultur und Wissenschaft, Nr. 2 [Oktober 1988; mw], S.97-111. ↑
- Im Jahr 2009 berichtet Mehring folgendes über den Brief vom 22. August 1933 von Heidegger an Schmitt und Schmitts Antwortskizze:
Bei der Überarbeitung der Begriffsschrift [gemeint: Schmitts „Begriff des Politischen“; mw] nimmt er einige begriffliche Präzisierungen und nationalsozialistische Assoziationen vor, […] tilgt aber vor allem jede Historisierung der Begriffsbestimmung. […] │ S. 323 […] Der Text ist gestrafft. Schmitt eröffnet nun mit der grundlegenden «Unterscheidung von Freund und Feind». Er fängt ganz neu an und reserviert den Begriff des Politischen für den Nationalsozialismus. Die Umarbeitung stilisiert ein Pathos des Aufbruchs, wie es aus vielen rhetorisch gepressten Antrittserklärungen im Nationalsozialismus – etwa aus Heideggers Rektoratsrede – bekannt ist. Heidegger schickt seine Rektoratsrede «mit deutschem Gruß».17 Schmitt sendet seine Neufassung, wofür sich Heidegger mit der Bitte um «Mitarbeit»18 bedankt. Schmitt repliziert zustimmend mit seiner – damals unveröffentlichten – Kölner Antrittsrede und bekundet seinen «Willen zu jeder Art von Mitarbeit»19. Ernst Jünger dagegen warnt vor nationalsozialistischem Aktivismus.
14 Das betont Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und der «Begriff des Politischen», Stuttgart 1988
[…]
17 Das Widmungsexemplar ist in Schmitts Nachlass erhalten.
18 Heideggers Brief vom 22.8.1933 an Schmitt (RW 265-5839) auch in: Martin Heidegger-Gesamtausgabe, Bd. XVI, Frankfurt 2000, 15
19 So Schmitts Formulierung in seiner stenographischen Antwortnotiz vom 27.8.1933 auf den Rand des Heidegger-Briefes (RW 265-5839)
(R. Mehring 2009), S. 322
- (Grimm 1930). „Martin Grimm“ war ein Pseudonym von einem Horst Michael, behauptete D. Timothy Goering in „Friedrich Gogarten (1887-1967): Religionsrebell im Jahrhundert der Weltkriege“ 2017 auf: Seite 225. (Goering 2017)↑
- Im Umkreis der Bemerkung Vosslers über Carl Schmitt geht es den Briefpartnern um Heidegger. Vossler hatte Croce Zeitungsausschnitte über Heideggers Rektoratsrede zugesandt.
Ich danke Dir auch für die Zeitungsausschnitte, die Du mir geschickt hast und die ich alle mit viel Interesse gelesen habe. Ach, dieser Heidegger!9 Ich hatte ihn schon vor sechs Jahren erkannt durch das, was mir seine italienischen Schüler und Bewunderer von ihm zu lesen gaben; und ich hatte vorausgesehen, daß er enden würde, wie er geendet ist. Man müßte ihn mit dem Vorläufer bekannt machen, den er in Italien in Gentile gehabt hat. Vielleicht aber wird sich Heidegger mit seiner reinen Philosophie nicht so in die Geschäfte stürzen können, wie es Gentile mit seiner reinen Tat gemacht hat. In der praktischen Politik ist der Italiener dem Deutschen immer bei weitem überlegen: er ist weniger naiv.
(Croce und Vossler 1955); Croce an Vossler, Meana, 10. August 1933, S. 342
Es folgt der Brief von Vossler an Croce vom 25. August mit der Bemerkung über die Gefährlichkeit Carl Schmitt, die Koenen zitiert. Darauf erwidert Croce:
Was Spanien angeht, liebe auch ich es sehr, und ich träume davon, zu meinen jugendlichen Forschungen über spanische Dichtung und Literatur zurückzukehren. Aber es steht fest, daß es zur europäischen Kultur, das heißt zur europäischen Mentalität, nicht wie die anderen Völker mit Ideen beigetragen hat: wenn Leibniz von spanischer Philosophie sprach, meinte er die Scholastik! Dies ist ein wesentlicher Punkt, um die Taten der Völker in der Bewegung der Kulturen zu verstehen und zu beurteilen. Cervantes, Velasquez usw. sind künstlerische Genies, aber sie sind nicht Descartes oder Hegel. Das ist es, was ich meinte. Das schließt nicht aus, daß Spanien jetzt die geistige Führung Europas übernehmen kann, da nun Deutschland mit Heidegger verblödet.
(Croce und Vossler 1955); Vossler an Croce, 30. August 1933, S. 344
Und hier die Reaktion:
Merkwürdig, wie stark hier im modernen Spanien der Einfluß Heideggers ist, sehr viel allgemeiner als in Deutschland. Alles spricht von Ontologie, die eine verkappte neu-mystische, neuscholastische Theologie ist. In der Politik glaube ich nicht, daß Heidegger viel wird machen können. Unsere Diktatoren pfeifen auf Theorien; sie sind reine Dilettanten ohne Hemmungen von Seiten der Reflexion, und ihre Autorität verdanken sie vor allem dem Versailler Vertrag mit seinen Folgen in vierzehn Jahren, ihrem Enthusiasmus und blinden Aktivismus.
Ich werde einige Tage in Madrid bleiben und den 16. September wieder in München sein. Wir haben zwei Vorträge von Ortega y Gasset über die Technik gehabt, die ein großer rednerischer Erfolg waren. Es sind noch zwei andere Philosophen da, Zubiri und Morenti.
(Croce und Vossler 1955); Vossler an Croce, 4. September August 1933, S. 344
Und hier die letzte Reaktion, in der es namentlich um Heidegger geht:
Ich habe endlich die Rede von Heidegger ganz gelesen, die dumm und zugleich servil ist. Ich wundere mich nicht über den Erfolg, den sein Philosophieren eine Zeitlang haben wird: das Leere und Allgemeine hat immer Erfolg. Es bringt aber nichts hervor. Auch ich glaube, daß er in der Politik keinerlei Wirkung wird haben können: aber er entehrt die Philosophie, und das ist ein Schaden auch für die Politik, wenigstens für die zukünftige.
(Croce und Vossler 1955); Croce an Vossler; Meana, 9. September 1933, S. 345
- Das Quellenverzeichnis bietet folgende Option, um die Signatur „HUB/Schm 159a II, Bl. 74 ff.“ aufzulösen; (Koenen 1995), S. 848: „Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin (UA der HUB): – Juristische Fakultät Nr. 498, 499, 502, 524; – Universitätskurator Sch 159a; – Wirtschaftshochschule Berlin, Nr. 672/3, 705. In der Suchmaschine Universitätsarchivs der HUB wird man entsprechend fündig.↑
- (Blasius, »Einfache Seelenstörung«. Geschichte der deutschen Psychiatrie 1800-1945; 1994) ↑
- (Blasius, Carl Schmitt und der 30. Januar 1933. Studien zu Carl Schmitt; 2009) ↑
- (Hüsmert & Giesler, 2005), Vorwort. ↑
- Vgl. ergänzend folgendes Werturteil Mehrings über Alfred Rosenberg:
Koellreutter kontert mit dem «völkischen» Vokabular. Er beruft sich auf die niedersten Chargen, Otto Dietrich und Alfred Rosenberg, als Ausleger «völkischer» Ideologie und stellt Schmitts «Politische Theologie» als «liberalen» Widerspruch hin.
(R. Mehring 2009), S. 339
Der Fortgang der Stelle ist ebenfalls zitierwürdig:
Als Schmitt seinen Schüler Günther Krauss dann auf Koellreutter ansetzt, schaltet der den Staatssekretär Lammers ein und warnt energisch vor dem neuen «Rechtspapst» und «Fouche der nationalen Revolution». So grobschlächtig das auch ist, so naiv es «Theologie» und Nationalsozialismus trennt, ist es doch wirkungsvoll. Wenn es eine «völkische» Philosophie gibt, kann Schmitts säkularisierungstheoretische Fassung der «Theologie» nicht die authentische Basis sein. Die │ S. 340 ideologische Fixierung des «völkischen» Ansatzes stochert freilich im Nebel. Der Nationalsozialismus schert sich wenig um Universitätsphilosophie. Seine antisemitische und rassistische Ideologie sucht er im naturwissenschaftlichen Paradigma zu stützen, betrachtet seine «Weltanschauung» aber als «Glauben» und strebt nicht ernsthaft nach einer «wissenschaftlichen» Bearbeitung und «Sinngebung des Sinnlosen». Selbst Chefideologen wie Alfred Baeumler und Alfred Rosenberg genießen mehr Narrenfreiheit [als?; mw]. Hitlers Mein Kampf ist als «philosophische» Autorität geradezu Tabu. Der «Führer» lässt sich nicht auf ein «Programm» festlegen! Bald treten jüngere SS-Juristen als Konkurrenten [gemeint: Carl Schmitts; mw] an. Karl August Eckhardt, Reinhard Höhn und Werner Best werden zu gefährlichen Rivalen [gemeint: Carl Schmitts; mw]. Das Ausland dagegen sieht in Schmitt den «Kronjuristen». Nach 1933 ist es eigentlich nur Huber, der dem Werk [gemeint: Carl Schmitts; mw] eine ernste Theorieanstrengung zu entnehmen vermag. Ansonsten bleibt die Auseinandersetzung [gemeint: mit Carl Schmitt; mw] in Stichworten und polemischen Absichten stecken.
(R. Mehring 2009), S. 339 f.
- In den Unterabschnitten 8.1.2. und 8.3.4. präsentiere ich Belege, die Mehrings Behauptung widerlegen. ↑
- Das tut auch das Gründungsmitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie RA Dr. Luetgebrune unter Berufung auf Boris von Selchow. Vgl. meinen Unterabschnitt 7.9.4. ↑
- Die Abkürzung steht für die Herausgabe der Briefwechsel zwischen Hans Blumenberg und Carl Schmitt: (Lepper und Schmitz 2007) ↑
- (Neumann 2015), Vgl. sein Vorwort. ↑
- (Neumann 2015), vgl. exemplarisch: 6-10, 15, 45-46, 104, 217 ff., 257, 373, 379, 477 ↑
- (Neumann 2015), S. 400 ↑
- Erst 2011 sind diese Mitschriften in der sogenannten „Gesamtausgabe“ veröffentlicht worden: Martin Heidegger: Seminare Hegel-Schelling. Gesamtausgabe Band 86. Klostermann, Frankfurt am Main 2011. ↑
- Helmut Nicolai (1895-1955) gehörte zu den Gründungsmitgliedern der AfDR Quellenverzeichnis / Quelle 1. Vor dem 3. Mai 1934 war er öffentlich als Rassist im Umkreis des Reichsjustizkommissar und Führers der AfDR aufgetreten. Für den 2. Oktober 1933 war zum Beispiel sein Vortrag mit dem Titel „Rasse und Recht“ auf „IV. Deutschen Juristentag in Leipzig“ angekündigt worden. ↑
- Ich hatte erwogen, dass diese Unbestimmtheit nachträglich im Juni 1934 in der Akte hergestellt worden ist. Dafür sprach, dass Luetgebrune im Bericht der „Weimarischen Zeitung“ vom 4. Mai 1934 über die Eröffnungssitzung des Ausschusses für Rechtsphilosophie als „SA-Gruppenführer Dr. Luetgebrune“ vorgestellt worden ist. Im ersten Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht, dessen Endredaktion und Druck wahrscheinlich im Juni 1934 erfolgte, tritt dieselbe Unbestimmtheit auf. Wurde verborgen, dass das Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie der SA angehörte, gar Röhm nahe stand? Vielleicht. Ich kann das derzeit nicht ausschließen.
Da es aber auch andere Gründe für diese Unbestimmtheit gab, da Luetgebrune als „Oberster Rechtsberater der SA-Führung“ vor 1933 „in etlichen Verfahren die Verteidigung von SA- und SS-Terroristen zu koordinieren hatte“ (Heydeloff 1984, S. 404), ist es sehr wahrscheinlich, dass die Unbestimmtheit der Charakterisierung Luetgebrunes in der Akte Emges und im ersten Jahrbuch der AfDR nicht nachträglich vorgenommen worden ist, um Kontakte zur SA zu verbergen (Vgl. (Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984); online unter: https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1984_3.pdf) ↑ - https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Buttmann_(Politiker,_1885) ↑
- Vermutlich hat Pinter (1994) diese Mitgliederliste für seine Wiedergabe genutzt. Ich zitiere erneut Pinters Mitteilung über „eine“ Mitgliederliste des Ausschusses für Rechtsphilosophie aus der Akte Emges:
In einer Mitgliederliste des Ausschusses sind folgende Namen festgehalten. Reichsleiter Alfred Rosenberg (Berlin), „Völkischer Beobachter“, die Professoren Kisch, stellvertretender Vorsitzender der Akademie für Deutsches Recht (München), Heidegger (Freiburg), Rothacker (Bonn), Stammler (Wernigerode), Binder (Göttingen), Carl Schmitt (Berlin), Heymann (Berlin), Jung (Marburg), Bruns (Berlin) Freyer (Leipzig), von Uexküll (Hamburg), Naumann (Bonn) sowie Ministerialdirektor Nicolai (Berlin, Reichsinnenministerium), Mikorey (München) und Justizrat und SS-Gruppenführer Luetgebrune (Berlin).2
2 Nietzsche-Archiv Weimar, Akte 72/1588, Emge, Ausschuß für Rechtsphilosophie
(Pinter 1994), S. 58 f.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Maximilian_du_Prel ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Oehler ↑
- (Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984), S. 403, Fußnote 189 ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Mitteis ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6hm-Putsch ↑
- An dieser Stelle ist in anderer Handschrift das Wort „Zusagen“ hinzugefügt worden. Ein Aktenbearbeiter wird durch diesen Zusatz kenntlich gemacht habe, dass er oder sie in der folgende Blättergruppe die Zusagen zusammen sortiert hat. ↑
- maieutikḗ téchnē = „Hebammenkunst“ ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Hildebert_Boehm ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Gunther_Ipsen ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Rumpf_(Soziologe) ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Walther_(Soziologe) ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Krieck ↑
- Ich kann nicht einschätzen, ob die Informationen des Blattes 3 interessante Hintergrundinformationen über die Gleichschaltung der Soziologie bieten, da ich mich mit diesem Gleichschaltungsprozess nicht befasst habe. Für das Zeitfenster und die Personengruppe bietet Jerry Z. Mullers Monographie über Hans Freyer folgende Information:
Early in 1934 Freyer was involved in launching a new sociological periodical, entitled Volksspiegel: Zeitschrift für deutsche Soziologie und Volkswissenschaft. The guiding hand behind the journal was that of Max Rumpf, professor of sociology and Volkstumsforschung at the Handelshochschule in Nuremberg and among those responsible for Freyer’s elevation to the presidency of the DGS.15 The masthead listed Rumpf, Freyer, and Max Hildebert Boehm as editors. Rumpf was responsible for editing the substantive articles while Boehm edited the book reviews. Freyer contributed an article to the first issue but was largely a figurehead. It was by virtue of his connection with the journal that its title page could announce that the Volksspiegel was published “in association with the Deutsche Gesellschaft für Soziologie.
(Muller 1987), S. 271
- Ich bin keine Expertin in der Vererbungslehre. Ich meine aber zur Kenntnis genommen zu haben, dass der derzeitige Forschungsstand zum genau gegenteiligen Ergebnis kommt: Je verwandter Eltern miteinander sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer „nachteiligen Auslese“. Tatsächlich kann ich keinen „Intelligenz-Vorteil“ auf Seiten der Geistesadligen beobachten. ↑
- Vgl. (Jung, Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit; 1922). In der Zweitauflage, die 1939 erschien und „völlig umgearbeitet“ worden sei, behauptete Erich Jung folgendes über den Zeitbezug der Erstauflage:
Das Buch erschien in erster Auflage 1922, also ungefähr auf dem Höhepunkt des „Systems“ und widersprach aufs äußerste dessen herrschenden Anschauungen, sowohl in der ganzen Richtung als in vielfach nebenhergehenden politischen Äußerungen.
(Jung, Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit; 1939), S. 9
Die Zweitauflage hatte den neuen Untertitel „Urkunden und Betrachtungen zur deutschen Glaubensgeschichte, Kunstgeschichte und allgemeines Geistesgeschichte“. Das hilft vielleicht meinen Lesern bereits an dieser frühen Stelle meiner Veröffentlichung zu verstehen, dass die akademischen Nationalsozialisten mit ihrer »Weltanschauung« alle universitären Fächer gleichschalteten. ↑
- Die Behauptung von Uexkülls, er sei Herausgeber des Nachlasses von Chamberlain gewesen, könnte wahr sein. Kurz nach dem Tod von Chamberlain veröffentlichte Baron von Uexküll jedenfalls einen Text Chamberlains, angeblich aus dem Nachlass: (Chamberlain 1928). Informationen über den Nachlass finden sich hier: http://kalliope-verbund.info/de/ead?ead.id=DE-611-BF-1179 ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%A4ndeordnung ↑
- Weiterführende Informationen über Baron von Uexküll kann man online in einer Pressemappe mit zeitgenössischen Artikeln über ihn finden:http://webopac.hwwa.de/PresseMappe20E/Digiview_MID.cfm?mid=P022529 ↑
- Der Karfreitag des Jahres 1934 fiel auf den 30. März 1934. Es ist denkbar, dass Wilhelm Kisch den Termin für sein Antwortschreiben abgewartet hat, um durch die Grußformel eine frohe Botschaft bezüglich der Verwirklichung der Idee des Nationalsozialismus „für die Akten“ zu dokumentieren. Auch religiös motivierter Judenhass gehörte zu den Kernmotiven des akademischen Nationalsozialismus. Das werde ich in den Teilen II, III und IV meiner Veröffentlichung „Der akademische Nationalsozialismus“ kumulativ zeigen. ↑
- Günzel (2000) hatte bereits auf diesen Absatz in seiner Fußnote 141 hingewiesen:
141 Jung wurde bereits nach seiner Einladung zudem von W. Kisch aus München, der letztlich absagte, als ehemaliger Vorkriegskollege aus Straßburg empfohlen.
(Günzel 2000), S. 177
- (Jung, National – völkisch – sozial. Politische Aufsätze aus der Zeit von 1918 bis 1927; 1936) ↑
- Vgl. (Adlberger 2007), S. 248 f. ↑
- GSA 72/1588, Blatt 11; vgl. meinen Abschnitt 3 von Teil I. ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Achelis ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Erm%C3%A4chtigungsgesetz#/media/File:Erm%C3%A4chtigungsgesetz_1933-03-24_Blatt_1.jpg ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Erm%C3%A4chtigungsgesetz#/media/File:Erm%C3%A4chtigungsgesetz_1933-03-24_Blatt_2.jpgFür die, die den Text auf den Fotos nicht lesen können, hier der Wortlaut des »Ermächtigungsgesetzes« vom 24. März 1933 in Kraft trat:
Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird, nachdem festgestellt ist, dass die Erfordernisse verfassungsändernder Gesetzgebung erfüllt sind:
Art. 1. Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. Dies gilt auch für die in den Artikeln 85 Abs. 2 und 87 der Reichsverfassung bezeichneten Gesetze.
Art. 2. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt.
Art. 3. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündet. Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft. […]
Art. 4. Verträge des Reichs mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften. Die Reichsregierung erlässt die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen Vorschriften.
Art. 5. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft. Es tritt mit dem 1. April 1937 außer Kraft; es tritt ferner außer Kraft, wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird.
- Hans Frank bezieht sich zumindest auf „Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN) vom 14. Juli 1933 (RGBl. I, S. 529)“ und auf das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das bereits am 7. April 1933 in Kraft trat. ↑
- (Klee 2003), S. 637:
Urban, Gotthard. Stabsleiter im Amt Rosenberg.
*1.3.1905 Oberweimar in Thüringen. Schulfreund von Bormann und Schirach. 1923 erstmals NSDAP. 1930 Geschäftsführer von Rosenbergs Kampfbund für Deutsche Kultur im Berliner Schloß (JFührerlexikon). 1933 MdR. HJ-Gebietsführer. 1934 Stabsleiter der Nationalsozialistischen Kulturgemeinde (Brenner). März 1941 Gast bei der Eröffnung von Rosenbergs Institut zur Erforschung der Judenfrage in Frankfurt a. M. Verbleib unbekannt (BAL). Lit.: Heiber, Frank.
Vgl. ferner: (Piper 2015), S. 292 über den Kampfbund 1934 und S. 405 über Rosenbergs Frankfurter Institut zur Erforschung der Judenfrage. ↑
- (Naumann 1929). Vgl. als weitere Grundlegungsschrift für den Adelsrassismus des Akademischen Nationalsozialismus: Hans F. K. Günther: Adel und Rasse. München: Lehmanns 1926, 21927 (Günther 1926). Einiges von dem, was in der Kampfzeit aus taktischen Gründen öffentlich gemacht werden musste, um Anhänger zu gewinnen, musste aus taktischen Gründen nach der »Machtergreifung« verborgen werden. Es wäre taktisch unklug gewesen, Rasse-Günther zum Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie zu berufen und das öffentlich bekannt zu geben. Gemäß einer Zeitungsberichterstattung über den 3. Mai 1934 war er aber anwesend (Abschnitt 4.8.) ↑
- Ich zitiere etwas ausführlich aus Zieglers Aufsatz vom August 1934 über Hans Naumanns Volkskunde, da die von Ziegler öffentlich vertretene Ansicht vielleicht den Grund mitteilt, weshalb Hans Naumann 1941 nicht mehr Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist:
Hans Naumann, einer der hervorragendsten Vertreter dieser modernen Volkskunde, schreibt in seinen „Grundzügen deutscher Volkskunde“ (Leipzig, 1929, 2. Auflage): „Man braucht Europa nicht zu verlassen, um das primitive Gemeinschaftsleben, d.h. das Leben der Träger einer noch individuumslosen Kultur lebendig kennen zu lernen. Auch bei uns bewahrt die bäuerliche Bevölkerung noch in vieler Beziehung den primitiven Gemeinschaftsgeist, […]“ (S. 57) │ S. 712
[…]
Es ist keineswegs eine bloße Frage des Geschmacks, ob man, wie Hans Naumann, von den deutschen Bauern als von „unseren Primitiven“ (Grundzüge S. 141), von „sozial gebundenen Herdentieren“ (Grundzüge S. 58) spricht oder sie gar mit den Wilden (Grundzüge S. 70) vergleicht. Sondern es ist einzig und alleine eine Frage der Weltanschauung.
[…] │ S. 714 […]
Naumann betont ausdrücklich, daß er den Begriff der Primitivität nicht auf das Bauerntum beschränkt, sondern weiter gefaßt wissen wolle: Auch in der gebildeten Obersicht lebten „Rudimente der primitiven Gemeinschaftskultur“ weiter. […] Zwischen der Primitivität der Naumann‘schen Oberschicht und der Primitivität der bäuerlichen Unterschicht besteht ein grundsätzlicher Unterschied, der durch keinen kausalen Zusammenschluß überbrückt werden kann. […]
Wir stellen die Unmöglichkeit fest, mit den Naumann’schen Begriffen und damit mit den Methoden der sogenannten Volkskunde eine deutsche Volkskunde aufzubauen, die imstande wäre, ein artgetreues Bild der deutschen Vergangenheit zu geben und ein Wegweiser für unsere nationalsozialistische Zukunft zu sein.* │ S. 715
Das rassenbewußte Denken befreit die Volkskunde aus ihrer Schattenstellung einer Hilfswissenschaft, die die Lücke zwischen Völkerkunde und Kultur- und Geistesgeschichte schlecht und recht auszufüllen hat, und gibt ihr Daseinsrecht und Aufgabe als eigenständige Wissenschaft; es allein kann auch ferner nur bestimmend sein für die volkskundliche Arbeitsweise.
Die Naumann’sche Scheidung in Ober- und Unterschicht gründet sich auf einen Tatbestand, der erst durch die rassenkundliche Betrachtungsweise recht erschlossen werden kann. Es ist das methodische Verdienst Naumanns, die Einwirkung der sogenannten Oberschicht auf die von ihm als Unterschicht bezeichnete Gruppe erkannt und den Begriff des gesunkenen Kulturguts als ein entscheidendes Ordnungsprinzip in die Volkskunde eingeführt zu haben. Er verbaute sich jedoch die Auswertung dieser Erkenntnis, weil er das Verhältnis der beiden Gruppen horizontal sah und trotz aller anderslautenden Beteuerungen mit der Gleichsetzung „Ober“schicht = Kulturträger und Unterschicht = absoluter primitiver Urzustand eine Wertung verband.
Eine deutsche Volkskunde, die auf dem Rassegedanken aufgebaut ist, denkt nicht in Ober- und Unterschicht, sondern geht aus von dem Gegensatz arteigener Wesenhaftigkeit und artfremder Einflußnahme, dem Geschichte gewordenen Widerstreit des nordischen Kulturbereiches im allgemeinen und des deutschen Seelentums im besonderen, mit den Überfremdungen durch andersrassische Gesittungen.
[…] │ S. 716 […]
Die Volkskunde, die die Scheidung in arteigene Wesenhaftigkeit und artfremde Einflußnahme als ihren von dem rassenbewußten Denken bedingten methodischen Ausgangspunkt hat, umgreift die in allen Formen des völkischen Gemeinschaftslebens lebendigen Äußerungen des Schöpferwillens einer Nation. […] So kann Erneuerung völkischen Brauchtums nur so vorsichgehen, daß man aus der Kenntnis der Gefahrenmomente in der Fülle unserer volkskundlichen Überlieferungen den Strom artfremder Überlagerungen langsam aber stetig ableitet und vorbeugend zu erwartende und immer wieder begegnende Überfremdungserscheinungen abhält. Es ist bedenklich, allein mit Hilfe der heutigen volkskundlichen Sammelwerke, die ohne Rücksicht auf den Überfremdungsprozeß, dem unser Volk seit dem Einbruch der Mittelmeerkulturen ausgesetzt ist, „objektiv“ angelegt sind, völkisches Brauchtum erneuern zu wollen. […][…] Wenn wir dabei trotzdem das Bauerntum in den Vordergrund unseres volkstümlichen Denkens stellen, so nicht aus einer wirklichkeitsfremden Romantik heraus: sondern weil der blut- und bodengebundene Bauer arteigener Wesenhaftigkeit am nächsten steht; denn Blut und Boden sind die beiden Quellströme völkischer Wesens- │ S. 717 haltung. […]
[…]
Arteigene deutsche Wesenhaftigkeit ist nordische Wesenhaftigkeit. […]
[…]
Deutsche Volkskunde auf rassischer Grundlage beginnt mit dem frühesten Auftreten der nordischen Rasse. Ihre Einteilung in verschiedene Zeiträume ist mit den Entwicklungsstufen der nordischen Rasse und der Herausbildung des deutschen Volkes aus den Völkern nordischer Rasse gegeben.●(Ziegler 1934), S. 711-717
- (Piper 2015), S. 293. Piper teilt folgendes über das weitere Leben Zieglers mit:
Schriftleiter Ziegler schied im Herbst 1939 im Unfrieden aus, was seiner Nachkriegskarriere zweifellos förderlich war. Während Ziegler, der sich nach 1945 mit Vornamen nicht mehr Matthes, sondern Matthäus nannte, die Laufbahn des evangelischen Theologen einschlug, tummelten sich viele andere ehemalige TVM-Autoren im Umfeld rechtsradikaler religiöser Sekten, namentlich der Deutschen Unitarier Religionsgemeinschaft (DUR e.V.), und schrieben nun für Periodika wie „glaube und tat“ oder „die unitarischen Blätter.
(Piper 2015), S. 304
- https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Severus_Ziegler ↑
- (Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 37 ↑
- Übrigens teilte die Frankfurter Zeitung am 3. Mai 1934 auf ihrer Titelseite in einer kurzen Notiz mit, dass Martin Heidegger von seinem Amt als Rektor der Universität Freiburg zurückgetreten ist. Am nächsten und übernächsten Tag konnte die Frankfurter Zeitung dann ausführlich darüber berichten, dass Martin Heidegger eine neue Aufgabe im NS-Reich übernommen hatte. Leser, die sich am 3. Mai gesorgt haben mögen, ob Heidegger in Ungnade gefallen sei, werden am 4. Mai beruhig worden sein. ↑
- Falls ein Gutachter oder der Verleger wichtige, personenidentifizierende Informationen gestrichen haben sollte, könnte Viktor Farías das noch aufklären. Falls er das selbst getan haben sollte, bin ich mir sicher, dass ich nicht klar war, dass durch seine Auslassungen mindestens eine relevante Mehrdeutigkeit entstanden ist. Fehler passieren. Mir sicherlich auch. ↑
- Faye fasst die Informationen über die Mitglieder so zusammen:
Er wurde von Hans Frank zusammengesetzt. Mitglieder sind »Philosophen« wie Martin Heidegger, Erich Rothacker und Hans Freyer, | S. 277 ein Jurist, der in der Akademie für Deutsches Recht hinter Frank der zweite Mann am Ruder ist, Carl Schmitt, außerdem Parteigrößen wie Alfred Rosenberg oder der Agitator Julius Streicher, Chefredakteur des Stürmer.
(Faye 2009), S. 276
- (Heidegger, Seminare Hegel – Schelling (GA 86) 2011) ↑
- (Schmitt, Staat, Bewegung, Volk 1933) ↑
- (Forsthoff 1933) ↑
- Vermutlich hat auch Emge die entsprechen Presseerklärung verfasst. Er war immerhin stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses, er organisierte nachweislich die ersten Sitzungen und charakterisierte sich selbst am ausführlichsten. Zweifelsfrei litt Emge unter Eitelkeit. ↑
- Vgl.: Preußische Justiz. Nr. 41 vom 28. September 1933, S. 478 f. Ein PDF dieser ersten Mitgliederliste findet sich als Quelle 1 im Quellenbereich meiner Internetseite. ↑
- Abschließend nahm Wilhelm Kisch zur Frage, wie die Ausbildung der Juristen im Dritten Reich auszusehen habe, in seiner Buch „Der deutsche Rechtslehrer“ Stellung. Rechtsphilosophie gehörte zur Ausbildung, obwohl Studierende der Rechtswissenschaften das häufig nicht einsehen möchten:
Ein anderer Einwand könnte daraus entnommen werden, daß sich unter den vom Rechtsstudierenden zu hörenden Vorlesungen manche befinden, die ihrem Gegenstände nach mit seinem künftigen Beruf nicht oder doch nur höchst mittelbar zusammenzuhängen scheinen, so z. B. über Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung, Völkerrecht, Kirchenrecht usw.
Auch dieser Einwand schlägt nicht durch.
(Kisch, Der deutsche Rechtslehrer 1939), S. 16
Rechtsphilosophie sei eine Wissenschaft, die im „Schoße der juristischen Fakultäten betrieben“ werde. Das ist in der BRD noch heute so. Das war zu Zeiten Kants und Hegels noch anders. Ich vermute, dass durch den Wechsel der Rechtsphilosophie in die juristischen Fakultäten bereits im 19. Jahrhundert das „Gespenst des englischen Parlamentarismus“ von Deutschland abgewehrt werden sollte.
Zunächst ist von vornherein klar, daß einer Reihe von Fächern, die im Schoße der juristischen Fakultäten betrieben werden, die wissenschaftliche Natur nicht abgesprochen werden kann. Dies gilt z. B. für die Rechtsphilosophie, die Rechtsmethodologie, die Rechtsgeschichte, die Rechtsvergleichung.
(Kisch, Der deutsche Rechtslehrer 1939), S. 35
Innerhalb der juristischen Fakultäten plädierte Wilhelm Kisch aber durchaus für eine Interdisziplinarität:
Einen weiteren Schutz gegen Einseitigkeit bietet es ferner, wenn sich der Rechtslehrer tunlichst nicht auf ein einziges Fachgebiet beschränkt. Jeder von uns wird aus eigener Erfahrung bestätigen können, daß es eine wünschenswerte und dankbar empfundene Erweiterung des Gesichtskreises bedeutet, wenn er in Lehre und Forschung nebeneinander mehrere Disziplinen vertritt. Dem Rechtshistoriker kann es nur förderlich sein, wenn er zugleich das eine oder andere dogmatische Fach betreibt, dem Prozessualisten, wenn er sich zugleich mit dem materiellen Recht beschäftigt, dem Zivilisten, wenn er auch handelsrechtliche Materien heranzieht, dem Strafrechtsvertreter, wenn er sich in der Rechtsphilosophie umsieht, dem Publizisten, wenn er sein Interesse auf soziologische Fragen erstreckt, dem Vertreter des deutschen Rechtes, wenn er ausländische Gesetzgebungen zum Vergleich heranzieht, und was dergleichen Fächerkombinationen mehr sind.
(Kisch, Der deutsche Rechtslehrer 1939), S. 80
Im Zuge seines Plädoyers für eine Nachwuchsförderung auch älterer Dozenten erwähnt Wilhelm Kisch beiläufig, dass es für das Fach Rechtsphilosophie kaum oder gar keine Lehrstühle geben würde:
Es sind dies ältere Dozenten, die nicht mangels Eignung, sondern aus äußeren Gründen das Ziel der Professur nicht erreicht haben, sei es, daß sich ihnen wegen der geschlossenen Zahl oder der langfristigen Besetzung bestimmter Lehrstühle keine Aussichten eröffneten, sei es, daß es sich um Fächer handelt, für die besondere Professuren nicht oder nur in verschwindend geringer Anzahl bestehen, wofür als Beispiel etwa die Rechtsphilosophie genannt werden möge.
(Kisch, Der deutsche Rechtslehrer 1939), S. 92
Damit habe ich alle Stellen, an denen Kisch in diesem Buch etwas über Rechtsphilosophie sagt, zitiert. Das, was er sagt, spricht eindeutig dafür, dass er das Fach Rechtsphilosophie auch noch 1939 für ein wichtiges Fach innerhalb der juristischen Fakultäten ansah. Das hätte nach seinen Erfahrungen im Ausschuss für Rechtsphilosophie ja auch anders sein können. War es aber nicht. ↑
- (Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit 1930) ↑
- https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Alldeutscher_Verband_(ADV),_1891-1939 ↑
- http://www.documentarchiv.de/wr/1920/nsdap-programm.html ↑
- Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821) § 209, Anm.:
Es gehört der Bildung, dem Denken als Bewußtsein des Einzelnen in Form der Allgemeinheit, daß Ich als allgemeine Person aufgefaßt werde, worin Alle identisch sind. Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist. Dies Bewußtsein, dem der Gedanke gilt, ist von unendlicher Wichtigkeit, – nur dann mangelhaft, wenn es etwa als Kosmopolitismus sich dazu fixiert, dem konkreten Staatsleben gegenüberzustehen.
- Da Julius Binder 1939 gestorben ist, habe ich es unterlassen, seine Texte zu lesen. Ich beabsichtige nicht, das zu ändern. ↑
- Die vielleicht früheste Formulierung der Position, dass es eine jüdische Gegenrasse existiert, hat ein Jugendfreund Alfred Rosenbergs, Arno Schickedanz (1892-1945) verfasst, der auch noch sein Mitarbeiter war, als Rosenberg Ost-Minister geworden war und immer noch Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie war: (Schickedanz 1927). ↑
- Vgl. Kant: Kritik der praktischen Vernunft, § 3, Anm. II, Satz 1 ↑
- Aber auch Henry Sidgwick hatte das bereits früher behauptet: (Sidgwick 1903), S. 338, S. 348 f. ↑
- Fragen der Wirtschaftsverfassung im nationalsozialistischen Reich waren heikel. In der ersten Satzung der AfDR war ihre Aufgabe noch so bestimmt worden, dass sie das nationalsozialistische Programm im Gebiet der Rechts und der Wirtschaft mitverwirklichen sollte. In der zweiten Satzung vom Sommer 1934 war das zweite Gebiet gestrichen worden. Das wird Folge der Entscheidung gegen einen revolutionären Dynamismus (Rosenberg) und für ein konkretes Ordnungsdenken (Schmitt) gewesen sein, aber auch eine Entscheidung gegen Röhm und die SA und für Hitler und Himmlers SS. Dass Rosenberg in seiner Rede behauptet, dass erst die Gefühle durch Weltanschauung verändert werden müsste, bevor eine neue Wirtschaftsethik gelten werde, kann man so verstehen, dass er sich der Position Carl Schmitts angeschlossen hat. ↑
- Die Formulierung stammt von Gadamer. Diese Herstellung sei die einzige ernste Aufgabe. Auf den Text von 1934, aus dem die Phrase stammt, werde ich Teil III ausführlich eingehen: (Gadamer, Plato und die Dichter 1934). ↑
- Das Gedicht von Max Kommerell heißt „Einem Kind zu seiner Puppe“. Es ist in der Zeitschrift „Corona“ veröffentlicht worden (1938, Band 8, Heft 3). Herausgeber der Zeitschrift war Martin Bodmer (1899-1971). In ihr traten die Dichter Hugo von Hofmannsthal und die Brüder Jünger häufig auf. Auch Texte von Rilke und Stefan George wurden manchmal veröffentlicht. Von den jüngeren Dichtern des George-Kreises ist mir nur Max Kommerell aufgefallen:
Einem Kind zu seiner Puppe
Wiege, Kind, das wunderbare
Wesen, das im Arm du hast!
Ohne Leben scheint es fast
Mit dem aufgeklebten Haare.
Auf den Wangen die zwei Streife
Grellen Rots sind reichlich kühn …
Nur das Kleid mit weißer Schleife
Ist wie deines, hell und grün.[…]Jedes Spiel, das du gespielt,
Bring ihm bei, und die Befehle
Gib ihm, die man die befiehlt,
Bis es lebt mit deiner Seele,Bis es lacht und weint wie du!
Wie du’s wiegst in deinem Schoße,
Wirst du selber, wirst im Nu,
Eh du’s dachtest, eine große
Lächelnde und ernste Frau.
Es schlägt Augen auf die deine:
Zweier süßer Edelsteine
Unerschöpflich tiefes Blau!●(Kommerell 1938)
- (Schmitt, Zusammenbruch des zweiten Reiches; 1934) ↑
- Im Unterabschnitt 7.8.4. werde ich auf ähnliche Formulierungen Walter Luetgebrunes aufmerksam machen. Er schreibt die Rede einer „ich-bedingten“ Zeit Boris von Selchow zu. Ich meine mich zu erinnern, sie auch beim Schwiegervater von Erich Jung, dem Professor für Philosophie Johannes Rehmke (1848-1930) gelesen zu haben. Zur ersten Orientierung über Rehmke:https://www.deutsche-biographie.de/gnd118788175.html#ndbcontent ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Belagerung_der_Marienburg_(1410) – abgerufen am 22.8.2018:
Die Belagerung der Marienburg war eine kriegerische Auseinandersetzung um den Besitz der Ordensburg Marienburg im heutigen Malbork nach der vernichtenden Niederlage des Heeres des Deutschen Ordens gegen das vereinigte polnisch-litauische Heer in der Schlacht bei Tannenberg. Die Belagerung der Burg, die von wenigen Teilkräften unter dem Komtur Heinrich von Plauen verteidigt wurde, durch polnische und litauische Truppen dauerte vom 26. Juli 1410 bis zum 19. September 1410. Dem Deutschen Orden gelang es, die Festung zu halten. Die repräsentativ ausgebaute Marienburg war von 1309 bis 1454 Sitz der Hochmeister und war somit administratives Zentrum und galt als Symbol der Landesherrschaft des Deutschen Ordens.
- Da in Zeitungsberichten über Alfred Rosenbergs Anwesenheit am 3. Mai 1934 im Nietzsche-Haus berichtet worden ist, muss Winterbotham sein Wissen nicht aus einem persönlichen Kontakt zu Rosenberg bezogen haben: (Winterbotham 1978). ↑
- Angeblich hat Martin Heidegger »die Kehre« in seinem Denken 1929 durch eine Art Nietzsche-Erlebnis vollzogen. Vgl. z.B. (Bultmann und Heidegger 2009), S. 127, Fußnote 4. ↑
- Meine Formulierungen „produktives Vernichten“ und „produktives Beleben“ sind Abwandlungen von Formulierungen, die Gadamer nach eigenen Angaben im November 1942 in einem Vortrag verwendet hat: (Gadamer, Goethe und die Philosophie (November 1942); 1947). Darauf werde ich ausführlich in Teil IV eingehen. ↑
- https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-18184 ↑
- (Lebensborn e.V. 1938) ↑
- § 47 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetz findet sich hier:http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1922&page=738&size=45 ↑
- Werner Best ist in Heidelberg zum Dr. jur. promoviert worden. Walter Best ist übrigens von Professor Hans Naumann, einem der achtzehn Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie, 1927 an der Universität Frankfurt promoviert worden:
Folgende inzwischen erschienene Arbeiten von mir und meinen Schülern wolle man als Ergänzungen zu diesem erstmalig 1922 erschienen Büchlein [Grundzüge der deutschen Volkskunde; mw] ansehen: […] │ S. 4
P. J. Bloch, der deutsche Volkstanz der Gegenwart, Diss. Frankfurt 1926, Hessische Blätter für Volkskunde 25, 1916 und 26, 1927.
Wilhelm Luh, Die Hüttenberger Volkstracht im Rahmen der bäuerlichen Gemeinschaft, Diss. Frankfurt 1926, Hessische Blätter für Volkskunde 25 und 27.
Heinz Dehmer, Primitives Erzählgut in den Islendinga Sögur, Di.. Frankfurt 1926, Von deutscher Poeterey 2, 1927.
Renata Dessauer, Das Zersingen. Diss. Frankfurt 1926, Germanische Studien 61, 1928.
Hilde Boeseback, Verwünschung und Erlösung des Menschen in der deutschen Volkssage der Gegenwart, Diss. Frankfurt 1926, Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 5 und 6.
Elsbeth Goez-Rötzel, Der Schuldbegriff in der deutschen Volkssage der Gegenwart, Diss. Frankfurt 1928, Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 6 und 7.
Walter Best, Untersuchungen zur Flurnamengebung, Diss. Frankfurt 1927, Hessische Blätter für Volkskunde 27. [(W. K. Best 1928); mw]
Martha Kübel, Über das Fortleben des Kudrunepos, Diss. Frankfurt 1929. Von deutscher Poeterey 5, 1929.
Friedrich Nicklas, Untersuchungen über Stil und Geschichte des deutschen Tagelieds, Diss. Frankfurt 1928, Germanische Studien 1919.
1. März 1929 Hans Naumann
(Naumann 1929); S. 3 f.
- Folgende Signaturen identifizieren die SS-Führerpersonalakten der beiden Brüder: Dr. jur. Werner Best: R 9361-III/516995; Walter Best: R 9361-III/516994 ↑
- Dass Alfred Rosenberg den Begriff der Ehre neben dem der Rasse in den Mittelpunkt der nationalsozialistischen »Weltanschauung« gesetzt hatte, habe ich bereits mitgeteilt. Das hatte zur Folge, dass Fragen der Ehrverletzung und Ehrwiederherstellung wichtig wurden. Aus der Perspektive der akademischen Nationalsozialisten drohte im schlimmsten Fall eine erhebliche Selbstdezimierung durch „tödliche Waffengänge“. Um das abzuwehren, vertritt Walter Buch (1883-1949) im Jahr 1938 eine Sexualmoral, in der Ehebrüche kein Grund für ein tödliches Duell sind. Seine Hinweise auf den Frauenüberschuss durften so verstanden werden, dass das außereheliche Zeugen von Kindern gut für die Ehre des deutschen Volkes und gut für die Ehre der geschwängerten deutschen Frauen sei. Wie wichtig dieser Punkt war, wird vermutlich deutlich durch den abrupten Themenwechsel zum Judenhass. Durch den Wechsel sollte vermutlich der gerade sowieso erregte Leser klassisch negativ konditioniert werden. Die „Epochenbrüche“, die Buch anspricht, der Dreißigjährige Krieg und die Französische Revolution, gehören 1938 zu den etablierten Dogmen der nationalsozialistischen Geschichtsphilosophie:
Sexualehre.
Häufig lagen [zu Zeit des Deutschen Ordens; mw] Zweikämpfen Vorgänge zugrunde, die sich zwischen Mann und Frau begeben hatten und die nach Auffassung vergangener Zeiten neben der ritterlichen Ehre die Sexualehre berührten. In wievielen Fällen bot nicht ein Ehebruch Anlaß zu einem tödlichen Waffengang! Nun betrachtet der Nationalsozialist die Ehe und die daraus sprossende Familie als die Urzelle des Volkes. Im Hinblick auf die Kinder und aus der Erkenntnis, daß nur aus einer gesunden Ehe, nämlich aus dem festen und andauernden Willen zur Einheit der Ehegatten, gesunde, charakterfeste Kinder erwachsen und erzogen werden können, gelten nur solche Ehen als unumschränkt wertvoll, deren Gemeinschaft der starken Erhaltung des Volkes dient. Ehen, die nicht dem Nachwuchs des Volkes zugute kommen, haben minderen Wert. Jedoch ist es nicht so, daß darum die Ehegatten selbst, denen Kindersegen vorenthalten bleibt, minderes Ansehen zu genießen brauchen. Denn die Fruchtbarkeit des Schoßes ist eine Gnade der Vorsehung. Gar manchen Ehepaaren, die ihn sehnlich herbeiwünschen, bleibt der Segen verwehrt. Menschen darum zu schmähen, ist roh und undeutsch.
Wenn der Nationalsozialist erklärt: Ehrenhaft ist, was der Erhaltung deutscher Art dient, so tauchen bei der Betrachtung der Ehe weitere Fragen auf: Millionen Frauen gibt es im deutschen Volk mehr als Männer. Es können also nie alle Frauen heiraten. Nur ein dem wirklichen Leben abgekehrtes Geschlecht konnte eine Frau als ehrlos betrachten und aus seiner Gesellschaft ausschließen, die ohne Ehestand dem Volk gesunde Kinder erzog. Nur ein welkes Geschlecht konnte uneheliche Kinder als geringerer Ehre teilhaftig betrachten als andere.
Der Nationalsozialist hat erkannt: Der Jude ist kein Mensch. Er ist eine Fäulniserscheinung. Wie sich der Spaltpilz erst im faulenden Holz einnistet und sein Gewebe zerstört, so konnte sich der Jude erst im deutschen Volk einschleichen und Unheil anrichten, als es geschwächt durch den Blutverlust des 30 jährigen Krieges innerlich zu faulen begann und seine Schwären begierig den Einflüssen der französischen Revolution dargeboten hatte.
Solange die Ehe lebendig ist, das heißt, solange die Ehegatten die Kraft zum Einsbleiben bewahren, solange kann in die Ehe von außen nicht eingebrochen werden. Erst wenn die Kraft zur Einheit erlahmt, wenn die Ehebande also schon locker geworden sind, ist ein Ehebruch möglich. Darum ist es auch abwegig, dessentwegen von vornherein den Bannstrahl der Ehrlosmachung zu schwingen und ein pharisäisches „Wehe!“ über „Ehebrecher“ oder „Ehebrecherin“ anzustimmen.
(Buch 1938), S. 1660
- Vgl. auch Himmlers Ausführungen am 15. Juni 1937 im „Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik im Reichsministerium des Innern“. In: (Schubert, Ausschüsse für Bevölkerungspolitik – Kolonialrecht – Rassenpolitik im RIM; 2001), S. 392-398 ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Weber_(Politiker,_1894) ↑
- Der Schreibfehler „Dreyer“ statt „Freyer“ steht so im Original. ↑
- Auch dieser Schreibfehler steht so im Original. ↑
- Auch dieser Schreibfehler steht so im Original. Gemeint ist Dr. jur. Wilhelm Heuber (1898-1957). ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4 ↑
- Der Leipziger Kollege von Hans Freyer der Professor für Anthropologie und Völkerkunde, Otto Reche (1879-1966), formuliert wie Hans Frank:
Im Jahr zuvor hatte Reche unter dem Titel Was will die Rassenhygiene? die Debatten um die Senkung der Fürsorgekosten aufgegriffen und Rechnungen über „die Gesamtkosten für das Heer der Erbuntüchtigen“ angestellt (1934a [Was will die Rassenhygiene? In: Mitteldeutsche Blätter für Volkskunde, Bd. 9: 18-26; mw]: 23). Aufgrund „falscher Humanitätsduselei“ seien „Minderbegabte“ wie „wertvolles Gut“ behandelt worden (1934a: 23). Im Gegensatz dazu sei nun „das von der Reichsregierung erlassene Sterilisationsgesetz“ als „einen Schritt von höchstem Wert“ zu begrüßen. Er selbst habe „schon vor 20 Jahren … ein derartiges Gesetz gefordert“ (1934a: 23; Herv. in Orig., K. G.). Reche betonte dabei, daß „erbuntüchtige und kulturzerstörende Elemente … ja nicht nur aus den Reihen des eigenen Volkes“ stammten (1934a: 24):
„ … daß besonders in den letzten Jahren seit der Novemberrevolte der Abschaum der anderen Staaten wie Heuschreckenschwärme zu uns ins Land kam, daß wir eine förmliche Überschwemmung durch allerlei fremdes Volk, durch Ost- und Südosteuropäer, durch Zigeuner, chinesische und japanische Trödler und ganz besonders durch Ostjuden, erleben mußten. Unter den ,Neubürgern‘ aus dem Kreise der Ostjuden war bekanntlich alles vertreten, vom raffiniert ausgebildeten jüdischen Taschendieb bis zum Großgauner, der gleich ganze Staatskassen ausplünderte, und das ‚Handwerk‘ der Diebe und Einbrecher blühte auf, da sich die Zahl der Hehler unheimlich vermehrte, bei denen man das Diebesgut unterbringen konnte“ (1934a: 24; Herv. in Orig., K. G.).
(Geisenhainer 2002), S. 225
- Das ist eine sehr seltene Formulierung, die helfen mag, Quellen von Hans Franks Rede zu identifizieren. ↑
- In dem Artikel in der Frankfurter Zeitung war Mikorey in München und nur „Dr.“. ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Weber_(Politiker,_1894) ↑
- Das ist: auf der ersten und zweiten Seite vom selben Tag. ↑
- Eine Version dieser – anscheinend langatmigen – Begründung ist als erster Teil eines Handbuchartikels „Deutsche Rechtsphilosophie“ veröffentlicht worden. Das Handbuch stelle ich in Abschnitt 6 vor. ↑
- Vgl. folgende Erläuterungen von Friedericke Felicitas Günther zu Nietzsches Begriff des Stils:
Ein unbeherrschtes Durcheinander zeigen sowohl die ungeschulten Schüler als auch diejenigen, die zu viel Wissen und ihr Wissen nicht mehr strukturieren und vereinheitlichen können. Ihr Stilchaos ist gleich bedeutend mit Kulturlosigkeit und Barbarei: „Kultur“ dagegen ist, wie Nietzsche immer wieder betont, – „Einheit des Stils“ (N 1873: 27 [65], VII 606).19
19 Nietzsche wiederholt dies nochmals in der zweiten Unzeitgemässen Betrachtung: „Die Cultur eines Volkes als der Gegensatz jener Barbarei ist einmal, wie ich meine, mit einigem Rechte, als Einheit des künstlerischen Stils in allen Lebensäußerungen eines Volkes bezeichnet worden […]; das Volk, dem man eine Cultur zuspricht, soll nur in aller Wirklichkeit als etwas lebendig Eines sein und nicht so elend in Inneres und Aeussres, in Inhalt und Form auseinanderfallen.“ (HL; 1874: 274
(F. F. Günther, Rhythmus beim frühen Nietzsche 2012), S. 106
- Vgl. Nietzsches selbst:
Wir haben bis jetzt das Apollinische und seinen Gegensatz, das Dionysische, als künstlerische Mächte betrachtet, die aus der Natur selbst, ohne Vermittelung des menschlichen Künstlers, hervorbrechen, und in denen sich ihre Kunsttriebe zunächst und auf directem Wege befriedigen: einmal als die Bilderwelt des Traumes, deren Vollkommenheit ohne jeden Zusammenhang mit der intellectuellen Höhe oder künstlerischen Bildung des Einzelnen ist, andererseits als rauschvolle Wirklichkeit, die wiederum des Einzelnen nicht achtet, sondern sogar das Individuum zu vernichten und durch eine mystische Einheitsempfindung zu erlösen sucht. Diesen unmittelbaren Kunstzuständen der Natur gegenüber ist jeder Künstler »Nachahmer«, und zwar entweder apollinischer Traumkünstler oder dionysischer Rauschkünstler oder endlich – wie beispielsweise in der griechischen Tragödie – zugleich Rausch- und Traumkünstler: als welchen wir uns etwa zu denken haben, wie er, in der dionysischen Trunkenheit und mystischen Selbstentäusserung, einsam und abseits von den schwärmenden Chören niedersinkt und wie sich ihm nun, durch apollinische Traumeinwirkung, sein eigener Zustand d. h. seine Einheit mit dem innersten Grunde der Welt in einem gleichnisartigen Traumbilde offenbart.
Der Geburt der Tragödie; Kapitel 11; Abschnitt 2
- Der Ausdruck „Urphänomen“ ist rezeptionsgeschichtlich wirksam von Goethe geprägt worden. Vgl.
[…] Goethe verwendete den Begriff, der später von Philosophen wie Wilhelm Dilthey und Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger und Karl Jaspers aufgegriffen wurde, im Rahmen seiner Naturlehre nicht immer einheitlich. Gelegentlich sprach er von Haupterscheinung oder reinen Phänomenen.
[…]Nach Auffassung Carl Friedrich von Weizsäckers prägte Goethe mit dem Urphänomen einen Begriff, der dem Cartesischen Modell widersprach. Als Erscheinungen waren sie zweitrangig, zeigten sie sich doch einem Subjekt, das bereits mit dem Objekt verbunden war, wenn das Phänomen sich ereignete.16
Fn 16: Carl Friedrich von Weizsäcker, Einige Begriffe aus Goethes Naturwissenschaft. In: Johann Wolfgang von Goethe, Naturwissenschaftliche Schriften, Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, Band XIII, C.H. Beck, München 1998, S. 544
- https://de.wikipedia.org/wiki/Urworte._Orphisch ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Pandekten
[…] Im 19. Jahrhundert wurde in Deutschland die Pandektenwissenschaft entwickelt. Die Aufgliederung juristischer Sachthemen erfolgte dabei – dem System der Pandekten folgend – in der Unterscheidung der Bücher nach Schuld- (Obligationen), Sachen-, Familien- und Erbrecht. Dieser methodische Ansatz lag der Entwicklung und Ausarbeitung des deutschen BGB zugrunde.
- Im Völkischen Beobachter und in der Frankfurter Zeitung wurde an dieser Stelle das inhaltlich deutlich passendere Wort „schöpfungsmächtig“ gedruckt. Es wird sich um einen Schreibfehler des Amtsblatts handeln. ↑
- http://www.documentarchiv.de/wr/1920/nsdap-programm.html ↑
- Durch Fettdruck hebe ich hervor, dass das Mitglied auf der Eröffnungssitzung abwesend war. ↑
- Tilitzki hat bereits 2003 diese Quelle ausgewertet. Er hat nicht mitgeteilt, dass Mikorey Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist; (Tilitzki, Der Rechtsphilosoph Carl August Emge; 2003), S. 486 ↑
- (Blaas 1940) ↑
- Deswegen bin ich auch etwas skeptisch gegen die Korrektheit der Auskunft, dass der Richard Schrems bereits 1930 mit seinem Neffen über dessen Promotion korrespondiert hat. ↑
- Vgl.: https://www.yumpu.com/de/document/view/606366/maturantinnen-und-maturanten-der-schule-1900-bis-1969-1-1969-8-/19
↑ - http://sterbebilder.schwemberger.at/picture.php?/213032 ↑
- Folgender Antrag Heideggers ist genehmigt worden (Heideggers Personalakte des Reichserziehungsministeriums; BDC A 0031, Blätter 1398-1404; hier: Blatt 1399 = Brief Heideggers vom 25. November 1937 über den Dekan der Philosophischen Fakultät an den Rektor der Universität Freiburg i. Br.):
Spektabilität
bitte ich ergebenst, mir durch den Herrn Rektor die Genehmigung des Herrn Reichswissenschaftsministers erwirken zu wollen, daß ich für das kommende Sommerhalbjahr 1938 einen Urlaub zur Fertigstellung einer seit längerer Zeit vorbereiteten größeren Arbeit antrete. Dieser Urlaub wurde mir gelegentlich der Ablehnung des ersten Rufes nach Berlin 1930 zugesagt mit Gewährung des Weiterbezugs der Kolleggeldgarantie.
Bei der Ablehnung des zweiten Rufes nach Berlin Herbst 1933 und des Rufes nach München wurde diese Zusage erneuert.
Heil Hitler!
gez. Heidegger.
- (von Leers 1940) ↑
- (Hildebrandt 1942) ↑
- (Stengel-v. Rutkowski, 1944) ↑
- (Pertoll 2014), S. 97 ↑
- Metaphysik der Sitten, Lehre vom Öffentlichen Recht, § 56 ↑
- Nach (Schubert, Ausschüsse für Völkerrecht und Nationalitätenrecht (1934-1942); 2002) war ein Mensch namens Kier 1942 ständiger Mitarbeiter des Ausschuss für Völkerrecht, dessen Vorsitzende rauch zu diesem Zeitpunkt noch Viktor Bruns war: „Dr. Kier, Dozent, Berlin“, S. LII.1937 erschien in der Lieblingszeitschrift von Viktor Bruns, der „Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“, ein Text von Herbert Kier: „Über die Gestaltung eines Volksgruppenrechts“, S. 497-510: (H. Kier 1937). 1936 erschien „Das tschechoslowakische Staatsverteidigungsgesetz“ in derselben Zeitschrift (S. 803 ff.).2015 erschien ein Text mit dem Titel: „Herbert Kier (1900–1973). Ein deutschösterreichischer Völkerrechtler“. Der Autor des Artikels ist Herfried Kier, der vermutlich der Sohn von Herbert Kier ist:
In Berlin hat Kier nicht nur im Wissenschaftsbereich, sondern auch im Rahmen der NSDAP schnell Fuß gefasst. So wurde er, ohne Mitglied des Lehrkörpers zu sein, an der Universität bei der juristischen Fakultät bereits im Sommer 1934 Unterführer der Dozentenschaft57 und Dr. Asche Graf von Mandelsloh58, sein Kollege vom Völkerrechtsinstitut, sein Stellvertreter59.
(Kier 2015), S. 280
- Bereits 1923/24 sind Carl August Emge und Erich Jung als Doppel in Erscheinung getreten. Und das gleich zweimal in zwei aufeinander folgenden Heften. Die Zeitschrift, die diese Nähe ermöglichte, war das „Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie“. In Heft 3 des Jahres 1923/24 trat Emge mit „Das Unendliche bei Novalis“ auf (S. 189-199). Es folgte Erich Jung mit „Das »Gesetz« der Geschichte. Über die wollensbestimmten (wertenden) Vorannahmen alles geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisstrebens“, S. 219-241. In Heft 4 trat wieder zunächst Emge auf. Dieses Mal mit „Über die Zusammenhänge zwischen Soziologie und Rechtswissenschaft einerseits, zwischen Religionsphilosophie, Geschichtsphilosophie und Rechtsphilosophie andererseits. (I) Eine Vorschule der Rechtsphilosophie“ (S. 524-569). Gefolgt vom Schlussteil des Textes Jungs aus dem Vorgängerheft (S. 570-591). Aus Zeitmangel habe ich diese Texte noch nicht einmal gelesen, so dass ich über sie noch nichts berichten kann. ↑
- (Emge, Vorwort: Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie 1935) ↑
- (Heidegger, Seminare Hegel – Schelling (GA 86) 2011) ↑
- 1936 präsentiert Emge in einem Aufsatz „Der metaphysische Grundbestand“ seine Assoziationen übers Ur-Phänomen, die er in der Lehre und in Vorträgen seit 1924 vertreten habe:
Der metaphysische Grundbestand. Erste Ideen über seine Struktur.
Es geht um. die „Natur der Sache“. Spekulation hat
ihre eigene Idee. Leiten kann dabei nur das, was
uns erscheint. Das Gerechte eigener Gedanken ist
das alleinige Ziel, das System keine Schublade von
Fächern, aus denen bloß zu entnehmen wäre.
1. Goethes „Urphänomen“.
„Urphänomene“ sind Goethe: die rhythmische Zu- und Abnahme der Anziehungskraft der Erde als Ursache des Witterungswechsels; die Entwicklung der Pflanzenorgane aus der Blattform; der Typus der Wirbeltiere; aber auch die Entstehung der Farben aus Hell und Dunkel; das Schöne. Simmel2) findet die Bedeutung von Goethes Begriff in dem Gesetz, dem Sinn, dem Absoluten der Daseinsformen innerhalb der Ebene der Erscheinungen. Aber ein Gesetz für Erscheinungen ist nicht gleich dem Sinn, sondern höchstens eine Anweisung zu ihm. Ferner würde gerade das Absolute durch Einbeziehung in die Erscheinung relativiert.
(C. A. Emge, Der metaphysische Grundbestand 1936)
- Zum Lehrer-Schüler-Beziehung zwischen Heymann und Emge und Zur Berufung von Emge:
Die erste Fakultätssitzung am 26. April [1933; mw], die [Dekan; mw] Heymann leitete, war schon vom neuen Zeitgeist geprägt. Wichtiger Tagesordnungspunkt war der Vorschlag, Carl August Emge zu berufen, den die Fakultät 1928 schon einmal gemacht hatte; der ausgewiesene Nationalsozialist war ein Schüler Heymanns │ S. 160 aus Marburger Zeiten, die beiden waren freundschaftlich verbunden.182 Tags zuvor hatte die Deutsche Allgemeine Zeitung, unübersehbar mit einer Portraitaufnahme, mitgeteilt, daß Emge das erste Ordinariat für Rechtsphilosophie in Jena erhalten habe.183 Als Heymann in die Fakultätssitzung kam, hatte er den Antragsentwurf zur Berufung Emges schon dabei: »Wir sind überzeugt, daß Herr Emge auch besonders geeignet ist, der deutschen Jugend zu dienen und ihr für ihr juristisches und politisches Denken eine brauchbare sichere Grundlage zu gewähren. Die Fakultät freut sich, mit diesem Vorschläge der nationalen Regierung dafür einen Beweis zu erbringen, daß sie bereit ist, den Gedanken des nationalen Aufschwungs im Rahmen ihrer Aufgaben wo irgend möglich tatkräftig zu fördern und zu pflegen.«184
Der Antrag wurde einstimmig beschlossen, allerdings fehlte fast die Hälfte der Fakultätsmitglieder.185
182 Emge bezeichnete Heymann in seinen Erinnerungen als seinen »alten Freund und Lehrer«. Emge 1960, S. 79, 89, 91. [(Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960); mw]
183 DAZ, Groß-Berlin, 25.4.1933, Dienstag Morgen.
184 Jur. Fak. v. 26.4.1933, GPStA PK, I. HA Rep. 76 Va Sekt. 2 Tit. IV. Nr. 45 Bd. 14, Bl. 33.
185 Anwesend waren nur: Rabel, Kohlrausch, Smend, Goldschmidt, Bruns, Dersch, Nussbaum, Peters u. Heymann.
(Lösch 1999), S. 159 f.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Mitteis ↑
- Weder im ersten noch im zweiten Jahrbuch der AfDR gibt es einen Bericht über die erste Jahrestagung der AfDR, die Ende Juni 1934 in München stattgefunden hat. Die Drucklegung des ersten Jahrbuches mag das verhindert haben. Das kann aber nicht der Grund für das zweite Jahrbuch gewesen sein. Der Bericht über die Tagungen der AfDR im zweiten Jahrbuch beginnt erst mit dem Jahr 1935: (Kreß 1935). ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Curt_Liebmann ↑
- (Pinder, Deutsche Kunst, 1934) und (Pinder, Schriften der deutschen Kunst, 1934). ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Staemmler ↑
- http://www.stadtarchiv-ffo.de/gesch/gesch1.htm ↑
- (Montinari 2012), S. 13 ↑
- (N. Frank 1987), S. 12 f. ↑
- http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1941&page=229&size=45 ↑
- Ich zitiere erneut. Zunächst aus dem Brief vom 13. Juni von Emge an Frank:
[…] Zwei Mitglieder des Ausschusses, Professor Rothacker in Bonn (Philosoph) und Professor Naumann in Bonn (Deutsche Literatur) wären bereit, in Verbindung mit Professor Mitteis in München (Rechtshistoriker) vier kurze Referate zu halten unter dem Titel „Was ist deutsch?“ Die deutsche Notgemeinschaft würde sich dabei gern, auch mit einem Kostenbeitrag, beteiligen. […]. Diese Veranstaltung des Ausschusses für Rechtsphilosophie (etwa am 25. ds. Mts.), die natürlich dem weiteren Kreise der Akademie zugänglich wäre │ fol. 131 müßte dann rechtzeitig in das Programm aufgenommen werden.
Bei einem kurzen Aufenthalt, vorgestern in Berlin, bin ich zur Ueberzeugung [so im Original; mw] gekommen, daß es für die jetzige Situation wünschenswert wäre, wenn wir auch einen Vertreter des Reichswehrministeriums in unseren Ausschuß bekämen. Da der Nationalsozialismus im Sinne Nietzsches den militärischen Geist pflegt, ergäben sich dadurch wertvolle Möglichkeiten zu einer Zusammenarbeit. Sollte ich nichts gegenteiliges [so im Original; mw] hören, so werde ich mir erlauben, an das Reichswehrministerium, zu dem ich Beziehungen besitze, in Bälde heranzutreten.
(Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 130 f.
Und nun aus dem Beitrag Emges zum „Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung“:
[…] Es ist daher ein bemerkenswertes Ereignis in der Geschichte dieser Bemühungen, daß der Reichsjustizkommissar des neuen Reichs, Minister Dr. Frank einen besonderen Ausschuss im Rahmen der Akademie für deutsches Recht ins Leben rief, welcher der Rechtsphilosophie gewidmet ist. Schon die ersten Fragen, die ihm Minister Frank vorlegte, zeigen die Gründlichkeit, die man von seiner Arbeit verlangt: „Was ist überhaupt das Recht?“ und „wie verhält sich der Deutsche zum Recht?“ Sie machten es nötig, daß alsbald anläßlich der Tagung der Akademie in München in Verbindung mit der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft Vorträge von Rothacker, Pinder, Naumann über das Thema „Problem der Erneuerung deutschen Geistes“ stattfanden. In Kürze wird der Ausschuss ein Referat über „soldatischen Geist“ im Auftrag des dem Ausschuß angehörigen Reichswehrministers Frhr. v. Blomberg durch seinen Vertreter Erz. Liebmann hören. Dem Ausschuß, dem Minister Frank persönlich vorsitzt und der Verfasser dieser Einleitung als sein geschäftsführender Vertreter, gehören Reichsminister von Blomberg, Reichsleiter Rosenberg, […]
(C. A. Emge, Vorwort: Das Problem einer „deutschen“ Rechtsphilosophie 1935), S. 32
- https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6hm-Putsch; abgerufen am 26.1.2019
Röhm verfolgte weitreichende politische Ziele. So erschien im Januar 1934 in den Nationalsozialistischen Monatsheften und im Völkischen Beobachter ein Beitrag Röhms, in dem er verkündete, das Ziel der nationalsozialistischen Revolution sei noch nicht erreicht. SA und SS würden, wenn es sein müsse, sterben für die Idee des Hakenkreuzes.
In derselben Ausgabe der Nationalsozialistischen Monatshefte erschien aber auch ein Beitrag von Rudolf Heß, in dem er erklärte, für SA und andere Teilorganisationen bestehe nicht die geringste Notwendigkeit, ein Eigendasein zu führen. Zu dieser Zeit erhielt der Chef des preußischen Geheimen Staatspolizeiamtes, Rudolf Diels, den Auftrag, Material gegen die SA zu sammeln. Nachdem Röhm am 1. Februar 1934 dem Reichswehrminister Werner von Blomberg eine Denkschrift übersandt hatte, wonach die künftige Funktion der Reichswehr auf ein reines Ausbildungsheer beschränkt sein solle, stellte Blomberg bei einer Befehlshaberbesprechung fest, der Versuch einer Einigung mit der SA sei gescheitert. Auch Reichswehrdienststellen erhielten nun den Auftrag, Material gegen die SA zu sammeln.
[…] Am 23. Juni informierte der Chef des Allgemeinen Waffenamtes der Reichswehr, Oberst Friedrich Fromm, seine Offiziere über Putschabsichten der SA. Die SS sei auf Seiten der Reichswehr, ihr könnten Waffen ausgehändigt werden.
In den folgenden 48 Stunden [am 25. Juni, an dem Hans Frank abends die oben vorgestellte Rede hielt; mw] teilte Hitler dem Reichswehrminister Blomberg mit, er werde am 30. Juni 1934 persönlich eingreifen und mit den Putschisten abrechnen. Daraufhin setzte der Chef der Heeresleitung, General Werner von Fritsch, die gesamte Reichswehr in Alarmbereitschaft. Am 25. Juni sprach Rudolf Heß im Reichssender Köln und kritisierte „Provokateure“, die versuchten, Volksgenossen gegeneinander aufzuhetzen und dieses verbrecherische Spiel mit dem Ehrennamen einer zweiten Revolution zu bemänteln.
- (Schmitt, Der Führer schützt das Recht 1934). ↑
- Nach Werner Schubert sind keine Protokolle des Ausschusses für Völkerrecht für die Vorkriegszeit überliefert worden:
Der Ausschuß für Völkerrecht gehört zu den Ausschüssen, die bereits 1933 eingesetzt wurden. Viktor Bruns, der Vorsitzende dieses Ausschusses, hielt in der 1. Vollsitzung der Akademie für Deutsches Recht einen Vortrag über „Deutschlands Gleichberechtigung als Rechtsproblem“. Bruns, Prof. a. d. Universität Berlin und Direktor des 1924/25 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht3 gehörte bereits in der Weimarer Zeit zu den angesehensten deutschen Völkerrechtlern, so daß es nicht verwunderlich ist, daß ihm der Ausschußvorsitz zufiel, zumal die Akademie auf wissenschaftliche Reputation bedacht war.
[…] Die Protokolle des Ausschusses für Völkerrecht sind für die Vorkriegszeit überhaupt nicht, für den Nationalitätenrechtsausschuß nur lückenhaft überliefert. Dieser Ausschuß hielt am 3.2.1939 bereits seine 16. Sitzung ab; überliefert sind bis zu dieser Zeit nur Protokolle von zwei zweitägigen und drei eintägigen Sitzungen. Dies mag verdeutlichen, wie gering die Überlieferungsdichte ist.
(Schubert, Ausschüsse für Völkerrecht und Nationalitätenrecht (1934-1942); 2002), S. X f.
- Drei Tage später, am 17. Juni 1934, hielt Franz von Papen die berühmte »Marburger Rede«. ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_%C3%BCber_den_Widerruf_von_Einb%C3%BCrgerungen_und_die_Aberkennung_der_deutschen_Staatsangeh%C3%B6rigkeit ↑
- (Stauffenberg 1934) ↑
- Vgl. zur Besetzung des Ausschusses für Völkerrecht im Jahr 1942.
I. Mitglieder- und Mitarbeiterlisten von 1942
Ausschuss für Völkerrecht
Vorsitzender: Prof. Dr. Bruns, Berlin
Stellv. Vorsitzender: Prof. Dr. Berber, Gesandter (AA), Berlin
Mitglieder:
Albrecht, Gesandter (AA), Berlin; Prof. Dr. Bilfinger, Heidelberg; von der Decken, Senatspräsident, Hamburg; Dr. Eckhardt, Ministerialrat (OKW -Seekriegsleitung), Berlin; Feaux de la Croix, Oberlandesgerichtsrat (RJM), Berlin; Dr. Gaus, Unterstaatssekretär, Berlin; Gerber, Kriegsgerichtsrat, Berlin; Gladisch, Admiral, Reichskommissar beim Oberprisenhof, Berlin; Dr. Jahrreis, Professor, Köln; Dr. Kriege, Ministerialdirigent (RJM ), Berlin; Lutterloh, Ministerialdirigent (RJM ), Berlin; Dr. Roediger, Vortr. Legationsrat (AA), Berlin; Dr. Simon, Chefsyndikus (Deutsche Bank), Berlin; Dr. Schenk von Stauffenberg, Graf, OKM -Seekriegsleitung, Berlin; Scheuner, z.Zt. Marinehilfskriegsgerichtsrat, Berlin; Dr. Schönborn, Professor, Kiel; Dr. Walz, Professor, Berlin; Dr. Widmann, Berlin; Dr. Woermann, Unterstaatssekretär (AA), Berlin; Dr. Wolgast, Professor, Würzburg
(Schubert, Ausschüsse für Völkerrecht und Nationalitätenrecht (1934-1942); 2002), S. LI f.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Julius_Gumbel ↑
- (Schmitt, Die nationalsozialistische Gesetzgebung und der Vorbehalt des „ordre public“ im Internationalen Privatrecht 1936) ↑
- Genau genommen gab es 1934 16 Mitglieder und zwei Vorsitzende und nach dem 17. Juli 1941 zehn Mitglieder und zwei Vorsitzende. ↑
- In einem Nachtrag zum Vorwort, das auf den 1. Mai 1934 datiert ist, teilt „der Verlag“ mit Datum „2. August 1934“ mit:
Infolge einer Reihe politischer Geschehnisse haben wir den bereits fertiggestellten Band unter Berücksichtigung der Vorgänge bis zum 2. August d. J. in allen wichtigen Angaben berichtigt. Die weitergehende Auswirkung dieser Geschehnisse auf die Formung von Bewegung, Staat und Volk sollen in einem besonderen Nachtrag oder in der 2. Auflage berücksichtigt werden.
(Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; 1934), S. 12
- Ich zitiere:
Einen genauen Aufbau der SA und SS bringt das Führerlexikon nach Durchführung der Neugruppierung in einem besonderen Nachtrag.
2. August 1934
(Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; 1934), Zweiter Teil, Seite 8
- https://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Lutze ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_im_Zuge_des_sogenannten_R%C3%B6hm-Putsches_get%C3%B6teten_Personen ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschnationale_Volkspartei ↑
- (Kisch, Die Aufgaben der Akademie für Deutsches Recht 1933), S. 478 ↑
- Deutsches Recht; 3. Jahrgang, Heft 7 vom 15. Dezember 1933, S. 205 ↑
- (Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; 1934), Zweiter Teil, Seite 78 ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Keppler ↑
- (Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; 1934), Zweiter Teil, Seite 79 ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Mansfeld_(Ministerialdirektor) ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Josias_zu_Waldeck_und_Pyrmont ↑
- (Das Deutsche Führerlexikon 1934/35; 1934), Teil 1, S. 12 ↑
- Dieser Satz erläutert Rosenbergs »Dynamismus« deutlicher besser als der Text Rosenbergs von 1928, auf den Baeumler 1943 seine Leser verwies, meine ich. ↑
- Heiber erläutert die Darstellungsweise seiner Regesten so:
In ihrem Aufbau entsprechen die Regesten der gewohnten dreigliedrigen Form: Die erste Zeile gibt mithin die Datierung und nennt die an dem Schriftstück bzw. (Schriftstücke zum gleichen Betreff oder auch gleiche oder sehr ähnliche Schreiben und Schriftwechsel von minderer Bedeutung sind in Sammelregesten zusammengefaßt) an dem Vorgang beteiligten Stellen und/oder Personen, am Ende der Zeile befindet sich die Nummer des Regests; die letzte Zeile, dem Regesttext folgend, weist nach einem internen Bearbeitungsvermerk den Fundort nach. Dazu einige Hinweise, die man natürlich nicht wissen muß, die aber für den, der sich gründlicher mit der Rekonstruktion befassen will, immerhin nützlich sein können.
(Heiber 1983); Band 1, S.XVII
- Mehring (2009) erwähnt weder, dass es Schwierigkeiten mit der Berufung Schmitts in die Hochschulkommission der NSDAP gab, noch wann Carl Schmitt Mitglied wurde:
Am 6. November hält Schmitt seine erste Berliner Vorlesung. Sein alter Mentor van Calker begleitet ihn. Schmitt wird wissenschaftlicher Berater des – von Viktor Bruns geleiteten – Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches Recht und Völkerrecht. Die Bitte Kölns, den plötzlichen Wechsel durch ein «größeres Kolleg über Staatsrecht»82 aufzufangen, lehnt er ab. Er trifft Hans Frank erneut und unterhält sich «sehr nett» mit Franks Frau Brigitte. Am 15. November wird er von Frank zum Reichsgruppenleiter der neugegründeten «Fachgruppe Hochschullehrer»83 im BNSDJ ernannt; ihr gehören alle Professoren, Privatdozenten und Fakultätsassistenten an; Schmitt wird Mitglied der für Berufungsfragen zuständigen Hochschulkommission der Stellvertretung des Führers. Später (März 1936) heißt die Institution «Rechtswahrerbund».
(R. Mehring 2009), S. 334
Volker Neumann (2015) erwähnt die Schwierigkeiten und datiert die Mitgliedschaft Carl Schmitts – mit Lauermann (1988) – auf das Jahr 1934:
Dieser Mann [Hans Frank; mw] wurde nun zum Förderer Schmitts, der sich zu dessen „Gefolgsmann“ machte.21 Frank nahm ihn in den „Führerrat“ der „Akademie für Deutsches Recht“ auf, verschaffte ihm das Amt des Reichsfachgruppenleiters der Hochschullehrer im BNSDJ22, übertrug ihm im Mai 1934 die Herausgeberschaft der „Deutschen Juristen-Zeitung“23 und machte ihn Anfang 1936 zum Leiter der „Wissenschaftlichen Abteilung“ des BNSDJ24 Ein Jahr zuvor war Schmitt juristischer Referent der Hochschulkommission geworden, die dem Stellvertreter des Führers Rudolf Hess persönlich unterstellt war und zu deren Aufgaben die Begutachtung von Habilitationen und Berufungen auf sämtliche juristische Lehrstühle der deutschen Universitäten gehörte.25 Auch dieses Amt verdankte er Frank, der ihn als Referenten benannt hatte.26
25 Lauermann, Versuch (1988), S. 37 hat die Ämter die Schmitt nach 1933 erhalten hat, aufgelistet: Preußischer Staatsrat 1933-1945; Mitglied der Akademie für Deutsches Recht; Mitglied des „Führerrats“ der Akademie, Ausschuss-Vorsitzender Staats- und Verwaltungsrecht (bis 1936); Mitglied im BNSDJ; Reichsfachgruppenleiter Fachgruppe Hochschullehrer (bis 1936); Mitglied der NSDAP; Mitglied der Hochschulkommission des Stellvertreters des Führers (1934-36); im BNSDJ ab 1935 Leiter der Wissenschaftlichen Abteilung; Herausgeber der DJZ 1934-1936; ab 1933 Herausgeber der Schriftenreihe „Der Deutsche Staat der Gegenwart“ , in der 20 Bände erschienen sind.
26 Böhm, Selbstverwaltung, S. 199. Anders Koenen, Fall, S. 552-554, der meint, der Leiter des kulturpolitischen Amtes im „Braunen Haus“ Phillip Bouhler habe ihm dieses Amt verschafft. Daran könnte richtig sein, dass Rosenberg gegen Schmitt intrigiert, Bouhler aber dagegen gehalten hat. – Auf dem ersten Blick scheint die Referentenstelle in der Hochschulkommission eine einflussreiche Position gewesen zu sein. Ob sie das wirklich war, ist ungewiss, da es sich nur um ein Partei- und nicht um ein Staatsamt handelte. Jedenfalls wird in der Literatur berichtet, dass der Reichswissenschaftsminister die Kompetenzen der Kommission zu beschränken suchte und das Fehlen qualifizierter Referenten und eines funktionierenden Apparats ihre Arbeit behindert hat (Böhm, Selbstverwaltung, S. 200).
(Neumann, Carl Schmitt als Jurist 2015), S. 308
Weder Mehring (2009) noch Neumann (2015) wussten, dass Carl Schmitt zusammen mit Alfred Rosenberg zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Rechtsphilosophie gehörte. ↑
- (Schmitt, Der Begriff des Politischen 1927) ↑
- (Schmit 1928) ↑
- Hier kommt Alfred Baeumlers Darstellung des Konflikts zwischen Rosenberg und Schmitt im Jahre 1928:
[…] In solchen Erkenntnissen [Rosenbergs; mw] lag die Überwindung des Historismus, der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Erbkrankheit der deutschen Bildung. […] Das neue geschichtliche Bewußtsein, das sich aus dem Kampf der nationalsozialistischen Bewegung gegen die Republik von │S. XXVII Weimar erhob, kehrte dem Optimismus des historisch gebildeten Bürgertums den Rücken und stellte ihm seine eigene tiefere und richtigere Anschauung des geschichtlichen Lebens mit einer Rücksichtslosigkeit entgegen, wie sie nur der Ernst der Verantwortung vor der Zukunft verleihen kann. „Die Gegensätze dürfen nicht ausgeglichen, sondern müssen durchgekämpft werden.“ Mit diesem Satz hat Rosenberg in einem Rückblick auf zehn Jahre gelebter Geschichte („Zehn Jahre Revolte“, 1928) den neuen Dynamismus auf die kürzeste Formel gebracht.
(Baeumler, 1943), S. XXVI f.
Ich zitiere das Ende von Rosenbergs kurzem Aufsatz von 1928, auf den Baeumler 1943 verweist. Durch Fettdruck hebe ich die Informationen hervor, die vielleicht eine Manifestation eines Schulstreits zwischen Rosenberg und Schmitt 1928 waren.
Das Kennzeichen der Ereignisse von 1918 ist, daß sie nicht eine organische Revolution gegen eine morsche Lebensform waren, sondern eine seelenlose Meuterei, um die morsche Form um staatlichen Kern zu machen. Der Geist des Novembers 1918, den wir heute in der Literatur, im Theater, im Kino und in den Parlamenten beobachten können, hatte die seelischen Widerstandskämpfe schon lange vorher zermürbt: Rathenau, Max Reinhard-Goldmann, Mosse-Moses und Ullstein beherrschten die Stunde, auch ehe noch die Soldatenräte herrschten. Das nationale Bürgertum hatte es aufgegeben, eine wahrhafte Eigenart zu pflegen, und betrachtete Männer wie Lagarde, Langbehn und Chamberlain nur als Kulturkuriosa, zurückgeblieben gegenüber dem freisinnigen und fortschrittlichen Denken in „Kontinenten“ und in „Weltwirtschaft“. Deshalb ist die die heutige Bestrafung der deutschen Nation mit Gestalten wie Matthias Erzberger, Paul Levi und Gustav Stresemann nur Symbol eines selbstverschuldeten Schicksals. Wir haben keinen Göttern die Schuld daran zu geben, auch keinem Satanismus und Kabbalismus, sondern in erster Linie uns selber. Was natürlich einen Kampf gegen die Levi-Erzberger-Stresemann nicht hindert, sondern, im Gegenteil, fordert. Denn der Mensch kämpft nicht gegen Abstraktionen, sondern gegen Menschen. Eine Ablehnung des heutigen Systems mit aller Energie ist also mehr als Zeichen des Erwachens zu betrachten, als eine geistige „vornehme“ Zurückhaltung vom Leben.
Die Männer vom 9. November 1918 glaubten Großes zu vollbringen, indem sie die Substanz des Volkstums │ S. 51 verrieten, den Nationalgedanken bespieen, das feldgraue Feldheer an den Todfeind inner- und außerhalb der Reichsgrenzen auslieferten, um schließlich beim demütigen Fußfall vor dem Auslandes zu landen. Deshalb kann es weder mit den „Ideen“ noch mit den Führern der Novemberrevolte noch mit ihren späteren Nachfolgern einen Friedenspakt geben. Die Gegensätze dürfen nicht ausgeglichen, sondern müssen durchgekämpft werden .
Die nationalsozialistische Bewegung der aktiven deutschen Minderheit behauptet heute, das Deutschland der Zukunft zu sein. Sie knüpft an an das „eine Drittel“, die Ur-Substanz, und durchstößt jene schleimig-zähe Schicht internationaler Geistigkeit, die mit dem Internationalismus aller Abarten des modernen politischen Gauklertums verbunden ist.●
(Rosenberg, Zehn Jahre Revolte; 1938), S. 50 f.
Schmitt wird 1928 nicht zugestimmt haben, dass 1928 das „heutige System mit aller Energie“, die eben dann auch öffentlich wird, zu bekämpfen sei. 1928 wird Carl Schmitt gemeint haben, dass es strategisch klüger sei, „eine geistige „vornehme“ Zurückhaltung“ an den Tag zu legen.
Auch Justus Hedemann spielt übrigens 1943 auf diesen Konflikt zwischen Dynamismus (Alfred Rosenberg) und konkretem Ordnungsdenken (Carl Schmitt) an. (siehe 8.1.2) ↑
- Es gibt eine Sekundärdarstellung dieser Zeitschrift, die ich noch nicht kenne: Alexandra Gerstner, Gregor Hufenreuter: Bewegung ohne Programm. Das Intellektuellen-Netzwerk um die Zeitschrift „Gegner. Für neue Einheit“, 1931-1933, in: Médiation et conviction. Mélanges offerts à Michel Grunewald, hrsg. v. Pierre Béhar, Françoise Lartillot und Uwe Puschner, Paris 2007, S. 651-666. ↑
- Ich habe nicht überprüft, ob Erich Jung über seine Mutter verwandt mit Rudolf Heß war. Die Tante von Rudolf Heß hieß Emma Rothacker. Mit ihr stand Rudolf Heß in kontinuierlichem Kontakt:
Hitlers wichtigster Vermittler zu potenziellen Schweizer Geldgebern war Rudolf Hess. Während des Wintersemesters 1922/23 hielt er sich in Zürich auf, wo er bei seiner Tante Emma Rothacker wohnte und am Polytechnikum studierte oder dies zumindest vorgab.15 Durch Vermittlung des Münchner Geographieprofessors Karl Haushofer lernte er Ulrich Wille junior kennen und wurde einmal wöchentlich zu einem Studententisch in dessen Wohnhaus eingeladen, der Villa Schönberg in Zürich-Enge. Hess gelang es offenbar, seinen Gastgeber für Adolf Hitler zu interessieren. Ende 1922 besuchte Wille junior erstmals Veranstaltungen der NSDAP in München und lernte Hitler persönlich kennen. Hess‘ Aufenthalt in der Schweiz diente vermutlich von Anfang an der Geldbeschaffung für die NSDAP. Im November 1922 trug er sich zusammen mit zwei weiteren Vertrauten Hitlers, Dietrich Eckart und Emil Gansser, ins Gästebuch von Wille juniors Schwester Renée Schwarzenbach-Wille und deren Gatten Alfred ein. Eckart war ein völkischer Schriftsteller aus München, Gansser leitender Angestellter des Berliner Siemenskonzerns. Gansser ist zu Recht als «der wohl aktivste und erfolgreichste Geldsammler» der frühen NSDAP bezeichnet worden.16 Sein Besuch bei den Schwarzenbachs im November 1922 hat vermutlich zu einer Barspende von 2000 Franken geführt.
(Schwarzenbach, 2006), S. 182
Vgl. ferner das Regest 16912 Heibers (1983):
16.5.43 Himmler 16912
Mitteilung von Ilse Heß über ein „etwas mysteriöses Vorkommnis“, nämlich den Besuch eines als prodeutsch bekannten Schweizers namens Graf bei einer in der Schweiz lebenden Tante ihres Mannes [Emma Rothacker, mw], angeblich im Zusammenhang mit einem Auftrag Hitlers, die dort lagernden Briefe Heß’ abzuholen, um aufgrund der Handschrift den Geisteszustand von Heß festzustellen; dazu Frau Heß: Für eine Prüfung der Handschrift bereits seit zwei Jahren anhand der von Heß eingehenden Briefe genügend Gelegenheit; außerdem die – sonst in der Angelegenheit ihres Mannes nur äußerst selten vorkommende – Nennung Hitlers eigenartig. Zusage Himmlers, der Sache nachzugehen (nicht abgegangen). W 107 00554, 564 ff., 580 ff., 602 f. (213)
(Heiber 1983); Band 1, S. 841
Rudolf Heß hat noch 1943 aus England Briefe an Emma Rothacker (Schweiz, Zürich) geschrieben: https://open-data.bundesarchiv.de/apex-ead/DE-1958_NS_19.xml:
Aber auch bereits 1933: http://publicism.info/biography/hitler/23.html: “See also Rudolf Hess to his aunt Emma Rothacker in Zurich, 30 Oct. 1933: “The last big foreign policy decision was of course very difficult for the Führer. He arrived at it after many sleepless nights, as he saw no other way for us.” BA Bern, Nl Hess, J1.211-1993/300, Box 4.“
Ich weiß noch nicht, ob Erich Rothacker und Emma Rothacker mit einander verwandt waren. ↑
- Den Untertitel gibt Erich Jung nicht korrekt wieder. Er lautet korrekt: Über die „außerpositiven“ Grundlagen des Privateigentums: (Jung 1926). ↑
- Die Reihe „Das gesamte Deutsche Recht“ wurde von Rudolf Stammler herausgegeben. Der Text von Erich Jung befindet sich im ersten Band der Reihe. Der Band hat einen umständlichen Titel. Ich gebe ihn unter Hinzufügung der Autoren wieder: „Rechtsphilosophie (Rudolf Stammler), Römisches Recht (Theodor Kipp), Deutsches Recht (Paul Rehme), Bürgerliches Recht (Erich Jung), Handels-, Wechsel- und Seerecht (Eugen Locher), Urheber- und Erfinderrecht (Hermann Nottarp), Arbeitsrecht (Heinrich Hoeniger), Internationales Privatrecht (Max Gutzwiller). Band 1 erschien 1931 im Stilke Verlag in Berlin und war 1684 Seiten dick. ↑
- Die zweite Auflage erschien erst 1939: (Jung, Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit; 1939) ↑
- Elisabeth Rehmke (1890-1918) war die Tochter des Philosophieprofessors Johannes Rehmke. In den Marburger Jahren wohnte Erich Jung als Witwer und Vater dreier ehelicher Kinder viele Jahre lang im selben Haus wie seine Schwiegereltern auf der Calvinstr. Vgl.: (von Drigalski 2011), S. 9. ↑
- Erich Jung: Das „Gesetz“ der Geschichte. Über die wollensbestimmten (wertenden) Vorannahmen alles geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisstrebens; In: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie (1923), Teil I: S. 219-241 und Teil II: S. 570-591. Auf den Seiten direkt vor dem zweiten Teil von Erich Jungs Text ist ein Text von C. A. Emge abgedruckt: C. A. Emge Über die Zusammenhänge zwischen Soziologie und Rechtswissenschaft einerseits, zwischen Religions-philosophie, Geschichtsphilosophie und Rechtsphilosophie andererseits. (I) Eine Vorschule der Rechtsphilosophie (S. 524-569) ↑
- Das Buch (Jung, Abstammung und Erziehung 1927) gibt vor am Beispiel der Familie Erich Jungs die dominante Wirkung der Abstammung auf die einzelnen Familienmitglieder aufzuzeigen. In Teil II werde ich einige biographische Informationen aus dieser Quelle nutzen. ↑
- Abschnitt in: Rechtsphilosophie, Römisches Recht, Deutsches Recht, Bürgerliches Recht, Handels-, Wechsel- und Seerecht, Urheber- und Erfinderrecht, Arbeitsrecht, Internationales Privatrecht. – Berlin: Stilke, 1931. – 1684 S.; Hrsg. von Rudolf Stammler ↑
- Gemeint: Zeitschrift für Rechtsphilosophie in Lehre und Praxis. Band 1-6 (in 5 Büchern). [5 Bde.]. Unter anderem mit Beiträgen von Karl Diehl, Otto Gerlach, Paul Natorp u. a. Holldack, Felix, Rudolf Joerges und Rudolf Stammler (Hg.): Verlag: Leipzig, Meiner, 1914-34. Nach Kürschner 1940/41 gab Erich Jung die Bände 4 bis 6 heraus. ↑
- Auf die Zeitschrift „Deutschlands Erneuerung“, die von der akademischen Elite des Alldeutschen Verbandes ab 1917 herausgegeben wurde, werde ich ausführlich in Teil II eingehen. ↑
- Gemeint: Zeitschrift „Nationalwirtschaft. Blatt für organischen Wirtschaftsaufbau, Nationalwirtschaft und Werksgemeinschaft“; erschien von 1.1927/28 – 3.1929/30; 5/6; FORTGESETZT als: Zeitschrift „Soziale Erneuerung. Unabhängige Zeitschrift für Nationalwirtschaft und organische Sozialpolitik“, erschien von 1.1932/33 bis 3.1934/35 ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%B6rderndes_Mitglied_der_SS ↑
- Auch Reinhard Höhn hegte Sympathien zu Otto von Gierke: (Höhn, Otto von Gierkes Staatslehre und unsere Zeit; 1936) ↑
- Heymann, Ernst: Über die Bedeutung der Philosophie Friedrichs des Großen für seine Rechtspolitik: Ansprache in der Friedrichs-Sitzung der preussischen Akademie der Wissenschaften am 25. Januar 1934 – Berlin: Verl. d. Akademie der Wissenschaften, 1934. – 11 S. (Sonderausgabe aus den Sitzungsberichten der Preussischen Akademie der Wissenschaften : Öffentliche Sitzung vom 25. Januar 1934) ↑
- Ein Schriftenverzeichnis Heymanns aus dem Jahr 2002 findet sich unter folgendem link: http://bibliothek.bbaw.de/kataloge/literaturnachweise/heymann/literatur.pdf ↑
- Brunner, Heinrich: Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte; 7. Auflage, besorgt von Ernst Heymann;München; Leipzig: Duncker & Humblot, 1919. ↑
- Festgabe für Dr. jur. h. c. Otto Liebmann, den Begründer, Verleger, Schriftleiter und Herausgeber der Deutschen Juristen-Zeitung, Berlin: Liebmann 1920; Inhaltsverzeichnis unter: http://swbplus.bsz-bw.de/bsz002774887inh.htm ↑
- Das ist: (Maler-Rothschild-Bibliothek. Serie I: Band 6, 7.) ↑
- Ernst Heymann, Ernst Wolff, Alfred Friedmann: Die AEG-Vorzugsaktien und ihre Umstellung in der Goldbilanz: zugleich ein Beitrag zur Rechtsbildung unter dem Ermächtigungsgesetz. Berlin 1924. 30 S. ↑
- Das ist: Heymann, Ernst: Das Testament König Friedrich Wilhelms III; Berlin, 1925. – S. 127 – 166 ↑
- Der Gefeierte ist Paul Fridolin Kehr (1860-1944). Die bibliographische Angaben über die Festschrift zu seinem 65. Geburtstag und das Inhaltsverzeichnis findet sich hier: http://opac.regesta-imperii.de/lang_de/anzeige.php?sammelwerk=FS+Paul+Kehr ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Schmidt-Ott ↑
- Das ist: Beiträge zum Handelsrecht. Festgabe zum 70. Geburtstag von Carl Wieland; hrsg. von der Juristischen Fakultät der Universität Basel, Basel: Helbing & Lichtenhahn 1934. Das Inhaltsverzeichnis kann man hier einsehen: http://swbplus.bsz-bw.de/bsz002664542inh.htm ↑
- (Feldman 2001), S. 50 ↑
- (Feldman 2001), S. 146 ↑
- (Feldman 2001), S. 152 ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Ki%C3%9Fkalt ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/August_von_Finck_senior ↑
- (Kisch, Fünfzig Jahre Allianz (1890-1940); 1940). Adlberger informiert nur beiläufig über diese Festschrift:
Kisch publizierte in den Kriegsjahren noch bis 1942, aber auch nur sehr eingeschränkt. Abgesehen von zwei gedruckten Gutachten im gewerblichen Rechtsschutz909 und einigen kleineren Aufsätzen zum Versicherungsrecht schrieb Kisch unter größter Diskretion, da es als Überraschung für die Öffentlichkeit geplant war,910 im Auftrag der Münchner Rückversicherungs-Gesellschaft als einziges großes Werk den Jubiläums- │ S. 274 band „50 Jahre Allianz. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Privatversicherung“911, der heute noch als eine der bedeutendsten unternehmensgeschichtlichen Darstellungen bezeichnet wird.912 Darüber hinaus übernahm er vor seiner zwangsweisen Umsiedelung nach Garmisch vereinzelt noch Privatgutachten.913 Das von ihm später als Entlastung angeführte, angeblich stark politische Gutachten für die Oberrheinischen Energiewerke, zur Abwehr einer Übernahme durch die von Nationalsozialisten geführten Badenwerke AG914 schrieb er zwar tatsächlich 1942, zog es dann kurzfristig aber zurück, da er Bedenken bekam und seinen Namen dafür nicht hergeben wollte.915
912 KOCH, PETER, Geschichte der Versicherungswissenschaft in Deutschland, Karlsruhe 1998 S. 152.
[…]
914 Zeugnis STEINLE vom 9.10.1946, ehemaliger elsässischer Student und Syndikus der Energiewerke, SpKA KISCH, StAMSpKK 880.
915 Brief KISCH an GERLAND vom 6.4.1942, Nachlass GERLAND, BAK NL 10, Bd. 19.
(Adlberger 2007), S. 273 f.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Ostgebiete_des_Deutschen_Reiches ↑
- (Feldman 2001), S. 537-542. ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Wolgast ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Chatten ↑
- https://pl.wikipedia.org/wiki/Paul_Ernst_Emil_Sokolowski ↑
- (C. A. Emge, Geistiger Mensch und Nationalsozialismus; 1931) ↑
- (Pinter 1994), S. 1:
Carl August Emge, am 21. April 1886 als Sohn des Bijouterie-Fabrikanten Adolf Emge und dessen Ehefrau Maria, geb. Koch, in Hanau am Main geboren, entstammt einer holländisch-reformiert geprägten Familie.1
1 Universitätsarchiv Humboldt-Universität Berlin, Akte B 56 (Personalakte), Bl. 61 ff.
Ich glaube nicht, dass der Vater von C. A. Emge identisch mit folgendem Adolf Emge gewesen ist: Adolf Emge (* 2. Januar 1874 in Dessau; † 14. März 1951 in Schwerin) war ein deutscher Pädagoge, Musiker, Komponist und Dirigent (https://de.unionpedia.org/i/Adolf_Emge). Dieser Pädagoge Adolf Emge hat folgenden Text geschrieben, der Auskunft über C. A. Emges Kindheit geben könnte, wäre der Pädagoge Adolf Emge Vater von C. A. Emge gewesen: Adolf Emge: Das Züchtigungsrecht des Lehrers (Heidelberger Universitätsdissertation 1912), Frankfurt am Main: Minjon 1912 ↑
- Vielleicht: Johannes Neeb: Vernunft gegen Vernunft oder Rechtfertigung des Glaubens, Frankfurt am Main: 1797. Emge behauptet jedenfalls, dass ein „J. N. Neeb“ ein wichtiger Vorfahre von ihm gewesen sei. Seine Ehefrau ist Nachfahrin Luthers. Ihre Kinder sind damit vermutlich zweifelsfrei Mitglieder des „Geistesadels“ des akademischen Nationalsozialismus. ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_K%C3%BCch ↑
- Emges Schlussparagraph besteht aus zwei Druckabsätzen. Der erste endet mit einem frühen Lob der »Lebensphilosophie«.
§ 16. Schluß.
[1] Nach Hegel ist die Philosophie „die Zeit in Gedanken gefaßt“. Danach kann der Relativismus nicht mehr die Rechtsphilosophie der Gegenwart sein. Seine Vertreter sind seit Beginn des großen Krieges still geworden. Nur große Absolutisten reden: Cohen, Stammler, Riehl. Ein Zufall liegt hierin nicht. Eine Rechtsphilosophie, bei der der extremste Augenblicksindividualismus, die zufälligste Wertung die gleiche Beachtung wie die menschlichste und überpersönliche Anschauung verlangen kann, hat in der jetzigen Zeit wenig zu sagen. Ein Volk, in dem diese Werttoleranz zur herrschenden Überzeugung würde, müßte an dem Schlafmittel bald zu Grunde gehen. Die Philosophie des Rechts und der Werte ist zur Zeit eines Krieges nicht mehr Gegenstand bloß erbaulicher Redensarten. Die Frage des Opfers, des Verhältnisses des Einzelnen zur Allgemeinheit entscheidet über Leben und Tod, Ehre und Schmach von Tausenden. Sie wird nirgends zur Zeit relativistisch beantwortet. Wir sind der absoluten Staats- und Rechtsauffassung der Spartaner, eines Platon näher gerückt. Die Einigkeit der Ansichten hierüber ist natürlich nur ein soziales Phänomen. Als ein Zeichen der Kraft beweist sie allerdings, daß die Charakterisierung des vor dem Kriege bei uns herrschenden Relativismus als „geistige Ermüdungserscheinung“, als „Subjektivismus, der sich geniert“ nicht schlecht war. Aber mit solchen gut gewählten Ausdrücken einer Philosophie des Lebens und der Kraft wird über die Richtigkeit der kräftigen, lebensfördernden oder matten Gedanken nicht das geringste ausgesagt.
(C. A. Emge, Über das Grunddogma des rechtsphilosophischen Relativismus; 1916)
Der im Modus des Glaubens von Emge angestrebte Absolutismus wird im zweiten Druckabsatz präsentiert. Er präsentiert ihn, nachdem er Hegel in die Tradition des Sophismus, Sokrates‘ und der Sokratiker, Aristoteles und der Stoa, den Epikureern und den Skeptikern gestellt hat. Der dreißigjährige Emge ist ein Platoniker, der anscheinend noch nicht von Haß auf alles Jüdische verzehrt wird.
[2] Wollte man den Relativismus in der Geschichte der Rechtsphilosophie plazieren, so wäre eine Verbindung mit uralten sophistischen Gedanken möglich. Man lese, was Platon im Gorgias und Theätet die Sophisten Vorbringen läßt, und man wird erstaunt sein, wie sehr hier die relativistischen Gedanken vorausgenommen sind. Aber auch überall dort, wo das Faktische, das tatsächlich erstrebte im Mittelpunkte der Ethik steht, wie bei Sokrates und seinen Nachfolgern, Aristoteles, der Stoa, | S. 66 der Schule Epikur’s und den Skeptikern haben wir mittelbar Relativismus. Ihnen steht Platon und die jüdisch-alexandrinische Philosophie gegenüber, die timetische Werte kennen. […] Wir schließen mit der Hoffnung, daß unserer Zeit eine wissenschaftliche Ethik entspringt, die ihren Ahnungen und Handlungen entspricht. Sie ist für uns alle gegenwärtig Gegenstand des Glaubens. „Dieser also wollen wir folgen und auch andere dazu auffordern, nicht jener, zu der Du mich so zuversichtlich ermunterst, denn sie ist nichts wert, o, Kallikles!“.
(C. A. Emge, Über das Grunddogma des rechtsphilosophischen Relativismus; 1916)
- Das ist die Dissertationsschrift für den Dr. jur.: (C. A. Emge, Der Vollzugsort beim gegenseitigen Vertrag; 1910) ↑
- (Tatarin-Tarnheyden 1926). ↑
- (Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 56 ↑
- (Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 106 ↑
- (Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 47 ↑
- Carl Schmitt stellte die Entwicklung Rechtsgeschichte nach 1937 mindestens einmal genau so dar wie Hans Frank 1937. Noch kenne ich keine Darstellung von Carl Schmitt, die vor 1937 genau diese Position des doppelten Untergangs skizziert. War Carl Schmitt der Plagiator oder der Ghostwriter von Hans Frank? ↑
- Der Gründung der Abteilungen für Rechtsforschung war die erste Verwaltungsordnung der AfDR vorangegangen (siehe 1.4.4.). In ihr wurde festgelegt, wie alte und neue Ausschüsse den neuen Abteilungen zugeordnet werden sollten. Diese Regel ordnete den Ausschuss für Rechtsphilosophie, weil er bereits bestand, der Abteilung für Rechtsgestaltung zu. Ich selbst kenne keinen Primärbeleg, der zeigen würde, dass der Ausschuss für Rechtsphilosophie der neuen Abteilung für Rechtsforschung zugeordnet wurde. Die Primärbelege, die i n der Sekundärliteratur für die gegenteilige Zuordnung angegeben worden sind, habe ich noch nicht überprüft. ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Felgentraeger ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Weber_(Jurist) ↑
- Freyer, Hans: Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts, Leipzig: Engelmann, 1921. – 174 S. (Arbeiten zur Entwicklungspsychologie; 5) (Abhandlungen der Sächsischen Staatlichen Forschungsinstitute, Forschungsinstitut für Psychologie; 6) ↑
- (Freyer, Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts 1921) ↑
- Vgl. die Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Goetz: (Levison 1927) ↑
- http://www.catalogus-professorum-halensis.de/kruegerfelix.html ↑
- Es ist möglich, dass der Schwiegervater Erich Jungs, Johannes Rehmke, an der Berufung von Carl Schmitt nach Greifswald beteiligt war. Für die Berufung Hanns Pichlers auf eine Philosophieprofessur 1921 in Greifswald berichtet Tilitzki über Rehmkes Mitwirkung: (Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. 2002), S. 104-106. ↑
- 1933 hieß das Gremium noch „Führerrat“. Erst seit Sommer 1934 hieß es „Präsidium“. Der Benennungswechsel spiegelt den Wechsel von der Kampfzeit zur Zeit der Machtfestigung. ↑
- Thomas Sheehan bietet folgende Hintergrundinformationen:
13 The conscription date of August 18, 1915, is from Heidegger’s Standesliste-1915 under ‘Militärverhältnisse’ (‘Seit 18.VIII.1915 als Rekrut beim 2. Regr. E.B. 142, Müllheim, Berlin). The dates of September 18 and October 16, 1915, are from Farias, 59, with the source given as: ‘Les documents que nous avons pu consulter au Krankenbuchlager der Berlin…’ The date of November 1 is from Standesliste-1928 under ‘Militär- und Kriegsdienstzeit.’ (And in a letter dated December 13, 1915, and addressed to the chancellery office of the archdiocese of Freiburg, Heidegger described himself as ‘z. Z. bei der Überwachungsstelle Freiburg i. Br. militärisch verwendet’: cited in Ott, ‘Der Habilitand,’ 159.) But in a letter to Hermann Köstler, dated Friday, May 11, 1979, Mrs. Elfriede Heidegger provided the following (in part conflicting) information (the text is Köstler’s): ‘Martin Heidegger stand mit Ausnahme von sechs Wochen, in denen er nach einem langen Lazarettaufenthalt in Müllheim nach Hause entlassen wurde, vom Frühjahr 1915 bis zum Frühjahr 1918 ununterbrochen in Militärdienst als Landsturmmann bei der Postüberwachungsstelle Freiburg…’. Hermann Köstler, ‘Heidegger schreibt an Grabmann,’ Philosophisches Jahrbuch, 83 (1980), 96-109, here 98 (emphasis added). During the last year of the war Heidegger was drafted once again (according to Standesliste-1928, on January 1; but Husserl wrote to him at Lerchenstrasse in Freiburg on January 30, 1918: R I Heidegger, 30.1.18, Husserl-Archives, Leuven). According to Standesliste-1928, Heidegger spent from January 1 through May 15, 1918, in training with Ersatz-Bataillon [Infantry Reserve Batallion] 113, Fourth Company (at the Truppenübungsplatz in Heuberg, southern Germany: information, August 1977, from the late Prof. Franz Josef Brecht, who served in the army with Heidegger, and confirmed by Husserl’s letter, R I Heidegger, 28.III. 18; but Heidegger was in Freiburg on Friday, April 26, 1918: Husserl, R I Heidegger 11[?].V. 18). Standesliste-1928 says that from May 15 through July 20 he served at the main meteorological station (Hauptwetterwarte) in Berlin-Charlotty, and from the beginning of August of 1918 ‘bis Waffenstillstand, Frontwetterwarte 414. Stellungskämpfe vor Verdun [until the cease-fire, at Weather Station 414 at the Front. Combat in the trenches at Verdun].’ However, Ott, in ‘Der Habilitand,’ 156 and n. 42, reports that according to the Hauptstaatsarchiv Stuttgart EA 3/1, Heidegger was already transferred to the front — to Frontwetterwarte 414 of the Third Army — on July 8, 1918. In any case it is sure that on Tuesday, July 2, 1918 Heidegger was still in Charlotty, for on that date he wrote to Husserl from there (cf. Husserl, R I Heidegger, 10.IX. 18). On August 11, 1977, Mrs. Elfriede Heidegger informed me orally that Heidegger arrived back in Freiburg from military service in December of 1918.
(Sheehan 1988), S. 121
- Wahrscheinlich ein Tippfehler: 1929 – es sei denn, die Antrittsvorlesung in Freiburg war bereits seine Antrittsvorlesung in Marburg. ↑
- (Rosenberg, Wesensgefüge des Nationalsozialismus; 1930) ↑
- (Rosenberg, Houston Stewart Chamberlain als Verkünder und Begründer einer deutschen Zukunft 1927) ↑
- (Weidmann 2006), S. 227. ↑
- (Weidmann 2006), S. 156 ff. ↑
- Dr. jur. et Dr. rer. pol. Alfred Dürr (1879-1953); vgl. (Köckritz, 2011), S. 127 ff. ↑
- Zusammen mit Johann von Leers (1902-1965) veröffentlichte Mikorey 1936 den dritten Band der Reihe Carl Schmitts „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“, der den Titel trug „Judentum und Verbrechen“. (Mikorey und von Leers, Judentum und Verbrechen 1936) ↑
- Die Abkürzung „San. VII“ kann vermutlich mit Mikoreys Angaben aus dem Jahr 1946 aufgelöst werden:
Es gibt in der Spruchkammerakte zwar einen sogenannten Meldebogen auf Grund des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 05. März 1946“, den Mikorey namentlich am 23. August 1946 unterzeichnete und der die wesentlichen Punkte seines Lebenslaufes inklusive der kargen Eckdaten seiner nationalsozialistischer Vita enthielt552 […]
552 Staatsarchiv Spk 1177: „Allg. SS förderndes Mitglied 1933 einige Monate, dann ausgetreten, keine weiteren Zahlungen oder Stiftungen. Mitglied der Akademie für Deutsches Recht 1933 – Ende. Vorübergehend D.A.F. 1934/35? Fachschaftswalter für Ärzte 1939? ehrenamtlich! Ich war dazu ernannt, habe aber nie Funktionen ausgeübt! […] San. Ers. Abtlg. 7 (1939/40) Armee-San. Abtlg. 552 1940-1945. Oberstabsarzt als höchster erreichter Rang, 1939 eingezogen […]. Frage: In welche Gruppe gliedern Sie sich ein: Mitläufer oder Entlastet. […] Da ausgebombt, sind mir alle Unterlagen verbrannt. Ich kann daher keine genaueren Angaben machen. Auch auf dem Finanzamt habe ich keine genaueren Unterlagen mehr erhalten können. 23. August 1946, Dr. Max Mikorey.
(Weidmann 2006), S. 196
- Zum »Lebensborn e.V.« vgl. erneut Unterabschnitt 4.3.2. ↑
- Seit 2013 gibt es auch die Ergebnisse der Forschungsarbeit von Annemone Christians: Auf fast 400 Seiten wird Max Mikorey nur einmal erwähnt. Das zitiere ich selbstverständlich:
Im Herbst 1944 ergab sich ein personeller Engpass [im Münchener Erbgesundheitsobergericht; mw], da Ernst Rüdin krankheitsbedingt für längere Zeit für den Beisitz ausfiel und Eduard Hirt im Sommer verstorben war.363 Für Hirt hatte das OLG zwar mit Max Mikorey, Privatdozent an der Münchener Universität und Oberarzt in der Psychiatrischen und Nervenklinik, zunächst einen Ersatz gefunden. Doch auch Mikorey fiel bald für das Amt aus, da er zum Kriegsdienst eingezogen wurde.364 Rüdin regte an, den Obermedizinalrat Stöckle als vertretenden Beisitzer anzufragen, der in seiner Forschungsanstalt mitarbeitete.
363 Gros an Stepp, 25.9.1944, STAM, OLG München 609
364 Ebd.
(Christians, Amtsgewalt und Volksgesundheit; 2013), S. 217
- (Mikorey, Die Einwirkung der Entmannung auf die geistige und physische Entwicklung, 1935) ↑
- Vgl. (Adlberger 2007), S. 84:
So setzte er sich als Dekan 1919 für die Berufung des Juristen Fritz van Calker93 nach München ein94
93 FRITZ VAN CALKER, 1864-1957, Strafrechtler, 1896 ord. Prof. Straßburg, 1922 ord. Prof. Universität München, Technische Hochschule München, vgl. Personenanhang bei BÖHM, HELMUT, Von der Selbstverwaltung zum Führerprinzip, Die Universität München in den ersten Jahren des Dritten Reiches (1933 – 1936), Berlin 1995, S. 604.
94 Brief Dekan KISCH an BayKuMi vom 10.3.1919, JF 1914 -1922, UAML-II-25.
- (Schubert, Ausschüsse für Bevölkerungspolitik – Kolonialrecht – Rassenpolitik im RIM; 2001), S. XII. ↑
- (Mikorey 1937) ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/James_Young_Simpson ↑
- So stellte sich zum Beispiel heraus, dass die Blutgruppe A nicht mit den Wunschdefinitionen des Worts Arier des akademischen Nationalsozialismus korreliert werden konnte:
Reches Interesse an der Blutgruppenforschung war von Beginn an auf das engste mit seiner Rassenforschung verbunden. Daß Blutgruppen in Relation zur Rasse variieren, war eine Behauptung, die sich auf eine Studie von Ludwik Hirszfeld und seiner Frau Hanna stützte. Sie hatten während des Ersten Weltkrieges in Mazedonien Soldaten untersucht und waren zu dem Ergebnis gekommen, daß Blutgruppe A in Europa weit verbreitet sei, während sich Blutgruppe B vorwiegend in Asien fände.
(Geisenhainer 2002), S. 127
Auf diesem Weg erschienen in den 20er Jahren unterschiedliche Aufsätze, aus denen u. a. zu erfahren war, daß selbstverständlich Menschen mit der Blutgruppe A überwiegend blondhaarig, hingegen Personen mit Blutgruppe B mehrheitlich dunkelhaarig seien. Zudem sei bei letztgenannter Gruppe der Prozentsatz von minderwertigen, kriminellen, schwachsinnigen, nerven- und alkoholkranken Personen höher als bei Menschen mit Blutgruppe A, die sich gleichfalls seltener mit Syphilis infizieren würden.
(Geisenhainer 2002), S. 137
Da die Blutgruppenbestimmung zu häufig unerwünschte Ergebnisse lieferte, wurde nach 1939 tatsächlich aber mittels anderer Verfahren selektiert:
B. K. Schultz wußte immerhin Verwendung für seinen „SS-Kameraden“: Hesch wurde offiziell mit Wirkung vom 8. Oktober 1942 als Mitarbeiter dem Rassenamt des RuSHA zugeteilt.
[…]Hesch befand sich nun an der Stelle, an der sich sein ehemaliger Lehrer Reche selbst so gerne gesehen hätte, wenngleich sich dessen Wunsch, „in die praktische Arbeit“ bei „der rassenkundlichen Bestandaufnahme“ einbezogen zu werden, überwiegend auf Polen bezogen hatte.984 Da Reche sich aber immer auch für das Weiterkommen Heschs einsetzte, mußte er es auch als seinen Erfolg empfunden haben, daß einer seiner treuesten Schüler die „notwendige zusätzliche Schulung von bei den Arbeiten in annektierten Gebiet eingesetzten Angehörigen der SS“ übernommen hatte,985 Die Eignungsprüfer, die Hesch ausbildete, entschieden schließlich, wer als „eindeutschungsfähig“ galt, wer „umgesiedelt“ und wer ermordet werden sollte.
Obgleich Steffan als aktives Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Blutgruppenforschung der Ansicht war, „daß die Bestimmung der Blutgruppen sehr wohl als Rassenmerkmal zu verwerten sei“ (Steffan 1923: 142 f.), obgleich Walther Darre, der bis 1938 Leiter des RuSHA gewesen war, mit seinen Schriften die „Blut und Boden“-Ideologie begründet hatte, und obgleich Reche zu dieser Zeit nochmals betonte, daß die Blutgruppe A „in rein ‚nordischen‘ Gegenden überdurchschnittlich häufig auftritt“ (1942b: 65), bei der Untersuchung der Menschen auf ihren „Rassewert“ hin, bediente man sich nicht der Blutgruppen.986
984 Reche an Brackmann am 11.10.1939, Herv. in Orig., K. G.; BArch, R153/288.
985 Reche an Pancke am 14.11.1939; BArch-PK 1140/0082/72.
986 Vgl. auch Mazumdar 1990: 214 ff.
(Geisenhainer 2002), S. 370
Es gibt einen Wikipedia-Artikel (https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Hesch) über den Schüler Otto Reches ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Forschungsgemeinschaft_Deutsches_Ahnenerbe ↑
- Vgl. z.B. (Kulz, 1937). Diesen Text werde ich Teil III ausführlicher darstellen. ↑
- Vgl. z.B. Himmlers Vorwort aus dem Jahr 1937. Durch Fettdruck hebe ich seine Bemerkung hervor, die relevant für sein Projekt einer »Höherzüchtung der Menschheit« durch die SS-Führer – u.a. im »Lebensborn«-Verein – gewesen ist:
Es ist kein Zufall, daß „Das Schwarze Korps“, die Zeitung der Schutzstaffeln Adolf Hitlers, eine Aufsatzreihe „Die Samurai, Ritter des Reiches in Ehre und Treue“ gebracht hat. Die Gesetze, nach denen die Völker groß werden, gelten für alle ebenso wie die Gesetze, nach denen die Völker verfallen. Es ist gut für uns, immer wieder als Lernende das Leben anderer Völker uns vor Augen zu führen.
Aus dieser kurzen Geschichte der Samurai wollen wir uns längst Vergessenes ins Gedächtnis zurückrufen: die Tatsache, daß schon in frühen Zeiten dieses Volk im Fernen Osten dieselben Ehrgesetze hatte, wie unsere Väter sie in früher, zu bald zerstörter Vergangenheit hatten, und ferner die Erkenntnis, daß es meist Minderheiten von höchstem Wert sind, die einem Volk ein für irdische Begriffe ewiges Leben verleihen. Dies sei der Sinn dieses Sonderdruckes, und in diesem Geist mögen viele, insbesondere die SS-Männer, dieses Büchlein lesen.
(Zitiert nach der Zweitauflage: (Corazza 1942))
- (Weidmann 2006, S. 158) ↑
- (Gütt, Rüdin und Ruttke 1934) ↑
- (Asen 1955), S. 267. ↑
- (Schubert, Ausschüsse für Bevölkerungspolitik – Kolonialrecht – Rassenpolitik im RIM; 2001), S. 243-256 ↑
- Akademische Nationalsozialisten deutscher Geburt behaupten immer mal wieder, der Zweite Weltkrieg sei tatsächlich der „Englische Krieg“. Darauf werde ich in Teil IV zurückkommen. Hintergrund dieser Deutung ist die Meinung, dass Großbritannien das Recht des Dritten Deutschen Reiches, das Land Polen einzuverleiben und die Polen zu versklaven, nicht respektiert habe. Alfred Rosenbergs Reisen vor 1933 und Rudolf Heß „Flug“ nach England, sollten sehr wahrscheinlich die Eliten Großbritanniens davon überzeugen, dass sie in der Tradition von Thomas Carlyle einen zuverlässigen Bündnispartner im Dritten Reich der Deutschen dauerhaft gewinnen könnten. Auf die Bedeutung von Thomas Carlyle für den akademischen Nationalsozialismus deutscher Nation komme ich in den nächsten Teilen zurück. ↑
- Das Zitat lässt sich nachweisen:
§ 47. Das Recht: das unverletzbar selbstherrlich verbindende Wollen.
Mit der Feststellung des Gedankens von einem unverletzbaren Verbinden ist das letzte der Merkmale angegeben, in deren Einheit der Begriff des Rechtes sich bestimmt. Wir zergliederten die Möglichkeiten, die ein sicheres Festhalten des Rechtsgedankens verständlich machen.
In der zuletzt besprochenen Richtung kann es nicht bezweifelt werden, daß die Vorstellung des Rechtes die Eigenschaft der Unverletzbarkeit, in dem oben (§ 46) erörterten Sinne, als bedingende Weise ihres Bestandes in sich trägt1. Der willkürliche Gewaltbefehl wird in der Meinung erlassen, daß dem Gebietenden in nichts auferlegt wird, sich selbst daran zu halten. Er stellt von sich aus ein verbindendes Wollen her, das er zur Richtschnur nehmen wird, si voluerit. Das rechtliche Wollen besagt das gerade Gegenteil2. Es stellt die bleibende Ordnung des Menschengeschlechtes dar. Ihr Bestand soll als solcher fest sein und nicht in jedem Einzelfall eines Anordnens neu hervortreten, um in sich keinen Halt zu haben und je nach Laune des Gebietenden in das Nichts zurückzusinken und abgerissen wieder einem derartigen Zufallsbefehle Platz zu machen3.
1 FEHR Die Rechtsstellung der Frau und der Kinder in den Weistümern 1912 p. VII: Das Weistum trägt gleichsam den Willen ewiger Geltung in sich. Jedenfalls soll es solange gelten, bis daß wir (die Schöffen) mit bessern gewonheiten und rechten unterrichtet werden.
2 Mit einem Herrn steht es gut, der, was er befohlen, selber tut. GOETHE Sprüche in Reimen, Sprichwörtlich (Cotta III 11).
3 Decr. Grat, pars I dist IV c. 3: Augustinus, de vera religione (ca. 390): In istis temporalibus legibus, quamquam de his homines iudicent, cum eas instituunt: tarnen cum fuerint institutae et firmatae, non licebit iudici de ipsis iudicare, sed secundum ipsas. (§ 12 N. 4). — S. auch §11 N. 1.
(Stammler 1922), S. 89
- Diese eckigen Klammern mitsamt ihrem Inhalt stammen vom Herausgeber Werner Schubert. ↑
- Auch diese eckigen Klammern mitsamt ihrem Inhalt stammen vom Herausgeber Werner Schubert. ↑
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- Auch diese eckigen Klammern mitsamt ihrem Inhalt stammen vom Herausgeber Werner Schubert. ↑
- Auch diese eckigen Klammern mitsamt ihrem Inhalt stammen vom Herausgeber Werner Schubert. ↑
- Der Vater von Hans Frank war ebenfalls Rechtsanwalt in München. ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Alt-Katholische_Kirche_in_Deutschland ↑
- https://www.deutsche-biographie.de/pnd118534742.html#ndbcontent ↑
- (Feldman 2001) ↑
- http://www.documentarchiv.de/ns/stobrhpt.html ↑
- Heuber hat fürs „Reichstags-Handbuch, 9. Wahlperiode, Berlin, 1934“ biographische Angaben über sich gemacht, die man unter folgendem Link einsehen kann: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/bsb00000009/images/index.html?nativeno=204 ↑
- https://stadtlexikon.karlsruhe.de/index.php/De:Lexikon:bio-0183 ↑
- (Housden 2003), S. 50. Vgl. ebenso (Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 45. An einer Stelle präsentiert Anderson eine Zusatzinformation über Professor Zwiedineck-Südenhorst:
With the initial spadework completed and the ADR legally in existence, Frank and Kisch presented it to the assembled notables at the Leipzig Juristentag on October 2, 1933. […] │ S. 55 Kisch especially stressed that it was necessary for lawyers to have a solid knowledge of economics and the practical world as well as theory.32
32 For a transcript of Kisch’s speech of October 2, 1933, see JdADR, 1(1934), 12-16. The theme of the close relationship between economics and German law was the topic of a speech by Zwiedeneck-Südenhorst at the same meeting, in which he emphasized the need to find a middle ground between the crass materialism of the age and a totally nonmaterialistic approach to law and society, a need the ADR hoped to answer, ibid., pp. 17-24.
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 54 f.
In seinem Appendix über die Mitglieder der AfDR hat Anderson angegeben, dass Professor Zwiedineck-Südenhorst von 1933 bis 1944 Mitglied der AfDR gewesen ist. ↑
- Dass statt von „Rechtswissenschaften“ von „Reichswissenschaften“ geredet wird, ist vermutlich kein interessanter Fehler. ↑
- Einige Fotos von diesem Juristentag finden sich hier: https://www.juristentag-1933.de/ ↑
- (Brunner 1919). ↑
- Zu einer heutigen Darstellung des Inhalts und der Hintergründe von Briands Memorandum siehe: https://www.europa.clio-online.de/essay/id/artikel-3427 ↑
- Viktor Bruns bezieht sich auf:https://de.wikipedia.org/wiki/Waffenstillstand_von_Compi%C3%A8gne_(1918)Ich kann nicht erkennen, dass sich in diesem Waffenstillstandsvertrag die Siegermächte auf irgendeine Abrüstung auf ihrer Seite verpflichtet hätten. Deswegen ist seine Behauptung falsch, dass im Widerspruch zum Waffenstillstandsvertrag Deutschland – vertragswidrig in Versailles 1919 zu einseitiger Abrüstung gezwungen worden ist. Ich vermute, dass der Wortlaut des Waffenstillstandsvertrags 1933 in Deutschland nur schwer zugänglich war. Wenn das der Fall gewesen sein sollte, hätte Viktor Bruns Falschbehauptung gute Chancen gehabt, seine Hörer zu Hörigen zu machen. Der englische Originalwortlaut kann hier nachgelesen werden: https://en.wikisource.org/wiki/Armistice_between_the_Allied_Governments_and_Germany ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Buchner_(Politiker) ↑
- In der Zeitschrift des BNSDJ „Deutsches Recht“ sind neben den Mitgliedern des Führerrates und den Abteilungsleitern auch die Ausschussvorsitzenden vorgestellt worden. Folgende Personen waren Ausschussvorsitzende:
5. Vorsitzende der Einzelausschüsse
1. Personen- und Vereinsrecht und Schuldrecht: Professor Dr. Hedemann, Jena;
2. Familien-, einschließlich Eherecht: Rechtsanwalt Dr., Mößmer, München;
3. Immobiliarkredit: Direktor Dr. Gelpke, Berlin;
4. Erbhofrecht: Dr. Saure, Berlin
5. Bürgerliche Rechtspflege; Geheimrat Professor Dr. Kisch, München;
6. Arbeitsrecht: Professor Dr. Dersch, Berlin; | S. 206
7.a.) Staats- und Verwaltungsrecht: Regierungspräsident Dr. Nicolai, Berlin; Staatsrat Prof. Dr.
Carl Schmitt, Berlin;
b.) Finanz- und Steuerrecht: Staatssekretär Reinhardt, Berlin;
c.) Polizeirecht: Staatssekretär Grauert, Berlin;
8. Internationales Recht: Prof. Dr. Bruns, Berlin;
9. Aktienrecht: Geheimrat Dr. Kißkalt, München;
10. Kartellerecht: Staatsminister Professor Dr. Lehnich, Stuttgart;
11. Versicherungsrecht: General-Direktor Dr. Ullrich, Gotha;
12. Bausparkassenwesen: Oberbürgermeister Dr. Dr. Weidemann, Berlin;
13. Sparkassenwesen: Präsident Dr. Kleiner, Berlin;
14. Bank- und Börsenrecht: Bankier v. Finck, München;
15. Seerecht: Professor Dr. Wüstendörfer, Hamburg;
16. Wasserrecht: Ministerialdirektor Dr. Schlegelberger, Berlin;
17. Gewerblicher Rechtsschutz: Geheimrat Professor Dr. Duisberg, Leverkusen b. Köln;
18. Urheber- und Verlagsrecht: Generaldirektor Dr. Klipper, Stuttgart;
19. Beamtenrecht: Reichskommissar Hermann Neef, Berlin;
20. Studienreform: Staatsminister Prof. Dr. Popitz, Berlin; Professor Dr. Jens-Jessen, Kiel;
21. Kommunalrecht und Kommunalverfassung: Oberbürgermeister Dr. Weidemann, Halle.
Die Ausschüsse für Bodenrecht und Erbrecht, Ständischen Aufbau, Sozialversicherung und Staatskirchenrecht werden noch bekannt gegeben.
„Deutsches Recht“ vom 15. Dezember 1933, S. 215 f.)
- Als Indiz für die beachtliche Prominenz, die Walter Luetgebrune 1933 genoss, sei auf den Sammelband von Wolfgang Hermann „Der Nationalismus und seine Literatur“ aus dem Jahr 1933 hingewiesen. Hier befand sich Luetgebrune im Kreise u.a. von Artur Moeller van den Bruck, Ernst Jünger, Friedrich Georg Jünger, Thomas Mann, Oswald Spengler, Hans Grimm, Erwin G. Kolbenheyer, Edgar Julius Jung, Othmar Spann, Wilhelm Stapel, Ernst Niekisch, Giselher Wirsing, Otto Strasser, Carl Schmitt, Hans Freyer, Ernst Krieck. Er wird diese Prominenz spätestens durch seine Tätigkeit als Rechtsbeistand Ludendorffs im Prozess gegen die Münchner Putschisten vom 8./9. November 1923 erworben haben; vgl. zum Beispiel: (Rothenbücher, 1924), S. 16.In der AfDR war Luetgebrune gemäß einer Mitteilung der Zeitschrift „Deutsche Justiz“ (1934, S. 619) „Leiter des Amts der in- und ausländischen wissenschaftlichen Gesellschaften in der Akademie für Deutsches Recht“. ↑
- Müsste ich raten, wer Hanns Kerrl beratend geholfen hat, dann würde ich sagen: Carl Schmitt. ↑
- Eine längere Version des Vortrags von Meriggi erschien noch 1934: (Meriggi, Faschismus und Recht (Langfassung) 1934). Ebenfalls noch 1934 erschien einer eine Übersetzung ins Englische, die 33 Seiten lang war.Hier ist in der ersten Fußnote folgende biographische Information über Lea Meriggi abgedruckt:
Lea Meriggi is an Italian scholar, a member of the Faculty at Frankfort-on-Main, and at the Institute of Foreign Law of the University of Berlin.
(Meriggi, Conflicts of law: A theoretical approach 1934)
Sie war demnach eine Mitarbeiterin von Viktor Bruns.
Im November 1934 erhielt Lea Meriggi angeblich einen Lehrauftrag für internationales und italienisches Recht an der Universität Berlin. 1935 schied sie aus dem Lehrbetrieb dieser Universität aus; (Maus C. , 2012), S. 396, Fußnote 1238. 1939 erschien ein Buch von Lea Meriggis, dessen Thema rechtsphilosophisches war: (Meriggi, Recht und Philosophischer Gedanke nach der Philosophie Francesco Orestanos; 1939). ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Vittorio_Cerruti ↑
- (Frankfurter Zeitung vom 5. Mai 1934: Hans Frank; 1934) ↑
- Diesen Gedanken bezeichnet Julius Evola in seinem Buchtitel „Rivolta contro il mondo moderno“ (Mailand 1934) besser. 1935 erschien eine deutsche Übersetzung: (Evola 1935). Evola wird in allen weiteren Teilen immer wieder im Umkreis des Ausschusses für Rechtsphilosophie auftauchen. ↑
- (Pinter 1994), S. 12 ff. ↑
- Carl Schmitt charakterisiert auch Ernst Jünger (am 22.11.31, S. 146) und den katholischen Theologen Paul Simon (https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Simon_(Dompropst)) (28.10.32; S. 228) in den Tagebucheinträgen der Jahre 1930 bis 1934 als „Schlaumeier“. Es gibt umgangssprachlich zwei gegenläufige Bedeutungen: (1) ein schlauer, listiger, pfiffiger Mensch, (2) ein Mensch, der sich unbegründet für schlau hält oder als schlau ausgibt. Ich neige dazu, Schmitt in diesem Fall die erste Bedeutungsoption als gemeint zuzuschreiben. ↑
- (W. Maus, Das Übersetzungsrecht der wichtigsten Staaten der Berner Übereinkunft; 1930). Dieses Buch enthält keine direkten Informationen über den Verfasser. Weder in den Kürschners der Jahre 1928/29 und 1940/41, in Degeners „Wer ist’s?“ von 1935 oder in dem »Deutsche Führerlexikon 1934/35« gibt es einen Eintrag zu einem Wilhelm Maus. ↑
- „Eigenrecht der Persönlichkeit“ ist kein juristischer Fachausdruck. Er wird nur selten verwendet. Interessanterweise auch vom Reichskanzler Franz von Papen in seiner Rundfunkrede vom 4. November 1932, die auszugsweise in der „Kölnische Zeitung“ (5. Nov. 1932, Morgen-Ausgabe, Nr. 606.) abgedruckt worden sei. Ich habe das nicht überprüft. Ich zitiere nach dem Wiederabdruck in einer Dokumentsammlung:
In der Tat, der gottesleugnerische Bolschewismus, der uns um Religion. Familie und Eigenrecht der Persönlichkeit betrügen will, um uns in die Zwangsjacke kollektivistischer Methoden zu stecken, er ist der Tod unsrer Jahrtausende alten Kultur.
(Hohlfeld 1935), S. 522
- (Jhering 1877) ↑
- Ich zitiere hier einen Auszug aus einer Schrift Erich Jungs als Beleg:
[34] Von vielen Anhängern der stoischen Schule wird eine erhabene und großartige Lebensführung berichtet; und doch kann man sich nicht denken, wie diese abstrakten Deduktionen der stoischen Ethik einen Lebenswert für einen Menschen haben, eine konkrete Ausbeute geben konnten. Der Professor Diogenes Teufelsbröckh (Carlyle, Sartor Resartus) spricht von „der unendlichen Natur der Pflicht“; aber was Pflicht ist; im einzelnen bringt unser dieser Respekt vor dem Begriff an sich keinen Schritt weiter, ebesowenig wie der Kantsche Satz: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann“; was kann als allgemeine Regel gelten? Das ist eben die Frage. […] Rudolf von Jhering hat in seinem Zweck im Recht versucht, jenen Begriffen einen bestimmteren Inhalt zu geben; das Sittliche ist das gesellschaftliche Nützliche; die Gesellschaft, nicht das Individuum, ist das Zwecksubjekt des Sittlichen; die Normen des Rechts und der Ethik stellen, „den Inbegriff dessen dar, was die Gesellschaft zu ihrem wahren Gedeihen für nötig oder wünschenswert hält.“ (Band II, S. 194)
(Jung, Macchiavelli und Friedrich der Große, 1895), S. 24
- http://www.documentarchiv.de/wr/1920/nsdap-programm.html
24. […]
Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage:
Gemeinnutz vor Eigennutz
- https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Christian_Planck ↑
- Hegels „Korporationen“ sind basisdemokratisch organisiert und unterstehen einer staatlichen Aufsicht, die Korruption und Betrug durch Korporationen verhindern soll. ↑
- Die Frage, wer wen um was bittet, ist anscheinend inzwischen durch die Antwort überholt worden, dass der NS-Staat im Bereich des öffentlichen Rechts Gutachten von der AfDR einfordern dürfe, wenn ein Beratung erwünscht sei. ↑
- (Eckhardt 1935). ↑
- (Beyerle 1936). ↑
- (VB vom 5. Mai 34: Hans Franks Rede; 1934). ↑
- Vermutlich: https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%A1roly_Kampmann ↑
- „PO“ ist in diesem Verwendungskontext die Abkürzung für „Politische Organisation“ »der Bewegung«; „Deutsches Führer-Lexikon 1934/35“, Teil II, S. 5:1932 erfolgte der Wechsel von Georg Strasser zu Robert Ley. ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Osteuropa-Institut_(Breslau) ↑
- In diesem Text rechtfertigte Carl Schmitt die Nürnberger Rassegesetze. In Teil III werde ich ausführlich auf ihn eingehen. Eine Lektüre der ersten beiden Absätze genügt aber nach all dem, was ich bereits über den Rassismus des akademischen Nationalsozialismus mitgeteilt habe, um zu verstehen, dass Carl Schmitt mit maximaler, »weltanschaulicher Begeisterung« den Nürnberger Rassegesetzten zustimmte, da zum einen das „deutsche Volk“ sich durch die Rassegesetze selbst seine »Verfassung« gegeben habe und sie „die erste deutsche Verfassung der Freiheit“ „seit Jahrhunderten“ sei:
[1] Am 15. September 1935 hat der Deutsche Reichstag auf dem Reichsparteitag der Freiheit das Reichsflaggengesetz, das Reichsbürgergesetz und das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre beschlossen.
[2] Dieser Reichstag war etwas anderes und mehr als das Parlament eines Verfassungskompromisses, und auch seine Gesetze sind deshalb etwas anderes und mehr als die Diskussions- und Koalitionsprodukte eines Vielparteiensystems. Der auf dem Reichsparteitag versammelte Reichstag war das von der nationalsozialistischen Bewegung getragene, dem Führer Adolf Hitler folgende deutsche Volk selbst; seine Gesetze sind seit Jahrhunderten die erste deutsche Verfassung der Freiheit.
(Schmitt, Die Verfassung der Freiheit 1935), S. 1134
- Bernd Rüthers, zum Beispiel, deutet die Vorgänge des Dezembers 1936 anders:
Das gegen Schmitt verwendete Material erweist sich als Mischung aus den Aufsätzen W. Gurians in der Schweiz und aus den Vorwürfen seiner professoralen Karriere-Konkurrenten. Trotz einer Intervention Görings bei der SS, der sich schützend vor «seinen» (Preußischen) Staatsrat stellte,196 hatten die Angriffe in dem SS-Blatt für Schmitts weitere Karriere nachhaltige Folgen. Seine Führungsposition als «Reichsgruppenwart» der Reichsgruppe Hochschullehrer im NSRWB mußte er noch im Dezember 1936 «aus gesundheitlichen Gründen» abgeben.197 Im selben Monat legte er – ebenfalls unfreiwillig – sein Amt als Her- │ S. 106 ausgeber der «Deutschen Juristenzeitung» nieder. Die schönfärberischen Presseerklärungen seines zweiten Protektors, des Reichsrechtsführers Hans Frank198 und seiner selbst199 täuschen nicht darüber hinweg, daß die sorgfältig vorbereiteten Angriffe seiner Gegner ihn aus allen politisch einflußreichen Funktionen verdrängt hatten. Er saß von einem Tag auf den anderen zwischen allen Stühlen der rivalisierenden NS-Oligarchie, soweit es um konkrete persönliche Einfluß- und Machtchancen ging. Seine Gönner und Protektoren (Göring und Frank) hatten ihn zwar persönlich vor Verfolgung bewahrt, politisch aber nicht halten können.
Aus einem gefeierten und gefürchteten Spitzenrepräsentanten der NS-Rechtshierarchie war über Nacht ein beinahe Ausgestoßener geworden. Lediglich seine (politisch unbedeutende) Mitgliedschaft und Mitarbeit in der mehr dekorativen als mächtigen «Akademie für Deutsches Recht» und sein Lehrstuhl in Berlin blieben ihm erhalten. Er wandte sich, nach dem Scheitern seines staatsrechtlichen Führungsehrgeizes, neuen Themenfeldern zu.
196 Vgl. J. W. Bendersky, Carl Schmitt, Theorist for the Reich, Princeton University Press 1983, S.241; G. Maschke, Zum «Leviathan» von Carl Schmitt, in: C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes – Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Köln 1982, S. 179 (192).
197 Mitteilungsblatt des NS-Rechtswahrerbundes 1936, 248 [korrekt; mw]
198 «Zum Abschluß», DJZ 1936, Sp. 1449.
199 «Schlußwort des Herausgebers», DJZ 1936, Sp. 1453.
(Rüthers 1990), S. 105 f.
In Teil III und IV werde ich ausführlicher auf die angebliche Entmachtung Carl Schmitts eingehen. ↑
- Da Boris von Selchow (1877-1943) im Marburg studiert hat und promoviert worden ist, nachdem Erich Jung dort Professor geworden war, darf man annehmen, dass von Selchow Vorlesungen Erich Jungs gehört hat. Da Martin Heidegger erst 1923 nach Marburg kam, wird von Selchow ihn gekannt, aber vielleicht nicht mehr bei ihm gehört haben.
Freiherr von Selchow, Bogislav, Fregattenkapitän a. D., Dr. phil., Geschichtsphilosoph, Berlin-Dahlem, Königin-Luise-Straße 28
Geboren: 4. Juli 1877 in Köslin (Pommern); […] Bildungsgang: Bis 1897 Hum. Gymnasium Köslin und Charlottenburg: dann Kriegsmarine bis zum Umsturz: 1919 Universität Berlin (Geschichte und alte Sprachen): 1919/23 Universität Marburg (Geschichte, Geographie, Philosophie, Kirchengeschichte, Rechtsgeschichte); 24. Januar 1923 Dr. phil. summa cum laude in allen Fächern.
Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, S. 454
Vgl. ferner:
[…] 19-23 Stud. Berlin, Marburg; 20 a. Führ. d. Marbgr. Stud.-K. d. Kommunistenaufstd. i. Thür. niedergeworf.; d. b. 22 Orgeschfhr. [Orgeschfüher; mw] v. Westdzschl.; I 23 Dr. phil.; d. schiftst. tät.
Degeners „Wer Ist‘s“ (1935)
Über die angebliche »Niederwerfung des Kommunistenaufstandes in Thüringen« informiert der Wikipedia-Artikel ordentlich: https://de.wikipedia.org/wiki/Morde_von_Mechterst%C3%A4dt Über die „Organisation Escherich“, dessen Führer von Selchow in Westdeutschland gewesen ist, gibt es zahlreiche Darstellungen. ↑
- Ich zitiere den Anfang seiner Aussage. Der Vorsitzende des Kriegsgerichts Reiff hat ihn zuvor um folgendes gebeten:
„Ich bitte Sie, sich nicht durch kameradschaftliche Gefühle in Ihren Aussagen beeinflussen zu lassen. Es ist natürlich, daß durch die bedauerliche Tat von 15 Erschießungen eine große Erregung in die Bevölkerung getragen ist. Dadurch sind viele Gerüchte entstanden.“
Zeuge Fregattenkapitän Freiherr von Selchow: Wie die Formation aus ihren ersten Anfängen heraus gebildet ist, weiß ich nicht, ich bin erst während der Kapp-Tage damit zusammengekommen. Die Zeitfreiwilligen waren auf dem Papier auf Grund eines Erlasses des Reichswehrministers Noske schon vorhanden. Oberleutn. Freiherr v. Verschür [gemeint: Otmar Freiherr von Verschuer (1896-1969); mw] fungierte als Vertreter. Als Freiherr von Schenk [gemeint: Schenk zu Schweinsberg; mw] den Aufruf erließ, sich zur Bekämpfung der Aufstände in Thüringen zur Verfügung zu stellen, wurde ich zum Führer gewählt. Das Studentenkorps bestand aus 8 Kompagnien und sollte am Sonnabend abend abrücken. […] Der Oberbefehl des Unternehmens lag in den Händen des Generals Rumschöttel [vermutlich Hermann Johann Rumschöttel (1858-1944); mw].
(Der Marburger Studenten-Prozeß. Bericht über die Verhandlung …; 1921), S. 21
Der Prozess ist 1962 verfilmt worden: http://www.fernsehenderddr.de/index.php?script=dokumentationsblatt-detail&id1=12787. Vgl. ferner: http://metropol-verlag.de/wp-content/uploads/2017/01/Politisches-Lernen-3%E2%80%934-2016.pdf ↑
- Die erste Auflage des autobiographischen Buches „Die Geschichte eines Hochverräters“ erschien 1928: (Röhm 1928) ↑
- Und zwar in: (H. F. Günther, Ritter, Tod und Teufel. Der heldische Gedanke; 1920). ↑
- Vermutlich Anspielung auf Spitzwegs „Der arme Poet“, 1839. ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Der_heilige_Hieronymus_im_Geh%C3%A4us ↑
- Zu Luetgebrunes Rolle im „Ebert-Prozeß“ vergleiche folgendes:
Außerdem begann Luetgebrune eine aktive Rolle in einer Auseinandersetzung zwischen links und rechts zu spielen, in der die Rechte die Reputation des Reichspräsidenten Ebert und seiner Partei zu zerstören trachtete. Als Antwort eröffnete die von der SPD beherrschte preußische Regierung eine juristische Offensive gegen Fememörder, mit der die Schwarze Reichswehr, dazu ihre Initiatoren und Helfer politisch und moralisch diskreditiert werden sollten158. Indem er sowohl den Verleumder Eberts wie Fememörder, z.B. Paul Schulz und Peter Umhofer, verteidigte, wurde Luetgebrune in einen Konflikt verstrickt, der zu einer Zeit einsetzte, da die Justiz des Reiches ihre Glaubwürdigkeit zurückgewonnen zu haben schien, nachdem sie einerseits die Rathenau-Mörder unerbittlich behandelt und andererseits im OC-Prozeß Kompromißbereitschaft gezeigt hatte. Als er Erwin Rothardt gegen die Verleumdungsklage des Reichspräsidenten vertrat, betonte Luetgebrune, daß die SPD während des Krieges in der Tat Verräter in ihren Reihen gehabt habe. Mehr noch: Er insinuierte, daß der internationale Kommunismus und das Judentum wesentliche Elemente einer revolutionären Verschwörung gewesen seien und daß Ebert im Namen der Diktatur des Proletariats bedenkenlos die deutsche Kriegsanstrengung sabotiert habe159; damit brachte er auch die SPD in seiner imaginären jüdisch-bolschewistischen Verschwörung zur Vernichtung der deutschen Nation unter. Daß dann seine Behauptungen über die Rolle Eberts von den Richtern in Magdeburg, wo der Prozeß stattfand, mehr oder weniger akzeptiert wurden, hat seine Entschlossenheit, die Linke moralisch zu treffen und seinen Beitrag zur Rettung des in eine schwierige Periode geratenen völkischen Nationalismus zu leisten, offensichtlich noch verstärkt.
158 Zum Hintergrund K. Brammer, Der Prozeß des Reichspräsidenten, Berlin 1925; Carstens, S. 176ff.; Stern, S.404.
159 „Gipfelpunkte im Ebert-Prozeß“, NL R6 457663; Luetgebrune an Landgericht Magdeburg, 11.3. 1925, NLR6 457641 ff
(Heydeloff, Walter Luetgebrune; 1984); S. 398
- (Luetgebrune, Neu-Preußens Bauernkrieg 1931), S. 113 ↑
- (Heydeloff, The Political-judicial Career of Dr. Jur. Walter Luetgebrune and the Crisis of Weimar and Early National Socialist Germany: 1918 to 1934 (Ph.D. thesis, University of Waterloo); 1976) ↑
- (Luetgebrune 1934) ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Morde_von_Mechterst%C3%A4dt ↑
- Bayrischer Dialekt für „Kumpel“ ↑
- Heydeloff (1984) erklärt nicht, auf welchen Zusammenhang zwischen Luetgebrune und (Emil Julius) Gumbel Ernst Röhm anspielt. Ich vermute, dass Luetgebrune in seiner Schrift „Wahrheit und Recht für Feme. Schwarze Reichswehr und Oberleutnant Schulz“ (München 1928) sich – ausdrücklich oder nicht – auf Gumbels Schiften „Verschwörer. Beiträge zur Geschichte und Soziologie der deutschen nationalistischen Geheimbünde 1918-1924“ (1924) und „Vier Jahre Politischer Mord“ (1922) bezogen hat. ↑
- Das Ergebnis dieser Degradierung „Gruppenführer“ ist in der Akte Emges über den Ausschuss für Rechtsphilosophie mit der Signatur GSA 72/1588 korrekt abgebildet worden. Nur einer Stelle hat ein Unkundiger das Präfix Orts-Gruppenführer hinzugefügt, das dann wieder gestrichen wurde: (Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), Blatt 81. ↑
- https://www.hdg.de/lemo/biografie/ernst-von-salomon.html Dass Luetgebrune für Degeners “Wer Ist’s?” (1935) angegeben hatte, er habe die Verteidigung im Kriminalprozess des „Rathenauanschlages“ ausgeübt, habe ich bereits mitgeteilt; (Wer ist’s? 1935), S. 1007. ↑
- (Behrends 1932) ↑
- Dass sich die akademischen Nationalsozialisten über ihre Niederlage vor dem Leipziger Staatsgerichtshof besonders geärgert haben, zeigt vielleicht auch das Tempo, mit dem sie zum zweiten „Preußen-Schlag“ ausholten:
Eine weitere wichtige Stufe beim Ausbau der NS-Diktatur war die „Verordnung des Reichspräsidenten zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen“ vom 6 .Februar 1933.50 Diese Notverordnung, die auch „zweiter Preußenschlag“ genannt wird, ordnete an, dass dem Reichskommissar für das Land Preußen die Befugnisse übertragen werden, die nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs vom 25. Oktober 1932 dem Preußischen Staatsministerium und seinen Mitgliedern zustehen.51 Der ehemalige Reichsgerichtsrat Dr. Schwalb nahm hierzu die klare Position ein, dass eine Pflichtverletzung des Landes nicht festgestellt werden könne und deshalb „überwiegende Gründe für die Verfassungswidrigkeit der Verordnung“ sprechen.52 Nach meiner Kenntnis sind die zwei Beiträge von Schwalb die einzigen zeitgenössischen fachjuristischen Stellungnahmen, die einem Akt der Machtkonsolidierung die Verfassungswidrigkeit bescheinigten. Es ist ärgerlich, dass Walter Jellinek gegen Schwalb die Verfassungsmäßigkeit der Verordnung behauptete.53
50 RGBl. I S .43.
51 Mit dieser Übertragung sollten die Voraussetzungen für eine Auflösung des Preußischen Landtages und die Herbeiführung von Neuwahlen zeitgleich mit den Wahlen zum Reichstag geschaffen werden. Vgl. Schwalb, RVerwBl. u. PreußVBl. 54 (1933), S. 124.
52 Schwalb, RVerwBl. u. PreußVBl. 54 (1933), 149. Ein Jahr später kanzelte Scheuner, AöR 63 (1934), S. 314 in Fn. 128 die Ausführungen Schwalbs als „fehlgehend“ ab.
53 Jellinek, RVerwBl. u. PreußVBl. 54 (1933), 167: Die Voraussetzung des Art. 48 Abs. 1 WRV, also eine Pflichtverletzung des Landes, sei gegeben, weil der Landtag es nicht fertig gebracht habe, entweder einen Ministerpräsidenten zu wählen oder seine Geschäftsordnung so umzugestalten, dass die Wahl eines Ministerpräsidenten unter den gegebenen Umständen funktioniert hätte.
(Neumann, Carl Schmitt als Jurist 2015), S. 312
Da Walter Jellinek 1924 Hans Frank promoviert hat, halte ich es für möglich, dass es langjährige Verbindungen der akademischen Nationalsozialisten zu Walter Jellinek gab. ↑
- Gemeint: Aberkennung der Staatsbürgerschaft u.a. für Otto Wels … ↑
- Dass der Bildgehalt unstimmig ist, ist untypisch für Bruns. ↑
- (Schmitt, Die Verfassung der Freiheit 1935) und (Schmitt, Die NS-Gesetzgebung [des Parteitags der Freiheit] im internationalen Privatrecht; 1936). ↑
- (Kommerell 1938) ↑
- Nationalsozialistische Monatshefte, Jahrgang 1, Heft 1 (April 1930), S. 34-46 ↑
- Das Wort „Volk“ bezeichnet sehr viele, sehr verschiedene Begriffe. Deshalb ist es immer mal wieder hilfreich mitzuteilen, welcher Begriff durch es im jeweiligen Kontext bezeichnet werden soll. Den komplexen Ausdruck „Volk als Unterschicht“ habe ich mir bei Heidegger abgeguckt:
37. Volk und Herrschaft
Die Massenhaftigkeit und Zügellosigkeit und zugleich Trägheit des »Volkes« als »Unterschicht« kann nur überwunden werden, wenn die Herrschaft über es — aus der höchsten Höhe kommt, die in die gründende Tiefe des Volkes reicht — um so — Rangstufen als notwendig fest- und durchzusetzen.
(Heidegger, Seminare Hegel – Schelling (GA 86) 2011), S. 73
Sollte es »den ewigen deutschen Gott« im Wintersemester 1934/35 noch nicht gegeben haben, so hätte Martin Heidegger allzu gerne eine Metaphysik kreiert, durch die eine gottgleiche Herrschaft über »das Volk als Unterschicht« ausgeübt hätte werden können. „Michel! Höre! Detlev ist Dein Gott, und ich bin sein Prophet!!!“, sprach Martin aus dem Schwarzen Wald. ↑
- Wenn ich mich richtig erinnere, wird das zum Beispiel in der Zeitschrift „Der deutsche Erzieher“ des NS-LB im Artikel „Neue Richtlinien für Abgangszeugnisse“ (6. Jahrgang (1943), S. 121) gefordert. ↑
- Vgl. zusätzlich
Am 20.12.1934 fand auf Wunsch der SS in der Parteizentrale in München eine Aussprache zur »Rassenfrage« statt, über die zwei Protokolle existieren, das eine verfaßt vom nordizistischen Artur Gütt aus dem Innenministerium in seiner Eigenschaft als SS-Stabsführer des RuSHA und das andere vom radikalanti- │ S. 70 semitischen SS-Untersturmführer Karl Brandt. »Es stellte sich heraus«, notierte Brandt, »daß der Reichsärzteführer Dr. Wagner, sein Vertreter, Dr. Bartels, sein enger Mitarbeiter, Ministerialdirigent Prof. Schultze und Dr. Achim Gercke für den einheitlichen Begriff >Deutsche Rasse< eintreten und das Bewerten von Unterschieden der deutschen Grundrassen für völlig falsch halten.«221 Gercke, »Sachverständiger für Rassenforschung« im Innenministerium, war vehementer Verfechter einer »Hochzüchtung der deutschen Rasse«, bei der »die jüdische Ausmerze« nur eine simple Voraussetzung sei, »die keinerlei Diskussion bedarf«. Gerade hatte er im »Völkischen Beobachter« verkündet: »Wir werden durch Auslese eine Rasse züchten, die die ganze Welt in Erstaunen setzen wird.«222
221 BAL, BDC, SS-HO (Brandt).
222 Zit. in: Ch. Köhn-Behrens, Was ist Rasse? Köln 1934, S. 66 f.
(Essner 2002), S. 69 f.
- Achim Gercke war übrigens auch nach seinem Vortrag am 26. Mai 1934 in der AfDR weiter als Rassist tätig. So war er zum Beispiel im Dezember 1934 zu einer anderen Arbeitssitzung eingeladen, deren Ergebnis Vorschläge zur „Entjudung Deutschlands durch Gesetzgebung“ waren, die u.a. in den Nürnberger Rassegesetzen kulminierten:
Am 20.12.1934 hatten sich im Braunen Haus in München auf Einladung des Reichsärzteführers und Mitglieds im Stab Stellvertreter des Führers, Dr. Gerhard Wagner, eine Reihe hochrangiger NS-Experten │ S. 78 zu einer »Besprechung über Rassenpolitik und grundsätzliche Einstellung der Partei zur praktischen gesetzlichen Regelung« zusammengefunden. Für das Rasse- und Siedlungsamt nahmen die Rasseexperten Dr. Rechenbach, SS-Untersturmführer Mayer und RuSHA-Stabsführer Dr. Brandt teil. Außerdem waren zugegen Dr. Walter Groß für das Rassenpolitische Amt der NSDAP, der »Sachverständige für Rassenforschung« im Innenministerium, Dr. Achim Gercke, sowie weitere Experten aus dem Stab des Stellvertreters des Führers. […] Das Ergebnis war ein Vorschlag zu einer »besonderen Judengesetzgebung«, worin »I. die endgültige und restlose Ausschaltung der Juden aus der deutschen Lebensgemeinschaft« und »II. die Behandlung der Judenmischlinge« geregelt wurden.
(Heinemann 2003), S. 77 f.
- (Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 81 ↑
- (Emge, Akte Emges über den Ausschuss (GSA 72/1588), 1934), fol. 81. ↑
- Der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ) war inzwischen umgetauft worden. Er hieß nun Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund. Kurz: NS-RB. Hans Frank ist nach wie vor sein Führer des Bundes und Herausgeber des „Zentralorgans“. ↑
- (Larenz, Das rechtsphilosophische Lebenswerk Rudolf Stammlers; 1938). ↑
- (Schmitt, Rezension von Binders Kritik (1915) an Stammlers Rechtsphilosophie (1911); 1916) ↑
- Es sind neun Bände in den Jahren 1936 bis 1938 in dieser Reihe erschienen. Durch Fettdruck habe ich die Namen derjenigen Personen vor, mit denen ich meine Leser bereits bekannt gemacht habe.Band 1: Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist. Ansprachen, Vorträge und Ergebnisse der Tagung der Reichsgruppe Hochschullehrer des NSRB am 3. und 4. Oktober 1936 (1936). Es trugen vor: Hans Frank, Carl Schmitt, Hermann Schroer (1900-????), Falk Ruttke und wieder Carl Schmitt.Band 2: Judentum und Wirtschaftswissenschaft. Verfasst von „Dozent Dr. Klaus Wilhelm Rath, Göttingen“ (1936)Band 3: Judentum und Verbrechen. Dieser Band besteht aus zwei Teilen. „Dr. v. Leers“ verfasste „Die Kriminalität des Judentums“, „Dr. M. Mikorey, Oberarzt der Psychiatrischen und Nervenklinik München, Mitglieder Akademie für Deutsches Recht“ verfasste „Das Judentum in der Kriminalpsychologie“Band 4: Judentum und Strafrecht. Auch dieser Band besteht aus zwei Teilen. „Prof. Dr. Klee“ verfasste „Das Judentum im Strafrecht“, „Prof. Dr. Siegert“ den Text „Das Judentum im Strafverfahrensrecht“.Band 5: Der Einfluß des Judentums in Staatsrecht und Staatslehre. Band 5 ist nur von „Prof. Dr. E. Tatarin-Tarnheyden (Rostock)“ verfasst wordenBand 6: Der Einfluß jüdischer Theoretiker auf die deutsche Völkerrechtslehre. Auch Band 6 nennt nur einen Verfasser: „Prof. Dr. Norbert Gürke, München“Band 7: Das Judentum im Handels- und Verkehrsrecht. Verfasst von … unbekannt. Ich vermute, der Band ist zwar angekündigt worden, erschien aber nicht.Band 8: Rechtsquellenlehre und Judentum. Positivismus, Freirechtsschule, neue Rechtsquellenlehre. Band 7 ist von Erich Jung, dem Nestor des Ausschusses für Rechtsphilosophie verfasst worden.Band 9: Judentum und Wettbewerb. Band 9 nennt folgenden Verfasser: „Dr. jur. Otto Rilk, Rechtsanwalt und Notar, Berlin“. ↑
- (Krieck 1939); (Baeumler 1939). ↑
- (Hedemann 1943) ↑
- (Asen 1955), S. 72 ↑
- In der ersten Olympiade von 1934 bis 1938 gab es heftige Auseinandersetzungen darüber, ob überhaupt und wenn ja, unter welchen Bedingungen und in welchen Ausmaß der akademischen Nationalsozialismus selbst einen „Apparatur“ schaffen, erhalten und nutzen dürfe. Die Beiläufigkeit, mit der Hedemann das Wort „Apparatur“ verwendet, zeigt, was das Ergebnis des Streits war. ↑
- Dass jemand, der von den rechtsphilosophischen Strategen der AfDR entmachtet wurde, kein Feind des akademischen Nationalsozialismus gewesen sein muss, zeigt die Kurzbiographie von Ernst Klee über Eckhardt:
Eckhardt, Karl August. Rechtshistoriker und SS-Sturmbannführer (1938).
*5.3.1901 Witzenhausen. 1931 SA, 1932 NSDAP. 1933 SS, Mitbegründer der Ortsgruppe Bonn des NS-Kraftfahrkorps sowie Ordinarius der bedingungslos nationalsozialistischen Stoßtruppfakultät in Kiel. 1934 Hauptreferent für Recht, Staat, Politik, Wirtschaft und Geschichte in der Hochschulabteilung des Reichswissenschaftsministeriums, zuständig für Neubesetzung von Lehrstühlen. 1935 Untersturmführer im Persönlichen Stab Reichsführer-SS, in Himmlers SD, Ordinarius der Universität Berlin. Forderung Todesstrafe für Homosexuelle, am 22.5.1935 Beitrag im SS-Zentralorgan Das Schwarze Korps: Widernatürliche Unzucht ist todeswürdig (Faks. Abdruck: Kölnische Gesellschaft). 1936 (Hausmann, Ritterbusch, S. 36): »Gegenüber Führerentscheidungen, die in die Form eines Gesetzes oder einer Verordnung gekleidet sind, steht dem Richter kein Prüfungsrecht zu.« 1936-1938 Herausgeber der Zeitschrift Deutsche Rechtswissenschaft. 1937 Bonn, Lehrstuhl für Germanische Rechtsgeschichte, Direktor des Deutschrechtlichen Instituts des Reichsführers-SS. Mitglied Akademie für Deutsches Recht. 1945 Entlassung, Emeritierung verweigert. Nach 1945 Stadtarchivar, Direktor des Historischen Instituts des Werralandes (sic) in Witzenhausen. † 27.1.1979 Witzenhausen. Q.: BA NS 19/2241. Lit.: Heiber, Frank; Höpfner; Prahl●
(Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich; 2003), S. 125
Wie es aussieht ist Eckhardt nach der Entmachtung der „Kieler Schule“ nach „oben gefallen“, zu Himmler.
Laut Anderson war Eckhardt übrigens von ca. 1936 bis ca. 1942 Mitglied der AfDR: (Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 547 ↑
- In der „Saarausgabe“ des ersten Heftes der im Juni 1934 erstmalig erscheinenden Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (ZAfDR) ist eine Abhandlung von Hans Frank und Viktor Bruns mit diesem Titel und dem Zusatz „(Denkschrift)“ veröffentlicht worden. Viktor Bruns war der Experte für die Saarfrage: (Bruns, Die Volksabstimmung im Saargebiet 1934) ↑
- (Heymann, Deutsche Landesreferate zum II. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung im Haag 1937; 1937) ↑
- Der Text findet sich in: ZAfDR 1939, S. 219-224. Als Verfasser wird aber Otto Thierack persönlich, und nicht sein Staatssekretär Curt Rothenberger genannt. ↑
- Ernst Rudolf Huber; in: ZAfDR, 4. Jg. (1937), S. 366 ff. ↑
- https://dejure.org/gesetze/StGB/2.html ↑
- Diesen Text hat Hedemann selbst verfasst: (Hedemann, Die Dreiteilung der Aufgaben. Bilden, Leiten, Zuteilen; 1934). ↑
- Übersetzung: „Ich sende einen herzlichen Gruß an die Akademie für deutsches Recht, die sich der erneuernden Arbeit der Nazi-Revolution in den ruhmreichen Traditionen der germanischen Wissenschaft anschließt.“ ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsb%C3%BCrgergesetz ↑
- In der von Schubert herausgegebenen Reihe der Ausschussprotokolle der AfDR gibt es einen Band zum Volksgesetzbuch (Band 3.1, 1988). Hedemann war Vorsitzender dieses Ausschusses:
V. DER AUSSCHUSS FÜR BUCH I: „DER VOLKSGENOSSE“
Der Ausschuß für Buch I konstituierte sich mit den von Hedemann für den 3. bis 5.10.1940 (Weimar) einberufenen Sitzungen. Nach dem Arbeitsbericht: „Volksgesetzbuch. Grundregeln und Buch I. Entwurf und Erläuterungen“,60 vorgelegt 1942 von Justus Wilhelm Hedemann, Heinrich Lehmann und Wolfgang Siebert, gehörten dem Ausschuß als Mitglieder und Mitarbeiter unter anderem an:61 Professor Dr. Justus Wilhelm Hedemann, Berlin, Vorsitzender. Professor Dr. Georg Eisser, Tübingen. Professor Dr. Alfred Hueck, München. Assessor Fritz Jacobi, Berlin (Akademie). Professor Dr. Heinrich Lehmann, Köln. Gerichtsassessor von Mutius, Weimar. Vizepräsident Paul Nitzsche, Jena. Professor Dr. Wolfgang Siebert, Berlin.
60 Unten S. 511 ff. vollständig abgedruckt.
61 Vgl. hierzu unten S. 513 die Liste und die Erläuterungen ebd. — Zu den Lebensdaten und der beruflichen Laufbahn der genannten Herren vgl. unten S. 33ff. Über Fritz Jacobi ließen sich keine Daten auffinden. Nach der in R 61/110 enthaltenen Namensliste gehörte dem Ausschuß noch Prof. Haupt aus Leipzig an (über diesen dem nächst ausführliche Biographiein den schuldrechtlichen Protokollbänden).
(Schubert, Volksgesetzbuch; 1988), S. 17
- (Hattenhauer 1986). Siehe auch meinen Unterabschnitt 1.3.2. ↑
- Übersetzung ins deutsche: „Zwischen Frieden und Krieg gibt es kein Mittleres.“ ↑
- Schmitt meint das »ius publicum euopaeum«, in dem nur wenigen und nur europäischen Staaten eine völkerrechtliche Subjektivität zukam. Zugleich meinten diese wenigen europäischen Staaten aber, sie dürften die ganze Welt vertraglich untereinander aufteilen.https://referenceworks.brillonline.com/entries/enzyklopaedie-der-neuzeit/ius-publicum-europaeum-a1914000 ↑
- (Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht 1939) ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Unternehmen_Barbarossa#Entscheidungsprozess_bis_31._Juli_1940 ↑
- Ich lege die erste Verwaltungsordnung der AfDR von 1937 so aus, dass der Ausschusses für Rechtsphilosophie, weil er bereits bestand, der Abteilung für Rechtsgestaltung zuzuordnen war. Ich kann derzeit aber weder ausschließen noch bestätigen, dass er 1937 oder später der neu gegründeten Abteilung für Rechtsforschung zugeordnet wurde. ↑
- (Bruns, Der britische Wirtschaftskrieg und das geltende Seekriegsrecht; 1940) ↑
- (Larenz, Rechtswahrer und Philosoph. Zum Tode Julius Binder; 1940) ↑
- (Binder, Der 28. Juni und die Kriegsschuldfrage; 1929) ↑
- (Binder, Führerauslese in der Demokratie; 1929) ↑
- Im Bericht über die Tagung der AfDR zu ihrem ersten Jahrestag am 26. Juni 1934 in Heft 3 der Zeitschrift der AfDR wird erwähnt, dass Dikov anwesend gewesen sei, S. 120:
Zur gleichen Zeit tagte der Ausschuß für Bürgerliche Rechtspflege unter dem Vorsitz von Geheimrat Professor Dr. Kisch, München, in Anwesenheit folgender ausländischer Gäste: Rechtsanwalt Borchgrevingk, Oslo, Universitätsprofessor de Claparède, Genf, Universitätsprofessor Dr. Dikoff, Sofia, Dr. Müller, Hermannstadt, Universitätsprofessor Dr. Zoll, Krakau.
- https://w2.vatican.va/content/pius-xi/de/encyclicals/documents/hf_p-xi_enc_14031937_mit-brennender-sorge.html ↑
- In Teil III skizziere ich auch die »Rassengeschichte« des akademischen Nationalsozialismus der 30-er Jahre, zu der es gehört, dass die Hellenen Nachfahren von Auswanderern aus Norddeutschland gewesen sind. Homers Götterwelt ist deswegen eine Götterwelt der »nordischen Rasse«. Homers Helden sind nordische Helden. ↑
- Vgl. https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/die-enzyklika-mit-brennender-sorge-1937/ ↑
- Der Absatz findet sich wörtlich so in folgender Ausgabe, die 1923 im Meiner Verlag unter anderem von dem Kurt Hildebrandt herausgegeben worden ist; (Platon 1923), S. 239. Hildebrandt war ein Rassist und ein »Jünger« des »Dichterfürsten« Stefan George. ↑
- https://en.wikipedia.org/wiki/Reform_Act_1832 ↑
- (Sidgwick 1903), S. 402 f., S. 409 ↑
- Die Stelle ist in dem von mir benutzen Exemplar wegen eines Papierfehlers unleserlich. Es fehlen nicht viele Buchstaben. „verrät“, „verdirbt“ und „verwirkt“ wären syntaktisch und semantisch passende Einsetzungen. ↑
- (Hegel 1821), § 211 Anmerkung:
Etwas als Allgemeines setzen – d.i. es als Allgemeines zum Bewußtsein bringen – ist bekanntlich denken (vgl. oben § 13 Anm. und § 21 Anm.); indem es so den Inhalt auf seine einfachste Form zurückbringt, gibt es ihm seine letzte Bestimmtheit. Was Recht ist, erhält erst damit, daß es zum Gesetze wird, nicht nur die Form seiner Allgemeinheit, sondern seine wahrhafte Bestimmtheit. Es ist darum bei der Vorstellung des Gesetzgebens nicht bloß das eine Moment vor sich zu haben, daß dadurch etwas als die für alle gültige Regel des Benehmens ausgesprochen werde; sondern das innere wesentliche Moment ist vor diesem anderen die Erkenntnis des Inhalts in seiner bestimmten Allgemeinheit. Gewohnheitsrechte selbst – da nur die Tiere ihr Gesetz als Instinkt haben, nur die Menschen aber es sind, die es als Gewohnheit haben – enthalten das Moment, als Gedanken zu sein und gewußt zu werden. Ihr Unterschied von Gesetzen besteht nur darin, daß sie auf eine subjektive und zufällige Weise gewußt werden, daher für sich unbestimmter [sind] und die Allgemeinheit des Gedankens getrübter, außerdem die Kenntnis des Rechts nach dieser und jener Seite und überhaupt ein zufälliges Eigentum Weniger ist. Daß sie durch ihre Form, als Gewohnheiten zu sein, den Vorzug haben sollen, ins Leben übergegangen zu sein (– man spricht heutigentages übrigens gerade da │ S. 209 am meisten vom Leben und vom Übergehen ins Leben, wo man in dem totesten Stoffe und in den totesten Gedanken versiert), ist eine Täuschung, da die geltenden Gesetze einer Nation dadurch, daß sie geschrieben und gesammelt sind, nicht aufhören, ihre Gewohnheiten zu sein. Wenn die Gewohnheitsrechte dazu kommen, gesammelt und zusammengestellt zu werden, was bei einem nur zu einiger Bildung gediehenen Volke bald geschehen muß, so ist dann diese Sammlung das Gesetzbuch, das sich freilich, weil es bloße Sammlung ist, durch seine Unförmigkeit, Unbestimmtheit und Lückenhaftigkeit auszeichnen wird. Es wird sich vornehmlich von einem eigentlich so genannten Gesetzbuche dadurch unterscheiden, daß dieses die Rechtsprinzipien in ihrer Allgemeinheit und damit in ihrer Bestimmtheit denkend auffaßt und ausspricht. Englands Landrecht oder gemeines Recht ist bekanntlich in Statuten (förmlichen Gesetzen) und in einem sogenannten ungeschriebenen Gesetze enthalten; dieses ungeschriebene Gesetz ist übrigens ebensogut geschrieben, und dessen Kenntnis kann und muß durch Lesen allein (der vielen Quartanten, die es ausfüllt) erworben werden. Welche ungeheure Verwirrung aber auch in der dortigen Rechtspflege sowohl als in der Sache liegt, schildern die Kenner derselben. Insbesondere bemerken sie den Umstand, daß, da dies ungeschriebene Gesetz in den Dezisionen der Gerichtshöfe und Richter enthalten ist, die Richter damit fortdauernd die Gesetzgeber machen, daß sie auf die Autorität ihrer Vorgänger, als die nichts getan als das ungeschriebene Gesetz ausgesprochen haben, ebenso angewiesen sind als nicht angewiesen sind, da sie selbst das ungeschriebene Gesetz in sich haben und daraus das Recht haben, über die vorhergegangenen Entscheidungen zu urteilen, ob sie demselben angemessen sind oder nicht. – Gegen eine ähnliche Verwirrung, │ S. 210 die in der späteren römischen Rechtspflege aus den Autoritäten aller der verschiedenen berühmten Juriskonsulten entstehen konnte, wurde von einem Kaiser das sinnreiche Auskunftsmittel getroffen, das den Namen Zitiergesetz führt und eine Art von kollegialischer Einrichtung unter den längst verstorbenen Rechtsgelehrten, mit Mehrheit der Stimmen und einem Präsidenten, einführte (s. Herrn Hugos Röm. Rechtsgeschichte § 354). – Einer gebildeten Nation oder dem juristischen Stande in derselben die Fähigkeit abzusprechen, ein Gesetzbuch zu machen – da es nicht darum zu tun sein kann, ein System ihrem Inhalte nach neuer Gesetze zu machen, sondern den vorhandenen gesetzlichen Inhalt in seiner bestimmten Allgemeinheit zu erkennen, d.i. ihn denkend zu fassen, mit Hinzufügung der Anwendung aufs Besondere –, wäre einer der größten Schimpfe, der einer Nation oder jenem Stande angetan werden könnte. –
- (Schubert, Volksgesetzbuch; 1988) ↑
- (Larenz, Das rechtsphilosophische Lebenswerk Rudolf Stammlers; 1938) ↑
- ZAfDR, Heft 18 vom 1. Oktober 1939, S. 646 ↑
- (Piper 2015), S. 453 ↑
- Da der Erstbearbeiter der Liste vielleicht Kenntnis von der Berufungsabsicht Hitlers hatte und ihm diese Kenntnis vielleicht genügte, um Alfred Rosenberg den Rang eines Reichsminister in einem nicht-öffentlichen Schriftstück zuzuschreiben, kann die Liste auch vor dem 17. Juli 1941 getippt worden sein. Das sei hiermit erwähnt. Um die Darstellung im Haupttext nicht zu leserunfreundlich zu gestalten, werde ich im Haupttext weiterhin das Datum „17. Juli 1941“ nennen. ↑
- (Piper 2015), S. 465 ↑
- (Pinter 1994), S. 54. Ab dem WiSe 44/45 wird eine andere Wohnadresse Emges im Vorlesungsverzeichnis mitgeteilt. Sollte der Ausschuss für Rechtsphilosophie zu diesem Zeitraum (wieder) existiert haben, ist diese Adressänderung auf dem Blatt 171 nicht mehr vermerkt worden. ↑
- Unter folgendem link findet sich die Seite mit dem Eintrag über Erich Jung aus dem Adressbuch Marburgs 1938/39: http://wiki-de.genealogy.net/w/index.php?title=Datei%3AMarburg-AB-1938-39.djvu&page=202. Unter folgendem Link die Adressangabe von Emma Rehmke, der Schwiegermutter Erich Jungs: http://wiki-de.genealogy.net/w/index.php?title=Datei:Marburg-AB-1938-39.djvu&page=236 ↑
- (Adlberger 2007), S. 249. ↑
- Auf den Blätter 129 und 130 der Akte R 61/30, welche die Mitgliederliste des Ausschusses für Wehrrecht wiedergeben, sind neben den Namens-Häkchen noch Buchstaben handschriftlich hinzugefügt worden: ein G, ein A, und ein drei-bogiges M. Das „A“ könnte für „Akademiemitglied“, das „G“ für Gast stehen. Ich habe keine Vermutung, wofür das dritte Zeichen stehen könnte. ↑
- Anderson bezieht sich übrigen auf eine ähnliche Liste, dich nicht kenne:
However, by May 1, 1943, Thierack had decided to suspend the activity of all committees and subcommittees engaged in substantive work on the VGB [Volksgesetzbuch; mw] in the interest of the total war effort. The central committee was merely to maintain a sort of “house keeping” operation so that the work could371 efficiently be taken up again as soon as feasible, but the time for such a resumption never came.
371 Thierack, “Zehn Jahre,” pp. 121-122; for the suspension of civil law and other reform activity, see a May 1, 1943 list of active, suspended and dissolved committees, NA, T-82 roll 23, ADR 10. Cf. an undated ms. about April, 1943] signed by Gaeb, entitled “Die Ausschuss-Tätigkeit der Akademie für Deutsches Recht während des Krieges,” ADR files, R 61/302, BK.
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 292
- In der auch von mir eingesehen Akte R 61/30 findet sich auf Blatt 17 eine Mitgliederliste mit der Angabe „Stand vom 11. Mai 1942. Der Vorsitzende ist Ministerialdirigent Dr. Werner Hoche. Neben zahlreichen Vertretern (enteignender) Ministerien sind die Professoren. Martin Busse (1906-1945), Werner Weber (1904-1976) und Franz Wieacker (1908-1994) Mitglieder dieses Ausschusses. Leider habe ich nicht alle Blätter der Akte kopiert. ↑
- In der auch von mir eingesehenen Akte R 61/30 finden sich auf den Blättern 23 f., 25 f. und 27 f. drei Mitgliederlisten des Ausschuss für Völkerrecht jeweils mit der Angabe „VI/Gr. 3 März 1943.“ Die Kopien, die ich gemacht habe, sind leider nicht so gut. ↑
- In meinem Bericht über die Das Buch von Andreas Koenen über Carl Schmitt hatte ich bereits mitgeteilt, dass Emge zunächst Vorsitzender des Ausschusses für Nationalitätenrecht war. Nachdem SS-Brigadeführer Behrends den Vorsitz übernommen hatte, wurde Emge Ehrenvorsitzender und blieb das auch. Auf diesen Ausschuss werde ich noch in Teil ausführlicher eingehen. Koenen hatte behauptet, dass im letzten Quartal 1936 die SS die AFDR übernommen habe. Carl Schmitt sei im Zuge dessen entmachtet worden. ↑
- Da ich verschiedene Angaben in der Sekundärliteratur gefunden habe, an welchem Tag im August 1942 Thierack Reichjustizminister und/oder Präsident der AfDR geworden ist, arbeite ich im Weiteren meistens nur mit der Zeitangabe „August 1942“. Mehrfach wird der 20. August 1942 genannt. Für die Beantwortung meiner Fragen ist die Angabe „August 1942“ ausreichend präzise. ↑
- Vgl. erneut den letzten Absatz aus Thierack Grußwort „Die Kriegsaufgaben der Akademie für Deutsches Recht“ vom 1. Januar 1943:
[19] Die Planungen der übrigen Akademieausschüsse können im Rahmen dieser Ausführungen nicht behandelt werden. Ein Teil von ihnen hat aus kriegsbedingten Gründen seine Tätigkeit vorläufig eingestellt. Ein großer Teil aber wird im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten Weiterarbeiten an der Schaffung eines nationalsozialistischen Rechts und einer deutschen Rechtskultur, die zu ihrem Teil den Bestand des nationalsozialistischen Staates und die deutsche Stellung in Europa sichern wird.●
(Thierack 1943), S. 2 f.
- Gerhard Klopfer (1905-1987) war u.a. Teilnehmer auf der Wannseekonferenz:https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Klopfer ↑
- Der Herausgeber der überlieferten Ausschussprotokolle der AfDR Werner Schubert hat im dritten Band 3 („Volksgesetzbuch: Teilentwürfe, Arbeitsberichte u. sonstige Materialien“) folgende biographische Daten über einen Paetzold zugänglich gemacht, der auch Beamter im Reichsjustizministerium gewesen ist:
Fußnote 23 […] Fritz Erwin Paetzold (auch Pätzold) (geb. 9. 3. 1894 in Glogau als Sohn eines Postinspektors; gefallen am 2.9. 1941). Nach Teilnahme am 1. Weltkrieg 1. Staatsprüfung 1919, 2. Staatsprüfung 1922 (beides mit „gut“). 1923-27 Tätigkeit an mehreren Amts- und Landgerichten, von 1927-1931 im Reichsjustizministerium als Referent für Handels- und Wirtschaftsrecht beschäftigt. 1931-1933 beim Landgericht Berlin I (zugleich Hilfsarbeiter am Kammergericht). 16.1.1933 endgültiger Übertritt in das Reichsjustizministerium als Oberregierungsrat, 1934 Ernennung zum Ministerialrat. (Quelle: Personalakte im BA Koblenz).
(Schubert, Volksgesetzbuch; 1988), S. 7
- Ich zitiere erneut:
[5] Hatte die Reichsgruppe sich in den ersten Jahren vorwiegend allgemeinen rechtspolitischen Problemen zuwenden müssen, so sieht sie es nunmehr als ihre Aufgabe an, vor allem den fachlichen Bestrebungen Rechnung zu tragen. Zu diesem Zwecke sind durch den Reichsgruppenwalter [Ritterbusch; mw] eine Reihe von Arbeitsgemeinschaften gebildet worden, und zwar für Rechtsgeschichte, ständisches Recht, Rechtsverkehr und Rechtsstreit, Strafrecht, Verfassung und Verwaltung, Völkerrecht, Rechts- und Sozialphilosophie. Durch diese Arbeitsgemeinschaften ist den rechtswissenschaftlichen Hochschullehrern die Möglichkeit gegeben worden, innerhalb ihres Fachgebietes ein wissenschaftliches Gespräch zu führen und in kameradschaftlicher Gemeinschaft an der Gestaltung der neuen Rechtswissenschaft zu arbeiten. Ein wesentlicher Zweck dieser Arbeitsgemeinschaften liegt auch darin, den Nachwuchs heranzuziehen und ihm Gelegenheit zur Erprobung und Bewährung zu geben. Auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften […]
(Die Arbeit der Reichsgruppen des NS-RB 1938), S. 475
- Vgl. zur Orientierung über Hans Freyers Leben: (Muller 1987). ↑
- Die Information fehlt auch in (Anderson, The Academy for German Law, 1987) und in (Pichinot 1981). Vielleicht ist dieses Amt nicht wiederbesetzt worden. Vielleicht ist über die Wiederbesetzung auch nur nicht berichtet worden. ↑
- Die beiden handschriftlichen Ergänzungen zu Freisler und Arendts erlauben keine interessanten Rückschlüsse. Roland Freisler ist am 20. August 1942 zum Präsidenten des Volksgerichtshofs ernannt worden ist. Die die handschriftliche Ergänzung „am Volksgerichtshof“ kann deswegen nicht vor dem 20. August 1942 vorgenommen worden sein. Die handschriftliche Ergänzung „Generaldirektor“ bei Arendts ist noch weniger hilfreich für den Zweck der Datierung des Blattes, da Arendts bereits 1933 in den Akten der AfDR als Generaldirektor und Kommerzienrat charakterisiert wurde. ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Curt_Rothenberger ↑
- Da Popitz nicht Mitglied des Ausschusses für Rechtsphilosophie gewesen ist, habe ich mich mit ihm noch nicht befasst. Anderson behauptet u.a. folgendes über Popitz:
During its first months, the ADR authorized a committee for legal education headed by Johannes Popitz, the Prussian Minister of Finance.158 Unable to meet before the enactment of the unified judicial education order of July 22, 1934, the committee in fact never met.159
FN 158 On Popitz’s committee, see Lange to Lasch, March 12, 1936, NA, T-82, roll 46, ADR 184, and above, chapter 3, p. 112. Although not very active in ADR affairs, Popitz was a regular member from 1933 to 1944 and was included on the ADR presidium. On his anti-Hitler activity, arrest and ultimate execution in 1945, see Zeller, Flame of Freedom, pp. 61-63.
FN 159 For a brief survey of the history of legal education after 1933, centering on the unified judicial education order, see Otto Palandt, “Einheitliche Justizausbildung in Grossdeutschland,” ZdADR, VI(1939), 38-41. Palandt was an ADR member and president of the Reich office for judicial examination.
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 390
- Auch Anderson (1982/87) bezieht sich auf eine Liste der Präsidiumsmitglieder, die handschriftlich auf den 26. Juni 1943 datiert ist. Er tut das in seiner Fußnote 110.
Between January and April, 1943, the completion of some committee work, the increasing personnel demands of the war, and, in all probability, the military setbacks on the Eastern front produced another series of reductions in ADR activity. With the exception of the committees for expropriation law, international law, social insurance law, welfare law, the central VGB committee, and seven class four study groups, all of the old ADR committees were suspended.110
FN 110 See the list of the ADR presidium, June 26, 1943, NA, T-82, roll 23, ADR 9. It should be noted that Freisler’s membership on the presidium continued as well, in spite of an offer to resign. See a copy of a letter from Freisler to Thierack, Aug. 25, 1942, sent with a covering note to Lammers on the same date, Reichskanzlei files, R 43 II/1510a, BK.
(Anderson, The Academy for German Law, 1987), S. 505
Die Fußnote 110 ist fehlerhaft platziert, da die Mitgliederliste des Präsidiums vom 26. Juni 1943 keine Informationen zur Suspendierung von Ausschüssen enthält. Da ich nicht ganz sicher bin, dass Anderson sich in der Fußnote 110 auf Blatt 1 mit der BArch Signatur R 61/29 bezieht, enthalte ich mich einer Äußerung zur Qualität seiner Widergabe. Falls er sich auf Blatt 1 bezieht, irritiert ich sehr, dass er seine Leser nur auf die fortgesetzte Mitgliedschaft Freislers im Präsidium informiert. ↑
- (Adlberger 2007), S. 270 ↑
- (Adlberger 2007), S. 262 ↑
- (Emge, Erinnerungen eines Rechtsphilosophen …; 1960), S. 75 ↑
- Es ist möglich, dass Klemm Rothenberger nicht nur im Reichsjustizministerium, sondern auch im Amt des stellvertretenden Präsidenten der AfDR nachfolgte. Es ist aber auch möglich, dass das nicht der Fall war. Wäre Klemm stellvertretender Präsident der AfDR Anfang 1944 geworden, hätte die AfDR spätestens damit eine direkte Verbindung in der Parteikanzlei gehabt. Die Parteikanzlei war in dieser Phase eines der wichtigsten Machtzentren des Dritten Reichs. ↑
- (Pinter 1994), S. 90 ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_zur_Befreiung_von_Nationalsozialismus_und_Militarismus ↑
- (Pinter 1994), S. 102 ↑
- (Pinter 1994), S. 102, Fußnote 3: „Berufungsschrift des Öffentlichen Klägers bei der Berufungskammer Würzburg, V. Senat an den IV. Senat der Berufungskammer vom 23.8.1949, S. 1, Privatarchiv Martinus Emge, Bonn.“ ↑
- (Pinter 1994), S. 102 ↑
- (Pinter 1994), S. 105 ↑
- (Pinter 1994), S. 104 ↑
- Im nächsten Unterabschnitt liefere ich die Informationen, auf die Pinter in Klammern verweist. ↑
- (Pinter 1994), S. 75 ↑
- Direkt vor der Gliederung, die Pinter (1994) zitiert hat, werden vier allgemeine Thesen aufgestellt. Ich zitiere aus dieser Passage des Gutachtens, das auf den Seiten 477-504 abgedruckt ist:
Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik nach volkspolitischen Gesichtspunkten. Im juristischen Teil als Vorlage für den nationalitätenrechtlichen Ausschuß der Akademie für Deutsches Recht.
– Abgeschlossen Januar 1940. Ergänzt Sommer 1940[…]Allgemeine Thesen: 1. Es ist nicht möglich, ein Volk von der Größe und Tradition des polnischen zu vernichten, die europäische Geschichte der letzten Jahrhunderte kennt keinen solchen Vorgang. […] │ S. 478 […]
4. Wie immer sich die Verhältnisse in Osteuropa entwickeln werden – dem polnischen Volk steht eine harte und schwere Zukunft bevor: […] Wir können ihnen nicht geben:
a) eine sie befriedigende Eigenstaatlichkeit,
b) reichliche Ernährung unter Belassung der Kornkammer des ehem. Westpolens und der industriellen Bodenschätze zur eigenen Ausbeutung,
c) den menschenarmen Siedelraum des ehem. Ostpolens,
d) ein völkisch einheitliches Wohngebiet.
Möglich ist dagegen den Polen zu geben:
a) Recht und Ordnung,
b) Schutz vor Bolschewisierung,
c) Schutz vor jüdischer Ausbeutung,
d) hinreichende Lohnarbeit und soziale Erziehung.
Thematische Gliederung der Denkschrift:
(Schubert, Ausschüsse für Völkerrecht und Nationalitätenrecht (1934-1942); 2002), S. 477 f.
- Bereits hier kann ich zurückverweisen auf meinen Unterabschnitt 7.9.5. über die Biographie Luetgebrunes, einem der 18 Gründungsmitglieder des Ausschusses für Rechtsphilosophie. Ich habe dort im Wesentlichen nur die Darstellung Rudolf Heydeloffs wiedergegeben. Dieser erwähnte beiläufig, dass derselbe Hermann Behrends im Herbst 1934 Zugriff auf die Akten Luetgebrunes hatte, nachdem dieser im Sommer 1934 von der Gestapo verachtet worden war. Luetgebrune war der „Staranwalt“ der akademischen Nationalsozialisten vor 1933. Werner Buch, der Leiter der inneren Parteigerichtsbarkeit der NSDAP, forderte die beschlagnahmten Akten ein. Behrends verweigerte dies zunächst. Nachdem die Akten Luetgebrunes durch die Entscheidung Himmlers doch an Walter Buch geschickt worden waren, stellte sich heraus, „dass das Material recht dünn war“. Wenn Heydeloffs Darstellung korrekt ist, hatten Hermann Behrends und Heydrich zweifelsfrei die Gelegenheit die beschlagnahmten Akten Luetgebrunes auszudünnen. In den Folgejahren waren Professor Emge und Hermann Behrends durch ihre Vorsitze über den Ausschuss für Nationalitätenrecht miteinander verbunden. Es darf deswegen erwogen werden, ob Behrends Schriftstücke aus den beschlagnahmen Akten Luetgebrunes verschwinden ließ, die den Ausschuss für Rechtsphilosophie oder/und die AfDR betrafen. ↑
- Der Wikipedia-Artikel in der Fassung vom 27.1.2019 über Karl Christian von Loesch (1880.1951) ist zu apologetisch. Ich zitiere deswegen die biographischen Angaben von Werner Schubert:
Loesch, Karl Christian von (geb. 18.12.1880 in Stephansdorf/Neumarkt, Schlesien; gest. 1951). Studium der Rechtswissenschaften in Breslau, Bonn, Jena und München. 1903 Referendarexamen in Breslau. 1910 Promotion zum Dr. phil. 1914-1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Mitbegründer des Deutschen Schutzbundes und Vorsitzender des Volksdeutschen Klubs. Senator der Deutschen Akademie. Nach 1933 ord. Prof. in Berlin. Leiter der Abt. für Volkskunde und Volksgruppenfragen des Deutschen Auslandswissenschaftlichen Instituts; Leiter des Instituts für Grenz- und Auslandsstudien in Berlin-Steglitz. – Werke: Das Antlitz der Grenzlande, 1932; Die deutschen Züge im Antlitz der Erde, 1935; Die Gliederung der deutschen Volksgrenzen, 1937; Die außenpolitischen Wirkungen des Geburtenrückganges, dargelegt am Beispiel der Franzosen, 1938; Der polnische Volkscharakter, 1940; Die Verlustliste des Volkstum s in Polen, 1940. – Die Zukunft des Volksgruppenrechts, eine grundsätzliche Betrachtung, Jb. der ADR, 1937. Bericht über die Arbeiten des Unterausschusses für terminologische Angelegenheiten, ZA DR 1939, S. 1 1 7 .- Quellen: Gelehrtenlexikon; Reichshandbuch, 1929, Bd. 1, S. 1144 f.●
(Schubert, Ausschüsse für Völkerrecht und Nationalitätenrecht (1934-1942); 2002), S. XLI f.
- http://www.lenomdes86.fr/indexdeutsch.html ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Stra%C3%9Fburger_Sch%C3%A4delsammlung ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Hefermehl ↑
- In der Liste der Mitglieder der AfDR, die Anderson (1982/87) erstellt hat, wird Hefermehl nicht erwähnt. In dieser Liste der Mitglieder der AfDR tauchen aber auch die Namen von Freyer, Heidegger und Rothacker nicht auf. Nicht jedes Mitglied eines Ausschusses der AfDR war auch Mitglied der AfDR. ↑
- (Hefermehl, Die Behandlung des feindlichen Vermögen; 1940) ↑
- http://ns-quellen.at/gesetz_anzeigen_detail.php?gesetz_id=13810&action=B_Read ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Ernst_(Bankier) – zuletzt abgerufen am 28. April 2018 ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Reichskommissar ↑
- Personalnachrichten; in Heft 5 vom 2. Februar 1940 der Zeitschrift Deutsche Justiz, S. 153 ↑
- Ich konnte eine Person mit diesem bürgerlichen Namen bisher nicht anhand einer weiteren Quelle re-identifizieren. Das muss nichts heißen. In einigen wenigen anderen Fällen ist es mir in derselben Situation gelungen, anhand anderer Informationen nachzuweisen, dass der Name ein Pseudonym gewesen ist. „Karl Krieger“ wäre sicherlich für nicht wenige akademische Nationalsozialisten ein Pseudonym ihrer Wahl gewesen. ↑
- (Krieger und Hefermehl 1940) ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Osteuropa-Institut_(Breslau) ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsministerium_f%C3%BCr_die_besetzten_Ostgebiete ↑
- (Meyer, Rezension von Krieger & Hefermehl: Kommentar zum feindlichen Vermögen; 1942) ↑
- Vgl. die Originalversion im Bundesgesetzblatt: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=//*%5B@attr_id=%27bgbl151s0391.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl151s0391.pdf%27%5D__1551476219983 ↑
- (Globke, Der Zusatzvertrag zum deutsch-slowakischen Staatsangehörigkeitsvertrag; 1941) und (Globke, Die Staatsangehörigkeit der Volksdeutschen Umsiedler aus Ost- und Südosteuropa; 1943) ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Globke ↑
- Viktor Bruns und Ernst von Weizäcker waren mit einander verwandt; siehe Unterabschnitt 6.2.5.. Die Eltern von Viktor Bruns waren Marie Auguste Weizsäcker (1857–1939) und Paul von Bruns (1846–1916), Chirurg.https://de.wikipedia.org/wiki/Weizs%C3%A4cker ↑“